Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF
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MIP 2010 16. Jahrgang Knut Langewand – Parteienstaat Tschechoslowakei 1918-1938 <strong>Aufsätze</strong><br />
chen (tschechischen) Politiker vertreten, die die<br />
Geschicke des Landes in den folgenden Jahren<br />
bestimmen sollten. Zum Staatspräsidenten wurde<br />
einstimmig Masaryk gewählt, als Ministerpräsident<br />
stand Kramář einer Allparteienregierung<br />
vor. Das Außenministerium übernahm Beneš,<br />
der es bis zu seiner Wahl zum Staatspräsidenten<br />
1935 behalten sollte.<br />
Nachdem im Herbst 1919 das Territorium der<br />
ČSR gesichert war, kam mit der Etablierung der<br />
politischen Institutionen die Periode der Staatsbildung<br />
im Frühjahr 1920 zu ihrem Ende. Im<br />
April 1920 waren erstmals alle Bewohner des<br />
Staates aufgerufen, über die Zusammensetzung<br />
der Nationalversammlung abzustimmen. Die<br />
tschechischen und slowakischen Sozialdemokraten<br />
konnten einen Wahlsieg erringen, und auch<br />
unter den deutschen Parteien fiel die relative<br />
Mehrheit der Stimmen der Sozialdemokratie zu.<br />
Da es für eine sozialistische Parlamentsmehrheit<br />
indes nicht ausreichte, bildete der Sozialdemokrat<br />
Vlastimil Tusar eine „rot-grüne“ Koalitionsregierung<br />
mit der Agrarpartei.<br />
III. Die Parteienlandschaft der ČSR<br />
Das komplexe Parteiensystem der Tschechoslowakei<br />
lässt sich entlang dreier cleavage lines untersuchen:<br />
Klassenunterschiede, Religion und<br />
Ethnizität 15 . Hier werden die beiden parallelen,<br />
nach ethnischen Gesichtspunkten getrennten<br />
Parteienspektren untersucht und ihrerseits nach<br />
religiösen und sozialen Aspekten differenziert.<br />
1. Das tschechisch-slowakische Parteienspektrum<br />
Die Tschechoslowakische Sozialdemokratische<br />
Arbeiterpartei (ČSSD) war aus der traditionsreichen<br />
tschechischen Sozialdemokratie hervorgegangen,<br />
die sich 1878 bzw. 1911 von der (gesamt)österreichischen<br />
Sozialdemokratie losge-<br />
14 Lipscher: Verfassung und politische Verwaltung in der<br />
Tschechoslowakei 1918-1939, München/Wien 1979, S.<br />
33f.<br />
15 Leff: Institutionalizing Party Systems in Multiethnic<br />
States: Integration and Ethnic Segmentation in<br />
Czechoslovakia, 1918-1992, in: Slavic Review 61<br />
(2002) 2, S. 301.<br />
sagt hatte 16 . Als typisch sozialistische Partei Ostmitteleuropas<br />
war sie "patriotic, yet suspicious<br />
of the military establishment [...]; anticapitalist,<br />
yet receptive to technological innovations; classoriented,<br />
yet ready to participate in coalition<br />
governments" 17 . Die moderate und revisionistische<br />
Haltung ihrer Führung um Gustav Habrman,<br />
František Soukup und Rudolf Bechyně ermöglichte<br />
den Aufstieg zur staatstragenden Linken,<br />
trug jedoch ebenso zur Spaltung der Partei<br />
bei, die sich anlässlich der Massenstreiks im<br />
Sommer 1920 abzeichnete. Die Parteilinke<br />
strebte eine Räterepublik an und forderte den<br />
Beitritt zur Kommunistischen Internationalen<br />
Lenins. Nach der Ablehnung durch den Parteivorstand<br />
spaltete sich der linke Flügel unter dem<br />
erfahrenen Bohumír Šmeral von der Mutterpartei<br />
ab und gründete im Mai 1921 die Kommunistische<br />
Partei der Tschechoslowakei (KPČ), der<br />
auch die Linke der deutschen Sozialdemokratie<br />
beitrat, so dass die KPČ die einzige nicht ethnisch<br />
gebundene Partei im Staate werden sollte.<br />
Die ČSSD sollte sich von diesem Schlag vorerst<br />
nicht erholen und fiel bei den Wahlen 1925 auf<br />
den vierten Rang (noch hinter die KPČ) zurück<br />
18 . Bei den Wahlen von 1929 und 1935 war<br />
die ČSSD mit jeweils ca. 13% aller Stimmen<br />
wieder zweitstärkste tschechische Partei. Häufig<br />
stellte sie Minister im Kabinett, während sich<br />
die Kommunistische Partei seit ihrer Entstehung<br />
in Gegnerschaft zur ČSR und ihrer Staatsidee<br />
befand. Dies drückte sich u.a. in zumeist rüder<br />
parlamentarischer Obstruktion aus. Nach einigen<br />
schweren Richtungsstreitigkeiten in den 1920er-<br />
Jahren und der Abwanderung vieler Mitglieder<br />
und Funktionäre geriet die KPČ 1929 unter dem<br />
ZK-Vorsitzenden Klement Gottwald unter die<br />
totale Kontrolle der Komintern und somit der<br />
16 Vgl. Bachstein: Die Sozialdemokratie in den böhmischen<br />
Ländern bis zum Jahre 1938, in: Bosl (Hrsg.):<br />
Die Erste Tschechoslowakische Republik als multinationaler<br />
Parteienstaat, München/Wien 1979, S. 79-100,<br />
hier: S. 81 u. 86ff.<br />
17 Rothschild: East Central Europe between the two<br />
World Wars, Seattle/London 1974, S. 98.<br />
18 Vgl. Mamatey: Die Demokratie 1920-1938, in: Mamatey/Luža,<br />
S. 112-117; Hoensch 1992, S. 46f; Bachstein,<br />
S. 91-96.<br />
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