Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF
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Rezensionen MIP 2010 16. Jahrgang der Vorschriften zu einem negativen Stimmgewicht führt (BVerfG, a.a.O.). Da dieser Effekt systemimmanent ist und immer im Zusammenhang mit ausgleichslosen Überhangmandaten eintritt, bedarf es einer vollständigen Entzerrung dieser Vorschriften. Schreiber stellt die in der Diskussion befindlichen Änderungsmodelle vor. Zutreffend ist, dass unter den vom BVerfG genannten Modellen letztlich nur ein aktueller Alternativentwurf (BT-Drs. 16/11885) als verfassungsrechtlich und politisch tragfähig übrigbleibt (§ 6 Rn. 34). Er optimiert die Ziele gleichheitsbedingter Formalisierbarkeit und Stetigkeit der Mandatszuteilung sowie föderale Belange. Dass dieser Entwurf faktisch alternativlos ist, rückt die Fristsetzung des BVerfG (Nachbesserung bis zum 30.06.2011) in ein neues Licht. Der Abbruch eines Gesetzgebungsverfahrens, der jedenfalls zu einem verfassungskonformen Provisorium schon zur Wahl des 17. Bundestages geführt hätte, erscheint verfassungsrechtlich problematisch. Einer Stellungnahme enthält sich Schreiber – trotz Umstrittenheit dieser Frage (vgl. die Stellungnahmen Mahrenholz, Meyer v. 29.04.2009 vor dem Innenausschuss des BT, A- Drs. 16(4)/592 B, 16(4)/592 D). Hinzu tritt, dass die aktuelle Regelung ausgleichsloser Überhangmandate die aktuelle Bundestagsmehrheit deutlich verbreitert hat; sie hätte auch zu einer reinen „Überhangmehrheit“ führen können. Auch nach dem genannten Urteil des BVerfG bestehen hier Ungereimtheiten mit Vorgaben des Verfassungsrechts, die hätten aufgegriffen werden sollen. Die von Schreiber angemerkte „Komplexität“ einer Wahlrechtsänderung hätte den Bundestag nicht gehindert, zur Wahl 2009 ein verfassungskonformes Provisorium zu schaffen (vgl. § 6 Rn. 34 a. E.) und die ausführliche Beschäftigung mit Schwächen und Vorzügen alternativer Sitzzuteilungsmodelle auf die 17. Wahlperiode zu verschieben. Wie es derzeit erscheint, ist nicht gesichert, dass selbst die Frist des 30.06.2011 eingehalten werden wird. Mindestens als Lehrstück für die sensible Frage des Verhältnisses zwischen Verfassungsgericht und Gesetzgeber in von Art. 20 I, 38 GG überformten Wahlrechtsfragen wäre eine verfassungsrechtliche Würdigung der rechtspolitischen Lage begrüßenswert gewesen. 140 Schreiber greift neuere Diskussionen und Entwicklungen zu einer Erweiterung des Personenkreises der Wahlberechtigten auf (§ 12). Beizupflichten ist seiner Beurteilung der jüngeren Diskussionen zur möglichen Einführung eines Kinder- oder Elternwahlrechts: alle diskutierten Vorschläge sind letztlich wegen Verstoßes gegen Art. 20 I, 38 I 1 (Unmittelbarkeit) sowie Art. 79 III GG verfassungsrechtlich undurchführbar (§ 12 Rn. 10). Nicht unproblematisch ist schließlich die weiterhin vertretene Auffassung, das Wahlprüfungsverfahren als rein objektiv-rechtliches Verfahren (§ 49 Rn. 4, 34) anzusehen. Die Lesart des Art. 41 GG als verdrängende Spezialnorm zu Art. 19 IV GG erscheint differenzierbar, jedenfalls im Hinblick auf schwere Rechtsschutzlücken im Vorfeld der Wahl (Nichtzulassung politischer Parteien). Im Nachgang der Wahl schwächt die strikte Zurückdrängung subjektiven Rechtsschutzes auch die objektiv-rechtliche Kontrolle des Wahlverfahrens und der Wahlgesetzgebung (dazu umfassende Nw. in § 49 Fn. 7). Hilfreich für die Handhabung des Kommentars sind wie gewohnt ein Anhang der einschlägigen Normen jenseits des BWahlG sowie ein umfassendes Sach- und Schrifttumsverzeichnis. Sie runden seine hohe praktische inhaltliche Qualität ab. Das Werk ist mit großem Abstand Standardreferenz für die Praxis des Wahlrechts, aber auch für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den im Kommentar vertretenen dogmatischen Positionen. Marcus Hahn-Lorber M. Cordes: Medienbeteiligung politischer Parteien – Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Unternehmensbeteiligungen politischer Parteien in Presse, Rundfunk und Neuen Medien, Cuvillier Verlag, Göttingen 2009, 399 Seiten, 40,00 €, ISBN 978-3-86727-884-3 Das Buch „Medienbeteiligung politischer Parteien – Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Unternehmensbeteiligungen politischer Parteien in Presse, Rundfunk und Neuen Medien“ von Cordes setzt sich, wie bereits der Titel ver-
MIP 2010 16. Jahrgang Rezensionen rät, mit dem Problem der Medienbeteiligung durch politische Parteien auseinander. Dieses wurde in den vergangenen Jahren viel diskutiert1 und fand in wesentlichen Punkten seinen Abschluss in der Entscheidung des BVerfGs vom 12.03.20082 . Für verfassungsrechtlich bedenklich gehalten wurde die Beteiligung an Medienunternehmen immer wieder insbesondere unter dem Aspekt der Staatsferne von Medienunternehmen und der Gefahr der verschleierten Einwirkung auf die Willensbildung des Volkes. In seiner Entscheidung dazu verwarf das BVerfG ein absolutes Verbot der Beteiligung von Parteien3 und unterstellte sie ausdrücklich dem Grundrechtsschutz von Art. 5 Abs.1 Satz 2 iVm. Art 21 GG. Eine Beschränkung der Einflussnahme erachtete es für zulässig, wobei das Gericht die Frage nach der Grenze für eine Einflussnahme aber der Politik über-, und damit letztlich unbeantwortet ließ. Das Buch von Cordes erschien undankbarer weise ein Jahr nach diesem Urteil, was viel Diskussionsstoff verwarf, und auch nach Veröffentlichung der Abhandlung von Hendrik Reffken4 über die gleiche Thematik, so dass seine Arbeit nun leider nicht mehr viel Neues beizutragen vermag. Cordes widmet sich in seinem Buch ausschließlich der Fragestellung nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Medienbeteiligung politischer Parteien. Dem Thema angemessen bildet er die Bandbreite der wissenschaftlichen Forschung zur Institution Partei ab. Sinnvoll zeigt er dabei das fächerübergreifende Spektrum dieser Thematik zwischen Politikwissenschaft und Recht, also den tatsächlichen Gegebenheiten und ihrem abstraktem Rahmen, auf, indem er den 1 Siehe zum Diskussionsstand auch Kamps, Medienbeteiligung politischer Parteien im Urteil des NStGH, MIP 14 (2007), 36 ff. 2 BVerfG Urteil 2 BvF 4/03, in: NVwZ 2008, 658 ff. 3 Wie es zu diesem Zeitpunkt unter anderem in § 6 Abs. 2 Nr.4 Hessisches Privatrundfunkgesetz geregelt war, der auch der Entscheidung des BVErfGes zugrunde lag. 4 Reffken, Politische Parteien und ihre Beteiligungen an Medienunternehmen - eine Untersuchung aus verfassungsrechtlicher Sicht -, Nomos-Verlag, 2007. ersten Teil seiner Arbeit einer Bestandsaufnahme der aktuellen Beteiligung von Parteien an Medienunternehmen widmet und anschließend in einem zweiten Teil eine verfassungsrechtliche Einordnung und Beurteilung vornimmt. Dazu zieht er sowohl politologische als auch rechtswissenschaftliche Literatur und Reaktionen in der Öffentlichkeit für einen vollumfänglichen Überblick heran. Auch arbeitet der Autor den Forschungsstand umfassend auf und widmet der Darstellung von Diskussionen und Meinungen einen breiten Teil seiner Arbeit. In einigen Punkten, so beispielsweise hinsichtlich der Grundrechtsfähigkeit von Parteien oder ihrer verfassungsrechtlichen Einordnung, erscheint die Darstellung aber angesichts der gefestigten Rechtssprechung dazu und der bereits umfänglichen Aufarbeitung in der Literatur etwas zu ausführlich und abschweifend. Einen interessanten Aspekt bei der Beurteilung der Gefährlichkeit von Medienbeteiligungen durch Parteien wirft der Autor mit der Frage nach dem Verbreitungsgrad und -gebiet von Medien auf, an denen Parteien beteiligt sind. Eine ausführliche Darstellung könnte Aufschluss darüber geben, ob die befürchtete Einmischung der Parteien in die Meinungsbildung der Bevölkerung über die Medien, an denen sie beteiligt sind, wirklich geeignet ist, einen Gefährdungsgrad zu erreichen. Leider folgen dazu letztlich nur allgemeine Fragestellungen und die Vermutung, dass Parteien, die sich an regional zentrierten Medien kumulativ beteiligen, vermehrten Einfluss ausüben können. Eine Marktanalyse oder konkrete Überlegungen werden hingegen nicht angestellt, was eine Arbeit wie die hier vorliegende wohl auch nicht leisten kann, ohne umfängliche empirische Studien durchzuführen. Gleichwohl kann der Leser sich einer leichten Enttäuschung nicht verschließen, nachdem in der Einleitung des Buches dieser Aspekt verheißungsvoll angekündigt wurde. Der Autor gelangt letztlich zu dem Ergebnis, dass Parteien sich an Medienunternehmen zwar beteiligen dürfen, sieht aber eine Beschränkung als verfassungsrechtlich geboten an. Er schlägt eine Beteiligungsgrenze von 10 % für die jeweilige Beteiligungsebene vor, und hält eine zen- 141
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Rezensionen MIP 2010 16. Jahrgang<br />
der Vorschriften zu einem negativen Stimmgewicht<br />
führt (BVerfG, a.a.O.). Da dieser Effekt<br />
systemimmanent ist und immer im Zusammenhang<br />
mit ausgleichslosen Überhangmandaten<br />
eintritt, bedarf es einer vollständigen Entzerrung<br />
dieser Vorschriften. Schreiber stellt die in der<br />
Diskussion befindlichen Änderungsmodelle vor.<br />
Zutreffend ist, dass unter den vom BVerfG genannten<br />
Modellen letztlich nur ein aktueller Alternativentwurf<br />
(BT-Drs. 16/11885) als verfassungsrechtlich<br />
und politisch tragfähig übrigbleibt<br />
(§ 6 Rn. 34). Er optimiert die Ziele gleichheitsbedingter<br />
Formalisierbarkeit und Stetigkeit<br />
der Mandatszuteilung sowie föderale Belange.<br />
Dass dieser Entwurf faktisch alternativlos ist,<br />
rückt die Fristsetzung des BVerfG (Nachbesserung<br />
bis zum 30.06.2011) in ein neues Licht.<br />
Der Abbruch eines Gesetzgebungsverfahrens,<br />
der jedenfalls zu einem verfassungskonformen<br />
Provisorium schon zur Wahl des 17. Bundestages<br />
geführt hätte, erscheint verfassungsrechtlich<br />
problematisch. Einer Stellungnahme enthält sich<br />
Schreiber – trotz Umstrittenheit dieser Frage<br />
(vgl. die Stellungnahmen Mahrenholz, Meyer v.<br />
29.04.2009 vor dem Innenausschuss des BT, A-<br />
Drs. 16(4)/592 B, 16(4)/592 D). Hinzu tritt, dass<br />
die aktuelle Regelung ausgleichsloser Überhangmandate<br />
die aktuelle Bundestagsmehrheit deutlich<br />
verbreitert hat; sie hätte auch zu einer reinen<br />
„Überhangmehrheit“ führen können. Auch nach<br />
dem genannten Urteil des BVerfG bestehen hier<br />
Ungereimtheiten mit Vorgaben des Verfassungsrechts,<br />
die hätten aufgegriffen werden sollen.<br />
Die von Schreiber angemerkte „Komplexität“<br />
einer Wahlrechtsänderung hätte den Bundestag<br />
nicht gehindert, zur Wahl 2009 ein verfassungskonformes<br />
Provisorium zu schaffen (vgl. § 6 Rn.<br />
34 a. E.) und die ausführliche Beschäftigung mit<br />
Schwächen und Vorzügen alternativer Sitzzuteilungsmodelle<br />
auf die 17. Wahlperiode zu verschieben.<br />
Wie es derzeit erscheint, ist nicht gesichert,<br />
dass selbst die Frist des 30.06.2011 eingehalten<br />
werden wird. Mindestens als Lehrstück<br />
für die sensible Frage des Verhältnisses zwischen<br />
Verfassungsgericht und Gesetzgeber in<br />
von Art. 20 I, 38 GG überformten Wahlrechtsfragen<br />
wäre eine verfassungsrechtliche Würdigung<br />
der rechtspolitischen Lage begrüßenswert gewesen.<br />
140<br />
Schreiber greift neuere Diskussionen und Entwicklungen<br />
zu einer Erweiterung des Personenkreises<br />
der Wahlberechtigten auf (§ 12). Beizupflichten<br />
ist seiner Beurteilung der jüngeren<br />
Diskussionen zur möglichen Einführung eines<br />
Kinder- oder Elternwahlrechts: alle diskutierten<br />
Vorschläge sind letztlich wegen Verstoßes gegen<br />
Art. 20 I, 38 I 1 (Unmittelbarkeit) sowie Art. 79<br />
III GG verfassungsrechtlich undurchführbar<br />
(§ 12 Rn. 10).<br />
Nicht unproblematisch ist schließlich die weiterhin<br />
vertretene Auffassung, das Wahlprüfungsverfahren<br />
als rein objektiv-rechtliches Verfahren<br />
(§ 49 Rn. 4, 34) anzusehen. Die Lesart des<br />
Art. 41 GG als verdrängende Spezialnorm zu<br />
Art. 19 IV GG erscheint differenzierbar, jedenfalls<br />
im Hinblick auf schwere Rechtsschutzlücken<br />
im Vorfeld der Wahl (Nichtzulassung politischer<br />
Parteien). Im Nachgang der Wahl<br />
schwächt die strikte Zurückdrängung subjektiven<br />
Rechtsschutzes auch die objektiv-rechtliche<br />
Kontrolle des Wahlverfahrens und der Wahlgesetzgebung<br />
(dazu umfassende Nw. in § 49 Fn.<br />
7).<br />
Hilfreich für die Handhabung des Kommentars<br />
sind wie gewohnt ein Anhang der einschlägigen<br />
Normen jenseits des BWahlG sowie ein umfassendes<br />
Sach- und Schrifttumsverzeichnis. Sie<br />
runden seine hohe praktische inhaltliche Qualität<br />
ab. Das Werk ist mit großem Abstand Standardreferenz<br />
für die Praxis des Wahlrechts, aber<br />
auch für die wissenschaftliche Auseinandersetzung<br />
mit den im Kommentar vertretenen dogmatischen<br />
Positionen.<br />
Marcus Hahn-Lorber<br />
M. Cordes: Medienbeteiligung politischer<br />
Parteien – Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit<br />
von Unternehmensbeteiligungen politischer<br />
Parteien in Presse, Rundfunk und Neuen<br />
Medien, Cuvillier Verlag, Göttingen 2009,<br />
399 Seiten, 40,00 €, ISBN 978-3-86727-884-3<br />
Das Buch „Medienbeteiligung politischer Parteien<br />
– Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit<br />
von Unternehmensbeteiligungen politischer Parteien<br />
in Presse, Rundfunk und Neuen Medien“<br />
von Cordes setzt sich, wie bereits der Titel ver-