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Sammelklagen vor dem Europäischen Gerichtshof für ...

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<strong>Sammelklagen</strong> <strong>vor</strong> <strong>dem</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Gerichtshof</strong> <strong>für</strong> Menschenrechte:<br />

Ein gemeinschaftliches Modell der Mobilfunk-Opposition<br />

Dr. Eduard Christian Schöpfer, Salzburg (Österreich)<br />

I. Einleitung: Der Straßburger Beschwer<strong>dem</strong>echanismus<br />

Be<strong>vor</strong> ich auf das Thema „Sammelklage“ eingehe, möchte ich noch einige Worte zur <strong>Europäischen</strong><br />

Menschenrechtskonvention – kurz EMRK genannt – und zur einschlägigen Rechtsprechung ihres<br />

Vollzugsorgans, des <strong>Europäischen</strong> <strong>Gerichtshof</strong>s <strong>für</strong> Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg,<br />

Frankreich, verlieren. Die EMRK ist seit <strong>dem</strong> 3. September 1953 in Kraft. Als völkerrechtlicher Vertrag<br />

legt sie den Mitgliedstaaten des Europarats Verpflichtungen auf, nämlich die in der Konvention<br />

verankerten Rechte und Grundfreiheiten im Rahmen der drei Staatsgewalten (Gesetzgebung, Vollzie-<br />

hung, Rechtsprechung) zu beachten. An den Menschenrechtsgerichtshof können sich sowohl Staaten als<br />

auch Einzelpersonen sowie Personengruppen wenden, die behaupten, Opfer einer Konventionsverlet-<br />

zung durch eine Vertragspartei (mit anderen Worten die jeweilige Regierung) zu sein.<br />

Im Gegensatz etwa zum Menschenrechtsauschuss der Vereinten Nationen sind Urteile des Straßburger<br />

<strong>Gerichtshof</strong>s bindend. Dies geht unter anderem aus Artikel 46 EMRK (Verbindlichkeit und Durchfüh-<br />

rung der Urteile) her<strong>vor</strong>, wonach die Hohen Vertragsparteien sich verpflichten, in allen Rechtssachen, in<br />

denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des <strong>Gerichtshof</strong>s zu befolgen. Von Fall zu Fall bzw. je nach<br />

<strong>dem</strong> Schweregrad der festgestellten Konventionsverletzung(en) müssen die Mitgliedstaaten des<br />

Europarats entweder „gerechte Entschädigung“ (also Schadenersatz) leisten (vgl. Artikel 41 EMRK)<br />

oder die konventionswidrige Situation abstellen, wobei der EGMR in seiner neueren Rechtsprechung<br />

gerne Vorschläge präsentiert, wie der belangte Mitgliedstaat des Europarats hier am besten <strong>vor</strong>gehen<br />

könnte. Kurz gesagt stellt die EMRK ein umfassendes und effektives Menschenrechtsschutzsystem<br />

dar, das – wie der Menschenrechtsgerichtshof regelmäßig her<strong>vor</strong>gehoben hat – als „lebendiges<br />

Instrument“ stets gemäß den aktuellen Gegebenheiten und Wert<strong>vor</strong>stellungen auszulegen ist.<br />

II. Die bisherigen Entscheidungen des EGMR zu Mobilfunk<br />

Der EGMR hat bis dato zwei Entscheidungen zu Mobilfunk gefällt. Zu einem Urteil kam es indes nicht,<br />

da die Beschwerden bereits im Rahmen der sog. Zulässigkeitsprüfung <strong>für</strong> unzulässig erklärt wurden.<br />

1.) Der Fall Katharina Luginbühl gegen die Schweiz vom 17. Jänner 2006<br />

Vor <strong>dem</strong> EGMR hatte Frau Luginbühl unter anderem eine Verletzung von Artikel 8 EMRK (Recht auf<br />

Wahrung der körperlichen Unversehrtheit als Bestandteil des Rechts auf Achtung des Privatlebens)<br />

1


ehauptete, da der in ihrer näheren Umgebung geplante Ausbau einer Mobilfunkanlage geeignet sei, sie<br />

in ihrer Eigenschaft als elektrosensible Person in ihrer Gesundheit zu beeinträchtigen. Die Beschwerde-<br />

führerin brachte <strong>vor</strong>, die Behörden hätten ihre Eigenschaft als elektrosensible Person nicht ausreichend<br />

berücksichtigt. Sie wäre in einer weit delikateren Situation als der Rest der Bevölkerung, sollte das<br />

Mobilfunkantennenprojekt realisiert werden. Diese Behauptung vermochte jedoch nach Ansicht des<br />

EGMR nichts daran zu ändern, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung durch Mobilfunkantennen<br />

bislang wissenschaftlich nicht belegt und daher weitgehend spekulativer Natur sei. In diesem Zusam-<br />

menhang sei daran zu erinnern, dass Artikel 13 Absatz 2 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz<br />

ausdrücklich <strong>vor</strong>sehe, dass der Bundesrat bei der Festlegung von Grenzwerten im Verordnungsweg auch<br />

die Auswirkungen von Immissionen auf besonders sensible Personen wie Kinder, Kranke, ältere<br />

Personen und schwangere Frauen zu berücksichtigen habe. Die genannte Rechtsgrundlage erlaube die<br />

Setzung von adäquaten Maßnahmen zum speziellen Schutz von extrem empfindlichen Personen<br />

gegenüber Elektrosmog, sollte sich eines Tages herausstellen, dass der Mobilfunk ein ernsthaftes Risiko<br />

<strong>für</strong> die Gesundheit der Bevölkerung darstelle. Angesichts nicht zuletzt des Interesses der modernen<br />

Gesellschaft an einem vollständig ausgebauten Mobilfunknetz bestehe keine Verpflichtung zur Setzung<br />

weiterer Maßnahmen, um die Rechte der Beschwerdeführerin angemessen zu schützen.<br />

2.) Der Fall Hans Gaida gegen Deutschland vom 3. Juli 2007<br />

Der Beschwerdeführer war Eigentümer eines Grundstücks, wo er wohnte und auch eine Hobbygeflügel-<br />

zucht betrieb. 1995 wurde der Telekom AG eine Baugenehmigung <strong>für</strong> die Installation einer Mobilfunk-<br />

anlage auf <strong>dem</strong> in einer Entfernung von ca. zwanzig Metern befindlichen Nachbargrundstück erteilt.<br />

Nach Inbetriebnahme der Sendeanlage machten sich beim Beschwerdeführer Schlafstörungen, Tinnitus<br />

und Herzrhythmusstörungen bemerkbar. Ferner musste er auch Schädigungen an der Brut seines<br />

Geflügels feststellen, so kamen Küken teilweise gar nicht oder missgebildet zur Welt. Als alle vom<br />

Beschwerdeführer ergriffenen Rechtsmittel erfolglos blieben, wandte er sich an das Bundesverfassungs-<br />

gericht, welches seine Verfassungsbeschwerde mit <strong>dem</strong> Hinweis nicht zur Entscheidung annahm, es<br />

bestehe „keine Pflicht zur Vorsorge gegen rein hypothetische Gefährdungen“.<br />

Vor <strong>dem</strong> EGMR behauptete der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung von Artikel 8 Absatz<br />

1 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens bzw. der Wohnung), da die von der Mobilfunkanlage<br />

ausgehende Strahlung bei ihm zu erheblichen Gesundheitsschäden geführt habe. Die aktuellen Grenz-<br />

werte beruhten auf Empfehlungen gewisser Kommissionen, die weder <strong>dem</strong>okratisch gewählt seien noch<br />

kontrolliert würden und genügten nicht, um die Bevölkerung <strong>vor</strong> den Langzeiteffekten der Strahlung<br />

zu schützen. Unter Berufung auf abstrakte wissenschaftliche Ergebnisse habe die Bundesregierung es<br />

insbesondere unterlassen, konkrete Schädigungsfälle zu untersuchen, die in der Nachbarschaft von<br />

2


Mobilfunkanlagen <strong>vor</strong>gekommen seien. Diese Vorgehensweise führe zu nicht vertretbaren Verzögerun-<br />

gen, bis die Schädlichkeit der von Mobilfunkanlagen herrührenden Strahlung schlussendlich akzeptiert<br />

würde. Die Regierung lasse ernste Anhaltspunkte und Beweise <strong>für</strong> die Schädlichkeit der Strahlung außer<br />

Betracht, in<strong>dem</strong> sie nur ausgewählte Forschungsergebnisse gelten lasse. Neben einer Reihe von<br />

wissenschaftlichen Veröffentlichungen legte der Beschwerdeführer offene Briefe <strong>vor</strong>, die 2002 von<br />

zahlreichen Ärzten (Bamberger Appell, Freiburger Appell) veröffentlicht wurden. Laut der Bundesregie-<br />

rung habe der Gesetzgeber bestehende Sorgen ernst genommen und das Interesse von Anrainern am<br />

Schutz <strong>vor</strong> Strahlung einerseits mit <strong>dem</strong> Interesse der Bevölkerung an einem Zugang zur mobilen<br />

Kommunikation sowie wirtschaftlichen Interessen andererseits abgewogen. Die in der 26. Verordnung<br />

zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes festgelegten Grenzwerte beruhten auf<br />

umfassenden Forschungen und entsprächen <strong>dem</strong> aktuellen Stand der Forschung. Gesicherte und<br />

reproduzierbare wissenschaftliche Erkenntnisse, dass bei Einhaltung der Grenzwerte Gesundheitsschä-<br />

den eintreten könnten, würden nicht existieren. Ferner setze sich die Regierung auch weiterhin <strong>für</strong> die<br />

Intensivierung der Forschung und die Verbesserung der Information der Bevölkerung ein. Aktuell<br />

würden im Rahmen des Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramms ca. 50 Forschungs<strong>vor</strong>haben<br />

durchgeführt. Die Regierung sei ihren Verpflichtungen aus Artikel 8 EMRK daher nachgekommen.<br />

Der EGMR erinnerte daran, dass schwere Umweltbeeinträchtigungen eine Verletzung des Rechts einer<br />

Person auf Achtung ihrer Wohnung zur Folge haben könnten, wenn diese die Annehmlichkeiten ihres<br />

Heims nicht genießen könne. Zwischen den Parteien habe Einigkeit darüber bestanden, dass sein<br />

Grundstück einer gewissen, von der Anlage ausgehenden Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Im<br />

<strong>vor</strong>liegenden Fall sei die Erteilung der Baugenehmigung im Einklang mit der einschlägigen Gesetzeslage<br />

erfolgt und bestehe ferner kein Zweifel, dass die von der Mobilfunkanlage ausgehende Strahlung die<br />

Grenzwerte nicht überschritten habe. Die Baugenehmigung habe auch ein legitimes Ziel verfolgt,<br />

nämlich das Interesse am wirtschaftlichen Wohl des Landes sowie jenes der Allgemeinheit an der<br />

Nutzung der Mobilfunktechnologie. Zu prüfen sei, ob die innerstaatlichen Behörden einen gerechten<br />

Ausgleich zwischen <strong>dem</strong> Interesse der Allgemeinheit und <strong>dem</strong> Interesse des Beschwerdeführers, <strong>vor</strong><br />

potentiell schädlicher Strahlung geschützt zu werden, gefunden hätten. Der Beschwerdeführer habe<br />

wissenschaftliche Veröffentlichungen beigebracht, aus denen her<strong>vor</strong>gehe, dass in der Wissenschaft die<br />

Diskussion über mögliche schädliche Wirkungen der von Mobilfunkanlagen ausgehenden Strahlung<br />

kontrovers geführt werde, habe aber gleichzeitig eingeräumt, dass es derzeit keine verlässlichen<br />

Beweise <strong>für</strong> die Schädlichkeit einer solchen im Fall der Einhaltung der Grenzwerte gäbe. Die gegen-<br />

ständlichen Grenzwerte beruhen auf den übereinstimmenden Empfehlungen verschiedener nationaler<br />

und internationaler Beratergremien. Der EGMR nehme zur Kenntnis, dass die Regierung sich<br />

verpflichtet habe, nicht nur die Mobilfunkforschung aktiv zu fördern, sondern regelmäßig zu prüfen, ob<br />

3


der aktuelle Wissensstand eine Anpassung der einschlägigen Regelungen erfordere. Die Rüge des<br />

Beschwerdeführers nach Artikel 8 EMRK sei somit als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.<br />

4


3.) Kritische Bewertung der beiden Zulässigkeitsentscheidungen<br />

Der Standpunkt des Menschenrechtsgerichtshofs zu Mobilfunk (genauer gesagt: Mobilfunksendeanla-<br />

gen) in seinen bisherigen zwei Zulässigkeitsentscheidungen in den Fällen Katharina Luginbühl gegen die<br />

Schweiz und Hans Gaida gegen Deutschland ist gekennzeichnet durch eine völlige Unterschätzung,<br />

wenn nicht sogar Verkennung der damit einhergehenden Gesundheitsrisiken <strong>für</strong> die Bevölkerung.<br />

Bedenklich sind insbesondere seine Ansicht, dass Staaten in Umweltfragen einen weiten Ermessensspiel-<br />

raum genießen (dieser sollte vielmehr begrenzt sein und <strong>dem</strong> Schutz der Umwelt und der Gesundheit<br />

absoluten Vorrang einräumen), und seine Überbetonung des wirtschaftlichen Wohls des Landes,<br />

worunter er auch das Interesse der „modernen Gesellschaft“ an einem vollständig ausgebauten<br />

Mobilfunknetz versteht. Die Rechtsprechung des EGMR kann daher mit einem Wort rückständig<br />

genannt werden, sie lässt auch vollkommen das völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Vorsorge-<br />

prinzip außer Acht, wonach Staaten zur frühzeitigen Untersuchung und <strong>vor</strong>ausschauenden Bekämpfung<br />

möglicher Gefahren <strong>für</strong> die Umwelt auch dann verpflichtet sind, wenn die strengen Voraussetzungen<br />

einer wissenschaftlichen Fundierung der Gefahr noch nicht erfüllt sind. An Mahnern in den eigenen<br />

Reihen hätte es jedenfalls nicht gefehlt. So hat bereits der französische Richter Louis Edmond Pettiti in<br />

seinem Sondervotum zum Fall Balmer-Schafroth und andere gegen die Schweiz vom 26. August 1997<br />

in <strong>dem</strong> es um potentielle Gesundheitsrisiken durch den Betrieb eines Atomkraftwerks ging, in<br />

beeindruckender Offenheit das Versäumnis des Menschenrechtsgerichtshofs gerügt, das Vorsorgeprinzip<br />

zu stärken und einen umfassenden gerichtlichen Rechtsschutz einzufordern, um die Rechte der Bürger<br />

gegenüber der Un<strong>vor</strong>sichtigkeit der Behörden zu wahren. Und weiter: „Die Einschätzung des Gerichts-<br />

hofs betreffend den angeblich losen Zusammenhang oder das Fehlen einer unmittelbaren Gefahr ist<br />

falsch. Soll man etwa zuwarten, bis die Bevölkerung die ersten Verstrahlungen erleidet, um ein<br />

Rechtsmittel ergreifen zu können!“ Also geradezu prophetische Worte, wenn man die gegenwärtige<br />

Elektrosmogsituation betrachtet. Was <strong>für</strong> die keineswegs abwegigen Risiken durch den Betrieb eines<br />

Kernkraftwerks gilt (Stichwort „Fukushima“), muss umso mehr <strong>für</strong> die überall anzutreffenden und<br />

lückenlos dokumentierten Schäden an Mensch, Tier und Natur durch Elektrosmog gelten!<br />

In der Lehre – also der Rechtswissenschaft – ist man schon viel weiter. Hier hat sich zunehmend eine<br />

Tendenz entwickelt, die Verpflichtung der Staaten zur Erlassung von Schutz<strong>vor</strong>schriften an Artikel 2<br />

EMRK (Recht auf Leben) als Schutznorm von Leib und Leben zu messen. Meines Erachtens lässt sich<br />

aus Artikel 2 EMRK durchaus ein Vorsorgeprinzip ableiten, wenn man diese Bestimmung zeitgemäß<br />

auslegt. Hätte der Straßburger <strong>Gerichtshof</strong> den Sachverhalt in den beiden erwähnten Mobilfunkfällen<br />

gewissenhaft, sorgfältig und un<strong>vor</strong>eingenommen geprüft, sich also mit der einschlägigen Fachliteratur<br />

bzw. den Ergebnissen brisanter Studien sowie mit den unzähligen Erfahrungsberichten von elektro-<br />

smoggeschädigten Personen auseinandergesetzt, anstatt sich in einseitiger Weise und undifferenzierter<br />

5


Weise auf die Schlussfolgerungen der innerstaatlichen Gerichte zu stützen, wäre eine Zulässigerklärung<br />

der beiden Beschwerden wohl unausweichlich gewesen. Dies hätte <strong>dem</strong> Menschenrechtsgerichtshof die<br />

Möglichkeit verschafft, sich eingehend mit der Problematik zu befassen und dann eventuell ein<br />

Grundsatzurteil mit Wirkung <strong>für</strong> alle Konventionsstaaten zu fällen. Dem Straßburger <strong>Gerichtshof</strong> –<br />

und dies gilt auch <strong>für</strong> die nationalen (Höchst-)Gerichte – scheint in keiner Weise bewusst zu sein, dass<br />

auf die immer deutlicher zum Vorschein tretenden Umweltbedrohungen durch Feinstaub, Elektrosmog,<br />

chemische Gifte, Klimawandel etc. auf die Dauer nicht anders reagiert werden kann bzw. muss (!) als<br />

durch einen <strong>vor</strong>beugenden Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt.<br />

III. Zur Sammelklage – Idee und Vorteile<br />

1. Meines Wissens nach haben sich bei Mobilfunk bisher nur Einzelpersonen an den EGMR gewandt –<br />

und keine Personengruppe – und damit komme ich nun zu meiner These, nämlich dass Betroffenen<br />

offenbar wirklich nur der Weg der Einbringung einer Sammelklage übrig bleibt, um in Straßburg mit<br />

ihren Anliegen endlich Gehör zu finden! Dass es bereits überhaupt zu einer Sammelklage gekommen<br />

wäre – also im Ausmaß von Tausenden von Menschen – ist mir nicht bekannt, es hat allerdings Fälle<br />

gegeben, bei denen sich Dutzende von Personen <strong>dem</strong> Beschwerdeführer angeschlossen haben.<br />

2. Die Idee einer Sammelklage wurde anlässlich der am 16. Dezember 2005 vom Österreichischen<br />

Institut <strong>für</strong> Menschenrechte in Salzburg abgehaltenen Podiumsdiskussion „Mobilfunk, Mensch und<br />

Recht“ <strong>vor</strong>gestellt. Ziel der Veranstaltung war es, die im Zusammenhang mit der Mobilfunktechnologie<br />

auftretenden Probleme unter medizinischen, rechtlichen und <strong>dem</strong>okratiepolitischen Aspekten kritisch zu<br />

beleuchten, grund- und menschenrechtliche Defizite herauszuarbeiten und Lösungsmöglichkeiten zu<br />

präsentieren, wie <strong>dem</strong> Schutz der Bevölkerung <strong>vor</strong> Mobilfunkstrahlung in effektiver Weise entsprochen<br />

werden könnte. Die daraus entstandene – gleichnamige – Publikation wurde in zahlreichen österreichi-<br />

schen, aber auch in renommierten deutschen Rechtszeitschriften besprochen, in der Rechtsprechung der<br />

österreichischen Höchstgerichte scheint sie jedoch nirgends auf, was ich doch <strong>für</strong> sehr befremdlich,<br />

gleichzeitig aber auch bezeichnend <strong>für</strong> den traurigen Zustand, in <strong>dem</strong> sich unsere Justiz in Fragen des<br />

Rechtsschutzes von Mobilfunkgeschädigten befindet, halte. Auffallend ist, dass sowohl Verfassungsge-<br />

richtshof als auch Oberster <strong>Gerichtshof</strong> es bisher nicht <strong>für</strong> nötig gehalten bzw. es tunlichst vermieden<br />

haben, auf mobilfunkkritische und warnende Stimmen aus der Rechtswissenschaft einzugehen.<br />

3. Was sind nun die Vorteile einer Sammelklage?<br />

a) Einer Sammelklage von Geschädigten bzw. Betroffenen würde wesentlich mehr Gewicht als<br />

vereinzelten Beschwerden zukommen. Dem EGMR soll damit klar gemacht werden, dass von Mobil-<br />

funkstrahlung weit mehr Menschen betroffen sind, als von ihm ursprünglich angenommen wurde.<br />

6


) Besonders wichtig scheint mir die Phase von der Ankündigung der Sammelklage bis zu ihrer<br />

Einbringung beim Straßburger <strong>Gerichtshof</strong> zu sein: Noch lange be<strong>vor</strong> sich dieser mit <strong>dem</strong> Fall befasst,<br />

wird <strong>dem</strong> „mobilfunkgeplagten“ und großteils frustrierten Teil der Bevölkerung signalisiert, wir lassen<br />

euch nicht im Stich, ihr könnt wieder Mut fassen! Man kann also von einer Signalwirkung sprechen.<br />

Andererseits muss man hier sehr <strong>vor</strong>sichtig und mit Bedacht umgehen: Es wäre falsch und unaufrichtig,<br />

Mobilfunkgeschädigten übertriebene Hoffnungen zu machen; sie müssen in je<strong>dem</strong> Fall darüber belehrt<br />

werden, dass eine Sammelklage nicht automatisch zum Erfolg führen wird, sondern dass die Möglichkeit<br />

besteht, dass der Menschenrechtsgerichtshof an seiner restriktiven Umweltrechtsprechung festhält.<br />

c) Ferner ist zu hoffen, dass ein Aufmerksammachen auf die triste Situation von Mobilfunkgeschädigten<br />

(ich denke hier insbesondere an die wachsende Zahl der elektrosensiblen Personen) auch einen<br />

Solidaritätseffekt seitens jener Bürgerinnen und Bürger auslösen wird, die von Elektrosmog nicht oder<br />

noch nicht gesundheitlich betroffen sind und/oder die <strong>für</strong> das Leid ihrer Mitmenschen bisher wenig oder<br />

gar kein Verständnis aufbringen konnten. Mit anderen Worten bekommt die Mobilfunk- bzw. Elektro-<br />

smogproblematik durch die Sammelklage ein Gesicht!<br />

d) Nicht übersehen werden darf auch die Beispielwirkung. Im Fall der Einbringung einer Sammelklage<br />

wäre es wünschenswert, wenn andere Staaten diesem Beispiel folgen und sich ihrerseits mit einer<br />

Sammelklage an den EGMR wenden würden. Selbstredend wäre es löblich, wenn der Ersteinbringer<br />

hierbei seine guten Dienste anböte. Man könnte in einem solchen Fall von einem Solidaritätseffekt im<br />

Großen sprechen. Die Einbringung von <strong>Sammelklagen</strong> gegen die einzelnen Mitgliedstaaten des<br />

Europarates könnte zu einem europaweiten Zusammenschluss von Mobilfunkgeschädigten führen,<br />

vergleichbar etwa mit der Gewerkschaftsbewegung, die ja auch auf der Idee der Solidarität beruht.<br />

Ein Wort noch zur sog. Opfereigenschaft: Laut der EMRK muss ein Beschwerdeführer direkt von<br />

einer Menschenrechtsverletzung betroffen sein, damit wäre aber all jenen Menschen der Weg verbaut,<br />

die sich durch den überhand nehmenden Elektrosmog – zu Recht – in ihrem Leben und in ihrer<br />

Gesundheit bedroht fühlen. Ich meine, man sollte auch diesen Leuten die Möglichkeit geben, sich an der<br />

Sammelklage zu beteiligen, auch wenn man in Kauf nehmen müsste, dass diese Beschwerden wegen<br />

fehlender Opfereigenschaft <strong>für</strong> unzulässig erklärt werden könnten. Zumindest würde es <strong>dem</strong> EGMR <strong>vor</strong><br />

Augen führen, wie viele Menschen Bedenken gegen die Mobilfunktechnologie haben.<br />

7


IV. Die eklatantesten Konventionsverletzungen bei Mobilfunk<br />

In meinem Beitrag über „Grund- und menschenrechtliche Defizite im Bereich des Mobilfunks am<br />

Beispiel Österreichs“ (in: Karl/Schöpfer [Hrsg.], Mobilfunk, Mensch und Recht [2006], Seite 73 bis 92),<br />

bin ich bereits näher auf mutmaßliche Konventionsverletzungen eingegangen. Ich will hier nur die<br />

eklatantesten nennen: Im Bereich der Gesetzgebung ist von einer Verletzung des Artikel 8 EMRK<br />

auszugehen, da die rechtlichen Rahmenbedingungen <strong>für</strong> den Betrieb von Mobilfunkanlagen einen Schutz<br />

der Bevölkerung <strong>vor</strong> schädlicher Mobilfunkstrahlung (siehe etwa die Stellungnahme der Internationalen<br />

Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation vom Mai 2011, die hochfrequente Strahlung<br />

als möglicherweise krebserregend eingestuft hat) nicht zu gewährleisten vermögen. Darüber hinaus<br />

stellt die Nichtberücksichtigung besonders verletzlicher Personengruppen – (ungeborene) Kinder,<br />

schwangere Frauen, kranke und ältere Menschen und nicht zu vergessen elektrosensible Personen – in<br />

den Grenzwerten eine verbotene Diskriminierung im Sinne von Artikel 14 EMRK (hier: in Verbin-<br />

dung mit Artikel 8 EMRK zu sehen) gegenüber <strong>dem</strong> Rest der Bevölkerung dar.<br />

Was die Rechtsprechung der Höchstgerichte anlangt, dürfte eine Verletzung von Artikel 13 EMRK<br />

<strong>vor</strong>liegen (diese Bestimmung garantiert das Recht auf eine wirksame Beschwerde <strong>vor</strong> einer nationalen<br />

Instanz), da Anrainern von Mobilfunkanlagen keine wirksamen Rechtsdurchsetzungsmechanismen zur<br />

Wahrung ihrer Konventionsrechte zur Verfügung stehen. Das einzige an und <strong>für</strong> sich effektive Rechts-<br />

mittel, die sog. Unterlassungsklage, wird von den Gerichten regelmäßig abgewiesen, da von der<br />

Zuverlässigkeit der bestehenden Grenzwerte und von einem strikten – letztlich nicht erbringbaren –<br />

Kausalitätsnachweis <strong>für</strong> gesundheitliche Schädigungen ausgegangen wird. Die Vorgehensweise der<br />

Gerichte, sich auf eine Prüfung der Einhaltung der Grenzwerte zu beschränken, ohne sich mit den<br />

individuellen Lebensumständen und konkret <strong>vor</strong>gebrachten gesundheitlichen Beschwerden von<br />

Klägern auseinandersetzen, verletzt deren Recht auf Zugang zu einem Gericht gemäß Artikel 6 EMRK,<br />

da ihnen eine Sachentscheidung grundsätzlich und ausnahmslos verwehrt wird.<br />

Auch die einseitige, verharmlosende und irreführende Informationspolitik der Exekutive (Regierung)<br />

verletzt die Konvention, nämlich in diesem Fall Artikel 8 EMRK (Anspruch auf sachgerechte und<br />

objektive Umweltinformation als Bestandteil des Rechts auf Achtung der Privatsphäre), eventuell auch<br />

Artikel 10 EMRK (Anspruch auf Empfang von Mitteilungen als Bestandteil des Rechts der Freiheit der<br />

Meinungsäußerung), da die Bürgerinnen und Bürger über den aktuellen Stand der Forschung zu<br />

gesundheitlichen Auswirkungen durch Mobilfunk nicht wahrheitsgemäß unterrichtet werden.<br />

8


Meine Ausführungen haben sich in erster Linie auf Mobilfunkanlagen bezogen. Nicht zuletzt ange-<br />

sichts des hohen Sucht- und Risikofaktors, der Mobiltelefonen, Schnurlostelefonen nach <strong>dem</strong> DECT-<br />

Modus etc. zukommt, sollte eine Sammelklage diesen Faktor jedoch nicht unerwähnt lassen.<br />

Ich danke <strong>für</strong> Ihre Aufmerksamkeit!<br />

V. Verwendete bzw. empfohlene Literatur<br />

Karl/Schöpfer, Mobilfunk, Mensch und Recht (2006) 1<br />

Schöpfer, Der EGMR und der Elektrosmog: Absage an das Vorsorgeprinzip? Zugleich eine Bespre-<br />

chung der ersten Mobilfunk-Entscheidung des EGMR v 17. 1. 2006, Bsw 42756/02, RdU 2006/153,<br />

Recht der Umwelt 2007, 40<br />

Schöpfer, Das Gesundheitsrisiko Mobilfunk: Szenarien eines rechtsstaatlichen Fiaskos, juridikum 2007,<br />

205<br />

Schöpfer, Telefonieren am Steuer: lediglich ein Kavaliersdelikt? Das Versagen des Gesetzgebers beim<br />

Schutz von Verkehrsteilnehmern <strong>vor</strong> Gefahren <strong>für</strong> Leib und Leben, Zeitschrift <strong>für</strong> Verkehrsrecht 2008,<br />

326<br />

Schöpfer, Mobilfunk: Späte Lehren aus frühen Warnungen? Zugleich eine Anmerkung zur Zulässigkeits-<br />

entscheidung des <strong>Europäischen</strong> <strong>Gerichtshof</strong>s <strong>für</strong> Menschenrechte vom 3. Juli 2007, Bsw. Nr. 32.015/02,<br />

Hans Gaida/Deutschland, Natur und Recht 2010, 27 2<br />

1 Von dieser Publikation gibt es noch Restexemplare. Sie kann unter office@menschenrechte.ac.at bestellt werden.<br />

2 Eine leicht gekürzte Version dieses Beitrags ist unter www.diagnose-funk.ch/downloads/schoepfer_spaete-lehren-aus-<br />

fruehen-warnungen.pdf abrufbar.<br />

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