Kurzfassung Gutachten zur Evaluierung von ... - Bund NRW
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<strong>Kurzfassung</strong><br />
<strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong><br />
<strong>Evaluierung</strong> <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />
im Rheinischen Braunkohlenrevier<br />
im Hinblick auf ihre Sozialverträglichkeit<br />
im Auftrag des Ministeriums für<br />
Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft<br />
Nordrhein-Westfalen
<strong>Kurzfassung</strong><br />
<strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong><br />
<strong>Evaluierung</strong> <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />
im Rheinischen Braunkohlenrevier<br />
im Hinblick auf ihre Sozialverträglichkeit<br />
im Auftrag des Ministeriums für<br />
Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Büro für Stadtplanung und Stadtforschung<br />
Peter Zlonicky Kunibert Wachten<br />
Prof. Peter Zlonicky<br />
Dr. Katrin Hater<br />
Dr. Rainer Stierand<br />
Dipl.-Soz. Saskia Siefert<br />
Elke Wendt-Kummer<br />
Jens Cüppers<br />
Dortmund, im Dezember 1999
Inhalt 3<br />
Inhalt Seite<br />
Vorwort........................................................................................................................................................... 5<br />
1. Sozialverträglichkeit auf dem Prüfstand ............................................................................................. 6<br />
Der Entstehungszusammenhang des Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990 .......................................... 6<br />
Veränderte Rahmenbedingungen 1999..................................................................................................... 7<br />
Ernüchterung und Ermutigung ................................................................................................................... 7<br />
2. Zur Methodik ....................................................................................................................................... 8<br />
Methodisches Vorgehen ............................................................................................................................ 8<br />
Aufbau des <strong>Gutachten</strong>s.............................................................................................................................. 9<br />
Beteiligung der Akteure.............................................................................................................................. 9<br />
3. Maßstäbe für eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im <strong>Gutachten</strong> 1990 ............................. 10<br />
Erinnerungen an die Wertprämissen........................................................................................................ 10<br />
Selbstbestimmung.................................................................................................................................... 11<br />
Solidarität ................................................................................................................................................. 11<br />
Politische Gestaltung................................................................................................................................ 12<br />
Die zehn Kriterien der Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990................................................................. 13<br />
4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren ............................... 15<br />
Programmatische Positionen <strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit im Rheinischen Braunkohlenrevier.................... 15<br />
Der Braunkohlenausschuß....................................................................................................................... 15<br />
Der Bergbautreibende.............................................................................................................................. 16<br />
Die Vereinten Initiativen ........................................................................................................................... 16<br />
Die Naturschutzverbände......................................................................................................................... 17<br />
Die Kirchen............................................................................................................................................... 17<br />
Die Umsiedlungsgemeinden .................................................................................................................... 18<br />
Fazit.......................................................................................................................................................... 19<br />
Neue Verträge und Verfahren .................................................................................................................. 19<br />
Der Inden-Vertrag................................................................................................................................. 19<br />
Die Rahmenvereinbarung Elsdorf, Erkelenz-Erklärung........................................................................ 20<br />
Die Jüchen-Erklärung ........................................................................................................................... 21<br />
Die Umsiedlerfibel................................................................................................................................. 22<br />
Das Standortfindungskonzept .............................................................................................................. 23<br />
Der Umsiedlungsbeauftragte................................................................................................................ 23<br />
Der Treuhandfonds............................................................................................................................... 23<br />
Der Fonds für Umsiedlungszwecke...................................................................................................... 24<br />
5. Sozialverträglichkeit in der Praxis – vier Fallstudien......................................................................... 25<br />
Umsiedlung Garzweiler/Priesterath ...................................................................................................... 26<br />
Umsiedlung Inden/Altdorf ..................................................................................................................... 26<br />
Umsiedlung Etzweiler/Gesolei.............................................................................................................. 26<br />
Planung der Umsiedlungen Otzenrath/Spenrath und Holz .................................................................. 27<br />
6. Konkretisierung der Kriterien ............................................................................................................ 28<br />
1. Demokratische Legitimation................................................................................................... 28<br />
2. Reversibilität und Planungssicherheit .................................................................................... 29<br />
3. Prävention .............................................................................................................................. 30<br />
4. Erwerb <strong>von</strong> Kompetenz.......................................................................................................... 30<br />
5. Materielle Sicherung .............................................................................................................. 31<br />
6. Partizipation ........................................................................................................................... 34<br />
7. Differenzierte Zeitplanung ......................................................................................................35<br />
8. Differenzierte Angebotsplanung............................................................................................. 36<br />
9. Zukunftschancen.................................................................................................................... 37<br />
10. Regionale Entwicklungsperspektiven .................................................................................... 38<br />
11. Gemeinsame Umsiedlung...................................................................................................... 39<br />
12. Qualitätssicherung ................................................................................................................. 43<br />
7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven ..................................................................................... 45<br />
Stärken und Schwächen .......................................................................................................................... 45<br />
Stärken ................................................................................................................................................. 45<br />
Schwächen ........................................................................................................................................... 46
4 Vorwort<br />
Allgemeine Empfehlungen ....................................................................................................................... 47<br />
1. Demokratische Legitimation................................................................................................... 47<br />
2. Reversibilität und Planungssicherheit .................................................................................... 47<br />
3. Prävention .............................................................................................................................. 48<br />
4. Erwerb <strong>von</strong> Kompetenz.......................................................................................................... 48<br />
5. Materielle Sicherung .............................................................................................................. 49<br />
6. Partizipation ........................................................................................................................... 49<br />
7. Differenzierte Zeitplanung ......................................................................................................50<br />
8. Differenzierte Angebotsplanung............................................................................................. 50<br />
9. Zukunftschancen.................................................................................................................... 50<br />
10. Regionale Entwicklungsalternativen ...................................................................................... 51<br />
11. Gemeinsame Umsiedlung...................................................................................................... 51<br />
12. Qualitätssicherung ................................................................................................................. 52<br />
Spezielle Handlungsempfehlungen für Otzenrath, Spenrath und Holz ................................................... 52<br />
Veränderung der Sozialverträglichkeit in der zeitlichen Entwicklung....................................................... 53<br />
Szenario 1............................................................................................................................................. 53<br />
Szenario 2............................................................................................................................................. 54<br />
Szenario 3............................................................................................................................................. 55<br />
Literatur........................................................................................................................................................ 56<br />
Quellen ................................................................................................................................................. 58
Inhalt 5<br />
Vorwort<br />
Ziel des <strong>Gutachten</strong>s ist die <strong>Evaluierung</strong> und Konkretisierung der Kriterien, die <strong>von</strong> unserem Büro in einem<br />
<strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im Rheinischen Braunkohlenrevier (1990) formuliert<br />
wurden, sowie die Überprüfung der aktuellen Umsiedlungsplanungen in Otzenrath/Spenrath und<br />
Holz.<br />
Die vorliegende <strong>Kurzfassung</strong> übernimmt weitgehend die Aufgabenstellung, die Erläuterung des methodischen<br />
Vorgehens, die Ableitung aus den Wertprämissen des Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990 und<br />
die Erfahrungen der letzten zehn Jahre (Kapitel 1 - 4) aus der Langfassung des <strong>Gutachten</strong>s. Die Ergebnisse<br />
der Fallstudien, der umfangreichste Teil des <strong>Gutachten</strong>s (Kapitel 5) und die Konkretisierung der Kriterien<br />
(Kapitel 6), werden hier nur zusammenfassend wiedergegeben. Die abschließenden Erkenntnisse<br />
und Empfehlungen folgen weitgehend der Langfassung (Kapitel 7).<br />
Das <strong>Gutachten</strong> ist in einem intensiven Gedankenaustausch mit den beteiligten Akteuren entstanden. Für<br />
die Bereitschaft, uns ihre Erfahrungen mitzuteilen, danken wir den Vertreterinnen und Vertretern der beteiligten<br />
Gemeinden, der Geschäftsstelle des Braunkohlenausschusses und der Umsiedlungsabteilung <strong>von</strong><br />
Rheinbraun wie auch den Kirchen und Verbänden. Unser Dank gilt ganz besonders den Umsiedlerinnen<br />
und Umsiedlern, die uns - am alten oder am neuen Umsiedlungsort oder in ihrer neuen Heimat - ihre persönlichen<br />
Eindrücke in langen Gesprächen vermittelt haben.<br />
Auftraggeber für dieses <strong>Gutachten</strong> ist das Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des<br />
Landes Nordrhein-Westfalen. Wir danken den zuständigen Mitarbeitern für ihre begleitende Betreuung<br />
und Unterstützung unserer Arbeit.<br />
Peter Zlonicky<br />
Büro für Stadtplanung und Stadtforschung<br />
Dortmund, im Dezember 1999
6 1. Sozialverträglichkeit auf dem Prüfstand<br />
1. Sozialverträglichkeit auf<br />
dem Prüfstand<br />
Das Ministerium für Umwelt, Raumordnung und<br />
Landwirtschaft (MURL) hat das Büro für Stadtplanung<br />
und Stadtforschung beauftragt, ein <strong>Gutachten</strong><br />
<strong>zur</strong> <strong>Evaluierung</strong> <strong>von</strong> Umsiedlungen im Rheinischen<br />
Braunkohlenrevier im Hinblick auf ihre Sozialverträglichkeit<br />
zu erstellen. Damit wird zum einen eine<br />
Empfehlung des <strong>Gutachten</strong>s <strong>zur</strong> Beurteilung der<br />
Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im Rheinischen<br />
Braunkohlenrevier aus dem Jahr 1990 (im<br />
folgenden: Sozialverträglichkeitsgutachten 1990)<br />
aufgenommen, das eine regelmäßige Überprüfung<br />
des Erfolgs <strong>von</strong> Sozialverträglichkeitsmaßnahmen<br />
vorgeschlagen hat. Zum anderen hat die Landesplanungsbehörde<br />
mit der Genehmigung des<br />
Braunkohlenplanes Garzweiler II ihre Absicht bekräftigt,<br />
weitergehende Überlegungen <strong>zur</strong> konkreten<br />
Umsetzung des Braunkohlenplanes und <strong>zur</strong><br />
Weiterentwicklung des Umsiedlungsgeschehens im<br />
Hinblick auf die Sozialverträglichkeit anzustellen.<br />
Das <strong>Gutachten</strong> soll einen Beitrag <strong>zur</strong> Erfüllung dieser<br />
Ansprüche leisten.<br />
<strong>Evaluierung</strong> umfaßt die systematische, datengestützte<br />
Beschreibung und Bewertung <strong>von</strong> Programmen,<br />
Projekten, Materialien für Zwecke der<br />
Entscheidungsfindung oder der kontinuierlichen<br />
Verbesserung (Beywl 1998). Im Rahmen einer<br />
<strong>Evaluierung</strong> wird überprüft, wieweit einmal gesetzte<br />
Ziele, in diesem Fall also die sozialverträgliche Gestaltung<br />
<strong>von</strong> Umsiedlungen, erreicht werden konnten,<br />
wie Abweichungen vom Ziel erklärt werden<br />
können und ob Korrekturen an den Zielen, den Mitteln<br />
oder den Wegen erforderlich sein können.<br />
Die vorliegende <strong>Evaluierung</strong>sstudie untersucht<br />
zehn Jahre Planungs- und Umsiedlungspraxis vor<br />
dem Hintergrund der im Sozialverträglichkeitsgutachten<br />
1990 erarbeiteten Kriterien.<br />
Auf der Grundlage der Erfahrungen mit den Umsiedlungen<br />
aus Garzweiler, Inden/Altdorf und<br />
Etzweiler/Gesolei und neuerer Literatur zum Thema<br />
Sozialverträglichkeit werden die Kriterien des<br />
Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990 aktualisiert<br />
und konkretisiert. Die Überprüfung der aktuellen<br />
Umsiedlungsplanungen für die Ortschaften Otzenrath,<br />
Spenrath und Holz führt zu einer erneuten<br />
Auseinandersetzung mit den Grundlagen einer sozialverträglichen<br />
Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen.<br />
Der Entstehungszusammenhang des<br />
Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990<br />
Das <strong>Gutachten</strong> war einer <strong>von</strong> mehreren Schritten<br />
auf dem Weg, den Begriff Sozialverträglichkeit und<br />
ein entsprechendes Prüfverfahren in die Braunkohlenplanung<br />
zu integrieren. Hintergrund war die europaweite<br />
Debatte über die Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung<br />
(UVP) bei der Genehmigung<br />
<strong>von</strong> Großvorhaben, die starke Auswirkungen<br />
auf die natürliche Umwelt haben würden. Es<br />
lag auf der Hand, für Tagebauvorhaben, die mit so<br />
tiefen Eingriffen in soziale Lebensverhältnisse verbunden<br />
sind, in ähnlicher Weise eine Sozialverträglichkeitsprüfung<br />
vorzusehen. Die wachsende<br />
Komplexität <strong>von</strong> Umsiedlungen im Rheinischen<br />
Braunkohlenrevier verlangte nach neuen Lösungen.<br />
Die Gemeinde Inden, die drei Orte zeitversetzt<br />
an einen gemeinsamen Standort umsiedeln sollte,<br />
brauchte neue Konzepte und praktische Unterstützung.<br />
Im Bereich Garzweiler II dagegen wurde die<br />
grundsätzliche Frage aufgeworfen, ob der Tagebau<br />
überhaupt notwendig sei und unter welchen Voraussetzungen<br />
er akzeptabel sein könnte. Die politische<br />
Akzeptanz des Abbauvorhabens war bei den<br />
betroffenen Bürgerinnen und Bürgern und den<br />
Gemeinden nicht ohne weiteres vorauszusetzen.<br />
Das Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 antwortete<br />
auf diese Herausforderung mit einer breit angelegten<br />
Untersuchung des gesamten Umsiedlungsgeschehens.<br />
In drei Fallstudien wurden die praktischen<br />
Erfahrungen der Gemeinden und der betroffenen<br />
Umsiedlerinnen und Umsiedler dokumentiert.<br />
In sieben thematisch geordneten Fachbeiträgen<br />
wurden diese Informationen systematisch ausgewertet<br />
und im Rahmen übergreifender sozial- und<br />
planungswissenschaftlicher Wissensbestände interpretiert.<br />
Damit stand erstmals eine Gesamtdarstellung<br />
des Umsiedlungsgeschehens <strong>zur</strong><br />
Verfügung, auf die sich im folgenden alle Akteure<br />
beziehen konnten, wenngleich nicht alle Akteure<br />
den Erkenntnissen der Gutachter in allen Punkten<br />
folgen mochten. Die Empfehlungen der Gutachter<br />
bauten auf dieser Analyse des Umsiedlungsgeschehens<br />
auf und versuchten, Antworten auf die<br />
aktuell in Erscheinung tretenden Probleme zu formulieren.<br />
In Anbetracht der offenen Entscheidungssituation<br />
zu Garzweiler II wurde deutlich, daß<br />
die Frage der Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />
kaum zu trennen war <strong>von</strong> der Frage der<br />
grundsätzlichen Akzeptanz eines Braunkohlenvorhabens<br />
und des politischen Entscheidungsverfahrens.<br />
Die Gutachter griffen auch diese Verunsicherungen<br />
auf und gaben unter dem Stichwort Demokratische<br />
Legitimation Empfehlungen zu Verfahrensinnovationen.<br />
Insbesondere schlugen sie vor,
1. Sozialverträglichkeit auf dem Prüfstand 7<br />
den Landtag stärker in die Entscheidung über einzelne<br />
Tagebauvorhaben einzubeziehen<br />
Veränderte Rahmenbedingungen 1999<br />
Das vorliegende <strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong> <strong>Evaluierung</strong> <strong>von</strong><br />
Umsiedlungen findet neue Rahmenbedingungen<br />
vor. Die rechtliche Verankerung der Sozialverträglichkeitsprüfung<br />
ist mit der Änderung des Landesplanungsgesetzes<br />
im März 1993 abgeschlossen<br />
worden. Die Umsetzung dieses Verfahrens<br />
in die Praxis der Braunkohlenplanung und<br />
die Realisierung <strong>von</strong> Zielen der Sozialverträglichkeit<br />
kann an zwei Beispielen, den Umsiedlungen<br />
aus Etzweiler/Gesolei und den Umsiedlungsplanungen<br />
für die Ortschaften Otzenrath, Spenrath<br />
und Holz, untersucht werden. Die Umsiedlungen<br />
aus den Ortschaften Inden und Altdorf sind zwar<br />
noch ohne formale Sozialverträglichkeitsprüfung<br />
geplant und durchgeführt worden, waren aber doch<br />
begleitet und beeinflußt <strong>von</strong> der Auseinandersetzung<br />
um Standards und Verfahren der Sozialverträglichkeit.<br />
Die <strong>Evaluierung</strong>sstudie findet nicht nur sachlich,<br />
sondern auch politisch in einer veränderten Situation<br />
statt. Garzweiler II, das umstrittenste Vorhaben<br />
in der Geschichte des Rheinischen Reviers, hat in<br />
diesem Zeitraum die wichtigsten Planungs- und<br />
Genehmigungsverfahren durchlaufen. Dabei ist der<br />
Umfang deutlich verkleinert worden. Die Genehmigungen<br />
sind darüber hinaus mit erheblichem Auflagen<br />
versehen worden. Eine endgültige Sicherheit<br />
über den tasächlichen Abbau besteht damit weiterhin<br />
nicht, auch wenn der Tagebau anders als im<br />
Jahre 1990 nicht mehr <strong>zur</strong> politischen Disposition<br />
steht. Darüber hinaus steht kein weiteres Abbauvorhaben<br />
<strong>zur</strong> Diskussion.<br />
Die Frage, wieweit es tatsächlich gelingt, Umsiedlungen<br />
sozialverträglich durchzuführen, ist weiterhin<br />
<strong>von</strong> grundlegender Bedeutung. So soll die Genehmigung<br />
der in den folgenden Jahrzehnten<br />
Schritt um Schritt zu erarbeitenden Teilpläne für<br />
künftige Umsiedlungen nach dem Braunkohlenplan<br />
Garzweiler II jeweils <strong>von</strong> einer Überprüfung der<br />
Grundannahmen der energiepolitischen Notwendigkeit<br />
und der Beherrschbarkeit der ökologischen<br />
und sozialen Folgen abhängig gemacht werden.<br />
Die Grundannahme der Sozialverträglichkeit <strong>von</strong><br />
Umsiedlungen muß sich dann auch in der Praxis<br />
bestätigt haben (vgl. Genehmigungserlaß Garzweiler<br />
II).<br />
Etwa seit dem Jahresende 1997 wird außerhalb<br />
der politischen Entscheidungsgremien und der<br />
förmlichen Genehmigungsverfahren über die öko-<br />
nomische Rentabilität <strong>von</strong> Braunkohleverstromung<br />
diskutiert. Dabei stellen unterschiedliche Akteure<br />
Veränderungen <strong>von</strong> Rahmenbedingungen in<br />
Rechnung und kommen zu entsprechend unterschiedlichen<br />
Ergebnissen. Auch der Betreiber der<br />
Braunkohleverstromung selbst, das RWE, bindet<br />
die Realisierung der genehmigten Abbaupläne an<br />
eng definierte politische Rahmenbedingungen.<br />
Über die Presse verbreitete Gerüchte, Spekulationen<br />
und Drohungen verunsichern die Betroffenen<br />
erheblich und belasten das Bemühen um eine sozialverträgliche<br />
Umsiedlungsgestaltung vor Ort. Im<br />
Laufe der gutachterlichen Untersuchungen ist die<br />
Sensibilität für die Rahmenbedingungen der Sozialverträglichkeit<br />
gewachsen.<br />
Ernüchterung und Ermutigung<br />
In mancher Hinsicht ist eine Ernüchterung in den<br />
Erwartungen an die vor zehn Jahren formulierten<br />
Kriterien der Sozialverträglichkeit zu erkennen.<br />
Manche Bürgerinnen und Bürger sind enttäuscht,<br />
daß der Begriff der Sozialverträglichkeit keinen<br />
unumstrittenen, objektiven Maßstab für Gerechtigkeit<br />
und Fairneß bietet, daß auch die Sozialverträglichkeitsprüfung<br />
kein Verfahren darstellt, mit<br />
dem umstandslos alle Anliegen und Wünsche der<br />
Betroffenen durchgesetzt werden könnten. Beschwerden<br />
über empfundene Verletzungen <strong>von</strong><br />
Sozialverträglichkeit bleiben scheinbar folgenlos,<br />
und es ist weitgehend unklar, an welche Instanz<br />
solche Beschwerden legitimerweise zu richten wären.<br />
Auf der anderen Seite steht Ermutigung, steht die<br />
Erfahrung vor allem der betroffenen Kommunen,<br />
daß die öffentliche Debatte und der rechtliche<br />
Zwang zum Nachweis der Sozialverträglichkeit sie<br />
in ihrem Bemühen unterstützen, das Beste für die<br />
ihnen anvertrauten Bürgerinnen und Bürger herauszuholen.<br />
Die Vereinbarungen zum Braunkohlenplan<br />
Inden II und die Jüchen-Erklärung sind<br />
starke Belege für deutliche Verbesserungen in der<br />
Praxis. Dies gilt insbesondere für jene Betroffenen,<br />
die nicht über die Verhandlungsmacht <strong>von</strong> Immobilienbesitzern<br />
verfügen.
8 2. Zur Methodik<br />
2. Zur Methodik<br />
Das Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 hatte<br />
empfohlen, künftige Umsiedlungen kontinuierlich<br />
zu evaluieren und dazu einige Verfahrensschritte<br />
formuliert. Diesen Empfehlungen wurde leider nicht<br />
entsprochen. Damit ist auch die Datengrundlage<br />
für das vorliegende <strong>Gutachten</strong> problematisch. Weder<br />
bei den Gemeinden noch beim Braunkohlenausschuß,<br />
weder beim Ministerium für Umwelt,<br />
Raumordnung und Landwirtschaft noch beim<br />
Bergbautreibenden wurden zu den interessierenden<br />
Fragen systematisch Daten gesammelt und<br />
Erfahrungen ausgewertet. Damit liegen keine verläßlichen<br />
Angaben über die Sozial- und Altersstruktur<br />
in den neuen Orten und entsprechend über die<br />
Sozial- und Altersstruktur der Abwanderer vor.<br />
Noch viel weniger weiß man Genaues über die<br />
Zielorte, die neue Wohn- und ggfs. Arbeitssituationen<br />
und die Abwanderungsmotive derer, die nicht<br />
an der gemeinsamen Umsiedlung teilgenommen<br />
haben. Es liegen keine vollständigen Daten vor,<br />
nach welchen Finanzierungsmodellen und durch<br />
welche Träger wieviel Mietwohnungen an den neuen<br />
Standorten errichtet wurden, Wohnungsgrößen<br />
und Mietpreise wurden nicht systematisch dokumentiert.<br />
Der Mangel an exakten Zahlen wird im <strong>Gutachten</strong><br />
teilweise kompensiert, indem die Beobachtungen<br />
<strong>von</strong> Schlüsselpersonen gesammelt werden und<br />
generalisierte Aussagen in den Erfahrungsberichten<br />
der Beteiligten, etwa in den offiziellen Broschüren<br />
zum Abschluß <strong>von</strong> Umsiedlungen, hinzugezogen<br />
werden. Unsere insistierenden Nachfragen bei<br />
allen Verantwortlichen haben schließlich zahlreiche<br />
Einzelfakten zutage gefördert, die wir dann zu einem<br />
Gesamtbild zusammengefügt haben. Auf dieser<br />
Grundlage konnten schließlich doch plausible<br />
Schlußfolgerungen über den Erfolg einzelner Programme,<br />
etwa des Mieterhandlungskonzepts, gezogen<br />
werden. Es reicht jedoch nicht aus, um bewertungsfähige<br />
Aussagen <strong>zur</strong> Sozial- und Altersstruktur<br />
unter den Abwanderern und in den neuen<br />
Orten zu treffen. In solchen Zahlen könnten möglicherweise<br />
noch Aspekte der sozialen Dynamik <strong>von</strong><br />
Umsiedlungen sichtbar werden, die auch <strong>von</strong><br />
Schlüsselpersonen nicht wahrgenommen werden.<br />
Wir gehen jedoch da<strong>von</strong> aus, daß sich dadurch die<br />
Beurteilung der Sozialverträglichkeit nicht grundsätzlich<br />
ändern würde.<br />
Methodisches Vorgehen<br />
Diese Versäumnisse sind durch das vorliegende<br />
<strong>Gutachten</strong> nicht auszugleichen. Dies würde zum<br />
einen erfordern, eine quantitative Vollerhebung bei<br />
allen Umsiedlerhaushalten durchzuführen. Ein solcher<br />
sehr zeit- und kostenaufwendiger Arbeitsschritt<br />
ist im Auftrag nicht vorgesehen. Seine<br />
Durchführung wäre ohnehin fast unmöglich, weil<br />
der Verbleib der Abwanderer in vielen Fällen nicht<br />
bekannt ist. Zum anderen ist die zeitnahe Beobachtung<br />
<strong>von</strong> Geschehnissen nur begrenzt durch rückblikkende<br />
Befragungen und Aktenanalyse zu ersetzen.<br />
Grundlagen des vorliegenden <strong>Gutachten</strong>s sind Daten,<br />
die bei den Gemeinden, beim Bergbautreibenden<br />
und beim Landesamt für Datenverarbeitung<br />
und Statistik verfügbar sind, Protokolle, Informationsmaterialien<br />
und Veröffentlichungen, Karten und<br />
Pläne.<br />
Für die Befragung wurde eine qualitative Untersuchungsmethode<br />
gewählt. Es wurde keine Stichprobe<br />
gezogen, das Kriterium der Repräsentativität<br />
der Auswahl der Befragten kann deshalb hier keine<br />
Anwendung finden. Dennoch wurde eine gezielte<br />
Auswahl der Interviewpartner vorgenommen. Wie<br />
beim ersten <strong>Gutachten</strong> waren folgende Kriterien<br />
ausschlaggebend:<br />
�� Aus den vorab angenommenen Gruppen unterschiedlicher<br />
Betroffenheit (z.B. Altersgruppen,<br />
Eigentümer und Mieter, Landwirte und<br />
Gewerbetreibende) sollte an jedem Ort mindestens<br />
eine Person vertreten sein,<br />
�� die an der Vorbereitung und Durchführung der<br />
Umsiedlung beteiligten lokalen Akteure sollten<br />
ausreichend repräsentiert sein,<br />
�� das dörfliche Vereins- und Pfarrgemeindeleben<br />
sollte <strong>von</strong> mehreren Mitgliedern dargestellt<br />
werden,<br />
�� zu einzelnen Themen sollten auch überlokal<br />
handelnde Experten befragt werden.<br />
Nach diesen Kriterien wurden Personen ausgesucht,<br />
die zum überwiegenden Teil Schlüsselpersonen<br />
in dem Sinne waren, daß sie durch den Umgang<br />
mit einer größeren Anzahl <strong>von</strong> Betroffenen<br />
eine intime Kenntnis typischer Problemwahrnehmungen<br />
und Lösungsmuster erworben hatten, teilweise<br />
zugleich selbst Umsiedler waren. Viele Befragte<br />
vermittelten Kontakte zu weiteren Interviewpartnern.<br />
Darüber hinaus wurden in den Umsiedlungsorten<br />
eine Anzahl zufällig ausgewählter Passanten<br />
befragt.<br />
Für uns dienten die Interviews dazu, ein möglichst<br />
umfassendes Wissen über Umsiedlungen und Sozialverträglichkeit<br />
in der Praxis zu erlangen. Des-
2. Zur Methodik 9<br />
halb versuchen wir die qualitativen Differenzierungen,<br />
die uns die Interviews liefern, in unserer Analyse<br />
wiederzugeben. Wahrnehmungsurteile der Betroffenen<br />
behandeln wir in diesem Sinne als Fakten.<br />
Wir fügen wörtliche Zitate ein, wenn sie einen<br />
Sachverhalt besonders deutlich beleuchten. Zum<br />
Schutz der Gesprächspartner haben wir die Interviews<br />
anonymisiert.<br />
Die Aussagen aus den einzelnen Interviews wurden<br />
mit den Daten verglichen, die sich aus den<br />
Dokumenten und Statistiken ergeben. Damit konnte<br />
eine hohe Zuverlässigkeit und Gültigkeit der Interviewergebnisse<br />
erzielt werden. Dennoch wäre<br />
eine Langzeitstudie als Ergänzung und zusätzliche<br />
quantitative Fundierung wünschenswert. Das vorgeschlagene<br />
Soziale Monitoring würde diese Aufgabe<br />
erfüllen.<br />
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die<br />
Interviews, die in den einzelnen Orten geführt wurden,<br />
sowie die Anzahl der Befragten und die Bereiche,<br />
in denen sie tätig sind. Viele der Befragten erleben<br />
und reflektieren das Umsiedlungsgeschehen<br />
aus unterschiedlichen Betroffenheiten: als Mensch,<br />
der umsiedeln muß, als beruflich Tätiger und als<br />
Persönlichkeit, die in der Dorfgemeinschaft oder in<br />
sonstigen Gremien eine Funktion einnimmt. Diesem<br />
Gesichtspunkt wird in der Tabelle unter dem<br />
Stichwort Positionen Rechnung getragen.<br />
Garzweiler/<br />
Priesterath<br />
Aufbau des <strong>Gutachten</strong>s<br />
Nach der Erörterung der Aufgabe dieses <strong>Gutachten</strong>s<br />
(Kapitel 1) und des methodischen Vorgehens<br />
(Kapitel 2) folgt eine Erinnerung an Wertmaßstäbe<br />
für eine sozialverträgliche Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen,<br />
die für das Sozialverträglichkeitsgutachten<br />
1990 erarbeitet wurden (Kapitel 3). Der folgende<br />
Abschnitt bilanziert Erfahrungen der letzten zehn<br />
Jahre (Kapitel 4). Die Fallstudien ermöglichen einen<br />
Einblick in das Umsiedlungsgeschehen vor Ort<br />
(Kapitel 5). Auf dieser Grundlage werden die Kriterien<br />
für eine sozialverträgliche Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />
konkretisiert und erweitert (Kapitel 6).<br />
Zusammenfassend werden weitergehende Empfehlungen<br />
formuliert. Eine Veränderung der Bewertung<br />
einer Sozialverträglichkeit in der zeitlichen<br />
Entwicklung <strong>von</strong> Umsiedlungen folgt im letzten Abschnitt<br />
(Kapitel 7).<br />
Beteiligung der Akteure<br />
Wichtiges Element des methodischen Vorgehens<br />
ist die Rückkopplung der Untersuchungsergebnisse<br />
mit allen an den Umsiedlungen beteiligten Akteuren<br />
<strong>zur</strong> Validierung unserer Aussagen. Auf der<br />
Grundlage eines Zwischenberichtes konnten zu<br />
den gutachterlichen Aussagen Anregungen und<br />
Bedenken formuliert und in einer gemeinsamen Informationsveranstaltung<br />
im Ministerium für Umwelt,<br />
Raumordnung und Landwirtschaft erörtert werden.<br />
Der vorliegende Abschlußbericht berücksichtigt die<br />
Ergebnisse dieses Gesprächs.<br />
Etzweiler/<br />
Gesolei<br />
Inden/<br />
Altdorf<br />
Otzenrath/<br />
Spenrath/Holz<br />
1. Einzelgespräche<br />
Anzahl der Gespräche 11 8 17 35<br />
Anzahl der Personen 12 12 20 44<br />
Anzahl der Positionen 18 16 22 53<br />
da<strong>von</strong>:<br />
Gemeinde, Politik, Verwaltung 3 4 4 11<br />
soz./med./pfleg. Betreuung 1 1 2<br />
Kultur/Bildung/Kirche 2 2 5 9<br />
Dienstl./Gewerbe/Landwirt. 3 1 3 8<br />
Fachberatung 1 1 2 5<br />
Vereine/Gruppen 8 8 7 18<br />
2. Gruppengespräche 1/10 Personen 1/20 Personen 1/30 Personen
10 3. Maßstäbe für eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im <strong>Gutachten</strong> 1990<br />
3. Maßstäbe für eine<br />
Sozialverträglichkeit <strong>von</strong><br />
Umsiedlungen im<br />
<strong>Gutachten</strong> 1990<br />
Erinnerungen an die Wertprämissen<br />
Das <strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong> Beurteilung der Sozialverträglichkeit<br />
<strong>von</strong> Umsiedlungen im Rheinischen Braunkohlenrevier<br />
wurde zu einem Zeitpunkt verfaßt, als<br />
die wissenschaftliche Diskussion um eine wertorientierte<br />
Begründung <strong>von</strong> Sozialverträglichkeitskonzepten<br />
weitgehend abgeschlossen war. Die Gutachter<br />
konnten seinerzeit auf drei unterschiedliche<br />
Ansätze verweisen: auf das Akzeptanz-Modell aus<br />
dem Umkreis der Kernforschungsanlage Jülich, auf<br />
das Akzeptabilitätsmodell aus dem Umkreis der<br />
Enquête-Kommission des Deutschen <strong>Bund</strong>estages<br />
<strong>zur</strong> friedlichen Nutzung der Kernenergie und auf<br />
Partizipationsmodelle, wie sie im Umfeld <strong>von</strong> Forschungen<br />
<strong>zur</strong> Einführung neuer Technologien in<br />
Verwaltungen und Betrieben entwickelt worden waren.<br />
Auch die Auseinandersetzung über die Einführung<br />
<strong>von</strong> Umweltverträglichkeitsprüfungen war zu<br />
diesem Zeitpunkt mit der Frage beschäftigt, wie<br />
materielle Standards für Umweltverträglichkeit<br />
festgelegt und begründet werden könnten.<br />
Die Frage nach allgemein begründbaren Werten<br />
und Normen entsprach dem gesellschaftlichen Bedürfnis,<br />
für politisch stark umstrittene Themen - allen<br />
voran die friedliche Nutzung der Kernenergie<br />
und die Einführung neuer Technologien - Bewertungskriterien<br />
zu gewinnen, die, mit wissenschaftlicher<br />
Autorität ausgestattet, die Verständigung und<br />
Vermittlung zwischen politischen Kontrahenten erleichtern<br />
könnten. Je verhärteter jedoch die Fronten<br />
waren, umso mehr Schützenhilfe erwartete jede<br />
Streitpartei <strong>von</strong> der Wissenschaft für ihre jeweilige<br />
Position. Umwelt- und Sozialverträglichkeit waren<br />
Begriffe, die mit durchaus konträren politischen<br />
Vorstellungen besetzt wurden. Durch wissenschaftliche<br />
Anstrengungen sollten sie zu rational eindeutig<br />
entscheidbaren Sachverhalten festgeschrieben<br />
werden.<br />
Ein solches Bedürfnis ließ sich auch im Zusammenhang<br />
mit dem umstrittenen Tagebauvorhaben<br />
Garzweiler II feststellen. Während die Gegner des<br />
Vorhabens da<strong>von</strong> ausgingen, daß die Vernichtung<br />
<strong>von</strong> Dörfern und Kulturlandschaften unter keinen<br />
Umständen als sozialverträglich bezeichnet werden<br />
könne, beanspruchte das Bergbauunternehmen mit<br />
ebensolcher Selbstverständlichkeit, daß seine über<br />
die gesetzlichen Verpflichtungen hinausgehende<br />
Entschädigungspraxis sowie sein unablässiges<br />
Bemühen um einen möglichst reibungslosen Ablauf<br />
und die Vermeidung <strong>von</strong> individuellen Härtefällen<br />
mit dem Prädikat sozialverträglich zu honorieren<br />
seien.<br />
Die Gutachter bestätigten, was kaum bestritten<br />
werden kann: Braunkohlentagebau vernichtet historisch<br />
gewachsene Kulturlandschaften und Dörfer.<br />
An vielen Stellen des <strong>Gutachten</strong>s wird daher<br />
ein grundsätzlicher Vorbehalt formuliert: Alle Beeinträchtigungen,<br />
Belastungen, materiellen und immateriellen<br />
Wertverluste, die mit Umsiedlungen<br />
zwangsläufig verbunden sind, sind nur zu rechtfertigen<br />
und können erst dann als zumutbar gelten,<br />
wenn über die energiepolitische Notwendigkeit weiterer<br />
Braunkohlenförderung ein breiter politischer<br />
Konsens auch bei den unmittelbar Betroffenen besteht<br />
(Sozialverträglichkeitsgutachten 1990, I, S.<br />
57).<br />
Mit dieser Vorbemerkung begann für die Gutachter<br />
jedoch erst die Arbeit, Sozialverträglichkeitsstandards<br />
für in diesem Sinne notwendige Umsiedlungen<br />
zu entwickeln. Sie würdigten dabei die übergesetzlichen<br />
Leistungen des Bergbautreibenden, teilten<br />
jedoch nicht dessen Definition <strong>von</strong> Sozialverträglichkeit<br />
als Vermeidung und Beruhigung gesellschaftlicher<br />
Konflikte. Vielmehr entwickelten die<br />
Gutachter eine eigenständige Wertorientierung entlang<br />
der in der wissenschaftlichen Debatte entwikkelten<br />
Kriterien einerseits und einer sorgfältigen<br />
Analyse des Umsiedlungsgeschehens andererseits.<br />
Auf der Grundlage der untersuchten Ortsumsiedlungen<br />
gingen sie der Frage nach, wo Spannungen<br />
zwischen den übergeordneten<br />
gesellschaftlichen Zielen wie Freiheit, Gleichheit,<br />
Gerechtigkeit, Solidarität und den praktischen<br />
Erfahrungen <strong>von</strong> Umsiedlerinnen und Umsiedlern<br />
entstehen.<br />
Chancen für Selbstbestimmung, Solidarität und politische<br />
Gestaltung in einem Verfahren zu eröffnen,<br />
das durch fremdgesetzte ökonomische Zwecke<br />
und fremdbestimmte betriebsorganisatorische Zeitplanungen<br />
geprägt ist, erfordert mehr als den guten<br />
Willen derer, die vor Ort die Umsiedlungen zu bewältigen<br />
haben. So betonte das <strong>Gutachten</strong> deutlich,<br />
daß auch die für Braunkohlenplanung politisch<br />
Verantwortlichen auf Landesebene gefordert seien,<br />
Gelegenheiten für eine Mitsprache der Betroffenen<br />
zu geben, bei denen ihre Interessen gleichberechtigt<br />
neben denen des Bergbauunternehmens <strong>zur</strong><br />
Geltung gebracht werden könnten. Bei ungleichen<br />
Machtverhältnissen zwischen Bergbauunternehmen<br />
und Betroffenen ist es die Aufgabe rechtsstaatlichen<br />
Handelns, die Bürger in ihren Rechten<br />
zu stärken.
3. Maßstäbe für eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im <strong>Gutachten</strong> 1990 11<br />
Die Entwicklungen in den vergangenen zehn Jahren<br />
haben die Sensibilisierung dafür verstärkt, daß<br />
der Spielraum für politisches Handeln und Gestalten<br />
auf allen Ebenen der Entscheidung immer wieder<br />
gefährdet und in vielfältige Abhängigkeiten eingebunden<br />
ist. Er muß für die Interessen der Betroffenen<br />
stets aufs neue gewonnen werden.<br />
Selbstbestimmung<br />
Ohne Frage greift der Zwang zu einer tagebaubedingten<br />
Umsiedlung in das Selbstbestimmungsrecht<br />
der Betroffenen ein. Die Betroffenen werden<br />
genötigt, ihren Wohnsitz aufzugeben, ihre Immobilie<br />
zu verkaufen, ggfs. ihren Betrieb zu verlagern<br />
oder aufzugeben. Umsiedlung ist ein mühsamer<br />
Prozeß, der für einen längeren Zeitraum körperliche,<br />
geistige und emotionale Anstrengungen erfordert<br />
und viel Zeit kostet.<br />
Die Möglichkeiten der einzelnen Umsiedler oder<br />
auch der Umsiedlergemeinschaft, auf politischem<br />
oder rechtlichem Weg die Entscheidung über ein<br />
Tagebauvorhaben zu beeinflussen, sind sehr gering.<br />
Die Bürgerbeteiligung an der Braunkohlenplanung<br />
setzt zu einem Zeitpunkt ein, an dem die<br />
grundsätzliche Entscheidung für ein Vorhaben<br />
weitgehend gefällt ist. Rechtlicher Widerspruch gegen<br />
einen genehmigten Braunkohlenplan ist dem<br />
Einzelnen nicht möglich, da dieser Plan formal keine<br />
Rechtsbindung gegenüber den Bürgern hat. Der<br />
Einfluß auf die Mitglieder des Braunkohlenausschusses<br />
scheint in Anbetracht der langen Delegationsketten,<br />
über die Mitglieder in den Braunkohlenausschuß<br />
gelangen, eher gering. In bezug auf<br />
die grundsätzliche Entscheidung über ein Tagebauvorhaben<br />
und die damit verbundenen Umsiedlungen<br />
muß daher <strong>von</strong> einer Fremdbestimmung<br />
ausgegangen werden.<br />
Umso bedeutender erschien den Gutachtern die<br />
Frage der demokratischen Legitimation einer solchen<br />
Entscheidung. Die Gutachter konstatierten<br />
hier bei aller formalen Korrektheit des Verfahrens<br />
ein unbefriedigtes Bedürfnis bei den Betroffenen.<br />
Sie schlugen daher vor, die Genehmigung eines<br />
Braunkohlenplanes zum Gegenstand einer Abstimmung<br />
im Landtag zu machen.<br />
Wo sich Fremdbestimmung nicht vermeiden läßt,<br />
ist die Frage der Kompensation besonders bedeutsam.<br />
Über die gesetzlichen Entschädigungsregelungen<br />
hinaus gibt es einen Bedarf an materieller<br />
Entschädigung, die den gemeinschaftlichen Aufgaben<br />
am alten und am neuen Ort gerecht wird.<br />
Im Ablauf der Umsiedlungen ist ein größtmöglicher<br />
Spielraum für die selbstbestimmte Gestaltung<br />
durch die Umsiedlergemeinschaft zu gewährleisten.<br />
Dies setzt voraus, daß für alle anstehenden<br />
Entscheidungen hinreichend Zeit, Gelegenheit und<br />
Information bereitgestellt würden, um das Mögliche<br />
zu erkunden, die unterschiedlichen Vorstellungen<br />
und Interessen auszuloten und zu einer gemeinschaftlichen<br />
Entscheidung zu gelangen. Die Gutachter<br />
hatten vorgeschlagen, dazu auch formal eine<br />
Umsiedlergemeinschaft zu gründen, die sich<br />
den unterschiedlichen Aufgaben und Interessen<br />
gemäß in Arbeitsgruppen aufteilt.<br />
Gemeinschaftliche Selbstbestimmung setzt bestimmte<br />
Kompetenzen voraus. Diese reichen <strong>von</strong><br />
der Fähigkeit, die eigenen Wünsche und Interessen<br />
wahrzunehmen und zu artikulieren, über die<br />
Anforderung, einen Plan zu lesen und sich das<br />
Geplante vorzustellen, bis zu der Fähigkeit und<br />
dem Mut, in einer Gruppe oder auf einer Versammlung<br />
zu sprechen, möglicherweise sogar eine Minderheitenposition<br />
zu vertreten. Die Gutachter<br />
schlugen daher eine aktivierende Beratung vor, bei<br />
der die Beratung zu den Umsiedlerinnen und Umsiedlern<br />
kommt, Probleme erkennt, bevor sie zu<br />
großen Belastungen werden, und zu einer aktiven<br />
Interessenvertretung und gemeinschaftlichen Verantwortung<br />
anregt.<br />
Solidarität<br />
Der stete Bezug aller Einzelmaßnahmen auf die<br />
gemeinschaftliche Betroffenheit und die Problembewältigung<br />
in der Gemeinschaft ist ein Kernthema<br />
des Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990. Dem<br />
liegen zwei Annahmen zugrunde.<br />
Zum einen bedeutet Tagebau die Vernichtung ganzer<br />
Ortschaften, die mehr sind als die Summe einzelner<br />
baulicher Anlagen und Haushalte. Sie bilden<br />
ein höchst vielfältiges und vielschichtiges kulturelles<br />
und soziales Gefüge, das durch die Umsiedlung<br />
existentiell erschüttert wird. Die gemeinsame Umsiedlung<br />
soll den ersatzweisen Neuanfang einer<br />
lokalen Gemeinschaft ermöglichen, die wiederum<br />
mehr sein wird als die Summe ihrer Einzelhaushalte.<br />
Dazu muß eine nennenswerte Zahl <strong>von</strong> Betroffenen<br />
bereit sein, über die individuelle Umsiedlung<br />
hinaus sich an gemeinschaftlichen Aktivitäten zu<br />
beteiligen und Kernelemente des vertrauten Gemeinschaftslebens<br />
auf den neuen Ort zu übertragen.<br />
Gemeinsam umzusiedeln ist eine weitaus vielfältigere<br />
und schwierigere Aufgabe als ein individueller<br />
Umzug.
12 3. Maßstäbe für eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im <strong>Gutachten</strong> 1990<br />
Der Wertmaßstab der Solidarität verweist zum anderen<br />
auf die Notwendigkeit, den zahlreichen Entsolidarisierungsprozessen<br />
im Laufe einer Umsiedlung<br />
durch geeignete Maßnahmen und entsprechende<br />
Aufmerksamkeit entgegenzuwirken. Der<br />
Prozeß des Umsiedelns macht soziale Ungleichheiten<br />
sichtbar und bedeutungsvoll, die zuvor im<br />
dörflichen Zusammenleben nur eine sehr untergeordnete<br />
Wichtigkeit hatten. Dies geschieht, weil die<br />
Wohn- und Lebenssituation im Ort angesichts der<br />
Umsiedlung nicht mehr die Gestalt <strong>von</strong> konkreten<br />
Personen, Bauten und Tätigkeiten hat, sondern<br />
anhand eines abstrakten Maßstabs <strong>von</strong> entschädigungsfähigen<br />
Rechten und materiellen Werten betrachtet<br />
wird. Darüber hinaus verleitet die aktuelle<br />
Krisensituation dazu, daß sich diejenigen im Dorf<br />
enger zusammenschließen, die eine gewisse Vertrautheit<br />
miteinander haben und sich zutrauen, die<br />
Aufgabe gemeinsam zu bewältigen. Diejenigen, die<br />
eher am Rande stehen, geraten leicht aus dem<br />
Blick.<br />
Politische Gestaltung<br />
Die Gutachter teilten die im Revier weit verbreitete<br />
Auffassung, der Bergbautreibende sei als Verursacher<br />
und vorrangiger Nutznießer des Braunkohleabbaus<br />
auch hauptverantwortlich für den Ausgleich<br />
aller direkten und indirekten materiellen Schäden.<br />
Sie stellten jedoch auch fest, daß für den Ausgleich<br />
des Verlusts an Selbstbestimmung der Betroffenen<br />
vorrangig politische Initiativen erforderlich seien.<br />
Diese reichen <strong>von</strong> einer offensiven Einbeziehung<br />
der Betroffenen in den Prozeß der Entscheidungsfindung<br />
über ein neues Abbauvorhaben bis hin <strong>zur</strong><br />
praktischen Umsetzung und konkreten Gestaltung<br />
<strong>von</strong> Umsiedlungen durch die kommunale Politik<br />
und Verwaltung. Nicht zuletzt ist die Frage, welche<br />
Form die Interessenvertretung der Betroffenen hat<br />
und über welche Mitspracherechte sie verfügt, eine<br />
Frage kommunalpolitischen Handelns. Auf allen<br />
Ebenen muß der eigenständige Gestaltungsspielraum<br />
der jeweils zuständigen politischen Gemeinschaft<br />
erkennbar sein.<br />
Da der Begriff Politische Gestaltung für die zu leistende<br />
<strong>Evaluierung</strong> des Umsiedlungsgeschehens<br />
<strong>von</strong> großer Bedeutung ist, der Begriff politisch jedoch<br />
im Alltag ganz unterschiedlich verstanden<br />
und bewertet wird, soll im Zusammenhang dieses<br />
<strong>Gutachten</strong>s unter Politik alles Handeln verstanden<br />
werden, bei dem Ziele und Regeln für die gemeinschaftlichen<br />
Angelegenheiten gesetzt oder verändert<br />
werden.<br />
Diese abstrakte Definition kann an einem Beispiel<br />
erläutert werden. Wenn eine Gemeinde einen Um-<br />
siedlungsstandort plant, ist sie gesetzlich dazu verpflichtet,<br />
in einem bestimmt Verfahren die Bürger<br />
an der Bauleitplanung zu beteiligen. Solange sie<br />
nicht mehr tut, handelt sie nicht politisch, sondern<br />
vollzieht nur ein bereits vorhandenes Gesetz.<br />
Wenn sie aber die Geschäftsordnung des Rates<br />
per Beschluß dergestalt ändert, daß sie einen Umsiedlungsausschuß<br />
einrichtet, in dem eine bestimmte<br />
Anzahl <strong>von</strong> Betroffenen als sachkundige<br />
Bürger mit Rederecht vertreten ist, handelt sie politisch:<br />
sie setzt neue Regeln für die Entscheidung<br />
gemeinschaftlicher Angelegenheiten.<br />
Politisch handeln heißt neue Wege <strong>zur</strong> Regelung<br />
gemeinschaftlicher Angelegenheiten verbindlich zu<br />
beschreiten, die unabhängig <strong>von</strong> persönlichen Beziehungen<br />
oder Verhandlungsgeschick Gültigkeit<br />
haben. Diese Arbeit, die gewählte Politikerinnen<br />
und Politiker in den Parlamenten tatsächlich leisten,<br />
wird jedoch <strong>von</strong> den Bürgerinnen und Bürgern<br />
manchmal nicht als Lösungsweg ihrer Probleme<br />
wahrgenommen. Der notwendige Streit zwischen<br />
den Parteien scheint Politik gelegentlich auf<br />
parteipolitische Interessenkalküle zu reduzieren,<br />
mit denen der Normalbürger möglichst wenig zu<br />
tun haben möchte.<br />
Die an den Grundwerten der Selbstbestimmung,<br />
der Solidarität und der politischen Gestaltung orientierten<br />
Handlungsvorschläge begründen Forderungen<br />
nach finanziellen Aufwendungen des Bergbautreibenden<br />
einerseits und politischen Anstrengungen<br />
auf Landes- und kommunaler Ebene andererseits,<br />
die über die Abgeltung gesetzlicher Ansprüche<br />
und die Abwicklung formal korrekter Verfahren<br />
hinausgehen. Indem unter dem Begriff Sozialverträglichkeit<br />
Forderungen und Vorstellungen gefaßt<br />
werden, die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche<br />
Regelungen übersteigen, ist eine stete<br />
Auseinandersetzung darüber im Revier notwendig.<br />
Zwischenergebnisse werden in <strong>Gutachten</strong>, Vereinbarungen,<br />
Verträgen, Erlassen und Richtlinien<br />
festgehalten und sind nun verbindlich für das weitere<br />
Umsiedlungsgeschehen.<br />
Die Wertprämissen des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />
1990 sind in dieser Interpretation Grundlage<br />
auch des neuen <strong>Gutachten</strong>s <strong>zur</strong> <strong>Evaluierung</strong><br />
<strong>von</strong> Umsiedlungen.
3. Maßstäbe für eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im <strong>Gutachten</strong> 1990 13<br />
Die zehn Kriterien der Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990<br />
Die abschließend formulierten zehn Kriterien <strong>zur</strong><br />
Beurteilung der Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />
im Rheinischen Braunkohlenrevier übersetzten<br />
die grundsätzlichen Wertorientierungen in<br />
konkrete Handlungsanweisungen für die einzelnen<br />
zeitlichen Phasen und sachlichen Aufgaben <strong>von</strong><br />
Umsiedlungen.<br />
Kriterien <strong>zur</strong> Beurteilung der Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen (1990)<br />
1. Demokratische Legitimation<br />
Der Eingriff ist nicht willkürlich oder allein im betriebswirtschaftlichen Interesse des Bergbautreibenden begründet,<br />
sondern eine zwingende energiepolitische Notwendigkeit. Auch Umfang und Zeitpunkt sind begründet, glaubwürdig,<br />
einsichtig und nachvollziehbar und gelten daher als zumutbar. Für diese Gewißheit haben eine weitaus breitere<br />
Information der Betroffenen, als sie heute praktiziert wird, und eine offene energiepolitische Entscheidungsfindung<br />
unter Beteiligung der Betroffenen gesorgt. In öffentlicher Debatte und offener Abstimmung hat der Landtag<br />
die politische Verantwortung dafür übernommen, daß der Abbruch der jeweiligen Ortschaft und die Umsiedlung<br />
ihrer Bewohner zugunsten des Braunkohlentagebaus aus energiepolitischen Gründen gerechtfertigt sei.<br />
2. Reversibilität<br />
Es ist sichergestellt, daß die naturgemäß langfristigen Braunkohlenplanungen revidiert werden, wenn sich die<br />
Grundannahmen ändern. Die Grundannahmen werden deshalb periodisch oder auf qualifizierten Antrag zum<br />
Beispiel der Umsiedler eines betroffenen Ortes in offener Diskussion überprüft. Damit ist auch noch zu Beginn<br />
der Umsiedlungen durch zeitnahen Nachweis sichergestellt, daß die Umsiedlungen tatsächlich unvermeidlich<br />
sind.<br />
3. Prävention<br />
Da bereits die Erwägung eines Braunkohlentagebaus nachhaltige Schäden in den betroffenen Gemeinschaften<br />
hervorruft, sind bereits zu diesem Zeitpunkt ausgleichende Maßnahmen ergriffen worden, die <strong>zur</strong> Abwehr der<br />
Frühwirkungen sowie <strong>zur</strong> Stärkung der Orte und der örtlichen Gemeinschaften geeignet sind, nicht zuletzt, um für<br />
die später akute Krisensituation eine möglichst stabile Ausgangssituation zu schaffen. Die Stärkung der Ortschaften<br />
behält auch dann ihren Sinn, wenn der erwogene Tagebau schließlich nicht realisiert wird.<br />
4. Erwerb <strong>von</strong> Kompetenz<br />
Für die Umsiedler besteht ein Netz <strong>von</strong> Beratungsangeboten, dessen Umfang und Organisation ihre fachkundige<br />
und umfassende Beratung in allen rechtlichen, planerischen, technischen und finanziellen Fragen gewährleistet.<br />
Das Angebot umfaßt auch die psychische und soziale Beratung des Einzelnen und der örtlichen Gemeinschaften.<br />
Neben der Einzelfallberatung auf Anfrage wird eine aktivierende und begleitende Beratung praktiziert. Ziel und<br />
Leitlinie der Beratungsarbeit ist die Befähigung aller Umsiedler, die Umsiedlungsaufgabe in individueller und gemeinschaftlicher<br />
Selbstbestimmung zu bewältigen.<br />
5. Materielle Sicherung<br />
Neben der Entschädigung der Umsiedler nach Recht und Gesetz stehen allen Umsiedlern zusätzliche Leistungen<br />
des Bergbautreibenden zu, sei es als Antwort auf ihre immateriellen Verluste, sei es als Anerkennung ihrer Umsiedlungsleistung.<br />
Art und Umfang der zusätzlichen Leistungen sind zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen<br />
und dem Bergbautreibenden vertraglich vereinbart. Für alle Umsiedlerortschaften wird als Bestandteil materieller<br />
Sicherung die "gemeinsame Umsiedlung" angeboten. Jeder Umsiedler, auch jeder Mieter in einem Umsiedlerort<br />
hat die reale Chance, an den gemeinsamen neuen Standort ziehen zu können, sofern er das wünscht. Bei der<br />
Planung und Durchführung <strong>von</strong> Umsiedlungen besitzen die Umsiedler geregelte Beteiligungsrechte an den sie<br />
betreffenden Entscheidungen. Das Angebot der gemeinsamen Umsiedlung eröffnet die Möglichkeit, die Geborgenheit<br />
im gewohnten Bekannten- und Freundeskreis bewahren oder rasch wieder aufbauen zu können.<br />
6. Partizipation<br />
Vorbereitung und Durchführung der Umsiedlungen lassen Raum für persönliche und gemeinschaftliche Verantwortung,<br />
Entscheidung und Mitbestimmung der Umsiedler. Für die Zeit der Planung und Durchführung <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />
besitzen die Umsiedler geregelte Beteiligungsrechte an den sie betreffenden Entscheidungen.
14 3. Maßstäbe für eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen im <strong>Gutachten</strong> 1990<br />
Diese Kriterien haben Maßstäbe <strong>zur</strong> Bewertung<br />
sozialer Verträglichkeit gesetzt. Sie werden <strong>von</strong><br />
nahezu allen Akteuren des Umsiedlungsgesche-<br />
hens und auch in wissenschaftlichen Diskussionen<br />
anerkannt.<br />
7. Differenzierte Zeitplanung<br />
Der Zeitraum für die Umsiedlungen aus dem alten Ort ist auf zehn Jahre begrenzt. Dies ist auch die Dauer der<br />
gemeinsamen Umsiedlung. Dieser Zeitraum ist in gemeinschaftlich abgestimmte Umzugsphasen gegliedert, die<br />
eine Integration der Umsiedlungen in die unterschiedlichen Lebensphasen und den jeweiligen Familienzyklus ermöglichen.<br />
Durch abschnittweise Erschließung des Umsiedlungsstandortes besteht die Möglichkeit, für die einzelnen<br />
Umsiedlergruppen die Belastungen eines "Lebens auf der Baustelle" auf einen relativ kurzen Zeitraum zu<br />
beschränken.<br />
8. Differenzierte Angebotsplanung<br />
Da nicht jeder Umsiedlerhaushalt willens oder in der Lage ist, die neue Wohnung am Umsiedlungsort in eigener<br />
Regie zu erstellen, wird am Umsiedlungsort ein Wohnungsangebot bereitgestellt, das mindestens Kaufeigenheime,<br />
Altenwohnungen, Mehrgenerationenhäuser und dörflich angepaßte Mietwohnungen umfaßt und in Größe<br />
und Ausstattung unmittelbar auf die differenzierten Bedürfnisse der einzelnen Umsiedler Bezug nimmt.<br />
9. Zukunftschancen<br />
Die Planungen für die baulich-räumliche Gestalt und das soziale Zusammenleben im neuen Ort eröffnen eine zukunftsweisende<br />
Handlungsorientierung in den Bereichen Wohnen, Arbeiten und Leben in einer örtlichen Gemeinschaft.<br />
Nicht die Rekonstruktion überkommener Strukturen hat die erste Priorität, sondern die Aufnahme gesellschaftlicher<br />
Bewegungen und Tendenzen, die voraussichtlich die Zukunft in Beruf und Alltag der Umsiedler<br />
bestimmen werden. Mit den Vorbereitungen dazu wird bereits im alten Dorf begonnen. Sie konkretisieren sich<br />
schon in der Planung für den Umsiedlungsort.<br />
10. Regionale Entwicklungsalternativen<br />
Die Braunkohlenplanung ist in umfassende alternative Konzepte <strong>zur</strong> Entwicklung der Region eingebettet, da die<br />
Umsiedlungen vom Braunkohlentagebau verursacht sind, der zugleich die wirtschaftspolitisch bedenkliche Monostrukturierung<br />
der Region bestimmt. Die Reversibilität der Braunkohlenpläne ist auch dadurch abgesichert, daß<br />
durch den Verzicht auf einen Tagebau keine Notlage auf dem Arbeitsmarkt entsteht.
4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren 15<br />
4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong><br />
Umsiedlungen heute:<br />
Erfahrungen aus zehn<br />
Jahren<br />
Die Ergebnisse des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />
1990 haben die Beiträge zu einer sozialverträglichen<br />
Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen verstärkt.<br />
Neben der bereits erörterten Verankerung der Sozialverträglichkeitsprüfung<br />
im Landesplanungsgesetz<br />
wird in den folgenden Abschnitten dargestellt,<br />
wie Sozialverträglichkeit im Revier programmatisch<br />
und praktisch weiterentwickelt wurde.<br />
Programmatische Positionen <strong>zur</strong><br />
Sozialverträglichkeit im Rheinischen<br />
Braunkohlenrevier<br />
Sozialverträglichkeit läßt sich nur begrenzt verwaltungsrechtlich<br />
definieren und abarbeiten. Sozialverträglichkeit<br />
bedarf des öffentlichen Diskurses über<br />
Wertorientierungen und praktische Erfahrungen.<br />
Die letztendlich verbindlichen Festlegungen im Gesetzes-<br />
und Verwaltungsverfahren müssen erkennbar<br />
auf diesen Diskurs Bezug nehmen und<br />
fortgeschrieben werden. Die zehn Kriterien des<br />
Sozialverträglichkeitsgutachtens boten vor zehn<br />
Jahren einen gemeinsamen Bezugspunkt für die<br />
weitere Debatte über Sozialverträglichkeit im Rheinischen<br />
Revier, die hier kurz zusammengefaßt<br />
werden soll. Dabei werden zunächst nur solche<br />
Positionen dargestellt, die sich grundsätzlich zum<br />
Begriff der Sozialverträglichkeit äußern.<br />
Der Braunkohlenausschuß<br />
Eine erste Stellungnahme zum <strong>Gutachten</strong> war dem<br />
Braunkohlenausschuß vorbehalten. Im Laufe des<br />
Jahres 1990 wurden die Ergebnisse des <strong>Gutachten</strong>s<br />
in allen Unterausschüssen und Arbeitskreisen<br />
des Braunkohlenausschusses und in diesem selbst<br />
auf seiner Sitzung vom 30.5.1990 diskutiert. Streitpunkte<br />
im Ausschuß waren die Anregungen des<br />
<strong>Gutachten</strong>s<br />
�� <strong>zur</strong> demokratischen Legitimation der<br />
Braunkohlenplanung,<br />
�� zum Zeitpunkt, <strong>von</strong> dem an frühestens präventive<br />
Maßnahmen in potentiell betroffenen Ortschaften<br />
sinnvoll seien,<br />
�� zum Ausmaß der Vorgaben <strong>zur</strong> städtebaulichen<br />
Gestaltung des neuen Ortes,<br />
�� zum Verhältnis <strong>von</strong> gemeinschaftlichen und individuellen<br />
Orientierungen, die <strong>von</strong> den Umsiedlerinnen<br />
und Umsiedlern erwartet werden<br />
könnten, sowie<br />
�� zu grundsätzlichen Fragen nach gesellschaftspolitischen<br />
Orientierungen, die den Hintergrund<br />
der formulierten Kriterien bildeten.<br />
Der Ausschuß war mehrheitlich der Auffassung,<br />
daß das geltende Verfahren demokratischer Entscheidungsfindung<br />
ein bewährtes und hinreichendes<br />
Procedere darstelle. Danach sind die grundlegenden<br />
energiepolitischen Entscheidungen beim<br />
Landtag angesiedelt, Entscheidungen über einzelne<br />
Tagebauvorhaben bei der Regierung und die<br />
konkrete Planung beim Braunkohlenausschuß.<br />
Präventive Maßnahmen in den einzelnen Orten<br />
seien zweifelsohne sinnvoll, könnten jedoch frühestens<br />
dann getroffen werden, wenn mit dem Erarbeitungsbeschluß<br />
des Braunkohlenausschusses<br />
die Realisierung des Vorhabens vermutet werden<br />
könne. Im praktischen Verlauf <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />
schließlich müsse den individuellen Wünschen der<br />
Umsiedler soweit wie eben möglich Vorrang eingeräumt<br />
werden. Sie dürften nicht durch zu enge Gestaltungsvorschriften<br />
eingeengt werden. Eine Weiterentwicklung<br />
<strong>von</strong> Beratungsangeboten und die<br />
Einbeziehung sozialer und psychologischer Beratungen<br />
wurde grundsätzlich befürwortet. Bei Fragen<br />
der materiellen Entschädigung sei die Situation<br />
<strong>von</strong> Mietern stärker zu berücksichtigen. Partizipation<br />
werde grundsätzlich hinreichend angeboten, sei<br />
im Detail aber immer wieder zu verbessern. Eine<br />
differenzierte Zeitplanung bei der Erschließung der<br />
Umsiedlungsorte sei Angelegenheit der Kommunen.<br />
Über differenzierte Angebotsplanungen sei<br />
man für die Umsiedlungen Inden/Altdorf bereits in<br />
Verhandlungen. Die Entwicklung <strong>von</strong> Zukunftschancen<br />
im neuen Ort könne im Zusammenhang<br />
<strong>von</strong> verbesserter Beratung und Beteiligung angestrebt<br />
werden. Regionale Entwicklungsalternativen<br />
zu entwerfen sei Aufgabe der Strukturpolitik, wobei<br />
jedoch nicht da<strong>von</strong> auszugehen sei, daß der<br />
Braunkohlentagebau eine wirtschaftliche Monostrukturierung<br />
des Reviers gezeitigt habe.<br />
In der gleichen Sitzung konkretisierte der Ausschuß<br />
die Anforderungen, die der Bergbautreibende<br />
bei der Erarbeitung des seit 1989 gesetzlich<br />
vorgeschriebenen Sozialen Anforderungsprofils zu<br />
erfüllen habe. Dazu gehörte eine umfassende Bestandsaufnahme<br />
der sozialen, wirtschaftlichen und<br />
räumlichen<br />
Verhältnisse und Verflechtungen, eine Beschreibung<br />
der möglichen wesentlichen Auswirkungen<br />
vor, während und nach den Umsiedlungen sowie<br />
Vorschläge <strong>zur</strong> Vermeidung bzw. Minderung <strong>von</strong>
16 4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren<br />
nachteiligen Auswirkungen. Aussagen <strong>zur</strong> grundsätzlichen<br />
Akzeptanz des Braunkohlentagebaus<br />
bei den Betroffenen gehörten danach nicht zu den<br />
für die Beurteilung der Sozialverträglichkeit notwendigen<br />
Informationen. In der Praxis blieb der<br />
Bergbautreibende die einzige Instanz, die Unterlagen<br />
<strong>zur</strong> Prüfung der Sozialverträglichkeit konkreter<br />
Umsiedlungsvorhaben beizubringen hatte.<br />
Jenseits der praktischen Problemlösungen in einzelnen<br />
Umsiedlungsverfahren und der persönlichen<br />
Grundsatzerklärungen einzelner Mitglieder<br />
hat der Braunkohlenausschuß seit 1990 keinen<br />
Bedarf gesehen, das damals verabschiedete<br />
Soziale Anforderungsprofil <strong>zur</strong> Handhabung der<br />
Sozialverträglichkeitsprüfung zu überprüfen und<br />
gegebenenfalls zu verändern.<br />
Der Bergbautreibende<br />
Der Bergbautreibende sah durch das<br />
Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 wesentliche<br />
Aspekte der bisherigen Umsiedlungspraxis<br />
bestätigt. Dies galt insbesondere für das Konzept<br />
der gemeinsamen Umsiedlung als Voraussetzung<br />
für Sozialverträglichkeit. Er interpretierte das<br />
<strong>Gutachten</strong> als einen weiteren Schritt in einem<br />
Lernprozeß, der sich <strong>von</strong> Umsiedlung zu<br />
Umsiedlung kontinuierlich fortsetze und jeweils<br />
Verbesserungen im Detail ermögliche. Bedarf an<br />
grundlegenden Neuerungen in der<br />
Umsiedlungspraxis, in der Sozialverträglichkeit erst<br />
zu entwickeln sei, sah der Bergbautreibende<br />
jedoch nicht. Insbesondere sah er keine Notwendigkeit<br />
einer erweiterten demokratischen Legitimation<br />
der Braunkohlenplanung. Zukunftsorientierte<br />
Planungskonzepte, die einen intensiven Diskussions-<br />
und Beratungsprozeß über die Zielvorstellungen<br />
der gemeinschaftlichen Entwicklung in den<br />
Dörfern voraussetzen würden, lehnte er mit der<br />
Begründung ab, dies entspreche nicht den Bedürfnissen<br />
der Umsiedler, sondern allein den<br />
individuellen Wertvorstellungen der Gutachter (vgl.<br />
Braunkohlenausschuß 30.5.1990 Anlage 2).<br />
In den folgenden Jahren setzte der Bergbautreibende<br />
seine Bemühungen um praktische Verbesserungen<br />
des Umsiedlungsgeschehens fort und<br />
griff dabei auch einige Vorschläge aus dem Sozialverträglichkeitsgutachten<br />
auf. Er akzeptierte eine<br />
stärkere Verantwortung gegenüber Mietern, entwickelte<br />
Angebote für Umsiedlerhaushalte, die<br />
nicht selber bauen oder nicht selber einen Architekten<br />
engagieren wollen und erarbeitete ein Konzept<br />
<strong>zur</strong> Verbesserung <strong>von</strong> Information, Beratung und<br />
Beteiligung im Umsiedlungsprozeß. Gemäß den<br />
gesetzlichen Auflagen hat der Bergbautreibende<br />
zwischenzeitlich Angaben <strong>zur</strong> Prüfung der Sozialverträglichkeit<br />
in zwei unterschiedlichen Konkreti-<br />
sierungsstufen vorgelegt. Das Unternehmen ist,<br />
wie sich in den Fallstudien zeigen wird, noch stärker<br />
als zuvor in die praktische Durchführung <strong>von</strong><br />
Umsiedlungen eingebunden. An dieser Stelle bleibt<br />
festzuhalten: das Unternehmen geht bis heute da<strong>von</strong><br />
aus, daß mit dem Angebot einer gemeinsamen<br />
Umsiedlung und den über die gesetzlichen Bestimmungen<br />
hinausgehenden Entschädigungsleistungen<br />
die Anforderungen der Sozialverträglichkeit<br />
grundsätzlich erfüllt sind.<br />
Die Vereinten Initiativen<br />
Die Vereinten Initiativen – Bürger gegen den Abbau<br />
Garzweiler II, die für viele <strong>von</strong> Garzweiler II<br />
Betroffene sprechen, lasen und interpretierten das<br />
Sozialverträglichkeitsgutachten anders. Sie betonten<br />
die Verantwortlichkeit politischer Entscheidungsträger<br />
und griffen die Empfehlung einer<br />
Landtagsentscheidung über den Aufschluß neuer<br />
Tagebaue auf. Sie wünschten eine stärkere Berücksichtigung<br />
der im <strong>Gutachten</strong> aufgelisteten Belastungsfaktoren<br />
in der Öffentlichkeitsarbeit der<br />
Landespolitik wie auch bei den politischen Entscheidungen.<br />
Sie kritisierten das <strong>Gutachten</strong>, weil<br />
es den Wertewandel in der Gesellschaft nicht hinreichend<br />
berücksichtigt habe: Immaterielle Wertorientierungen<br />
an Heimat, Tradition und gewachsenen<br />
Gemeinschaften sowie das größer gewordene<br />
Umweltbewußtsein hätten stärker gewichtet werden<br />
müssen. Anders als die Gutachter gingen sie<br />
nicht da<strong>von</strong> aus, daß Sozialverträglichkeit überhaupt<br />
erreichbar sei: Alle Vorschläge oder Empfehlungen<br />
des Gutachters, sozial nicht verträgliche<br />
Umsiedlungen dennoch sozial erträglich zu machen,<br />
sind <strong>von</strong> vornherein zum Scheitern verurteilt.<br />
Man könne <strong>von</strong> den ohnehin belasteten Menschen<br />
nicht verlangen, daß sie sich ehrenamtlich für gemeinschaftliche<br />
Aufgaben während der Umsiedlung<br />
einsetzten. Bezahlte Helfer und Berater aber<br />
würden nur die Verfilzung mit den Behörden und<br />
dem Bergbautreibenden verdichten. Sie forderten<br />
Sozialverträglichkeitsuntersuchungen zu einem<br />
Zeitpunkt, wo die grundsätzliche Frage der Aufschließung<br />
eines Tagebaus noch offen sei. Darüber<br />
hinaus forderten sie Langzeitbeobachtungen,<br />
um auch Spätfolgen <strong>von</strong> Umsiedlungen bekannt zu<br />
machen.<br />
In der Summe ihrer Aussagen lassen die Vereinten<br />
Initiativen kaum einen Zweifel an der Überzeugung,<br />
daß das Kriterium Sozialverträglichkeit beim Wort<br />
genommen das sichere Ende jedes Braunkohleabbaus<br />
bedeuten würde.
4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren 17<br />
Die Naturschutzverbände<br />
Auch die Naturschutzverbände übten in ihrer Stellungnahme<br />
zum Braunkohlenplanentwurf Garzweiler<br />
II grundsätzliche Kritik. Sie vermerkten, daß die<br />
offenen Formulierungen im Beschluß des Braunkohlenausschusses<br />
zum Sozialverträglichkeitsgutachten<br />
1990 keine klaren Kriterien <strong>zur</strong> Beurteilung<br />
der Sozialverträglichkeit böten. Außerdem sei das<br />
Verfahren, nach dem Sozialverträglichkeit geprüft<br />
werden solle, unklar.<br />
Bezogen auf den konkreten Planentwurf und die<br />
vorangegangenen Erarbeitungsschritte stellten sie<br />
fest, die bisherigen Umsiedlungsplanungen für Otzenrath,<br />
Spenrath und Holz seien gemessen an<br />
den Kriterien des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />
1990 nicht sozialverträglich abgelaufen. Sie kritisierten<br />
den Zeitpunkt der Umsiedlungsplanung. Die<br />
Betroffenen seien zu Standortentscheidungen genötigt<br />
worden, obwohl für viele noch unklar gewesen<br />
sei, ob der Tagebau überhaupt realisiert würde.<br />
Weiterhin bemängelten sie die Angaben des<br />
Bergbautreibenden <strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit. Diese<br />
enthielten keine Aussagen zu den Auswirkungen<br />
des Vorhabens vor dem Abbau. Entsprechend fehle<br />
auch jeder Vorschlag für präventive Maßnahmen<br />
in den erst später betroffenen Ortschaften der Gemeinde<br />
Erkelenz.<br />
Für die Naturschutzverbände besteht eine unauflösliche<br />
Verbindung zwischen einer zwingenden<br />
energiepolitischen Notwendigkeit eines konkreten<br />
Abbauvorhabens und der Chance einer sozialverträglichen<br />
Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen. Da die<br />
Notwendigkeit in ihren Augen nicht gegeben ist, sei<br />
auch eine Sozialverträglichkeit nicht möglich.<br />
Die Kirchen<br />
Sowohl die evangelische als auch die katholische<br />
Kirche haben sich mit vielfältigen Initiativen und<br />
Stellungnahmen des Themas der Sozialverträglichkeit<br />
<strong>von</strong> Umsiedlungen angenommen. Beide<br />
Kirchen begründen ihr Engagement aus einer<br />
christlichen Verantwortung gegenüber der Schöpfung<br />
Gottes und einer kirchlichen Verantwortung,<br />
den Betroffenen in ihren Ängsten und Sorgen beizustehen.<br />
Es würde den Rahmen dieses <strong>Gutachten</strong>s<br />
sprengen, die zahlreichen Positionspapiere<br />
verschiedener kirchlicher Gruppen und Gremien zu<br />
würdigen (vgl. dazu die Aufstellungen in: Sevenich,<br />
Gellrich 1993, 1996). Vielmehr möchten wir anhand<br />
weniger Texte und Resolutionen die grundlegenden<br />
Positionen und Wertorientierungen der Kirchen<br />
<strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit darstellen.<br />
Im Jahr 1993 erschien eine Veröffentlichung des<br />
Ökumenischen Arbeitskreises Garzweiler II (Sevenich,<br />
R.; Gellrich, B. 1993). Regionen und Kirchenkreise<br />
der evangelischen und katholischen Kirche,<br />
die <strong>von</strong> dem Vorhaben Garzweiler II berührt werden,<br />
arbeiten im Ökumenischen Arbeitskreis zusammen.<br />
Mit diesem Buch sollte den Betroffenen<br />
und der interessierten Öffentlichkeit eine Arbeitshilfe<br />
<strong>zur</strong> Beteiligung am Braunkohlenplanverfahren<br />
vermittelt werden. Drei Jahre später erschien der<br />
zweite Band zum Thema Sozialverträglichkeit, in<br />
dem zahlreiche Beiträge zu einzelnen Aspekten<br />
der Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen oder<br />
zum Braunkohleabbau <strong>von</strong> verschiedenen Autorinnen<br />
und Autoren erörtert werden (Sevenich, R.;<br />
Brendel, P.; Gellrich, B. 1996). In diesem Zusammenhang<br />
hat Dr. Karl-Heinz Kurze, Moraltheologe<br />
und Mitarbeiter des Bistums Aachen, Maßstäbe für<br />
die Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Braunkohleabbau und<br />
Umsiedlungen anhand der Prinzipien der katholischen<br />
Soziallehre entwickelt und kommt zu dem<br />
Fazit, daß der gegenwärtige Zustand nicht als sozialverträglich<br />
zu bezeichnen ist.<br />
Die evangelischen Kirchengemeinden befaßten<br />
sich auf ihrer Regionalsynode Energie im Herbst<br />
1993 mit dem Thema Sozialverträglichkeit. Unter<br />
dem grundsätzlichen Vorbehalt, daß die Zerstörung<br />
<strong>von</strong> Landschaften, Kulturen und Dörfern durch die<br />
Tagebaue unter keinen Umständen sozialverträglich<br />
sein könnten, grenzen sie ein, was sie unter<br />
dem Stichwort Sozialverträglichkeit behandeln wollen:<br />
den Begriff sozialverträglich beziehen wir auf<br />
eine besondere Entschädigungs- bzw. Hilfeleistung<br />
und Gewährung <strong>von</strong> Mitwirkungsrechten für die<br />
vom Tagebau betroffenen Menschen angesichts<br />
der ihnen <strong>von</strong> der Gesellschaft zugefügten<br />
Schmerzen und Verluste. Sie erheben eine Reihe<br />
<strong>von</strong> Forderungen an die Praxis <strong>von</strong> Braunkohlenplanung<br />
und Umsiedlung. Sie halten eine Entscheidung<br />
des Landtags über einzelne Braunkohlevorhaben<br />
für notwendig. Sie fordern eine gesetzliche<br />
Grundlage für eine rechtlich überprüfbare Definition<br />
<strong>von</strong> Sozialverträglichkeit, die über die<br />
Braunkohlenplanung hinaus auch für andere Großprojekte<br />
gelten solle. Sie beschäftigen sich auch<br />
mit Qualitätsmerkmalen für den neuen Ort und fordern<br />
eine Entschädigung der Altanwesen nach<br />
dem Grundsatz neu für alt. Um diese Ziele zu realisieren<br />
seien politische Initiativen <strong>von</strong>nöten: Allgemeine<br />
landesplanerische Richtlinien für 'normale'<br />
Planungsfälle sind nicht grundsätzlich auf die Umsiedlung<br />
zu übertragen. Schließlich wird gefordert,<br />
daß Sozialverträglichkeit als demokratischer Prozeß<br />
und als Daueraufgabe institutionell verankert<br />
wird und die praktischen Erfahrungen wissenschaftlich<br />
begleitet werden.
18 4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren<br />
Im Mai 1999 tagte die Regionalsynode Energie erneut<br />
zum Thema Sozialverträglichkeit in bezug auf<br />
Garzweiler II. Als Maßstab der Beurteilung gab sie<br />
das Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 an und<br />
kam zu folgenden Schlußfolgerungen: Unbeschadet<br />
punktueller Verbesserungen könne <strong>von</strong> Sozialverträglichkeit<br />
kaum die Rede sein. Die Synode<br />
war der Ansicht, daß die energiepolitische Notwendigkeit<br />
<strong>von</strong> Garzweiler II nach wie vor den Betroffenen<br />
nicht einsichtig sei. Die lange Verunsicherung<br />
darüber, ob Garzweiler II überhaupt realisiert<br />
würde, sowie der praktische Umgang der planenden<br />
Behörden mit den Betroffenen habe dazu geführt,<br />
daß die Betroffenen sich nicht als gleichberechtigte<br />
Partner, sondern vielmehr als Opfer bzw.<br />
Objekte der Planenden fühlten. Nicht eingelöste<br />
Versprechen der Landesregierung, z.B. <strong>zur</strong> Einsetzung<br />
eines Ombudsmanns, förderten das Mißtrauen<br />
bei den Betroffenen. Die übergesetzlichen Leistungen<br />
des Bergbautreibenden seien wenig kalkulierbar.<br />
Dies fördere Verunsicherung und Entsolidarisierung.<br />
Mieter seien noch immer benachteiligt.<br />
Ende 1996 hat sich der Aachener Bischof Mussinghoff<br />
erneut mit einer grundsätzlichen Erklärung<br />
<strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen an die<br />
Öffentlichkeit gewandt und darauf hingewiesen,<br />
daß die gesetzlichen Grundlagen, auf denen die<br />
Tagebau- und Umsiedlungsverfahren abgewickelt<br />
werden, nicht die Kriterien der Sozialverträglichkeit<br />
erfüllen und erst recht nicht den Maßstäben der katholischen<br />
Soziallehre genügen. Die Ansprüche der<br />
Betroffenen müßten durch eine neue gesetzliche<br />
oder vertragliche Regelung einklagbar sein. Es sei<br />
eine unabhängige Stelle zu schaffen, an die sich<br />
als Berufungsinstanz die Betroffenen bei Streitfällen<br />
im Zuge des Umsiedlungsverfahrens wenden<br />
können (Positionen und Erklärungen zu Garzweiler<br />
II, Bistum Aachen 1998).<br />
Im Einzelnen fordert Bischof Mussinghoff<br />
�� die frühzeitige Beteiligung der Betroffenen bei<br />
den Entscheidungsfindungen,<br />
�� die nochmalige Überprüfung der Notwendigkeit<br />
des Vorhabens vor einer Genehmigung,<br />
�� die Berücksichtigung der Interessen <strong>von</strong> Gewerbe-<br />
und Industriebetrieben bei der Planung,<br />
die Sicherung der Arbeitsplätze,<br />
�� eine Entschädigung über den Sachwert hinaus,<br />
damit Wohnsituationen nicht schlechter und<br />
Belastungen für Umsiedlerinnen und Umsiedler<br />
nicht schwerer sind als vorher,<br />
�� die Berücksichtigung der Belange <strong>von</strong> Mietern,<br />
die Einbeziehung <strong>von</strong> Frauen, Alleinerziehen-<br />
den, Kindern und Jugendlichen, Rentnerinnen<br />
und Rentnern in den Prozeß der Gestaltung<br />
des neuen Lebensraumes, um eine gleichwertige<br />
Lebensführung nach der Umsiedlung zu<br />
ermöglichen,<br />
�� die Anerkennung immaterieller Werte und eine<br />
entsprechende Entschädigung, um die Lebensqualität<br />
am alten Ort möglichst lang zu<br />
halten und am neuen Standort frühzeitig zu<br />
ermöglichen.<br />
Ziel einer gemeinsamen Veranstaltung der Kirchen<br />
im April 1998 war es, den Dialog der Befürworter<br />
und Gegner des Braunkohlentagebaus Garzweiler<br />
II neu zu eröffnen, den Blick über die Tagesaktualität<br />
hinaus auf längerfristige Perspektiven<br />
des Raumes zu lenken, vorrangig die Arbeitsplatzproblematik<br />
zu diskutieren und insgesamt einen<br />
Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung des Raumes<br />
in der Bördenlandschaft zu erarbeiten.<br />
In der Folge dieser Veranstaltung wurde ein Arbeitskreis<br />
Regionalentwicklung eingerichtet. Er hat<br />
die Aufgabe, einen Prozeß der nachaltigen Entwicklung<br />
der Bördenlandschaft an Erft, Rur und Inde<br />
zu initiieren. Dahinter steht ein Konzept <strong>zur</strong><br />
Vernetzung lokaler Akteure und Potentiale unter<br />
Einbeziehung der dort lebenden Menschen. Eine<br />
zweite Regionalkonferenz der Kirchen folgt im Mai<br />
2000.<br />
Die Umsiedlungsgemeinden<br />
Die betroffenen Kommunen sind wesentlich daran<br />
beteiligt, Sozialverträglichkeit für die Umsiedlerinnen<br />
und Umsiedler herzustellen. Sie wünschen<br />
aber eine stärkere Berücksichtigung ihrer ureigensten<br />
Belange unter dem Stichwort<br />
Kommunalverträglichkeit. In dieser Wortschöpfung<br />
drücken sich die unmittelbaren<br />
Belastungserfahrungen der Gemeinden durch<br />
Umsiedlungen aus, aber auch ihr Verlust an<br />
Selbstbestimmung in Gestalt der Einschränkung<br />
ihrer kommunalen Planungshoheit durch einen<br />
genehmigten Braunkohlenplan. Unter dem<br />
Stichwort Kommunalverträglichkeit werden<br />
mehrere Problemfelder zusammengefaßt:<br />
�� der zu erwartende Einwohnerverlust durch<br />
Umsiedlungen, der mitunter, etwa im Fall der<br />
Gemeinde Inden, existentielle Bedeutung für<br />
die Gemeinde haben könne,<br />
�� Fragen der Entschädigung und Wiedererstellung<br />
der kommunalen Infrastruktur,<br />
�� Fragen der erheblichen Arbeitsbelastung der<br />
Gemeinden durch Umsiedlungen und ganz besonders
4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren 19<br />
�� die Einschränkung der kommunalen Planungshoheit<br />
sowohl durch den Verlust <strong>von</strong> Gemeindefläche<br />
als auch durch die parzellenscharfen<br />
Festlegungen im Braunkohlenplan.<br />
Für die Kommunalverträglichkeit gilt wie für die Sozialverträglichkeit,<br />
daß sie sich nicht in gesetzlich<br />
abgesicherten Ansprüchen und formal korrekten<br />
Verfahren erschöpft. Auch wenn der Verfassungsgerichtshof<br />
des Landes Nordrhein-Westfalen die<br />
Braunkohlenplanung für verfassungsgemäß erachtet<br />
hat, bleibt die Frage offen, ob und wie die besonderen<br />
Belastungen der Gemeinden und der gesetzlich<br />
legitimierte Eingriff in ihre Selbstverwaltungsrechte<br />
praktisch kompensiert werden können.<br />
Fazit<br />
Neben der verfahrensrechtlichen Klärung <strong>von</strong> Sozialverträglichkeitsprüfungen<br />
findet eine öffentliche<br />
Auseinandersetzung über den Begriff Sozialverträglichkeit<br />
in bezug auf Braunkohleabbau und<br />
Umsiedlungen statt. Diese Auseinandersetzung<br />
wird wesentlich <strong>von</strong> solchen Gruppen und Institutionen<br />
getragen, die dem Braunkohlenabbau generell<br />
kritisch gegenüber stehen und nach grundlegenden<br />
Wertorientierungen <strong>zur</strong> Beurteilung <strong>von</strong><br />
Braunkohleabbau und Umsiedlungen suchen. Die<br />
Befürworter und Praktiker dagegen halten die<br />
Grundsatzfrage weitgehend für geklärt und sind<br />
stärker an einzelnen Problemen der Durchführung<br />
<strong>von</strong> Umsiedlungen interessiert. Diese werden nur<br />
selten in einen systematischen Zusammenhang mit<br />
Sozialverträglichkeitskriterien gebracht, selbst<br />
wenn sie indirekt darauf Bezug nehmen.<br />
Die Frage nach den Beurteilungskriterien der Sozialverträglichkeit<br />
wird immer dann akut, wenn Betroffene<br />
in Konflikt mit den Verantwortlichen geraten<br />
und nach Gerechtigkeits- und Angemessenheitskriterien<br />
fragen. In diesen Situationen hätte<br />
sich Sozialverträglichkeit als Wertorientierung aller<br />
Beteiligten zu bewähren.<br />
Durchgängig wird in den Debatten jenseits des<br />
Braunkohlenausschusses die politische Verantwortung<br />
auf Landesebene angemahnt, sei es, daß ein<br />
Landtagsentscheid über jedes einzelne Vorhaben<br />
eingeklagt wird, sei es, daß eine Überarbeitung der<br />
gesetzlichen Grundlagen der Braunkohlenplanung<br />
für erforderlich gehalten wird. Vor allem sollen<br />
mehr Beteiligungsmöglichkeiten der Betroffenen an<br />
der Entscheidungsfindung ermöglicht, die Rechte<br />
der Betroffenen gegenüber dem Bergbautreibenden<br />
abgesichert und Spielräume für weitere Neuerungen<br />
in der Umsiedlungspraxis geschaffen werden.<br />
Die grundsätzlichen Wertorientierungen des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />
1990 - Selbstbestimmung,<br />
Solidarität, politische Gestaltung - erweisen<br />
sich dabei immer wieder als tragfähige Bezugspunkte<br />
der öffentlichen Verständigung.<br />
Neue Verträge und Verfahren<br />
Jenseits programmatischer Erklärungen haben vor<br />
allem die Kommunen und die Bezirksplanungsbehörde<br />
kontinuierlich Fortschreibungen und Verbesserungen<br />
der Umsiedlungspraxis entwickelt. Im<br />
Zusammenhang mit der Genehmigung <strong>von</strong> Braunkohlenplänen<br />
wurden jeweils zwischen den Gemeinden<br />
und dem Bergbautreibenden Vereinbarungen<br />
getroffen, die neben manchem anderen<br />
Regelungsbedarf auch Fragen der Umsiedlung berührten.<br />
Diese Vereinbarungen sind im sogenannten<br />
Inden-Vertrag, in der Rahmenvereinbarung<br />
Elsdorf und in der Jüchen-Erklärung schriftlich<br />
festgehalten worden. Auch die Stadt Erkelenz hat<br />
mit dem Bergbautreibenden eine Vereinbarung<br />
darüber getroffen, welche Verantwortlichkeiten dieser<br />
in dem langen Zeitraum zwischen der Genehmigung<br />
des Braunkohlenplans Garzweiler II und<br />
dem Beginn der Umsiedlungen im Gemeindegebiet<br />
hat. Die Bezirksplanungsbehörde hat neue Wege<br />
bei der Standortfindung beschritten und diese im<br />
sogenannten Standortfindungskonzept dargelegt.<br />
Auch die Umsiedlerfibel, eine Informationsschrift<br />
mit halbamtlichem Charakter, wurde überarbeitet.<br />
Der Inden-Vertrag<br />
Der sogenannte Inden-Vertrag umfaßt eine ganze<br />
Reihe <strong>von</strong> Anliegen, die der Gemeinde und dem<br />
Braunkohlenausschuß jenseits der Aussagen des<br />
Braunkohlenplans verbindlich regelungsbedürftig<br />
erschienen. Vier dieser Anliegen berühren Umsiedlungsfragen<br />
im engeren Sinn.<br />
• Vermögensentschädigungen zwischen<br />
Inden und Langerwehe<br />
Der Braunkohlenausschuß hatte entschieden, daß<br />
Vermögensentschädigungen im Rahmen der<br />
Selbstverwaltungsrechte der Gemeinde zu regeln<br />
seien. De facto hat die Gemeinde nach Rechtslage<br />
entschieden und die Gemeinde Langerwehe nicht<br />
an der Entschädigung der Infrastruktur in den Alt-<br />
Orten teilhaben lassen. Damit waren die Neubaukosten<br />
für die Erschließung und für die Errichtung<br />
<strong>von</strong> sozialer Infrastruktur am Umsiedlungsstandort<br />
in Langerwehe vollständig durch Rheinbraun,<br />
staatliche Städtebauförderungsmittel und die Eigenbeteiligung<br />
der Gemeinde zu bestreiten. Es ist<br />
zu vermuten, daß nach derzeitiger Rechtslage<br />
auch in Zukunft im Falle einer Umsiedlung über<br />
Gemeindegrenzen hinweg die Verhandlungen zwi-
20 4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren<br />
schen zwei Gemeinden kaum anders ausgehen<br />
werden. Obwohl dies schlechtere Ausgangsbedingungen<br />
für die Infrastrukturausstattung der neuen<br />
Orte schafft und sowohl den Bergbautreibenden als<br />
auch die öffentliche Hand stärker belasten wird, ist<br />
auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten kaum<br />
eine andere Lösung sinnvoll. Allerdings sollte sorgfältig<br />
darauf geachtet werden, daß Werte, die durch<br />
gemeinschaftliche Selbsthilfe der betroffenen Dorfgemeinschaft<br />
entstanden sind, auch dieser direkt<br />
entschädigt werden, so daß ein Grundstock für die<br />
Errichtung entsprechender Anlagen am neuen Ort<br />
vorhanden ist. Dies könnte z.B. für Ausbauleistungen<br />
bei Vereinshäusern, Sportplätzen, Kinderspielplätzen<br />
und kirchlichen Räumen gelten.<br />
• Ankauf <strong>von</strong> Eigentumsobjekten in<br />
Tagebaurandlage<br />
Der geplante Tagebau Inden wird sehr nah an die<br />
Ortschaft Schophoven heranrücken. Dadurch entstehen<br />
erhebliche Belastungen durch Staub und<br />
Lärm, Verkehrswege werden zeitweilig<br />
durchschnitten, Ackerflächen in Anspruch<br />
genommen. Dennoch wurde keine grundsätzliche<br />
Regelung für den Ankauf in Tagebaurandlage<br />
getroffen. Vielmehr wurde grundsätzlich die<br />
Belastung als zumutbar gewertet. Im Einzelfall soll<br />
durch die Härtestelle entschieden werden.<br />
Dieser Regelung ist grundsätzlich zuzustimmen,<br />
wobei da<strong>von</strong> ausgegangen werden muß, daß der<br />
Bergbautreibende im Rahmen der Braunkohlenplanung<br />
zu allen Maßnahmen verpflichtet wird, die<br />
die Belastungen verringern können, wie etwa ein<br />
Lärmschutzwall und die Staubbindung im Tagebau.<br />
Wenn Ackerflächen beansprucht werden, müssen<br />
diese ohnehin entschädigt werden. In Ausnahmefällen<br />
ist auch eine Umsiedlung <strong>von</strong> landwirtschaftlichen<br />
Betrieben möglich, deren Ackerflächen ganz<br />
überwiegend im Abbaugebiet liegen.<br />
• Baugrunduntersuchungen am<br />
Umsiedlungsstandort<br />
Die Gemeinde sicherte mit dieser Regelung die<br />
Ansprüche der Umsiedler auf kostenfreie Baugrunduntersuchungen<br />
sowie Übernahme der Kosten<br />
in den Fällen, in denen der Baugrund einen<br />
zusätzlichen Gründungsaufwand erfordert. Die<br />
Frage stellte sich in Inden mit hoher Dringlichkeit,<br />
weil der Umsiedlungsstandort im Auenbereich <strong>von</strong><br />
Inde und Wehebach gelegen ist und unsichere<br />
Böden zu erwarten waren.<br />
Der Anspruch auf sorgfältige Baugrunduntersuchung<br />
und gegebenfalls Übernahme der zusätzlichen<br />
Gründungskosten gehört seit dem Inden-<br />
Vertrag zum Standardpaket der übergesetzlichen<br />
Leistungen des Bergbautreibenden. Dies entlastet<br />
die Umsiedler <strong>von</strong> technischen Risiken und unvorhergesehenen<br />
finanziellen Belastungen und ist daher<br />
unter Sozialverträglichkeitsgesichtspunkten zu<br />
begrüßen.<br />
• Mieterhandlungskonzept (Inden)<br />
Die größte Sorge der Gemeinde Inden in Vorbereitung<br />
der Umsiedlungen betraf die Frage, wie ein<br />
ausreichender und bezahlbarer Mietwohnungsbau<br />
am Umsiedlungsstandort gesichert werden kann.<br />
Sie vereinbarte ein umfangreiches Mieterhandlungskonzept<br />
mit dem Bergbautreibenden. In diesem<br />
Mieterhandlungskonzept werden zum einen<br />
alle Leistungen des Bergbautreibenden und der öffentlichen<br />
Hand, die bereits seit dem Hambach-<br />
Vertrag <strong>von</strong> 1982 gelten, aufgelistet und damit bestätigt.<br />
Zusätzlich wurde der Bergbautreibende<br />
verpflichtet, in dem Fall, daß all diese Maßnahmen<br />
nicht ausreichen würden, selbst Mietwohnungen zu<br />
erstellen bzw. durch einen Träger erstellen zu lassen.<br />
Weiterhin sollte der Bergbautreibende darauf<br />
hinwirken, daß ein zumutbares und den ortsüblichen<br />
Verhältnissen angemessenes Mietpreisniveau<br />
eingehalten wird.<br />
Dieses Konzept ist in der Praxis konkretisiert worden<br />
und hat sich bewährt. So wurde eine Mietpreisbindung<br />
über fünf Jahre mit den Vermietern<br />
vereinbart, die eine besondere Förderung durch<br />
Rheinbraun erhalten hatten. Die Forderung an<br />
Rheinbraun, notfalls selbst Mietwohnungen zu errichten<br />
oder durch Träger errichten zu lassen, hat<br />
im Ergebnis zum Bau <strong>von</strong> ca. sechzig Mietwohnungen<br />
geführt.<br />
Auch das Mieterhandlungskonzept <strong>von</strong> Inden gehört<br />
heute selbstverständlich zum Paket <strong>von</strong> Verantwortlichkeiten,<br />
die der Bergbautreibende in jedem<br />
Umsiedlungsort akzeptiert. Damit kann die<br />
quantitative Versorgung der Umsiedlungsorte mit<br />
Mietwohnungen als gesichert betrachtet werden.<br />
Die Erfahrungen aus Inden zeigen, daß etwa die<br />
Hälfte der Wohnungen in der einen oder anderen<br />
Form durch Rheinbraun gefördert werden und damit<br />
eine Mietpreisbindung über mehrere Jahre vereinbart<br />
werden konnte.<br />
Unter dem Gesichtspunkt der Sozialverträglichkeit<br />
ist dies ein erheblicher Fortschritt gegenüber den<br />
Befunden des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />
1990.<br />
Die Rahmenvereinbarung Elsdorf, Erkelenz-<br />
Erklärung<br />
Die Rahmenvereinbarung Elsdorf umfaßt im wesentlichen<br />
Detailvereinbarungen zwischen der
4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren 21<br />
Gemeinde, dem Bergbautreibenden und Dritten,<br />
die die Modalitäten der Realisierung <strong>von</strong> Erschließung<br />
und sozialer Infrastruktur am Umsiedlungsstandort<br />
betreffen und nicht <strong>von</strong> grundsätzlicher<br />
Bedeutung sind.<br />
Nach der Erkelenz-Erklärung akzeptiert der Bergbautreibende<br />
eine Verantwortung, die durch das<br />
Tagebauvorhaben Garzweiler II verursachten<br />
Raumstörungen auf vielfältige Weise zu kompensieren.<br />
Es werden verschiedene Wege benannt,<br />
wie dieser Ausgleich erfolgen soll: durch gemeinsame<br />
Bauleitplanentwicklung, Bereitstellung <strong>von</strong><br />
Grundstücken für öffentliche Infrastrukturmaßnahmen,<br />
Gewerbeansiedlungen und private Bauvorhaben,<br />
Angebote in der Stadt Erkelenz als Alternative<br />
<strong>zur</strong> gemeinsamen Umsiedlung, Vorhaltung <strong>von</strong><br />
Grundstücken über den Umsiedlungsbedarf hinaus,<br />
schließlich auch die Unterstützung der Stadt<br />
Erkelenz, die durch den Tagebau verlorengehenden<br />
Bauflächen möglichst vollständig ersetzt zu<br />
bekommen .<br />
In der Rahmenvereinbarung Elsdorf taucht erstmals<br />
der Anspruch auf, der dann auch <strong>von</strong> der<br />
Gemeinde Jüchen unter dem Stichwort Kommunalverträglichkeit<br />
und der Stadt Erkelenz in Rahmen<br />
der Erkelenz-Erklärung erhoben wird: Finanzieller<br />
Ausgleich der Nachteile aus der geänderten<br />
städtebaulichen Entwicklung der Gemeinde Elsdorf.<br />
Es entsteht der Eindruck, als solle der Bergbautreibende<br />
als dauerhafter privater Kooperationspartner<br />
mit besonderer Bringschuld in die Stadtentwicklung<br />
einbezogen werden. Dabei wird ihm vor allem die<br />
Aufgabe einer umfassenden Bodenvorratshaltung<br />
zugedacht, um die Gemeinde über die Gestaltung<br />
des Bodenpreises bei öffentlichen und privaten<br />
Bauvorhaben wirkungsvoll fördern zu können.<br />
Schließlich wird <strong>von</strong> ihm erwartet, er möge die<br />
Gemeinde gegenüber der Landesplanung vertreten.<br />
Es ist nicht Aufgabe dieses <strong>Gutachten</strong>s, Fragen<br />
der Kommunalverträglichkeit erschöpfend zu behandeln.<br />
Allerdings sind wir aufgefordert, zu den<br />
kommunalen Vereinbarungen unter dem Gesichtspunkt<br />
der Sozialverträglichkeit Stellung zu nehmen.<br />
Nach den bereits 1990 dargelegten Grundsätzen<br />
ist der Bergbautreibende selbstverständlich verpflichtet,<br />
alle Verluste vorhandener Rechte und<br />
Vermögenswerte zu entschädigen. Die Kompensationsforderungen<br />
der Gemeinden aber gehen darüber<br />
hinaus und schaffen damit eine unseres Erachtens<br />
über die Braunkohlenbelange im engeren<br />
Sinn hinausgehende Abhängigkeit vom Bergbautreibenden.<br />
Möglicherweise sind die Bestrebungen der Gemeinde<br />
Folge einer zu engen regionalplanerischen<br />
Berücksichtigung kommunaler Belange. So weist<br />
der Braunkohlenplan Ersatzsiedlungsflächen nur in<br />
dem Umfang aus, wie eine Teilnahme an der gemeinsamen<br />
Umsiedlung zu erwarten ist. Es wäre<br />
zu empfehlen, im Rahmen des Braunkohlenplans<br />
auch andere Wohnsiedlungsgebiete in der betroffenen<br />
Gemeinde auszuweisen, die, ohne mit einem<br />
Enteignungsanspruch seitens Rheinbraun verbunden<br />
zu sein, einen planerischen Ausgleich für den<br />
Verlust an Siedlungsfläche der Gemeinde darstellen.<br />
Damit könnte möglicherweise auch die Problematik<br />
einer gemeinsamen Umsiedlung über die<br />
Gemeindegrenzen hinweg entschärft werden. Oder<br />
es könnte im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang<br />
mit der Braunkohlenplanung eine entsprechende<br />
Änderung der regionalen Planung erfolgen.<br />
Eine Ausweisung <strong>von</strong> Siedlungsgebieten<br />
auf potentiellen Abbauflächen kann so vermieden<br />
werden.<br />
Zweifellos ist eine enge Kooperation zwischen<br />
Rheinbraun und Gemeinden notwendig, um die<br />
Umsiedlung der betroffenen Ortschaften gut zu<br />
bewältigen. Dabei ist auch ein Maß an Engagement<br />
des Bergbautreibenden <strong>von</strong>nöten, das über<br />
seine gesetzlichen Verpflichtungen weit hinausgeht<br />
und ihn eng in die gemeindliche Bauleitplanung<br />
und Bodenvorratspolitik einbezieht. Aus der Perspektive<br />
der Sozialverträglichkeit aber sollte diese<br />
dichte Kooperation auf einen engen zeitlichen und<br />
sachlichen Zusammenhang der gemeinsamen<br />
Umsiedlung beschränkt werden. Die Betroffenen<br />
reagieren sehr sensibel, wenn sie den Eindruck<br />
gewinnen, die Gemeinde habe zu viele eigene Interessen<br />
gegenüber dem Bergbautreibenden.<br />
Die Jüchen-Erklärung<br />
Die Jüchen-Erklärung befaßt sich ausschließlich<br />
mit den Ansprüchen der Umsiedlungsbetroffenen.<br />
Im Zuge der Verhandlungen des Braunkohlenplans<br />
und der Sozialverträglichkeitsprüfung konnten diese<br />
im Vergleich zu vorangegangenen Umsiedlungen<br />
nochmals verbessert werden. Die Jüchen-<br />
Erklärung dient nicht allein der vertraglichen Sicherung<br />
zwischen der Gemeinde und Rheinbraun,<br />
sondern ist deutlich auch als kurze, aber sehr verbindliche<br />
Information an die Betroffenen konzipiert.<br />
• Eigentümer-Handlungskonzept<br />
Wichtigste Neuerung des Eigentümerhandlungskonzeptes<br />
gegenüber vorangegangenen Regelungen<br />
ist die Zusage Rheinbrauns, daß ca. 95% aller<br />
Anwesen allein aus der Entschädigungssumme im<br />
vergleichbaren Standard als Neubau wiedererrichtet<br />
werden können. Diese Aussage bedeutet einen
22 4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren<br />
erheblichen Zuwachs an frühzeitiger finanzieller<br />
Sicherheit der Umsiedlerinnen und Umsiedler und<br />
ist deshalb sehr zu begrüßen.<br />
Die Änderung der Kaufpreisauszahlungsfristen<br />
(90% bei Eigentumsübertragung, 10% bei Räumung)<br />
ist zwar <strong>von</strong> finanziellem Vorteil für die Umsiedler,<br />
weil sie gegebenenfalls Zinsgewinne erzielen<br />
können und garantiert keine Zwischenfinanzierungskosten<br />
beim Neubau anfallen. Damit dieser<br />
Vorteil auch wirklich zum Tragen kommt, ist jedoch<br />
eine sorgfältige Beratung <strong>zur</strong> Verwaltung der erheblichen<br />
Geldbeträge im Übergang zwischen altem<br />
und neuem Anwesen erforderlich. Die mietfreie<br />
Nutzung des Altanwesens bis <strong>zur</strong> Räumung schafft<br />
zusätzliche zeitliche Spielräume, die neue Wohnsituation<br />
sorgfältig zu planen und zu bauen, ohne finanzielle<br />
Belastungen tragen zu müssen.<br />
Eine garantierte Mindestgröße des Tauschgrundstücks<br />
am neuen Ort und die Anerkennung <strong>von</strong> 50<br />
m Grundstückstiefe als Bauland sind zwei Bausteine,<br />
die die schuldenfreie Umsiedlung auch bei entschädigungsrechtlich<br />
schwierigen Altanwesen erleichtern.<br />
Die Regelung, daß auch ein zweites Wertgutachten<br />
<strong>von</strong> Rheinbraun zu bezahlen ist, schafft mehr<br />
Transparenz bei der gutachterlichen Bewertung der<br />
Altanwesen und reserviert die Beratungskostenpauschale<br />
tatsächlich für den Fall eines akuten<br />
Konfliktes mit Rheinbraun oder – wie zu Recht immer<br />
wieder empfohlen wird – für die gründliche<br />
Vorbereitung der Verhandlungen mit Rheinbraun.<br />
• Mieterhandlungskonzept (Jüchen)<br />
Das Mieterhandlungskonzept umfaßt die gleichen<br />
Bausteine für Mietwohnungsbau und Eigentumserwerb<br />
durch Mieter am Umsiedlungsstandort wie<br />
in den Indener Vereinbarungen. Es folgen jedoch<br />
einige bedeutsame Präzisierungen. Der Mietpreis<br />
<strong>von</strong> Rheinbraun-geförderten Wohnungen wird präzise<br />
festgelegt, die Mietpreisbindung soll sechs<br />
bzw. acht Jahre betragen. Die Unterschiede beim<br />
Grundstückserwerb durch Mieter im Vergleich zu<br />
Eigentümern am Umsiedlungsstandort werden benannt.<br />
Die Entschädigungsansprüche der Mieter haben<br />
sich im Durchschnitt deutlich verbessert, indem<br />
sich die entsprechenden Pauschalen nicht mehr<br />
nach der Anzahl bewohnter Räume, sondern nach<br />
der Quadratmeterzahl der Wohnung richten. Auch<br />
den Mietern steht, allerdings nicht erst seit der Jüchen-Erklärung,<br />
eine Beratungskosten-Pauschale<br />
zu.<br />
Sowohl die materiellen Vereinbarungen als auch<br />
die Gestaltung der Jüchen-Vereinbarungen als<br />
kurze, übersichtliche und sehr verbindliche Information<br />
an die Umsiedlungsbetroffenen sind unter<br />
Sozialverträglichkeitsgesichtspunkten eindeutig zu<br />
begrüßen.<br />
Die Umsiedlerfibel<br />
Die Informationsschrift des Regierungspräsidenten<br />
für Umsiedlerinnen und Umsiedler wurde 1992 mit<br />
dem Ziel überarbeitet, sie zu aktualisieren und die<br />
Informationen für die Betroffenen so verständlich<br />
wie möglich aufzubereiten. Im Vergleich der beiden<br />
umfangreichen Broschüren zeigen sich einige<br />
wichtige Neuerungen. So werden Mieter unmißverständlich<br />
als Umsiedler anerkannt und ihre Rechte<br />
in einem gesonderten Kapitel dargestellt. Das im<br />
Anschluß an das Sozialverträglichkeitsgutachten<br />
1990 entwickelte Standortfindungskonzept wird erläutert,<br />
die fachlichen Gesichtspunkte für die Eignung<br />
eines Standortes werden dargelegt. Checklisten<br />
für Umsiedler, die in der alten Fibel in das Kapitel<br />
Verhandlungen mit Rheinbraun integriert waren,<br />
sind nun gesondert nach Eigentümern, Mietern,<br />
Landwirten und Gewerbetreibenden ausgearbeitet<br />
und ergänzen als eigenständige Listen die<br />
Fibel. Sie sind für die Vorbereitung der Verhandlung<br />
mit Rheinbraun deutlich besser geeignet.<br />
Schließlich zeigt sich der Regierungspräsident in<br />
den einleitenden Kapiteln <strong>zur</strong>ückhaltender in der<br />
Prognose künftiger Braunkohlenförderung und<br />
deutlich toleranter gegenüber Umsiedlern, die nicht<br />
an der gemeinsamen Umsiedlung teilnehmen wollen.<br />
Die Überarbeitung der Umsiedlerfibel wurde nicht<br />
für einen grundlegenden Stilwechsel genutzt. Sie<br />
wird auch heute <strong>von</strong> vielen Umsiedlerinnen und<br />
Umsiedlern als schwer verständlich empfunden.<br />
Eine Ursache für diese verbreitete Einschätzung<br />
mag in den tatsächlich komplizierten Zusammenhängen<br />
liegen, die erläutert werden müssen. Eine<br />
andere Ursache liegt unseres Erachtens darin, daß<br />
die Sachverhalte stets im Prinzip erklärt werden,<br />
das heißt entlang der gesetzlichen Regelungsgrundlagen.<br />
Es bleibt den Umsiedlern überlassen,<br />
diese prinzipiellen Regelungen und ihre komplexeren<br />
praktischen Erfahrungen so zu verbinden, daß<br />
sie aus den Informationen der Umsiedlerfibel Antworten<br />
auf ihre akuten Fragen gewinnen können.<br />
Die Umsiedlerfibel und die Checklisten für Umsiedler<br />
sind auch in der heutigen Form eine unverzichtbare<br />
Informationsquelle für Umsiedler. Es wäre jedoch<br />
zu wünschen, daß in Zukunft die wertvollen<br />
Informationen über die rechtlichen Grundlagen enger<br />
an die praktischen Erfahrungen der Umsiedler
4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren 23<br />
mit einer vielfältigen und scheinbar widersprüchlichen<br />
Realität verknüpft werden.<br />
Im Anschluß an die Jüchen-Erklärung ergibt sich<br />
ein Aktualisierungsbedarf. Die <strong>von</strong> Rheinbraun<br />
konkret genannte Zahl <strong>von</strong> ca. 95 % der Anwesen,<br />
die ohne Aufnahme <strong>von</strong> Fremdmitteln in entsprechender<br />
Größe und Ausstattung wiedererrichtet<br />
werden können, ist eine wichtige Aussage, die die<br />
Angaben der Umsiedlerfibel über Finanzierungshilfen<br />
<strong>von</strong> Rheinbraun relativiert. Nach aller Erfahrung<br />
im rheinischen Revier sind sie in etwa 5% der Fälle<br />
<strong>von</strong>nöten.<br />
Das Standortfindungskonzept<br />
Im Empfehlungsteil des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />
1990 wurden Kriterien für die Standortwahl<br />
bei einer gemeinsamen Umsiedlung formuliert. Aus<br />
heutiger Sicht scheint insbesondere bedeutsam,<br />
daß neben den Wünschen und Vorstellungen der<br />
Umsiedler (lokale Bindungen, Nähe zum bisherigen<br />
Standort, Erreichbarkeit <strong>von</strong> Arbeitsplätzen und infrastrukturellen<br />
Einrichtungen, Sicherheit vor<br />
erneuter Umsiedlung) auch die Vereinbarkeit des<br />
Standortes mit landesplanerischen und raumordnungspolitischen<br />
Zielvorstellungen gefordert wird.<br />
Dabei ist vor allem der Schutz der natürlichen<br />
Landschaft, die Schonung freier Landschaftsräume<br />
und die Bewahrung kultivierter Flächen zu erwähnen.<br />
Den Umsiedlern soll eine Wahl zwischen verschiedenen<br />
Standortalternativen ermöglicht werden. Die<br />
Eigenschaften der alternativen Standorte sollen mit<br />
ihren Vorteilen, Restriktionen und Nachteilen dargelegt<br />
werden.<br />
Im Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 wird die<br />
Frage erörtert, ob ein Umsiedlungsstandort innerhalb<br />
oder außerhalb des Gemeindegebiets vorzuziehen<br />
ist. Dabei wird auf die Vorteile <strong>von</strong> Standorten<br />
im Anschluß an eine bestehende Gemeinde<br />
verwiesen. Die Bürger erhalten bei der Standortwahl<br />
eine zentrales Mitspracherecht. Für den Fall,<br />
daß mehrere Standorte <strong>zur</strong> Wahl stehen, wird eine<br />
Abstimmung darüber gefordert, ob eine gemeinsame<br />
Umsiedlung erwünscht ist oder in Ergänzung<br />
zu einer gemeinsamen Umsiedlung auch andere<br />
Alternativen (wie der Umzug in kleinen Gruppen)<br />
gewünscht werden.<br />
Es zeigt sich, daß diese Forderungen zunächst in<br />
der Umsiedlerfibel <strong>von</strong> 1992 und dann im Umsiedlungsverfahren<br />
Etzweiler/Gesolei sehr weitgehend<br />
und sinngemäß übernommen wurden. Die Umsiedlerfibel<br />
weist die Betroffenen darauf hin, daß für die<br />
Auswahl eines geeigneten Umsiedlungsstandortes<br />
im wesentlichen die im <strong>Gutachten</strong> genannten Krite-<br />
rien beachtet werden. Über die Empfehlungen des<br />
Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990 hinaus können<br />
Bürger selbst Standortvorschläge bei der Geschäftsstelle<br />
des Braunkohlenausschusses einreichen.<br />
Diese Standortvorschläge werden einer<br />
Bürgerbefragung unterworfen. Im Braunkohlenplan<br />
Hambach, sachlicher Teilabschnitt Etzweiler/Gesolei<br />
(1993) wird entsprechend darauf hingewiesen,<br />
daß bei der Erstellung des Vorentwurfes<br />
des Braunkohlenplans die Ergebnisse der Bürgerbefragungen<br />
berücksichtigt wurden.<br />
Auch die weiteren Beteiligungsmöglichkeiten bei<br />
Bedenken und Anregungen zum ausliegenden<br />
Entwurf, bei der gemeindlichen Rahmenplanung<br />
und bei der Bauleitplanung werden erwähnt.<br />
Es ist da<strong>von</strong> auszugehen, daß das Standortfindungsverfahren<br />
für Etzweiler/Gesolei in der Intention<br />
des Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990 gestaltet<br />
ist. Die dort hervorgehobenen Gesichtspunkte<br />
der Akzeptanz und Mitwirkung der Bürger werden<br />
noch stärker betont und ausgestaltet als dies<br />
im Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 gefordert<br />
wird.<br />
Die praktischen Erfahrungen mit diesem Konzept<br />
haben gezeigt, daß die spontanen Wünsche der<br />
Umsiedlerinnen und Umsiedler zu diesem frühen<br />
Punkt der Befragung deutlich abweichen können<br />
<strong>von</strong> dem, was unter guten landesplanerischen<br />
Gründen und dem Gesichtspunkt der langfristigen<br />
Entwicklungschancen eines Standortes genehmigt<br />
werden kann. Insofern wird in Zukunft eine engere<br />
Verknüpfung <strong>von</strong> fachlich begründeten Standortvorschlägen<br />
durch die verantwortlichen Planungsinstanzen<br />
– die Gemeinde und die Bezirksplanungsbehörde<br />
und der Meinungsbildung der Betroffenen<br />
zu gewährleisten sein.<br />
Der Umsiedlungsbeauftragte<br />
Die Landesregierung versprach im Genehmigungserlaß<br />
Garzweiler II, einen Beauftragten zu<br />
bestellen, der eine unmittelbare Verbindung zwischen<br />
der Landesregierung und den Betroffenen<br />
dauerhaft leisten sollte. Dieses Versprechen ist bis<br />
heute nicht erfüllt. Die Rolle eines Umsiedlungsbeauftragten<br />
wird in diesem <strong>Gutachten</strong> an verschiedenen<br />
Stellen erläutert.<br />
Der Treuhandfonds<br />
Der Treuhandfonds zum staatlichen Ankauf <strong>von</strong><br />
Anwesen vor Beginn der gemeinsamen Umsiedlung<br />
wird in den Koalitionsvereinbarungen <strong>von</strong><br />
1995 angekündigt. Er geht insofern auf eine Anregung<br />
des Sozialverträglichkeitsgutachtens 1990<br />
<strong>zur</strong>ück, als dort die Problematik vorzeitiger Ankäufe
24 4. Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen heute: Erfahrungen aus zehn Jahren<br />
durch Rheinbraun ausführlich erörtert wird. Er ist<br />
bis heute nicht eingerichtet, kann also an dieser<br />
Stelle nicht kommentiert werden.<br />
Der Fonds für Umsiedlungszwecke<br />
Im Zusammenhang mit der Genehmigung des<br />
Braunkohlenplans Garzweiler II hat sich das Bergbauunternehmen<br />
bereit erklärt, einen Fonds für<br />
Umsiedlungszwecke im Rheinischen Braunkohlenrevier<br />
ein<strong>zur</strong>ichten. Auch dieser Fonds geht möglicherweise<br />
auf eine Anregung aus dem Sozialverträglichkeitsgutachten<br />
1990 <strong>zur</strong>ück. Dort wird, allerdings<br />
im Kontext einer Neuorganisation der Entschädigung,<br />
vorgeschlagen, einen Umsiedlungsfonds<br />
für gemeinschaftliche Angelegenheiten ein<strong>zur</strong>ichten.<br />
Diese Anregung hatte das Ziel, in den<br />
Einzelprojekten eine größere Unabhängigkeit vom<br />
Bergbautreibenden zu erreichen. Inwieweit der<br />
eingerichtete Fonds diesem Ziel gerecht wird kann<br />
nicht überprüft werden, da er bis heute nicht abgerufen<br />
werden kann. Bis heute sind die Einzelheiten<br />
über die Vergabe <strong>von</strong> Mitteln aus diesem Fonds<br />
nicht geregelt.<br />
Unabhängig <strong>von</strong> der Frage, ob einzelne Maßnahmen<br />
sinnvoll oder notwendig sind, ist die Verzögerung<br />
bei der Einhaltung <strong>von</strong> Versprechen des Landes<br />
an die Umsiedler unter dem Gesichtspunkt der<br />
Sozialverträglichkeit sehr schädlich. Hier wird<br />
nachhaltig der Eindruck erweckt, daß das Land<br />
kein zuverlässiger Partner für die Umsiedler sei.<br />
Sollte sich bei näherer Prüfung herausstellen, daß<br />
ein Versprechen aus guten Gründen nicht eingehalten<br />
werden kann, sollten diese Gründe gegenüber<br />
den Umsiedlerinnen und Umsiedlern erläutert<br />
und vertreten werden.
5. Sozialverträglichkeit in der Praxis -- vier Fallstudien 25<br />
5. Sozialverträglichkeit in der Praxis – vier Fallstudien<br />
Die Umsiedlungsorte im Rheinischen Braunkohlenrevier Quelle: Dickmann, F. 1996 (aktualisiert)
26 5. Sozialverträglichkeit in der Praxis – vier Fallstudien<br />
Dieses Kapitel umfasst die <strong>Evaluierung</strong>en der abgeschlossenen<br />
Umsiedlungen Garzweiler/Priesterath,<br />
Inden/Altdorf und Etzweiler/Gesolei sowie der<br />
laufenden Umsiedlungsplanungen Otzenrath/<br />
Spenrath und Holz. Im <strong>Gutachten</strong> bildet es mit ca.<br />
120 Seiten den umfangreichsten Abschnitt. Daten<br />
und Fakten auf der einen, zusammenfassende<br />
Sichten <strong>von</strong> Akteuren und Umsiedlern auf der anderen<br />
Seite ermöglichen für jedes Fallbeispiel eine<br />
Bewertung der Beiträge <strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit. In<br />
dieser <strong>Kurzfassung</strong> wird nur eine Zusammenfassung<br />
der Ergebnisse vermittelt.<br />
In den abgeschlossenen Verfahren überwiegt im<br />
Rückblick die Genugtuung über individuelle und<br />
gemeinsame Leistungen. Im Prozess der aktuellen<br />
Umsiedlungsplanungen überwiegen unter dem<br />
Eindruck unbestimmter Rahmenbedingungen die<br />
kritischen Stimmen.<br />
Umsiedlung Garzweiler/Priesterath<br />
Für die abgeschlossene Umsiedlung Garzweiler/Priesterrath<br />
werden die gemeinsamen Anstrengungen<br />
<strong>zur</strong> Aufrechterhaltung des Lebens am alten<br />
Ort, die Information und Vertretung der Interessen<br />
der Umsiedlerinnen und Umsiedler, ihre Mitwirkung<br />
an der Planung und die friedliche Zuordnung der<br />
Grundstücke entsprechend ihren Wünschen anerkannt.<br />
Zufrieden sind Umsiedlerinnen und Umsiedler<br />
mit der Gestaltung des neuen Ortes, mit der erkennbaren<br />
Übernahme <strong>von</strong> Motiven des alten Ortes,<br />
mit der guten Ausstattung.<br />
Neu-Garzweiler/Priesterath<br />
Begründet sind die Erfolge der Umsiedlung auch<br />
im Engagement lokaler Leitfiguren. Eingeschränkt<br />
werden diese Anerkennungen durch die Feststellungen,<br />
daß tragende Persönlichkeiten des Dorflebens<br />
wie die Landwirte am neuen Ort fehlen, manche<br />
Vereine zumindest Übergangsschwierigkeiten<br />
haben. Für Mieter wurde erst spät gesorgt. Der<br />
neue Ort ist eng begrenzt, er kann sich innerhalb<br />
und außerhalb dieser Grenzen kaum weiterentwikkeln.<br />
Empfohlen wird eine unabhängige, fachübergreifende<br />
Beratung, gefordert wird die Einführung<br />
eines Umsiedlungsbeauftragten. In der Planung<br />
sollte mehr auf die Verflechtungen des neuen Ortes<br />
mit der aufnehmenden Gemeinde geachtet<br />
werden, mehr als bisher sollten typische Dorfqualitäten<br />
auch am neuen Ort möglich sein.<br />
Umsiedlung Inden/Altdorf<br />
Für die abgeschlossene Umsiedlung Inden/Altdorf<br />
werden insbesondere die mit persönlichem Engagement<br />
gebotenen Beratungen und die Regelungen<br />
zugunsten der Mieter anerkannt. Zufrieden<br />
sind die meisten mit der Gestaltung des neuen Ortes,<br />
mit einer guten Ausstattung und mit dem Zusammenwachsen<br />
zweier Orte in einer neuen Gemeinde.<br />
Neu-Inden/Altdorf<br />
Kritisiert wird fehlende Information, die lange Phase<br />
zwischen Standortwahl und Umsiedlungsbeginn<br />
wie auch die lange Zeitdauer der Umsiedlung.<br />
Empfohlen wird die Kontinuität einer integrierten<br />
Beratung, die rechtzeitige Bereitstellung <strong>von</strong> Mietwohnungen<br />
und schlüsselfertigen Häusern und die<br />
Straffung des gesamten Verfahrens.<br />
Umsiedlung Etzweiler/Gesolei<br />
Anerkannt wird im Umsiedlungsverfahren Etzweiler/Gesolei<br />
die gute Zusammenarbeit zwischen<br />
dem Gemeindedirektor, dem Ortsvorsteher und<br />
dem Arbeitskreis Umsiedlung. Verbesserungen<br />
früherer Umsiedlungsverfahren - die Grundstücksvormerkung,<br />
das Mieter-Hand-lungskonzept, das<br />
Soziale Anforderungsprofil - konnten übernommen<br />
werden. Harte Kritik der Umsiedlerinnen und Umsiedler<br />
gilt der Bestimmung des Standortes, die als<br />
Mißachtung ihres im schwierigen Abstimmungsverfahren<br />
ermittelten Standortwunsches aufgefaßt<br />
wird. Kritik gilt auch den Strukturen des neuen Ortes,<br />
der Isolierung und der bisher fehlenden Busanbindung,<br />
auch dem bisherigen Fehlen einer sozialen<br />
und kulturellen Infrastruktur. Schließlich fehlt<br />
alles, was im alten Dorf selbstverständlich war: der<br />
Bäcker, der Lebensmittelladen, die Gastwirtschaft,<br />
die Feuerwehr, nicht zuletzt die Kirche. Vorschläge
5. Sozialverträglichkeit in der Praxis – vier Fallstudien 27<br />
für Verbesserungen gelten besseren Informationen,<br />
unabhängigen Beratungen, dem Verfahren<br />
der Wahl eines günstigeren Standortes und auch<br />
dem Vorratsbau am neuen Ort.<br />
Planung der Umsiedlungen Otzenrath/Spenrath<br />
und Holz<br />
Wegen der Aktualität der Umsiedlungsplanungen<br />
wurden die Untersuchungen in Otzenrath/Spenrath<br />
und Holz besonders breit angelegt und mehr Gespräche<br />
als in den bisherigen Fallstudien geführt.<br />
Otzenrath<br />
Betroffene aus Otzenrath/Spenrath und Holz sind<br />
bereit, Umsiedlungen zu akzeptieren, wenn sie die<br />
Notwendigkeit einsehen. Für eine Akzeptanz sind<br />
allerdings eindeutige Vorgaben, Transparenz der<br />
Entscheidungen und glaubwürdige Beteiligungsangebote<br />
unverzichtbar. Anerkannt wird die Möglichkeit<br />
der Überprüfung <strong>von</strong> Grundannahmen und der<br />
Reversibilität. Gegenüber früheren Umsiedlungen<br />
haben sich die Planungs- und sozialen Techniken<br />
der Umsiedlung verbessert. Umsiedlerinnen und<br />
Umsiedler fühlen sich zunehmend besser informiert<br />
und beraten. Die Entschädigungen kommen dem<br />
Postulat neu für alt ein deutliches Stück näher. Die<br />
Beteiligung an der Planung - insbesondere mit Planungswerkstätten<br />
- und die Beteiligung an der<br />
Grundstücksvormerkung werden grundsätzlich akzeptiert.<br />
Anerkannt wird das Engagement der Vereine<br />
<strong>zur</strong> Stärkung der Orte und ihrer Gemeinschaften.<br />
Anerkannt wird das Engagement der Kirchen<br />
um eine Zukunftsperspektive der Region.<br />
Kritisiert wird <strong>von</strong> Umsiedlerinnen und Umsiedlern<br />
in Otzenrath/Spenrath und Holz die Landespolitik<br />
mit unterschiedlichen Aussagen zu den Rahmenbedingungen<br />
der Umsiedlung, mit der fehlenden<br />
Einlösung <strong>von</strong> Versprechen - zum Beispiel zum<br />
Ombudsmann - und wegen der fehlenden Präsenz<br />
vor Ort. Kritik gilt auch der Gemeinde und dem Beteiligungsverfahren,<br />
das nach Auffassung der Betroffenen<br />
nicht die Mehrheit der Umsiedlergemeinschaft<br />
berücksichtigt. Kritisiert wird die un<strong>zur</strong>eichende<br />
Sorge um die Erhaltung der Infrastruktur<br />
am alten Ort. Das Fehlen einer fachübergreifenden,<br />
integrierenden Beratung wird angemahnt.<br />
Harte Kritik gilt dem Verfahren der Standortwahl<br />
und der un<strong>zur</strong>eichenden Berücksichtigung der<br />
Wünsche der Umsiedlerinnen und Umsiedler. Der<br />
Zeitraum der Beschäftigung mit der Umsiedlungsproblematik<br />
scheint ihnen zu lang, obwohl - oder<br />
weil - sie sich ständig unter Zeitdruck gesetzt fühlen.<br />
Unterschiedliche Interpretationen des Zeitpunkts<br />
der Erteilung des Umsiedlerstatus haben<br />
Abwanderungen begünstigt, und damit das Ziel einer<br />
gemeinsamen Umsiedlung gefährdet. Mit der<br />
erklärten Position, daß eine Umsiedlung auch ohne<br />
Tagbau vorstellbar sei, ist für viele der Sinn und die<br />
Akzeptanz einer Umsiedlung in Frage gestellt. Damit<br />
wird auch das Fehlen einer offenen Diskussion<br />
<strong>zur</strong> Überprüfung der Rahmenbedingungen des Tagebaus<br />
moniert.<br />
Empfohlen wird eine zeitnahe Überprüfung der<br />
Grundannahmen, nicht zuletzt, um Planungssicherheit<br />
- für den Bergbautreibenden und auch für<br />
die Umsiedlergemeinschaft - zu gewinnen. Die<br />
Gemeinde sollte in Zusammenarbeit mit Rheinbraun<br />
ein Konzept für die Nutzung leerstehender<br />
Gebäude erarbeiten, das auch jungen Familien aus<br />
dem Dorf und Existenzgründern eine Chance gibt.<br />
Informationen sind zeitnah, bezogen auch auf einzelne<br />
soziale Gruppen zu vermitteln. Die Beratungen<br />
sollten um fachspezifische - zum Beispiel psychologische<br />
- Beratungen auch außerhalb der Gemeinde<br />
ergänzt werden, nicht zuletzt um Ängste<br />
im Verfahren, besonders vor den Entschädigungsverhandlungen,<br />
abzubauen.<br />
Abzubauen ist auch das Mißtrauen der Umsiedlerinnen<br />
und Umsiedler, daß die Gemeinde im Zweifelsfall<br />
eine Kommunalverträglichkeit höher bewertet<br />
als die Sozialverträglichkeit. Die Gremien der<br />
Bürgerbeteiligung sollten so gebildet werden, daß<br />
möglichst alle Gruppen der Umsiedlergemeinschaft<br />
sich vertreten fühlen. Weiterhin zu verbessern sind<br />
die Sicherheiten für die Mieter, sich an der gemeinsamen<br />
Umsiedlung beteiligen zu können. Die Angebote<br />
für Landwirte, auch am neuen Ort wohnen<br />
zu können, sind ebenso zu verbessern wie die Angebote<br />
für Gewerbe und Dienstleistungen zugunsten<br />
dorftypischer Mischungen. Das Zusammenspiel<br />
<strong>von</strong> Umsiedlungsbeauftragten auf Landesebene,<br />
lokalem Beratungsbüro und sozialem Monitoring<br />
in der Gemeinde und einer auf Distanz angesiedelten<br />
Begleitforschung erscheint als sinnvoller<br />
Beitrag <strong>zur</strong> Sicherung einer Sozialverträglichkeit.
28 6. Konkretisierung der Kriterien<br />
6. Konkretisierung der<br />
Kriterien<br />
In den folgenden Abschnitten wird jedes der Kriterien<br />
<strong>zur</strong> Beurteilung der Sozialverträglichkeit erläutert.<br />
Auf die Frage, wieweit diese Kriterien in der<br />
Praxis der vergangenen zehn Jahre akzeptiert und<br />
umgesetzt werden konnten, ergeben sich Schlußfolgerungen<br />
sowohl hinsichtlich der Bewertung der<br />
Sozialverträglichkeit des aktuellen Umsiedlungsgeschehens<br />
als auch einer Aktualisierung der damaligen<br />
Kriterien.<br />
Jeder Abschnitt beginnt mit dem Ergebnis der Neuformulierung<br />
des jeweiligen Kriteriums. Bis zum<br />
zehnten Kriterium stimmt die Reihenfolge mit dem<br />
Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 überein. Auch<br />
die sprachliche Darstellung in der Gegenwartsform,<br />
die erreichte Ziele beschreibt, wird fortgeschrieben.<br />
Weiterentwicklungen der ersten zehn Kriterien sowie<br />
die Neuformulierungen des elften und des<br />
zwölften Kriteriums werden durch Fettdruck hervorgehoben.<br />
1. Demokratische Legitimation<br />
Der Eingriff ist nicht willkürlich oder allein im<br />
betriebswirtschaftlichen Interesse des Bergbautreibenden<br />
begründet, sondern eine zwingende<br />
energiepolitische Notwendigkeit. Auch<br />
Umfang und Zeitpunkt sind begründet, glaubwürdig,<br />
einsichtig und nachvollziehbar und<br />
gelten daher als zumutbar. Für diese Gewißheit<br />
haben eine breite Information der Betroffenen<br />
und eine offene energiepolitische Entscheidungsfindung<br />
unter Beteiligung der Betroffenen<br />
gesorgt.<br />
Die Fragen <strong>von</strong> demokratischer Legitimation, Reversibilität<br />
und Planungssicherheit in der Braunkohleplanung<br />
berühren weniger die Gestaltung <strong>von</strong><br />
Umsiedlungen im engeren Sinn. Sie gehören vielmehr<br />
zu den Rahmenbedingungen für sozialverträgliche<br />
Umsiedlungen, die in viele Einzelheiten<br />
des praktischen Umsiedlungsgeschehens hineinwirken.<br />
Heute kann man eindeutig da<strong>von</strong> ausgehen, daß<br />
das gegenwärtige Verfahren einer verfassungrechtlichen<br />
Überprüfung ohne weiteres standhält. Danach<br />
wird die Entscheidung, ob ein neuer Tagebau<br />
bzw. ein Anschlußtagebau aufgeschlossen wird<br />
oder nicht, weitgehend <strong>von</strong> der Landesregierung<br />
vorgeprägt. Den sogenannten Leitentscheidungen<br />
der Landesregierung <strong>zur</strong> Braunkohlenpolitik kommt<br />
dabei eine herausragende Bedeutung zu.<br />
In gewisser Hinsicht stellte die Konzentration der<br />
öffentlichen Auseinandersetzung auf verfassungsrechtliche<br />
Fragen eine thematische Einengung dar.<br />
Die Anregungen des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />
1990 zu Fragen einer Verfahrensbeteiligung<br />
der Betroffenen im landespolitischen Entscheidungsprozeß<br />
wurden nur am Rande aufgegriffen.<br />
Nach wie vor gilt, daß eine förmliche Beteiligung<br />
der Betroffenen erst im Braunkohlenplanverfahren<br />
vorgesehen ist. Zu diesem Zeitpunkt sind jedoch<br />
die landespolitischen Grundsatzentscheidungen<br />
längst gefallen. Die Sozialverträglichkeitsprüfung in<br />
diesem Verfahren hat vor allem die Aufgabe, konkrete<br />
Ziele und Maßnahmen für eine möglichst sozialverträgliche<br />
Durchführung <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />
festzulegen. Die Frage, ob ein Tagebau energiepolitisch<br />
erwünscht ist oder nicht, ist zu diesem Zeitpunkt<br />
weitgehend entschieden.<br />
Die Information der Betroffenen durch die Landespolitik<br />
ist ebenfalls nicht wesentlich verbessert<br />
worden. Außerhalb des förmlichen Braunkohlenplanverfahrens<br />
mit seinen Beteiligungsgeboten erfahren<br />
die Betroffenen wesentliche Entscheidungen,<br />
etwa die Leitentscheidungen der Landesregierung<br />
oder die mit Spannung erwartete Erteilung der<br />
wasserrechtlichen Erlaubnis, aus allgemeinen<br />
Pressemitteilungen. In Anbetracht der unmittelbaren<br />
und umfassenden Bedeutung solcher Entscheidungen<br />
für die persönliche Lebensplanung ist<br />
nur eine persönliche Benachrichtigung durch Anschreiben<br />
angemessen. Diese muß damit verbunden<br />
werden, daß ein ortsnaher Ansprechpartner<br />
benannt wird, der für Nachfragen und weitere Information<br />
<strong>zur</strong> Verfügung steht. Dies kann eine der<br />
Aufgaben eines Umsiedlungsbeauftragten sein. Die<br />
Gemeinde muß solche markanten Punkte im Entscheidungsprozeß<br />
durch ein entsprechendes Beratungsangebot<br />
für die persönlichen Planungen begleiten.<br />
Ein grundsätzlicher Hinweis des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />
1990 konnte nicht in die Praxis<br />
umgesetzt werden. Akzeptanz, d.h. die grundsätzliche<br />
Einsicht, daß ein Tagebauvorhaben zweifellos<br />
einem übergeordneten Interesse der Allgemeinheit<br />
dient und entsprechende Opfer verlangt werden<br />
können, wird dort als unabdingbare Voraussetzung<br />
dafür genannt, daß die vorgeschlagen Maßnahmen<br />
<strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit ihre Wirkung entfalten können.<br />
Im sozialen Anforderungsprofil, das der<br />
Braunkohlenausschuß <strong>zur</strong> Konkretisierung <strong>von</strong> Sozialverträglichkeit<br />
beschlossen hat, ist dieser Gesichtspunkt<br />
nicht erwähnt. Im Falle <strong>von</strong> Garzweiler<br />
II ist bei vielen ein tiefer Zweifel darüber geblieben,<br />
ob der geplante und genehmigte Tagebau tatsächlich<br />
mehr Nutzen als Schaden für die Allgemeinheit<br />
bringen wird.
6. Konkretisierung der Kriterien 29<br />
Die gerichtliche Bewertung <strong>von</strong> Verfahrensfragen<br />
der Braunkohlenplanung hat manches <strong>zur</strong> Klärung<br />
des Binnenverhältnisses zwischen Landtag, Landesregierung<br />
und Braunkohlenausschuß beigetragen.<br />
Die angekündigten Verfahrensreformen sind<br />
durchweg zu begrüßen. Diese Bemühungen aber<br />
können die Betroffenen offensichtlich nicht überzeugen,<br />
was darauf verweist, daß die 1990 in Gesprächen<br />
mit Betroffenen oft geäußerten Zweifel an<br />
der demokratischen Legitimation der Verfahren tatsächlich<br />
weniger die formalen Verfahren als vielmehr<br />
sachlich-inhaltliche Fragen auf indirekte Weise<br />
thematisierten.<br />
Eine Akzeptanz des Umsiedlungsgeschehens setzt<br />
neben der gegebenen Legitimation auch die Information<br />
und Beteiligung am Braunkohlenplanverfahren<br />
voraus. Ohne sachlich - inhaltliche Akzeptanz<br />
ist eine Sozialverträglichkeit nicht gegeben.<br />
2. Reversibilität und Planungssicherheit<br />
Es ist sichergestellt, daß die naturgemäß<br />
langfristigen Braunkohlenpläne revidiert werden<br />
können, wenn sich die Grundannahmen<br />
ändern. Jeweils zu Beginn der Umsiedlungsplanungen<br />
ist durch zeitnahen Nachweis sichergestellt,<br />
daß die Umsiedlungen tatsächlich<br />
unvermeidlich sind. Nach dieser Überprüfung<br />
hat jede Umsiedlerin und jeder<br />
Umsiedler ein Recht auf Umsiedlung im<br />
angegebenen Zeitraum. Planungssicherheit<br />
ist für alle Beteiligten gegeben.<br />
Das Kriterium Reversibilität stellt nicht in Frage,<br />
daß Braunkohlenplanungen naturgemäß langfristig<br />
angelegt sind und Braunkohlenabbau, wie auch<br />
Umsiedlungen nur vor dem Hintergrund verläßlicher<br />
Rahmenbedingungen realisiert werden können.<br />
Aber es mahnt an, daß auch nach Verabschiedung<br />
eines auf mehrere Jahrzehnte angelegten<br />
Braunkohlenplanes Zeitpunkte markiert werden<br />
sollten, an denen in einer erneuten politischen<br />
Auseinandersetzung die Planungen überprüft und<br />
gegebenenfalls verändert werden können, ohne<br />
damit untragbare Regreßforderungen des<br />
Bergbautreibenden zu begründen. In diesem Sinne<br />
ist die Reversibilität <strong>von</strong> Braunkohlenplänen seit<br />
1989 Bestandteil des Landesplanungsgesetzes:<br />
§ 35 Überprüfung und Änderung. Der Braunkohlenplan<br />
muß überprüft und erforderlichenfalls geändert<br />
werden, wenn die Grundannahmen für den<br />
Braunkohlenplan sich wesentlich ändern. Die Änderung<br />
erfolgt in dem Verfahren, das für seine Aufstellung<br />
gilt; ... (zit. nach Landesplanungsgesetz in<br />
der Fassung vom 29.6.1994).<br />
Die Erfahrungen mit Garzweiler II zeigen, daß zentrale<br />
Annahmen des Sozialverträglichkeitsgutachtens<br />
1990 nicht mehr ohne weiteres vorausgesetzt<br />
werden können. Die Gutachter waren da<strong>von</strong><br />
ausgegangen, daß durch eine offene Abstimmung<br />
im Landtag die Grundsatzentscheidung über<br />
ein Tagebauvorhaben getroffen wird. Die anschließenden<br />
Genehmigungsverfahren würden diese<br />
Grundsatzentscheidung ausfüllen und umsetzen,<br />
nicht aber grundsätzlich in Frage stellen. Damit wäre<br />
ein verbindlicher Handlungsrahmen für alle Beteiligten<br />
gesetzt gewesen einschließlich der Regeln,<br />
nach denen die Grundannahmen überprüft<br />
werden können. Dieser Rahmen erst eröffnet die<br />
Spielräume für die selbstbestimmte und gemeinschaftliche<br />
Mitwirkung der Betroffenen an der Gestaltung<br />
der Umsiedlungen.<br />
In dem Maße, wie in der öffentlichen Diskussion<br />
deutlich wird, daß jeder noch ausstehende fachgesetzliche<br />
Genehmigungsakt prinzipiell auch die<br />
Möglichkeit der Nicht-Genehmigung beinhaltet,<br />
bleibt die Selbstorganisation der Betroffenen einschließlich<br />
der betroffenen Gemeinden in einem<br />
merkwürdigen Schwebezustand. Was immer sie<br />
unternehmen oder unterlassen, es wird ihnen fast<br />
zwangsläufig als vorschnelle Parteinahme und Opportunismus<br />
oder als Querulantentum und Don<br />
Quichotterie ausgelegt. Selbstvertrauen und Zuversicht<br />
in die eigenen Fähigkeiten, die anstehenden<br />
Aufgaben gemeinschaftlich zu bewältigen,<br />
kann sich da kaum entwickeln. Vielmehr prägt sich<br />
die Erfahrung ein, ohnmächtiges letztes Glied in<br />
einer langen Kette <strong>von</strong> Abhängigkeiten zu sein.<br />
Auf diese Weise hat sich in den letzten Jahren der<br />
Eindruck durchgesetzt, die Entscheidung über die<br />
Realisierung eines Tagebauvorhabens sei nicht<br />
durch eine im Kern rationale und öffentlich nachvollziehbare<br />
Abwägung <strong>von</strong> Interessen und Gemeinwohl<br />
in demokratisch legitimierten Gremien<br />
erfolgt. Es sieht vielmehr so aus, als sei sie durch<br />
ein schwer durchschaubares Geflecht <strong>von</strong> vielen<br />
Einzelhandlungen, individuellen Rechten, materiellen<br />
Interessen und strategisch eingesetzten Verfahren<br />
entweder nur machtvoll durchzusetzen oder<br />
heroisch zu verhindern.<br />
Hinzu kommt schließlich noch die Erwägung, daß –<br />
trotz der Versicherung, Vereinbarungen einzuhalten<br />
– der Bergbautreibende selbst beziehungsweise<br />
das RWE ihre Interessen angesichts unabsehbarer<br />
Entwicklungen, vor allem aus Gründen veränderter<br />
Rentabilitätsbedingungen verändern<br />
könnten.<br />
Die sozialverträgliche Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />
aber braucht einen durch eindeutige Entscheidungen<br />
für eine hinreichende Frist befriedeten
30 6. Konkretisierung der Kriterien<br />
Handlungsspielraum. Planungssicherheit ist unverzichtbar,<br />
auch für die Lebensplanungen der einzelnen<br />
Umsiedlerinnen und Umsiedler.<br />
3. Prävention<br />
Da schon die Erwägung eines Braunkohlentagebaus<br />
nachhaltige Schäden in den betroffenen<br />
Gemeinschaften hervorruft, sind bereits<br />
zu diesem Zeitpunkt ausgleichende Maßnahmen<br />
ergriffen worden, die <strong>zur</strong> Abwehr der<br />
Frühwirkungen sowie <strong>zur</strong> Stärkung der Orte<br />
und der örtlichen Gemeinschaften geeignet<br />
sind, nicht zuletzt, um für die später akute Krisensituation<br />
eine möglichst stabile Ausgangssituation<br />
zu schaffen. Diese Maßnahmen beziehen<br />
sich auch auf den sozialen Zusammenhalt<br />
der Orte. Die Stärkung der Ortschaften<br />
behält auch dann ihren Sinn, wenn der<br />
erwogene Tagebau schließlich nicht realisiert<br />
wird.<br />
Das Kriterium Prävention hat zum Ziel, die Lebensqualität<br />
in den alten Orten so lange wie möglich<br />
zu erhalten. Dabei sind deutlich zwei Zeitabschnitte<br />
zu unterscheiden: der Zeitraum zwischen<br />
Genehmigung eines Braunkohlenplanes und Beginn<br />
der gemeinsamen Umsiedlung und die Zeitspanne<br />
der eigentlichen Umsiedlung bis zum letzten<br />
Auszug aus dem alten Ort. In den Fallstudien<br />
wird deutlich, daß der Erhalt <strong>von</strong> Lebens- und<br />
Wohnqualität und die Stärkung der dörflichen Gemeinschaft<br />
auch in der eigentlichen Umsiedlungsphase<br />
so weit wie möglich durch gezielte Maßnahmen<br />
gestützt werden müssen:<br />
�� Maßnahmen <strong>zur</strong> Stabilisierung der Orte durch<br />
normale öffentliche und private Investitionen<br />
und <strong>zur</strong> Stärkung der Dorfgemeinschaft in ihrer<br />
Auseinandersetzung mit dem Abbauvorhaben<br />
sind unverzichtbar,<br />
�� deutliche Investitionssignale <strong>von</strong> Seiten der<br />
Gemeinden, die Betroffene ermutigen, ihrerseits<br />
im Ort engagiert zu bleiben, sind auch im<br />
laufenden Umsiedlungsvorhaben fortzusetzen.<br />
Es wird empfohlen, die Sozialplanung und die Gemeinwesenarbeit<br />
in den betroffenen Dörfern wesentlich<br />
zu verstärken. Die Altorte sind durch die<br />
Fluktuation der Einwohner in ihrer sozialen Zusammensetzung<br />
und hinsichtlich ihres sozialen Zusammenhalts<br />
ebenso stark gefährdet wie hinsichtlich<br />
ihrer Bausubstanz, des Erscheinungsbildes ihrer<br />
Häuser und ihrer Infrastruktur. Auch in dieser<br />
Hinsicht müssen erhebliche Anstrengungen unternommen<br />
werden.<br />
Handwerk und Einzelhandel haben in den alten Orten<br />
stark gelitten. Für lokale Unternehmen, die<br />
nicht nur für die Versorgung der Bevölkerung, sondern<br />
auch für die soziale Kommunikation wichtig<br />
sind, sollte verstärkt eine Existenzsicherung unterstützt<br />
werden.<br />
Die örtliche Gemeinschaft wird gestützt durch das<br />
Vereinswesen und durch die Kirchen. Sie leisten in<br />
Otzenrath/Spenrath und Holz <strong>zur</strong> Zeit soziale<br />
Schwerstarbeit, um die Erosion der Dorfgemeinschaft<br />
zu verhindern, obwohl sie sich gleichzeitig<br />
auf ihre zukünftige Aufgabenstellung in den neuen<br />
Orten vorbereiten müssen. Der Arbeitskreis <strong>zur</strong> Erhaltung<br />
des Dorfes greift die bestehenden Probleme<br />
auf und versucht, das Ortsbild solange wie<br />
möglich zu erhalten und zu pflegen. Diese bürgerschaftlichen<br />
und kirchlichen Aktivitäten sollten gefördert<br />
und verstärkt werden.<br />
Maßnahmen zum möglichst langen Erhalt der Lebensqualität<br />
in den alten Orten können dort ansetzen,<br />
wo vorzeitige Wegzüge zum Beispiel mit Hilfe<br />
<strong>von</strong> Beratungsgesprächen oder durch die Bereitstellung<br />
<strong>von</strong> Wohnungen für Familienmitglieder abgewendet<br />
werden können.<br />
Ziel einer Erhaltung der sozialen Qualität des Dorflebens<br />
ist es, die Entmutigung <strong>von</strong> Bewohnern zu<br />
verhindern. In diesem Zusammenhang ist eine begleitende<br />
Gemeinwesenarbeit in einem wesentlich<br />
stärkeren Umfang als bisher zu unterstützen.<br />
Eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen ist<br />
ohne soziale und bauliche Pflege des alten Ortes<br />
nicht gegeben.<br />
4. Erwerb <strong>von</strong> Kompetenz<br />
Für die Umsiedler besteht ein Netz <strong>von</strong> Beratungsangeboten,<br />
dessen Umfang und Organisation<br />
ihre fachkundige und umfassende Beratung<br />
in allen rechtlichen, planerischen,<br />
technischen und finanziellen Fragen gewährleistet.<br />
Das Angebot umfaßt auch die psychische<br />
und soziale Beratung des Einzelnen und<br />
der örtlichen Gemeinschaften. Neben der Einzelfallberatung<br />
auf Anfrage wird eine aktivierende<br />
und begleitende Beratung praktiziert.<br />
Ziel und Leitlinie der Beratungsarbeit ist die<br />
Befähigung aller Umsiedler, die Umsiedlungsaufgabe<br />
in individueller und gemeinschaftlicher<br />
Selbstbestimmung zu bewältigen. Das<br />
Beratungsbüro erhält eine Vermittlungsaufgabe<br />
zwischen allen beteiligten Akteuren<br />
auf der kommunalen Ebene. Auf Landesebene<br />
wird die Beratungs- und Vermittlungsfunktion<br />
<strong>von</strong> einem Umsiedlungsbeaufragten<br />
wahrgenommen.
6. Konkretisierung der Kriterien 31<br />
Das Kriterium Erwerb <strong>von</strong> Kompetenz aus dem<br />
Sozialverträglichkeitsgutachten 1990 hebt die Bedeutung<br />
eines Netzes <strong>von</strong> Beratungsangeboten<br />
hervor, dessen Umfang und Organisation die fachkundige<br />
und umfassende Beratung in allen rechtlichen,<br />
planerischen, technischen und finanziellen<br />
Fragen gewährleistet. Das Angebot sollte auch die<br />
psychische und soziale Beratung des Einzelnen<br />
und der örtlichen Gemeinschaft umfassen. Die<br />
Bürgerbeteiligung im gesamten Umsiedlungsprozeß<br />
wird als eine Grundbedingung für Sozialverträglichkeit<br />
betrachtet. Als wichtiger Realisierungsschritt<br />
wird in diesem Zusammenhang ein Umsiedlerberatungsbüro<br />
empfohlen, in dem professionelle<br />
Berater unterschiedlicher Disziplinen als Team zusammenarbeiten.<br />
Die Schwierigkeit für die Umsiedlerin und den Umsiedler,<br />
sich im Umsiedlungsgeschehen zu orientieren<br />
und eine Handlungsposition zu finden, hat seit<br />
1990 zugenommen, insbesondere weil die Unsicherheiten<br />
bei der Umsetzung des Braunkohlenplans<br />
heute noch größer erscheinen. Umso wichtiger<br />
sind für die Umsiedler deshalb Information und<br />
Beratung geworden. Zugleich erhält die Frage, ob<br />
die Bürger weiterhin zu gemeinschaftlichem Handeln<br />
bereit und in der Lage sind, wachsende Bedeutung.<br />
Durch die im Vorfeld der Umsiedlung einsetzende<br />
Fluktuation entsteht in den Orten in einer ohnehin<br />
angespannten Situation die Notwendigkeit, sich mit<br />
neuen, teilweise kulturell fremden Nachbarn zu arrangieren.<br />
Neuansiedlungen sollten durch einen<br />
beratende und betreuende Gemeinwesenarbeit<br />
begleitet und auf Anraten des vor Ort arbeitenden<br />
Fachpersonals begrenzt werden.<br />
Vorgeschlagen wird auf Bezirks- oder Landesebene<br />
ein Umsiedlungsbeauftragter und auf der kommunalen<br />
Ebene ein Umsiedlerberatungsbüro. Der<br />
Umsiedlungsbeauftragte wird als neutraler Dritter in<br />
horizontaler und vertikaler Richtung vermittelnd<br />
zwischen den Behörden und Institutionen tätig.<br />
Vertikal übernimmt er vor allem die Aufgabe, die<br />
Interessen der Gemeinde und der Umsiedler zu<br />
formulieren und möglichst authentisch und zeitnah<br />
in die Entscheidungsprozesse auf der Bezirks-<br />
oder Landesebene einzubringen. Horizontal muß<br />
er auch über die Verhältnisse in den Orten informiert<br />
sein und bei den Umsiedlern Vertrauen genießen,<br />
also häufig präsent sein.<br />
In den Umsiedlungsorten sollten Fachleute verschiedener<br />
Disziplinen (zum Beispiel ein Raumplaner,<br />
ein Jurist/Betriebswirt, ein Gemeinwesenarbeiter)<br />
zusammen arbeiten und eine fachliche (planerische,<br />
juristische, finanzielle, technische) und allgemeine<br />
soziale Beratung anbieten. In diesem Bü-<br />
ro ist mit einer Sonderrolle auch der Vermittler angesiedelt,<br />
der insbesondere bei Konfliktsituationen<br />
eingreifen kann und, wie der Umsiedlungsbeauftragte<br />
auf der Bezirks- oder Landesebene, den<br />
Fortgang des Verfahrens verfolgt und unterstützt.<br />
Beide Rollenträger sollten nicht den Weisungen einer<br />
beteiligten Behörde unterliegen und nicht <strong>von</strong><br />
Rheinbraun abhängig sein. Sie sollten das Teilnahme-<br />
und Rederecht in den einschlägigen Entscheidungsgremien<br />
haben. Vom Beratungsbüro ist<br />
auch das soziale Monitoring durchzuführen.<br />
Bei der Ausgestaltung des Beratungsbüros sollte<br />
auf einladende Räume geachtet werden. Hier sollten<br />
alle Informationen, die mit der Umsiedlung zu<br />
tun haben, auch zum Selbststudium bereit liegen.<br />
Fachkräfte sollten hier ohne lange Anmeldezeiten<br />
<strong>zur</strong> Verfügung stehen. Sie müssen nicht nur fachlich<br />
versiert, sondern auch geschult sein, auf die<br />
Bedürfnisse <strong>von</strong> Umsiedlerinnen und Umsiedlern<br />
einzugehen und als Team zu arbeiten. Das Beratungsbüro<br />
sollte gleichzeitig die Gehstruktur der<br />
Beratung realisieren, das heißt systematisch auch<br />
Haushalte ansprechen, die vermutlich Schwierigkeiten<br />
haben und sonst nicht erreichbar sind. Dies<br />
gilt insbesondere bei der Vorbereitung zu den Entschädigungsverhandlungen.<br />
Die umfassende, querschnittsorientierte Aufgabenstellung<br />
des Beratungsbüros schließt nicht aus,<br />
daß bestimmte Aufgaben ausgelagert werden, zum<br />
Beispiel psychologische Beratungen in entsprechende<br />
Arztpraxen. Das Büro ersetzt nicht die Bürgerbeteiligung<br />
<strong>zur</strong> Gestaltungsplanung mit den<br />
Umsiedlern, die der Planer durchführt. Die Betreuungsarbeit<br />
der evangelischen Kirche, die für ältere<br />
Bürger durchgeführt wird, sollte mit dem Büro vernetzt<br />
werden.<br />
Integrierende Beratung vor Ort und unabhängige<br />
Vermittlung auf Landes- und regionaler Ebene sind<br />
unverzichtbare Bestandteile einer Sozialverträglichkeit<br />
<strong>von</strong> Umsiedlungen.<br />
5. Materielle Sicherung<br />
Neben der Entschädigung der Umsiedler nach<br />
Recht und Gesetz stehen allen Umsiedlern<br />
zusätzliche Leistungen des Bergbautreibenden<br />
zu, sei es als Antwort auf ihre immateriellen<br />
Verluste, sei es als Anerkennung ihrer<br />
Umsiedlungsleistung. Art und Umfang der zusätzlichen<br />
Leistungen sind mit dem Land<br />
Nordrhein-Westfalen und dem Bergbautreibenden<br />
vertraglich vereinbart. Die Einhaltung<br />
der Vereinbarungen wird routinemäßig<br />
überprüft. Für alle Umsiedlungsortschaften<br />
wird als Bestandteil materieller Sicherung die<br />
gemeinsame Umsiedlung angeboten. Jeder
32 6. Konkretisierung der Kriterien<br />
Umsiedler, auch jeder Mieter in einem Umsiedlerort<br />
hat die reale Chance, an den gemeinsamen<br />
neuen Ort ziehen zu können.<br />
Das Sozialverträglichkeitskriterium Materielle Sicherung<br />
umfaßt mehr als die Entschädigungsfragen<br />
im engeren Sinn. Dennoch sind naturgemäß<br />
die Entschädigungsleistungen des Bergbautreibenden<br />
das wesentliche Fundament der materiellen<br />
Voraussetzungen für sozialverträgliche<br />
Umsiedlungen. Sie gründen nicht allein auf der<br />
nach <strong>Bund</strong>esberggesetz vorgeschriebenen<br />
Entschädigung vorhandener Vermögenswerte,<br />
sondern umfassen auch die Bemühungen,<br />
immaterielle Verluste auszugleichen und die<br />
besonderen Leistungen der Umsiedler<br />
anzuerkennen.<br />
Eigentümer<br />
Die derzeitige Praxis, die für die unmittelbar anstehenden<br />
Umsiedlungen die explizite Zusage umfaßt,<br />
95% aller Anwesen könnten allein aus der Entschädigungssumme<br />
einschließlich der Zusatzleistungen<br />
und Nebenentschädigungen einen vergleichbaren<br />
Neubau wieder errichtet, kann als eine<br />
weitgehende Erfüllung der Forderung neu für alt<br />
angesehen werden. Grundlegende Alternativen <strong>zur</strong><br />
derzeitigen Praxis scheinen wenig erfolgversprechend.<br />
Es ist jedoch im Detail anhand einer repräsentativen<br />
Auswahl <strong>von</strong> abgeschlossenen Entschädigungsfällen<br />
zu prüfen, welche Konsequenzen eine<br />
Entschädigung nach Sachwert anstelle <strong>von</strong> Orientierung<br />
am Sachwert für Ein- und Zweifamilienhäuser<br />
nach sich ziehen würde. Soweit im Rahmen<br />
dieses <strong>Gutachten</strong>s abschätzbar, würde eine solche<br />
Regelung im Vergleich <strong>zur</strong> heutigen Praxis eine<br />
deutliche Verbesserung für die Besitzer aufwendiger<br />
und unkonventioneller Häuser im obersten<br />
Marktsegment bedeuten, während für die übrigen<br />
Fälle nur wenig Änderungen im Ergebnis, aber erheblich<br />
mehr Sicherheit in den Verhandlungen zu<br />
erwarten wäre. Dem Aspekt <strong>von</strong> Sicherheit und<br />
Transparenz ist unter Sozialverträglichkeitsgesichtspunkten<br />
ein hoher Wert beizumessen.<br />
Dem vielfach geäußerten Wunsch nach mehr Sicherheit<br />
und Transparenz im Verhandlungsverlauf<br />
und in den Ergebnissen kann nicht allein durch<br />
neue gesetzliche Regelungen entsprochen werden.<br />
Denn diese können naturgemäß wieder nur Grundsätze<br />
angeben, die dann weiterhin in Einzelverhandlungen<br />
auf den Einzelfall zu beziehen wären.<br />
Dem Bedürfnis nach Transparenz steht das Bedürfnis<br />
nach Schutz der persönlichen Verhältnisse<br />
vor öffentlicher Einsichtnahme entgegen. Transparenz<br />
wird daher nur in Ausnahmefällen durch Öffentlichkeit<br />
hergestellt. Wir möchten an die Stelle<br />
des Begriffs Transparenz den des Vertrauens setzen.<br />
Die Empfehlung zielt darauf ab, die Grundlage zu<br />
verbreitern, auf der jeder Umsiedler vertrauen<br />
kann, daß er<br />
- in bezug auf seine persönlichen Erfordernisse,<br />
- im Vergleich zu den anderen Umsiedlern und<br />
- in seinen Rechten gegenüber Rheinbraun<br />
ein gerechtes Ergebnis in den Verhandlungen erzielt<br />
hat. Vertrauen hat im wesentlichen vier Grundlagen.<br />
• Abgesicherte Rechte<br />
Die Rechtsansprüche und vergleichbar abgesicherte<br />
Rechte der Umsiedler sind oben ausführlich dargestellt.<br />
Der rechtsverbindliche Charakter <strong>von</strong> Absichtserklärungen<br />
und Zielvereinbarungen in öffentlich-rechtlichen<br />
Verträgen sollte in der Öffentlichkeit<br />
deutlicher vermittelt werden.<br />
Es ist seitens der Landesregierung anhand einer<br />
repräsentativen Zahl <strong>von</strong> Fällen zu prüfen, welche<br />
Konsequenzen bei einer Änderung der Entschädigungsgrundsätze<br />
<strong>von</strong> Orientierung am Sachwert zu<br />
Entschädigung nach Sachwert zu erwarten sind.<br />
Es ist dann abzuwägen, ob diesbezüglich eine<br />
neue vertragliche Regelung zwischen dem Bergbautreibenden<br />
und dem Land abzuschließen ist.<br />
• Information und Beratung<br />
Alle verantwortlichen Stellen haben die Aufgabe<br />
akzeptiert und umfangreich wahrgenommen, mit<br />
ihren je eigenen Möglichkeiten die Umsiedler über<br />
ihre Entschädigungsansprüche und die damit verbundenen<br />
Verfahren zu informieren. Allgemeine<br />
Informationsveranstaltungen und Broschüren aber<br />
klären noch nicht die vielfältigen Fragen des<br />
Einzelfalls.<br />
Die Checkliste des Regierungspräsidenten, die mit<br />
der Umsiedlerfibel allen Umsiedlern zugeschickt<br />
wird, ist ein guter erster Leitfaden, um die persönlichen<br />
Verhandlungen vorzubereiten. An dem Punkt<br />
sollte aber auch die individuelle Beratung einsetzen.<br />
Es ist zu empfehlen, daß Umsiedler, bevor sie<br />
in Verhandlung mit Rheinbraun treten, ihre Verhandlungsvorbereitung<br />
mit einem erfahrenen Dritten<br />
durchsprechen. Es ist zu empfehlen, daß die<br />
Gemeinde dafür sorgt, daß ein solcher erfahrener<br />
Dritter kostenlos hinzugezogen werden kann. Jeder<br />
weitere Verfahrensschritt kann mit dieser Vertrauensperson<br />
durchgesprochen werden. Als<br />
designierter Entschädigungsberater sollte er<br />
entweder in einer vorangegangenen Umsiedlung
6. Konkretisierung der Kriterien 33<br />
in einer vorangegangenen Umsiedlung an mehreren<br />
Verhandlungen teilgenommen, oder eine repräsentative<br />
Anzahl <strong>von</strong> abgeschlossenen Fällen<br />
aus den Akten nachvollzogen haben. Dieser Dritte<br />
ist selbstverständlich <strong>zur</strong> Verschwiegenheit verpflichtet.<br />
Auf seinen Überblick über eine Vielzahl<br />
<strong>von</strong> Verfahren aber kann der Umsiedler stillschweigend<br />
vertrauen.<br />
Die in der Jüchen-Erklärung eingeräumte Möglichkeit,<br />
kostenlos ein zweites Wertgutachten einzuholen,<br />
stärkt das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der<br />
Verhandlungsgrundlage.<br />
Die Beratungskostenpauschale muß erst dann eingesetzt<br />
werden, wenn es zu nachhaltigen Meinungsverschiedenheiten<br />
mit dem Bergbauunternehmen<br />
kommt.<br />
• Kontrolle<br />
Es stärkt das Vertrauen in das Verhandlungsverfahren,<br />
wenn das Ergebnis notfalls auch überprüft<br />
werden kann. Aufgrund der zahlreichen Sondervereinbarungen<br />
für Umsiedlungen schlagen wir<br />
vor, bei einer staatlichen Stelle eine repräsentative<br />
Fallsammlung anzulegen, die analog zu einem<br />
Kreisgutachterausschuß die Angemessenheit eines<br />
Kaufpreises überprüfen kann, wenn der Verkäufer<br />
darüber im Zweifel ist.<br />
Die kritische Öffentlichkeit, die in Sachen Braunkohlentagebau<br />
allgemein und Umsiedlungen im<br />
besonderen zu verzeichnen ist, bietet eine wirksame<br />
indirekte Kontrolle. Auch wenn gewöhnlich keine<br />
Einzelfälle in der Öffentlichkeit verhandelt werden,<br />
fänden berechtigte Beschwerden relativ leicht<br />
öffentliches Gehör.<br />
• Gute Erfahrungen in der Vergangenheit<br />
Skandale fehlgeschlagener Entschädigungsverhandlungen<br />
sind äußerst selten. Selbst die Auffanglinien<br />
für schwierige Fälle, die Rheinbraun-<br />
Darlehen, werden nur selten in Anspruch genommen,<br />
die Härteausgleichsstelle wird noch seltener<br />
angerufen. Die Neubauten in den Umsiedlungsgebieten<br />
zeigen durchweg einen guten bis hohen<br />
Baustandard. Allem Anschein nach können die<br />
Umsiedler auf eine gute Entschädigungspraxis vertrauen.<br />
Mieter<br />
Die allgemeinen Grundsätze <strong>zur</strong> Sicherung der<br />
Teilnahme <strong>von</strong> Mietern an der gemeinsamen Umsiedlung<br />
sind nach den Erfahrungen der Gemeinde<br />
Inden hinreichend, um quantitativ einen vollständigen<br />
Ersatz der aufzugebenden Mietwohnungen<br />
einschließlich der mittelfristigen Sicherung eines<br />
niedrigen Mietniveaus bei einer großen Anzahl <strong>von</strong><br />
Wohnungen zu gewährleisten. Die explizite Kopplung<br />
der Räumungsfrist an die Verfügbarkeit der<br />
gewünschten Ersatzwohnung schafft eindeutigere<br />
Rahmenbedingungen für die Gestaltung des Überlassungsverhältnisses.<br />
Es ist zu empfehlen, in die Räumungserklärung einen<br />
Passus über angemessene Instandhaltungsverpflichtungen<br />
im Rahmen des Überlassungsverhältnisses<br />
aufzunehmen, da dieses sich in der Regel<br />
über mehrere Jahre erstreckt.<br />
Die Vergabe <strong>von</strong> zinsgünstigen Rheinbraun-<br />
Darlehen an Mieter, die selber bauen wollen, hängt<br />
derzeit ab <strong>von</strong> der Entscheidung des Eigentümers<br />
der Mietwohnung am alten Ort, ob er neue Mietwohnungen<br />
errichten und dafür möglicherweise<br />
ebenfalls ein Rheinbraun-Darlehen beantragen<br />
wird. Auch wenn dies eine zeitlich befristete Unsicherheit<br />
des Mieters bedeutet, der nicht weiß, ob er<br />
mit einem Darlehen rechnen kann oder nicht, plädieren<br />
wir dafür, diese Regelung beizubehalten.<br />
Andernfalls würde entweder das vorrangige Ziel,<br />
preisgünstige Mietwohnungen am Umsiedlungsstandort<br />
bereitzustellen, zugunsten <strong>von</strong> Eigentumsförderung<br />
<strong>zur</strong>ückgestellt, oder Rheinbraun müßte<br />
im Zweifelsfall in bezug auf ein und dieselbe Wohnung<br />
zinsgünstige Darlehen für die Errichtung <strong>von</strong><br />
zwei neuen Wohnungen gewähren. Wir befürworten<br />
die Regelung der Jüchen-Erklärung, die explizit<br />
vorsieht, diese Fragen im Dreieck zwischen Rheinbraun,<br />
Vermieter und Mieter vor Vertragsabschluß<br />
verbindlich zu klären. Wir halten Einzelfalllösungen<br />
für denkbar, bei denen Ansprüche <strong>von</strong> Mietern und<br />
Vermietern aus zwei verschiedenen Immobilien untereinander<br />
vermittelt werden, so daß jeder zu seiner<br />
passenden Lösung gelangt.<br />
Die Nachrangigkeit der Interessen des Mieters gegenüber<br />
den Ansprüchen des Vermieters an<br />
Rheinbraun bezieht sich heute schon regelmäßig<br />
nur auf die Vergabe <strong>von</strong> Rheinbraun-Darlehen.<br />
Rheinbraun versichert, daß die Vergabe <strong>von</strong><br />
Grundstücken an Mieter völlig unabhängig da<strong>von</strong><br />
ist, ob der alte Vermieter neue Mietwohnungen zu<br />
errichten beabsichtigt oder nicht.<br />
Da die Möglichkeiten der Mieter, ihre Umsiedlung<br />
zu gestalten, mittlerweile recht vielfältig geworden<br />
sind, empfiehlt sich auch für sie die Inanspruchnahme<br />
eines Beraters – weniger wegen etwaiger<br />
Konflikte mit dem Bergbauunternehmen als vielmehr<br />
<strong>zur</strong> Vorbereitung der Gespräche mit ihm und<br />
dem Vermieter, zum Abklären der persönlichen<br />
Vorstellungen und Möglichkeiten und als Absicherung<br />
dafür, in voller Kenntnis der Rechte und<br />
Pflichten als Umsiedler seine Entscheidungen zu<br />
treffen. Wie auch für Eigentümer bietet ein solcher
34 6. Konkretisierung der Kriterien<br />
Rheinbraun-unabhängiger Berater eine einfache<br />
und wirksame Kontrolle über die Einhaltung <strong>von</strong><br />
Standards und die Gleichbehandlung aller Umsiedler.<br />
Materielle Sicherung, abgesicherte Rechte, Information<br />
und Beratung, die Möglichkeit der Überprüfung<br />
und das Vertrauen dank guter Erfahrungen<br />
sind für Eigentümer und Mieter Grundlagen der<br />
Sozialverträglichkeit.<br />
6. Partizipation<br />
Vorbereitung und Durchführung der Umsiedlungen<br />
lassen Raum für persönliche und gemeinschaftliche<br />
Verantwortung, Entscheidung<br />
und Mitbestimmung der Umsiedler. Für die<br />
Zeit der Planung und Durchführung <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />
besitzen die Umsiedler geregelte<br />
Beteiligungsrechte an den sie betreffenden<br />
Entscheidungen. Die Entscheidungssituationen<br />
sind beteiligungsfreundlich gestaltet.<br />
Die Mitwirkung der Betroffenen an der Sozialverträglichkeitsprüfung<br />
ist zwar nicht vorgeschrieben,<br />
kann aber innerhalb der bestehenden gesetzlichen<br />
Regelungen praktiziert werden. Die Definition der<br />
zu bearbeitenden Themen und die Frage, welche<br />
Indikatoren bei der Sozialverträglichkeitsprüfung<br />
Verwendung finden, sollte zusammen mit der Bezirksregierung,<br />
der Gemeinde und auch bereits mit<br />
den Bürgern vorgenommen werden.<br />
Schon vor dem Beginn des formellen Verfahrens<br />
<strong>zur</strong> Aufstellung eines Braunkohlenplans gibt es in<br />
der Region Vermutungen, Sorgen und öffentliche<br />
Diskussionen über ein mögliches Abbauvorhaben.<br />
Die ersten Beteiligungsschritte im Verfahren sollten<br />
auf diese Vorgeschichte Rücksicht nehmen, weil<br />
sich schon hier Einstellungen herausgebildet haben<br />
und Initiativen entstanden sind. Die Ausgrenzung<br />
<strong>von</strong> Vorhabengegnern aus dem Entscheidungsprozeß<br />
ist bereits bei Beginn des Verfahrens<br />
zu vermeiden.<br />
Erörterungen im Braunkohlenverfahren sollten, um<br />
Konfliktsituationen wie bei der Veranstaltung in Erkelenz<br />
nicht noch zu verhärten, nicht allein als<br />
Großveranstaltungen abgehalten werden. Anregungen<br />
und Bedenken können thematisch sortiert,<br />
in Arbeitskreisen oder an Runden Tischen themenzentriert<br />
erörtert und erst dann in einer abschließenden<br />
Veranstaltung zusammengefaßt werden.<br />
In bisherigen Planungsverfahren wurden Erfahrungen<br />
mit unterschiedlichen Formen der Auswahl <strong>von</strong><br />
Standortalternativen für den Umsiedlungsort gesammelt.<br />
Eine wesentliche Rolle dabei spielte die<br />
Befragung der Bürger. Charakteristisch für Standortdebatten<br />
und Standortbefragungen war, daß sie<br />
gleichzeitig mehrere Funktionen erfüllten. Die Befragung<br />
diente dazu, die Standortpräferenzen der<br />
Umsiedler zu klären, die benötigte Flächengröße<br />
für den neuen Ort zu ermitteln und gleichzeitig den<br />
Standortfindungsprozeß mit einer Abstimmung zu<br />
einem Abschluß zu bringen.<br />
Aus Sicht der Bürger spielen bei der vergleichenden<br />
Beurteilung <strong>von</strong> Standortalternativen Gesichtspunkte<br />
wie zum Beispiel die Möglichkeit, den<br />
alten Ort und seine Lebensverhältnisse als sozialräumliche<br />
Einheit am neuen Standort wiederzufinden,<br />
die landschaftliche Lage oder die Zugehörigkeit<br />
zum alten Gemeindeverband eine Rolle. Diese<br />
in den fachlichen Standortanalysen meist unvollständig<br />
in rationale Standortargumente übersetzten<br />
Bürgeranliegen würden in der Befragung berücksichtigt,<br />
in der – nach einer vorausgehenden öffentlichen<br />
Information und Diskussion – Alternativen<br />
<strong>zur</strong> Wahl stünden. In einer abschließenden Abstimmung<br />
sollten nicht mehr als zwei realisierbare<br />
Standortalternativen <strong>zur</strong> Wahl stehen.<br />
Ein Nachteil des Zeitpunktes und der Funktion der<br />
Befragung im bisherigen Verfahren ist, daß die<br />
Bürger zu einem relativ frühen Zeitpunkt ihren<br />
Grundstücksbedarf anmelden sollten. Entsprechend<br />
konnten die Befragungsergebnisse nicht<br />
mehr als ein Anhaltspunkt für die Planung sein,<br />
weil Umsiedler sich später anders entschieden, als<br />
sie sich bei der Befragung geäußert hatten.<br />
Es wird deshalb vorgeschlagen, daß die Bürger<br />
zunächst nur über ihre Präferenzen hinsichtlich der<br />
Standortalternativen befragt werden, während die<br />
erforderliche Flächengröße des Umsiedlungsstandortes<br />
nicht in dieser Befragung ermittelt wird,<br />
sondern über Erfahrungs- bzw. Richtwerte erfolgt.<br />
Die Ermittlung <strong>von</strong> genauen Flächengrößen kann<br />
dann in einem zweiten Schritt zusammen mit der<br />
Grundstücksvormerkung stattfinden. Diese Befragung<br />
kann auch Aspekte der städtebaulichen und<br />
baulichen Gestaltung einbeziehen.<br />
Soziale Phänomene werden im Umzugsgeschehen<br />
häufig nur bruchstückhaft wahrgenommen und in<br />
den Planungsprozeß vermittelt. Sie sollten systematischer<br />
mit sozialen Methoden ausgewertet<br />
werden und damit als verläßliche Erfahrungsbasis<br />
für die Beurteilung <strong>von</strong> Gestaltungsalternativen <strong>zur</strong><br />
Verfügung stehen. So sind zwar Nachbarschaften<br />
erfolgreich baulich berücksichtigt oder ein Stück<br />
Dorfgeschichte durch Erinnerungsstücke aus dem<br />
alten Ort an den neuen Ort hinüber gerettet worden.<br />
Milieuelemente wie Ecken als Treffpunkte<br />
<strong>von</strong> Jugendlichen, der Tabak- und Zeitungsladen<br />
als Kommunikationszentrum, die soziale Funktion
6. Konkretisierung der Kriterien 35<br />
der Dorfstraße als sonntägliche Promenade könnten<br />
nach sorgfältiger Analyse <strong>von</strong> Ideen der betreffenden<br />
Gruppen und mit Unterstützung durch Sozialplaner<br />
oder Gemeinwesenarbeiter im neuen Ort<br />
wieder eine neue räumliche Gelegenheit erhalten.<br />
Nicht nur die Sicherung der formalen Beteiligungsrechte,<br />
sondern auch die offene Gestaltung <strong>von</strong><br />
Beteiligungsmöglichkeiten im Umsiedlungsprozeß<br />
– vor allem bei der Standortwahl, bei der städtebaulichen<br />
Planung und bei der Grundstückswahl –<br />
ist Voraussetzung für eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong><br />
Umsiedlungen.<br />
7. Differenzierte Zeitplanung<br />
Der Zeitraum für die eigentliche Umsiedlung<br />
aus dem alten Ort ist auf vier bis sechs Jahre<br />
begrenzt. Dies ist auch die Dauer der gemeinsamen<br />
Umsiedlung. Dieser Zeitraum ist<br />
erforderlich, um Entscheidungen auf der<br />
Grundlage bestmöglicher Information zu<br />
treffen und schmerzliche Phasen wie den<br />
Umzug, das Leben in verlassenen oder unfertigen<br />
Orten so kurz wie möglich zu halten.<br />
Der Zeitraum ist in gemeinschaftlich abgestimmte<br />
Umzugsphasen gegliedert, die eine<br />
Integration der Umsiedlungen in die unterschiedlichen<br />
Lebensphasen und den jeweiligen<br />
Familienzyklus ermöglichen. Durch abschnittsweise<br />
Erschließung des Umsiedlungsstandortes<br />
besteht die Möglichkeit, für die<br />
einzelnen Umsiedlergruppen die Belastungen<br />
eines Lebens auf der Baustelle auf einen relativ<br />
kurzen Zeitraum zu beschränken.<br />
Das Kriterium hat aufgrund der Fallstudien, die diesem<br />
<strong>Gutachten</strong> zugrunde liegen, eine noch höhere<br />
Bedeutung erlangt, muß jetzt aber auch eine andere<br />
Interpretation erfahren.<br />
Nicht verändert haben sich die Situationsbedingungen,<br />
unter denen die Umsiedler<br />
handeln müssen. Betroffene haben so gut wie keinen<br />
Einfluß auf die Zeitplanung, die <strong>von</strong> politischen<br />
Entscheidungen und wirtschaftlichen Erwägungen<br />
des Bergbautreibenden bestimmt wird. Dagegen<br />
wird den Betroffenen abverlangt, ihre Lebensplanung<br />
auf die Umsiedlung einzustellen. Damit regieren<br />
Tagespolitik und wirtschaftliche Erwägungen<br />
in die Strukturen des Alltags hinein und blockieren<br />
Selbsthilfekräfte und Anpassungsfähigkeiten der<br />
betroffenen Menschen.<br />
Im Hinblick auf die Sozialverträglichkeit erscheint<br />
die Gesamtdauer der Umsiedlung als der eigentlich<br />
wichtige Zeitrahmen, wobei <strong>von</strong> den Betroffenen<br />
schon die Vorgänge im Vorfeld einer Umsiedlung<br />
bis zum Einleben am neuen Ort zu diesem Zeit-<br />
raum gerechnet werden (für Otzenrath/Spenrath<br />
und Holz zumindest 25 Jahre). Aus der Sicht der<br />
Umsiedler dauert der gesamte Einschnitt in ihr Leben<br />
also wesentlich länger als die formell veranschlagten<br />
15 Jahre. Vor diesem Hintergrund soll<br />
nach Meinung verschiedener Befragter zumindest<br />
die Zeitphase der eigentlichen Umsiedlung verkürzt<br />
werden. Dies ist die Zeitphase, in der die Belastungen<br />
für die Umsiedler besonders groß sind, weil sie<br />
sich um die Gestaltung der Verhältnisse am alten<br />
und am neuen Ort gleichzeitig kümmern müssen.<br />
Als eigentliche Umsiedlung ist der Zeitraum <strong>von</strong><br />
der Verfügbarkeit baureifer Grundstücke an bis<br />
zum endgültigen Umzug der letzten Familien aus<br />
dem alten Ort, und damit der Aufgabe dieses Ortes,<br />
anzusehen. Den Umsiedlern, die eine Umsiedlung<br />
hinter sich haben, erschien häufig besonders<br />
dieser Zeitraum als zu lang. Ein Zeitraum <strong>von</strong> vier<br />
bis sechs Jahren – entsprechend der Größe des<br />
Umsiedlungsortes – scheint für diese Umsiedlungsphase<br />
angemessen. Trotzdem sollte man die<br />
Jahre, die der Orientierung dienen, nicht als starres<br />
Gerüst auffassen. Die Betroffenen sind der Meinung,<br />
daß für die gründliche Information, Diskussion<br />
und Mitwirkung an der Standortwahl und an der<br />
Gestaltung des neuen Ortes nicht weniger Zeit <strong>zur</strong><br />
Verfügung stehen sollte.<br />
Sobald die Bedingungen geklärt sind, sollte ein rascher<br />
Neubau und Umzug erfolgen. Der Zeitraum<br />
für die eigentliche Umsiedlung vom Zeitpunkt der<br />
Verfügbarkeit baureifer Grundstücke bis <strong>zur</strong> Aufgabe<br />
des alten Ortes sollte nicht länger als vier bis<br />
sechs Jahre betragen.<br />
Viele Umsiedler leben derzeit in der doppelten Erwartung<br />
– mit Hoffnungen und Befürchtungen zugleich.<br />
In dieser gespaltenen Situation finden sich<br />
diejenigen, die sich z.B. für Grundstücke am neuen<br />
Ort vormerken und doch gleichzeitig gegen die<br />
Umsiedlung kämpfen. Andere können solche Widersprüche<br />
in ihrem Leben psychisch nicht ertragen.<br />
Sie halten die ihnen abverlangte Doppelbödigkeit<br />
– sich gleichzeitig mit ihrem alten Ort<br />
zu identifizieren und sich doch gegen ihn zu entscheiden,<br />
indem sie sich an der Grundstücksvormerkung<br />
beteiligen oder ein Wertgutachten anfertigen<br />
lassen - für moralisch unvereinbar und<br />
schwer zu ertragen. Konsequent treffen sie also<br />
keine Vorbereitungen für einen Umzug, geraten<br />
dadurch mit fortschreitender Zeit unter immer größeren<br />
Druck und in eine Minderheitenposition. Einen<br />
Ausweg aus dieser Situation bietet ein Umzug<br />
in eine andere Region.<br />
Viele Befragte in Otzenrath und Spenrath schildern<br />
die Schwierigkeit, in die sie durch das lange Warten<br />
auf klare Entscheidungen der Politik und des
36 6. Konkretisierung der Kriterien<br />
Bergbauunternehmens für oder gegen die Weiterführung<br />
des Abbauvorhabens Garzweiler II geraten.<br />
Damit zusammenhängend wird die Notwendigkeit<br />
der Umsiedlung immer wieder in Frage gestellt,<br />
was dazu führt, daß das Verfahren der<br />
Braunkohlenplanung den Betroffen keine eindeutige<br />
Planungssicherheit mehr vermittelt.<br />
Die Planrealisierung läuft dem formellen Entscheidungsverfahren<br />
voraus; es entsteht der Eindruck<br />
<strong>von</strong> erzeugter Hast zu Lasten der Mitwirkungsmöglichkeiten<br />
der Betroffenen. Im Umsiedlungsprozeß<br />
Otzenrath/ Spenrath und Holz folgen<br />
auch weitere Schritte diesem Muster: Grundstücksvormerkungen<br />
für Grundstücke am neuen<br />
Ort finden statt und Wertgutachten für die alten<br />
Anwesen werden erstellt, sogar der Spatenstich für<br />
den neuen Ort erfolgt, obwohl der Bebauungsplan<br />
für die neue Ortslage noch nicht rechtskräftig ist,<br />
rechtlich relevante Einwände der Bürger noch nicht<br />
ausgeräumt sind. Juristisch gesehen mögen diese<br />
zeitlichen Überschneidungen <strong>von</strong> Realisierungsphasen<br />
hinnehmbar sein. In der Alltagswahrnehmung<br />
vieler Betroffener sind sie dennoch<br />
nicht akzeptabel. Es entsteht der Eindruck, daß<br />
aus strategischen Gesichtspunkten Entscheidungen<br />
mit großer Eile getroffen werden<br />
(Standortwahl, vorsorgliche Bauleitplanung, Wertgutachten,<br />
Vormerkung, erster Spatenstich).<br />
Ziel einer differenzierten Zeitplanung muß es dagegen<br />
sein, den Umsiedlern genügend Zeit zu geben,<br />
Entscheidungen auf der Grundlage bestmöglicher<br />
Information zu treffen, um dann schmerzliche<br />
Phasen wie den Umzug und das Leben in sterbenden<br />
bzw. unfertigen Orten so kurz wie möglich zu<br />
halten.<br />
Aus diesen Erörterungen resultiert die Empfehlung,<br />
die verschiedenen Phasen des Verfahrens klarer<br />
zu trennen. In der Phase der Standortsuche darf<br />
nicht bereits ein parzellenscharfer Bebauungsplan<br />
erarbeitet werden; vor Genehmigung des Braunkohlenplans<br />
findet keine Planung für den neuen<br />
Standort statt; vor Beschluß des Bebauungsplanes<br />
finden keine Grundstücksvormerkungen statt.<br />
Der Braunkohlenausschuß sollte zukünftig über die<br />
gegenwärtig gültige gesetzliche Regelung hinaus<br />
zu einem Zeitpunkt, an dem die Grundannahmen<br />
des Braunkohlenplans <strong>von</strong> den Hauptakteuren offensichtlich<br />
selbst in Zweifel gezogen werden, eine<br />
Fortschreibung des Plans durchführen. Unter veränderten<br />
Bedingungen könnte erneut eine klare<br />
Verantwortlichkeit hergestellt und ein neuer Zeitplan<br />
vorgegeben werden. Der Schwebezustand, in<br />
dem sich die Umsiedler befinden, kann durch einen<br />
klaren Zeithorizont erneut begrenzt werden.<br />
Von Fall zu Fall ist zu entscheiden, ob die Standortwahl<br />
im Rahmen der Erarbeitung des Braunkohlenplans<br />
stattfinden soll, oder auch für die kurzfristig<br />
(innerhalb <strong>von</strong> fünfzehn Jahren) vorgesehenen<br />
Umsiedlungen erst nach Genehmigung des Braunkohlenplans<br />
als sachlicher Teilplan gesondert erarbeitet<br />
wird. Die erste Lösung hat den Vorteil, daß<br />
alle genehmigungsrelevanten Fragen in einem Verfahren<br />
entschieden werden und auch die Betroffenen<br />
alle ihre Anliegen direkt einbringen können.<br />
Die zweite Lösung hat den Vorteil, daß die<br />
Betroffenen sich nicht verbindlich auf Umsiedlungsperspektiven<br />
einlassen müssen, bevor nicht<br />
das Tagebauvorhaben genehmigt ist. Welcher Variante<br />
der Vorzug zu geben ist, hängt nicht zuletzt<br />
<strong>von</strong> der grundsätzlichen Akzeptanz des Vorhabens<br />
in der Bevölkerung ab.<br />
Eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen erscheint<br />
möglich, wenn nach einem transparent gegliederten<br />
Verfahren die Phase der eigentlichen<br />
Umsiedlung verkürzt wird mit dem Ziel, den Zeitraum<br />
doppelter Belastungen für Umsiedler und Gemeinde<br />
– die Gestaltung der Verhältnisse am alten<br />
und am neuen Ort – auf vier bis sechs Jahre zu begrenzen.<br />
8. Differenzierte Angebotsplanung<br />
Da nicht jeder Umsiedlerhaushalt willens oder<br />
in der Lage ist, die neue Wohnung in eigener<br />
Regie zu erstellen, wird am Umsiedlungsort<br />
ein Wohnungsangebot bereitgestellt, das<br />
mindestens Kaufeigenheime, Altenwohnungen,<br />
Mehrgenerationenhäuser und<br />
dörflich angepaßte Mietwohnungen umfaßt<br />
und in Größe und Ausstattung unmittelbar auf<br />
die Bedürfnisse der einzelnen Umsiedler Bezug<br />
nimmt. Über das differenzierte Wohnungsangebot<br />
hinaus gibt es Parzellen,<br />
die für die Aufnahme dorftypischer Nutzungen<br />
geeignet sind, vor allem für Kleingewerbe<br />
und für landwirtschaftlichen Nebenerwerb.<br />
Dorftypische Nutzungsmischung<br />
ist auch am neuen Ort<br />
möglich.<br />
An den Ansprüchen an einen neuen Ort hat sich im<br />
Laufe der Jahre wenig geändert: er soll auf der einen<br />
Seite die Identität der Dorfgemeinschaft ausweisen,<br />
auf der anderen Seite den Umsiedlerinnen<br />
und Umsiedlern möglichst viel Raum für Individualität<br />
lassen. Im Grunde soll der neue Ort<br />
möglichst so aussehen wie der alte, auch wenn<br />
das Wohnen allen Ansprüchen an modernen Komfort<br />
genügen soll. Nicht nur die an den alten Ort erinnernden<br />
Grundrißstrukturen und einprägsamen<br />
Gestaltungselemente sollen übernommen werden,<br />
sondern auch möglichst alle dorftypischen Nutzun-
6. Konkretisierung der Kriterien 37<br />
gen. Wenn die Dorfgemeinschaft nicht nur aus Eigentümern<br />
und Mietern, sondern auch aus Gewerbetreibenden,<br />
Landwirten und ihren Beschäftigten<br />
besteht, so sollen sie sich – trotz doppelter Belastung<br />
aus allgemeinen strukturellen Veränderungen<br />
und besonderen Problemen angesichts der<br />
Betriebsverlagerung und einer unter Umständen<br />
un<strong>zur</strong>eichenden Tragfähigkeit am neuen Ort –<br />
nach einer gemeinsamen Umsiedlung alle in ihren<br />
vertrauten Strukturen am neuen Ort wiederfinden<br />
können.<br />
Wenn der Erhalt der baulichen Nutzungen, der sozialen<br />
Zusammensetzung und der wirtschaftlichen<br />
Strukturen im Vordergrund der Wünsche <strong>von</strong> Umsiedlerinnen<br />
und Umsiedlern stehen, so ist die Frage<br />
zu erörtern, mit welchen Mitteln eine vorausschauende<br />
Planung diesen Ansprüchen möglichst<br />
nahe kommen kann.<br />
Das Leitbild der Nutzungsmischung wird nicht nur<br />
für Umsiedlungsstandorte, sondern auch allgemein<br />
für dörfliche und städtische Strukturen eingefordert.<br />
Mit einer Nutzungsmischung können Bewohner ihre<br />
Alltagsaktivitäten verknüpfen und damit Wege<br />
zwischen Arbeiten, Einkaufen, Freizeit und Wohnen<br />
verringern – damit können Kosten und Zeit<br />
eingespart werden. Der kurze Weg <strong>von</strong> der Wohnung<br />
zum Bäcker, <strong>zur</strong> Kirche wird vor allem <strong>von</strong><br />
jenen Umsiedlerinnen und Umsiedlern als wichtiger<br />
Beitrag <strong>zur</strong> Lebensqualität geschätzt, die an ihrem<br />
neuen Standort lange Wege – wie in Neu-Etzweiler<br />
– <strong>zur</strong>ücklegen müssen.<br />
Mit der Nutzungsmischung kann ein Angebot auch<br />
für ein anderes Leitbild realisiert werden - mit kurzen<br />
Wegen kann eine Vermeidung <strong>von</strong> Fahrten,<br />
eine Verringerung <strong>von</strong> Energieverbrauch und<br />
Schadstoffbelastungen erreicht werden.<br />
Dorftypische Nutzungsmischung entsteht nicht <strong>von</strong><br />
selbst. Für den neuen Ort sind erhebliche Anstrengungen<br />
nötig, um mit differenzierten Wohnungsangeboten<br />
eine soziale Mischung, mit städtebaulichen<br />
Konzepten, Be-ratungen und Förderungen<br />
auch wirtschaftliche Strukturen für eine Mischung<br />
<strong>von</strong> Wohnen, Arbeiten, Versorgen und Erholen am<br />
neuen Standort zu sichern.<br />
Eine Umsiedlung kann nicht sozialverträglich sein,<br />
wenn die tragenden Säulen dörflicher Strukturen –<br />
die Landwirtschaft in ihrer wirtschaftlichen und sozialen<br />
Rolle, Gemeinschaftseinrichtungen, dorftypisches<br />
Gewerbe, differenzierte Wohnformen – fehlen.<br />
Ein Beitrag für eine sozialverträgliche Gestaltung<br />
<strong>von</strong> Umsiedlungen ist eine offene Planung,<br />
die alle Formen <strong>von</strong> angemessenen Nutzungsmischungen<br />
ermöglicht. An Planung, Beratung und<br />
politische Gestaltung sind hohe Ansprüche zu stel-<br />
len, wenn eine sozialverträgliche Gestaltung der<br />
Lebensverhältnisse am neuen Ort erreicht werden<br />
soll.<br />
9. Zukunftschancen<br />
Die Planungen für die baulich-räumliche Gestalt<br />
und das soziale Zusammenleben am<br />
neuen Ort eröffnen eine zukunftsweisende<br />
Handlungsorientierung in den Bereichen<br />
Wohnen, Arbeiten und Leben in einer örtlichen<br />
Gemeinschaft. Leitlinie ist die Entwicklung<br />
nachhaltiger Strukturen. Ökologische,<br />
soziale und ökonomische Entwicklungen<br />
des neuen Ortes sind so zu gestalten, daß<br />
die Spielräume auch für alle zukünftigen<br />
Generationen <strong>zur</strong> selbstbestimmten Gestaltung<br />
ihrer Lebensverhältnisse offen<br />
bleiben. Nicht die Rekonstruktion überkommener<br />
Strukturen hat die erste Priorität, sondern<br />
die Aufnahme gesellschaftlicher Bewegungen<br />
und Tendenzen, die voraussichtlich<br />
die Zukunft in Beruf und Alltag der Umsiedler<br />
bestimmen werden. Mit den Vorbereitungen<br />
dazu wird bereits im alten Dorf begonnen. Sie<br />
konkretisieren sich schon in der Planung für<br />
den Umsiedlungsstandort.<br />
Umsiedler empfinden Tagebau und Umsiedlung als<br />
einen harten, doppelten Schnitt. Auf der einen Seite<br />
bedeutet er den Verlust <strong>von</strong> Vergangenheit, zumindest<br />
den Verlust einer Wohnung, eines Hauses,<br />
eines Ortes, eines Raumes, der in allen Schichten<br />
und Bildern Heimat bedeutet. Auf der anderen Seite<br />
ist er eine große Verunsicherung möglicher Perspektiven,<br />
die sich individuell oder für die Gemeinschaft<br />
des Dorfes eröffnen können.<br />
Zunächst überwiegt der Versuch, Vergangenheit zu<br />
retten: der neue Ort soll wie das alte Dorf aussehen,<br />
mit der gemeinsamen Umsiedlung soll das<br />
Gemeinschaftsleben des alten Ortes auch am neuen<br />
Ort wieder aufleben können. Nach Möglichkeit<br />
sollen allerdings Mängel und Konflikte des alten<br />
Ortes, des Lebens am alten Ort überwunden werden.<br />
Politische Steuerung und Planung einer nachhaltigen<br />
Entwicklung wird sich auf drei Aspekte konzentrieren.<br />
Für ökologische Anliegen muß vorrangig ein anderer<br />
Umgang mit Energie eingefordert werden. Neben<br />
Energieeinsparung ist es hier eine Nutzung<br />
auch <strong>von</strong> anderen Energieformen, die den Anlaß<br />
der Umsiedlung - den Verbrauch <strong>von</strong> Landschaft<br />
und Heimat durch den Tagebau - langfristig überflüssig<br />
machen. Dies schließt eine perspektivisch<br />
wirksamere Verwendung der wertvollen Braun-
38 6. Konkretisierung der Kriterien<br />
kohle mit ein. Angesichts der langfristig kritischen<br />
Grundwasserverhältnisse wird es notwendig sein,<br />
überzeugende Wasserkonzepte auch bei der Gestaltung<br />
der Gebäude und ihres Umfeldes zu berücksichtigen.<br />
Dabei wird auf eine möglichst geringe<br />
Versiegelung <strong>zur</strong> Versickerung des Regenwassers<br />
zu achten sein.<br />
Für eine nachhaltige Entwicklung eines Ortes sind<br />
soziale und kulturelle Anstrengungen erforderlich.<br />
Sie brauchen Orte: Kindergärten und Schulen, die<br />
auch Begegnungsstätten sein können, eine Kirche,<br />
die auch als kultureller Ort benötigt wird, Gemeinschaftseinrichtungen<br />
für Vereine, Aktivitäten der<br />
Dorfgemeinschaft, Angebote für den Sport.<br />
Schließlich muß der öffentliche Raum so gestaltet<br />
sein, daß er alle Formen <strong>von</strong> Aufenthalt und Bewegung,<br />
Kommunikation und Ruhe, Zweckmäßigkeit<br />
und Schönheit ermöglicht.<br />
Nachhaltige Entwicklung braucht wirtschaftliche<br />
Unterstützung. Die Förderung dorftypischen Gewerbes<br />
und der Landwirtschaft – auch in neuen<br />
Formen der Produktion und des Vertriebs – stehen<br />
im Vordergrund, aber auch Angebote für Existenzgründer,<br />
die die Chance der Gestaltung eines<br />
neuen Ortes nutzen. So können zum Beispiel die<br />
Möglichkeiten dezentraler Arbeit genutzt werden,<br />
Wohnen und Arbeiten unter einem Dach gefördert<br />
werden. In der Kooperation <strong>von</strong> Planung und Wirtschaftsförderung,<br />
<strong>von</strong> Hochschulen und nahen<br />
Forschungszentren, <strong>von</strong> Bergbautreibendem und<br />
dem Land können neue Modelle eines wirtschaftlichen<br />
Beitrags <strong>zur</strong> Nachhaltigkeit entwickelt werden.<br />
Wirtschaftlich meint hier auch einen verantwortungsvollen<br />
Umgang mit gegebenen Ressourcen.<br />
Insgesamt geht es um die Gestaltung <strong>von</strong> Lebensverhältnissen,<br />
die der Umsiedlergeneration, aber<br />
auch allen späteren Generationen Spielräume <strong>zur</strong><br />
Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse nach eigenen<br />
Vorstellungen ermöglichen.<br />
Bei der Planung und Gestaltung des Umsiedlungsortes<br />
kann es nicht darum gehen, ein Musterdorf<br />
zu entwickeln, gar experimentellen Wohnungs- und<br />
Städtebau zu betreiben. Es geht vielmehr darum,<br />
einen guten Ort für gute Lebensverhältnisse seiner<br />
Bewohnerinnen und Bewohner zu gestalten. In<br />
diesem Sinne kann das Leitbild einer nachhaltigen<br />
Entwicklung Orientierungen bieten.<br />
Für dieses Leitbild bedarf es erheblicher gemeinsamer<br />
Anstrengungen und planerischer wie auch<br />
vor allem politischer Unterstützung. In Planungs-<br />
wie auch in Zukunftswerkstätten können Leitlinien<br />
für eine nachhaltige Entwicklung erarbeitet werden.<br />
Sie können sich allmählich zu einem Leitbild ver-<br />
dichten, in dem sich die Umsiedlerinnen und Umsiedler<br />
mit ihren Ansprüchen wiederfinden.<br />
Zukunftsfähigkeit heißt auch, Raum für zukünftige<br />
Entwicklungen offen zu lassen. Umsiedlungsstandorte<br />
müssen großzügig dimensioniert werden, in<br />
ihren engeren Grenzen wie auch in den Verflechtungen<br />
zu den Nachbarorten brauchen Umsiedlungsorte<br />
Raum für heute noch nicht abzusehende<br />
Entwicklungen.<br />
Nicht die Gestaltung eines fertigen Umsiedlungsortes<br />
steht im Vordergrund der gemeinsamen Anstrengungen,<br />
sondern auch das Zulassen <strong>von</strong><br />
Fragmentarischem, Unfertigem, Ausbaubarem.<br />
Strukturen des alten Dorfes wie auch Strukturen<br />
zukunftsfähiger Entwicklungen neuer Orte finden<br />
hier ihre gemeinsame Ebene.<br />
Eine sozialverträgliche Gestaltung zukünftiger Lebensverhältnisse<br />
kann nur dann möglich sein,<br />
wenn die zukunftsfähigen Elemente der dörflichen<br />
Strukturen und die für zukünftige Lebensverhältnisse<br />
offenen Strukturen des neuen Ortes eine gemeinsame<br />
Entwicklungslinie finden. Das Leitbild<br />
einer nachhaltigen Entwicklung ist am ehesten geeignet,<br />
langfristige Zukunftschancen zu ermöglichen.<br />
10. Regionale Entwicklungsperspektiven<br />
Die Braunkohlenplanung ist in umfassende alternative<br />
Konzepte <strong>zur</strong> Entwicklung der Region<br />
eingebettet. Damit wird die vom Braunkohlentagebau<br />
verursachte, wirtschaftspolitisch<br />
bedenkliche Monostrukturierung der Region<br />
abgebaut. Ziel ist nicht der Ausgleich<br />
für regionale Schäden, sondern ein Impuls<br />
für regionale Innovationen. Damit ist ein<br />
zeitlicher Vorrang der Förderung <strong>von</strong> integrierten<br />
Projekten in der Braunkohlenregion<br />
verbunden. Die Reversibilität der Braunkohlenpläne<br />
ist auch dadurch abgesichert,<br />
daß bei einem Verzicht auf einen Tagebau<br />
keine Notlage auf dem Arbeitsmarkt entsteht.<br />
Grundbedingung für eine sozialverträgliche<br />
Gestaltung einer Umsiedlung ist das Eröffnen<br />
langfristig gültiger Perspektiven für die Einbettung<br />
des Umsiedlungsstandortes in eine innovative<br />
Entwicklung der Region.<br />
Bisher waren Regionalprogramme eher einer ausgleichenden<br />
Funktion verpflichtet. Im Braunkohlenrevier<br />
galt es, insbesondere die durch den Tagebau<br />
verursachten regionalen Strukturveränderungen<br />
und ihre Folgeschäden in Grenzen zu halten.<br />
Dies kann keine ausreichende Orientierung für<br />
Umsiedler bieten, die nach der individuellen und<br />
gemeinsamen Anstrengung der Umsiedlung eine
6. Konkretisierung der Kriterien 39<br />
Perspektive brauchen, die auch nach der Braunkohle<br />
gültig ist. Statt einer möglichen Gefährdung<br />
durch Monostrukturen auch am neuen Ort muß es<br />
eine Vielzahl regionaler Impulse geben, die – aufbauend<br />
auf der erfolgreichen Bewältigung einer<br />
krisenhaften Situation – die besonderen Potentiale<br />
und Fähigkeiten dieser Region nutzt.<br />
Das Bistum Aachen und die evangelische Kirche<br />
im Rheinland haben 1998 die Initiative zu einer<br />
gemeinsamen Entwicklungskonferenz ergriffen.<br />
Thema einer Auftaktveranstaltung und folgender<br />
Diskussionen ist die Zukunft der Menschen in der<br />
Bördenlandschaft an Erft, Rur und Inde. Im Sinne<br />
der dem kirchlichen Denken vertrauten Kategorie<br />
der Nachhaltigkeit geht es dieser Initiative um die<br />
Schaffung zukunftsfähiger neuer Arbeitsplätze und<br />
um eine Entwicklung, die gleichzeitig ökologische,<br />
soziale und wirtschaftliche Bedingungen berücksichtigt.<br />
In den Beiträgen der Entwicklungskonferenz<br />
wird eine ganzheitliche Sicht des Raums angestrebt,<br />
die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft<br />
gleichzeitig betrachten kann. Netzwerkbeziehungen<br />
der Akteure in der Region und über die<br />
Region hinaus sind zu verstärken. Die räumliche<br />
Identität muß gestärkt, ein gemeinsames Zukunftsvertrauen<br />
neu gebildet werden.<br />
In der Auswertung der positiven Erfahrungen der<br />
IBA EmscherPark hat das Land Nordrhein-<br />
Westfalen sich bereit erklärt, vergleichbare Initiativen<br />
in anderen Regionen zu fördern. Gegenstand<br />
der REGIONALEN ist die gemeinschaftliche Vorbereitung,<br />
Realisierung und Präsentation <strong>von</strong> Projekten,<br />
Ereignissen und Initiativen, die in einer Region<br />
zum Abbau <strong>von</strong> Defiziten wie <strong>zur</strong> Fortentwicklung<br />
ihrer Stärken umgesetzt werden. Ziel ist es, durch<br />
Verknüpfung der Aktivitäten eine regionale Identität<br />
zu fördern und ein für die Region markantes Profil<br />
zu entwickeln. Beiträge <strong>zur</strong> Umsetzung dieser neuen<br />
regionalen Förderung sind freie Budgets, neue<br />
Managementformen wie Entwicklungsagenturen<br />
und eine aktive Beteiligung <strong>von</strong> Bürgerinnen und<br />
Bürgern.<br />
Allgemein gilt es, regionale Profile herauszuarbeiten,<br />
regionale Begabungen zu stärken und damit<br />
auch regionale Defizite zu beheben – unabhängig<br />
<strong>von</strong> staatlichen Fördermitteln. Regionalisierung<br />
muß der Entwicklung innovativer Projekte Vorrang<br />
geben vor einem Vollzug vorhandener Förderprogramme.<br />
Fördermodalitäten und Investitionsrichtlinien müssen<br />
sich nach integrierten Projekten – hier nach<br />
einer Absicherung der Umsiedlung durch ihre Einbettung<br />
in eine zukunftsfähige Region – richten,<br />
nicht die Gestaltung <strong>von</strong> Projekten allein gegebe-<br />
nen Förderbestimmungen und Investitionsrichtlinien<br />
folgen.<br />
Damit kann das Braunkohlenrevier ein offenes,<br />
zielorientiertes Instrument mit breiten Gestaltungsspielräumen<br />
erhalten, um sinnvolle Investitionen in<br />
die Entwicklung regionaler Zukunft zu ermöglichen.<br />
Eine sozialverträgliche Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />
setzt voraus, daß Umsiedlerinnen und Umsiedler<br />
sich an ihrem neuen Lebensmittelpunkt eingebettet<br />
sehen in eine zukunftsfähige Region. Sie<br />
nutzen den Erfahrungsvorsprung der Bewältigung<br />
einer existentiellen Krise, die andere Regionen<br />
noch nicht erfahren haben, und entwickeln aus<br />
dem Bewußtsein dieser Stärke heraus Initiativen<br />
einer Erneuerung der Region. Eine erfolgreiche<br />
Umsiedlung ist ein Baustein für die Innovation der<br />
Region.<br />
11. Gemeinsame Umsiedlung<br />
Die gemeinsame Umsiedlung bietet einen<br />
eindeutig definierten zeitlichen und räumlichen<br />
Rahmen. Darin kann sich gemeinschaftliche<br />
Selbstbestimmung entfalten. Die Leistungen<br />
der öffentlichen Hand und des Bergbautreibenden<br />
können wirksam konzentriert<br />
werden. Es wird sichergestellt, daß nicht nur<br />
Eigentumsansprüche entschädigt werden,<br />
sondern auch ein Ausgleich für den Verlust<br />
eines vielfältigen Gemeinwesens geschaffen<br />
wird. Das Angebot der gemeinsamen Umsiedlung<br />
erhält einen Kernbestand der vertrauten<br />
dörflichen Gemeinschaft als Orientierung für<br />
individuelle Entscheidungen.<br />
Um ihre zentrale Bedeutung für die Sozialverträglichkeit<br />
zu betonen, ist die gemeinsame Umsiedlung<br />
nunmehr ausdrücklich eines der Kriterien <strong>zur</strong><br />
Beurteilung der Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen.<br />
Das Konzept der gemeinsamen Umsiedlung eröffnet<br />
Chancen für Selbstbestimmung in der Gemeinschaft,<br />
die anders nicht geschaffen werden können.<br />
Es bietet einen unverzichtbaren Orientierungsrahmen<br />
für die individuellen Entscheidungsfindungen:<br />
auch nicht mitzuziehen ist eine Entscheidung,<br />
die mit Bezug auf die Möglichkeit, gemeinsam<br />
umsiedeln zu können, gefällt wird. Der<br />
neue Ort stellt zumindest den Versuch dar, einen<br />
Ausgleich für die Vernichtung der Dörfer zu schaffen.<br />
Obwohl ein neuer Ort naturgemäß nicht die<br />
kulturelle Qualität eines alten Dorfes mit seiner<br />
langen Geschichte kompensieren kann, wird doch<br />
ein Rahmen gestaltet. in dem ein neues bauliches,<br />
soziales und kulturelles Gefüge mit eigenem Namen<br />
entstehen kann.
40 6. Konkretisierung der Kriterien<br />
Nach gängiger Überzeugung im Revier wird <strong>von</strong> einer<br />
erfolgreichen gemeinsamen Umsiedlung dann gesprochen,<br />
wenn folgende Kriterien ganz oder in Teilen<br />
erfüllt sind:<br />
- Der größere Teil der Betroffenen ist mitgezogen.<br />
- Der Ortsname bleibt erhalten.<br />
- Die Vereine und die Kirchengemeinden bleiben<br />
erhalten.<br />
- Der neue Ort verfügt über eigene soziale Infrastruktur,<br />
bestehend mindestens aus einem<br />
Bürgerhaus, einer Kirche, einer Gastwirtschaft,<br />
einem Lebensmittelladen, einem Kindergarten,<br />
verallgemeinernd allen nötigen Einrichtungen,<br />
um eine eigene lokale Identität entwickeln zu<br />
können.<br />
- Der neue Ort ist wenigstens in einzelnen Elementen<br />
als Dorf erkennbar.<br />
Wesentlich ist die Erfüllung dieser Kriterien, weniger<br />
die absolute Zahl der Teilnehmer an einer gemeinsamen<br />
Umsiedlung. Der Fall Etzweiler/Gesolei<br />
zeigt jedoch den Zusammenhang <strong>von</strong> quantitativen<br />
und qualitativen Kriterien: abgesehen <strong>von</strong> den Problemen<br />
des nicht integrierten Standorts kann ein<br />
Drittel der früheren Bewohner nicht mehr eine<br />
gleichwertige Infrastruktur auslasten und kein<br />
gleichwertiges Gemeinschaftsleben entwickeln.<br />
Es ist jedoch ein sozial unverträglicher Mißbrauch<br />
eines guten Konzepts, wenn die gemeinsame Umsiedlung<br />
als Druckmittel gegenüber den Betroffenen<br />
eingesetzt wird, um ihre Kooperation zu einem<br />
bestimmten Zeitpunkt zu erzwingen. Vielmehr setzt<br />
in dem Moment, wo die Bürgerinnen und Bürger<br />
aus Protest gegen den Tagebau die Mitwirkung an<br />
der Planung verweigern, die Fürsorgepflicht der<br />
Verantwortlichen ein. Diese schließt auch ein, daß<br />
den Betroffenen zu einem späteren Zeitpunkt erneut<br />
Gelegenheiten <strong>zur</strong> Mit- und Selbstbestimmung<br />
ihrer Angelegenheiten eröffnet werden.<br />
Wegzüge<br />
Von großer Bedeutung ist die klare Einhaltung eines<br />
definierten Zeitraums für die gemeinsame Umsiedlung.<br />
1990 berichteten die Gutachter noch <strong>von</strong><br />
zahlreichen Klagen der Betroffenen, der Bergbautreibende<br />
kaufe nach undurchschaubaren Kriterien<br />
Immobilien schon vor der gemeinsamen Umsiedlung<br />
an. Gerade in der Zeit seien verkaufswillige<br />
Eigentümer in besonderer Abhängigkeit, weil der<br />
freie Markt nicht mehr funktioniere, Rheinbraun<br />
aber nicht in jedem Fall die günstigen Entschädigungsregelungen<br />
anwende.<br />
Der vorzeitige Ankauf <strong>von</strong> Anwesen durch Rheinbraun<br />
war ein steter Streitpunkt im Revier, bei dem<br />
die widersprüchlichen Interessen zwischen denen,<br />
die wegziehen wollen und denen, die bleiben, gegeneinander<br />
standen. Von Kritikern des Tagebaus<br />
wurde Rheinbraun häufig unterstellt, sie kauften<br />
gezielt schon lange vor dem Abbau an, um Fakten<br />
zu schaffen, die Dorfgemeinschaft zu schwächen<br />
und mit den Zwischennutzern die eigenen loyalen<br />
Mitarbeiter in die Orte zu bringen. Aber auch die<br />
Weggezogenen selbst waren, wenn sie sich eigentlich<br />
der Dorfgemeinschaft sehr zugehörig gefühlt<br />
hatten, nicht immer glücklich mit ihrer Entscheidung,<br />
vorzeitig den Ort zu verlassen. Zwischenzeitlich<br />
ist diese Frage sehr viel klarer geregelt und<br />
provoziert erheblich weniger Konflikte.<br />
Über den Ankauf <strong>von</strong> Anwesen vor Beginn der gemeinsamen<br />
Umsiedlung entscheidet seit den<br />
neunziger Jahren eine sogenannte Härtestelle. Im<br />
Einzelfall reicht die Differenz zwischen Verkehrswert<br />
und den deutlich günstigeren Entschädigungsregelungen<br />
im Zusammenhang mit der gemeinsamen<br />
Umsiedlung als Anreiz aus, um mit dem Verkauf<br />
bis zu diesem Zeitpunkt zu warten. Seit Einrichtung<br />
dieser Härtestelle ist die Zahl der durch<br />
Rheinbraun vorzeitig angekauften Anwesen erheblich<br />
<strong>zur</strong>ückgegangen. Dies ist eindeutig zu begrüßen,<br />
denn:<br />
- Es hat sich gezeigt, daß das Vertrauen in die<br />
Entschädigungsleistungen <strong>von</strong> Rheinbraun revierweit<br />
ausreicht, um einen relativ normal<br />
funktionierenden Markt bis kurz vor der gemeinsamen<br />
Umsiedlung aufrecht zu erhalten.<br />
Nur in sehr wenigen Fällen ist ein Ankauf durch<br />
Rheinbraun tatsächlich notwendig.<br />
- Indem Rheinbraun vor Beginn der gemeinsamen<br />
Umsiedlung nicht mehr als die marktüblichen<br />
Preise zahlt, wird der Markt nicht durch<br />
überzogene Preisvorstellungen der Verkäufer<br />
im Vorfeld außer Kraft gesetzt.<br />
- Indem in der Härtestelle nicht nur Rheinbraun,<br />
sondern auch ein Vertreter der Gemeinde und<br />
des Regierungspräsidenten entscheiden, wird<br />
die unmittelbare Abhängigkeit zwischen Verkaufswilligem<br />
und Rheinbraun deutlich reduziert.<br />
- Die auf dem freien Markt verkauften Anwesen<br />
werden wieder <strong>von</strong> Haushalten bezogen, die<br />
im Zusammenhang mit der gemeinsamen Umsiedlung<br />
uneingeschränkt die Rechte <strong>von</strong> Umsiedlern<br />
in Anspruch nehmen können. Sie sind<br />
vollwertige Mitglieder der Dorfgemeinschaft.<br />
Wegzug und Zuzug sind Teil einer normalen<br />
Fluktuation. Damit wird auch dem Konflikt zwi-
6. Konkretisierung der Kriterien 41<br />
schen Wegziehenden und Dableibenden viel<br />
Zündstoff genommen.<br />
- Die Probleme, die im Zusammenhang mit Zwischennutzern<br />
und Leerstand entstehen können,<br />
werden zumindest quantitativ reduziert.<br />
Unseres Erachtens wäre ein Ankauf durch das<br />
Land zu den üblichen Entschädigungsbedingungen<br />
nicht zu befürworten. Abgesehen <strong>von</strong> haushaltsrechtlichen<br />
Schwierigkeiten, einen Kaufpreis<br />
zu begründen, der sich nicht am Verkehrswert<br />
orientiert, ist zu erwarten, daß ein solches<br />
Angebot des Landes das normale Marktgeschehen<br />
in tagebaubetroffenen Ortschaften<br />
vorzeitig zum Erliegen brächte. Allerdings ist zu<br />
empfehlen, daß ein Treuhandfonds eingerichtet<br />
wird, der – nach Klärung der Fälle durch die<br />
Härtestelle – alternativ zu Rheinbraun die Anwesen<br />
zum Verkehrswert erwerben könnte,<br />
wenn der Eigentümer dies wünscht. Nach den<br />
bisherigen Erfahrungen würde dieser Fonds mit<br />
einer begrenzten Finanzausstattung auskommen.<br />
Im zeitlichen Zusammenhang mit der gemeinsamen<br />
Umsiedlung gibt es weitaus weniger finanzielle<br />
Anreize, Umsiedler <strong>zur</strong> Teilnahme zu<br />
bewegen. Der Unterschied bei der Entschädigung<br />
<strong>von</strong> selbstnutzenden Eigentümern liegt im<br />
wesentlichen in den Nebenkosten beim Erwerb<br />
des Ersatzgrundstückes, die Rheinbraun nur<br />
dann übernimmt, wenn sie die Verkäuferin des<br />
Grundstück ist, sowie in der Differenz zwischen<br />
Zeitwert und Neuwert <strong>von</strong> Erschließungs- und<br />
Anschlußkosten bei dem aufzugebenden und<br />
dem neu zu erwerbenden Grundstück.<br />
Für ihre Entscheidung können selbstnutzende<br />
Eigentümer daher relativ frei folgende Vor- und<br />
Nachteile abwägen:<br />
- Verbleib in der vertrauten Gemeinschaft oder<br />
Gestaltung sozialer Beziehungen in einem<br />
neuen Umfeld,<br />
- Reinvestition des gesamten Kaufpreises in eine<br />
Neubaumaßnahme oder Erwerb eines Altbaus<br />
und freie Verfügung über einen Restbetrag<br />
des Kaufpreises,<br />
- Zuzug in ein Neubaugebiet mit voraussichtlich<br />
guter Wohnqualität und der Chance, sich am<br />
Planungsprozeß intensiv zu beteiligen oder<br />
Zuzug in ein vorhandenes Wohngebiet der eigenen<br />
Wahl,<br />
- Teilnahme und Bindung an einen langen Prozeß<br />
gemeinschaftlichen Planens, Bauens und<br />
Einlebens oder individuelle und ungebundene<br />
Entscheidungsfreiheit.<br />
Es wird deutlich, daß es auch viele gute Gründe<br />
geben kann, nicht an der gemeinsamen Umsiedlung<br />
teilzunehmen. Für Mieter bedeutet die Teilnahme<br />
an der gemeinsamen Umsiedlung, vorübergehend<br />
einige Abhängigkeiten in Kauf nehmen zu<br />
müssen. Wollen sie am neuen Standort wieder eine<br />
Mietwohnung beziehen, sind sie abhängig da<strong>von</strong>,<br />
daß jemand sie zum richtigen Zeitpunkt, im<br />
richtigen Zuschnitt baut und zu einem tragbaren<br />
Preis vermietet. Wollen sie am Umsiedlungsstandort<br />
selber bauen, können sie erst nach den Eigentümern<br />
ihr Grundstück aussuchen. Für die Vergabe<br />
eines Rheinbraun-Darlehens müssen zunächst die<br />
Ansprüche des Alteigentümers ihrer alten Wohnung<br />
abgeklärt werden.<br />
Dennoch bestehen auch für Mieter materielle Anreize,<br />
an der gemeinsamen Umsiedlung teilzunehmen.<br />
Die Neubauwohnung ist oft mit erheblichen<br />
Zuschüssen <strong>von</strong> Rheinbraun subventioniert, so<br />
daß das Mietniveau dem im sozialen Wohnungsbau<br />
vergleichbar und über mehrere Jahre stabil ist.<br />
Selbstbauende Mieter schließlich profitieren erheblich<br />
<strong>von</strong> den günstigen Bodenpreisen und ggfs.<br />
auch <strong>von</strong> den zinsgünstigen oder gar zinslosen<br />
Darlehen des Bergbautreibenden. Praktische Verbesserungen<br />
liegen seit der Umsiedlung <strong>von</strong> Inden<br />
und Altdorf vor.<br />
Zwischennutzer<br />
Wenn Rheinbraun ein Anwesen erworben hat, vergehen<br />
in der Regel einige Jahre, bis das Haus tatsächlich<br />
abgerissen wird. Zum möglichst langen<br />
Erhalt eines einigermaßen geschlossenen Ortsbildes<br />
ist dies auch wünschenswert. Rheinbraun bemüht<br />
sich, diese Wohnungen mit neuen Nutzungen<br />
zu belegen, da auch leerstehende Häuser die<br />
Nachbarschaft belasten, zu Plünderungen einladen<br />
und Ungeziefer anlocken. Aber auch die sogenannten<br />
Zwischennutzer erinnern die Dorfbewohner an<br />
die bevorstehende Umsiedlung und den Verlust ihrer<br />
vertrauten Nachbarn. Es ist also damit zu rechnen,<br />
daß Zwischennutzern mit zwiespältigen Gefühlen<br />
begegnet wird.<br />
Immer wieder wird <strong>von</strong> der ansässigen Bevölkerung<br />
der Wunsch geäußert, die frei werdenden<br />
Häuser vorrangig <strong>von</strong> eigenen, dem Dorf verbundenen<br />
Leuten zu belegen, etwa <strong>von</strong> jungen Paaren,<br />
die eine erste gemeinsame Wohnung suchen.<br />
Rheinbraun reagiert auf dieses Ansinnen eher zögerlich.<br />
Das Unternehmen möchte nicht in Konkurrenz<br />
zu den örtlichen Mietwohnungsbesitzern treten,<br />
die vor und während der gemeinsamen Um-
42 6. Konkretisierung der Kriterien<br />
siedlung in größerem Umfang mit Leerständen zu<br />
kämpfen haben.<br />
Die Unterbringung ortsverbundener Haushalte im<br />
Ort dient im optimalen Fall dazu, diese Haushalte<br />
auch für die gemeinsame Umsiedlung zu gewinnen.<br />
Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn<br />
sie auch den vollen Umsiedlerstatus erhalten können.<br />
Die erheblichen Förderungsmöglichkeiten im<br />
Zusammenhang mit der gemeinsamen Umsiedlung<br />
sind darüber hinaus gute Gründe für die Wohnungssuchenden,<br />
für eine Übergangsfrist eine weniger<br />
gute Wohnsituation in Kauf zu nehmen.<br />
Flexibilität<br />
Eine großzügige Bemessung des Umsiedlungsstandortes<br />
und ein flexibler Umgang mit den<br />
Grundstücken am neuen Ort ist notwendig, um<br />
- Mietern die Chance zu geben, selbst zu bauen,<br />
- der nachfolgenden Generation Baugrundstükke<br />
reservieren zu können,<br />
- Zwischennutzer, die sich in die Dorfgemeinschaft<br />
eingelebt haben, mitnehmen zu können,<br />
- Entwicklungsmöglichkeiten nach Abschluß der<br />
gemeinsamen Umsiedlung zu haben und<br />
- typisch dörfliche Elemente wie z.B. Streuobstwiesen,<br />
Gartengrundstücke und ähnliche, wenig<br />
intensiv genutzte Grundstücke übertragen<br />
zu können.<br />
Unter der Bedingung, daß die Flächen freihändig,<br />
das heißt ohne Enteignungsverfahren, erworben<br />
werden können, kommen der Bergbautreibende<br />
und die Gemeinde heute schon diesen Bedürfnissen<br />
ein Stück weit entgegen:<br />
- Rheinbraun vergibt Grundstücke an bauwillige<br />
Mieter,<br />
- Rheinbraun vergibt Grundstücke für Mietwohnungsbau<br />
auch an solche Umsiedler, die im alten<br />
Ort keine Mietwohnungen besaßen,<br />
- Rheinbraun betreibt notfalls selbst Mietwohnungsbau<br />
oder beauftragt einen Bauträger<br />
damit,<br />
- die gemeindliche Bauleitplanung sieht auch<br />
Grundstücke vor, die groß genug sind, um später<br />
geteilt werden zu können.<br />
Außerdem werden die nach Bauleitplanung vorgesehenen<br />
Richtwerte für ökologische Ausgleichsflächen<br />
maximal ausgeschöpft.<br />
Rheinbraun gibt damit deutlich zu erkennen, daß<br />
sie das Recht der Mieter, an der gemeinsamen<br />
Umsiedlung teilzunehmen, genauso hoch schätzt<br />
wie das Recht der Eigentümer. Von der Gemeinde<br />
wird eine erhebliche planerische Phantasie aufgewendet,<br />
um innerhalb der eng gesteckten gesetzlichen<br />
Grenzen Spielraum für Flexibilität zu schaffen.<br />
Auch bei der Vergabe <strong>von</strong> Grundstücken an Mieter<br />
kann Rheinbraun außerhalb der förmlichen Umsiedlungsstandorte<br />
großzügiger und flexibler sein<br />
und die Anforderungen an die Koordination mit<br />
dem ehemaligen Vermieter reduzieren. Diese Praxis<br />
entspricht sehr weitgehend der sozialen Dynamik<br />
im Umsiedlungsgeschehen und hat zu Vielfalt<br />
und Lebendigkeit im neuen Ort beigetragen.<br />
Flexibilität und Großzügigkeit werden erreicht, indem<br />
angrenzend an den Umsiedlungsstandort ein<br />
ergänzendes Baugebiet geplant und erschlossen<br />
wird, in dem Rheinbraun auf freiwilliger, durch öffentliche<br />
Absprache aber auch verbindlicher Basis<br />
für vergleichbare Bedingungen (v.a. Bodenpreise)<br />
sorgt.<br />
Es ist zu empfehlen, daß die entsprechenden Verhandlungen<br />
zwischen der Gemeinde und Rheinbraun<br />
durch die Bezirksplanungsbehörde begleitet<br />
werden, damit der Rückbezug und die Begrenzung<br />
der Planungen und Privilegierungen auf die Belange<br />
der Umsiedlung gewährleistet ist.<br />
Soziale Infrastruktur<br />
Ein zentrales Erfolgskriterium für eine gelungene<br />
gemeinsame Umsiedlung ist der Erhalt des dörflichen<br />
Vereinslebens während der gemeinsamen<br />
Umsiedlung und am neuen Standort. Entsprechend<br />
ihrer großen Bedeutung werden die Vereine und<br />
das Vereinsleben während der gemeinsamen Umsiedlung<br />
auf die vielfältigste Art gefördert. Die besonderen<br />
Belastungen in Gestalt <strong>von</strong> Mitgliederverlusten<br />
durch Wegzug und organisatorische Probleme<br />
bei der Aufspaltung der Dorfgemeinschaft<br />
zwischen altem und neuem Ort werden entweder<br />
durch pauschale, jährlich geleistete Zahlungen <strong>von</strong><br />
Rheinbraun ausgeglichen oder <strong>von</strong> Fall zu Fall<br />
kontinuierlich und unmittelbar bedarfsbezogen bewältigt.<br />
Das normale Unterstützungspaket <strong>von</strong> Rheinbraun<br />
für die Zeit der gemeinsamen Umsiedlung umfaßt<br />
eine Reihe <strong>von</strong> Maßnahmen, mit denen die gleichzeitige<br />
Versorgung <strong>von</strong> altem und neuem Ort sowie<br />
die gemeinsame Nutzung <strong>von</strong> Einrichtungen, die<br />
nur an einem Ort sein können (Kindergarten, Schule,<br />
Kirmes) sehr weitgehend ermöglicht werden.<br />
Bei der Umsiedlung <strong>von</strong> kleinen Läden wird nicht
6. Konkretisierung der Kriterien 43<br />
nur die ökonomische Rentabilität betrachtet, sondern<br />
auch ihre soziale Bedeutung für die alltäglichen<br />
Begegnungsmöglichkeiten im Ort berücksichtigt.<br />
Die Eröffnung <strong>von</strong> wenigstens einer Gastwirtschaft<br />
ist ein unverzichtbares Erfolgskriterium für<br />
eine gemeinsame Umsiedlung. Diese Praxis hat<br />
sich bewährt und sollte beibehalten werden.<br />
Dennoch können alle Bemühungen die Tatsache<br />
nicht außer Kraft setzen, daß die Gemeinschaft am<br />
neuen Ort kleiner ist als am alten und die Umsiedlung<br />
den allenthalben stattfindenden Strukturwandel<br />
im alten Ort zunächst aufhält, am neuen Ort<br />
dann aber beschleunigt. Inden und Altdorf hatten<br />
zusammen genügend eigene Substanz, um am<br />
neuen Standort ein ganz neues und offen der Zukunft<br />
zugewandtes Gemeinwesen entstehen zu<br />
lassen. Etzweiler dagegen hat allein aufgrund seiner<br />
geringen Einwohnerzahl vor allem Verluste an<br />
sozialer Infrastruktur und Eigenständigkeit zu beklagen.<br />
Vor diesem Hintergrund ist zu empfehlen, daß über<br />
die Zusammenlegung <strong>von</strong> Orten im Zuge <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />
unbefangener debattiert wird und Zukunftschancen<br />
realistischer eingeschätzt werden.<br />
Letztlich nutzt es den Betroffenen nicht, wenn alle<br />
Planungen sich an ihrem spontanen Bedürfnis orientieren,<br />
das Alte möglichst unangetastet zu bewahren.<br />
Die Aufgabe ist anspruchsvoller zu formulieren:<br />
Die Planungen dürfen sich den erwartbaren,<br />
in nicht betroffenen Ortschaften beobachteten Entwicklungen<br />
nicht entgegenstellen. Dennoch muß<br />
dafür Sorge getragen werden, daß die in der dörflichen<br />
Gemeinschaft erworbenen Positionen auch in<br />
den neuen Verhältnissen auf die eine oder andere<br />
Art wiedergefunden werden können. Auch hier<br />
kann die Begleitung durch eine langfristig angelegte<br />
Gemeinwesenarbeit <strong>von</strong> großem Nutzen sein.<br />
Chancen<br />
Eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen ist<br />
möglich, wenn die Dorfgemeinschaft am alten Ort<br />
gestärkt, die Unsicherheiten in der Vorphase der<br />
Umsiedlungen abgebaut, Anreize zum vorzeitigen<br />
Verkauf oder Wegzug gemindert, freie Wohnungen<br />
oder Gebäude <strong>von</strong> ortsgebundenen Haushalten<br />
genutzt, Planungen für den neuen Ort flexibel gestaltet<br />
werden und eine Ausstattung mit sozialen<br />
und kulturellen Einrichtungen wie auch für die Altenversorgung<br />
gegeben ist. Gemeinsame Umsiedlung<br />
ist ein Anliegen, aber kein Druckmittel.<br />
12. Qualitätssicherung<br />
Die Qualität der sozialen und sozialkulturellen<br />
Entwicklung im neuen Ort ist gewährleistet.<br />
Dies geschieht durch die Siche-<br />
rung des Gemeinschaftslebens und die Gestaltung<br />
alltäglicher Lebensqualität, durch die<br />
Berücksichtigung der Bedürfnisse der verschiedenen<br />
Altersgruppen und die Vermeidung<br />
<strong>von</strong> sozialer Spaltung. Diese qualitativen<br />
Situationsbedingungen werden mit Hilfe eines<br />
sozialen Monitoring festgestellt und in ihren<br />
Entwicklungen beobachtet.<br />
Das Kriterium Qualitätssicherung wird als zwölftes<br />
Kriterium neu aufgestellt. Es unterstreicht die gestiegene<br />
Bedeutung der sozialen und<br />
sozialkulturellen Aspekte bei einer Umsiedlung.<br />
Auch der Braunkohlenplan Garzweiler II geht im<br />
Abschnitt Immaterielle Belange ausführlich auf die<br />
Bedeutung der örtlichen Gemeinschaft und das<br />
soziale Gefüge der Orte ein. Sie bestimmen neben<br />
den städtebaulichen und baulichen Gegebenheiten<br />
die Individualität und den Charakter des Ortes<br />
sowie die Qualität des Zusammenlebens.<br />
Der Alltag am neuen Ort sollte die selbstverständliche<br />
Vertrautheit mit dem alten Ort in möglichst vielen<br />
Lebensbereichen dadurch schnell wieder erreichen,<br />
daß bauliche Strukturen, infrastrukturelle<br />
Qualitäten, sozialkulturelle Gegebenheiten (Umsiedlung<br />
soll nicht zu einem völligen Bruch in den<br />
Lebensgewohnheiten und im Lebensstil führen)<br />
und auch soziale Strukturen (Umsiedlung darf nicht<br />
zu sozialem Abstieg führen) durch professionelle<br />
räumliche Gestaltungsplanung und durch Sozialplanung<br />
wieder hergestellt werden.<br />
Jugendliche und über 50-jährige sollten durch besondere<br />
Berücksichtigung ihrer Anforderungen an<br />
einem neuen Ort, durch eine spezielle Beratung<br />
und durch auf ihre Altersgruppe abgestellte Sondermaßnahmen<br />
für die Teilnahme an einer gemeinsamen<br />
Umsiedlung gewonnen werden.<br />
Ältere Bürger müssen rechtzeitig und in geeigneter<br />
Form angesprochen und behutsam auf die neue<br />
Lebenssituation vorbereitet werden. Die neuen Lebensbedingungen<br />
sollten bei ihnen, auf den Einzelfall<br />
bezogen, der alten Lebenssituation angenähert<br />
und dem qualitativen Bedarf, der bei den älteren<br />
Menschen nur durch persönliche Gespräche zu<br />
ermitteln ist, angepaßt werden.<br />
Am neuen Ort sind Abgrenzungstendenzen zwischen<br />
verschiedenen Bewohnergruppen durch<br />
Gemeinwesenarbeit und geeignete Maßnahmen<br />
(z.B. Dorf- oder Straßenfeste) abzubauen. Bezogen<br />
auf Otzenrath, Spenrath und Holz sollte möglichst<br />
schnell mit dem Sozialen Monitoring begonnen<br />
werden.<br />
Mit dem Sozialen Monitoring wird der Prozeß der<br />
Umsiedlung dokumentiert. Damit wird Grundlage
44 6. Konkretisierung der Kriterien<br />
für eine aufgeklärte Diskussion geschaffen. Pauschalurteile,<br />
Verunsicherungen, Verdächtigungen<br />
usw. können so leichter vermieden werden. Das<br />
soziale Monitoring unterscheidet sich vom ökologischen<br />
Monitoring: da eindeutige Grenzwerte wie<br />
beim ökologischen Monitoring fehlen, muß man<br />
sich stets über neue Grenzwerte verständigen. Politisch<br />
zu entscheiden ist, wann eingegriffen werden<br />
muß, um sichtbare Härten auszugleichen.<br />
Monitoring dient während der Umsiedlung und<br />
nach der Umsiedlung der Erfolgskontrolle und der<br />
Erfolgsdarstellung. Für den Braunkohlenausschuß<br />
ist es das geeignete Instrument <strong>zur</strong> Überwachung<br />
der Einhaltung der Ziele des Braunkohlenplanes.<br />
Da es zu diesem Zweck prozeßbegleitend erfolgen<br />
sollte; müssen für die gesamte Dauer des Umsiedlungsprozesses<br />
und auch noch für die Zeit danach<br />
personelle und organisatorische Ressourcen eingeplant<br />
werden.<br />
Das Soziale Monitoring dient nicht der Kontrolle der<br />
Umsiedler. Schon um einen solchen Verdacht zu<br />
vermeiden, sollte es nicht unmittelbar <strong>von</strong> einem<br />
der Hauptakteure, sondern <strong>von</strong> einem unabhängigen<br />
Wissenschaftler oder einer unabhängigen Institution<br />
durchgeführt werden. Wir schlagen vor,<br />
das Umsiedlerberatungsbüro und in diesem speziell<br />
den Vermittler mit dieser Aufgabe zu betrauen.<br />
Schließlich erlaubt das Soziale Monitoring die Prüfung,<br />
ob die Grundannahme der Sozialverträglichkeit<br />
weiterhin zutreffend ist. Insbesondere diese<br />
Prüfung erfordert politisch gesetzte Maßstäbe.<br />
Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen braucht Orte,<br />
die Möglichkeiten einer sozialen und kulturellen<br />
Integration bieten. Wege zum Alltagsleben im neuen<br />
Ort müssen begleitet werden. Die Einhaltung<br />
der Ziele des Braunkohlenplanes ist kontinuierlich<br />
zu überprüfen, wenn eine sozialverträgliche Gestaltung<br />
einer Umsiedlung gesichert werden soll.
7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven 45<br />
7. Erkenntnisse,<br />
Empfehlungen,<br />
Perspektiven<br />
Stärken und Schwächen<br />
Die Umsiedlungspraxis in den <strong>von</strong> uns untersuchten<br />
Gemeinden stützt sich vor allem auf lange Erfahrungen<br />
mit gemeinsamen Umsiedlungen im<br />
rheinischen Revier. Für viele immer wieder auftauchende<br />
Fragen und Probleme gibt es bewährte Lösungsmuster,<br />
die flexibel genug sind, um den jeweiligen<br />
örtlichen Gegebenheiten angepaßt zu<br />
werden.<br />
Das Braunkohlenplanverfahren mit seinen aufwendigen<br />
Erarbeitungs- und Beteiligungsschritten bietet<br />
in jedem Fall die Gelegenheit, für typische Problemlagen<br />
grundsätzlich neue Vereinbarungen vor<br />
allem mit dem Bergbautreibenden zu treffen. Der<br />
genehmigte Plan schafft in dem Maße, wie er die<br />
nachfolgenden Behörden bindet, Rechtsverbindlichkeit.<br />
Die Geschäftsstelle des Braunkohlenausschusses<br />
kann in jenen Fällen <strong>zur</strong> Vermittlung angerufen<br />
werden, wo Streitigkeiten über Rechte und<br />
berechtigte Ansprüche entstehen.<br />
Die Grundzüge der Kooperation zwischen Bergbauunternehmen<br />
und Gemeinden sind gut eingespielt.<br />
Beide sind grundsätzlich, wenn auch aus unterschiedlichen<br />
Gründen, an einem zügigen Verfahren,<br />
qualitätvollen baulichen Ergebnissen und<br />
letztendlich zufriedenen Umsiedlerinnen und Umsiedlern<br />
interessiert. Als privates Unternehmen verfügt<br />
Rheinbraun dabei an vielen Stellen über große<br />
Spielräume, Probleme individuell und konkret zu<br />
lösen.<br />
Die Vereine sind eine der wichtigsten Stützen für<br />
die Stärken im Verfahren. Bis heute trifft der Bergbau<br />
durchweg auf dörfliche Gemeinschaften, die<br />
sich als stark genug erweisen, eine gemeinsame<br />
Umsiedlung nicht nur zu überstehen, sondern auch<br />
aktiv mitzutragen.<br />
Bei allen umsiedlungspraktischen Fragen wird immer<br />
wieder auch mit neuen Entwicklungen experimentiert.<br />
Beratungskonzepte werden überarbeitet<br />
und ergänzt, Planungsleitbilder überprüft, verworfen,<br />
erneuert, die Kooperation der Interessenvertretung<br />
der Umsiedler mit dem Gemeinderat findet<br />
<strong>von</strong> Fall zu Fall unterschiedliche neue Formen.<br />
Nicht selten sind es Bürgerinitiativen, die Anstöße<br />
für Reformen geben. Aber auch jeder andere Beteiligte,<br />
Rheinbraun eingeschlossen, geben aus ihrer<br />
Sicht Impulse für Verbesserungen.<br />
Die materielle Entschädigung wird immer wieder<br />
neu thematisiert, Details ergänzend geregelt,<br />
Grundsatzfragen öffentlich erörtert. Die Entschädigung<br />
ist übrigens einer der wenigen Bereiche, in<br />
denen Fortschritte regelmäßig kumulieren können:<br />
was einmal im Rahmen einer Umsiedlung aufgrund<br />
besonderer Voraussetzungen als Anspruch ausgehandelt<br />
wurde, ist bei der nächsten Umsiedlung bereits<br />
Standard, <strong>von</strong> dem ausgehend weitere Ansprüche<br />
verhandelt werden.<br />
Aus dieser Konstellation haben sich in den vergangenen<br />
zehn Jahren folgende Stärken entwickelt,<br />
die unter dem Gesichtspunkt der Sozialverträglichkeit<br />
besonders zu würdigen sind.<br />
Stärken<br />
Im Bereich der sogenannten Vorfeldproblematik<br />
hat sich die Einrichtung der Härtestelle bewährt.<br />
Sollte ein Bewohner eines umsiedlungsbetroffenen<br />
Ortes wegziehen müssen und kann er sein Haus<br />
nicht mehr zu einem angemessenen Preis an Dritte<br />
verkaufen, dann kann die Härtestelle Rheinbraun<br />
verpflichten, das Anwesen vorzeitig aufzukaufen.<br />
Es hat sich gezeigt, daß es in vielen Fälle gelungen<br />
ist, einen anderen Käufer als Rheinbraun zu finden.<br />
Die Erosion der dörflichen Gemeinschaften ist dadurch<br />
im Vergleich zu den achtziger Jahren deutlich<br />
<strong>zur</strong>ückgegangen. Gleichzeitig ist die Gewähr<br />
dafür gegeben, daß kein Betroffener durch den Tagebau<br />
in seiner Bewegungsfreiheit übermäßig beschränkt<br />
wird.<br />
Die Entschädigungsregelungen haben sowohl im<br />
Zusammenhang mit dem Braunkohlenplan Inden<br />
als auch mit dem Braunkohlenplan Garzweiler II<br />
jeweils in den begleitenden Vereinbarungen zwischen<br />
Gemeinde und Rheinbraun einen deutlichen<br />
Qualitätssprung erfahren. In Inden konnte der<br />
Bergbautreibende verpflichtet werden, zusätzlich<br />
zu seiner seit längerem praktizierten Förderung<br />
des Mietwohnungsbaus durch Umsiedler, notfalls<br />
in eigener Regie, Wohnungen am neuen Standort<br />
zu errichten und für ein angemessenes Mietniveau<br />
zu sorgen. Zwischen der Gemeinde Jüchen und<br />
Rheinbraun wurde, neben Detailverbesserungen,<br />
vereinbart, daß ca. 95% der Anwesen in Otzenrath,<br />
Spenrath und Holz ohne Fremdmittel in vergleichbarem<br />
Standard neu errichtet werden können. Damit<br />
ist manchen Ängsten und Spekulationen der<br />
Boden entzogen.<br />
Beim Angebot <strong>von</strong> Beratung und Information sind<br />
viele kleine Initiativen mit unterschiedlichem Erfolg<br />
zu verzeichnen, ohne daß sich dadurch ein grundsätzlicher<br />
Wandel in der Konzeption der Beratung<br />
durchgesetzt hätte. Generell ist das Angebot an<br />
gruppenspezifischer Information und Beratung
46 7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven<br />
ausgeweitet worden. Auch die Einzelberatung ist<br />
ergänzt worden: seit kurzem bietet Rheinbraun in<br />
Otzenrath, Spenrath und Holz eine technische<br />
Bauberatung an, die die Umsiedler als Bauherren<br />
in allen Fragen berät. Besonders hervorzuheben<br />
sind auch die Initiativen der Kirchen, deren Beratungsangebote<br />
häufig mit der Aktivierung der Betroffenen<br />
zu Erfahrungsaustausch und gemeinsamem<br />
Handeln verbunden sind.<br />
Bei der Organisation der Interessenvertreter der<br />
Umsiedler hat die Gemeinde Jüchen Neuland betreten,<br />
indem sie erstmals eine Urwahl für die Besetzung<br />
der Umsiedlerbeiräte durchgeführt hat.<br />
Damit hatte jeder Erwachsene – Umsiedler und<br />
Umsiedlerinnen – die gleiche Chance, Einfluß zu<br />
nehmen.<br />
Die Angebote für Umsiedler am Umsiedlungsstandort<br />
haben sich differenziert. Rheinbraun hat<br />
Angebotshäuser entwickelt und gebaut, die <strong>von</strong><br />
Umsiedlern schlüsselfertig übernommen werden<br />
können und ihnen die Aufgaben eines Bauherren<br />
abnehmen. In Inden/Altdorf haben sich die Kirchen<br />
darüber hinaus im Wohnungsbau für besonders<br />
benachteiligte Gruppen engagiert. Auch die unterschiedlichen<br />
Formen der Förderung des Mietwohnungsbaus<br />
führten zu differenzierten Ergebnissen.<br />
Man kann da<strong>von</strong> ausgehen, daß das Wohnungsangebot<br />
sich auch in Zukunft weiter differenzieren<br />
wird.<br />
In Inden ist die Zusammenlegung <strong>von</strong> zwei vollständigen<br />
Ortschaften an einen Standort geglückt,<br />
der darüber hinaus Zentrum für mehrere umliegende<br />
Ortschaften ist. Das Beispiel eines lebendigen<br />
Ortes mit einem differenzierten Angebot auch an<br />
Läden, Dienstleistungen und Gewerbe ermutigt dazu,<br />
den künftigen Entwicklungsmöglichkeiten eines<br />
Standortes eine noch größere Bedeutung<br />
beizumessen als bisher. Die Planungen für Otzenrath,<br />
Spenrath und Holz sehen ein neues Angebot<br />
an Landwirte ohne Viehhaltung vor, die ihnen die<br />
Teilnahme an der gemeinsamen Umsiedlung erleichtern<br />
soll.<br />
Schwächen<br />
Schwächen im Umsiedlungsverfahren gründen<br />
immer wieder in den Rahmenbedingungen <strong>von</strong><br />
Umsiedlungen. Im gesamten hochkomplexen Entscheidungsgefüge<br />
zu Abbau und Verstromung ist<br />
die Umsiedlung eines der letzten Glieder, eine soziale<br />
Folge, die zu bearbeiten ist, die aber weder<br />
auf die Entscheidung selbst noch auf die Raum-<br />
und Zeitplanung je grundsätzlich Einfluß nimmt.<br />
Diese grundlegende Schwäche wird dadurch abgemildert,<br />
daß die Braunkohlenplanung einen<br />
rechtsverbindlichen Rahmen setzt, der Zeiträume<br />
und Handlungsfelder für kommunale und gemeinschaftliche<br />
Selbstbestimmung bei der Bewältigung<br />
der sozialen Folge Umsiedlung definiert, freihält<br />
und schützt. Auf diesen Sachverhalt sind alle Überlegungen<br />
<strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />
bezogen und gestützt. In dem Maße, wie der<br />
Braunkohlenplanung dies nicht mehr zuverlässig<br />
und für die Dauer der Geltung eines Braunkohlenplans<br />
gelingt, sind alle Anstrengungen der gemeinschaftlichen<br />
Bewältigung ständig vom Scheitern<br />
bedroht.<br />
Aber auch unter sicheren Rahmenbedingungen,<br />
wie sie etwa den Braunkohlenplanungen für Inden<br />
und Hambach unterstellt werden, gibt es immer<br />
wiederkehrende Schwachpunkte.<br />
Trotz der eindeutig definierten Verfahrensschritte<br />
der Braunkohlenplanung ist die Wirklichkeit immer<br />
ein sehr vielfältiges Geflecht <strong>von</strong> nur zum Teil koordinierten<br />
Handlungen verschiedener Akteure. Da<br />
erarbeitet eine Gemeinde eine detaillierte Rahmenplanung<br />
für einen Umsiedlungsstandort, für<br />
den es noch gar keinen Braunkohlenplan gibt. Da<br />
setzt die Kirche einen Mieterberater zu einem Zeitpunkt<br />
ein, an dem die meisten Mieterhaushalte bereits<br />
ihre Umsiedlungsperspektiven abschließend<br />
geklärt haben. Da wird ein weitgehend mit den<br />
Bürgern vorgeklärter Umsiedlungsstandort <strong>zur</strong>ückgezogen,<br />
weil die Bodendenkmalpflege Bedenken<br />
anmeldet. Da wird eine gemeinschaftlich beschlossene<br />
Gestaltungssatzung <strong>von</strong> den lokalen Politikern<br />
selbst ständig unterlaufen. Da werden Interessenvertretungen<br />
der Umsiedler aus gegebenem<br />
Anlaß <strong>von</strong> der Gemeinde initiiert, aber auch wieder<br />
aufgelöst.<br />
Kurz: jenseits des förmlichen Braunkohlenplanverfahrens<br />
fehlt es an einem verbindlichen Ablaufschema,<br />
das Zeitpunkte definiert, zu denen bestimmte<br />
Beteiligte die Verteilung und Koordination<br />
bestimmter Aufgaben beschließen. Bei aller Würdigung<br />
des Wertes ortsspezifischer Besonderheiten<br />
bleiben die Umsiedler sonst <strong>von</strong> zu vielen unkontrollierten<br />
Zufälligkeiten abhängig.<br />
Im engen Zusammenhang damit steht der<br />
Schwachpunkt, daß es noch nicht gelungen ist, die<br />
verschiedenen Beratungsangebote zu koordinieren<br />
und ein über den gesamten Planungs- und Realisierungsprozeß<br />
kontinuierlich arbeitendes Beratungsteam<br />
ein<strong>zur</strong>ichten. Es gibt kein Schulungs-<br />
und Qualifizierungsangebot für Berater. Der Zugang<br />
zu psychologischer Beratung für die Betroffenen<br />
wird nicht erleichtert. Gemeinwesenarbeit<br />
findet höchstens punktuell statt und kann in diesen<br />
rudimentären und unverbindlichen Formen keine<br />
Wirkung entfalten.
7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven 47<br />
Unter diesen Bedingungen fehlen für eine systematische<br />
und prozeßbegleitende Qualitätskontrolle<br />
alle Voraussetzungen.<br />
Schwachpunkte der Partizipation ergeben sich aus<br />
dem grundsätzlichen Konflikt, spontanen Bürgerwillen<br />
und langfristig tragfähige Lösungen zu vermitteln.<br />
Leidvolle Erfahrungen mit der Standortwahl<br />
haben deutlich gemacht, daß Betroffene eben nicht<br />
unverbindlich Vorschläge machen, sondern die<br />
gemeinsame Erarbeitung <strong>von</strong> Vorschlägen mit einer<br />
starken Bindung an bestimmte Präferenzen<br />
einhergeht. Darauf war das innovative Standortfindungskonzept<br />
nicht angelegt.<br />
Ein ebenso klassischer Konfliktpunkt ist die<br />
Schwierigkeit, daß Gestaltungsmaßstäbe, die im<br />
Rahmen der Bauleit- und Gestaltungsplanung <strong>von</strong><br />
den Betroffenen bereitwillig mitgetragen werden,<br />
bei der Realisierung der individuellen Bauvorhaben<br />
mit großer Regelmäßigkeit unterwandert werden.<br />
Die ebenso klassische Antwort der Planer darauf<br />
ist, an einer sehr anspruchsvollen Planung festzuhalten,<br />
um dann ihr Scheitern in der Praxis mehr<br />
oder weniger resigniert <strong>zur</strong> Kenntnis zu nehmen.<br />
Unseres Erachtens berücksichtigt die Gestaltungsplanung<br />
zu wenig die unterschiedlichen Bedürfnisse<br />
der gleichen Menschen zu unterschiedlichen<br />
Zeitpunkten. Die Phase der Bauleit- und Gestaltungsplanung<br />
ist geprägt <strong>von</strong> dem Gefühl gemeinsamer<br />
Betroffenheit. Anspruchsvolle, gestalterisch<br />
harmonische Pläne und Modelle sind eine angemessene<br />
Antwort auf diese Gleichgestimmtheit unter<br />
den Betroffenen. Bei der Realisierung der Bauvorhaben<br />
aber steht das Bedürfnis im Vordergrund,<br />
der eigenen Individualität wieder stärker Ausdruck<br />
zu verleihen, nicht zuletzt auch durch eine entschiedene<br />
Abweichung <strong>von</strong> den vereinheitlichenden<br />
Gestaltungsbindungen. Planungs- und Beteiligungskonzepte,<br />
die diesen Zeitfaktor berücksichtigen<br />
würden, sind noch nicht in Sicht.<br />
Eine große Schwäche im Verfahren ist nach wie<br />
vor die Fixierung aller Aufmerksamkeit auf die<br />
Braunkohle. Da <strong>von</strong> ihr so viele Probleme und<br />
Nachteile ausgehen, sollen <strong>von</strong> ihr auch alle Lösungen<br />
erbracht werden. Insbesondere die Gemeinden<br />
fordern zum Ausgleich ihrer Nachteile umfassende<br />
Investitionen <strong>von</strong> Rheinbraun und RWE<br />
auf ihrem Gemeindegebiet. Im Vergleich zu diesen<br />
Erwartungen treten die Bemühungen um eine diversifizierte<br />
Gewerbeentwicklung in der Gemeinde<br />
in den Hintergrund. Regionale Bemühungen um<br />
eine Entwicklung neben und jenseits der Braunkohle<br />
sind kaum zu verzeichnen. Damit wird einer<br />
langfristigen Abhängigkeit vom Wirtschaftsfaktor<br />
Braunkohle Vorschub geleistet.<br />
Allgemeine Empfehlungen<br />
1. Demokratische Legitimation<br />
• Legitimation der Entscheidungen vermitteln<br />
Die verfassungrechtliche Legitimation ist in Bezug<br />
auf ein Abbauvorhaben gegeben. Die <strong>zur</strong> Zeit <strong>von</strong><br />
der Landesregierung erwogenen rechtspolitischen<br />
Reformen können die Akzeptanz eines Vorhabens<br />
erleichtern. Die Vermittlung <strong>von</strong> Entscheidungsprozessen<br />
außerhalb des förmlichen Braunkohlenplanverfahrens,<br />
insbesondere bei der Vorbereitung<br />
<strong>von</strong> Leitentscheidungen, ist zu verbessern. Dabei<br />
kann der Umsiedlungsbeauftragte die Rolle eines<br />
Mittlers zwischen der Landesregierung und den<br />
Betroffenen übernehmen.<br />
• Information verbessern<br />
Wenn eine inhaltlich-sachliche Akzeptanz des Vorhabens<br />
erreicht werden soll, muß die Information<br />
der Betroffenen durch die Landesregierung wesentlich<br />
verbessert werden.<br />
• Unterschiedliche Kompetenzen inhaltlich<br />
bestimmen<br />
Offensichtlich besteht ein Klärungsbedarf <strong>zur</strong> Abgrenzung<br />
der Kompetenzen <strong>von</strong> Landesregierung<br />
und Braunkohlenausschuß. Eine Verständigung<br />
über sachlich-inhaltliche Fragen und Zuständigkeiten<br />
ist notwendig. Wenn die Landesregierung mehr<br />
Verantwortung an sich zieht, muß sie diese Verantwortung<br />
konsequent tragen und sich die notwendigen<br />
Verwaltungskapazitäten schaffen.<br />
• Schutz vor tagespolitischem Kalkül sichern<br />
Akteure auf Landes- und regionaler Ebene müssen<br />
deutlich mehr Vorsorge dafür treffen, daß die<br />
Angelegenheiten der Umsiedlungsplanungen<br />
besser vor kurzfristigen tagespolitischen Kalkülen<br />
geschützt werden.<br />
2. Reversibilität und Planungssicherheit<br />
• Kommunikation verbessern<br />
Bei wachsenden Unsicherheiten in den Rahmenbedingungen,<br />
die auch <strong>von</strong> der Landesregierung<br />
nicht ohne weiteres beeinflußt werden können, ist<br />
eine direkte Kommunikation zwischen Ministerium<br />
und Umsiedlerinnen und Umsiedlern <strong>von</strong> herausragender<br />
Bedeutung. Die Vermittlung kann nicht<br />
allein über Pressemitteilungen und gelegentliche<br />
Besuche erfolgen. Auch hier kann der Umsiedlungsbeauftragte<br />
eine notwendige Vermittlung leisten.
48 7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven<br />
• Bindungswirkungen <strong>von</strong> Beschlüssen und<br />
Genehmigungen vermitteln<br />
Tatsächlich ist die Bindungswirkung der politischen<br />
Beschlüsse und staatlichen Genehmigungen keinesfalls<br />
so schwach wie der permanente öffentliche<br />
Streit glauben macht. Den Betroffenen muß<br />
vermittelt werden, im Rahmen welcher Verfahren<br />
und mit welchen Rechten und Pflichten ihre Interessen<br />
im Fall <strong>von</strong> Veränderungen der Absichten<br />
des Bergbautreibenden gewahrt werden.<br />
• Planungssicherheit stärken<br />
Nicht nur für den Bergbautreibenden, auch für die<br />
Gemeinden, für die Umsiedlergemeinschaft wie<br />
auch für die einzelnen Umsiedlerinnen und Umsiedler<br />
ist Planungssicherheit eine unverzichtbare<br />
Grundlage des Vertrauens. Eine Umsiedlung ohne<br />
Tagebau würde die Grundlage des Vertrauens zwischen<br />
Umsiedlern einerseits, Land, Gemeinde und<br />
Bergbautreibendem andererseits zerstören. Eine<br />
Sozialverträglichkeit wäre in diesem Fall nicht gegeben.<br />
3. Prävention<br />
• Investitionssicherheit geben<br />
Maßnahmen <strong>zur</strong> Stabilisierung der Orte durch<br />
normale öffentliche und private Investitionen sind<br />
auch in den laufenden Umsiedlungsvorhaben zu<br />
empfehlen. Deutliche Investitionssignale <strong>von</strong> Seiten<br />
der Gemeinden ermutigen die Betroffenen, ihrerseits<br />
im Ort engagiert zu bleiben.<br />
• Ortsbild erhalten<br />
Initiativen und Patenschaften <strong>zur</strong> Erhaltung <strong>von</strong><br />
Gebäuden können auch auf Freiräume, zum Beispiel<br />
eine Gestaltung und Nutzung <strong>von</strong> unbebauten<br />
Grundstücken oder Brachflächen, ausgeweitet<br />
werden.<br />
• Sozialplanung und Gemeinwesenarbeit<br />
verstärken<br />
Die Altorte sind durch die Fluktuation der Einwohner<br />
in ihrer sozialen Zusammensetzung und hinsichtlich<br />
ihres sozialen Zusammenhalts ebenso<br />
stark gefährdet wie hinsichtlich ihrer Bausubstanz,<br />
des Erscheinungsbildes ihrer Häuser und ihrer Infrastruktur.<br />
Auch in dieser sozialen Hinsicht müssen<br />
große Anstrengungen unternommen werden.<br />
• Handwerk und Einzelhandel am alten Ort<br />
fördern<br />
Handwerk und Einzelhandel haben nicht nur für die<br />
Versorgung der Bevölkerung Bedeutung, sondern<br />
auch eine wesentliche Kommunikationsfunktion<br />
und signalisieren die Attraktivität der Orte. Es sollten<br />
verstärkt Erhaltungsmaßnahmen ergriffen werden.<br />
• Vereinswesen und Kirchen unterstützen<br />
Vereine und die Kirchen leisten soziale Schwerstarbeit.<br />
Um die Erosion der Dorfgemeinschaft zu<br />
verhindern, sind ihre Bemühungen weiterhin zu unterstützen.<br />
Bürgerschaftliche Aktivitäten, die sich<br />
speziell auf die Ortspflege richten, sind besonders<br />
zu fördern.<br />
• Betroffene beraten, um Wegzug und<br />
Resignation zu vermeiden<br />
Haushalte und einzelne Personen, die wegziehen wollen,<br />
sollten befragt und beraten werden. Durch Gemeinwesenarbeit<br />
über das vorgeschlagene Beratungsbüro<br />
sollten Aussichtslosigkeit und Resignation<br />
aufgefangen und mögliche Perspektiven aufgezeigt<br />
werden. Die psychologische Beratung sollte über das<br />
Beratungsbüro vermittelt und ebenfalls als präventive<br />
Maßnahme verstanden werden, die zu fördern ist.<br />
4. Erwerb <strong>von</strong> Kompetenz<br />
• Lokale Beratungen erweitern<br />
Vorhandene und zukünftige Beratungen in den alten<br />
wie auch in den neuen Orten sollten in der Art<br />
eines Stadtteilbüros so organisiert werden, daß<br />
fachliche – planerische, juristische, finanzielle,<br />
technische – und allgemeine soziale Beratungen<br />
qualifiziert angeboten werden können. Eine umfassende,<br />
querschnittorientierte Aufgabenstellung des<br />
Büros schließt ein, daß bestimmte Aufgaben – eine<br />
spezielle juristische Beratung, eine psychologische<br />
Beratung – an spezialisierte Praxen außerhalb der<br />
Gemeinde vermittelt werden. Betreuungsarbeiten<br />
der Kirchen sollten mit den lokalen Beratungsbüros<br />
vernetzt und so verbindlich wie kontinuierlich<br />
durchgeführt werden. Vom Beratungsbüro wird<br />
auch das soziale Monitoring betrieben. Eine Finanzierung<br />
kann über vorhandene Fonds wie den<br />
Fonds für Umsiedlerzwecke (Rheinbraun) und den<br />
Treuhandfonds (Land Nordrhein-West-falen) gesichert<br />
werden.<br />
• Den Umsiedlungsbeauftragten berufen<br />
Der Umsiedlungsbeauftragte wird auf Landesebene<br />
als intermediäre Institution eingerichtet. Er vermittelt<br />
zwischen Landesregierung und Betroffenen.<br />
Er begleitet den gesamten Umsiedlungsprozeß und<br />
kontrolliert die Koordination der unterschiedlichen<br />
Akteure. Er ist ergänzend <strong>zur</strong> Gemeinde und <strong>zur</strong><br />
Bezirksplanungsbehörde Ansprechpartner bei Be-
7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven 49<br />
schwerden und Anliegen aus den Umsiedlungsorten.<br />
5. Materielle Sicherung<br />
• Auf neue gesetzliche Regelungen<br />
verzichten<br />
Von einer neuen gesetzlichen Regelung der Entschädigungsfragen<br />
ist weder eine Verbesserung<br />
der materiellen Ansprüche noch eine Vereinfachung<br />
der Verfahren zu erwarten.<br />
• Vertragliche Verbesserungen prüfen<br />
Von Seiten der Landesregierung ist zu prüfen, welche<br />
Konsequenzen bei einer Änderung der Entschädigungsgrundsätze<br />
<strong>von</strong> Orientierung am<br />
Sachwert zu Entschädigung nach Sachwert zu erwarten<br />
sind und ob eine neue vertragliche Regelung<br />
mit dem Bergbautreibenden abzuschließen ist.<br />
• Abgesicherte Rechte vermitteln<br />
Der rechtsverbindliche Charakter <strong>von</strong> Absichtserklärungen<br />
und Zielvereinbarungen in öffentlichrechtlichen<br />
Verträgen sollte in der Öffentlichkeit<br />
deutlicher vermittelt werden.<br />
• Information und Beratungen erweitern<br />
Umsiedlerinnen und Umsiedler sollten ihre Verhandlungsvorbereitung<br />
mit einem erfahrenen Dritten<br />
durchsprechen. Die Gemeinde sorgt dafür, daß<br />
ein erfahrener Dritter kostenlos hinzugezogen werden<br />
kann.<br />
• Kontrolle des Verhandlungsergebnisses<br />
ermöglichen<br />
Bei einer staatlichen Stelle sollte eine repräsentative<br />
Fallsammlung angelegt werden, die analog zu<br />
einem Kreisgutachterausschuß die Angemessenheit<br />
eines Kaufpreises im Zweifelsfall überprüfen<br />
kann.<br />
• Vertrauen in gute Erfahrungen stärken<br />
Auffanglinien für schwierige Fälle wie Rheinbraun-<br />
Darlehen oder die Härteausgleichsstelle werden<br />
kaum in Anspruch genommen. Nach allem Anschein<br />
– auch der Qualitäten an neuen Orten –<br />
können Umsiedler auf eine gute Entschädigungspraxis<br />
vertrauen.<br />
• Interessen <strong>von</strong> Mietern berücksichtigen<br />
Die Grundsätze <strong>zur</strong> Sicherung der Teilhabe <strong>von</strong><br />
Mietern an der gemeinsamen Umsiedlung sind hinreichend,<br />
um quantitativ einen vollständigen Ersatz<br />
der aufzugebenden Mietwohnungen- und mittelfristig<br />
ein niedriges Mietniveau zu gewährleisten.<br />
• Räumungsfrist an die Verfügbarkeit <strong>von</strong><br />
Wohnungen binden<br />
Bei der Festsetzung der Räumungsfristen hat sich<br />
eine offene Formulierung bewährt. Die Wohnung<br />
muß dann geräumt werden, wenn der vorgesehene<br />
Ersatzwohnraum <strong>zur</strong> Verfügung steht.<br />
• Beratungen für Mieter intensivieren<br />
Da die Möglichkeiten der Mieter, ihre Umsiedlung<br />
zu gestalten, mittlerweile recht vielfältig geworden<br />
sind, empfiehlt sich auch für sie die Inanspruchnahme<br />
eines Beraters <strong>zur</strong> Abklärung persönlicher<br />
Vorstellungen und <strong>zur</strong> Absicherung <strong>von</strong> Entscheidungen<br />
in voller Kenntnis <strong>von</strong> Rechten und Pflichten<br />
als Umsiedler.<br />
6. Partizipation<br />
• Teilnahme am Braunkohlenplanverfahren<br />
erweitern<br />
Zu Beginn des Braunkohlenplanverfahrens sollten<br />
bestehende bürgerschaftliche Gruppierungen einbezogen<br />
werden, um eine Beteiligung <strong>von</strong> Umsiedlerinnen<br />
und Umsiedlern <strong>von</strong> Anfang an zu ermöglichen.<br />
• Angepaßte Beteiligungsformen entwickeln<br />
Die Ablehnung <strong>von</strong> Großveranstaltungen begründet<br />
sich aus den bisherigen Erfahrungen der Umsiedlerinnen<br />
und Umsiedler, aber auch aus der<br />
gewohnten Mentalität, Probleme möglichst ortsnah<br />
zu diskutieren und zu lösen. Anregungen und Bedenken<br />
können thematisch sortiert und in Arbeitskreisen<br />
– wie in Otzenrath/Spenrath und Holz –<br />
oder an Runden Tischen erörtert werden. Interessenvertretungen<br />
<strong>von</strong> Umsiedlern müssen auch lokale<br />
Bürgerinitiativen in die Aushandlungsprozesse<br />
einbeziehen. Sie müssen sich auf das Vertrauen<br />
aller Gruppen <strong>von</strong> Umsiedlern stützen können.<br />
• Verfahren der Standortwahl qualifizieren<br />
Beim Vergleich <strong>von</strong> Alternativen können Sozialverträglichkeitskriterien<br />
– zum Beispiel <strong>zur</strong><br />
differenzierten Zeitplanung, <strong>zur</strong> differenzierten<br />
Angebotsplanung, zu Zukunftschancen, zu<br />
gemeinsamer Umsiedlung – angewandt werden.<br />
Nach einer sorgfältigen Auswahl gemeinsam<br />
getragener Alternativen sollten in einer abschließenden<br />
Befragung nur zwei realisierbare<br />
Alternativen <strong>zur</strong> Wahl stehen.
50 7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven<br />
• Mitwirkungen an der Gestaltung des neuen<br />
Ortes erweitern<br />
Mit den Planungswerkstätten wurden für Otzenrath/Spenrath<br />
und Holz bereits beispielhaft Möglichkeiten<br />
einer Mitwirkung <strong>von</strong> Umsiedlerinnen und<br />
Umsiedlern vermittelt. Die Gestaltung ist als sozial<br />
verträglich zu bezeichnen, wenn sie nicht nur baulich,<br />
sondern auch sozial eine lebenswerte Situation<br />
schafft. Eine offene Gestaltung des neuen Ortes<br />
soll eine Inbesitznahme durch alle sozialen Gruppen<br />
unterstützen.<br />
7. Differenzierte Zeitplanung<br />
• Den Zeitraum der Umsiedlung verkürzen<br />
Der Zeitraum, in dem die Betroffenen und die Gemeinde<br />
sich um die Gestaltung der Lebensverhältnisse<br />
am alten und am neuen Ort gleichzeitig<br />
kümmern müssen, soll so kurz wie möglich sein.<br />
Der Zeitpunkt <strong>von</strong> der Verfügbarkeit baureifer<br />
Grundstücke bis <strong>zur</strong> Aufgabe des alten Ortes kann<br />
unter Berücksichtigung der ortsspezifischen Verhältnisse<br />
auf vier bis sechs Jahre verkürzt werden.<br />
• Phasen des Umsiedlungsverfahrens<br />
deutlicher trennen<br />
Vor Genehmigung des Braunkohlenplanes sollte<br />
keine Planung für einen neuen Standort beginnen.<br />
In der Phase der Standortsuche darf nicht bereits<br />
ein parzellenscharfer Bebauungsplan erarbeitet<br />
werden. Vor Beschluß des Bebauungsplans finden<br />
keine Grundstücksvormerkungen statt.<br />
• Zeitpläne überprüfen und verbindlich<br />
gestalten<br />
Eine Verzögerung <strong>von</strong> Entscheidungen hat Konsequenzen<br />
für Akzeptanz und Sozialverträglichkeit.<br />
Nach eingehender Prüfung müssen die Zeitpläne<br />
für Tagebau und Umsiedlung neu vereinbart werden.<br />
8. Differenzierte Angebotsplanung<br />
• Typenplanungen fördern<br />
Sie entlasten ältere Leute und Familien <strong>von</strong> zeitaufwendigen<br />
Planungen. Sie lassen individuell angepaßte<br />
Varianten zu und geben durch feste Kostengrößen<br />
Sicherheit für die Realisierung. Nachbarschaftliche<br />
Zusammenhänge können in Baugruppen<br />
akzentuiert werden, innerhalb einer Bandbreite<br />
unterschiedlicher Typen kann auch eine Individualität<br />
für die einzelne Umsiedlerfamilie<br />
ermöglicht werden. Die Koordination der Mieter<br />
und Bauherren <strong>von</strong> Mietwohnungen bleibt eine im<br />
Detail zu lösende Aufgabe. Auf Typenvielfalt und<br />
Standarddifferenzierung ist auch beim Mietwohnungsbau<br />
zu achten.<br />
• Dienstleistungen und Kleingewerbe<br />
integrieren<br />
Realisierte Beispiele – insbesondere in Neu-<br />
Garzweiler und Inden/Altdorf – zeigen auf anschauliche<br />
Weise, daß trotz struktureller Probleme die Integration<br />
<strong>von</strong> Dienstleistungen und Gewerbe frühere<br />
dorftypische Nutzungen in neuen Formen bietet und<br />
ein gutes Versorgungsangebot sicherstellt. Bei nicht<br />
ausreichender Tragfähigkeit konventioneller Angebote<br />
könnten – zum Beispiel in Neu-Etzweiler – Nachbarschaftsläden<br />
eingerichtet werden.<br />
• Landwirte am neuen Ort integrieren<br />
Nicht nur für Nebenerwerbs-Landwirte ist das Wohnen<br />
in der neuen Dorfgemeinschaft selbstverständlich.<br />
Auch Landwirten mit Ackerbauwirtschaft kann ein<br />
Wohnen am neuen Ort ermöglicht werden. Sie bleiben<br />
damit in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Position<br />
der Umsiedlergemeinschaft erhalten. Bei geregelter<br />
Aufsicht am Arbeitsort können auch Landwirte mit<br />
Viehhaltung am neuen Ort wohnen.<br />
• Nutzungsmischungen erweitern<br />
Der Wunsch, dorftypische Mischungen unterschiedlicher<br />
Nutzungen auch am neuen Ort zu ermöglichen,<br />
läßt sich realisieren. Neuere Leitbilder <strong>zur</strong> Nutzungsmischung<br />
und neuere Forschungsergebnisse auf der<br />
einen Seite, gute Praxisbeispiele wie in Neu-<br />
Garzweiler und in Inden/Altdorf auf der anderen Seite<br />
können eine Nutzungsmischung auch an neuen Umsiedlungsstandorten<br />
unterstützen.<br />
• Bestandsschutz für Nutzungen ermöglichen<br />
In Analogie zu Sanierungsmaßnahmen ist auch bei<br />
Umsiedlungsvorhaben der Bestandsschutz für Nutzungen<br />
einzufordern. Ausnahmen <strong>von</strong> Vorgaben wie<br />
Baunutzungsverordnung oder Abstands-Erlaß müssen<br />
im Sonderfall der Umsiedlung <strong>von</strong> Dörfern ermöglicht<br />
werden.<br />
9. Zukunftschancen<br />
• Nachhaltigkeit fördern<br />
Die Forderung nach einem sorgfältigen Umgang<br />
mit vorhanden Ressourcen, nach einer Entfaltung<br />
sozialer, kultureller wie auch wirtschaftlicher Qualitäten<br />
findet ihre Entsprechung im Selbstverständnis<br />
dörflicher Strukturen. Schutz und Pflege natürlicher<br />
Ressourcen, soziales und kulturelles Leben in<br />
der Dorfgemeinschaft, wirtschaftliche Tragfähigkeit<br />
sind Eckpfeiler auch der Gestaltung des neuen Ortes.
7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven 51<br />
• Identifikation ermöglichen<br />
Für die Übernahme <strong>von</strong> Merkmalen des alten Ortes<br />
gibt es eine Reihe <strong>von</strong> Beispielen. Stärker ist auf<br />
symbolische Zeichen zu achten, die ein Dorf <strong>von</strong><br />
einer Siedlung unterscheiden und Beziehungen<br />
zwischen Ort und Bewohnern ermöglichen. Diese<br />
Zeichen und ihre Gestaltung müssen mit Beteiligung<br />
der Bewohner bestimmt werden.<br />
• Kooperationen erweitern<br />
Zukunftsfähigkeit entsteht nicht <strong>von</strong> selbst. Das<br />
Beispiel <strong>von</strong> Agenda-Gruppen und Foren mit lokalen<br />
und regionalen Kooperationen, die Beratung<br />
aus der Wirtschaftsförderung mit aktuellen Praxiserfahrungen<br />
und aus den Hochschulen mit angewandter<br />
Forschung zeigen, daß Zukunftschancen<br />
gemeinsam zu erarbeiten sind.<br />
• Planung offen gestalten<br />
Die Planung für den neuen Ort endet nicht mit dem<br />
Bebauungsplan. Sie muß Räume auch für zukünftige<br />
Entwicklungen offen lassen.<br />
10. Regionale Entwicklungsalternativen<br />
• Regionale Identität entwickeln<br />
Die Bördenlandschaft an Erft, Rur und Inde ist ein<br />
geographisch abgrenzbarer Raum. Seine spezifischen<br />
Begabungen sind der Reichtum an Kulturlandschaften<br />
und geschichtlich geprägten Siedlungsstrukturen.<br />
Die Definition regionaler Identität<br />
muß ein Gemeinschaftsprojekt der regionalen Akteure<br />
werden.<br />
• Erfahrungen regionaler Innovation nutzen<br />
Erfolgreiche Aktivitäten wie die Internationale Bauaustellung<br />
EmscherPark werden mit der<br />
REGIONALE und mit dem Innovationsfonds als<br />
Angebot auch anderen Regionen übermittelt. Wirtschaftlich<br />
tragfähige Projektentwicklungen im Sinne<br />
der aktuellen EUROGA können, unterstützt durch<br />
den Innovationsfonds des Ministerpräsidenten, bereits<br />
Teil der vorgesehenen Präsentationen 2002<br />
sein.<br />
• Regionale Perspektiven für die Zeit nach<br />
der Braunkohle entwickeln<br />
Der Abbau regionaler Monostruktur, die Entwicklung<br />
vielfältiger regionaler Impulse setzt eine Kooperation<br />
regionaler Akteure voraus. Das Beispiel<br />
der regionalen Entwicklungskonferenz sollte unterstützt<br />
und weiter entwickelt werden.<br />
11. Gemeinsame Umsiedlung<br />
• Bewährte Praxis erhalten und erweitern<br />
Der Ankauf <strong>von</strong> Anwesen durch Rheinbraun bei<br />
Wegzügen vor Beginn der gemeinsamen Umsiedlung,<br />
die Einrichtung <strong>von</strong> Härtestellen haben sich<br />
bewährt. Der <strong>von</strong> der Landesregierung in Aussicht<br />
gestellte, jedoch noch nicht eingerichtete Treuhandfonds<br />
sollte Eigentümern auf ihren – <strong>von</strong> der<br />
Härtestelle geprüften – Wunsch die Möglichkeit<br />
bieten, alternativ zu Rheinbraun ihr Anwesen zum<br />
Verkehrswert an den Fonds zu verkaufen.<br />
• Leerstände nutzen<br />
Gegenüber der Praxis der Auffüllung leerstehender<br />
Wohnungen mit Personen, die keinen Bezug zum<br />
Ort haben, ist es zu empfehlen, attraktive Wohnungen<br />
ortsverbundenen Personen wenigstens für den<br />
Zeitraum der gemeinsamen Umsiedlung <strong>zur</strong> Verfügung<br />
zu stellen.<br />
• Dörfliche Gemeinschaft fördern<br />
Über die bewährte Förderung des Vereinslebens<br />
und der sozialen Infrastruktur hinaus sollten in Vorbereitung<br />
einer gemeinsamen Umsiedlung die Zukunftserwartung<br />
der Vereine und Kirchengemeinden,<br />
gegebenenfalls auch in Zusammenarbeit mit<br />
künftigen Nachbarorten, offen angesprochen werden.<br />
Diese Gespräche bedürfen der Vermittlung<br />
durch die Gemeinde oder einer <strong>von</strong> ihr beauftragten<br />
Gemeinwesenarbeit.<br />
• Gemeinsame Umsiedlung anbieten, nicht<br />
erzwingen<br />
Der Wunsch der Betroffenen nach gemeinsamer<br />
Umsiedlung darf nicht dazu mißbraucht werden,<br />
ihre Kooperation zu einem bestimmten Zeitpunkt<br />
zu erzwingen. Gemeinsame Umsiedlung ist ein<br />
Angebot, kein Druckmittel. Die Ausweisung <strong>von</strong><br />
zusätzlichen Bauflächen in unmittelbarer Nachbarschaft<br />
zum Umsiedlungsort bietet eine flexible Gestaltung<br />
des Umsiedlungsprozesses, die Erhaltung<br />
und Erweiterung sozialer Kontakte, gegebenenfalls<br />
auch eine bessere Auslastung der Infrastrutur.<br />
• Selbstbewußtsein der<br />
Umsiedlergemeinschaft entwickeln<br />
Langfristig ist es für das Selbstbewußtsein der Umsiedlergemeinschaft<br />
wichtig, auf Gemeinschaftswerke<br />
<strong>zur</strong>ückblicken zu können, die auch ohne Hilfe<br />
<strong>von</strong> Rheinbraun verwirklicht werden konnten.<br />
Gemeinsame Projekte sind ein erster Schritt in eine<br />
Normalität einer Dorfgemeinschaft, die nicht mehr<br />
durch Umsiedlung gefährdet und nicht mehr existentiell<br />
abhängig ist.
52 7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven<br />
12. Qualitätssicherung<br />
• Am neuen Ort Vertrautheit und<br />
Lebensqualität herstellen<br />
Der Alltag am neuen Ort sollte möglichst schnell<br />
wieder eine selbstverständliche Vertrautheit in<br />
möglichst vielen Lebensbereichen erreichen. Dazu<br />
müssen bauliche Strukturen, infrastrukturelle und<br />
sozialkulturelle Qualitäten, auch in Anknüpfung an<br />
die Gegebenheit am alten Ort, schnell wieder hergestellt<br />
werden.<br />
• Die Bedürfnisse der verschiedenen<br />
Altersgruppen berücksichtigen<br />
Insbesondere Jugendliche und über 50-jährige sollten<br />
durch besondere Berücksichtigung, durch eine<br />
spezielle Beratung und durch auf ihre Altersgruppe<br />
abgestellte Angebote für die Teilnahme an einer<br />
gemeinsamen Umsiedlung gewonnen werden. Ältere<br />
Bürger müssen rechtzeitig und in geeigneter<br />
Form angesprochen und behutsam auf die neue<br />
Lebenssituation vorbereitet werden.<br />
• Soziale Abgrenzungstendenzen abbauen<br />
Am neuen Ort sind Abgrenzungstendenzen zwischen<br />
verschiedenen Bewohnergruppen durch<br />
Gemeinwesenarbeit und geeignete Maßnahmen<br />
(z.B. Dorf- oder Straßenfeste) abzubauen.<br />
• Soziales Monitoring einführen<br />
Mit dem Sozialen Monitoring wird der Prozeß der<br />
Umsiedlung dokumentiert und eine Informationsgrundlage<br />
für eine aufgeklärte Diskussion geschaffen.<br />
Pauschalurteile, Verunsicherungen und Verdächtigungen<br />
können so leichter vermieden werden.<br />
Bezogen auf Otzenrath, Spenrath und Holz<br />
sollte möglichst schnell mit dem Sozialen Monitoring<br />
begonnen werden.<br />
Spezielle Handlungsempfehlungen für<br />
Otzenrath, Spenrath und Holz<br />
Die drei Ortschaften der Gemeinde Jüchen stehen<br />
am Beginn der gemeinsamen Umsiedlung.<br />
Dieser Umsiedlung ist eine außergewöhnlich lange<br />
Phase heftiger politischer Konflikte vorausgegangen.<br />
Immer wieder im Verlauf <strong>von</strong> vielen Jahren<br />
stellte sich die Frage, ob der Tagebau überhaupt<br />
kommen würde oder nicht. Diese Frage hatte das<br />
Braunkohleplanverfahren dominiert und war auch<br />
nach der Plangenehmigung nicht erledigt. Sie hat<br />
den Verantwortlichen in der Gemeinde den Jüchener<br />
Spagat aufgenötigt und gerade die engagierten<br />
Bürgerinnen und Bürger gespalten und zum Teil in<br />
Gegensatz zu ihrer Gemeindevertretung gebracht.<br />
Dennoch ist das förmliche Planverfahren Schritt für<br />
Schritt durchgeführt und sind die Planungen Stück<br />
für Stück umgesetzt worden.<br />
Bereits Anfang 1997 hat die Bezirksregierung erklärt,<br />
die Bewohner hätten den sogenannten Umsiedlerstatus.<br />
Rheinbraun ist verpflichtet, Anwesen<br />
anzukaufen und dabei einen den revierverbindlichen<br />
Entschädigungsregeln entsprechenden Kaufpreis<br />
zu zahlen. Auch Mieter können seit diesem<br />
Zeitpunkt bei Aufgabe ihrer Wohnung Unterstützung<br />
und Entschädigung <strong>von</strong> Rheinbraun verlangen.<br />
Mieter und wenige Eigentümer haben <strong>von</strong><br />
diesen Möglichkeiten bereits Gebrauch gemacht.<br />
Die Bauleitplanung für den neuen Ort ist unter Einbeziehung<br />
der Umsiedlerbeiräte in Planungsworkshops<br />
und kontinuierlichen gemeinsamen Beratungen<br />
<strong>von</strong> Einzelfragen abgeschlossen, die meisten<br />
Grundstücke sind vorgemerkt. Ab Mitte des kommenden<br />
Jahres kann mit den privaten Baumaßnahmen<br />
am Umsiedlungsstandort begonnen werden.<br />
Die Gemeinde und Rheinbraun haben in Otzenrath<br />
und Holz jeweils Beratungsbüros eingerichtet und<br />
die Sprechzeiten aufeinander abgestimmt. Ein neutrales<br />
Beratungsbüro wurde als überflüssig erachtet.<br />
Vorgespräche und Verhandlungen mit Rheinbraun<br />
finden häufig in den Privatwohnungen der<br />
Umsiedler nach freier Terminabsprache statt. Zur<br />
Information und Anregung der künftigen Bauherren<br />
wird eine Gestaltungsfibel vorbereitet, eine Architekten-Messe<br />
soll stattfinden. Eine technische<br />
Bauberatung ist eingerichtet, um Schwierigkeiten in<br />
der Bauphase zu vermeiden.<br />
Die folgenden Vorschläge sind an dem orientiert,<br />
was in dieser Situation sinnvoll noch verbessert<br />
werden könnte.<br />
• Gemeinwesenarbeit stärken<br />
Für eine wirksame, prozeßbegleitende Gemeinwesenarbeit<br />
ist es fast zu spät. Ihre Ergebnisse könnten<br />
nicht mehr einfließen in die Konzeption der<br />
neuen Orte, auf ihre räumliche Lage zueinander<br />
und zu den Nachbarorten keinen Einfluß mehr<br />
nehmen. Dennoch ist zu erwägen, durch ein kurzfristigeres<br />
Gemeinwesenarbeitsprojekt Grundlagen<br />
für ein respektvolles Nebeneinander zwischen Alt-<br />
Bewohnern und als fremd empfundenen Zwischennutzern<br />
zu schaffen. Ein solches Projekt muß<br />
<strong>von</strong> der Gemeinde initiiert und finanziert werden.<br />
Eine Refinanzierung durch den Fonds für Umsiedlungszwecke<br />
im Rheinischen Braunkohlenrevier ist<br />
zu erwägen.
7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven 53<br />
• Soziale und psychologische Beratung<br />
anbieten<br />
Der faktische Beginn der gemeinsamen Umsiedlung<br />
– die bevorstehenden Verhandlungen mit<br />
Rheinbraun, die erste Welle <strong>von</strong> Wegzügen aus<br />
dem alten Ort – erhöht den Entscheidungsdruck<br />
auch bei den Familien, die sich über ihre Umsiedlungsperspektiven<br />
noch nicht im klaren sind, die<br />
auch innerfamiliäre Beziehungsveränderungen zu<br />
klären haben, die durch die Umsiedlung unausweichlich<br />
werden. In dieser Phase ist der Bedarf an<br />
sozialer und psychologischer Beratung am größten.<br />
Es sollte sehr schnell geklärt werden, ob in<br />
Trägerschaft der Gemeinde oder durch Dritte<br />
soziale Beratung angeboten wird, die unabhängig<br />
<strong>von</strong> den Umsiedlungsberatern im engeren Sinn in<br />
Anspruch genommen werden kann. Des weiteren<br />
ist zu klären, welche Praxen in der näheren Umgebung<br />
als Anlaufstelle bei besonderen psychischen<br />
Belastungen empfohlen werden können. Es ist ein<br />
Modus zu finden, wie die in Anspruch genommene<br />
Beratung unter Wahrung der Anonymität des Ratsuchenden<br />
abgerechnet werden kann. Der Fonds<br />
für Umsiedlungszwecke im Rheinischen Braunkohlenrevier<br />
kann für diese Aufgabe sinnvoll eingesetzt<br />
werden.<br />
• Soziales Monitoring einrichten<br />
Die Voraussetzungen für ein soziales Monitoring<br />
müssen umgehend geschaffen und auf Dauer gesichert<br />
werden.<br />
• Erfahrungsaustausch verbessern<br />
Im jährlichen Rhythmus soll eine Umsiedlungskonferenz<br />
stattfinden, an der alle Akteure, die in das<br />
Umsiedlungsgeschehen einbezogen sind, teilnehmen:<br />
die Gemeinde, Rheinbraun, die Bürgerbeiräte,<br />
eventuelle Initiativ-Gruppen, die Berater, die<br />
Gemeinwesenarbeiter, die Bezirksplanungsbehörde,<br />
der Mediator und Bearbeiter des sozialen Monitorings<br />
und, falls vorhanden, der Umsiedlungsbeauftragte.<br />
Auf dieser Konferenz werden die Erfahrungen<br />
und wichtigen Informationen ausgetauscht,<br />
aufgetretene Schwierigkeiten besprochen, die Aufgaben<br />
für das folgende Jahr verabredet. Ein zusammenfassender<br />
Bericht über die Konferenz wird<br />
an alle Haushalte verschickt.<br />
• Kontakt mit Wegziehenden aufrechterhalten<br />
Haushalte, die wegziehen, sollten auf die Möglichkeit<br />
aufmerksam gemacht werden, in der Gemeindeverwaltung<br />
ihre neuen Adressen zu hinterlegen,<br />
um weiterhin über wichtige Ereignisse in der dörflichen<br />
Gemeinschaft informiert werden zu können.<br />
• Beteiligung <strong>von</strong> Mietern erweitern<br />
Die Spielräume, die das Mieterhandlungskonzept<br />
für die Einbeziehung <strong>von</strong> Mietern in die Neubauplanung<br />
bereithält, sind längst nicht ausgeschöpft.<br />
Voraussetzung allerdings ist, daß Mieter sich zu<br />
Gruppen zusammenschließen, in denen gemeinsam<br />
Vorstellungen <strong>von</strong> den eigenen Bedürfnissen<br />
und Handlungsmöglichkeiten artikuliert werden<br />
können. Auch dazu könnte ein Gemeinwesenarbeitsprojekt<br />
die Initialzündung geben. Wenn diese<br />
allerdings nicht umgehend eingeleitet wird, dürfte<br />
es für eine weitergehende Beteiligung der Mieter<br />
zu spät sein.<br />
• Wohnungsangebot differenzieren<br />
Wir gehen da<strong>von</strong> aus, daß die Gemeinde und<br />
Rheinbraun heute schon Kontakt aufgenommen<br />
haben zu möglichen Trägern <strong>von</strong> besonderen<br />
Wohnformen, um frühzeitig ein differenziertes<br />
Wohnungsangebot sicherzustellen.<br />
• Zusagen halten<br />
Vermutlich können die alten Konflikte aus der Vorbereitungszeit<br />
nur schwer bewältigt werden. Trotzdem<br />
sollte eine Annäherung zwischen ehemaligen<br />
Mitgliedern der ITOS und den Gemeindevertretern<br />
angestrebt werden. Die Landesregierung sollte<br />
darüber hinaus einen Ansprechpartner benennen,<br />
der den Umsiedlern für Rückfragen zu den immer<br />
wieder auftauchenden tagespolitischen Äußerungen<br />
zu Garzweiler II <strong>zur</strong> Verfügung steht.<br />
Veränderung der Sozialverträglichkeit<br />
in der zeitlichen Entwicklung<br />
Nach dem bisherigen Verlauf der Braunkohlenplanungen<br />
und nach der Einschätzung des zukünftigen<br />
Umsiedlungsgeschehens ist da<strong>von</strong> auszugehen,<br />
daß – gemessen an den zwölf Kriterien dieses<br />
<strong>Gutachten</strong>s – die Qualität einer sozialverträglichen<br />
Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungen in ihrer zeitlichen<br />
Entwicklung unterschiedlich einzuschätzen ist. Dies<br />
soll am Beispiel <strong>von</strong> drei denkbaren Szenarien der<br />
Umsiedlungen <strong>von</strong> Otzenrath, Spenrath und Holz<br />
erläutert werden.<br />
Szenario 1<br />
Die bisherige und die weiteren Entwicklungen<br />
verlaufen nach Plan. Auf der Grundlage der<br />
Genehmigung des Braunkohlenplans<br />
Garzweiler II (1995) ist vorgesehen, daß Otzenrath<br />
und Spenrath im Jahre 2006 vom Tagebau<br />
erreicht werden, Holz zwei Jahre später.
54 7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven<br />
Die demokratische Legitimation ist gegeben, die<br />
Grundannahmen werden Anfang des Jahres 2000<br />
überprüft. Zwar haben die langanhaltenden politischen<br />
Konflikte um diesen Tagebau deutlich gemacht,<br />
daß unter Hinnahme bestimmter negativer<br />
Folgen ein Verzicht auf den Tagebau nicht auszuschließen<br />
wäre. Von einer energiewirtschaftlichen<br />
Notwendigkeit des Vorhabens kann also nicht unzweifelhaft<br />
ausgegangen werden. Für die Entscheidungen<br />
<strong>zur</strong> Energiepolitik demokratisch legitimierter<br />
Gremien aber gibt es hinreichend Gründe,<br />
um den Betroffenen das Opfer der Umsiedlung<br />
zuzumuten.<br />
Die Gemeinde Jüchen hat sich verstärkt um eine<br />
Stabilisierung der physischen und sozialen Entwicklung<br />
an den alten Orten bemüht. Das Beratungsangebot<br />
wird im Sinn eines integrierenden<br />
Angebotes erweitert, ein Netz <strong>von</strong> externen Beratungsangeboten<br />
schließt nun auch die psychologische<br />
Beratung ein. Die Entschädigungen sind in<br />
ausreichender Höhe vereinbart, die Transparenz<br />
insbesondere der abschließenden Verhandlungen<br />
ist verbessert. In die Beteiligung am weiteren Verfahren<br />
sind auch die Umsiedlerinnen und Umsiedler<br />
einbezogen, die sich resigniert aus dem bisherigen<br />
Verfahren <strong>zur</strong>ückgezogen haben. Nach Abschluß<br />
der Planungen ist der Zeitraum für die Umsiedlung<br />
reduziert, die meisten Umsiedlungen können<br />
innerhalb <strong>von</strong> fünf Jahren realisiert werden.<br />
Am neuen Ort gibt es für jene Haushalte, die nicht<br />
selbst bauen wollen, differenzierte Angebote <strong>von</strong><br />
Gebäudetypen mit festen Kosten. Im Sinne einer<br />
nachhaltigen Entwicklung erhalten Otzenrath/Spenrath<br />
und Holz am neuen Standort zukunftsfähige<br />
Strukturen. Auch die regionale Entwicklung<br />
läßt erwarten, daß mit neuen Akzenten für<br />
die Zeit nach der Braunkohle langfristig tragfähige<br />
Entwicklungen mit innovativen Konzepten eingeführt<br />
sind. Die Umsiedlung ist entsprechend den<br />
bisherigen Erwartungen weitgehend gemeinsam zu<br />
bewältigen. Eine begleitende Beobachtung und<br />
Dokumentation des Geschehens ist eingeführt. Im<br />
Konfliktfall kann der vom Land Nordrhein-<br />
Westfalen bestellte Umsiedlungsbeauftragte vermitteln.<br />
Unter diesen Bedingungen ist es möglich, eine<br />
Umsiedlung sozialverträglich zu gestalten.<br />
Szenario 2<br />
Der Ablauf des Tagebaus und des Umsiedlungsgeschehens<br />
verzögert sich. Diese Erfahrung<br />
kennen die Betroffenen bereits. Nach<br />
Braunkohlenplan war es vorgesehen, daß <strong>von</strong><br />
1997 an baureife Grundstücke am Umsiedlungsstandort<br />
angeboten werden, dies ist nun<br />
erst für Mitte 2000 zu erwarten. Das Umsied-<br />
lungsgeschehen sollte zwar innerhalb eines<br />
Zeitraums <strong>von</strong> fünf bis sechs Jahren abgewikkelt<br />
werden, der Tagebau würde jedoch die<br />
Ortslagen zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt<br />
erreichen.<br />
Der Bergbautreibende erfüllt die aus dem Braunkohlenplan<br />
resultierenden Verpflichtungen gegenüber<br />
den Umsiedlerinnen und Umsiedlern. Doch<br />
der verlangsamte Abbaufortschritt wird in der politischen<br />
Diskussion kommentiert, als Zeichen nachlassender<br />
Rentabilität gedeutet und nährt neue<br />
Spekulationen über die mittelfristige Aufgabe des<br />
Projektes Garzweiler II. Das RWE droht bei jeder<br />
Änderung der politischen Rahmenbedingungen, die<br />
Braunkohlenverstromung müsse aus Rentabilitätsgründen<br />
reduziert werden. Die öffentliche Diskussion<br />
um Positionen der Politik und um unüberschaubare<br />
Entwicklungen in den Unternehmen angesichts<br />
der Liberalisierung des Strommarktes<br />
führt zu weitergehenden Verunsicherungen.<br />
In den betroffenen Orten setzt erneut eine Spirale<br />
aus Hoffnung und Verunsicherung ein. Wer sich<br />
längst auf den Wegzug eingestellt hat, wird möglicherweise<br />
seinen Zielort ändern: wer weiß, wann<br />
und ob überhaupt der neue Ort soweit bezogen<br />
sein wird, daß sich ein normales Alltagsleben einstellen<br />
kann. Da scheint es sicherer, sich in einem<br />
bestehenden Wohngebiet anzusiedeln. Wer sich<br />
<strong>von</strong> vornherein nur schwer mit der Umsiedlung abfinden<br />
konnte, schöpft neue Hoffnung, auf Dauer<br />
bleiben zu können. Das Festhalten am alten Ort<br />
scheint wieder eine vernünftige, ja vielleicht sogar<br />
die moralisch bessere Haltung im Vergleich zum<br />
entschlossenen Wegzug zu sein.<br />
Diese Unsicherheiten und Uneindeutigkeiten verlängern<br />
den Umsiedlungsprozeß. Die letzte verschworene<br />
Gemeinschaft kann Jahre am alten Ort<br />
ausharren, der doch keine normalen Alltagsbedingungen<br />
mehr bieten kann.<br />
Irgendwann werden auch die Überbrückungsleistungen<br />
des Bergbautreibenden und der Gewerbetreibenden<br />
eingestellt. Der neue Ort aber steht in<br />
Gefahr, ein Torso zu bleiben, weil nicht genug Umsiedlerinnen<br />
und Umsiedler seiner Lebensfähigkeit<br />
vertrauen. Unter diesen Bedingungen wird es<br />
schwer bis unmöglich, das Gemeinschaftsleben<br />
des Dorfes aufrechtzuerhalten und vom alten auf<br />
den neuen Ort übergehen zu lassen. Es teilt sich in<br />
zunehmend verselbständigte Kreise auf. Wesentliche<br />
Ziele der gemeinsamen Umsiedlung können<br />
nicht erreicht werden.<br />
Die Rahmenbedingungen für Sozialverträglichkeit<br />
sind gefährdet. Auch wenn der Bergbautreibende<br />
seinen Verpflichtungen den Umsiedlern gegenüber
7. Erkenntnisse, Empfehlungen, Perspektiven 55<br />
uneingeschränkt nachkommt, auch wenn die Gemeinde<br />
und die übergeordneten Planungsbehörden<br />
die Ziele des Braunkohleplanes Punkt für<br />
Punkt umzusetzen versuchen, stehen all diese<br />
Bemühungen in einem größeren Zusammenhang,<br />
der den Sinn des Vorhabens in Frage stellt. Die<br />
Betroffenen haben den Eindruck, daß sie als<br />
Faustpfand im machtpolitischen Poker um verschiedenste<br />
Ziele benutzt werden. Dies untergräbt<br />
ihr Vertrauen darauf, daß das ihnen zugemutete<br />
Opfer einer Umsiedlung durch hinreichend gute politische<br />
Gründe für den Tagebau gerechtfertigt ist.<br />
Vertrauen ist jedoch eine unverzichtbare Grundlage<br />
für die Akzeptanz der Umsiedlung.<br />
Es kostet eine erhebliche Überzeugungsarbeit der<br />
Verantwortlichen vor Ort, in dieser Situation die Betroffenen<br />
nicht mit ihren Spekulationen und Konflikten<br />
allein zu lassen, sondern möglichst klare, kleinteilige,<br />
einigermaßen konsensfähige Ziele vorzugeben<br />
und unter den Umsiedlerinnen und Umsiedlern<br />
dafür zu werben. Dabei muß auch der<br />
Bergbautreibende uneingeschränkt loyal das Ziel<br />
mittragen, die ursprünglichen Planungen zeitgerecht<br />
umzusetzen. Es kostet ein Mehr an Beratungsarbeit,<br />
um individuelle Verunsicherungen zu<br />
klären. Es kostet ein Mehr an Informations- und<br />
Kommunikationsarbeit der Landesregierung und<br />
des Umsiedlungsbeauftragten, um den Betroffenen<br />
die Möglichkeit zu geben, zwischen Gerüchten und<br />
Fakten zu unterscheiden. Es erfordert weitergehende<br />
Beteiligungsangebote, da immer wieder<br />
gemeinschaftliche Auseinandersetzungen mit den<br />
Rahmenbedingungen erforderlich werden, wo es<br />
eigentlich nur noch um die Entscheidung über<br />
Straßengestaltung am neuen Ort gehen sollte.<br />
Unter diesen Bedingungen wird es zunehmend<br />
schwierig, eine Sozialverträglichkeit <strong>von</strong> Umsiedlungen<br />
im Sinne der Kriterien dieses <strong>Gutachten</strong>s zu<br />
erreichen.<br />
Szenario 3<br />
Die Veränderungen <strong>von</strong> politischen, insbesondere<br />
jedoch <strong>von</strong> wirtschaftlichen Erwägungen<br />
führen im Zeitraum der Umsiedlung<br />
<strong>zur</strong> Entscheidung, den Tagebau auf unbestimmte<br />
Zeit zu verschieben oder ganz aufzugeben.<br />
Die Annahme einer Umsiedlung ohne<br />
Tagebau wird Realität.<br />
Zwar ist die Bedingung einer Reversibilität erfüllt,<br />
real kommt eine Überprüfung der Grundannahmen<br />
jedoch zu spät. Die Umsiedlung, der nun nachträglich<br />
die Legitimation entzogen wird, hat schon begonnen.<br />
Bei der praktischen Bewältigung dieser Situation<br />
stellen sich massive Probleme. Ebenso wie die<br />
grundsätzlichen Entscheidungen zum Tagebau und<br />
<strong>zur</strong> Umsiedlung müssen individuelle Lebensentscheidungen,<br />
auch die bisherigen individuellen<br />
Vereinbarungen <strong>zur</strong> Entschädigung des alten Besitzes<br />
und <strong>zur</strong> Planung neuer Vorhaben überprüft<br />
werden. Neu gewecktes Engagement für den Erhalt<br />
der Bestände am alten Ort auf der einen Seite,<br />
Resignation bei jenen, die sich in ihren Erwartungen<br />
getäuscht sehen, auf der anderen Seite nehmen<br />
zu. Besonderer Kraftanstrengungen bedarf es<br />
sowohl für die öffentlichen wie auch für die privaten<br />
Dienstleistungen, die Zeit des Wieder- und des<br />
Neuaufbaus zu überstehen. Sowohl der alte Ort als<br />
auch der neue Ort bleiben als Ansammlungen <strong>von</strong><br />
mehr oder weniger verbundenen Splittersiedlungen<br />
<strong>zur</strong>ück, in denen ein normales Alltagsleben nur mit<br />
Hilfe langfristiger und aufwendiger Stützungsmaßnahmen<br />
möglich ist. Für das, was als gemeinsame<br />
Umsiedlung Kernstück der Sozialverträglichkeitsbemühungen<br />
ist, gibt es weder am neuen noch am<br />
alten Ort genügend Substanz. Beide Orte können<br />
entweder darum konkurrieren, legitime Nachfolger<br />
des durch Braunkohlenplanung (nicht Tagebau)<br />
zerstörten Gemeinwesens zu sein, oder sie können<br />
den äußerst belastenden Versuch unternehmen,<br />
langfristig eine Dorfgemeinschaft über Distanzen<br />
zu leben.<br />
Nicht-Realisierung <strong>von</strong> Vorhaben kann Ökosysteme<br />
in letzter Minute retten. Für dörfliche Gemeinschaften<br />
gilt das mit Beginn der gemeinsamen<br />
Umsiedlung nicht mehr. Sie sind dann längst nicht<br />
mehr die ursprünglichen, vom Vorhaben unberührten<br />
Gemeinschaften. Sie haben als tagebaubetroffene,<br />
als umsiedlungsbetroffene Gemeinschaft<br />
längst eine Art Übergangs-Identität angenommen<br />
mit dem Ziel, am neuen Ort zu neuer Normalität zu<br />
gelangen. Sozialverträglichkeitskriterien befassen<br />
sich mit dieser Situation und dieser Aufgabe. Wenn<br />
der Tagebau jedoch aufgegeben wird, entsteht eine<br />
völlig neue Situation. Das Instrumentarium und<br />
die Wertkriterien für Sozialverträglichkeit, wie sie<br />
diesem <strong>Gutachten</strong> zugrundeliegen, decken diesen<br />
Fall nicht ab.<br />
Wenn zumindest zwei zentrale Voraussetzungen<br />
für Sozialverträglichkeit nicht gegeben sind – weder<br />
die Einsicht in die energiepolitische Notwendigkeit<br />
des Vorhabens noch die gemeinsame Umsiedlung<br />
– kann nicht mehr <strong>von</strong> Sozialverträglichkeit<br />
gesprochen werden.
56 Literatur<br />
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Sevenich, R., Brendel, P., Gellrich, B. (Hg.), Sozialverträglich?<br />
Garzweiler II Teil 2, Aachen 1996<br />
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Zlonicky & Partner, <strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong> Beurteilung der Sozialverträglichkeit<br />
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in der Gestaltung <strong>von</strong> Umsiedlungsstandorten,<br />
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4/86<br />
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(Vorabentwurf) Köln 1999<br />
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Nr. 5 1998, S. 491-495<br />
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vom 29.4.1997 in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren<br />
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag<br />
Nordrhein-Westfalen gegen den Landtag Nordrhein-<br />
Westfalen<br />
Planungsgruppe H. Heldmann, Prof. H. Ulrich, K.W.<br />
Schrey, Prof. G. Hülsmann, Die Baufibel, Inden 1991<br />
Planungsgruppe Prof. Ulrich und Partner, Umsiedlung<br />
Etzweiler /Gesolei: Bauen und Gestalten, Aachen 1994<br />
Regierungspräsident Köln, Geschäftsstelle des Braunkohlenausschusses,<br />
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Teilabschnitt II, Köln 1990<br />
Regierungspräsident Köln (Hg.), Geschäftstelle des<br />
Braunkohlenausschuß, Protokoll des Braunkohlenausschuß<br />
vom 30.5.1990<br />
Regierungspräsident Köln (Hg.), Geschäftstelle des<br />
Braunkohlenausschuß, Protokoll des Braunkohlenausschuß<br />
vom 22.3.1993<br />
Regierungspräsident Köln (Hg.), Braunkohlenplan Hambach,<br />
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1994<br />
Regierungspräsident Köln (Hg.), Informationen <strong>zur</strong><br />
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1984, Köln 1984<br />
Regierungspräsident Köln (Hg.), Informationen <strong>zur</strong><br />
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Umsiedler im Rheinischen Braunkohlenrevier, Stand<br />
1992, Köln 1992<br />
Regierungspräsident Köln (Hg.), Konzept der landesplanerischen<br />
Festlegung <strong>von</strong> Umsiedlungsflächen in Braunkohlenplänen,<br />
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Köln 1990<br />
Regionalsynode Energie der Kirchenkreise Aachen,<br />
Gladbach, Jülich, Köln-Nord, Köln-Süd und Krefeld, Die<br />
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Jüchen-Otzenrath<br />
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Rheinbraun, Tagebau Garzweiler II, Angaben <strong>zur</strong> überschlägigen<br />
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1992<br />
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Literatur 59<br />
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im Rheinischen Braunkohlenrevier, 22.04.1994<br />
Rheinbraun, Gemeinsam die Umsiedlung gestalten – Ein<br />
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Köln 1997<br />
Thünker, H., Standortuntersuchung für die gemeinsame<br />
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Ulrich, H., Baufibel für den Umsiedlungsstandort Inden/Lamersdorf,<br />
1992<br />
Vereinte Initiativen - Bürger gegen Abbau Garzweiler II<br />
(Hg.), Stellungnahme zum Zlonicky-<strong>Gutachten</strong> <strong>zur</strong> Sozialverträglichkeit<br />
<strong>von</strong> Umsiedlungen im Rheinischen<br />
Braunkohlenrevier, Erkelenz, o. J.
60 Literatur