Betrifft: Betreuung 10
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E. Perspektiven<br />
Sozialpolitische Perspektiven für Menschen mit<br />
Behinderung<br />
Prof. Dr. Andreas Langer<br />
I. Einleitung und Problemstellung<br />
Wenn unter einer sozialpolitischen Perspektive auf Entwicklungen, Phänomene und<br />
(Lebens-)Bedingungen in der Gesellschaft, auf den Staat geblickt wird, müssen drei<br />
Faktoren Erwähnung finden, die unseren Sozialstaat, unsere sozialen Sicherungssysteme<br />
im Augenblick herausfordern, die zu Reformen zwingen.<br />
Das ist zum einen der Wandel in den Lebenslagen, zum zweiten ist es die Globalisierung<br />
und drittens ist es der demografische Wandel. Diese Entwicklungen sind im Alltag<br />
der Menschen spürbar. Bei der Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme können<br />
nicht mehr größtenteils ‚Normallebensverhältnisse’ vorausgesetzt werden, wie<br />
etwa eine Normal(arbeits-)biografie, lebenslange Partnerschaften/Ehen und traditionelle<br />
Familienformen. Stattdessen muss mit der sozialen Sicherung auch eine Antwort<br />
gegeben werden auf plurale Gesellschaftsformen und die Individualisierung<br />
bzw. Selbstbestimmung der Bürger. Die 500 Milliarden Euro Bürgschaft der Bundesregierung<br />
setzt ein Zeichen gegen eine Gefährdung des sozialen Sicherungssystems<br />
in Zeiten der Globalisierung und der Finanzkrise, nichts desto trotz können ohnehin<br />
schon belastete Kommunen in größere Not kommen, und das Ziel die Staatsverschuldung<br />
zu senken, ist in weite Ferne gerückt. Nicht wenige Menschen sorgen sich um<br />
ihre Altersversorgung vor dem Hintergrund, dass immer weniger Arbeitende immer<br />
mehr Menschen im Ruhestand sichern müssen. Deutschland wird älter und weniger.<br />
Ist es aber nun erhellend, diese Faktoren auch auf eine Analyse der sozialpolitischen<br />
Maßnahmen für Menschen mit Behinderung in Anschlag zu bringen? Genau diese<br />
Fragestellung soll im Folgenden mit diesem Aufsatz diskutiert werden. Zwei Punkte<br />
stehen dabei im Mittelpunkt, zu deren Erklärung ich Globalisierung, Demografie und<br />
den Wandel der Lebenslagen heranziehen möchte: Erstens werden wir die nächsten<br />
Jahre weiterhin mit einem Mehrbedarf und mit Bedarfsveränderungen in der Behindertenhilfe<br />
zu tun haben. Zweitens kommen auch jenseits einer weiteren Bedarfssteigerung<br />
stärkere Belastungen auf die Regionen und Kommunen zu. Behindertenpolitik<br />
ist im wesentlichen Umsetzungspolitik in den Ländern und Kommunen, rückt<br />
vermehrt in den Mittelpunkt des Interesses der kommunalen Sozialpolitik und führt in<br />
seiner Bearbeitung zu einer Überforderung der Entscheidungsträger.<br />
Der starke Anstieg der rechtlichen <strong>Betreuung</strong> ist ein Indiz für diese Veränderungen.<br />
Schon im Jahr 2002 hat Horst Deinert zusammengestellt, was die Hauptgründe für<br />
einen Zunahme der rechtlichen <strong>Betreuung</strong> sein könnten:<br />
• der demografische Wandel, der sich in der Zunahme der Einpersonenhaushalte<br />
und in einer Erhöhung von psychischen Erkrankungen im Alter zeigen wird;<br />
• der Nachholbedarf der neuen Bundesländer, weil in der ehemaligen DDR keine<br />
Vormundschaften angeordnet wurden;<br />
• die Verwechslung der rechtlichen <strong>Betreuung</strong> mit einer weiteren sozialfürsorglichen<br />
Tätigkeit;<br />
• eine zunehmende Verrechtlichung der Gesellschaft;<br />
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