Vergleich von Gleichnis und Parabel: - Kerber-Net
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Lukas 15,11 -24: <strong>Gleichnis</strong> vom barmherzigen<br />
Vater (...vom verlorenen<br />
Sohn)<br />
<strong>Vergleich</strong> <strong>von</strong> <strong>Gleichnis</strong> <strong>und</strong> <strong>Parabel</strong><br />
Kafka: „Heimkehr“<br />
Bei Lukas: Bei Kafka:<br />
1. Zum Inhalt:<br />
Entwicklung des Geschehens in vier<br />
Schritten:<br />
1. Auszug des Sohnes <strong>von</strong> zu Hause,<br />
Verlassen des Vaters<br />
2. Leben des Sohnes in der Fremde<br />
3. Umkehr <strong>und</strong> Rückkehr<br />
4. Empfang durch den Vater<br />
2. Die Textart:<br />
� Lediglich die Darstellung des Augenblicks der<br />
Rückkehr aus der Innenperspektive des Sohnes<br />
Bei beiden Texten handelt es sich um <strong>Parabel</strong>n (s. die fließenden Grenzen zur Abgrenzung<br />
gegenüber dem <strong>Gleichnis</strong>). <strong>Gleichnis</strong> <strong>und</strong> <strong>Parabel</strong>n sind didaktische Erzählungen, die eine<br />
religiöse, sittliche oder weltanschauliche Wahrheit anschaulich literarisch gestalten. Als<br />
Formen der didaktischen Literatur erheben sie Anspruch auf über-individuelle Gültigkeit.<br />
3. Sprachliche <strong>und</strong> stilistische Gestaltung<br />
� Syntax:<br />
Übersichtliche Sätze; Verzicht auf komplizierte<br />
syntaktische Strukturen. Hauptsätze<br />
<strong>und</strong> Satzglieder sind vielfach parataktisch<br />
aneinander gereiht <strong>und</strong> durch „<strong>und</strong>“ miteinander<br />
verb<strong>und</strong>en. Die Sätze fassen sachlich<br />
berichtend zusammen (oft längere<br />
Zeiträume), ohne auf Details einzugehen.<br />
Im zweiten Teil: Reihung, Steigerung,<br />
Gegensätze, Metaphern als Ausdruck<br />
der überschwänglichen Freude des Vaters.<br />
Die wörtlichen Redeteile, die die Kernaussagen<br />
enthalten (Gesinnungswandel des<br />
Sohnes, Verhalten des Vaters), lassen in<br />
den Ausrufesätzen die emotionale Beteiligung<br />
der Personen erkennen.<br />
� Wortwahl:<br />
Verben: Anschaulich, konkret, zur Charakterisierung<br />
der Personen:<br />
� Sohn: „Sammelte alles ein“, „zog<br />
da<strong>von</strong>“, „vergeudete“, „hängte sich<br />
an“,<br />
� Vater: „Es erbarmte ihn“, „er lief<br />
<strong>und</strong> fiel ihm um den Hals <strong>und</strong> küsste<br />
ihn“.<br />
Adjektive: Mehr typisierend als individualisierend<br />
<strong>und</strong> differenzierend: „liederliches<br />
Leben“, „bestes Gewand“,<br />
„gemästete Kalb“.<br />
� Das <strong>Gleichnis</strong> will das Allgemeine<br />
darstellen, nicht das Einmalige<br />
<strong>und</strong> Besondere.<br />
� Syntax:<br />
Beginn mit kurzen Hauptsätzen, syntaktisch<br />
kaum verb<strong>und</strong>en (Fehlen <strong>von</strong> Konjunktionen),<br />
durch Ellipse (2. Satz) <strong>und</strong> nachgestellte<br />
Attribute Hemmung des Leseflusses.<br />
Einsetzende Fragen als Ausdruck des Zweifels;<br />
durch Reflexion, Unsicherheit <strong>und</strong> Zweifel<br />
bedingter komplizierter Satzbau, Nebensätze<br />
unterschiedlicher Art <strong>und</strong> in unterschiedlicher<br />
logischer Abhängigkeit, Wiederholungen,<br />
Wiederaufgreifen <strong>von</strong> Satzgliedern,<br />
Weiterführung <strong>von</strong> Sätzen, nachgestellte<br />
nähere Bestimmungen, die den Satzfluss<br />
unterbrechen..<br />
� Ausdruck innerer Auseinandersetzung,<br />
Spiegelung des Reflexionsflusses<br />
� Wortwahl:<br />
Lexik der Feindschaft, der Abweisung:<br />
„alte Hof“ assoziiert noch Vertrautheit;<br />
aber: „unbrauchbares Gerät“,<br />
„ineinander verfahren“,<br />
„zerrissenes Tuch“,<br />
„kalt steht Stück neben Stück“<br />
Wachsende Entfremdung:<br />
Gerät „verstellt“ den Weg,<br />
die Katze „lauert“;<br />
Gegen Ende werden „Ferne“, „horchen“,<br />
„Geheimnis“ zu Schlüsselwörtern<br />
� Trotz äußerer Nähe stellt sich eine<br />
unüberbrückbare Entfremdung <strong>und</strong><br />
Abschottung gegenüber der vertrauten<br />
Welt der Kindheit ein.<br />
� H. <strong>Kerber</strong> 1995 | 2011
4. Erzählhaltung:<br />
Aus der Perspektive des allwissenden Erzählers:<br />
Auktoriale Erzählhaltung.<br />
Große Zeiträume werden in wenigen Sätzen<br />
zusammengefasst. Textverteilung <strong>und</strong><br />
Aufbau der Handlung lassen erkennen,<br />
dass die Sympathie des Erzählers beim<br />
Vater liegt.<br />
5. Gesamtaussage, Gehalt<br />
Das <strong>Gleichnis</strong> <strong>von</strong> Lukas hat seine Sinnspitze<br />
im Verhalten des Vaters <strong>und</strong> ordnet<br />
alle übrigen Züge diesem Höhepunkt unter.<br />
Verhalten des Vaters:<br />
Ohne Vorwürfe, ohne zu richten, vorbehaltlos<br />
<strong>und</strong> vorurteilsfrei empfängt er in<br />
Liebe den Sohn; es widerspricht üblichem<br />
menschlichem Verhalten. Es öffnet einen<br />
kurzen Blick auf die reine „Menschlichkeit“,<br />
die Idealität <strong>und</strong> Andersartigkeit des<br />
Reiches Gottes. Im Horizont des theozentrischen<br />
Weltbildes macht es die Geborgenheit<br />
des Menschen sinnfällig.<br />
Eine interessante Möglichkeit des <strong>Vergleich</strong>es<br />
bietet die Erzählung: „Rondo“ <strong>von</strong><br />
Jürg Amann in: Erzählungen seit 1960 aus<br />
der B<strong>und</strong>esrepublik... Reclam 7977, S.<br />
310 ff, wo der Sohn in Flucht <strong>und</strong> zugleich<br />
magischer Anziehung zur Mutter nach<br />
Hause zurückkehrt <strong>und</strong> <strong>von</strong> ihr aufgefordert<br />
wird, wieder in ihren Mutterschoß zu<br />
kriechen: „Und sei auf seiner Flucht <strong>von</strong> zu<br />
Hause plötzlich wieder zu Hause gewesen.“<br />
Heimkehr_Kafka_Lukas_tab.doc<br />
Das Geschehen entwickelt sich aus der Innenperspektive<br />
der dargestellten Person:<br />
Personale Erzählhaltung.<br />
Damit wird der Leser unmittelbar Zeuge der<br />
seelischen Vorgänge. Erzähltechnik zur Darstellung<br />
der Innenperspektive ist der innere Monolog.<br />
Gedanken, Vorstellungen <strong>und</strong> Gefühle, Assoziationen<br />
<strong>und</strong> Erinnerungen, wie sie im Bewusstseinsstrom<br />
<strong>und</strong> aus dem Unterbewusstsein<br />
erscheinen, aber in Wirklichkeit nicht ausgesprochen<br />
werden, werden in der Ich-Form wiedergegeben.<br />
Erzählzeit <strong>und</strong> erzählte Zeit werden identisch.<br />
Kafkas <strong>Parabel</strong> bleibt monologisch: Es<br />
kommt äußerlich zu keiner Begegnung mit der<br />
Familie, der Bruch wird erst jetzt im Augenblick<br />
der Reflexion auch innerlich ganz bewusst <strong>und</strong><br />
vollzogen.<br />
Der „Held“ steht vor der Tür zu einem Raum,<br />
der Geborgenheit <strong>und</strong> vertraute Heimatlichkeit<br />
ausstrahlt <strong>und</strong> in dem Gemeinschaft lebt. Der<br />
Heimgekehrte findet aber zu diese Welt keinen<br />
Zugang. Er bleibt einsam <strong>und</strong> ungeborgen, „vor<br />
der Tür“ horchend, „draußen vor der Tür“ - eine<br />
typische Kafka-Situation.<br />
Religiöse Deutung: Theologie der Heillosigkeit,<br />
des Abgefallenseins, des verlorenen Glaubens;<br />
Theologie der Krise: Zwischen Gott <strong>und</strong><br />
Mensch, zwischen Mensch <strong>und</strong> Mensch besteht<br />
ein nie zu schließender Abgr<strong>und</strong>.<br />
Existenzialistische Deutung: Gestaltung der<br />
Nichtigkeit, Aussichtslosigkeit, Anonymität <strong>und</strong><br />
Absurdität menschlicher Existenz.<br />
Psychologische Deutung: Unbewältigte Auseinandersetzung<br />
mit der Autorität des Vaters.<br />
Soziologische, kulturkritische Deutung:<br />
leiden an der bürokratisierten Welt, an einer<br />
Gesellschaft, die menschliche Beziehungen pervertiert<br />
<strong>und</strong> den Menschen entfremdet.<br />
FRAGE:<br />
Welche Wandlungen in der Neuzeit tragen dazu<br />
bei, dass auch die eigenen Familie als „Fremde“<br />
erlebt werden kann?<br />
� H. <strong>Kerber</strong> 1995 | 2011