Inhaltsverzeichnis Aufsätze - PRuF

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25.02.2013 Aufrufe

Aufgespießt Marcel Solar – Klarmachen zum Ändern? Aufstieg und Perspektiven der deutschen Piratenpartei MIP 2010 16. Jahrgang Klarmachen zum Ändern? Aufstieg und Perspektiven der deutschen Piratenpartei Marcel Solar, M.A. * I. Einleitung Bei der Bundestagswahl 2009 hat eine Partei aus der Kategorie der „Sonstigen“ mit ihrem Ergebnis für eine Überraschung sorgen können: Die Piratenpartei Deutschland erreichte aus dem Stand 2,0 Prozent der Stimmen und wurde damit stärkste Kraft im Kreise der Kleinparteien. Als noch eindrucksvoller erwies sich dabei die Tatsache, dass 13 Prozent der männlichen Erstwähler ihr Kreuz bei den Piraten setzten. 1 Wächst hier also eine Partei mit großem Zukunftspotenzial heran? Um die Perspektiven der Piraten besser einschätzen zu können, sollen an dieser Stelle einige Überlegungen angestellt werden, welche Faktoren dem respektablen Bundestagswahlergebnis zu Grunde liegen und welchen Fragen die Partei sich in Zukunft stellen muss. II. Die Piratenpartei als neue Partei In der Literatur zum Aufkommen neuer Parteien in Parteiensystemen wird zum einen deutlich, dass in Demokratien auf der ganzen Welt neue Parteien in großer Zahl zu Wahlen antreten, viele von ihnen verschwinden aber genauso schnell von der Bildfläche, wie sie aufgetaucht sind. Ob eine Partei jedoch Erfolge einfahren kann, z.B. in Form von Abgeordnetensitzen oder gar einer Regierungsbeteiligung, hängt zu einem großen Teil von verschiedenen sozio-kulturellen, politischen und strukturellen Faktoren ab. 2 Paul Lu- * Der Verfasser ist Wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. 1 Vgl. Infratest dimap (2009), Wahltagsbefragung zur Bundestagswahl 2009 (bisher unveröffentlicht). 2 Vgl. Harmel, Robert/Robertson, John D. (1985), Formation and Success of New Parties, in: International Political Science Review 6 (4), S. 501-523; Willey, 108 cardie macht derer drei aus: eine relevante politische Programmatik, eine hinreichende Mobilisierung von Ressourcen sowie günstige politische Gelegenheitsstrukturen. 3 Nun kann man sich die Piraten unter diesen drei Gesichtspunkten vornehmen. 1. Relevante politische Programmatik Den programmatischen Schwerpunkt der Partei kann man als den Schutz digitaler Bürgerrechte umschreiben. Kernanliegen sind der Schutz von Bürgerrechten on- und offline, die informationelle Selbstbestimmung und eine Reform von Urheber- und Patentrecht. Nun ist es nicht so, als hätten sich mit diesen Themen andere Parteien noch nie beschäftigt. Den Piraten ist es jedoch gelungen, das Thema prominent auf die politische Agenda zu setzen. Zudem ist auch auf der Nachfrageseite ein Nerv getroffen worden. Eine nicht unerhebliche Zahl gerade junger Menschen ist tagtäglich in Ausbildung, Beruf und Freizeit mit genau diesen Themenstellungen konfrontiert. Viele fühlen sich dabei von den etablierten Parteien nicht ausreichend repräsentiert. Genau in diese Lücke stößt die Piratenpartei, die hierbei auf eine hohe Kompetenzzuschreibung und Glaubwürdigkeit der Forderungen bauen kann. 4 2. Hinreichende Mobilisierung von Ressourcen Bei den Ressourcen ist das Bild geteilt. Der Haushaltsentwurf der Piratenpartei für das Jahr Joseph (1998), Institutional Arrangements and the Success of New Parties in Old Democracies, in: Political Studies 46 (3), S. 651-668; Hug, Simon (2001), Altering Party Systems. Strategic Behavior and the Emergence of New Political Parties in Western Democracies, Ann Arbor; Tavits, Margit (2006), Party System Change. Testing a Modell of Party System Entry, in: Party Politics 12 (1), S. 99-119. 3 Vgl. Lucardie, Paul (2000), Prophets, Purifiers and Prolocutors. Towards a Theory on the Emergence of New Parties, in: Party Politics 6 (2), S. 175-185. 4 Vgl. dazu Christoph Biebers Aussagen in: Trentmann, Nina (2009), Piraten feiern ersten und vielleicht letzten Erfolg, online unter: http://www.welt.de/politik/bundestagswahl/article4647418/Piraten-feiern-ersten-undvielleicht-letzten-Erfolg.html.

MIP 2010 16. Jahrgang Marcel Solar – Klarrmachen zum Ändern? Aufstieg und Perspektiven der deutschen Piratenpartei Aufgespießt 2010 sieht Einnahmen in Höhe von 133.100 € vor. 5 Auch wenn durch die Teilnahme an Landtagswahlen, der Europa- und der Bundestagswahl im vergangenen Jahr Ansprüche auf staatliche Parteienfinanzierung geltend gemacht werden können, ist der finanzielle Spielraum der Partei, um etwa Personal anzustellen oder verstärkt Mittel in die anstehenden Wahlkämpfe zu stecken, somit doch vergleichsweise überschaubar. Doch alleine der Kontostand macht noch nicht die gesamten Ressourcen einer Partei aus. Zentral sind schließlich auch die Mitglieder, die sich beispielsweise an die Wahlkampfstände stellen, als Kandidaten antreten und gerade im Fall der Piratenpartei Know-How in die Parteiarbeit einbringen. Und hier haben die Piraten im Jahr 2009 eine rasante Entwicklung genommen. Dümpelten die Mitgliederzahlen nach der Gründung im September 2006 lange Zeit auf eher dürftigem Niveau, explodierten sie im Superwahljahr 2009 förmlich: Zwischen der Europawahl und der Bundestagswahl stieg die Mitgliederzahl von 1.476 auf 9.528, seitdem sind die Piraten noch weiter angewachsen auf mittlerweile 11.906 Mitglieder. 6 Damit sind sie mittlerweile die mitgliederstärkste Partei, die nicht im Bundestag vertreten ist. Das rasante Wachstum hängt sicherlich auch mit der medialen Aufmerksamkeit zusammen, die den Piraten zuteil geworden ist. Denn das Überschreiten der Selektionsschwelle der Medien ist für gewöhnlich eines der Hauptprobleme von Kleinparteien in der Bundesrepublik, nicht zuletzt angesichts Wandlungstendenzen des politischen Wettbewerbs, die unter dem Begriff der Mediendemokratie thematisiert werden. 7 Die Piratenpartei war im Vorfeld der Bundestagswahl dagegen ein gern gesehener Gast in der Wahlberichterstattung von SPIE- GEL, FAZ und Co. Öffentlichkeit verschaffte man sich aber vor allem selber: durch das Inter- 5 Vgl. http://wiki.piratenpartei.de/Finanzen:Haushaltsentwurf_2010. 6 Vgl. http://wiki.piratenpartei.de/Mitglieder. 7 Vgl. Jandura, Olaf (2007), Kleinparteien in der Mediendemokratie, Wiesbaden; vgl. Alemann, Ulrich von/ Marschall, Stefan (2002), Parteien in der Mediendemokratie – Medien in der Parteiendemokratie, in: dies. (Hg.), Parteien in der Mediendemokratie, Wiesbaden, S. 15-41. net. Zum einen animierte die Piratenpartei über die eigene Homepage Neugierige und Sympathisanten zum vielleicht „einzig echten ‚Mitmach- Wahlkampf‘ im Web 2.0“ 8 . Dazu waren Piraten und ihre Unterstützer in der Netzwelt präsent, sei es durch Blogs, Kommentare oder das ‚Entern‘ von Umfragen. 3. Politische Gelegenheitsstrukturen Zuletzt soll ein Blick auf die politischen Gelegenheitsstrukturen geworfen werden, also auf externe Bedingungen, die den Erfolg sozialer Bewegungen und in diesem Fall neuer Parteien beeinflussen. 9 Als hinderlich erweisen sich dabei die gesetzlichen Auflagen für die Parteien: das Sammeln der Unterstützungsunterschriften, die Anforderungen an die Rechenschaftslegung, vor allem aber die Fünf-Prozent-Hürde erschweren Newcomern den Erfolg bei Wahlen. 10 Hier haben die Piraten genauso zu kämpfen, wie andere Kleinparteien. Als förderlich kann sich dagegen der föderale Aufbau der Bundesrepublik erweisen. Nach den bisherigen erfolglosen Wahlantritten bieten sich bei den kommenden Landtagswahlen erneute Chancen auf den Einzug in ein Parlament. Am erfolgversprechendsten erscheint dabei die Abgeordnetenhauswahl in Berlin im kommenden Jahr, da die Piraten hier ihre bisher besten Ergebnisse einfahren konnten. Als zentraler externer Faktor erscheint jedoch das Regierungshandeln und damit die politische Themenkonjunktur. So war die Große Koalition letztlich selber Geburtshelfer des organisierten Protestes der Netzgemeinde sowie des Erfolges der Pira- 8 Vgl. Bieber, Christoph (2009), Kampagne als „Augmented Reality Game“: Der Mitmachwahlkampf der Piratenpartei, online unter: http://carta.info/15450/kampagne-als-augmented-reality-game-der-mitmachwahlkampf-der-piratenpartei/. 9 Vgl. Kitschelt, Herbert P. (1986), Political Opportunity Structures and Political Protest: Anti-Nuclear Movements in Four Democracies, in: British Journal of Political Science 16 (1), S. 57-86 und vgl. Tarrow, Sidney (1998), Power in Movement: Social Movements and Contentious Politics, Cambridge. 10 Vgl. Köhler, Jan (2006), Parteien im Wettbewerb. Zu den Wettbewerbschancen nicht-etablierter politischer Parteien im Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden. 109

MIP 2010 16. Jahrgang Marcel Solar – Klarrmachen zum Ändern? Aufstieg und Perspektiven der deutschen Piratenpartei Aufgespießt<br />

2010 sieht Einnahmen in Höhe von 133.100 €<br />

vor. 5 Auch wenn durch die Teilnahme an Landtagswahlen,<br />

der Europa- und der Bundestagswahl<br />

im vergangenen Jahr Ansprüche auf staatliche<br />

Parteienfinanzierung geltend gemacht werden<br />

können, ist der finanzielle Spielraum der<br />

Partei, um etwa Personal anzustellen oder verstärkt<br />

Mittel in die anstehenden Wahlkämpfe zu<br />

stecken, somit doch vergleichsweise überschaubar.<br />

Doch alleine der Kontostand macht noch<br />

nicht die gesamten Ressourcen einer Partei aus.<br />

Zentral sind schließlich auch die Mitglieder, die<br />

sich beispielsweise an die Wahlkampfstände<br />

stellen, als Kandidaten antreten und gerade im<br />

Fall der Piratenpartei Know-How in die Parteiarbeit<br />

einbringen. Und hier haben die Piraten im<br />

Jahr 2009 eine rasante Entwicklung genommen.<br />

Dümpelten die Mitgliederzahlen nach der Gründung<br />

im September 2006 lange Zeit auf eher<br />

dürftigem Niveau, explodierten sie im Superwahljahr<br />

2009 förmlich: Zwischen der Europawahl<br />

und der Bundestagswahl stieg die Mitgliederzahl<br />

von 1.476 auf 9.528, seitdem sind die<br />

Piraten noch weiter angewachsen auf mittlerweile<br />

11.906 Mitglieder. 6 Damit sind sie mittlerweile<br />

die mitgliederstärkste Partei, die nicht im<br />

Bundestag vertreten ist. Das rasante Wachstum<br />

hängt sicherlich auch mit der medialen Aufmerksamkeit<br />

zusammen, die den Piraten zuteil<br />

geworden ist. Denn das Überschreiten der Selektionsschwelle<br />

der Medien ist für gewöhnlich eines<br />

der Hauptprobleme von Kleinparteien in der<br />

Bundesrepublik, nicht zuletzt angesichts Wandlungstendenzen<br />

des politischen Wettbewerbs, die<br />

unter dem Begriff der Mediendemokratie thematisiert<br />

werden. 7 Die Piratenpartei war im Vorfeld<br />

der Bundestagswahl dagegen ein gern gesehener<br />

Gast in der Wahlberichterstattung von SPIE-<br />

GEL, FAZ und Co. Öffentlichkeit verschaffte<br />

man sich aber vor allem selber: durch das Inter-<br />

5 Vgl. http://wiki.piratenpartei.de/Finanzen:Haushaltsentwurf_2010.<br />

6 Vgl. http://wiki.piratenpartei.de/Mitglieder.<br />

7 Vgl. Jandura, Olaf (2007), Kleinparteien in der Mediendemokratie,<br />

Wiesbaden; vgl. Alemann, Ulrich von/<br />

Marschall, Stefan (2002), Parteien in der Mediendemokratie<br />

– Medien in der Parteiendemokratie, in: dies.<br />

(Hg.), Parteien in der Mediendemokratie, Wiesbaden,<br />

S. 15-41.<br />

net. Zum einen animierte die Piratenpartei über<br />

die eigene Homepage Neugierige und Sympathisanten<br />

zum vielleicht „einzig echten ‚Mitmach-<br />

Wahlkampf‘ im Web 2.0“ 8 . Dazu waren Piraten<br />

und ihre Unterstützer in der Netzwelt präsent,<br />

sei es durch Blogs, Kommentare oder das ‚Entern‘<br />

von Umfragen.<br />

3. Politische Gelegenheitsstrukturen<br />

Zuletzt soll ein Blick auf die politischen Gelegenheitsstrukturen<br />

geworfen werden, also auf<br />

externe Bedingungen, die den Erfolg sozialer<br />

Bewegungen und in diesem Fall neuer Parteien<br />

beeinflussen. 9 Als hinderlich erweisen sich dabei<br />

die gesetzlichen Auflagen für die Parteien: das<br />

Sammeln der Unterstützungsunterschriften, die<br />

Anforderungen an die Rechenschaftslegung, vor<br />

allem aber die Fünf-Prozent-Hürde erschweren<br />

Newcomern den Erfolg bei Wahlen. 10 Hier haben<br />

die Piraten genauso zu kämpfen, wie andere<br />

Kleinparteien. Als förderlich kann sich dagegen<br />

der föderale Aufbau der Bundesrepublik erweisen.<br />

Nach den bisherigen erfolglosen Wahlantritten<br />

bieten sich bei den kommenden Landtagswahlen<br />

erneute Chancen auf den Einzug in ein<br />

Parlament. Am erfolgversprechendsten erscheint<br />

dabei die Abgeordnetenhauswahl in Berlin im<br />

kommenden Jahr, da die Piraten hier ihre bisher<br />

besten Ergebnisse einfahren konnten. Als zentraler<br />

externer Faktor erscheint jedoch das Regierungshandeln<br />

und damit die politische Themenkonjunktur.<br />

So war die Große Koalition letztlich<br />

selber Geburtshelfer des organisierten Protestes<br />

der Netzgemeinde sowie des Erfolges der Pira-<br />

8 Vgl. Bieber, Christoph (2009), Kampagne als „Augmented<br />

Reality Game“: Der Mitmachwahlkampf der<br />

Piratenpartei, online unter:<br />

http://carta.info/15450/kampagne-als-augmented-reality-game-der-mitmachwahlkampf-der-piratenpartei/.<br />

9 Vgl. Kitschelt, Herbert P. (1986), Political Opportunity<br />

Structures and Political Protest: Anti-Nuclear Movements<br />

in Four Democracies, in: British Journal of Political<br />

Science 16 (1), S. 57-86 und vgl. Tarrow, Sidney<br />

(1998), Power in Movement: Social Movements and<br />

Contentious Politics, Cambridge.<br />

10 Vgl. Köhler, Jan (2006), Parteien im Wettbewerb. Zu<br />

den Wettbewerbschancen nicht-etablierter politischer<br />

Parteien im Rechtssystem der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Baden-Baden.<br />

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