Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF

Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF

25.02.2013 Aufrufe

Aufsätze Knut Langewand – Parteienstaat Tschechoslowakei 1918-1938 MIP 2010 16. Jahrgang lektuellen, Beamten, Politikern und Industriellen, mehrheitlich Tschechen, aber auch Slowaken und Deutschen61 , lag gewissermaßen quer zum Parteiensystem und zur jeweiligen Koalition, weil ihm Vertreter aller tschechischen Parteien angehörten, die auch dann Mitsprache behielten, wenn ihre Partei in der Opposition war62 . Der Einfluss der Burg reichte in Verlage, Zeitungen und sogar ins Ausland, wo sie dank Masaryks Prestige ebenfalls Verbindungen besaß. Sie war der Auslandsaktion verpflichtet und stand in Gegensatz vor allem zu Kramář, der nicht müde wurde sie zu bekämpfen und daher politisch kaltgestellt war. So gab es in den großen Regierungsparteien neben einem „Burg-Flügel“ 63 zudem jeweils eine Anti-Hrad-Fraktion, hauptsächlich bei den Nationaldemokraten und den Agrariern64 . Die Macht des „Hrad“ bestand in seiner Verbindung zu den Parteien und damit zur Pětka, die er sogar politisch überleben sollte, denn während die Integrationskraft des Fünfer- und später Achterausschusses nach 1929 schwächer wurde, nahm die Bedeutung der Burg noch zu65 . Doch war sie von den Parteien insofern unabhängig, 61 Eine (unvollständige) Auflistung des Burgkreises bietet Bachstein: Die soziologische Struktur der „Burg“ – Versuch einer Strukturanalyse, in: Bosl (Hrsg.): Die „Burg“. Einflußreiche politische Kräfte um Masaryk und Beneš, 2 Bde., München/Wien 1973, hier Bd. I, S. 64f. 62 Die politische Funktion der Burg ist schon vor dreißig Jahren ausgiebig diskutiert worden. Ich verweise hier vor allem auf die Auseinandersetzung zwischen Lemberg: Die politische Funktion der „Burg“, in: Bosl, Burg I, S. 70f, und Prinz: Die „Burg“. Ihre Entstehung und Struktur als Forschungsaufgabe, in: Bosl, Burg I, S. 11-26. Maßgeblich auch Klimek: Boj o hrad, 2 Bde., Prag 1996/98. 63 Lipscher, S. 142. 64 Die einleuchtende These Lembergs, die Bezeichnung „Burg“ sei überhaupt erst durch ihre Gegner entstanden, wird durch die vielzitierte Erklärung untermauert, Journalisten hätten, um einer etwaigen strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen, das Abstraktum „Burg“ anstatt Masaryks Namen verwendet; vgl. Lemberg: Die politische Funktion, S. 70f. Als Kampfbegriff gebrauchte die kommunistische Publizistik den Begriff „Burg“ seit Ende der 1920er-Jahre. 65 Daher waren Hrad und Pětka weder deckungsgleich noch Gegenpole. 88 als sie direkte Kontakte in die Führungsgremien von pressure groups (etwa dem Turnverband Sokol) hatte, die über ihre Vertreter konkrete politische und wirtschaftliche Interessen artikulieren und z.T. auch durchsetzen konnten – hier ist von einem Interdependenzverhältnis auszugehen66 . In der Tat war die Burg eine außerparlamentarische Einrichtung, aber weder ihrem Selbstverständnis noch ihrer Politik nach gegen das Parlament oder die Demokratie gerichtet67 . Die zentrale Figur, der Präsident, war demokratisch legitimiert, und für ihre Vorhaben brauchte die Burg die parlamentarische Mehrheit, die über das Kartell der Pětka oder die Burgvertreter in den Parteien gesichert wurde. Jedoch hatten innerhalb des Führungskollektivs auch solche Personen großen Einfluss, die weder gewählt waren noch im Namen einer größeren Organisation sprechen konnten, wie der Bankdirektor Preiss oder die graue Eminenz der Hrad-Gruppe, Masaryks Kanzleichef Přemysl Šámal68 . Als in der Verfassung nicht vorgesehene Institution war die Burg keiner Kontrolle durch Parlament oder Gerichte unterworfen – was von ihren Mitgliedern durchaus beabsichtigt war69 . In den Krisen der 1930er- Jahre sollte sie sich bis zuletzt als stabilisierendes Moment erweisen. VII. Krise und Zerstörung Den Parlamentswahlen vom 29. Oktober 1929 ging der „Schwarze Freitag“ an der amerikanischen Börse unmittelbar voraus, dessen Folgen 66 Durch diese Vertretung der Industriellen im Burgkreis genossen die jeweiligen Unternehmen und Banken eine bevorzugte Position, auf der anderen Seite konnten Politiker und Intellektuelle ihre außen- und sicherheitspolitischen Vorstellungen über diesen Kanal beispielsweise an die großen Rüstungsunternehmen weitergeben; vgl. Bosl: Der Burgkreis (Zusammenfassung), in: Bosl, Burg II, S. 206f. Die Burg war zwar mächtiger, aber auch heterogener als jene pressure groups. 67 Vgl. Prinz, S. 25. 68 Da Šámal keiner der großen Parteien angehörte, scheiterte der Versuch, ihn im Kabinett unterzubringen – dies ein Beispiel für die Grenzen des Burg-Einflusses. Vgl. Lipscher, S. 142; Prinz, S. 22; Klepetář, S. 20f. 69 Masaryk bezeichnete die Mutmaßungen über die Funktion der Burg als „mythisch“; Lemberg, Politische Funktion, S. 84.

MIP 2010 16. Jahrgang Knut Langewand – Parteienstaat Tschechoslowakei 1918-1938 Aufsätze für die Tschechoslowakei sich erst langsam abzeichnen sollten. Die drei sozialistischen Parteien konnten von der Schwäche der bürgerlichen Koalition profitieren und Stimmen hinzugewinnen. Folgerichtig wurden sie in die Regierung der Großen Koalition aufgenommen, die alle sechs tschechoslowakischen Parteien und die drei aktivistischen deutschen Parteien umfasste. Dies bedeutete erstens das definitive Ende des Koalitionsausschusses, zweitens noch geringere Chancen für einen Konsens, der nurmehr auf Šrámeks Minimalformel „Wir haben uns geeinigt, dass wir uns einigen werden“ 70 gebracht werden konnte. Diese Ermüdung des Koalitionsprinzips wurde auf dem Höhepunkt der wirtschaftlichen Krise durch ein Notstandsregime überwunden, das nach dem Rücktritt Udržals durch die neue Regierung unter dem Agrarier Jan Malypetr mit der Verabschiedung eines Ermächtigungsgesetzes (im Juni 1933) etabliert wurde. Die Nationalversammlung trat in den Folgejahren sukzessive Gesetzgebungskompetenzen so freiwillig wie verfassungswidrig an die Regierung ab. Einem kurz bevorstehenden Parteiverbot auf der Basis eines neugeschaffenen Gesetzes kamen die deutschnationalen Parteien DNP und DNSAP im Oktober 1933 mit ihrer Selbstauflösung zuvor. In das politische Vakuum stieß als Sammelbecken der sudetendeutschen Autonomiebewegung unter Konrad Henlein die Sudetendeutsche Heimatfront, 1935 in Sudetendeutsche Partei umbenannt. Zunächst legitimistisch ausgerichtet – nicht zuletzt zur Vermeidung eines Parteiverbots – forderte Henlein eine weitgehende Selbstverwaltung für die sudetendeutschen Gebiete. Trotz des überwältigenden Wahlerfolgs der SdP 1935, die ca. zwei Drittel der deutschen Stimmen auf sich vereinigte und damit sogar landesweit stärkste Partei wurde, blieb die Zusammensetzung der Regierung unverändert. Einen letzten Erfolg ihrer Integrationsfähigkeit feierten Burg und Koalition Ende 1935, als mit einigen Mühen die Wahl Beneš’ zum Nachfolger des aus Altersgründen zurückgetretenen Masaryk durch die 70 Zit. n. Hoensch 1992, S. 58. Nationalversammlung sichergestellt werden konnte71 . Ab 1936 geriet Henlein zunehmend in (finanzielle) Abhängigkeit von Adolf Hitler, der die SdP durch die Platzierung ihm ergebener Vertreter wie Karl Hermann Frank zu einer Agentur reichsdeutscher Interessen und schließlich zur fünften Kolonne Nazideutschlands bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei machte. Nach dem „Anschluss“ Österreichs gingen die aktivistischen Parteien mit Ausnahme der DSAP in Henleins SdP auf. Bekanntlich ist bei den Münchener Verhandlungen über die Auflösung der ČSR deren demokratisch legitimierte Regierung nicht hinzugezogen worden. Als „Rest-Tschechei“ bzw. „Zweite Republik“ 72 bestand sie noch ein knappes halbes Jahr weiter, doch im Herbst 1938 hatte die Tschechoslowakei mit der staatlichen Integrität auch ihren demokratischen Charakter verloren. VIII. Schlussbemerkung Eine strukturelle Schwäche der Demokratie in der Ersten Tschechoslowakischen Republik lag in der parteipolitischen Sektionalisierung des öffentlichen Lebens und der Bildung politischer Kartelle wie Burg oder Pětka. Eine derart institutionalisierte Kooperation der Parteien, die mit ihrer sozialen Klientel über berufsständische Organisationen und Gewerkschaften eng verflochten waren, wirkte sich auf die soziale Integration äußerst günstig aus73 . Doch gerade die Praxis der Proporzdemokratie – von der Verteilung von Ministerien als parteipolitischen „Erbhöfen“ bis hin zum häufig praktizierten Junktim politischer Entscheidungen74 – verhinderte eine institutio- 71 Vgl. Mamatey, S. 167f ; Hoensch 1992, S. 72 ; Olivová, S. 196. 72 Vgl. Procházka: Die Zweite Republik, 1938-1939, in: Mamatey/Luža, S. 276-291, hier S. 282f. Die meisten Parteien lösten sich nun auf, zwei miteinander kooperierende Staatsparteien entstanden; Hromádko et al., S. 691 u. 693. 73 Heumos 1989, S. 69. 74 Vgl. Lipscher, S. 121f. Diese „paktierende Gesetzgebung“, in den USA “log-rolling“ genannt, funktionierte, wenn zwei (oder mehrere) Koalitionsparteien sich die Parlamentsmehrheit für ein Vorhaben mit ihrer Zustimmung zum Projekt der jeweils anderen erkauften, 89

<strong>Aufsätze</strong> Knut Langewand – Parteienstaat Tschechoslowakei 1918-1938 MIP 2010 16. Jahrgang<br />

lektuellen, Beamten, Politikern und Industriellen,<br />

mehrheitlich Tschechen, aber auch Slowaken<br />

und Deutschen61 , lag gewissermaßen quer<br />

zum Parteiensystem und zur jeweiligen Koalition,<br />

weil ihm Vertreter aller tschechischen Parteien<br />

angehörten, die auch dann Mitsprache behielten,<br />

wenn ihre Partei in der Opposition war62 .<br />

Der Einfluss der Burg reichte in Verlage, Zeitungen<br />

und sogar ins Ausland, wo sie dank Masaryks<br />

Prestige ebenfalls Verbindungen besaß. Sie<br />

war der Auslandsaktion verpflichtet und stand in<br />

Gegensatz vor allem zu Kramář, der nicht müde<br />

wurde sie zu bekämpfen und daher politisch<br />

kaltgestellt war. So gab es in den großen Regierungsparteien<br />

neben einem „Burg-Flügel“ 63 zudem<br />

jeweils eine Anti-Hrad-Fraktion, hauptsächlich<br />

bei den Nationaldemokraten und den Agrariern64<br />

.<br />

Die Macht des „Hrad“ bestand in seiner Verbindung<br />

zu den Parteien und damit zur Pětka, die er<br />

sogar politisch überleben sollte, denn während<br />

die Integrationskraft des Fünfer- und später Achterausschusses<br />

nach 1929 schwächer wurde,<br />

nahm die Bedeutung der Burg noch zu65 . Doch<br />

war sie von den Parteien insofern unabhängig,<br />

61 Eine (unvollständige) Auflistung des Burgkreises bietet<br />

Bachstein: Die soziologische Struktur der „Burg“ –<br />

Versuch einer Strukturanalyse, in: Bosl (Hrsg.): Die<br />

„Burg“. Einflußreiche politische Kräfte um Masaryk<br />

und Beneš, 2 Bde., München/Wien 1973, hier Bd. I, S.<br />

64f.<br />

62 Die politische Funktion der Burg ist schon vor dreißig<br />

Jahren ausgiebig diskutiert worden. Ich verweise hier<br />

vor allem auf die Auseinandersetzung zwischen Lemberg:<br />

Die politische Funktion der „Burg“, in: Bosl,<br />

Burg I, S. 70f, und Prinz: Die „Burg“. Ihre Entstehung<br />

und Struktur als Forschungsaufgabe, in: Bosl, Burg I,<br />

S. 11-26. Maßgeblich auch Klimek: Boj o hrad, 2 Bde.,<br />

Prag 1996/98.<br />

63 Lipscher, S. 142.<br />

64 Die einleuchtende These Lembergs, die Bezeichnung<br />

„Burg“ sei überhaupt erst durch ihre Gegner entstanden,<br />

wird durch die vielzitierte Erklärung untermauert,<br />

Journalisten hätten, um einer etwaigen strafrechtlichen<br />

Verfolgung zu entgehen, das Abstraktum „Burg“ anstatt<br />

Masaryks Namen verwendet; vgl. Lemberg: Die<br />

politische Funktion, S. 70f. Als Kampfbegriff gebrauchte<br />

die kommunistische Publizistik den Begriff<br />

„Burg“ seit Ende der 1920er-Jahre.<br />

65 Daher waren Hrad und Pětka weder deckungsgleich<br />

noch Gegenpole.<br />

88<br />

als sie direkte Kontakte in die Führungsgremien<br />

von pressure groups (etwa dem Turnverband Sokol)<br />

hatte, die über ihre Vertreter konkrete politische<br />

und wirtschaftliche Interessen artikulieren<br />

und z.T. auch durchsetzen konnten – hier ist von<br />

einem Interdependenzverhältnis auszugehen66 .<br />

In der Tat war die Burg eine außerparlamentarische<br />

Einrichtung, aber weder ihrem Selbstverständnis<br />

noch ihrer Politik nach gegen das Parlament<br />

oder die Demokratie gerichtet67 . Die zentrale<br />

Figur, der Präsident, war demokratisch legitimiert,<br />

und für ihre Vorhaben brauchte die Burg<br />

die parlamentarische Mehrheit, die über das Kartell<br />

der Pětka oder die Burgvertreter in den Parteien<br />

gesichert wurde. Jedoch hatten innerhalb<br />

des Führungskollektivs auch solche Personen<br />

großen Einfluss, die weder gewählt waren noch<br />

im Namen einer größeren Organisation sprechen<br />

konnten, wie der Bankdirektor Preiss oder die<br />

graue Eminenz der Hrad-Gruppe, Masaryks<br />

Kanzleichef Přemysl Šámal68 . Als in der Verfassung<br />

nicht vorgesehene Institution war die Burg<br />

keiner Kontrolle durch Parlament oder Gerichte<br />

unterworfen – was von ihren Mitgliedern durchaus<br />

beabsichtigt war69 . In den Krisen der 1930er-<br />

Jahre sollte sie sich bis zuletzt als stabilisierendes<br />

Moment erweisen.<br />

VII. Krise und Zerstörung<br />

Den Parlamentswahlen vom 29. Oktober 1929<br />

ging der „Schwarze Freitag“ an der amerikanischen<br />

Börse unmittelbar voraus, dessen Folgen<br />

66 Durch diese Vertretung der Industriellen im Burgkreis<br />

genossen die jeweiligen Unternehmen und Banken eine<br />

bevorzugte Position, auf der anderen Seite konnten Politiker<br />

und Intellektuelle ihre außen- und sicherheitspolitischen<br />

Vorstellungen über diesen Kanal beispielsweise<br />

an die großen Rüstungsunternehmen weitergeben;<br />

vgl. Bosl: Der Burgkreis (Zusammenfassung), in: Bosl,<br />

Burg II, S. 206f. Die Burg war zwar mächtiger, aber<br />

auch heterogener als jene pressure groups.<br />

67 Vgl. Prinz, S. 25.<br />

68 Da Šámal keiner der großen Parteien angehörte, scheiterte<br />

der Versuch, ihn im Kabinett unterzubringen –<br />

dies ein Beispiel für die Grenzen des Burg-Einflusses.<br />

Vgl. Lipscher, S. 142; Prinz, S. 22; Klepetář, S. 20f.<br />

69 Masaryk bezeichnete die Mutmaßungen über die Funktion<br />

der Burg als „mythisch“; Lemberg, Politische<br />

Funktion, S. 84.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!