Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF

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25.02.2013 Aufrufe

Aufsätze Knut Langewand – Parteienstaat Tschechoslowakei 1918-1938 MIP 2010 16. Jahrgang sowjetischen Führung in Moskau19 . Dass diese Tendenz sie „im politischen Leben des Landes zu einem berufsrevolutionären Fremdkörper“ 20 werden ließ, verhinderte zwar eine Verständigung mit den Sozialisten und somit die realistische Chance der Regierungsbeteiligung, doch konnte die KPČ besonders in den ländlichen Gebieten der Slowakei und der Karpato-Ukraine ihre Wählerschaft dauerhaft mobilisieren. Die Tschechoslowakische National-Sozialistische Partei zählte ebenfalls zu den sozialistischen Parteien21 . Mit dem Nationalsozialismus Hitlerscher Prägung (NSDAP) hatte sie nichts gemein. Sie war eine Partei der städtischen Arbeiterschaft (vor allem in Prag, wo sie bei den Wahlen regelmäßig stärkste Kraft war) und gab sich betont patriotisch. Mit 8 bis 10% Stimmenanteil blieb sie bei den Wahlen stets hinter der Sozialdemokratie zurück. Im Gegensatz zu dieser lehnten die National-Sozialisten den Marxismus ab und traten für eine genossenschaftliche Form der Vergesellschaftung von Industrie und Großgrundbesitz ein. Die in den ersten Jahren noch vorhandenen antisemitischen, stark antideutschen und antiklerikalen Tendenzen schwächten sich durch die langjährige Zusammenarbeit in den Koalitionsregierungen ab22 . Neben den langjährigen Führern Václav Klofáč 19 Vgl. Hromádko/Richter/Wende: Tschechoslowakei, in: Lexikon zur Geschichte der Parteien in Europa, hrsg. von Wende, Stuttgart 1981, S. 671-713, hier: S. 687ff; Brenner: Zwischen Staat, Nation und Komintern: Loyalitätsbezüge der KPTsch 1921-1938, in: Schulze Wessel (Hrsg.): Loyalitäten in der Tschechoslowakischen Republik 1918-1938. Politische, nationale und kulturelle Zugehörigkeiten, München 2004, S. 87-111. 20 Oschlies: Die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei in der Ersten Tschechoslowakischen Republik (1918-1938), in: Bosl (Hrsg.): Die demokratisch-parlamentarische Struktur der Ersten Tschechoslowakischen Republik, München/Wien 1975, S. 53-82, hier: S. 53. 21 Vgl. besonders zur Vorgeschichte der Partei im Kaiserreich Brandes: Die tschechoslowakischen National-Sozialisten, in: Bosl, Parteienstaat, S. 101-153; Hromádko et al., S. 705ff. 22 So geriet der Kurs der Partei häufig zu purem Opportunismus, was auch Ferdinand Peroutka feststellt: „...wie ein Segelboot, das bald diesen, bald jenen Wind ausnutzt“; Zit. n. Brandes, S. 153. Doch machte gerade die mangelnde ideologische Trennschärfe ihren Charakter als moderne Massenpartei aus. 82 und Jiří Stříbrný (beides „Männer des 28. Oktober“) gehörte zudem Beneš der National-Sozialistischen Partei an23 . Die Tschechoslowakische Volkspartei war die Partei des tschechischen politischen Katholizismus. Ihr Machtzentrum lag vor allem im mährischen Landesteil, woher auch ihr langjähriger Vorsitzender Msgr. Jan Šrámek (1870-1956) stammte. 1919 gegründet, hatte sie als ultramontan ausgerichtete Kraft in der anfänglichen Hochphase des weit verbreiteten, antihabsburgischen Antikatholizismus einen schweren Stand, wurde aber nach 1920/22 integraler Teil der Koalitionsregierungen, was nicht zuletzt dem mäßigenden und vermittelnden Einfluss Šrámeks zugeschrieben werden kann. Bei den Wahlen von 1925 verzeichnete sie ihren größten Erfolg und wurde mit 9,7% der Stimmen drittstärkste Partei, mit der allmählichen Entspannung zwischen Staat und katholischer Kirche verlor sie jedoch an Bedeutung, u.a. weil es ihr an einer straffen zentralen Organisation und jüngeren Parteimitgliedern mangelte. Das Programm der Volkspartei basierte auf der katholischen Soziallehre Papst Leos XIII., und mit der Abwendung der Trennung von Kirche und Staat errang sie schon früh einen wesentlichen Erfolg24 . Die seit 1925 dauerhaft stärkste Partei war die Agrarpartei (offizieller Name seit 1922: Republikanische Partei des landwirtschaftlichen und kleinbäuerlichen Volkes) 25 . 1905 gegründet, hatte sie schon bei den Reichsratswahlen einigen Erfolg. Seit 1909 stand ihr Antonín Švehla vor, der gegen den großbäuerlichen Flügel ein kleinbäuerliches Programm26 durchsetzen konnte, das 23 Klepetář, S. 21. 24 Sehr pointiert Pecháček: Die Rolle des politischen Katholizismus in der ČSR, in: Bosl, Parteienstaat, S. 259-269; s.a. Trapl: Political Catholicism and the Czechoslovak People’s Party in Czechoslovakia, 1918-1938, Boulder 1995. 25 Ausführlich Heumos: Die Entwicklung organisierter agrarischer Interessen in den böhmischen Ländern und in der ČSR. Zur Entstehung und Machtstellung der Agrarpartei 1873-1933, in: Bosl, Parteienstaat, S. 323-376, für die Phase nach 1918: S. 343-376. 26 Daher ist es m.E. einigermaßen irreführend, Švehla als „Bauernzaren“ (Hoensch) zu bezeichnen. Zu Švehlas Person: Palecek: Švehla: Czech Peasant Statesman, in:

MIP 2010 16. Jahrgang Knut Langewand – Parteienstaat Tschechoslowakei 1918-1938 Aufsätze die Partei bis 1938 beherrschte. Die Partei verfügte über ein Netz von Zeitungen, Genossenschaften, Banken und Sparkassen sowie Interessenverbänden (wie z.B. den Kleinbauernverband Domovina) 27 , das ihr bedeutenden Einfluss auf die Politik und ein festes Kontingent an Wählerstimmen sicherte. Ganz im Sinne der kleinbäuerlichen Ideologie28 traten die Agrarier für einen Agrarprotektionismus ein, der sich in den Jahren der Wirtschaftskrise noch verschärfte. Da das für die Umsetzung der Bodenreform zuständige Bodenamt von der Agrarpartei kontrolliert wurde, konnte sie die enteigneten Güter nach Gutdünken vergeben. Dabei fielen riesige Latifundien an Funktionsträger der Partei. Seit 1922 besetzten Vertreter der Agrarpartei das Amt des Ministerpräsidenten und bedeutende Ministerien: das Innenressort (1922-1938), Verteidigungs- (1926-1938) und Landwirtschaftsministerium (1921-1938). Nach Švehlas Tod 1933 wurde die Agrarpartei zunehmend durch die autoritäre Tendenz ihres rechten Flügels unter Rudolf Beran geschwächt. Die kleine Tschechoslowakische Gewerbe- und Handelspartei teilte mit der Agrarpartei das Einstehen für hohe Schutzzölle und betrieb eine aktive Standespolitik für Händler, Kaufleute und mittlere Selbständige. Daher trat sie bis 1932 im Bündnis mit den Agrariern an, emanzipierte sich mit dem Austritt aus der Regierung von ihnen und konnte 1935 5,4% aller Stimmen auf sich vereinigen. Danach kehrte sie in die Regierungskoalition (und das Kabinett) zurück. Slavic Review 21 (1962) 4, S. 699-708; Miller: Forging Political Compromise: Antonín Švehla and the Czechoslovak Republican Party, 1918-1933, Pittsburgh 1999. 27 Vgl. dazu auch Heumos: Konfliktregelung und soziale Integration. Zur Struktur der Ersten Tschechoslowakischen Republik, in: Bohemia. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder, Bd. 30 (1989), S. 52-70, hier: S. 58. 28 Mit den sozialistischen Parteien teilten sie eine tiefe Abneigung gegen Kapitalerträge und „kapitalistisches Bodeneigentum“. In der Parteiparole „venkov jedna rodina“ (Das Land [ist] eine Familie) ist ein stark antiurbanes Element und gleichzeitig die Idee einer geistigen Integration aller Landbesitzer enthalten; vgl. Hromádko et al., S. 694. Am rechten Rand des Parteienspektrums stand die Tschechoslowakische Nationaldemokratische Partei. Diese war aus der jungtschechischen Vorkriegspartei hervorgegangen und „verstand sich zunächst als Zusammenschluss der Kräfte des Inlandswiderstands“ 29 . Zwar war sie die Erbin des Liberalismus in den böhmischen Ländern, doch dominierten schon sehr bald national-chauvinistische Einflüsse, die sie als unbedingte Verfechterin der tschechoslowakischen Nationalstaatsidee und schärfste Stimme gegenüber den nationalen Minderheiten auswies. Alle anderen politischen Ziele traten dahinter zurück 30 . Parteigänger der Nationaldemokratie waren vor allem die akademische Intelligenz, hohe Beamte und eine großbürgerlich-industrielle Schicht in Prag. Überhaupt kann die Partei als „Prager Stadtpartei“ bezeichnet werden, obgleich sie auch dort nie mehr als ein Drittel der Stimmen erringen konnte. Die im Nationalausschuss noch sehr bedeutende Stellung verlor die Partei in den Wahlen von 1920: Sie erhielt nur 6,2% aller Stimmen, ein Ergebnis, das in den folgenden Jahren noch unterboten wurde. Trotz dieser relativen Bedeutungslosigkeit neigte vor allem der Parteivorsitzende Kramář zur Überschätzung seiner Person; außerdem überwarf er sich schon früh mit Masaryk und war damit faktisch aus dem politischen Establishment der ČSR ausgeschlossen, obwohl er aufgrund seiner Rolle im Krieg eine hohe Reputation genoss. Neben Kramář war nur noch der Finanzexperte Rašín von ähnlicher politischer Bedeutung, dieser fiel 1923 jedoch einem Attentat 31 zum Opfer. Die 29 Lemberg: Das Erbe des Liberalismus in der ČSR und die nationaldemokratische Partei, in: Bosl, Parteienstaat, S. 59-78, hier S. 71. 30 Vgl. Olivová: The Doomed Democracy. Czechoslovakia in a Disrupted Europe, London 1972, S. 109. 31 Am 5. Januar 1923; der Täter war angeblich ein geistesgestörter Kommunist. Nach dem Attentat wurde ein repressives Staatsschutzgesetz verabschiedet, das auch später noch gegen die Kommunisten angewandt wurde. Im Attentat und den Reaktionen darauf sind Parallelen zur Weimarer Republik (Attentate auf Erzberger 1921 und Rathenau 1922) und zu Polen (Mord an Staatspräsident Gabriel Narutowicz im Dezember 1922) zu erkennen, jedoch gingen dort Hetzkampagnen der nationalistischen Presse voraus, während in der ČSR vor allem die linksradikale Presse gegen die rigide Finanzpolitik Rašíns Front gemacht hatte. Vgl. Mamatey, S. 124 83

<strong>Aufsätze</strong> Knut Langewand – Parteienstaat Tschechoslowakei 1918-1938 MIP 2010 16. Jahrgang<br />

sowjetischen Führung in Moskau19 . Dass diese<br />

Tendenz sie „im politischen Leben des Landes<br />

zu einem berufsrevolutionären Fremdkörper“ 20<br />

werden ließ, verhinderte zwar eine Verständigung<br />

mit den Sozialisten und somit die realistische<br />

Chance der Regierungsbeteiligung, doch<br />

konnte die KPČ besonders in den ländlichen Gebieten<br />

der Slowakei und der Karpato-Ukraine<br />

ihre Wählerschaft dauerhaft mobilisieren.<br />

Die Tschechoslowakische National-Sozialistische<br />

Partei zählte ebenfalls zu den sozialistischen<br />

Parteien21 . Mit dem Nationalsozialismus<br />

Hitlerscher Prägung (NSDAP) hatte sie nichts<br />

gemein. Sie war eine Partei der städtischen Arbeiterschaft<br />

(vor allem in Prag, wo sie bei den<br />

Wahlen regelmäßig stärkste Kraft war) und gab<br />

sich betont patriotisch. Mit 8 bis 10% Stimmenanteil<br />

blieb sie bei den Wahlen stets hinter der<br />

Sozialdemokratie zurück. Im Gegensatz zu dieser<br />

lehnten die National-Sozialisten den Marxismus<br />

ab und traten für eine genossenschaftliche<br />

Form der Vergesellschaftung von Industrie und<br />

Großgrundbesitz ein. Die in den ersten Jahren<br />

noch vorhandenen antisemitischen, stark antideutschen<br />

und antiklerikalen Tendenzen<br />

schwächten sich durch die langjährige Zusammenarbeit<br />

in den Koalitionsregierungen ab22 .<br />

Neben den langjährigen Führern Václav Klofáč<br />

19 Vgl. Hromádko/Richter/Wende: Tschechoslowakei, in:<br />

Lexikon zur Geschichte der Parteien in Europa, hrsg.<br />

von Wende, Stuttgart 1981, S. 671-713, hier: S. 687ff;<br />

Brenner: Zwischen Staat, Nation und Komintern:<br />

Loyalitätsbezüge der KPTsch 1921-1938, in: Schulze<br />

Wessel (Hrsg.): Loyalitäten in der Tschechoslowakischen<br />

Republik 1918-1938. Politische, nationale und<br />

kulturelle Zugehörigkeiten, München 2004, S. 87-111.<br />

20 Oschlies: Die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei<br />

in der Ersten Tschechoslowakischen Republik<br />

(1918-1938), in: Bosl (Hrsg.): Die demokratisch-parlamentarische<br />

Struktur der Ersten Tschechoslowakischen<br />

Republik, München/Wien 1975, S. 53-82, hier: S. 53.<br />

21 Vgl. besonders zur Vorgeschichte der Partei im Kaiserreich<br />

Brandes: Die tschechoslowakischen National-Sozialisten,<br />

in: Bosl, Parteienstaat, S. 101-153; Hromádko<br />

et al., S. 705ff.<br />

22 So geriet der Kurs der Partei häufig zu purem Opportunismus,<br />

was auch Ferdinand Peroutka feststellt: „...wie<br />

ein Segelboot, das bald diesen, bald jenen Wind ausnutzt“;<br />

Zit. n. Brandes, S. 153. Doch machte gerade<br />

die mangelnde ideologische Trennschärfe ihren Charakter<br />

als moderne Massenpartei aus.<br />

82<br />

und Jiří Stříbrný (beides „Männer des 28. Oktober“)<br />

gehörte zudem Beneš der National-Sozialistischen<br />

Partei an23 .<br />

Die Tschechoslowakische Volkspartei war die<br />

Partei des tschechischen politischen Katholizismus.<br />

Ihr Machtzentrum lag vor allem im mährischen<br />

Landesteil, woher auch ihr langjähriger<br />

Vorsitzender Msgr. Jan Šrámek (1870-1956)<br />

stammte. 1919 gegründet, hatte sie als ultramontan<br />

ausgerichtete Kraft in der anfänglichen<br />

Hochphase des weit verbreiteten, antihabsburgischen<br />

Antikatholizismus einen schweren Stand,<br />

wurde aber nach 1920/22 integraler Teil der Koalitionsregierungen,<br />

was nicht zuletzt dem mäßigenden<br />

und vermittelnden Einfluss Šrámeks zugeschrieben<br />

werden kann. Bei den Wahlen von<br />

1925 verzeichnete sie ihren größten Erfolg und<br />

wurde mit 9,7% der Stimmen drittstärkste Partei,<br />

mit der allmählichen Entspannung zwischen<br />

Staat und katholischer Kirche verlor sie jedoch<br />

an Bedeutung, u.a. weil es ihr an einer straffen<br />

zentralen Organisation und jüngeren Parteimitgliedern<br />

mangelte. Das Programm der Volkspartei<br />

basierte auf der katholischen Soziallehre<br />

Papst Leos XIII., und mit der Abwendung der<br />

Trennung von Kirche und Staat errang sie schon<br />

früh einen wesentlichen Erfolg24 .<br />

Die seit 1925 dauerhaft stärkste Partei war die<br />

Agrarpartei (offizieller Name seit 1922: Republikanische<br />

Partei des landwirtschaftlichen und<br />

kleinbäuerlichen Volkes) 25 . 1905 gegründet, hatte<br />

sie schon bei den Reichsratswahlen einigen<br />

Erfolg. Seit 1909 stand ihr Antonín Švehla vor,<br />

der gegen den großbäuerlichen Flügel ein kleinbäuerliches<br />

Programm26 durchsetzen konnte, das<br />

23 Klepetář, S. 21.<br />

24 Sehr pointiert Pecháček: Die Rolle des politischen Katholizismus<br />

in der ČSR, in: Bosl, Parteienstaat, S.<br />

259-269; s.a. Trapl: Political Catholicism and the<br />

Czechoslovak People’s Party in Czechoslovakia,<br />

1918-1938, Boulder 1995.<br />

25 Ausführlich Heumos: Die Entwicklung organisierter<br />

agrarischer Interessen in den böhmischen Ländern und<br />

in der ČSR. Zur Entstehung und Machtstellung der<br />

Agrarpartei 1873-1933, in: Bosl, Parteienstaat, S.<br />

323-376, für die Phase nach 1918: S. 343-376.<br />

26 Daher ist es m.E. einigermaßen irreführend, Švehla als<br />

„Bauernzaren“ (Hoensch) zu bezeichnen. Zu Švehlas<br />

Person: Palecek: Švehla: Czech Peasant Statesman, in:

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