Betrifft: Betreuung 10
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C. Kommentar aus Sicht der Sozialen Arbeit<br />
Silke Birgitta Gahleitner<br />
In ihrem Standardwerk ‚Soziale Diagnose’ fordert Alice Salomon (1926/2004) von tätigen<br />
‚Sozialbeamten’, eigene Voreingenommenheiten als solche zu begreifen, die<br />
eigene Einstellung zu reflektieren und richtig bewerten zu lernen und dadurch die<br />
Gefahr zu vermeiden, bestimmte Tatsachen zu stark, andere zu gering zu beachten<br />
und zu bewerten. Der Sozialbericht im Rahmen eines Verfahrens zur Einrichtung oder<br />
Aufhebung einer gesetzlichen <strong>Betreuung</strong> nach den vorliegenden Standards sei ihrer<br />
Ansicht nach ‚ExpertInnensache’ 1 ; auf seiner Basis würden wichtige, lebens- und alltagsprägende<br />
Entscheidungen getroffen. Tatsächlich bedeutet Diagnose, ursprünglich<br />
griechisch, das ‚Auseinanderkennen’ der Merkmale eines Gegenstandes, einer<br />
Person oder eines Systems. Soziale Diagnostik oder Sozialberichterstattung ist dabei<br />
in besonderer Weise verpflichtet, die Schnittstelle zwischen psychischen, sozialen,<br />
medizinischen und alltagssituativen Dimensionen auszuleuchten. Dabei kann nach<br />
Alice Salomon die Verschiedenheit von Auffassungen im interdisziplinären Austausch<br />
mit anderen Professionen und Institutionen sehr hilfreich sein, denn gerade Verschiedenheiten,<br />
bemerkt sie, zwingen zu eigenem Denken und Urteilen und schärfen den<br />
Verstand und die Wahrnehmung für das eigentlich Wesentliche (ebd.).<br />
Pragmatische Überlegungen könnten die Verantwortlichen für die Durchführung der<br />
Sozialberichterstattung an dieser Stelle bereits in die Mutlosigkeit treiben. Das eingeräumte<br />
Zeitbudget ist knapp, die Aufgabe nicht einlösbar, eine anspruchsvolle Abklärung<br />
mit ‚ExpertInnenanspruch’ ein hehrer, in der Alltagspraxis schwer umsetzbarer<br />
Traum. Auf der ExpertInnentagung in Göttingen wurde deutlich, dass die unterschiedliche<br />
Organisationsstruktur und Praxis in den einzelnen Bundesländern auch<br />
ein Variantenspektrum in der Ausführungspraxis der Sozialberichterstattung erfordert<br />
bzw. ermöglicht. Eine Möglichkeit der ‚Einigung’ und ‚Vereinheitlichung’ jedoch wäre,<br />
sich gemeinsam auf ein Grundverständnis der Sozialberichterstattung hin zu orientieren,<br />
auf dessen Basis die konkrete Ausführung vor Ort – je nach Organisationsstruktur<br />
und Zeit- bzw. finanziellen Ressourcen – erfolgt. Zielsetzung könnte sein, auf dem<br />
Hintergrund von Wissen und Erfahrung prozessspezifisch sowie personzentriert und<br />
situationsadäquat tätig werden zu können.<br />
Ziel einer Sachverhaltsaufklärung bzw. eines Sozialberichts, so § 8 BtBG, ist eine Entscheidungshilfe<br />
für das Gericht. Für die <strong>Betreuung</strong>sbehörde bedeutet dies, „das soziale<br />
Umfeld des Betroffenen zu analysieren, um drei Fragen von verfassungsrechtlicher<br />
Bedeutung beantworten zu können: Welche Angelegenheiten des Betroffenen<br />
sind konkret zu erledigen? Was kann der Betroffene trotz seiner Erkrankung in seinem<br />
sozialen Lebensraum selbst gestalten? Welche anderen, sozialen Hilfen, die den<br />
Betroffenen auffangen können, sind verfügbar?“ (AG Standards für die Sozialberichterstattung,<br />
2007, S. 2 f.). Im Folgenden sollen die dazu erforderlichen Kernbereiche<br />
des Wissens und Handelns aus der Perspektive der Sozialen Arbeit erläutert werden.<br />
Einige der angesprochenen Punkte sind bereits in dem von der Arbeitsgruppe vorgelegten<br />
Vorschlag aufgegriffen, einige wenige andere wären zu ergänzen – stärker<br />
jedoch im Hinblick auf eine perspektivische Ausrichtung, als durch die Hinzufügung<br />
konkreter Punkte in einer Liste der abzuarbeitenden Aspekte.<br />
1 Zitat von Herrn Langholf während der zugrunde liegenden Tagung am 6.<strong>10</strong>.2008 in Göttingen.<br />
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