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MZ-81-12 – Dezember/Januar - Mänziger Zytig

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KULTUR<br />

Die Nacht der Untoten<br />

Eigentlich gibt es keinen Grund zum Feiern, wenn man seine<br />

langjährige Angebetete an den besten Freund verloren hat.<br />

Aber dem Polterabend im Ägerital mochte Klaus trotzdem<br />

nicht ausweichen. Dort will er seine Enttäuschung in reichlich<br />

Bier ertränken, etwas, das man vom eher Verschlossenen eigentlich<br />

nicht kennt. Je mehr er bechert <strong>–</strong> und das tut er im<br />

Übermass <strong>–</strong>, umso mehr lässt er sich ins Gelächter und in die<br />

Albernheiten seiner Freunde hineinreissen. Als sein Magen<br />

mit einem Mal zu revoltieren beginnt, flüchtet er aus der<br />

Runde, stürzt hinaus an die frische Luft und übergibt sich.<br />

Sogleich stellt sich das Elend über seine Verlorene ein. Er verzichtet<br />

auf die Rückkehr zum Gelage, entscheidet sich für einen<br />

französischen Abgang und macht sich zu Fuss auf den<br />

langen, einsamen Nachhauseweg durch das Lorzentobel in<br />

Richtung Baar. Denn in seinem Vollrausch kann er sich kaum<br />

auf den Beinen halten, geschweige denn sein Auto fahren.<br />

Und für ein öffentliches Verkehrsmittel ist es schon zu spät.<br />

Unterwegs torkelt er an einer schemenhaften Gestalt vorbei,<br />

einem weisshaarigen Greis, dessen Blick ihn noch lange im<br />

Rücken sticht. Auch wenn ihm der Vollmond am sternenklaren<br />

Himmel den Weg beleuchtet, so stolpert er dennoch ein<br />

übers andere Mal, fällt hin und kommt nur mit Mühe wieder<br />

auf die Beine. Die entlaubten Bäume übersieht er, die sich ihm<br />

von links und rechts zuneigen, als ob sie ihn stützen wollten.<br />

Nicht einmal das ungewöhnliche Rauschen der Lorze hört er.<br />

Nur ein seltsames Aufblitzen von grünem Licht am Nachthimmel<br />

nimmt er ab und zu wahr, schiebt aber die Erscheinung<br />

<strong>Dezember</strong> 20<strong>12</strong> / <strong>Januar</strong> 2013 mänziger zytig Nr. <strong>81</strong><br />

38<br />

seinem Alkoholpegel zu. Vor den Höllgrotten übermannt ihn<br />

schliesslich die Müdigkeit so sehr, dass er sich gerade noch an<br />

einer Sitzbank festklammern kann, auf sie zusammensinkt<br />

und augenblicklich in einen tiefen Schlaf fällt.<br />

Er träumt, dass die Erde um ihn in Bewegung gerät. Eigenartige<br />

Geräusche schwellen an und ab. Am Himmel erscheinen<br />

Lichtschwaden, die sich wie Vorhänge im Wind bewegen;<br />

ihre Farben wechseln zwischen Grün und Blau. Plötzlich entdeckt<br />

er, wie sich in unmittelbarer Nähe das Skelett einer ruhelosen<br />

Seele aus der Erde löst, dann noch eines und immer<br />

mehr. Auch der weisse Alte erscheint wieder. Um ihn herum<br />

beginnen die Gerippe einen vertrackten Tanz. Sie winden sich<br />

in einer Spirale zum Himmel und ziehen den Greis mit sich<br />

hinauf. Dort oben sind die Geräusche inzwischen zu einem<br />

grauenhaften Lärm angeschwollen. Denn aus dem Nirgendwo<br />

haben sich die bösen Seelen der sagenhaften Herren<br />

der Wildenburg samt ihrem Gesinde und dem üblen Pack von<br />

Rittern zu einem nicht enden wollenden Geisterzug zusammengerottet.<br />

Manche galoppieren auf glutroten Pferden,<br />

lange Feuerschweife hinter sich herziehend. Das Rasseln von<br />

Rüstungen und Klirren der Waffen mischt sich mit Fanfarenstössen<br />

und mit dem wüsten Geschrei von Hexen und Teufeln.<br />

Das wilde Auf und Ab des Zugs der Untoten lässt im<br />

Tobel die Bäume biegen und ächzen, einige drohen zu brechen.<br />

Die Lorze ist mittlerweile zu einem reissenden Fluss angeschwollen.<br />

Illustrationen: Théo Müller

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