Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF
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Aufsätze Martin Langebach – Eintrittsmotive in die Junge Union MIP 2010 16. Jahrgang dere Parteien einfach mal so durchgeguckt, was die da so standen“, erzählt die 17-Jährige. Und sie spricht mit ihrer Mutter darüber, nicht mit ihrem Vater, der berufsbedingt seltener zu Hause ist. Vor allem aber redet sie mit ihrer Oma, die für sie eine wichtige Bezugsperson darstellt: „da kam auch raus, die Mutter war auch mal in der JU aktiv drin, und so, da hab ich mir das mal so ein bisschen angeguckt“. Sie lässt sich von ihrer Freundin weiteres Informationsmaterial geben und tritt dann schließlich bei, „nichts Spektakuläres“, wie sie befindet. Der Beitritt steht aber nicht in direkter zeitlicher Folge zum Anwerbeversuch auf der Geburtstagsparty, vielmehr vergehen rund zehn Wochen, bis die Entscheidung gefällt war. Ihre Freundin hatte zwischenzeitlich keine neuerlichen Versuche unternommen, sondern nur einmal gefragt, ob Melle nicht bei einem Ausflug der JU mitfahren möchte. Doch sie lehnt aufgrund anderer Verpflichtungen ab. Melle ist in ihrer Freizeit sehr ausgelastet, „immer on tour“, wie sie sagt: „Ich bin im Musikverein tätig, spiel Klarinette, Trompete. Ich bin im Kreisjugendorchester, ich bin in nem Jugendchor, ich bin im Sportverein, mach Leichtathletik, Turnen, Skigymnastik, fahr Ski, viel Fahrrad mit mei Eltern, natürlich Schule ist immer viel, dann mit Freunden, wir haben so eine Clique, mit der grillen wir immer im Sommer, fahren zelten, am Samstag geht es jetzt mit sieben oder acht Leute zusammen ins Kino und so was, oder ich treff mich mit meinem Nachbarn einfach, weil wir sehr gute Freunde [sind], mit dem ich aufgewachsen bin“, erzählte die Realschülerin, die derzeit eine weiterführende Schule besucht. Ihr Nachbar ist einer der wenigen Gleichaltrigen in dem kleinen Dorf, in dem sie lebt. Um etwas unternehmen zu können, muss sie stets von ihren Eltern in die nächste größere Gemeinde gebracht werden. Gegen den Beitritt hätte daher für sie gesprochen, wenn damit ein hoher zeitlich Aufwand verbunden gewesen wäre: „Ich wollt jetzt net noch Zusätzliches machen, um, wo ich wieder viel Zeit investieren muss“. Das sagt sie auch ihrer Freundin: „was ich jetzt nit machen will, […] ist, das ich Dienstag abends, wo ich ausnahmsweise mal frei hab, jetzt auch noch zwei Stunden auf irgend ne Ver- 98 sammlung gehen muss, um mich über Gott und die Welt zu unterhalten, das jede Woche“. Doch ihre Freundin beruhigte sie, alle zwei, alle, jedes halbe Jahr oder so“ wäre mal eine Versammlung, wo sie mal hinkommen müsse, mehr nicht, habe sie erzählt. Melle ist, nachdem sie sich informiert hatte, vom „Gesamtpaket“ überzeugt. Zwar gebe es „immer einzelne Sachen, die einem nit gefallen“, aber bei den anderen Parteien habe das Negative überwogen. Überrascht hat sie an der JU vor allem, dass diese viele jener Veranstaltungen organisieren, die sie kenne: „ich kenn vieles in […] 27 , was auch so an Veranstaltungen ist, hab ich, wusst ich eigentlich nie, wer das immer organisiert. Hab ich immer gedacht, das wären irgendwelche Jugendliche. Bis sie [ihre Freundin, A.d.A.] dann auch gemeint hat, ja, das organisiert alles die JU. Da hab ich gesagt: […] das kann doch net sein, dass die so, so Minirock- Party oder so Zeug, so Sachen hab ich net gedacht“. Sie ist positiv überrascht, ebenso davon, dass sich die JU auch mal mit anderen Jugendlichen träfe und mit denen „mal unterhalten“ würde. Da bestünde die Möglichkeit, „andere Leute kennen zu lernen und von denen auch mal die Meinung zu hören zu irgendnem anderen Thema, das muss ja eben net immer Politik sein“. Für sie bedeutet der Schritt Mitglied zu werden, „Teil ner Gemeinschaft zu sein“, was für sie offenkundig einen hohen Wert hat. Mit Begeisterung hatte sie zuvor von der Kolpingfamilie berichtet, der sie mit ihren Eltern angehört. Der Sozialverband der katholischen Kirche biete viele Freizeitaktivitäten an und unterstütze, wie sie erzählt, „Familien, dass die […] was machen, da gibts immer Drachensteigen und so was“. Melle selbst ist dort beispielsweise im Blasorchester aktiv und hilft bei der Fassenacht und Kappessitzungen. Diese Kolpingfamilien haben „eigentlich immer ne hohe Stellung in so ner Kleinstadt“ und fügt an, „wer […] net drinne ist, der ist so ein bisschen außenseitermäßig, könnt man das ein bisschen sehen“. 27 In den Interviews genannte Orte sind durch Auslassungen („in […]“) anonymisiert.
MIP 2010 16. Jahrgang Martin Langebach – Eintrittsmotive in die Junge Union Aufsätze Von Bedeutung ist für sie in Bezug auf die JU im Übrigen auch, „selbst zu sehen, dass vielleicht auch der Einzelne wirklich was verändern kann. Endlich mal Mitglied ner Gruppe zu sein, wo man sagt, als Einzelner, ich kann andere Leute versuchen von meiner Meinung über zu zeugen, aber ich kann auch versuchen mit Leuten zu diskutieren und vielleicht ne andere Sichtweise […] zu bekommen und […] dadurch auch mein Denken n bisschen umzuändern oder Sachen anders da zu sehen […]. Oder auch einfach mal aktiv an Politik teilzunehmen oder einfach mal als […] nit mehr so als Außenstehende […] mal bewusst zu hören, was sagen die Nachrichten über die Politik, wie präsentieren wir uns im Ausland mit unserer Politik und so was“. Dabei hatte sie in der Schule das Fach Sozialkunde, wo Politik vorkommt, bewusst zu Gunsten von Erdkunde abgewählt, „weil mich das n bisschen so anödet, mit diesem ganzen, […] wie die da durch kommen mit Wahlen und so“. Wichtiger ist ihr das Thema Wirtschaft und in dem Kontext dann auch Politik; „ich find, die wichtigsten Standbeine sind einfach auf der einen Seite die Politik und auf der anderen Seite die Wirtschaft“. Nach der Schule möchte Melle „was mit Ingenieurswesen“ machen und eine „wirklich […] hohe Position mal in ner Firma haben“. Hinsichtlich ihrer politischen Einstellung hat sie indes das Gefühl, sich einer Seite zuordnen zu müssen: „Politik bestimmt unser Land einfach […] ich muss mich ja irgendner Seite zuordnen. Ich kann nit sagen: jo, bald sind Wahlen, mir ist es vollkommen egal. Ich bin ja selbst dafür verantwortlich, wie es mir in 20 Jahren geht“. Dieses Autonomieverständnis zeigt sie auch, als sie festhält: „das heißt ja net, wenn ich in der JU bin, also die CDU, dass ich dann auch die CDU wähle“. 5. „Gemeinsam etwas bewegen“ Vom Dorf ist Jan vor gut vier Monaten in die 80 Kilometer entfernte Stadt gezogen, um dort nach dem Abschluss der Realschule eine weiterführende Fachoberschule zu besuchen. Die Eltern und die beiden älteren Schwestern haben den 17jährigen Niedersachsen unterstützt. Der Familienzusammenhalt ist eng. Seine Eltern sind so genannte Russland-Deutsche, deren Leben in der UDSSR sich in den Erzählungen des Jungen widerspiegeln: „Sie wurden immer als Deutsche abgestempelt in Russland. […] Ähm, und die wollten einfach wieder nach Deutschland zurück […], die wurden alle verschleppt nach dem Zweiten Weltkrieg und mein Urgroßvater, der war ja Lehrer und so und die waren auch sehr, sehr reich dort, denen wurde alles weggenommen und danach wurde er verschleppt und wurde nie wieder gesehen, ne. Ja und dann […] wurde die restliche Familie […] auch nach Sibirien verschleppt und denn haben die dort gearbeitet. Das Gute war, […] es wurde immer in na Familie sehr viel Wert auf Bildung gelegt, und dadurch ham die auch immer gute Jobs gekriegt. Natürlich nie in der Partei, die wollten auch nie in die Partei gehen. […] Und, naja, manche waren eifersüchtig, aber, damit ist dann unsere Familie auch klar gekommen. Und die sind immer in Verbindung miteinander, die waren sehr in sich gekehrt, schon in Russland und als sie nach Deutschland gekommen sind, jetzt sind sie noch immer n bisschen in sich gekehrt.“ Seine Eltern sind christlich, seine Mutter als auch seine Oma engagieren sich in der lokalen Gemeinde. Jan selbst ist Messdiener und hat sich zum Jugendleiter qualifiziert. Obwohl seine Schwestern auch in der neuen Stadt wohnen, fährt er am Wochenende immer nach Hause, „da ist dann meistens Geburtstag oder einfach nur Treffen bei meiner Oma, da trifft sich dann die Verwandtschaft“. Sein politisches Interesse habe erst mit „der sechsten Klasse so ungefähr“ angefangen. Verantwortlich macht er dafür rückblickend seine Eltern und die Schule: „Wie das ganz genau angefangen ist, […] meine Eltern haben gesagt, ich sollte mal anfangen Zeitung zu lesen, ne. Ja, ich dachte so, ja, mh, Scheiß Zeitung, das liest du nicht, ne.“ Doch er fängt an zu lesen, „zwei, drei Mal und da hab ich entdeckt, dass ist ja gar nicht so schlecht“. Hinzu kommt, dass er an der Schule einen Lehrer hatte, wie er erzählt, der ihn forderte und förderte. Er ist für Jan eine wichtige 99
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MIP 2010 16. Jahrgang Martin Langebach – Eintrittsmotive in die Junge Union <strong>Aufsätze</strong><br />
Von Bedeutung ist für sie in Bezug auf die JU<br />
im Übrigen auch, „selbst zu sehen, dass vielleicht<br />
auch der Einzelne wirklich was verändern<br />
kann. Endlich mal Mitglied ner Gruppe zu sein,<br />
wo man sagt, als Einzelner, ich kann andere<br />
Leute versuchen von meiner Meinung über zu<br />
zeugen, aber ich kann auch versuchen mit Leuten<br />
zu diskutieren und vielleicht ne andere Sichtweise<br />
[…] zu bekommen und […] dadurch auch<br />
mein Denken n bisschen umzuändern oder Sachen<br />
anders da zu sehen […]. Oder auch einfach<br />
mal aktiv an Politik teilzunehmen oder einfach<br />
mal als […] nit mehr so als Außenstehende […]<br />
mal bewusst zu hören, was sagen die Nachrichten<br />
über die Politik, wie präsentieren wir uns im<br />
Ausland mit unserer Politik und so was“. Dabei<br />
hatte sie in der Schule das Fach Sozialkunde, wo<br />
Politik vorkommt, bewusst zu Gunsten von Erdkunde<br />
abgewählt, „weil mich das n bisschen so<br />
anödet, mit diesem ganzen, […] wie die da<br />
durch kommen mit Wahlen und so“. Wichtiger<br />
ist ihr das Thema Wirtschaft und in dem Kontext<br />
dann auch Politik; „ich find, die wichtigsten<br />
Standbeine sind einfach auf der einen Seite die<br />
Politik und auf der anderen Seite die<br />
Wirtschaft“. Nach der Schule möchte Melle<br />
„was mit Ingenieurswesen“ machen und eine<br />
„wirklich […] hohe Position mal in ner Firma<br />
haben“.<br />
Hinsichtlich ihrer politischen Einstellung hat sie<br />
indes das Gefühl, sich einer Seite zuordnen zu<br />
müssen: „Politik bestimmt unser Land einfach<br />
[…] ich muss mich ja irgendner Seite zuordnen.<br />
Ich kann nit sagen: jo, bald sind Wahlen, mir ist<br />
es vollkommen egal. Ich bin ja selbst dafür verantwortlich,<br />
wie es mir in 20 Jahren geht“. Dieses<br />
Autonomieverständnis zeigt sie auch, als sie<br />
festhält: „das heißt ja net, wenn ich in der JU<br />
bin, also die CDU, dass ich dann auch die CDU<br />
wähle“.<br />
5. „Gemeinsam etwas bewegen“<br />
Vom Dorf ist Jan vor gut vier Monaten in die 80<br />
Kilometer entfernte Stadt gezogen, um dort nach<br />
dem Abschluss der Realschule eine weiterführende<br />
Fachoberschule zu besuchen. Die Eltern<br />
und die beiden älteren Schwestern haben den 17jährigen<br />
Niedersachsen unterstützt. Der Familienzusammenhalt<br />
ist eng. Seine Eltern sind so genannte<br />
Russland-Deutsche, deren Leben in der<br />
UDSSR sich in den Erzählungen des Jungen widerspiegeln:<br />
„Sie wurden immer als Deutsche<br />
abgestempelt in Russland. […] Ähm, und die<br />
wollten einfach wieder nach Deutschland zurück<br />
[…], die wurden alle verschleppt nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg und mein Urgroßvater, der<br />
war ja Lehrer und so und die waren auch sehr,<br />
sehr reich dort, denen wurde alles weggenommen<br />
und danach wurde er verschleppt und wurde<br />
nie wieder gesehen, ne. Ja und dann […] wurde<br />
die restliche Familie […] auch nach Sibirien<br />
verschleppt und denn haben die dort gearbeitet.<br />
Das Gute war, […] es wurde immer in na Familie<br />
sehr viel Wert auf Bildung gelegt, und dadurch<br />
ham die auch immer gute Jobs gekriegt.<br />
Natürlich nie in der Partei, die wollten auch nie<br />
in die Partei gehen. […] Und, naja, manche waren<br />
eifersüchtig, aber, damit ist dann unsere Familie<br />
auch klar gekommen. Und die sind immer<br />
in Verbindung miteinander, die waren sehr in<br />
sich gekehrt, schon in Russland und als sie nach<br />
Deutschland gekommen sind, jetzt sind sie noch<br />
immer n bisschen in sich gekehrt.“ Seine Eltern<br />
sind christlich, seine Mutter als auch seine Oma<br />
engagieren sich in der lokalen Gemeinde. Jan<br />
selbst ist Messdiener und hat sich zum Jugendleiter<br />
qualifiziert. Obwohl seine Schwestern<br />
auch in der neuen Stadt wohnen, fährt er am Wochenende<br />
immer nach Hause, „da ist dann meistens<br />
Geburtstag oder einfach nur Treffen bei<br />
meiner Oma, da trifft sich dann die Verwandtschaft“.<br />
Sein politisches Interesse habe erst mit „der<br />
sechsten Klasse so ungefähr“ angefangen. Verantwortlich<br />
macht er dafür rückblickend seine<br />
Eltern und die Schule: „Wie das ganz genau angefangen<br />
ist, […] meine Eltern haben gesagt, ich<br />
sollte mal anfangen Zeitung zu lesen, ne. Ja, ich<br />
dachte so, ja, mh, Scheiß Zeitung, das liest du<br />
nicht, ne.“ Doch er fängt an zu lesen, „zwei, drei<br />
Mal und da hab ich entdeckt, dass ist ja gar nicht<br />
so schlecht“. Hinzu kommt, dass er an der Schule<br />
einen Lehrer hatte, wie er erzählt, der ihn forderte<br />
und förderte. Er ist für Jan eine wichtige<br />
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