Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF
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<strong>Aufsätze</strong> Stefan Thierse – Parteienwettbewerb und Koalitionsbildung im Europäischen Parlament MIP 2010 16. Jahrgang<br />
2008: 273; Hayes-Renshaw/Wallace 2006:<br />
259ff.) fiel dieses nämlich sehr konfliktintensiv<br />
aus: Mit 263 Ja-Stimmen bei 39-Nein-Stimmen<br />
und 43 Enthaltungsstimmen fand der gemeinsame<br />
Standpunkt nur knapp die für eine qualifizierte<br />
Mehrheit erforderliche Stimmenzahl (255<br />
von 345 Stimmen). Spanien und Griechenland,<br />
die sich für ein Ende des Opt-out aussprachen,<br />
stimmten gegen die Annahme, Belgien, Malta,<br />
Portugal, Ungarn und Zypern enthielten sich der<br />
Stimme. Zu den Staaten, die eine Sperrminorität<br />
gegen das Auslaufen des Opt-out bildeten, gehörten<br />
neben Großbritannien Deutschland, Polen,<br />
die Slowakei, Estland, Bulgarien und Malta.<br />
15<br />
Dieser Frontenverlauf spiegelt sich auch innerhalb<br />
der Fraktion wider. Zu den Abweichlern innerhalb<br />
der EVP-ED gehörten überwiegend die<br />
Delegationen aus den Ländern, welche im Rat<br />
mit Nein oder Enthaltung gestimmt hatten. Die<br />
griechischen, spanischen, portugiesischen und<br />
ungarischen Delegationen unterstützten unabhängig<br />
davon, ob sich ihre Partei in Regierungsverantwortung<br />
oder in der Opposition befand,<br />
jene Änderungsanträge, die sich auf die Abschaffung<br />
des Opt-out bezogen. Dies deutet darauf<br />
hin, dass es in den betreffenden Ländern einen<br />
parteiübergreifenden Konsens in dieser Frage<br />
gab, also nationale ordnungspolitische Präferenzen<br />
die parteipolitischen Lagergrenzen überlagerten.<br />
Umgekehrt votierten vor allem die britischen,<br />
polnischen und tschechischen Delegationen<br />
in Fragen, in denen SPE und EVP-ED mehrheitlich<br />
einen fraktionsübergreifenden Konsens<br />
erzielen konnten, 16 gegen die Mehrheit ihrer<br />
Fraktion. Auffällig ist in diesem Zusammen-<br />
15 Diesbezüglich ist der Hinweis instruktiv, dass sich die<br />
deutsche Regierung im Rat offenbar strategisch verhielt<br />
und ihre Unterstützung der britischen Position im<br />
Gegenzug für Zugeständnisse im Bereich der Arbeitnehmermitbestimmung<br />
gab. Vgl. taz vom 29. April<br />
2009, S. 11.<br />
16 Zu nennen wären die Klarstellung, dass die Höchstarbeitszeiten<br />
personenbezogen, und nicht arbeitsvertragsbezogen<br />
gelten, die Verkürzung der Geltungsdauer des<br />
individuellen Opt-out von zwölf auf sechs Monate oder<br />
die Ausweitung der Bezugszeiträume auf zwölf Monate<br />
für Arbeitnehmer, die keinem Tarifvertrag unterliegen,<br />
per Gesetz oder Verordnung nach Anhörung der Sozialpartner.<br />
36<br />
hang, dass innerhalb der SPE keine vergleichbaren<br />
Loyalitätskonflikte zwischen nationaler Parteiposition<br />
und Fraktionslinie auftraten. So folgten<br />
die Labour-Abgeordneten, die wohl die engste<br />
Rückbindung einer nationalen Delegation zur<br />
heimischen Parteiführung aufweisen (vgl. Messmer<br />
2003) und deutlichem Druck aus London<br />
ausgesetzt waren, nicht der Haltung der britischen<br />
Regierung in der Verteidigung des Optout.<br />
Auch die deutschen sozialdemokratischen<br />
Abgeordneten orientierten sich nicht an der Position<br />
des SPD-Arbeitsministers. Nicht zuletzt<br />
setzten sich auch SPE-Abgeordnete aus den mittel-<br />
und südosteuropäischen Mitgliedstaaten für<br />
ein Ende des Opt-out ein und bezeichneten die<br />
Richtliniennovelle als Testfall für das soziale<br />
Europa. 17 Dies deutet darauf hin, dass es innerhalb<br />
der Sozialdemokratie eine grundsätzliche<br />
Übereinstimmung in der Notwendigkeit einer<br />
EU-weit einheitlichen Regelungspraxis gab.<br />
5. Ergebnisse<br />
Die höchste Geschlossenheit lässt sich für Abstimmungen<br />
über von einzelnen Fraktionen eingereichte<br />
Änderungsanträge ermitteln. Während<br />
Änderungsanträge der EVP-ED mit breiten<br />
Mehrheiten der linken Fraktionen abgelehnt<br />
werden, werden Änderungsanträge der<br />
KVEL/NGL von fast allen Fraktionen – mit Ausnahme<br />
der Grünen/EFA – geschlossen abgelehnt.<br />
Die durchweg höhere Geschlossenheit der Fraktionen<br />
aus dem linken Lager in Änderungsanträgen<br />
des Ausschusses erklärt sich aus den eher<br />
der Linken entgegenkommenden Positionen und<br />
der grundsätzlichen Übereinstimmung in der<br />
Notwendigkeit einheitlicher Regulierungsstandards<br />
in der EU.<br />
Die unterdurchschnittliche Abstimmungsgeschlossenheit<br />
der EVP-ED zu eigenen Änderungsanträgen<br />
reflektiert einen Mangel an Kohäsion,<br />
d.h. fehlende Übereinstimmung der Positionen<br />
zentraler nationaler Parteidelegationen.<br />
Die für die Koalitionsbildung im EP maßgebliche<br />
Konfliktkonstellation lässt sich am besten<br />
anhand von Änderungsanträgen aus dem feder-<br />
17 Vgl. Plenardebatte vom 15.12.2008, Anm. 14.