Betrifft: Betreuung 10
Betrifft: Betreuung 10
Betrifft: Betreuung 10
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
C. Wille des Betreuten und Handeln gegen den Willen<br />
tieren. Eine Beratung über die relevanten Rechts-, insbesondere Haftungsfragen ist<br />
hier dringend geboten. Auch hier kann der Betreuer eine wichtige Schlüsselfunktion<br />
einnehmen. Eine sinnvolle Maßnahme kann es z.B. sein, auf übergeordneter Ebene<br />
einen gemeinsamen runden Tisch mit Heim- und Pflegedienstleitung sowie den<br />
zuständigen Amtsrichtern und Ärzten anzuregen.<br />
VII. Der interdisziplinäre Entscheidungsprozess<br />
Der teils noch geringe evidenzbasierte Wirksamkeitsnachweis einzelner Alternativen<br />
entbindet die Versorgungs- und <strong>Betreuung</strong>spraxis keinesfalls davor, im Einzelfall zu<br />
überprüfen, ob die Anwendung von FEM aus rechtlich-ethischer Sicht erforderlich ist<br />
– oder eine Alternative etwa die verhältnismäßigere Maßnahme zur FEM darstellt. Den<br />
„Königsweg“ in der Entscheidungsfindung gibt es nicht. Im Zentrum sollte der Betroffene<br />
selbst mit seinem (mutmaßlichen) Willen stehen bzw. eine an den individuellen<br />
Bedürfnissen des Betroffenen orientierte Güterabwägung erfolgen, unter Einbindung<br />
aller an der Entscheidung beteiligten Personen und Berufsgruppen. Das Treffen der<br />
Entscheidung obliegt dann bei nicht einwilligungsfähigen Personen der Person des<br />
Rechtsvertreters.<br />
Der Entscheidungsprozeß für oder wider den Einsatz von FEM sollte mit einer sorgfältigen<br />
Problemanalyse beginnen – mit dem Ziel, die individuellen Risiken (z.B. Sturzgefährdung,<br />
Weglaufdrang) zu identifizieren und mögliche Ursachen der zur Frage<br />
der FEM führenden Gründe abzuklären und ggf. spezifisch zu behandeln2 . Hierzu<br />
zählen etwa Verhaltensauffälligkeiten als möglicher Ausdruck von Schmerzen oder<br />
unbefriedigten Grundbedürfnissen (z.B. Hunger, Ausscheidungs- und Bewegungsdrang),<br />
aber auch als mögliches Symptom somatischer (z.B. Schilddrüsenerkrankungen,<br />
Infektionen) oder psychiatrischer Grunderkrankungen (z.B. Depression, Wahn,<br />
Halluzinationen). Eine verstehende Verhaltensdiagnostik (BMG 2006) kann sinnvoll<br />
sein, um auffälliges Verhalten, z.B. auf dem Boden der individuellen Biographie, zu<br />
dechiffrieren und (pflege-)spezifisch zu intervenieren. Vorliegende Sturzrisikofaktoren<br />
sind zu erkennen und leitliniengerecht abzuklären und zu beheben (DEGAM 2004).<br />
Des weiteren ist eine Überprüfung der bestehenden Medikation im Hinblick auf im<br />
Alter häufig auftretende (und die Verhaltensauffälligkeiten oder die Sturzgefährdung<br />
verursachende oder mit bedingende) Neben- und Wechselwirkungen dringend vorzunehmen.<br />
Obgleich diagnostische Maßnahmen außerhalb des Aufgaben- und Verantwortungsspektrums<br />
des Rechtsvertreters liegen, obliegt diesem sicherlich eine<br />
wesentliche Schlüsselrolle in der Steuerung und Überprüfung dieser wichtigen Prozessphase.<br />
Hier sollte ggf. auch das Recht auf Dokumentationseinsicht wahrgenommen<br />
werden, insbesondere dann, wenn die Prozesswege nicht transparent erscheinen<br />
bzw. der Betreuer nicht adäquat informiert und in die Entscheidung einbezogen<br />
wird. Insbesondere die weiteren Prozessschritte zur Entscheidung für und wider den<br />
Einsatz von Alternativen oder FEM sollten unter Einbeziehung aller an der Entscheidung<br />
beteiligten Personen (Patient, Rechtsvertreter, Angehörige, Pflegefachberufe,<br />
ggfs. andere Gesundheitsberufe, fachärztliche Kollegen, Pflegedienst-/Heimleitung<br />
Richter) erfolgen, optimalerweise im Rahmen einer Fallkonferenz (Projektgruppe<br />
ReduFix 2007).<br />
2 Lt. der Schweizer medizinisch-ethischer Richtlinien zur Behandlung und <strong>Betreuung</strong> älterer pflegebedürftiger<br />
Menschen der SAMW dürfen freiheitsbeschränkende Maßnahmen nur eingesetzt<br />
werden, wenn das beobachtete Verhalten nicht auf behebbare Ursachen zurückzuführen ist wie<br />
z.B. Schmerz, Nebenwirkungen von Medikamenten oder zwischenmenschliche Spannungen.<br />
137