Betrifft: Betreuung 10
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E. Perspektiven<br />
• eine erhöhte Aufmerksamkeit in der Gesellschaft für die Wahrnehmung von bürgerlichen<br />
Freiheitsrechten.<br />
Im Weiteren soll aber nicht ursächlich die <strong>Betreuung</strong>, sondern die Behindertenpolitik<br />
fokussiert werden. Denn wenn man aus einer sozialpolitischen Perspektive argumentiert,<br />
wird sich der von Deinert genannte Befund verändern. Denn Menschen mit<br />
Behinderung leben in der Bundesrepublik Deutschland in einem sozialen Bundesstaat,<br />
der eine Vielzahl von Rechten und Geld-, Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung<br />
stellt. Allgemeiner gesagt, kommt genau dies in einer Definition von Sozialpolitik<br />
als „politische Institutionen, Prozesse und Politikinhalte, die zumindest darauf<br />
angelegt sind,<br />
• die Bürger vor Armut und Not durch Garantie des Existenzminimums zu schützen,<br />
• sie gegen die Wechselfälle des Lebens oder Risiken infolge von Alter, Invalidität,<br />
Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu sichern und<br />
• soziale und natürliche Ungleichheit zu verringern“ (Pilz 2004), zum Ausdruck.<br />
Stellen wir also Menschen mit Behinderung in den Mittelpunkt, so stellen wir gleichzeitig<br />
ein zentrales Anliegen unserer Sozialpolitik auf den Prüfstand, nämlich, ob wir uns<br />
um die Schwächsten unserer Gesellschaft kümmern. Ich werde also zuerst die Ausgangslage<br />
der Sozialpolitik für Menschen mit Behinderung darstellen, die normativen<br />
Grundlagen (II), und werde dann die Lebenslagen der Menschen und die Mehrbedarfe<br />
bzw. Bedarfsveränderungen anhand statistischer Daten begründen (III) und am<br />
Schluss auf sozialpolitische Perspektiven in der kommunalen Sozialpolitik eingehen.<br />
II. Ausgangslage: Der gesellschaftliche Konsens zur<br />
Teilhabepolitik<br />
Die Sozialen Rechte haben durch die Schaffung des neunten Sozialgesetzbuches<br />
und durch die UN-Charta für Menschenrechte eine Stärkung erfahren. Durch das<br />
SGB IX wurde im Jahre 2001 die grundsätzliche Orientierung an Kriterien der Selbstbestimmung<br />
und Teilhabe eingeführt, was einen großen Fortschritt darstellt. So ist die<br />
Zielperspektive in § 1 SGB IX klar formuliert: Menschen mit Behinderung erhalten<br />
Leistungen, „um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in<br />
der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken.“<br />
Die Grundlage für die Entstehung des SGB IX ist das Benachteiligungsverbot<br />
im Grundgesetz: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“<br />
(Bihr te.al. 2006, 11), welches bis dahin noch keine Umsetzung in den<br />
Sozialgesetzbüchern gefunden hatte. Im Jahre 2000 – in der 14. Legislaturperiode –<br />
forderte der Bundestag die Bundesregierung durch einen interfraktionellen Entschließungsantrag<br />
auf, das Recht von Menschen mit Behinderung zusammen zu fassen<br />
und in einem Sozialgesetzbuch IX zu bündeln. „Die Integration von Menschen mit<br />
Behinderung ist eine dringende politische und gesellschaftliche Aufgabe“ (BT-<br />
Drucks. 14/2013) – nachdem eben dies von der 11. Legislaturperiode aufgrund von<br />
drängenderen Reformen immer wieder verschoben wurde.<br />
Bemerkenswert ist in der Entstehung und in der Verabschiedung des SGB IX, dass<br />
eine ungewöhnliche, ja sogar einmalige Zustimmung erreicht werden konnte. Das<br />
Gesetz wurde am 6.4.2001 in zweiter und dritter Lesung mit den Stimmen aller Fraktionen<br />
des Deutschen Bundestags beschlossen. Nur die PDS stimmte dagegen.<br />
Ebenso verabschiedete der Bundesrat das zustimmungspflichtige Gesetz eindeutig.<br />
Das heißt, mit dem SGB IX ist ein Höchstmaß an demokratischer Legitimation gegeben.<br />
Es kommen ein eindeutiger, fraktionsübergreifender politischer Wille und ein<br />
gesellschaftlicher Konsens zum Ausdruck, die Selbstbestimmung und Teilhabe von