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Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF

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<strong>Aufsätze</strong> Stefan Thierse – Parteienwettbewerb und Koalitionsbildung im Europäischen Parlament MIP 2010 16. Jahrgang<br />

den Parteienwettbewerb im EP konstitutive Konfliktlinie,<br />

die gewöhnlich als Souveränitäts-Integrations-Konflikt<br />

apostrophiert wird. Dieser bildet<br />

den Gegensatz zwischen größtmöglicher Bewahrung<br />

nationalstaatlicher Hoheitsrechte und<br />

der möglichst umfassenden Vertiefung des europäischen<br />

Integrationsprozesses ab. Die Frage, ob<br />

staatliche Autorität auf die europäische Ebene<br />

verlagert oder auf nationaler Ebene verbleiben<br />

soll, basiert jedoch nicht auf historisch gewachsenen<br />

Konfliktlinien wie dem sozioökonomischen<br />

Links-Rechts-Konflikt, sondern reflektiert<br />

vielmehr spezifische nationale, kulturelle und<br />

historische Erfahrungen und Interessen (vgl.<br />

Hix/Lord 1997: 26). Tatsächlich prägt der Gegensatz<br />

zwischen autoritären und libertären Wertorientierungen<br />

die Haltung der Parteien gegenüber<br />

der europäischen Integration und einzelnen<br />

Politikfeldern weitaus stärker als deren Positionierung<br />

zu den Alternativen Marktfreiheit und<br />

Staatsintervention (vgl. Hooghe u.a. 2002:<br />

977ff.). So ist es die anti-universalistische und<br />

anti-pluralistische Haltung von Rechtsaußenparteien,<br />

die ihre starke Abneigung gegenüber der<br />

EU erklärt (vgl. Leconte 2008: 1088). Durch die<br />

Delegation von Rechtsetzungskompetenzen an<br />

die EU befürchten diese Parteien einen Verlust<br />

nationaler Souveränität und Identität. Ihre Ablehnung<br />

beschränkt sich nicht allein auf Sachfragen<br />

und Politikfelder, die Wertorientierungen berühren<br />

(z.B. die Antidiskriminierungs-, Asylund<br />

Einwanderungspolitik); sie schließt auch die<br />

Absage an eine weitergehende ökonomische Integration<br />

ein.<br />

Der Souveränitäts-Integrations-Konflikt erfasst<br />

darüber hinaus einen Repräsentations- bzw. ‚Regierungs-Oppositions-Dualismus‘<br />

(Hix u.a.<br />

2007: 181). Christdemokratische, konservative,<br />

sozialdemokratische und liberale Parteien, die in<br />

den drei größten EP-Fraktionen organisiert sind,<br />

tragen traditionell Regierungsverantwortung.<br />

Das bedeutet, dass sie in maximal allen drei EU-<br />

Gesetzgebungsorganen (Rat, EP und Kommission)<br />

vertreten sind. Demgegenüber sind nationale<br />

Oppositionsparteien und europaskeptische Parteien<br />

aufgrund des Charakters der Europawahlen<br />

als „second-order elections“ (Reif/Schmitt 1980)<br />

fast ausschließlich im EP vertreten<br />

28<br />

(Manow/Doering 2006: 16ff.; Schmitt/Thomassen<br />

1999: 121f.). Hieraus erklären sich signifikante<br />

Unterschiede im Abstimmungs- und Koalitionsverhalten<br />

zwischen den drei größten<br />

Fraktionen und den kleineren Fraktionen (vgl.<br />

Jensen/Spoon 2010; Hix u.a. 2007: 177ff.).<br />

Die großen Fraktionen, deren Mitgliedsparteien<br />

zumeist pro-europäisch ausgerichtet und aufgrund<br />

ihrer Regierungsbeteiligung gewissermaßen<br />

auf Kompromiss gepolt sind, kooperieren<br />

gerade in wichtigen interinstitutionellen Angelegenheiten<br />

als informelle Koalition. Kleinere<br />

Fraktionen wie die Konföderierte Vereinigte Europäische<br />

Linke/Nordische Grüne Linke (KVEL/<br />

NGL) oder die Grünen/Europäische Freie Allianz<br />

(Grüne/EFA) können dagegen mit Einschränkungen<br />

als Oppositionsfraktionen charakterisiert<br />

werden. Gerade wenn Kommissionsvorschläge<br />

oder gemeinsame Standpunkte des Rates<br />

zur Abstimmung stehen, stehen sie häufig geschlossen<br />

einer Koalition der großen Fraktionen<br />

gegenüber. Allerdings ist auch für grüne, Rechtsoder<br />

Regionalparteien nachgewiesen worden,<br />

dass eine Regierungsbeteiligung ein stärker<br />

kompromissorientiertes Abstimmungsverhalten<br />

im EP bewirkt (vgl. Jensen/Spoon 2010: 186).<br />

III. Binnenorganisatorische Grundlagen des<br />

Parteienwettbewerbs<br />

1. Determinanten der Abstimmungsgeschlossenheit<br />

Gemessen an dem Umstand, dass aus dem EP<br />

keine Regierung hervorgeht und dadurch die<br />

Notwendigkeit zur Einhaltung strikter Fraktionsdisziplin<br />

entfällt, liegt die Geschlossenheit in<br />

Abstimmungen 7 weit über jenen Werten, die für<br />

die Parteien im US-amerikanischen Repräsentantenhaus<br />

ermittelt worden sind (vgl. Haas u.a.<br />

2007: 195ff.; Hix u.a. 2007). Infolge der Kom-<br />

7 Die Geschlossenheit in Abstimmungen wird im Folgenden<br />

mit dem sog. Agreement-Index gemessen. Er<br />

ist definiert als AI = max {Yi,Ni,Ai} – ½ [(Yi+ Ni + Ai)<br />

– max { Yi,Ni,Ai }]/( Yi+ Ni + Ai), wobei Yi die Ja-Stimmen,<br />

Ni die Nein-Stimmen und Ai die Enthaltungen von<br />

Partei i bezeichnet. Der Index variiert zwischen 0<br />

(Patt) und 1 (vollständiger Konsens für Ja, Nein oder<br />

Enthaltung). Vgl. Hix u.a. 2007: 91.

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