Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF
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MIP 2010 16. Jahrgang Stefan Thierse – Parteienwettbewerb und Koalitionsbildung im Europäischen Parlament <strong>Aufsätze</strong><br />
triert, stellt nach herrschender Meinung die dominante<br />
Konfliktlinie und Wettbewerbsdimension<br />
im EP dar und hat den stärksten Effekt auf<br />
das Abstimmungs- und Koalitionsverhalten der<br />
Abgeordneten (vgl. Hix u.a. 2007; Kreppel/Hix<br />
2003; Hix/Lord 1997: 26). Speziell der Dualismus<br />
zwischen staatlicher Intervention in das<br />
Marktgeschehen und möglichst uneingeschränkter<br />
Marktfreiheit hat einen nachweisbaren Einfluss<br />
auf die Haltung der etablierten Parteienfamilien<br />
gegenüber der europäischen Integration.<br />
Im Allgemeinen befürworten im heutigen Stadium<br />
der (Markt-)Integration vor allem sozialdemokratische<br />
Parteien eine Vertiefung des europäischen<br />
Integrationsprozesses. Davon versprechen<br />
sie sich, auf nationalstaatlicher Ebene verloren<br />
gegangene Handlungsspielräume zur Regulierung<br />
des Marktwettbewerbs in der supranationalen<br />
Arena wiederzugewinnen. Folgerichtig<br />
plädieren am ehesten sozialdemokratische Parteien<br />
für eine gemeinsame Beschäftigungspolitik<br />
oder verbindliche Sozialstandards auf EU-Ebene.<br />
Liberale, konservative und christdemokratische<br />
Parteien stehen der Marktintegration aufgrund<br />
der Stimulierung zwischenstaatlichen<br />
Wettbewerbs aufgeschlossen gegenüber, lehnen<br />
aber die Errichtung supranationaler Regulierungsstandards<br />
tendenziell ab. Die prinzipielle<br />
Abneigung der radikalen Linken gegenüber der<br />
europäischen Integration speist sich aus der perzipierten<br />
einseitigen Fixierung der EU auf<br />
Marktschaffung sowie aus der Skepsis, den Kapitalismus<br />
auf supranationaler Ebene zügeln zu<br />
können (vgl. McElroy/Benoit 2007; Hooghe u.a.<br />
2002: 973f.).<br />
Wenngleich die Positionierung im Sozialstaatskonflikt<br />
die höchste Bindekraft für die aus Mainstream-Parteien<br />
bestehenden transnationalen<br />
Fraktionen entfaltet und die größten Profilierungs-<br />
und Abgrenzungsmöglichkeiten schafft<br />
(vgl. Hix/Lord 1997: 25f.), besitzt dieser Gegensatz<br />
durchaus auch trennenden Charakter. Mit<br />
Blick auf die Links-Rechts-Positionierung der<br />
einzelnen Mitgliedsparteien weisen gerade die<br />
großen Fraktionen eine beträchtliche Variationsbreite<br />
auf. Dies gilt insbesondere für die Allianz<br />
der Liberalen und Demokraten für Europa<br />
(ALDE), die seit der EU-Osterweiterung stark<br />
gewachsen und heterogener geworden ist. Unter<br />
ihrem Dach sind Parteien aus zwei unterschiedlichen<br />
Parteienfamilien vereint, die überdies in<br />
wirtschaftspolitischen Fragen sowohl links als<br />
auch rechts der Mitte stehen (vgl. Corbett u.a.<br />
2007: 85f.; Hooghe/Marks 2001: 174). 4 Die<br />
christdemokratische EVP ist in ihrer allgemeinen<br />
Positionierung ‚linker‘ als viele Mitgliedsparteien<br />
(vgl. McElroy/Benoit 2007: 19), was<br />
sich u.a. in einer höheren Quote abweichenden<br />
Stimmverhaltens niederschlägt. Wie Faas (2003:<br />
856) für die fünfte Legislaturperiode<br />
(1999-2004) festgestellt hat, stimmten die britischen<br />
Konservativen in 50% aller namentlichen<br />
Abstimmungen, in denen es um Fragen der Beschäftigungspolitik<br />
ging, gegen die Mehrheit ihrer<br />
Fraktion. Und auch innerhalb der Fraktion<br />
der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) 5<br />
herrscht mit Blick auf die Regulierung des Kapitalismus<br />
keineswegs Konsens darüber, inwieweit<br />
ein Europäisches Sozialmodell den Primat der<br />
Politik gegenüber der Ökonomie verteidigen und<br />
soziale Gleichheit auf supranationaler Ebene<br />
herstellen kann und soll (vgl. Henkel 2008:<br />
247ff.).<br />
b.) Souveränitäts-Integrations-Dualismus<br />
Die jüngste Abspaltung der britischen Konservativen<br />
von der EVP und die von ihr initiierte<br />
Gründung einer Fraktion, die ihrem Selbstverständnis<br />
nach das Ziel einer “opposition to Eurofederalism<br />
and of fundamental reform of the European<br />
Union to make it more accountable,<br />
transparent and responsive to the needs of the<br />
people” 6 verfolgt, verweist auf eine zweite für<br />
4 Das französische Mouvement Démocrate (MD), eine<br />
Abspaltung der Union pour la Démocratie française<br />
(UDF) und die italienische Margherita sind in der Europäischen<br />
Demokratischen Partei (EDP) organisiert,<br />
einer Sammlungsbewegung zentristischer Parteien mit<br />
christdemokratischen Wurzeln. Die meisten Parteien<br />
innerhalb der ALDE gehören jedoch der liberalen Europäischen<br />
Liberalen und Demokratische und Reformpartei<br />
(ELDR) an.<br />
5 Seit der Aufnahme der italienischen Partito Democratico<br />
nach der Europawahl 2009 nennt sich die Fraktion<br />
Progressive Allianz der Sozialisten und Demokraten im<br />
Europäischen Parlament (S&D).<br />
6 http://www.ecrgroup.eu/ (12.01.2010)<br />
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