Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF
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MIP 2010 16. Jahrgang Stefan Thierse – Parteienwettbewerb und Koalitionsbildung im Europäischen Parlament <strong>Aufsätze</strong><br />
auch der Umstand, dass die ursprünglich als Einzelfallregelung<br />
konzipierte Opt-out-Regelung zu<br />
einer von einer wachsenden Zahl von Mitgliedstaaten<br />
genutzten Option zur Umgehung der<br />
Rechtsprechung des EuGH geworden ist. 14 Im<br />
EP zählten zu den Befürwortern des Opt-out vor<br />
allem EVP-ED- und ALDE-Abgeordnete aus<br />
Großbritannien, Schweden und den neuen Mitgliedstaaten.<br />
Sie führten als Argumente die individuelle<br />
Wahlfreiheit der Arbeitnehmer, das Subsidiaritätsprinzip,<br />
die Notwendigkeit flexibler<br />
Lösungen gerade in wirtschaftlich schwierigen<br />
Phasen, Wettbewerbsverluste infolge steigender<br />
Lohnstückkosten sowie ein Abwandern von Beschäftigung<br />
in die rechtliche Grauzone bei einer<br />
zu rigiden Arbeitszeitgestaltung ins Feld. Dagegen<br />
beharrten die Gegner – angeführt von der<br />
SPE – auf der gesundheits- und arbeitsschutzrechtlichen<br />
Grundlage der Richtlinie, die eine<br />
Unterwanderung gewisser Mindeststandards<br />
durch Ausnahmeregelungen ausschließe. Sie<br />
vertraten die Ansicht, das Opt-out habe mit flexiblen<br />
Lösungen am Arbeitsmarkt nichts zu tun,<br />
schwäche erwiesenermaßen die Verhandlungsposition<br />
der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern<br />
und öffne Sozialdumping Tür und Tor.<br />
Die Abschaffung des Opt-out nach einer Übergangsfrist<br />
von 36 Monaten blieb für eine deutliche<br />
Mehrheit im Parlament bis zuletzt die unverhandelbare<br />
Bedingung für eine Einigung mit<br />
dem Rat. Das EP signalisierte dem Rat zu diesem<br />
Zweck Entgegenkommen in zwei weiteren<br />
Bindung tätig sind, zum Usus geworden, Arbeitnehmern<br />
eine schriftliche Einverständniserklärung zur Abweichung<br />
mit der Unterzeichnung des Arbeitsvertrags<br />
vorzulegen und ihnen somit faktisch keine Wahl zu lassen,<br />
ob sie längere Arbeitszeiten zu leisten bereit sind<br />
oder nicht. Auch Spanien, Frankreich und Ungarn verstoßen<br />
gegen die in der Richtlinie festgelegten Bestimmungen<br />
zum individuellen Opt-out, indem bestimmte<br />
Garantien wie Freiwilligkeit oder jederzeitiger Widerruf<br />
der Vereinbarung nicht gewährleistet werden.<br />
14 Nach Angaben der Kommission ist die Zahl der Mitgliedstaaten<br />
mit Opt-out-Regelungen von 2003 bis<br />
2008 von vier auf 15 gestiegen. Neben Großbritannien<br />
nutzen auch Malta und Zypern das Opt-out branchenübergreifend.<br />
Vgl. Plenardebatte im Europäischen Parlament<br />
vom 15. Dezember 2008. http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?<br />
type=CRE&reference=20081215&secondRef=ITEM-0<br />
14&language=EN&ring=A6-2008-0440 (10.02.2010).<br />
Streitfragen. Zum einen sollte den Mitgliedstaaten<br />
durch die Ausweitung der Bezugszeiträume<br />
auf bis zu zwölf Monate mehr Flexibilität für<br />
Phasen hoher Auslastung eingeräumt werden.<br />
Zum anderen hielt der Gesetzentwurf des EP<br />
zwar am Grundsatz „Bereitschaftszeit ist Arbeitszeit“<br />
fest, durch Gesetz oder Verordnung<br />
bzw. durch Kollektivvereinbarungen sollten inaktive<br />
Phasen bei der Berechnung der Arbeitszeit<br />
jedoch besonders gewichtet werden können.<br />
In dieser Frage vertraten die Mitgliedstaaten jedoch<br />
eine grundlegend andere Haltung: Sie verlangten,<br />
dass mittels kollektiver Vereinbarungen<br />
oder durch Gesetz inaktive Phasen des Bereitschaftsdienstes<br />
auch auf die Ruhezeit angerechnet<br />
werden können. Nachdem auch der mit je 15<br />
Vertretern aus Rat und EP besetzte Vermittlungsausschuss<br />
in diesen Punkten keine Einigung erzielen<br />
konnte, wurden die Verhandlungen am<br />
28. April 2009 für ergebnislos erklärt. Damit<br />
bleibt es vorerst bei Ausnahmen von der wöchentlichen<br />
Höchstarbeitszeit von 48 Stunden.<br />
3. Koalitionsmuster im EP<br />
Der in erster Lesung angenommene Richtlinienentwurf,<br />
der maßgeblich durch die Regie<br />
des spanischen Berichterstatters Alejandro Cercas<br />
(SPE) zustande kam, wurde mit einer Mehrheit<br />
von 355 zu 272 Stimmen bei 31 Enthaltungen<br />
angenommen (vgl. Tabelle 1). Betrachtet<br />
man die Zusammensetzung der Abstimmungskoalition,<br />
fallen vor allem die Spaltung der EVP-<br />
ED und der ALDE auf. Innerhalb der ALDE<br />
stimmten maßgeblich die französischen Abgeordneten<br />
des Mouvement Démocrate sowie die<br />
Delegation der italienischen Partito Democratico<br />
zusammen mit SPE und Grünen/EFA für die Annahme<br />
eines modifizierten Richtlinienentwurfs.<br />
Zu den Abweichlern innerhalb der EVP-ED, die<br />
gegen die Mehrheit ihrer Fraktion für den modifizierten<br />
Legislativvorschlag votierten, gehörten<br />
Abgeordnete aus Frankreich, Spanien, Ungarn<br />
und Portugal. Dieses Muster reproduziert sich in<br />
allen Änderungsvorschlägen der ersten Lesung,<br />
die durch den Ausschuss eingebracht wurden.<br />
Für die Kernanliegen des EP – Auslaufen der<br />
Opt-out-Klausel innerhalb von drei Jahren, Ver-<br />
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