Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF
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MIP 2010 16. Jahrgang Knut Langewand – Parteienstaat Tschechoslowakei 1918-1938 <strong>Aufsätze</strong><br />
ber 1922 Švehla eine „allnationale“ (=gesamttschechische)<br />
Koalitionsregierung mit eigener<br />
parlamentarischer Mehrheit bildete, blieb die<br />
Pětka in Bestand. Hier wurden die entscheidenden<br />
Gesetzesvorlagen diskutiert und über die<br />
Zusammensetzung des Kabinetts entschieden.<br />
Trotz diverser innerer Auseinandersetzungen<br />
hatte die Koalition über mehrere Jahre hinweg<br />
Bestand. Nach dem Wahlsieg der bürgerlichen<br />
Parteien wurde 1926 die sog. Herrenkoalition<br />
(panská koalice) unter Einschluss der deutschen<br />
konservativen Parteien (BdL, DCVP) gebildet,<br />
freilich unter Ausklammerung der nationalen<br />
Frage52 . Erstmals saßen nun deutsche Minister53 im Kabinett. 1927 trat auch die Slowakische<br />
Volkspartei der Regierung bei. Der Koalitionsausschuss,<br />
bestehend aus nunmehr acht Mitgliedern,<br />
stimmte weiterhin im Voraus die Vorhaben<br />
der Regierung ab. Diese Jahre politischer Stabilität<br />
und des größten je erreichten Konsenses<br />
zwischen tschechischen und deutschen Minderheitenpolitikern<br />
waren gleichzeitig Jahre der<br />
wirtschaftlichen Hochphase der Tschechoslowakei54<br />
.<br />
Eine schwere Herzerkrankung Švehlas Mitte<br />
1928 führte zu dessen zuerst zeitweiliger Abwesenheit,<br />
am 1. Februar 1929 trat er schließlich<br />
zurück, ohne je wieder in das politische Geschäft<br />
zurückzukehren, und starb 1933. Ohne<br />
seine Vermittlung erwies sich nicht nur die Koalition,<br />
sondern auch die staatstragende Agrarpartei<br />
selbst als sehr brüchig. Mit der Auflösung<br />
des Parlaments im September 1929 kam das<br />
System der Pětka zu ihrem Ende.<br />
52 Vgl. Leff: S. 307.<br />
53 Robert Mayr-Harting (DCVP) als Justizminister,<br />
Franz Spina (BdL) als Minister für öffentliche Arbeiten;<br />
vgl. Hoensch 1992, S. 55.<br />
54 Vgl. zur wirtschaftlichen Entwicklung in den 1920er-<br />
Jahren Mamatey: S. 121-131; zur Slowakei: Schönfeld:<br />
S. 81-84; für den gesamten Zeitraum: Pryor: Die<br />
wirtschaftliche Entwicklung der Tschechoslowakei in<br />
der Zwischenkriegszeit, in: Mamatey/Luža, S.<br />
203-231.<br />
VI. Die Rolle Masaryks und der „Burg“<br />
Die Bedeutung Tomáš Garrigue Masaryks für<br />
die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei als<br />
Führer der Auslandsaktion ist bereits angedeutet<br />
worden. „Demokratie ist die politische Form der<br />
Menschlichkeit“ 55 – mit diesem Satz endet Masaryks<br />
„Weltrevolution“, das gleichermaßen Tagebuch<br />
der Jahre 1914-1918, Programm und<br />
Selbstlegitimation ist. Seine überragende Stellung<br />
lag nicht zuletzt darin begründet, dass sein<br />
politisches Programm 1918 „the most concrete,<br />
detailed and consistent political platform in the<br />
country“ 56 war. Der ihm ursprünglich zugedachten<br />
repräsentativen Rolle als „Befreier-Präsident“<br />
zum Trotz mischte sich Masaryk immer<br />
wieder in die konkrete Tagespolitik ein57 . Obwohl<br />
seine politische Präferenz eher bei den National-Sozialisten<br />
und Sozialdemokraten lag,<br />
war die Zusammenarbeit zwischen ihm und<br />
Švehla sehr gut, auch weil dieser zum Kreise der<br />
„Gleichgesinnten, [...] welche seine Autorität anerkennen<br />
und ihn verehren“ 58 , zählte, obwohl<br />
Švehla selbst der mächtigere Politiker war59 . Mit<br />
Švehlas Rücktritt nahm die politische Bedeutung<br />
Masaryks noch zu, auf deren Höhepunkt 1930<br />
ein Gesetz60 verabschiedet wurde, dessen erster<br />
Paragraph lautete: „T. G. Masaryk hat sich um<br />
den Staat verdient gemacht“.<br />
Als Gralshüterin der Masarykschen Ideen und<br />
Garant einer entsprechenden Politik verstand<br />
sich die „Burg“ (tsch. hrad; in Anlehnung an<br />
Masaryks Prager Amtssitz). Dieser Zirkel – einem<br />
Modell mehrerer konzentrischer Kreise um<br />
den präsidialen Mittelpunkt gleich – aus Intel-<br />
55 Masaryk: Weltrevolution, S. 540. Vgl. auch Batscha:<br />
Eine Philosophie der Demokratie. Thomas G. Masaryks<br />
Begründung einer neuzeitlichen Demokratie,<br />
Frankfurt a.M. 1994.<br />
56 Olivová, S. 110.<br />
57 Vgl. Lipscher, S. 140f.<br />
58 Batscha, S. 222.<br />
59 So lehnte Švehla das Ansinnen einiger agrarischer Führer,<br />
ihn anstelle Masaryks 1927 zum Präsidenten zu<br />
wählen, rundheraus ab und drohte an, jeden „zu ohrfeigen“,<br />
der an diesen Plänen festhalte; vgl. Mamatey,<br />
144f.<br />
60 Gesetz Nr. 22/1930 vom 26. Januar 1930 „über die<br />
Verdienste T. G. Masaryks“.<br />
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