Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF

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Aufsätze Knut Langewand – Parteienstaat Tschechoslowakei 1918-1938 MIP 2010 16. Jahrgang marginale Position der Nationaldemokraten und ihr Austritt aus der Regierung 1934 leistete in den 1930er-Jahren einer wachsenden „Tendenz nach rechts“ 32 und einer Annäherung an die Splittergruppe der tschechischen Faschisten Vorschub. Zwischen den ernannten Abgeordneten des slowakischen Klubs in der Revolutionären Nationalversammlung brachen schon bald Gegensätze auf. Die Zentralisten schlossen sich sukzessive den „tschechoslowakischen“ Parteien, vor allem den Sozialdemokraten an. Die traditionsreiche Slowakische Nationalpartei unter Milan Hodža (1878-1944) trat 1920 zwar noch unter eigenem Namen an, ging aber sofort eine Fraktionsgemeinschaft mit den Agrariern ein und vereinigte sich 1922 schließlich mit diesen. Schon im Dezember 1918 hatte der katholische Geistliche Andrej Hlinka (1864-1938) die Slowakische Volkspartei (SVP) gegründet. Diese lehnte die Idee des Tschechoslowakismus ab und trat von Beginn an für eine weitgehende Autonomie der Slowakei in einem eher losen tschecho-slowakischen (auf den Bindestrich wurde von der SVP großen Wert gelegt) Bundesstaat ein. Ein kurzzeitiges Bündnis mit der tschechischen Volkspartei musste nach deren Eintritt in die Koalitionsregierung zwangsläufig scheitern, und die Slowakische Volkspartei, die seit 1925 den Namen ihres Gründers in der Parteibezeichnung führte (Hlinkova Slovenská L’udová Strana), trat in eine sich verschärfende Opposition zu Regierung und Staat, die nur durch ein kurzes Intermezzo in der Regierungsverantwortung (1927/28) unterbrochen wurde. Obwohl sie in der Slowakei nie mehr als 30% der Stimmen erhielt, war sie dort doch eine echte Volkspartei, weil sie als konfessionell-regionale Partei Wähler aller sozialen Milieus an sich binden konnte33 . sowie Breyer: Polnischer Parlamentarismus und Nationalitätenfrage, in: Volkmann (Hrsg.): Die Krise des Parlamentarismus in Ostmitteleuropa zwischen den beiden Weltkriegen, Marburg 1967, S. 64-78, hier S. 71ff. 32 Hromádko et al., S. 704. 33 Vgl. Hoensch: Dokumente zur Autonomiepolitik der Slowakischen Volkspartei Hlinkas, München/Wien 1984, S. 29-43; Hromádko et al., S. 698f. 84 2. Die deutschen Parteien Nach den Ereignissen des Oktober 1918 und des 4. März 191934 hatte sich im Zeichen einer sich abzeichnenden Festigung der tschechoslowakischen Demokratie das Parteienspektrum der deutschen Minderheit verändert. Hier soll nur auf die fünf wesentlichen sudetendeutschen Parteien eingegangen werden. Der traditionsreiche deutsche Flügel der Sozialdemokratie benannte sich im September 1919 in Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei in der ČSR (DSAP) um und wurde bis zu dessen Tode 1920 von Josef Seliger geführt. Die Interessen der Bauern wurden vom Bund der Landwirte (BdL), die des katholisch-konservativen Bürgertums von der Deutschen Christlich-Sozialen Volkspartei (DCVP) repräsentiert. Auch prononciert bürgerlich, allerdings bedeutend nationalistischer gab sich die Deutsche Nationalpartei (DNP), der seit ihrer Gründung 1919 Rudolf Lodgman von Auen35 vorstand. Die ultranationalistische, schon im Mai 1918 gegründete Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNS- AP) war völkischen Ideen verhaftet und antikapitalistisch orientiert. Seit 1920 hatte sie enge Verbindungen zur reichsdeutschen NSDAP und zu den Nationalsozialisten in Österreich. Außer der DSAP hatten sich die sudetendeutschen Parteien – in der Ablehnung des neuen Staates über alle politischen Gräben hinweg einig – 1920 zum „Deutschen Parlamentarischen Verband“ zusammengeschlossen. Unter Lodgmans Vorsitz lehnte dieser jegliche Zusammenarbeit mit den tschechischen Parteien mit Hinweis auf das undemokratische Zustandekommen 34 An diesem Tage waren bei Kundgebungen gegen die Inkorporation der sudetendeutschen Gebiete in die Tschechoslowakei 54 Menschen in Nordböhmen ums Leben gekommen. Dieses Datum wurde zum Symbol und die Toten zu Märtyrern der sudetendeutschen Bewegung stilisiert, doch sprachen schon zeitgenössische tschechische (und auf den Ausgleich bedachte sudetendeutsche) Quellen von einem tragischen Ereignis; vgl. Brügel: Tschechen und Deutsche 1918-1938, München 1967, S. 75ff; Hoensch 1992, S. 33. 35 Lodgman (1877-1962) war vor dem Kriege bereits parteiloser Abgeordneter im Reichsrat gewesen. Nach Krieg und Vertreibung wurde er 1950 erster Sprecher der sudetendeutschen Landsmannschaft.

MIP 2010 16. Jahrgang Knut Langewand – Parteienstaat Tschechoslowakei 1918-1938 Aufsätze der Verfassung ab. In Lodgmans Worten war es „die höchste Pflicht der deutschen Abgeordneten [...], Hochverrat zu üben“ 36 . Die geschlossene Front der Ablehnung begann jedoch bald zu bröckeln, als DSAP und BdL vorsichtige Kontakte zu ihren tschechoslowakischen Schwesterparteien aufnahmen, die schon vor 1918 bestanden hatten, in der national-chauvinistischen Hochphase aber abgebrochen waren37 . 1922 schlossen sich DSAP (ohne die 1921 abgefallenen Kommunisten), BdL und DCVP in der „Arbeitsgemeinschaft“ zusammen, die nun die Zusammenarbeit mit den gemäßigten tschechischen Parteien suchte. Höhepunkt dieser Annäherung war 1926 die Aufnahme von BdL und DCVP in die bürgerliche Koalition unter Švehla. DNP und DNSAP bildeten eine „Kampfgemeinschaft“ und verschrieben sich bis zu ihrer Auflösung 1933 weiterhin einer fundamentalen Opposition38 . An ihre Stelle trat die Sudetendeutsche Heimatfront bzw. Sudetendeutsche Partei (SdP) des Konrad Henlein. Moderne Demokratietheorien haben einen notwendigen Zusammenhang zwischen politischem Parteiwesen und funktionierender Demokratie hergestellt. Im Falle der ČSR lag dieser Umstand in Verbindung mit der durchgängigen Praxis unbehinderter und fairer Wahlen vor39 . 36 So noch im Oktober 1922; Zit. n. Brügel, S. 154. 37 Das betrifft vor allem die beiden sozialdemokratischen Parteien, die zu gleichen Teilen in die scharfe Auseinandersetzung um die Grenzen der ČSR und die nationale Frage involviert waren; vgl. Hoensch 1992, S. 44f. 38 Vgl. Rothschild, S. 99f; Bachstein, S. 97f; H. Schütz: Die Deutsche Christlichsoziale Volkspartei in der Ersten Tschechoslowakischen Republik, in: Bosl, Parteienstaat, S. 271-290; Linz: Der Bund der Landwirte auf dem Weg in den Aktivismus. Von der Gründung bis zur Regierungsbeteiligung (1918-1926), in: Bosl, Parteienstaat, S. 403-426. 39 Vgl. Burian: Demokratie und Parlamentarismus in der Ersten Tschechoslowakischen Republik, in: Volkmann, S. 85-102, hier: 97-100. Dieser weist auch auf die durch den Zuschnitt der Wahlkreise bedingten Differenzen zwischen Wählerstimmen und zugesprochenen Mandaten hin, die zum Großteil der SVP und der KPČ zugute kamen und eben nicht den Koalitionsparteien. IV. Zersplitterung und Versäulung Wie gezeigt worden ist, existierte in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit ein hochdifferenziertes Parteienspektrum, das jedoch zu extremer Zersplitterung tendierte; von den bis zu 17 im Parlament vertretenen Parteien, davon weniger als die Hälfte Splitterparteien40 , errang nach 1920 keine mehr als 16 % der Stimmen. Dies lag ähnlich wie in der Weimarer Republik oder anderen ostmitteleuropäischen Staaten am gültigen Verhältniswahlrecht, das die nationalen Minderheiten tendenziell begünstigte41 . Das vom Verfassungsgeber vorgesehene freie Mandat hat sich faktisch nie durchgesetzt. Im Gegenteil führte die Praxis von gebundenen Kandidatenlisten und strengem Fraktionszwang42 zu einer beinahe unumschränkten Herrschaft der Parteiführungen. Das Parteienspektrum ist insgesamt relativ stabil geblieben. Abgesehen von den Neugründungen bzw. Abspaltungen in der Formationsphase der Republik und der Gründung der Sudetendeutschen Partei 1935 haben in den 20 Jahren der Existenz der ČSR keine nennenswerten Veränderungen stattgefunden. Diese Tendenz zur Versteinerung des parteipolitischen Status quo legt einen Vergleich mit den Niederlanden nahe. Im noch nach dem Zweiten Weltkrieg praktizierten Prinzip der „Versäulung“ (verzuiling) existierte für jede Weltanschauung, Konfession und gesellschaftlichen Teilbereich jeweils eine politische Partei, die sich auf ihren Wählerstamm konzen- 40 Vgl. Leff, S. 302. 41 Vgl. Beneš: Die Tschechoslowakische Demokratie und ihre Probleme 1918-1920, in: Mamatey/Luža, S. 75. Das alt-österreichische Mehrheitswahlrecht hatte die Vertretung von regionalen Minderheiten eher verhindert. 42 Parteiaustritte resultierten in der Regel im Verlust des Abgeordnetenmandats. Dies geschah, wenn das Wahlgericht „niedrige und unehrenhafte Beweggründe“ für den Austritt erkannte, was häufig vorkam. Tatsächlich hatten die Abgeordneten nach ihrer Wahl ein sog. Revers zu unterschreiben, in dem sie ihre Loyalität gegenüber der Fraktion bekundeten. Vgl. Lipscher, S. 112ff; Slapnicka: Recht und Verfassung der Tschechoslowakei 1918-1938, in: Bosl (Hrsg.): Aktuelle Forschungsprobleme um die Erste Tschecho-slowakische Republik, München/Wien 1969, S. 101. 85

<strong>Aufsätze</strong> Knut Langewand – Parteienstaat Tschechoslowakei 1918-1938 MIP 2010 16. Jahrgang<br />

marginale Position der Nationaldemokraten und<br />

ihr Austritt aus der Regierung 1934 leistete in<br />

den 1930er-Jahren einer wachsenden „Tendenz<br />

nach rechts“ 32 und einer Annäherung an die<br />

Splittergruppe der tschechischen Faschisten Vorschub.<br />

Zwischen den ernannten Abgeordneten des slowakischen<br />

Klubs in der Revolutionären Nationalversammlung<br />

brachen schon bald Gegensätze<br />

auf. Die Zentralisten schlossen sich sukzessive<br />

den „tschechoslowakischen“ Parteien, vor allem<br />

den Sozialdemokraten an. Die traditionsreiche<br />

Slowakische Nationalpartei unter Milan Hodža<br />

(1878-1944) trat 1920 zwar noch unter eigenem<br />

Namen an, ging aber sofort eine Fraktionsgemeinschaft<br />

mit den Agrariern ein und vereinigte<br />

sich 1922 schließlich mit diesen. Schon im Dezember<br />

1918 hatte der katholische Geistliche<br />

Andrej Hlinka (1864-1938) die Slowakische<br />

Volkspartei (SVP) gegründet. Diese lehnte die<br />

Idee des Tschechoslowakismus ab und trat von<br />

Beginn an für eine weitgehende Autonomie der<br />

Slowakei in einem eher losen tschecho-slowakischen<br />

(auf den Bindestrich wurde von der SVP<br />

großen Wert gelegt) Bundesstaat ein. Ein kurzzeitiges<br />

Bündnis mit der tschechischen Volkspartei<br />

musste nach deren Eintritt in die Koalitionsregierung<br />

zwangsläufig scheitern, und die<br />

Slowakische Volkspartei, die seit 1925 den Namen<br />

ihres Gründers in der Parteibezeichnung<br />

führte (Hlinkova Slovenská L’udová Strana), trat<br />

in eine sich verschärfende Opposition zu Regierung<br />

und Staat, die nur durch ein kurzes Intermezzo<br />

in der Regierungsverantwortung<br />

(1927/28) unterbrochen wurde. Obwohl sie in<br />

der Slowakei nie mehr als 30% der Stimmen erhielt,<br />

war sie dort doch eine echte Volkspartei,<br />

weil sie als konfessionell-regionale Partei Wähler<br />

aller sozialen Milieus an sich binden konnte33<br />

.<br />

sowie Breyer: Polnischer Parlamentarismus und Nationalitätenfrage,<br />

in: Volkmann (Hrsg.): Die Krise des<br />

Parlamentarismus in Ostmitteleuropa zwischen den<br />

beiden Weltkriegen, Marburg 1967, S. 64-78, hier S.<br />

71ff.<br />

32 Hromádko et al., S. 704.<br />

33 Vgl. Hoensch: Dokumente zur Autonomiepolitik der<br />

Slowakischen Volkspartei Hlinkas, München/Wien<br />

1984, S. 29-43; Hromádko et al., S. 698f.<br />

84<br />

2. Die deutschen Parteien<br />

Nach den Ereignissen des Oktober 1918 und des<br />

4. März 191934 hatte sich im Zeichen einer sich<br />

abzeichnenden Festigung der tschechoslowakischen<br />

Demokratie das Parteienspektrum der<br />

deutschen Minderheit verändert. Hier soll nur<br />

auf die fünf wesentlichen sudetendeutschen Parteien<br />

eingegangen werden.<br />

Der traditionsreiche deutsche Flügel der Sozialdemokratie<br />

benannte sich im September 1919 in<br />

Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei in<br />

der ČSR (DSAP) um und wurde bis zu dessen<br />

Tode 1920 von Josef Seliger geführt. Die Interessen<br />

der Bauern wurden vom Bund der Landwirte<br />

(BdL), die des katholisch-konservativen<br />

Bürgertums von der Deutschen Christlich-Sozialen<br />

Volkspartei (DCVP) repräsentiert. Auch prononciert<br />

bürgerlich, allerdings bedeutend nationalistischer<br />

gab sich die Deutsche Nationalpartei<br />

(DNP), der seit ihrer Gründung 1919 Rudolf<br />

Lodgman von Auen35 vorstand. Die ultranationalistische,<br />

schon im Mai 1918 gegründete Deutsche<br />

Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNS-<br />

AP) war völkischen Ideen verhaftet und antikapitalistisch<br />

orientiert. Seit 1920 hatte sie enge<br />

Verbindungen zur reichsdeutschen NSDAP und<br />

zu den Nationalsozialisten in Österreich.<br />

Außer der DSAP hatten sich die sudetendeutschen<br />

Parteien – in der Ablehnung des neuen<br />

Staates über alle politischen Gräben hinweg einig<br />

– 1920 zum „Deutschen Parlamentarischen<br />

Verband“ zusammengeschlossen. Unter Lodgmans<br />

Vorsitz lehnte dieser jegliche Zusammenarbeit<br />

mit den tschechischen Parteien mit Hinweis<br />

auf das undemokratische Zustandekommen<br />

34 An diesem Tage waren bei Kundgebungen gegen die<br />

Inkorporation der sudetendeutschen Gebiete in die<br />

Tschechoslowakei 54 Menschen in Nordböhmen ums<br />

Leben gekommen. Dieses Datum wurde zum Symbol<br />

und die Toten zu Märtyrern der sudetendeutschen Bewegung<br />

stilisiert, doch sprachen schon zeitgenössische<br />

tschechische (und auf den Ausgleich bedachte sudetendeutsche)<br />

Quellen von einem tragischen Ereignis; vgl.<br />

Brügel: Tschechen und Deutsche 1918-1938, München<br />

1967, S. 75ff; Hoensch 1992, S. 33.<br />

35 Lodgman (1877-1962) war vor dem Kriege bereits parteiloser<br />

Abgeordneter im Reichsrat gewesen. Nach<br />

Krieg und Vertreibung wurde er 1950 erster Sprecher<br />

der sudetendeutschen Landsmannschaft.

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