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Der Mundart-Kurier - Gesellschaft für Nordhessische Mundarten

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<strong>Der</strong> <strong>Mundart</strong>-<strong>Kurier</strong><br />

Nr. 9 / April 2007 Mitteilungen der <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Nordhessische</strong> <strong>Mundart</strong>en e.V.<br />

Aus dem Reich der Mitte<br />

Gedanken vom Hessen-Henner<br />

zur Erweiterung der Europäischen Union am 1. Januar 2007<br />

Also, gestern honn-ech-en ganzen<br />

Daach lang off minnen Leuchtglobus<br />

gestiert. Onn zwarschs hatt-ech<br />

erchendwo gelääsen, daß met-em<br />

erschten Jannewaar, wo Bulgarien onn<br />

Rumänien bie de EU dozugekommen<br />

sinn, der Mittelpunkt Europas vom<br />

Westerwald ins Hessenland<br />

gerutscht äß. Genau gesacht:<br />

von Kleinmaischeid<br />

im Kreis Neuwied an-en<br />

Rand von Meerholz, woß<br />

zu Gelnhausen zällt.<br />

Onn nuu kann-me joo<br />

in aller Bescheidenheit<br />

sprechen: Vom Kaiser<br />

Barbarossa wohr Gelnhausen<br />

sinne Lieblingspfalz,<br />

jedenfalls liwwer als<br />

wie Rheinland-Pfalz. Onn<br />

desse Kaiser damals hatten<br />

joo praktisch schonn<br />

de ganze EU onner sech,<br />

au wenn-sä sech damals<br />

noch ganz anners schimpete.<br />

Awwer trotzdääme: Genauso<br />

wie däär Landwärten<br />

Schrecken krächte, off<br />

dääme sinnem Acker nuu<br />

der Mittelpunkt verankert<br />

äß, genauso wäären-sech<br />

wahrscheinlich au vääle Menschen<br />

Richtung Fulda, Kassel heimlich<br />

gedacht honn: Mensch, so’n baar Kilometer<br />

bloß in innse Richtung onn<br />

mä weeren der Mittelpunkt vom<br />

Lääwen.<br />

Me weiß au gar net, wie-sä doß genau<br />

gemessen honn. Daß ’z Nationalgeographische<br />

Institut von Frankreich<br />

doohinner steht, äß schommoo’n<br />

ganz gutes Zeichen. Dommschnutten<br />

sinn doß bestimmt net. Awwer wennech<br />

mää Europa als Sperrholzplatte<br />

vorstelle onn met der Laubsääche de<br />

Schweiz onn Norweechen onn-en<br />

Balkan rußsääche, dann kann-ech’s<br />

doch hinnerhäär bloß met ’ner Zirkelspetze<br />

ußbalancieren onn solange in<br />

alle mööchlichen Ecken stechen, beß<br />

minn Bräät dann net mee ronnerfellt.<br />

Doß kann-me awwer met ’ner echten<br />

Landschaft so net machen. Onn<br />

die echte Euro-Platte weer joo au net<br />

flach! Onn woß bassierd au met dääm<br />

Wasser vom Ärmelkanale oder’m Mittelmeer?<br />

Zällt doß mette zu Europa?<br />

Onn hantieren die Vermesser au met<br />

onnerschiedlichen Gewichten? Also<br />

daß jetzt Österreich met sinnen väälen<br />

Termin:<br />

Sonntag, 2. September 2007:<br />

10. <strong>Nordhessische</strong> <strong>Mundart</strong>tag<br />

in Breuna<br />

Bäärchen mee Gewicht hodd als wie<br />

Finnland, doß als Land ganz flach onn<br />

halb uß Sudde äß?<br />

Doß sinn so Probleme, ne! Onn es<br />

kemmet noch doozu, daß joo öwerall<br />

Verkehr äß onn de Menschen onn de<br />

Autos dann je noo Saisong onn Stau<br />

woanners stenn onn’s<br />

Gewicht dann au verschieben.<br />

Wenn doß nämlich so<br />

weer, dann hätt-ech ’ne<br />

Idee. Dann mißden mä<br />

inns hie uß innsem Sendegebiet<br />

alle Mann met<br />

schweren Bussen onn<br />

dicken Koffern Richtung<br />

Finnland am besten beß<br />

hinner Rovaniemi offmachen.<br />

Onn schonn<br />

hätten-mä dään Schwerpunkt<br />

emme de entscheidenden<br />

Kilometer verschowwen!<br />

Oder mä fahren alle<br />

noo Sizilien onn machen<br />

inns so schwer, daß der<br />

Ätna voll Wasser schwäppet<br />

onn im Mittelmeer<br />

versinket. Awwer doß äß<br />

villichte zu riskant. Onn<br />

der Barbarossa hodd<br />

joo immer sinnen Jahresurlaub off<br />

Sizilien gemacht. Onn wenn Sizilien<br />

onnerginge, dann keeme hä villichte<br />

uß-em Kyffhäuser gekrabbelt onn<br />

deede sech beschweren. Onn dann<br />

hätte nadüürlich Gelnhausen wedder’n<br />

1-a-Schutzpatron,<br />

net-woor-net-moo-net . . .<br />

Reinhard Umbach, HR4: „Hessen-Henner“,<br />

Sendung v. 22. Januar 2007.


<strong>Der</strong> <strong>Mundart</strong>-<strong>Kurier</strong> 9 / 2007 5<br />

Die dressierden Behnen<br />

Nacherzählt von Karl-Heinz Berndt, in Nentershäuser <strong>Mundart</strong> übertragen von Hilde Lehmann<br />

Bis Eng zweidausendunvier<br />

hadden mee<br />

in Nanderschhüsen en<br />

Forschtamt. Das wor in<br />

da „Ruhl“ im freheren<br />

Jachtschloss ungergebroacht.<br />

Nit wiet dovun<br />

wor eu de Ferschterei,<br />

wo naben dam Revierferschter<br />

eu da Büroleider<br />

vum Forschtamt<br />

gewohnt hot. Die Rede<br />

es vum Oberferschter<br />

Dieter Werner. Sinne<br />

Leidenschaft woren de Behnen, un<br />

dofeer hatt ha sich in sim Goarden en<br />

Behnenhüs uffgestahlt. Do kunn ha<br />

eu vun sinner Oarbeitsstell üs schnall<br />

mool nooch sinne Behnen gegügg; as<br />

kunnt jo immer mool wos gesinn. Morjens<br />

un oabens hot ha sich sowieso in<br />

sim Goarden beschefticht.<br />

On ennem scheenen Dog im Frehjoahr<br />

koom sin Nochber Gustav Schäfer<br />

mool ganz uffgeraat ins Forschtamt<br />

geläufen: „Herr Ferschter, kummt<br />

schnall, bei Üch es groad en grosser<br />

Schwoarm Behnen üsgeflochen un<br />

hängd in Ürem Goarden im Abbelbäum.“<br />

Da Ferschter Werner hatt groad veel<br />

in sinner Schriestubbe ze duun, abber<br />

sinne Behnen woren am eu wichtich. So<br />

es ha schnall in sinn Goarden un wull<br />

dan Schwoarm obschiddel. Do sieht ha<br />

zufällich im Schwoarm die Keenichin,<br />

die vun am mit Foarbe gezeichnet<br />

wor. Die hot ha dann schnall in so’n<br />

Nentershausen, Ortsteil Ruhl (50er Jahre)<br />

kleinen Käfich ningedon un widder in<br />

dan Behnenschwoarm gehangen. Nu<br />

wor ha zefreeden, weil ha wusst, dass<br />

da Schwoarm ohne sinne Keenichin<br />

nit widderzieht un ha nu bis zu sinner<br />

Middogspause Ziet hatt.<br />

Wie ha dann abber noochha dan<br />

Schwoarm obschiddel wullt, wor doch<br />

schonn en grosser Deil vun dam Volg<br />

üsgeschwermt, weil sinne „Kundschafter“<br />

schonn enne neube Behnenwohnung<br />

gefungen hadden.<br />

Nu wor sin Nochber Gustav abber<br />

richtich uffgeraht: „Ich hon Üch doch<br />

hit moarjen glich Bescheid gesaat.<br />

Wärd Dee glich kummen, dann haddet<br />

Dee jitzt Üre Behnen noch!“<br />

Abber da Ferschter wor die Reuh<br />

salber. Ha piff dam Schwoarm hingerha<br />

un vasicherte dann dam Gustav,<br />

dass die Behnen alle widder zerickkummen.<br />

„Och“, hot Gustav gesaat, „dos gleibet<br />

Dee doch salber nit!“<br />

Do hot da Ferschter<br />

Werner zwei Finger<br />

in sin Müll gestobbt<br />

un nochmool lüüt<br />

hinger dam Schwoarm<br />

hagepiffen. As dürd eu<br />

nit lang, un de erschten<br />

Behnen koomen<br />

doch dadsächlich zerickgefloochen.<br />

See<br />

hon do noch ungefehr<br />

so ’ne vertel Stunn<br />

gestenn, un da ganze<br />

Schwoarm hung widder<br />

im Abbelbäum.<br />

Schäfers Gustav schiddelte sin Kobb:<br />

„Ich kann’s nit gegleibe, die Behnen<br />

heeren jo besser uff Üch wie Ür Hund.<br />

Wann ich’s nit mit eichnen Äuben gesehn<br />

hätt, ging’s ibber min Verstaand.“<br />

Ha hot’s dann eu noch dan Nochbern<br />

erzahlt, abber die hon dann ganz<br />

gribsch gegüggt.<br />

As wor ’ne ganze Will ibberhin, do<br />

hot da Ferschter dann dam Gustav dan<br />

woahren Sachverhalt mit da Keenichin<br />

un dam kleinen Käfich erzahlt. Do wor<br />

dann da Gustav ’ne ganze Will schalü<br />

mit am. As hot am mächtich gefuchst,<br />

doss da Ferschter am so ins Bockshorn<br />

gejoad hatt. Un ver sinne Nochbern<br />

hatt ha sich eu blamierd. Mit da Ziet<br />

es dann Groas ibber die Sach gewossen<br />

un Gustav hatte mit dam Ferschter<br />

widder gude Nochberschaft.<br />

gribsch ‚ungläubig‘; schalü (franz.?) ‚eingeschnappt‘.<br />

Die Nentershäuser <strong>Mundart</strong>-Projektgruppe<br />

Mitte der 90er Jahre; von links:<br />

Karl-Heinz Berndt, Maria Riedel, Hildegard<br />

Lehmann und Walter Patan.<br />

Veröffentlichung 1996: „Freher hot’s<br />

ganze Därf so geschwatzt“, Nentershäuser<br />

<strong>Mundart</strong>, hrsg. v. Heimat- u.<br />

Verkehrsverein Nentershausen e. V.<br />

Aus dieser Publikation sind die hier<br />

verwendeten Abbildungen. <strong>Der</strong> Text<br />

„Die dressierden Behnen“, bisher noch<br />

unveröffentlicht, wurde eingereicht<br />

vom „Plattschwatzverein“ (= Nentershäuser<br />

<strong>Mundart</strong>-Stammtisch).


6 <strong>Der</strong> <strong>Mundart</strong>-<strong>Kurier</strong> 9 / 2007<br />

Keiner sprecht’s Von Reinhard Umbach<br />

Väärichen Sonnowed wohr oi sowoß!<br />

Ech steh’ wedder an der Strooße onn<br />

käähre. Kemmet off eimoo’s Elsbett<br />

bie mech onn sprecht mää, daß-es mää<br />

woß sprechen willte. Wörtlich hodd’s<br />

gesprochen:<br />

„Du, Henner, ech muß dää moo woß<br />

sprechen!“<br />

Doo honn ech zu ämme gesprochen:<br />

„Ach, Elsbett, komm! Hie äß-es mää<br />

zu kaalt! Dann loß inns ninn genn onn<br />

spräck’s mää doo!“<br />

Mä also schonn am hellichten Daache<br />

in de gurre Stowwe.<br />

„So, hie kannste’s mää gesprechen!“<br />

honn-ech zum Elsbett gesprochen.<br />

„Joh“, sprecht es doo, „wie sall-ech<br />

dann moo sprään? Hodd dää dann<br />

noch kämmänsche woß gesprochen?“<br />

„Nä“, sprää-ech, „mach mää keene<br />

Angest! Woß hodd kämmänsche net<br />

zu mää gesprochern?“<br />

„Nein“, sprecht es doo, „net woß du<br />

jetzt denkest! Es äß joo nex Schlämmes,<br />

woß ech dää sprään wäll. Moo so<br />

gesprochen . . .“<br />

De Harley-Davidson Von Ria Ahrend<br />

Glich noh d’m Zwetten Weltkrieche,<br />

noh d’r Währungsreform in 1948,<br />

waren de jungen Liete ganz verreckt<br />

dohnoh, ’nen fahrbaren Unnersatz ärre<br />

eichen ze nennen. Doh honn säh Ratenzahlungen<br />

mit d’m Händler abgesprochen,<br />

nur imme nit meh met d’m Zuch<br />

odder met d’r Stroßenbahne ze fahren.<br />

Säh wullten sich vum Gros d’r Masse<br />

abhewen, wullten unbekimmert ärrer<br />

Arweit nohgeh’n, imme dann endlich<br />

noh Fierowend met Schwung unn<br />

Lunne ins Griene ze fahren. Usserdeme<br />

wullten säh’s au d’m Nachber zeichen,<br />

dass säh sich was leisten kunnten.<br />

In Lollar bie Gießen treffen sich<br />

schun lange Johre ’ne besonnere Aart<br />

vun Motorradfahrern. Immer wullte<br />

ich moh dohbie sinn, imme ärre Fachsimbeleien<br />

mittezekrichen, awwer verr<br />

allem disse wunnerbaren Motorräder<br />

näher ze betrachten.<br />

Bass erstaunt war ich, als ich dann in<br />

Lollar ingetroffen benn. Iwwerall kunntest<br />

de d’n hibschen Klang odder Sound<br />

uff Englisch heeren. Diss war Musicke<br />

ferr minne Ohren, unn veele Fans wa-<br />

„Joh“, sprää-ech, „awwer erchendwoß<br />

äß-es doch, woß dä mää sprään<br />

wädd! Onn zuwenichstens sprechen<br />

mußt-du’s mää, sonst weiß-ech doch<br />

gar net, woß du mää öwwerhaupt sprechen<br />

wädd . . . !“<br />

„Gewäß“, sprecht es doo, „ech<br />

sprää’s dää joo oi! Ech wullde bloß<br />

net’s erschte sinn, däär’s dää gesprochen<br />

hodd. Ech doichte nämlich, du<br />

wißtest’s schonn, weil doch hawille<br />

alle doovonne sprään!“<br />

„Ach woß dann!“ honn-ech doo<br />

gesprochen. „Öwwer nex onn niemanden<br />

hodd kämmänsche woß zu mää<br />

gesprochen! Mää hie sprecht doch nie<br />

wäär woß!“<br />

„Dann werd’s joo werklich langsam<br />

Zitt, daß-es dää wäär sprecht!“ sprecht<br />

es doo.<br />

Onn ech sprää: „Joh, doß schinnt<br />

mää oi so! Wenn du jetzt net gekommen<br />

weerst, emme’s mää zu sprechen –<br />

kämmensche hätte’s mää gesprochen!<br />

Bloß baale spräck’s!“<br />

Doo sprecht es off eimoo: „Awwer<br />

ren gekummen. Ich hatte minne Kammera<br />

dohbie, weil ich im Ufftraache d’r<br />

Presse ’nen Bericht abgäwen sullte mit<br />

hibschem passenden Fotto.<br />

Uff eimoh spricht mich doch jemand<br />

aan. „Na, Frau Ahrend, heite au in<br />

disser Geechend?“ Ich war erschtemoh<br />

ganz baff unn krechte kinn Wertchen<br />

russ. Hie in disser Kante hatte ich doch<br />

gar kinne Freunde odder Verwandtschaft.<br />

Ich betrachtete nu dissen Mann<br />

en beßchen meh unn sah dann glich,<br />

dass das minn Nachber war, der ganz<br />

in minner Nähe derheime wohnte. Na,<br />

so was! <strong>Der</strong> in ’ner Original-Harley-<br />

Davidson-Jacke? Das derf’s doch nitt<br />

gäwen. Häh hatte sogar de passende<br />

Mitze au uff d’m Kobbe unn sech au<br />

noch ’ne Pericke iwwergestilpet, die<br />

sinnen natierlichen Rauschebaart noch<br />

unnerstrech.<br />

<strong>Der</strong>heime kannte ich dissen Mann de<br />

ganze Woche iwwer nur in Arweitsklamotten.<br />

Häh war Handwerksmeister<br />

unn lief nur in sinnem blohen Aanzuch<br />

derimm. Där hatte sech awwer<br />

ins Zeuch gerschmessen! Aan sinner<br />

so geschwinde, wie du doß jetzt denkest,<br />

äß-es oi wedder net gesprochen.<br />

Sonst weer ech joo net extra hie,<br />

emme’s dää zu sprechen, Spräck doch<br />

moo sällwer . . . !“<br />

Tja, woß sall-me nuu zu sowoß noch<br />

gesprään? Ech honn jedenfalls gesprochen:<br />

„Dann spräck’s mää ääben langsam,<br />

sonst versprechest de-dech noch!“<br />

„Joh“, sprecht’s Elsbett doo onn<br />

sprecht noch: „Awwer net, daß de mää<br />

hinnerhäär beese bäst, weil ech’s dää<br />

gesprochen honn . . . !“<br />

„Ach woß!“ sprää ech doo, „Onn<br />

nuu spräck’s!“<br />

Onn doo off eimoo, wie es es mää<br />

sprechen wullte, doo gigget’s off eimoo<br />

off de Uhre onn sprecht: „Och gottergott,<br />

ech honn joo noch–en Zockerkuchen<br />

off-em Häärde stenn!“ Onn wie’s<br />

schonn im Huß-Ern äß, doo sprecht’s<br />

noch: „Dann komm-ech nächsten Sonnowed<br />

nommoo bie dech onn sprää’s<br />

dää dann . . . !“<br />

Doo wohr-ech awwer sprachlos!<br />

MA: Edermünde-Holzhausen<br />

rechten Hand bletzten vier silwerne<br />

Ringe, die ich sisten nie aan ämme<br />

gesähen honne. Joh, ich muss sprechen:<br />

„En doller Typ, minn Nachber!“<br />

Un mit dissen Gedanken numm ich<br />

de Kamera unn drickete uffs Kneppchen<br />

unn sah verr mäh en hibschen<br />

älleren Mann, där’s werklich moh<br />

wissen wullte.<br />

MA: Baunatal-Großenritte


<strong>Der</strong> <strong>Mundart</strong>-<strong>Kurier</strong> 9 / 2007 7<br />

Ippet Von Werner Guth<br />

Minn Nachber, där ahle Fritz Itschenduller,<br />

is als am Wuhlen, hä is kinn Fuller:<br />

Dän ganzen Daach machte im Gaarten rimme,<br />

zieht de Bohnen hoch, lächt de Nesseln imme,<br />

de Omiesen machte mit Bulwer weg<br />

un zuppelt als uß, wie hä sprijjet, den „Dreck“.<br />

Dissen Morjen – ich geh’ an de Hecke un buller’ –<br />

wär kimmet ? <strong>Der</strong> Fritze Itschenduller.<br />

Geschwinde zieh’ ich den Reißverschluß ruff,<br />

do lächte schunn los un rächt sich uff.<br />

Ich wußte’s: de Nachbern. Do ließ sich druff wetten.<br />

So war’sch. Hä stitzt sich uff de Stagetten:<br />

„Bagaasche“, sprichte, „guck bloß moh niwwer –<br />

disse komischen Hippis do gäjenriwwer.<br />

Kinnten die dann nitt moh ähr’n Rasen mehn ?<br />

Vor Mitternacht nitt ins Bette gehn,<br />

jo, das kunn se. Ähre Gaarten sieht uß –<br />

do fährschte doch glatt uß den Schogen ruß.<br />

Wie geht’s dä dann ? Ich honn’s im Ricken:<br />

im Kritze ’n ganz gewittersches Zwicken,<br />

wann ich mich so ’n bißchen noh links hinne dreh’.<br />

Herrjee – es diet eim doch als was weh.<br />

Biem Dippel driwwen, guck’s dä bloß aan:<br />

do steht doch alles vull Lewenzahn.<br />

Schunn dreimoh honn ich däm Kerle gesprochen:<br />

‚Das kimmet doch als bie mich niwwergeflochen<br />

un geht dann uff!‘ Doch glauweste dann,<br />

där macht en weg, disser Weihnachtsmann ?<br />

Un uff sim Kombost, do grient’s un blieht –<br />

daß das disser Klambes gar nitt moh sieht !<br />

Hä mißte’n dringend moh immeschippen.<br />

Ach Gott, minn Ekzem, was diet’s widder ippen.<br />

Mä jucken – ich krijje doch baale de Blatze –<br />

d’s Gesichte, de Armen, de Anke, de Glatze.<br />

Kratz mich doch hier moh unner den Schullern.<br />

Warscht du dann äwend grade biem Bullern ?<br />

Das mach doch am Zaun bie där do uß Bolen.<br />

Das Mensche, ach, deed’s doch der Deiwel holen !<br />

Disse bollsche Wirtschaft, nix uffgerimmet,<br />

wie wann de Ordnung’ vun selwer kimmet.<br />

Do guck moh bie mä, minne Beede hier:<br />

Minn Spanschlauch un de Schlotten, stehn die nitt Spalier ?<br />

Awer werf moh en Blick uff Willäms Rabatte:<br />

Kinn Winkelmooß kennte, kinn Seil, kinne Latte,<br />

hott’s krumm un scheib un buckelich.<br />

Wird dä do nitt au ganz schwindelich ?<br />

Ach jo – abroboh: minn Blutdruck is runner.<br />

Daß ich noch stehn kann, is ei’ntlich en Wunner.<br />

Mä dreht sich’s. Kann au nitt mehr richtich gucken.<br />

Un dann diß älende Auchenlidzucken.<br />

Guck hier, disse Quaddeln: Mä schwant – verflucht –,<br />

ich krijje schunn widder de Nesselsucht.<br />

Disse Flaatschen als, die gä’m mä den Rest.<br />

Minn Ekzem – näwenbie –, das näßt un näßt,<br />

mä suppt doch de Brieh schunn uß den Ohren.<br />

Kannst du mä moh sprejjen: Was honn dann verloren<br />

disse Bolen bie uns ? Bie där do im Rasen<br />

disser Mullwurf – näh – se sillte’n vergasen,<br />

ehr dasse sich bie mich durchgewuhlt hott.<br />

Bassiert das awer – dann gnade ähr Gott !<br />

Disse Bollsche ! Där Dippel ! Diß Hippipack !<br />

Geht’s witter so, hau ich glatt in den Sack ! !<br />

Mä schicket’s ! ! Me is je en Mensch schließlich doch ! ! !<br />

Mach’s gut – un en scheenen Daach au noch !“<br />

In Zukumft, do geh’ ich zem Bullern uffs Klo.<br />

Där Fritze vun driwwen – hä nervt mich so . . .<br />

<strong>Mundart</strong>: Kassel<br />

Ippen ‚jucken‘ – Fuller ‚Fauler‘ – Omiesen ‚Ameisen‘ – Dreck<br />

‚Unkraut‘ – Schogen ‚ Schuhe‘ – – Spanschlauch ‚Spanisch Lauch,<br />

Porree‘ – Bolen ‚Polen‘ – bollsche Wirtschaft ‚polnische Wirtschaft‘.


<strong>Der</strong> <strong>Mundart</strong>-<strong>Kurier</strong> 9 / 2007 9<br />

<strong>Der</strong> getreggen un ufrechtigen Lainnes-Kenger<br />

Hertzlige Betrüwetniß /<br />

Onmosgäbligen awerscht doch wohl-meigenden Roth /<br />

Wie au Demüdigeste Bidde /<br />

Als der<br />

Allerdorchlichtigeste un Großmächtigeste Ferschte<br />

Fredderich /<br />

der Schweden / Gothen und Wennen Kenick / etc. etc. etc.<br />

Laindgraf ze Hessen /Ferschte ze Herschfeld / Graf ze Catzenellenbogen<br />

/ Ditz / Zegenhan / Nida un Schumbork / etc. etc.<br />

Unse allergnädigeste Kenick /<br />

Allerlieweste Lainnes-Ferschte un gruindgitigester Herr /<br />

Aewwer uinsem Vermuden uß sym getregen Vater-Lainne<br />

wedder nuß / un newwer in syn Kenickrich zihn wull / ymme<br />

de Zit do me den Win leßt / wan me sen hot / un mä de Mertens-[G]ense<br />

ufsetzen / wan se nit ze tire syn / im Johre do<br />

Hä rewwer kam.<br />

Aller ungerdänigest un gaintz wehmydigst in ährer aller Namen<br />

/ se gut als es emme syne Betrywetniß un lame Hänge<br />

hon zugelon Ufgesaßt vun dem nagel-nuggen Hessen-Poeten /<br />

der vum Wissener runger gekuppelt un ver dem Parnaß leggen<br />

geblewwen / Bis Uinse allerlieweste un allergnädigeste Kenick<br />

un Lainnes-Ferschte wedder kummet /<br />

Wels G O T T !<br />

Ich Hoffs Minnige<br />

Gedrockt ym Johr 1731.<br />

1 Was heren mä doch itzt / o Grosser Fredderich!<br />

Tä wult uins nu verlon un geht in Ugge Rich /<br />

Was hon me Uch gethon daß Tä stracks vun uns wichet?<br />

Eim schenen Norden-Licht im vullen Glaintz Tä glichet /<br />

5 <strong>Der</strong> uins en wylchen schint un glich wedder vergeht /<br />

Un lest uins danderno im Finstern wo me steht /<br />

Was bat uins nu die Freid / die uins es ruß geplatzet /<br />

Wan Tä uns schunt von gänn und vun wegzieen schwatzet /<br />

Me stachten tief im Finstern un grusser Traurigkeit /<br />

10 Ym uinsen Tihren Ferschten der uins se sehre gefreit /<br />

Do kume bricht an der Tag vun Uren schenen Glaintze /<br />

Se gets uins wie der Brut wann sä muß von dem Taintze.<br />

Mä hon Uch jou noch nit rächt saad un tecke gesähn /<br />

Un Tä wult äwern winckgen vun uins glich wäcker gähn.<br />

15 Was triewet awerscht Uch se ylenings ussem Lanne?<br />

Mä gude Hessen syn se bleindnings am Verstanne /<br />

Daß mä uins glich doher Unroht vermuden wunn /<br />

Mä wunn je gärne duhn was ockerst mä duhn kunn.<br />

Dann mä hon alst gehort vun uinsen Eller-Heyten:<br />

20 Wann sich en Nordschin zeegt bedets Tribseeligkeiten.<br />

Das hon mä au gesähn un enketen bedracht /<br />

Und das schunt manchen Owend by distrer stiller Nacht.<br />

Verm Johre war en Schyn vun Norden an dem Hymmel /<br />

<strong>Der</strong> Winter der war schaarf und kreichten keinen Kimmel /<br />

25 Sät / sou bedrachten mä de Zeechen un de Zit /<br />

Wie wirds uns dann noch genn? Tä ziht vun uins ze wit.<br />

Drüm Grosser Kenick / loot Uch doch en mohl beschmusen /<br />

Tä kunt jou wou Tä wult by Eim un Angern husen /<br />

Nu es de beste Lost ver Uch de schenste Jacht /<br />

30 <strong>Der</strong> suure Kohl wird gut / un Späck der ein anlacht /<br />

Was heren mä doch itzt (1731)<br />

Von dem „nagelneuen Hessen-Poeten“ I. H. M.<br />

Und wird der Owend lang / se genn mä hibsch zem spingen /<br />

Un lon de Wiewes-Thiere ähre Spin-Liderchen fin singen.<br />

Jo was Tä ockerscht wult / das sal seglich geschähn /<br />

Ach kinten mäs Uch nurscht an Uren Augen sähn.<br />

35 Was hilfts uins daß Tä syt se wit gekummen rewwer /<br />

Un wult in der Gefahr Uch wogen wedder newwer?<br />

Bedänckt doch was Tä tuht! Tä sit kein schlächter Mann /<br />

Es leget em Kenigriche un uins gar vele dran.<br />

Den Kenegen do Tä no ylt der wersch gar ungelegen /<br />

40 Wan Tä Uch in Gefahr gestacht hätt ärentwegen;<br />

Veelichte gläuw’te Sä als eine wyse Ferschten /<br />

Mä hetten / wyl dä yllt / Uch hungern lohn un derschten.<br />

Jo wan Tä ockerst winkt / se wumme Sä rewwer langen /<br />

Dan mä hon (das es wohr) no ähr en grouß Verlangen.<br />

45 Y no se bliewet hie! Tä un au uche Lide /<br />

Mä hon / wels GOtt! noch saat; Mä hon au schene Bride /<br />

Mä hon noch ve[e]lerley das Uch ze Dienste stet /<br />

Das krigget Tä doch nit / wan Tä vun uins wäck get.<br />

Jo denket okkerst hen am Verroht den mä machen /<br />

50 Uf dissen Wender hen vun Frocht un angern Sachen /<br />

An Linsen / Boonen / Krut / Käß / Egger / Botter / Späck /<br />

Un was des Zigges meh. Un Tä wult vun uins wäck?<br />

Nu Grousser Lainnes-Ferscht! lot Uch vun uins erweichen /<br />

Mä wun ze Urem Heyl de Häng nan Himmel reichen /<br />

55 Das Hertz hon mä fer Uch / günt uins nurscht Ure Huld /<br />

Se es uins Ure Gnade der schenste Ruge-Puld.<br />

Ach! daß in Schweden Tä nurscht immerscht Kenick weeret /<br />

Tä bläwwet awwerscht hie wou mä Uch gaintz vereeret /<br />

Tä syt jou doch verwohr uinse eigen Fleisch un Blut /<br />

60 <strong>Der</strong> tappern Catten Hertz / der Hessen Erw un Gut /<br />

Des Groußmitigen Carls recht Äwenbild un Freide /<br />

Jo aller treggen Hessen ähr Hertzens Augen-Weide.<br />

Mä kinnten veele meh vum Groussen Fredderich saan /<br />

Das Schwatzen awerscht get verm Kenege nit an.<br />

65 Nou sals dan au sou syn / daß Tä uins wult verlossen /<br />

Un nit en Wylchen noch zu bliewen hot beschlossen /<br />

So denkt / o Lainnes-Vater! daß Dä hie Wäysen loot /<br />

Unger Verminger Hänge / un uins jou nit verloot /<br />

Ach kumt jou bale wedder Tä gillen Lainnes-Ferschte /<br />

70 Un brengt de Kenegen / sist riedete in de Gärschte.<br />

Nu Hessen-Kenger loot ur’ Augen Trenen quellen /<br />

Ur Augen-Trost zieht wäck loot ure Siffzer schnällen /<br />

Doch hert en winkgen uff es felt mä ewen yn /<br />

Des wiesen Willems Roht wird uins gar netzlich syn.<br />

Hessische Arie uf der Zetter.<br />

Reyse un läwe / o Grousser Fredderich ! läwe bis zum<br />

ew’gen Schin /<br />

Loot den Nordschin Urer Gnaden / tecke uf uinsem Häuwete<br />

schinn’n /<br />

Loot der Schweden Lewe / Hessen, Hessens Lew’ en<br />

frindlich sin /<br />

Dan se sal uins nimmermeh puppern wie verhen<br />

ferm Nordschin /<br />

Un mä kun den ungerm Schotze disses Lichtes frelich sin.<br />

Reyse un läwe / o Grousser Fredderich! läwe bis zum<br />

ew’gen Schin.


10 <strong>Der</strong> <strong>Mundart</strong>-<strong>Kurier</strong> 9 / 2007<br />

Die zwei niederhessischen Huldigungsgedichte von 1731 Von Werner Guth<br />

Als Friedrich, Landgraf zu Hessen und<br />

König von Schweden, im Sommer 1731<br />

seine hessische Heimat besuchte, erschien<br />

(offenbar als Einblattdruck) das<br />

Begrüßungsgedicht, das wir im letzten<br />

MAK wiedergegeben habe. Als Friedrich<br />

im Herbst 1731 wieder zurückreiste,<br />

erschien das hier auf S. 9 wiedergegebene<br />

Abschiedsgedicht „Was<br />

heren mä doch itzt“.<br />

Beide Gedichte sind anonym publiziert<br />

worden. Bezeichnet sich der Verfasser<br />

des ersten Gedichtes als „lahmen<br />

Hessen-Franzosen“, so der des zweiten<br />

Gedichtes als „nagelneuen Hessen-Poeten,<br />

der vom Meißner heruntergekuppelt“<br />

ist.<br />

Daß es sich in beiden Fällen um denselben<br />

Verfasser handelt, zeigen u. a.<br />

die im Vorwort versteckten und im<br />

Druckbild herausgehobenen Versalien<br />

HM bzw. IHM, die mit Sicherheit die<br />

Namensinitialen des Autors sind.<br />

<strong>Mundart</strong>-Lexikon (7)<br />

Das „Dippen“ Von Werner Guth<br />

Im hohen Mittelalter standen im Deutschen<br />

zur Bezeichnung des Gefäßes<br />

zum Kochen vier Wörter zur Verfügung.<br />

Sie waren landschaftlich gebunden<br />

und sind es als Regionalismen heute<br />

noch. In mittelhochdeutscher Zeit<br />

(ca. 1050 – ca. 1350) gab es – ganz grob<br />

– im Oberdeutschen den haven, im<br />

Ostmitteldeutschen den topf, im Westmitteldeutschen,<br />

wozu das Hessische<br />

gehört, das tupfen, duppen (die u sind<br />

als ü zu lesen) und im Mitteldniederdeutschen<br />

den pot, put, daneben den<br />

dop, doppe (= Entsprechung zu topf).<br />

Erst durch Luther, der ja im ostmitteldeutschen<br />

Sprachgebiet zu Hause<br />

war, wurde Topf zur heute allein als<br />

hochsprachlich geltenden Bezeichnung<br />

und drängte die übrigen in den<br />

regionalen Wortschatz ab. Allerdings<br />

kannte Luther durchaus auch das Wort<br />

Dippen: „ . . . ein alte Fraw, welche die<br />

Düppen zurüsten wolte, da man die<br />

getrencke inne machen wolt . . . “<br />

Dem Brasilienfahrer Hans Staden<br />

aus Homberg war Topf scheinbar noch<br />

nicht geläufig. Er schreibt in seinem<br />

Reisenbericht von 1557 mehrfach<br />

Beide Gedichte sind in zwei Fassungen<br />

überliefert. Version 1 des<br />

Begrüßungsgedichts und die umseitig<br />

wiedergegebene Version des Abschiedsgedichts<br />

sind die verläßlicheren<br />

Fassungen. Sie wurden veröffentlicht<br />

von Friedrich Knatz: „Zwei Gedichte<br />

in niederhessischer <strong>Mundart</strong> aus dem<br />

Jahre 1731“ in „Hessenland“ 42, 1931,<br />

S. 238 ff. Knatz lagen die Texte in Abschriften<br />

vor, die von Jacob Grimm an<br />

seinen Großvater gekommen waren.<br />

Für das Abschiedsgedicht fand sich in<br />

der Kasseler Landesbibliothek der Originaldruck,<br />

so daß Knatz vergleichen<br />

konnte und „buchstäbliche“ Übereinstimmung<br />

feststellen konnte. Das dürfte<br />

dann sicherlich auch <strong>für</strong> seine Fassung<br />

des Begrüßungsgedichts gelten.<br />

Die im letzten MAK wiedergegebene<br />

durch Bearbeitung veränderte<br />

Version 2 des Begrüßungsgedichtes sowie<br />

die Zweitversion des Abschieds-<br />

düppen, z. B.: „ . . . sie {d. h. die brasilianischen<br />

Eingeborenen] nennen die<br />

wurtzel Mandioka vnd sieden gantze<br />

düppen voll . . . “<br />

Dippen oder Dibben (die hochdeutsche<br />

Entsprechung wäre Tüpfen, belegt<br />

als tupfen, s. o.) ist sichtlich eine Ableitung<br />

von Topf, ohne daß sich allerdings<br />

Topf selbst im „Dippen-Gebiet“ gehalten<br />

hätte. Interessanterweise ist Dippen<br />

mit seiner althochdeutschen Vorform<br />

tuphin (ph = pf) die am frühesten belegte<br />

der Gefäßbezeichnungen.<br />

Topf und die Ableitung Dippen sind<br />

hohen Alters. Anzusetzen ist <strong>für</strong> Topf<br />

die germanische Vorform *dupp-,<br />

vermutlich mit der Endung -az, also<br />

*duppaz. Für Dippen ist als germanische<br />

Vorform *duppina anzusetzen,<br />

eine Ableitung von *dupp- mittels eines<br />

sog. n-Suffixes. Die Deutung muß unsicher<br />

bleiben: Ist das i vor dem n als<br />

kurz anzusehen, so wäre mit *duppina<br />

einfach eine Zugehörigkeit zu *dupp-<br />

ausgedrückt, etwa: ‚topfartiges Gefäß‘.<br />

Ist das i lang, wäre die Bedeutung<br />

‚Töpfchen‘, was in Anbetracht vieler<br />

großer Dippen, die jeder kennt, nicht<br />

gedichts (hier nicht übernommen)<br />

wurden publiziert von W. Hopf im<br />

„Althessischen Volks-Kalender“ Nr. 6,<br />

1881, S. 40, und Nr. 8, 1883, S. 32 f.<br />

<strong>Der</strong> Bearbeiter der Hopfschen Versionen<br />

ist mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

der wundersame Hermann v. Pfister<br />

(Verfasser des Ergänzungsbandes<br />

zu August Vilmars „Idiotikon von<br />

Kurhessen“; s. auch MAK 1, 2004, S. 4).<br />

Das zeigt sich u. a. an der Umsetzung<br />

von ä in die Ligatur æ und von sch in<br />

das englisch anmutende sh. Mit diesen<br />

und weiteren Eingriffen ist den Texten<br />

gwiß kein Dienst erwiesen worden – es<br />

sind Verschlimmbesserungen.<br />

Mehr zu den Gedichten in der nächsten<br />

MAK-Ausgabe.<br />

Erneut sei die Frage an die MAK-<br />

Leser gerichtet: Läßt sich die <strong>Mundart</strong><br />

der Gedichte landschaftlich einordnen?<br />

Wo etwa könnte der Verfasser ansässig<br />

gewesen sein?<br />

recht einleuchten will. Aber das mag ja<br />

vor 2000 Jahren anders gewesen sein.<br />

Die Entwicklung *dupp- > topf und<br />

*duppina > tüpfin > tüpfen ist sprachwissenschaftlich<br />

gesehen durchsichtig.<br />

Anzumerken bleibt: Im Westmitteldeutschen<br />

unterblieb die Lautentwicklung<br />

pp > pf (7., 8. Jh.), so daß im Hessischen<br />

der sprachliche Vorläufer unseres<br />

Dippens um 1200 *tüppen gelautet haben<br />

muß. Wie sich an der Entwicklung<br />

von Ortsnamen zeigt (z. B. bei Deute,<br />

Dissen), wurde im 13. Jh. anlautendes<br />

t zu d, womit man bei Stadens düppen<br />

ist (die sog. „Entrundung“ von ü zu i<br />

trat offenbar erst später ein).<br />

Topf ist mit tief verwandt. Beide<br />

Wörter basieren auf der indogermanischen<br />

Wurzel *dheub-, *dhoub-,<br />

*dhub- ‚tief, hohl‘. Man vermutet, daß<br />

die Grundbedeutung von Topf etwa<br />

‚Vertiefung, Höhlung‘ war und ein<br />

Erdloch bezeichnete, in dem Speisen<br />

zubereitet wurden. Daran habe ich erhebliche<br />

Zweifel. Meiner Meinung nach<br />

dürfte mit Topf eher ein ‚tiefes‘ Gefäß<br />

bezeichnet worden sein im Gegensatz<br />

zu einem flachen, schalenartigen.


<strong>Der</strong> <strong>Mundart</strong>-<strong>Kurier</strong> 9 / 2007 11<br />

Schwälmer Dinge, Wörter und Begriffe, die in Vergessenheit geraten<br />

Unter dieser Überschrift hat unser Mitglied Helmut<br />

Fälber im „Schwälmer Jahrbuch 2007“, S. 10 – 27, eine<br />

reichhaltige und gut bebilderte Abhandlung veröffentlicht,<br />

die allen Interessierten empfohlen sei.<br />

Da manches Dargelegte in abgewandelter Form auch<br />

sonst beiderseits des nordhessischen Plattschwatz-Äquators<br />

vorkommt, sei die Abhandlung auch Nicht-Schwälmern<br />

wärmstens ans Herz gelegt. Hier einige Kostproben<br />

daraus. W.G.<br />

Mit dem „Haaler“ wird das frisch<br />

gebackene Brot aus dem Backofen<br />

gezogen.<br />

Die Getreidegarben auf dem Erntewagen<br />

werden hinten von der „Brell“<br />

gehalten. Hinter den Rädern ist der<br />

Querbalken vom „Hemmwärk“ mit dem<br />

drehbaren Hebel und den Bremsklötzen<br />

sichtbar. Rechts und links der Räder<br />

stützt ein „Linzesteht“ die Erntleitern<br />

des Wagens.<br />

Sense mit „Räff“<br />

„Räff“: Vorrichtung<br />

zum Zusammenschieben<br />

der Halme<br />

während des Schnitts<br />

„Blättschbrät“<br />

zum Wäscheplätschen<br />

„Hoorestock“<br />

Vorrichtung zum<br />

Dengeln von Sense<br />

und Sichel<br />

„Leffelkerbche“<br />

zur Aufbewahrung<br />

von Löffeln, ursprüngl.<br />

Weidenholzkörbchen,<br />

später Holzkästchen<br />

„Schlorrerfass“<br />

Behälter <strong>für</strong> den<br />

Sensenwetzstein<br />

aus Horn oder<br />

Holz<br />

„Brotgehänk“<br />

zur Sicherung<br />

des Brotes vor<br />

Mäusen und<br />

Ratten<br />

„Gilb“<br />

Hölzerne Deckelkanne<br />

<strong>für</strong> Trinkwasser bei der<br />

Ernte<br />

Auf dem Ackerwagen ist ein „Dengbräät“ zu erkennen und am Vorderrad die<br />

„Noob“. Die „Gischel“ zwischen den Zugtieren steckt im Vorderwagen und und trägt<br />

die beweglich aufgehängte „Woij“, an der das „Schellscheijd“ der vorderen Kuh hängt.<br />

Die Kühe haben die „Koppelrimme“ um die Hälse. Daran befestigt sind die „Koppelkärre“,<br />

die die Tiere an der „Gischel“ halten. An der „Zöömkätt“ der linken Kuh<br />

beginnt das „Lehtseel“, das der Bauer mit der „Gehschel“ in seinen Händen hält.


16 <strong>Der</strong> <strong>Mundart</strong>-<strong>Kurier</strong> 9 / 2007<br />

Interview<br />

Kalli Klein will Partei gründen<br />

Werner Guth: Nehmen Sie Platz, Kalli.<br />

Ein Bier?<br />

Kalli Klein: Jo.<br />

G.: Ich muß schon sagen: Ich war einigermaßen<br />

überrascht bei unserem gestrigen<br />

Telefonat – Sie wollen tatsächlich<br />

eine Partei gründen?<br />

K.: Stimmet.<br />

G.: Und diese Nordhessen-Partei –<br />

K.: Nee – bloß „Hessen-Partei“.<br />

G.: Dann habe ich Sie gestern ja völlig<br />

falsch verstanden.<br />

K.: Nitt ganz. Sie wissen je: Die Südhessen<br />

sinn historisch gesehen doch<br />

bloß Beutehessen. Die richtijen Hessen,<br />

die wohnen hier in der Nordhälfte.<br />

Insofern wird’s ’ne Hessen-Partei.<br />

G.: Na – das ist aber sehr um die Ecke<br />

gedacht! Nun schießen Sie mal los!<br />

K.: Hier in Nordhessen geht’s mit den<br />

<strong>Mundart</strong>en berchab.<br />

G.: Und zu ihrer Erhaltung wollen Sie<br />

eine Partei gründen?<br />

K.: Langsam, so einfach is das nitt.<br />

Also – de <strong>Mundart</strong>en sinn auf dem<br />

Rückzuch.<br />

G.: Da haben Sie recht, leider.<br />

K.: Bis jetz war je nur das Hochdeutsche<br />

der Feind.<br />

G.: Na, na . . .<br />

K.: Jetz awer, jetz giwwet’s noch ’ne<br />

viel schlimmere Bedrohung.<br />

G.: Ach!?<br />

K.: Jo.<br />

G.: Was denn <strong>für</strong> eine?<br />

K.: Neuhessisch.<br />

G.: Neuhessisch? Wieso?<br />

K.: Also, der Professor Dingeldein vom<br />

Deutschen Sprachatlas in Marburg,<br />

der hat beim Forschen rausgekricht,<br />

daß sich Neuhessisch, also disser<br />

Frankfurter Interferenzzonenmischdialekt,<br />

mit unglaublicher Geschwindigkeit<br />

nach allen Richtungen ausbreitet.<br />

Schlimmer wie de Holzböcke,<br />

die je au uß disser Ecke gekommen<br />

sinn. <strong>Der</strong> Dingeldein sacht, daß inzwischen<br />

schonn das ganze Rhein-Main-<br />

Gebiet diß gewiddersche Neuhessisch<br />

spricht.<br />

G.: Ja und?<br />

K.: Ja und?? Das frißt sich immer<br />

weiter nach Norden durch. Da muß<br />

me was machen, Herr Guth. Woll’n<br />

Se etwa, daß<br />

Ihre Enkel<br />

neuhessisch<br />

sprechen?<br />

G.: Ach was,<br />

wo denken<br />

Sie hin! Aber<br />

keine Panik,<br />

so weit ist es<br />

noch lange<br />

nicht. Vorher<br />

wird wohl noch viel Wasser die Fulda<br />

runterfließen.<br />

K.: Seh’ ich annerst. Me muß jetz<br />

schonn was dun. Ehr’s zu spät is un<br />

hinnerher widder alle lange Gesichter<br />

machen. Wie bei der Rente.<br />

G.: Wie ließe sich denn das Neuhessische<br />

Ihrer Meinung nach eindämmen?<br />

K.: Mit ’ner Mauer zum Beispiel.<br />

G.: Ach du lieber Gott! Das ist doch<br />

nicht Ihr Ernst!<br />

K.: Warum nitt? Eine, die rüwwergeht<br />

von der Rhön üwwer den Vochelsberch<br />

weg, als nach Westen.<br />

G.: Menschenskind, Kalli . . . Ideen<br />

haben Sie . . . Übrigens – wenn ich so<br />

drüber nachdenke: Warum eigentlich<br />

eine Mauer bauen? Nehmen Sie doch<br />

einfach den Limes, den die alten Römer<br />

gegen die Chatten errichtet haben! <strong>Der</strong><br />

ist doch großenteils noch erhalten, oft<br />

sogar recht gut! Palisaden drauf und<br />

fertig! Was meinen Sie, was man da<br />

Kosten sparen könnte!<br />

K.: Hab’ ich au schonn dran gedacht.<br />

Awer das geht nitt.<br />

G.: Wieso?<br />

K.: <strong>Der</strong> Dingeldein hat festgestellt, daß<br />

sich diß Neuhessisch schonn bis Gießen<br />

durchgefressen hat.<br />

G.: Ja und?<br />

K.: Na, Sie wissen doch, wo Gießen<br />

licht. D’s Neuhessische is also schonn<br />

durchgebrochen un hat den Limes zich<br />

Kilometer hinner sich gelassen.<br />

G.: Mensch, Kalli – ich wollte doch bloß<br />

’n Scherz machen.<br />

K.: Jo, ich weiß.<br />

G.: Jetzt aber mal zu Ihrer Partei. Soll<br />

die etwa die Sache mit der Mauer in die<br />

Hand nehmen?<br />

K.: Stimmet.<br />

G.: Junge, Junge, wir sind doch eigent-<br />

lich alle froh, daß die eine Mauer weg<br />

ist, und jetzt wollen Sie –<br />

K.: Läjen Se’s doch nitt uff de Goldwaache.<br />

Vielleicht gibt’s je au noch<br />

annere Möchlichkeiten, das muß von<br />

Fachleuten eingehend geprüft werden.<br />

G.: Wie wär’s denn mit ’nem hübschen<br />

Jägerzaun, rot-weiß gestrichen, mit Toren<br />

drin und Posten davor? Wer kein<br />

Neuhessisch lernen will, kommt rüber<br />

zu uns nach Althessen und kriegt am<br />

Tor ein Begrüßungsgeld.<br />

K.: Na, sähn Se! Reizt doch zum Weiterdenken!<br />

G.: Wie soll Ihre Partei denn heißen?<br />

K.: „Hessische Patrioten-Partei“, HPP.<br />

G.: Hm – ich finde, Sie sollten den spezifisch<br />

nordhessischen Charakter doch<br />

etwas akzentuieren. Wie wäre’s denn<br />

mit „Kurhessischer Patrioten-Partei“?<br />

K.: Das geht nitt.<br />

G.: Wieso?<br />

K.: KPP? Dann denken doch alle, ich<br />

wäre ’n Kommunist.<br />

G.: Kalli, Kalli . . . Sie und Ihre Projekte<br />

. . . Was macht denn eigentlich Ihr<br />

Fremdwort-Projekt?<br />

K.: Wächst.<br />

G.: Und Ihr niederhessisches Geschichtsbuch?<br />

K.: Geht voran.<br />

G.: Wo sind Sie denn gerade?<br />

K.: Westphalen-Zeit, Napoleon, Jérôme<br />

un so weider.<br />

G.: Mit Limericks?<br />

K.: Jo, was dann.<br />

G.: Haben Sie einen parat?<br />

K.: Jo, gewiß.<br />

G.: Dann lassen Sie mal hören.<br />

K.: Gerne. Also:<br />

Wie einsten noh Hessen-Kassel<br />

der Scherome kam mit Gerassel,<br />

sproch der Kurfirscht: „Schade!“<br />

Un Scherome sahde:<br />

„Monsieur, pardonnez le schlamassel!“<br />

G.: Hübsch! Ich bin mir allerdings verdammt<br />

sicher: Kur<strong>für</strong>st Wilhelm hat in<br />

dieser Situation ein ganz anderes Wort<br />

gesprochen.<br />

K.: Stimmet. Aber dann reimt sich’s<br />

nitt so gut.<br />

G.: Noch ’n Bier?<br />

K.: Jo.

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