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Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF

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MIP 2010 16. Jahrgang Knut Langewand – Parteienstaat Tschechoslowakei 1918-1938 <strong>Aufsätze</strong><br />

die Partei bis 1938 beherrschte. Die Partei verfügte<br />

über ein Netz von Zeitungen, Genossenschaften,<br />

Banken und Sparkassen sowie Interessenverbänden<br />

(wie z.B. den Kleinbauernverband<br />

Domovina) 27 , das ihr bedeutenden Einfluss auf<br />

die Politik und ein festes Kontingent an Wählerstimmen<br />

sicherte. Ganz im Sinne der kleinbäuerlichen<br />

Ideologie28 traten die Agrarier für einen<br />

Agrarprotektionismus ein, der sich in den Jahren<br />

der Wirtschaftskrise noch verschärfte. Da das für<br />

die Umsetzung der Bodenreform zuständige Bodenamt<br />

von der Agrarpartei kontrolliert wurde,<br />

konnte sie die enteigneten Güter nach Gutdünken<br />

vergeben. Dabei fielen riesige Latifundien<br />

an Funktionsträger der Partei. Seit 1922 besetzten<br />

Vertreter der Agrarpartei das Amt des Ministerpräsidenten<br />

und bedeutende Ministerien: das<br />

Innenressort (1922-1938), Verteidigungs-<br />

(1926-1938) und Landwirtschaftsministerium<br />

(1921-1938). Nach Švehlas Tod 1933 wurde die<br />

Agrarpartei zunehmend durch die autoritäre Tendenz<br />

ihres rechten Flügels unter Rudolf Beran<br />

geschwächt.<br />

Die kleine Tschechoslowakische Gewerbe- und<br />

Handelspartei teilte mit der Agrarpartei das Einstehen<br />

für hohe Schutzzölle und betrieb eine aktive<br />

Standespolitik für Händler, Kaufleute und<br />

mittlere Selbständige. Daher trat sie bis 1932 im<br />

Bündnis mit den Agrariern an, emanzipierte sich<br />

mit dem Austritt aus der Regierung von ihnen<br />

und konnte 1935 5,4% aller Stimmen auf sich<br />

vereinigen. Danach kehrte sie in die Regierungskoalition<br />

(und das Kabinett) zurück.<br />

Slavic Review 21 (1962) 4, S. 699-708; Miller: Forging<br />

Political Compromise: Antonín Švehla and the<br />

Czechoslovak Republican Party, 1918-1933, Pittsburgh<br />

1999.<br />

27 Vgl. dazu auch Heumos: Konfliktregelung und soziale<br />

Integration. Zur Struktur der Ersten Tschechoslowakischen<br />

Republik, in: Bohemia. Zeitschrift für Geschichte<br />

und Kultur der böhmischen Länder, Bd. 30 (1989),<br />

S. 52-70, hier: S. 58.<br />

28 Mit den sozialistischen Parteien teilten sie eine tiefe<br />

Abneigung gegen Kapitalerträge und „kapitalistisches<br />

Bodeneigentum“. In der Parteiparole „venkov jedna<br />

rodina“ (Das Land [ist] eine Familie) ist ein stark antiurbanes<br />

Element und gleichzeitig die Idee einer geistigen<br />

Integration aller Landbesitzer enthalten; vgl.<br />

Hromádko et al., S. 694.<br />

Am rechten Rand des Parteienspektrums stand<br />

die Tschechoslowakische Nationaldemokratische<br />

Partei. Diese war aus der jungtschechischen Vorkriegspartei<br />

hervorgegangen und „verstand sich<br />

zunächst als Zusammenschluss der Kräfte des<br />

Inlandswiderstands“ 29 . Zwar war sie die Erbin<br />

des Liberalismus in den böhmischen Ländern,<br />

doch dominierten schon sehr bald national-chauvinistische<br />

Einflüsse, die sie als unbedingte Verfechterin<br />

der tschechoslowakischen Nationalstaatsidee<br />

und schärfste Stimme gegenüber den<br />

nationalen Minderheiten auswies. Alle anderen<br />

politischen Ziele traten dahinter zurück 30 . Parteigänger<br />

der Nationaldemokratie waren vor allem<br />

die akademische Intelligenz, hohe Beamte und<br />

eine großbürgerlich-industrielle Schicht in Prag.<br />

Überhaupt kann die Partei als „Prager Stadtpartei“<br />

bezeichnet werden, obgleich sie auch dort<br />

nie mehr als ein Drittel der Stimmen erringen<br />

konnte. Die im Nationalausschuss noch sehr bedeutende<br />

Stellung verlor die Partei in den<br />

Wahlen von 1920: Sie erhielt nur 6,2% aller<br />

Stimmen, ein Ergebnis, das in den folgenden<br />

Jahren noch unterboten wurde. Trotz dieser relativen<br />

Bedeutungslosigkeit neigte vor allem der<br />

Parteivorsitzende Kramář zur Überschätzung<br />

seiner Person; außerdem überwarf er sich schon<br />

früh mit Masaryk und war damit faktisch aus<br />

dem politischen Establishment der ČSR ausgeschlossen,<br />

obwohl er aufgrund seiner Rolle im<br />

Krieg eine hohe Reputation genoss. Neben<br />

Kramář war nur noch der Finanzexperte Rašín<br />

von ähnlicher politischer Bedeutung, dieser fiel<br />

1923 jedoch einem Attentat 31 zum Opfer. Die<br />

29 Lemberg: Das Erbe des Liberalismus in der ČSR und<br />

die nationaldemokratische Partei, in: Bosl, Parteienstaat,<br />

S. 59-78, hier S. 71.<br />

30 Vgl. Olivová: The Doomed Democracy. Czechoslovakia<br />

in a Disrupted Europe, London 1972, S. 109.<br />

31 Am 5. Januar 1923; der Täter war angeblich ein geistesgestörter<br />

Kommunist. Nach dem Attentat wurde ein<br />

repressives Staatsschutzgesetz verabschiedet, das auch<br />

später noch gegen die Kommunisten angewandt wurde.<br />

Im Attentat und den Reaktionen darauf sind Parallelen<br />

zur Weimarer Republik (Attentate auf Erzberger 1921<br />

und Rathenau 1922) und zu Polen (Mord an Staatspräsident<br />

Gabriel Narutowicz im Dezember 1922) zu erkennen,<br />

jedoch gingen dort Hetzkampagnen der nationalistischen<br />

Presse voraus, während in der ČSR vor allem<br />

die linksradikale Presse gegen die rigide Finanzpolitik<br />

Rašíns Front gemacht hatte. Vgl. Mamatey, S. 124<br />

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