Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF
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MIP 2010 16. Jahrgang Stefan Thierse – Parteienwettbewerb und Koalitionsbildung im Europäischen Parlament <strong>Aufsätze</strong><br />
petenzerweiterungen des EP hat die Abstimmungsgeschlossenheit<br />
der Fraktionen sogar zugenommen.<br />
Selbst die erweiterungsbedingt gestiegene<br />
Anzahl nationaler Mitgliedsparteien<br />
und die damit einhergehende Heterogenisierung<br />
hat die Fähigkeit der Fraktionen zu geschlossenem<br />
Abstimmungsverhalten nicht nennenswert<br />
unterminiert (vgl. Hix u.a. 2007: 94ff.).<br />
Theoretisch lässt sich geschlossenes bzw. einheitliches<br />
Abstimmungsverhalten als empirisch<br />
beobachtbares Phänomen auf zwei Faktoren zurückführen<br />
(vgl. Hazan 2003: 3):<br />
1. Kohäsion, verstanden als grundsätzliche<br />
Übereinstimmung in Bezug auf Werte, Normen<br />
und politisch-ideologische Präferenzen, die sich<br />
in Loyalität und Solidarität gegenüber Abgeordneten<br />
mit gleicher Parteizugehörigkeit niederschlägt.<br />
2. Disziplin, verstanden als Sicherung von Gefolgschaft<br />
durch die Bereitstellung oder Verweigerung<br />
von Einfluss, Ämtern und Mandaten seitens<br />
einer Partei- oder Fraktionsführung.<br />
Eine Erklärung der Geschlossenheit der Fraktionen<br />
im EP muss beide Komponenten berücksichtigen<br />
(Hix u.a. 2007: 102). Geschlossenheit<br />
in Abstimmungen kann nicht allein auf grundsätzliche<br />
Übereinstimmungen der Abgeordneten<br />
mit gleicher Fraktionszugehörigkeit zurückgeführt<br />
werden (vgl. dagegen Kreppel 2002: 208).<br />
Wie weiter oben dargelegt ist nicht nur die ideologische<br />
Bandbreite gerade innerhalb der etablierten<br />
Fraktionen beträchtlich. Auch ist die<br />
Loyalität der Abgeordneten gegenüber ihrer nationalen<br />
Partei stärker als gegenüber der Fraktionsführung.<br />
Abgeordnete mit gleicher nationaler<br />
Parteizugehörigkeit stimmen häufiger einheitlich<br />
ab als Abgeordnete gleicher Fraktionszugehörigkeit.<br />
Im Falle inkongruenter Positionen nehmen<br />
einzelne nationale Delegationen für sich in Anspruch,<br />
von der Fraktionslinie abzuweichen (Hix<br />
u.a. 2007: 137f.; Faas 2003: 845). Nur so war<br />
und ist der langfristige Zusammenhalt der heterogenen<br />
Fraktionen überhaupt zu gewährleisten<br />
(vgl. Oppelland 2006: 506).<br />
Dass die Fraktionen in den meisten Fällen dennoch<br />
auf die Unterstützung ihrer Abgeordneten<br />
zählen können, hängt mit den strategischen Anreizen<br />
zusammen, die der Ausbau der parlamentarischen<br />
Kompetenzen im Regierungssystem<br />
der EU den nationalen Parteien geliefert hat (vgl.<br />
Hix u.a. 2007; Kreppel 2002). Fraktionen stellen<br />
die zentrale Organisations- und Handlungseinheit<br />
in der Binnenorganisation des EP dar. Das<br />
Spitzenpersonal in der Parlamentshierarchie –<br />
Ausschussvorsitzende, Ausschusskoordinatoren<br />
oder die für die Ausarbeitung parlamentarischer<br />
Legislativberichte verantwortlichen Berichterstatter<br />
– wird auf Grundlage der Mandatsstärke<br />
der Fraktionen ausgewählt (vgl. Kreppel/Gungor<br />
2006: 4). Es erscheint daher nur logisch, dass die<br />
nationalen Parteidelegationen frühzeitig ihren<br />
Einfluss auf die fraktionsbezogene Zuteilung<br />
von Posten und Ämtern geltend machen. Sie<br />
sind es, die neben der Zuteilung zentraler Ämter<br />
und Posten in der parlamentsinternen Hierarchie<br />
über das ultimative Sanktionsinstrument, die<br />
Kandidatennominierung, verfügen und insofern<br />
als Prinzipal der Abgeordneten Fraktionsdisziplin<br />
herstellen können (vgl. Thiem 2009: 121;<br />
Hix u.a. 2007: 218). Die nationalen Parteien<br />
stellen diese Funktion in aller Regel in den<br />
Dienst der Fraktionsführung, die als „Agent“ zur<br />
Erreichung gemeinsamer Ziele fungiert. Für diese<br />
Arbeitsteilung gibt es handfeste Motive: Zum<br />
einen können so die Transaktionskosten bei der<br />
Mehrheitsbildung reduziert werden, zum anderen<br />
lassen sich durch Arbeitsteilung und Spezialisierung<br />
Informationskosten verringern (vgl.<br />
Hix 2002: 57).<br />
Das monitoring der Abgeordneten, die Abgabe<br />
von Abstimmungsempfehlungen sowie das Aushandeln<br />
von fraktionsinternen Kompromissen<br />
zwischen den nationalen Parteidelegationen fällt<br />
der Fraktionsführung zu, die anders als die nationalen<br />
Parteiführungen viel genauere Kenntnis<br />
einer Materie besitzt und auch in weniger brisanten<br />
Fragen an einem geschlossenen Agieren interessiert<br />
ist (vgl. Rasmussen 2008: 1166; Corbett<br />
u.a. 2007: 107f.). Um eventuelle Agenturprobleme<br />
zu reduzieren, stellen die Führungen<br />
der nationalen Parteien über einen Selektionsprozess<br />
sicher, dass parlamentarische Spitzenposten<br />
mit Kandidaten besetzt werden, deren<br />
Präferenzen mit denen der Partei korrespondie-<br />
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