Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF
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<strong>Aufsätze</strong> Knut Langewand – Parteienstaat Tschechoslowakei 1918-1938 MIP 2010 16. Jahrgang<br />
nell verankerte Interessenformulierung und ein<br />
„freies Ausschwingen von Konflikten“ 75 . Das<br />
Phänomen der Versäulung und des Parteienproporzes<br />
wird heute allgemein nicht als generelles<br />
Hemmnis für die Entfaltung der Demokratie,<br />
sondern als von der Norm des Wechselspiels von<br />
Regierungs- und Oppositionsblock abweichende<br />
Spielart gesehen – das bekannteste Beispiel ist<br />
die Schweiz. Allerdings kann das Argument, die<br />
durch das Proporzsystem in der ČSR begünstigten<br />
parteipolitischen Klientelverhältnisse hätten<br />
ein weitverbreitetes Verständnis für das demokratische<br />
Spiel und die Legitimation durch Verfahren<br />
behindert, nicht entkräftet werden. Möglicherweise<br />
lag hierin auch die Ursache dafür,<br />
dass – neben der äußeren Bedrohung – die Demokratie<br />
in der Tschechoslowakei unmittelbar<br />
nach dem Schock von „München“ zu einem abrupten<br />
Ende kam76 .<br />
Im Gegensatz zu anderen politischen Systemen<br />
im Ostmitteleuropa der Zwischenkriegszeit, wo<br />
“quasi-parlamentary rule gradually gave way to<br />
royal, nationalist, military or fascist dictatorship“<br />
77 , erscheint die ČSR trotz der erwähnten<br />
Einschränkungen nicht nur als sozial fortschrittlicher,<br />
sondern auch ausgesprochen freiheitlicher<br />
Staat. Freilich waren hier die Gegebenheiten für<br />
„eine in ‚westlicher’ Struktur erprobte Staatsverfassung“<br />
78 am günstigsten. Dem Vergleich mit<br />
den demokratischen Regimen Westeuropas, etwa<br />
der Weimarer Republik oder der französischen<br />
Dritten Republik, hält die Tschechoslowakei<br />
ebenfalls stand. Die nicht immer konfliktfreie,<br />
aber Stabilität garantierende tschechoslowakische<br />
Demokratie erscheint in ihrer Zeit und<br />
wie etwa im 1930 verwirklichten Junktim zwischen<br />
Importzöllen auf Gurken und der Erhöhung des Arbeitslosengelds,<br />
das Agrarier und Sozialdemokraten<br />
abschlossen.<br />
75 Heumos, 1989, S. 61.<br />
76 Vgl. die Überlegungen bei Heumos, 1989, S. 60f u. 67.<br />
77 Bideleux/Jeffries: A History of Eastern Europe, Crisis<br />
and Change, London 1998, S. 434.<br />
78 Conze, 1953, S. 338. Die Tschechoslowakei wird bei<br />
Conze eigentümlicherweise kaum als positive Ausnahme<br />
von den krisengeschüttelten Staaten „auf dem Boden<br />
des Ostens“ (S. 338) herausgehoben, wie das bei<br />
Bideleux/Jeffries sehr stark der Fall ist; vgl.<br />
Bideleux/Jeffries, S. 428ff u. 464f.<br />
90<br />
durch das von den Masarykschen Ideen motivierte<br />
Selbstverständnis durchaus attraktiv.