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MZ-81-12 – Dezember/Januar - Mänziger Zytig

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KULTUR<br />

Mit einem Mal bohrt sich der wilde Tross hinein in den Berg<br />

und lässt die Felsen wanken. Klaus hört die Geister durch die<br />

Gänge der Tropfsteinhöhlen wüten. Als die Horde mit ohrenbetäubendem<br />

Getöse wieder herausbricht, schiesst sie hinauf<br />

zu den Ruinen der Wildenburg, kurvt darum herum, um sich<br />

gleich darauf hinunter zu den tosenden Wassern der Lorze zu<br />

stürzen. Die Geisterbande rast durch die Bogen und Pfeiler<br />

der Tobelbrücken, als ob diese Bauwerke nicht existieren würden.<br />

Unvermittelt geht eine Wandlung durch den Zug. Aus Pferden<br />

werden zwei­ und vierrädrige Rennkarossen und gepanzerte<br />

Vehikel, alles immer noch von höllischem Feuer umgeben.<br />

Aus den Wildenburgern ist neuzeitliches Gesindel geworden,<br />

korrupte Politiker vielleicht oder verbrecherische<br />

Wirtschaftsbosse und Kriegsherren mit grausamen Fratzen.<br />

Ordinäres und aufgetakeltes Frauenpack begleitet sie.<br />

Schwerter, Hellebarden und Morgenstern haben sie gegen<br />

die unterschiedlichsten Feuerwaffen getauscht, mit denen sie<br />

wild um sich ballern. Bassgetriebener Hardrocksound begleitet<br />

das höllische Spektakel. Mit irrem Lärm jagt die Geisterbande<br />

kreuz und quer durch das Lorzentobel und schwängert<br />

die Luft mit bestialischem Gestank von Verbranntem und von<br />

Schwefel.<br />

Da löst sich wie ein Todesengel eine Frauengestalt aus dem<br />

Zug, stösst hinunter zu dem auf der Bank Liegenden und<br />

brennt ihm mit einem glühenden Eisen unbarmherzig ein Feuerzeichen<br />

auf die linke Hand. Klaus schreit auf vor Schmerz,<br />

aber auch, weil er in der Gestalt seine verlorene Angebetete<br />

wiederzuerkennen glaubt. Im selben Augenblick erwacht er<br />

und der teuflische Spuk ist vorbei. Er sinkt in einen traumlosen<br />

Schlaf, der ihn vom Albdruck erlöst.<br />

Am frühen Morgen wecken die ersten Sonnenstrahlen den<br />

Trunkenbold auf. Klaus fühlt sich, als ob er gerädert worden<br />

wäre. Immer noch liegt Brand­ und Schwefelgeruch in der<br />

Luft. Das höllisch schmerzende Brandzeichen auf seiner Linken<br />

sagt ihm, dass das Erlebte wohl mehr als nur ein Spuk war.<br />

Mühsam rappelt er sich auf und macht sich auf das letzte<br />

Stück Nachhauseweg.<br />

Tage und Wochen dauert es, bis Klaus vom Erlebten zu erzählen<br />

wagt. Das Brandmal an seiner Hand verbirgt er mit einem<br />

unauffälligen Verband. Er traut sich nicht, es zu zeigen. Stets<br />

ernten seine Erzählungen schadenfrohes Gelächter. Nur Trunkenbolden<br />

wie ihm können so irre Träume widerfahren, frotzeln<br />

seine Freunde.<br />

<strong>Dezember</strong> 20<strong>12</strong> / <strong>Januar</strong> 2013 mänziger zytig Nr. <strong>81</strong><br />

39<br />

Als man ihn in einer Runde von Freunden wieder einmal auslacht,<br />

nimmt ihn ein greiser Mann zur Seite, der ihm irgendwie<br />

bekannt vorkommt. Dieser lässt sich den Albtraum in allen<br />

Einzelheiten schildern. Schliesslich will er auch das Feuerzeichen<br />

sehen. Dann blickt er dem jungen Mann ernst in die<br />

Augen und hebt an zu erzählen:<br />

«Von meinen Urahnen ist überliefert, dass sich <strong>–</strong> selten genug<br />

<strong>–</strong> in gewissen Nächten Unheimliches begibt, besonders wenn<br />

bei ausserordentlichem Spätherbst­ oder Winterwetter das<br />

Nordlicht bis in unsere Breitengrade vordringt. Man sagt, dass<br />

dies nichts Gutes verheisse, ja sogar auf bevorstehende Katastrophen<br />

wie zum Beispiel Krieg hindeute.<br />

Es ereigne sich bei Vollmond und wolkenlosem Himmel. Auf<br />

unerklärliche Weise würden sich aus dem Nichts plötzlich unbändige<br />

Stürme entfachen und in Tal und Tobel wüten. Der<br />

Wind fege Bäume und Tannen kahl und peitsche so heftig auf<br />

sie ein, dass manche unter der Gewalt knickten. Gleichzeitig<br />

zögen lichterloh brennende Züge von Untoten mit so fürchterlichem<br />

Getöse und Gestank durch die Lüfte, dass längst<br />

Verblichene aus der Grabesruhe erwachten und sich den Reitern,<br />

Hexen und Vampiren anschlössen.»<br />

Was also er, Klaus, im Lorzentobel erlebt habe, sei nicht ungewöhnlich,<br />

ereigne sich aber alle ein bis zwei Jahrhunderte<br />

höchstens einmal. Das eigenartige Brandzeichen trügen übrigens<br />

alle davon, die Zeugen eines solchen Ereignisses geworden<br />

waren. Ihr Leben nehme darauf eine unerwartete Wende<br />

und mache sie oft zu ruhelosen Einzelgängern.<br />

Edi Häfliger

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