Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF

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25.02.2013 Aufrufe

Aufgespießt Marcel Solar – Klarmachen zum Ändern? Aufstieg und Perspektiven der deutschen Piratenpartei MIP 2010 16. Jahrgang tenpartei. Aufgrund der Maßnahmen zu Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchungen und biometrischen Ausweisen wurde bereits Unmut geschürt, das Fass zum Überlaufen brachte dann jedoch das „Zugangserschwerungsgesetz“ von Ursula von der Leyen, mit dem gegen Kinderpornographie im Internet vorgegangen werden sollte. Kritiker bemängelten die Wirksamkeit der angestrebten Maßnahmen im Kampf gegen Kinderpornographie (Stoppschilder). Durch die zu schaffenden Strukturen sei vielmehr der Weg bereitet worden für weiterreichende Zensurmaßnahmen im Internet. Prompt wurde die damalige Familienministerin zur „Zensursula“ umgetauft. Die gegen das Gesetzesvorhaben eingebrachte Online-Petition unterzeichneten innerhalb von sechs Wochen über 134.000 Bürger, dennoch wurde das Gesetz am 18. Juni 2009 im Bundestag verabschiedet. Die drei kleinen Oppositionsparteien hatten sich dabei auch nicht als glaubwürdige Unterstützer der Forderungen der Kritiker beweisen können, so dass insgesamt das Gefühl entstanden war, dass die etablierten Parteien im Bereich der Netzpolitik eine Repräsentationslücke hatten entstehen lassen. Angespornt durch die schnelle Mobilisierung im Rahmen der Petition und das ermutigende Ergebnis der deutschen Piraten bei der Europawahl sowie den Einzug eines schwedischen Piraten ins Europaparlament, nahm die Kampagne der Piraten Fahrt auf, das Entern des Bundestages schien in den Augen der Unterstützer kein unrealistischer Traum bleiben zu müssen. III. Die Piraten nach der Bundestagswahl Das tatsächliche Ergebnis mag dann zwar den einen oder anderen enttäuscht haben, für eine neue Partei ist es jedoch durchaus bemerkenswert. 2,0 Prozent bzw. 847.870 Wähler gaben ihre Zweitstimme der Piratenpartei, vor allem bei Jungwählern vermochten sie zu punkten. 9 Prozent der 18-24-jährigen (Männer: 12 %, Frauen: 5 %) gaben den Piraten ihre Stimme, in den älteren Alterskohorten fanden sie dagegen fast keinerlei Unterstützung. Insgesamt zeigt sich, dass „der“ Piratenwähler jung, männlich, 110 städtisch und eher ostdeutsch ist. 11 Weist diese Wählerstruktur auf eine glänzende Zukunft hin? Nun, zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, dass junge Menschen zu einem geringeren Anteil Parteibindungen aufweisen und diese weniger gefestigt sind. 12 Die Tatsache, dass diese jungen Menschen bei dieser Wahl die Piratenpartei gewählt haben, bedeutet also noch lange nicht, dass sie ihnen treu bleiben werden. Ob die Piraten sich im Parteiensystem der Bundesrepublik etablieren können und ihnen eventuell der Einzug in Parlamente gelingen kann, hängt zudem von einigen Faktoren ab, die im Folgenden angerissen werden sollen. 1. Relevante politische Programmatik Die Frage nach der programmatischen Aufstellung wird auch innerhalb der Piraten eifrig diskutiert: Soll man sich auf den Kernbereich, die digitalen Bürgerrechte, beschränken oder muss man sich weiteren Themen öffnen, um die Wahlchancen zu erhöhen. Bislang kann man die Piraten zumindest recht eindeutig als Single-Issue- Partei bezeichnen, auch wenn das Thema sich durchaus mit anderen Bereichen verknüpfen lässt. Problematisch für die Piraten könnte die Reaktion der anderen Parteien werden. Betrachtet man das Wahlprogramm zur Bundestagswahl, so ist ohnehin festzustellen, dass insbesondere Grüne und FDP in vielen Punkten ähnlich positioniert waren wie die Newcomer. 13 Der Pluspunkt für die Piraten war die Glaubwürdigkeit der Forderungen, da sie als Neuling eben keine ‚Leichen im Keller‘ haben. Die etablierten Parteien beschäftigen sich nun aber selbst intensiver 11 Vgl. Infratest dimap (2009), Wahltagsbefragung zur Bundestagswahl 2009 (bisher unveröffentlicht). 12 Vgl. Mühleck, Kai/Bernd Wegener (2006), Parteiidentifikation und Einstellungen zur Gerechtigkeit. Junge Erwachsene in Ost- und Westdeutschland 1991-2000, in: Roller, Edeltraud/Brettschneider, Frank/Deth, Jan W. van (Hg.), Jugend und Politik: „Voll normal!“. Der Beitrag der politischen Soziologie zur Jugendforschung, Wiesbaden. 13 Vgl. Debus, Marc (2009), Die Piratenpartei in der ideologischen Parteienkonstellation Deutschlands, online unter: http://blog.zeit.de/politik-nachzahlen/2009/09/16/die-piratenpartei-in-der-ideologischen-parteienkonstellation-deutschlands_1961.

MIP 2010 16. Jahrgang Marcel Solar – Klarrmachen zum Ändern? Aufstieg und Perspektiven der deutschen Piratenpartei Aufgespießt mit Fragen der Netzpolitik und nehmen Forderungen der Piraten in die eigene Programmatik auf. Auch die Bundesregierung hat bereits reagiert und Abstand vom Zugangserschwerungsgesetz genommen. Die Piraten waren in diesem Sinne Agenda-Setter, die Gefahr besteht jedoch, dass sie ihre Rolle damit erfüllt haben. Mit einer Ausweitung auf andere Themengebiete (z.B. Bildungspolitik, Wahlrechtsreform) betreten sie in vielen Fällen dagegen ein bestelltes Feld, in dem den etablierten Parteien Kompetenzen zugeschrieben werden. 2. Hinreichende Mobilisierung von Ressourcen und Politische Gelegenheitsstrukturen Die auf ca. 12.000 Mitglieder angewachsene Partei steht aber auch organisatorisch vor Herausforderungen. Zunächst einmal verpflichten sich die Piraten einer basisdemokratischen Entscheidungsfindung, Satzungen und Programme werden in Foren und im Wiki erarbeitet, jedem soll die Einbringung ermöglicht werden. Auch die Gruppen und „Crews“ vor Ort setzen auf flache Hierarchien und leichte Beteiligungsmöglichkeiten, etwa in projektbezogener Mitarbeit. So bieten die Piraten ein sehr niedrigschwelliges Politikangebot, dass zur Mitarbeit ermutigen soll. Gerade angesichts der anstehenden Diskussion über die thematische Aufstellung und der Interessenpluralität einer Partei, die sich jenseits von links und rechts verortet, wird sich aber über kurz oder lang die Frage nach Verfahren der innerparteilichen Konfliktregulierung stellen. Sollte bei den nächsten Wahlen keine parlamentarische Vertretung herausspringen, können die bisherigen Strukturen vor erhebliche Herausforderungen gestellt werden. Zudem besteht auch Bedarf nach einer Professionalisierung des politischen Alltagsgeschäfts: Bei allem Charme des Unkonventionellen, die staatlichen Anforderungen in Bezug auf Rechenschaftsberichte, Spendenverbuchung, u.ä., aber auch der Umgang mit der Medienlandschaft (siehe Junge Freiheit-Interview), werden den Piraten in Zukunft ein professionelleres Auftreten abverlangen. Und auch mit Blick auf das Personal besteht Grund zur Skepsis. Die prominentesten „Neuzugänge“, Jörg Tauss und Angelika Beer, stehen eher am Ende ihrer politischen Karriere als am Anfang und profiliertes Personal aus den eigenen Reihen hat sich bisher auch noch nicht hervorgetan. 3. Parteienwettbewerb Schließlich ist noch der Parteienwettbewerb anzusprechen. Spätestens seit der Bundestagswahl haben die anderen Parteien die Piraten auf dem Schirm. In den Parteien wird dem zum einen auf der programmatischen Ebene Rechnung getragen, zudem werden aber auch Strategien entwickelt, wie man den Piraten in den kommenden Wahlen entgegentreten soll. Die politische Auseinandersetzung wird in Zukunft also eher härter und zielgerichteter. Vor allem aber hat sich die politische Konstellation geändert. Mit der Ablösung der Großen Koalition durch die schwarzgelbe Bundesregierung hat auch die Polarisierung im Parteienwettbewerb wieder zugenommen. Die Parteien, vor allem aber Union und SPD, positionieren sich stärker gegeneinander und mit deutlicheren Alternativen bei den anstehenden Wahlen. Außerdem beherrschen zumindest bis auf Weiteres Themen wie die Frage nach einer Steuerreform, der Haushaltskonsolidierung und einer Reform des Gesundheitswesens die politische Agenda. Die Piraten drohen dabei an den Rand gedrängt zu werden. Insgesamt erscheint es eher fraglich, ob es den Piraten gelingen wird, die Parlamente der Bundesrepublik zu entern. Mit jeder weiteren Wahl, bei der den Piraten dies nicht gelingen wird, bröckelt auch ein wenig vom Nimbus des Neuen und Frischen ab, und die Einbringung von Ideen und Themen in die etablierten Parteien wird attraktiver. Das Schicksal vieler anderer neuer Kleinparteien könnte somit auch jenes der Piratenpartei sein: Als Agendasetter profitiert man letztlich nicht selber von der Resonanz, die das Thema in der Bevölkerung findet. 111

Aufgespießt Marcel Solar – Klarmachen zum Ändern? Aufstieg und Perspektiven der deutschen Piratenpartei MIP 2010 16. Jahrgang<br />

tenpartei. Aufgrund der Maßnahmen zu Vorratsdatenspeicherung,<br />

Online-Durchsuchungen und<br />

biometrischen Ausweisen wurde bereits Unmut<br />

geschürt, das Fass zum Überlaufen brachte dann<br />

jedoch das „Zugangserschwerungsgesetz“ von<br />

Ursula von der Leyen, mit dem gegen Kinderpornographie<br />

im Internet vorgegangen werden<br />

sollte. Kritiker bemängelten die Wirksamkeit<br />

der angestrebten Maßnahmen im Kampf gegen<br />

Kinderpornographie (Stoppschilder). Durch<br />

die zu schaffenden Strukturen sei vielmehr der<br />

Weg bereitet worden für weiterreichende Zensurmaßnahmen<br />

im Internet. Prompt wurde die<br />

damalige Familienministerin zur „Zensursula“<br />

umgetauft. Die gegen das Gesetzesvorhaben eingebrachte<br />

Online-Petition unterzeichneten innerhalb<br />

von sechs Wochen über 134.000 Bürger,<br />

dennoch wurde das Gesetz am 18. Juni 2009 im<br />

Bundestag verabschiedet. Die drei kleinen Oppositionsparteien<br />

hatten sich dabei auch nicht als<br />

glaubwürdige Unterstützer der Forderungen der<br />

Kritiker beweisen können, so dass insgesamt das<br />

Gefühl entstanden war, dass die etablierten Parteien<br />

im Bereich der Netzpolitik eine Repräsentationslücke<br />

hatten entstehen lassen. Angespornt<br />

durch die schnelle Mobilisierung im Rahmen der<br />

Petition und das ermutigende Ergebnis der deutschen<br />

Piraten bei der Europawahl sowie den<br />

Einzug eines schwedischen Piraten ins Europaparlament,<br />

nahm die Kampagne der Piraten<br />

Fahrt auf, das Entern des Bundestages schien in<br />

den Augen der Unterstützer kein unrealistischer<br />

Traum bleiben zu müssen.<br />

III. Die Piraten nach der Bundestagswahl<br />

Das tatsächliche Ergebnis mag dann zwar den<br />

einen oder anderen enttäuscht haben, für eine<br />

neue Partei ist es jedoch durchaus bemerkenswert.<br />

2,0 Prozent bzw. 847.870 Wähler gaben<br />

ihre Zweitstimme der Piratenpartei, vor allem<br />

bei Jungwählern vermochten sie zu punkten. 9<br />

Prozent der 18-24-jährigen (Männer: 12 %,<br />

Frauen: 5 %) gaben den Piraten ihre Stimme, in<br />

den älteren Alterskohorten fanden sie dagegen<br />

fast keinerlei Unterstützung. Insgesamt zeigt<br />

sich, dass „der“ Piratenwähler jung, männlich,<br />

110<br />

städtisch und eher ostdeutsch ist. 11 Weist diese<br />

Wählerstruktur auf eine glänzende Zukunft hin?<br />

Nun, zunächst einmal ist darauf hinzuweisen,<br />

dass junge Menschen zu einem geringeren Anteil<br />

Parteibindungen aufweisen und diese weniger<br />

gefestigt sind. 12 Die Tatsache, dass diese jungen<br />

Menschen bei dieser Wahl die Piratenpartei gewählt<br />

haben, bedeutet also noch lange nicht,<br />

dass sie ihnen treu bleiben werden. Ob die Piraten<br />

sich im Parteiensystem der Bundesrepublik<br />

etablieren können und ihnen eventuell der Einzug<br />

in Parlamente gelingen kann, hängt zudem<br />

von einigen Faktoren ab, die im Folgenden angerissen<br />

werden sollen.<br />

1. Relevante politische Programmatik<br />

Die Frage nach der programmatischen Aufstellung<br />

wird auch innerhalb der Piraten eifrig diskutiert:<br />

Soll man sich auf den Kernbereich, die<br />

digitalen Bürgerrechte, beschränken oder muss<br />

man sich weiteren Themen öffnen, um die Wahlchancen<br />

zu erhöhen. Bislang kann man die Piraten<br />

zumindest recht eindeutig als Single-Issue-<br />

Partei bezeichnen, auch wenn das Thema sich<br />

durchaus mit anderen Bereichen verknüpfen<br />

lässt. Problematisch für die Piraten könnte die<br />

Reaktion der anderen Parteien werden. Betrachtet<br />

man das Wahlprogramm zur Bundestagswahl,<br />

so ist ohnehin festzustellen, dass insbesondere<br />

Grüne und FDP in vielen Punkten ähnlich positioniert<br />

waren wie die Newcomer. 13 Der Pluspunkt<br />

für die Piraten war die Glaubwürdigkeit<br />

der Forderungen, da sie als Neuling eben keine<br />

‚Leichen im Keller‘ haben. Die etablierten Parteien<br />

beschäftigen sich nun aber selbst intensiver<br />

11 Vgl. Infratest dimap (2009), Wahltagsbefragung zur<br />

Bundestagswahl 2009 (bisher unveröffentlicht).<br />

12 Vgl. Mühleck, Kai/Bernd Wegener (2006), Parteiidentifikation<br />

und Einstellungen zur Gerechtigkeit. Junge<br />

Erwachsene in Ost- und Westdeutschland 1991-2000,<br />

in: Roller, Edeltraud/Brettschneider, Frank/Deth, Jan<br />

W. van (Hg.), Jugend und Politik: „Voll normal!“. Der<br />

Beitrag der politischen Soziologie zur Jugendforschung,<br />

Wiesbaden.<br />

13 Vgl. Debus, Marc (2009), Die Piratenpartei in der<br />

ideologischen Parteienkonstellation Deutschlands, online<br />

unter: http://blog.zeit.de/politik-nachzahlen/2009/09/16/die-piratenpartei-in-der-ideologischen-parteienkonstellation-deutschlands_1961.

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