MZ-81-12 – Dezember/Januar - Mänziger Zytig
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PORTRÄT<br />
wurden, griffen laut palästinensischen Angaben<br />
rund dreissig Siedler (teils mit Stöcken und Gewehren<br />
bewaffnet) das Haus und die Familie an. Sie zerstörten<br />
ein Auto und viel Mobiliar. Sie rissen die<br />
Mutter an den Kleidern und verletzten die Kinder<br />
Riad und Hussein (8 und 13 Jahre alt).<br />
Yunis* (16 Jahre) und der Vater Mahmoud wurden<br />
nach dem Vorfall verhaftet. Yunis wurde ein Terrorangriff<br />
vorgeworfen. Ein Video machte in den israelischen<br />
Medien die Runde. Auf diesem sieht man,<br />
wie Yunis einen Siedler mit einem Gartenwerkzeug<br />
verletzt. Das ist hässlich. Zum Verständnis hilft vielleicht,<br />
dass er mit ansehen musste, wie rund dreissig<br />
Siedler sein Haus, seine Mutter und seine kleinen<br />
Brüder angriffen. Normalerweise werden Palästinenser<br />
(auch die 16Jährigen) nach einem solchen<br />
«Terrorangriff» von einem israelischen Militärgericht<br />
zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. In diesem<br />
Falle entschied sich der Militärrichter wegen den vielen<br />
Fotos der Medienleute und meiner Kolleginnen<br />
für eine milde Strafe von wenigen Tagen Gefängnis<br />
und 5000 Schekel (rund Fr. <strong>12</strong>50) Busse. Die Siedler<br />
kamen ungestraft davon.<br />
Einem verlassenen Ort neues Leben einhauchen<br />
Wenige Tage später war ich dann vor Ort. Mahmoud<br />
und Yunis waren immer noch im Gefängnis.<br />
Mahmouds Bruder hatte die Idee, mit ein paar Leuten<br />
vom Dorf zum Ort zurückzukehren, der seit dem<br />
Vorfall unbewohnt war. Die Mutter hat sich entschieden,<br />
mit den Kindern im Dorf zu bleiben, weil<br />
sie sich ohne ihren Mann und den ältesten Sohn zu<br />
unsicher fühlte.<br />
Die Rückkehr war als Statement gedacht; die Palästinenser<br />
wollten den Siedlern zeigen, dass sie sich<br />
nicht geschlagen geben. «Existence is resistance»<br />
(Existieren heisst Widerstand zu leisten) lautet ein<br />
populärer Ausruf in den besetzten palästinensischen<br />
Gebieten. Wir begleiteten sie. Dort angekommen,<br />
machten wir es uns gemütlich. Wir knackten Baumnüsse,<br />
spielten mit den Kindern und lauschten<br />
Grossvaters Familiengeschichten aus den vergangenen<br />
Zeiten (die bis in die Zeit des osmanischen Reiches<br />
zurückgingen). Die Idylle war aber bald zu<br />
<strong>Dezember</strong> 20<strong>12</strong> / <strong>Januar</strong> 2013 mänziger zytig Nr. <strong>81</strong><br />
Ende; immer wieder fuhren Armeefahrzeuge und<br />
israelische Autos verdächtig langsam an uns vorbei.<br />
Der Spass weicht der Angst<br />
Es dauerte nicht lange, und Siedler, israelisches Militär,<br />
israelische Polizei und die Palästinenser fanden<br />
sich alle in einer aufgeheizten Situation wieder. Die<br />
Siedler versuchten, wieder ins Haus einzudringen.<br />
Das Militär hielt sie zwar davon ab, machte aber für<br />
die Siedler ein paar Fotos vom Innern des Gebäudes.<br />
Wir beobachteten das Geschehen. Wieder wurden<br />
viele Fotos und Videos gemacht, doch eskaliert ist<br />
die Situation an diesem Tag nicht.<br />
Oft hatte ich an diesem Tag ein Kind neben mir oder<br />
an meiner Hand. Ich konnte spüren, wie der Spass und<br />
die Lebensfreude, die wir zuvor beim Spielen noch<br />
hatten, bei uns in Angst und Angespanntheit umschlugen.<br />
Die Angst bei mir, weil ich die Situation nicht<br />
kannte, weil ich üble Geschichten gehört und gelesen<br />
hatte. Die Angst bei den Kindern, weil sie ganz genau<br />
wussten, was in solchen Situationen passieren kann.<br />
Es ist die Realität, in die sie hineingeboren sind.<br />
Dieses Leben konnte ich nach drei Monaten wieder<br />
verlassen <strong>–</strong> die Kinder bleiben dort.<br />
Christian Schelbert<br />
* Alle Personennamen aus Sicherheitsgründen geändert.<br />
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Beobachten, Fotografieren, Filmen, damit die Situation nicht eskaliert <strong>–</strong> oder damit sie<br />
dokumentiert ist.