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Financial Times Deutschland vom 19.01.2006 ... - Portal-Darmstadt

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Einwickeln<br />

Was Wella in seinen<br />

Labors mit Haaren<br />

macht | Seite 2<br />

WWW.FTD.DE/BEILAGEN<br />

<strong>Darmstadt</strong><br />

WIRTSCHAFTSREGION IM PROFIL<br />

Entwickeln<br />

Was der Flughafenausbau<br />

den Logistikfirmen<br />

bringt | Seite 3<br />

SONDERBEILAGE DONNERSTAG, 19. JANUAR 2006<br />

Mittelständler<br />

kooperieren mit<br />

den Forschern<br />

Computerbranche profitiert<br />

von Hochschul-Absolventen<br />

VON SARA KAMMLER<br />

Ob Kunden eine Datenbank für digitale<br />

Rechnungen wünschen<br />

oder ein Archiv für das hauseigene<br />

Intranet: Der Mittelständler Active<br />

Web aus <strong>Darmstadt</strong> feilt an<br />

Lösungen, wie Daten nicht<br />

verloren gehen. Dabei sieht<br />

sich der Content-Management-Anbieter,<br />

der erst<br />

1998 gegründet wurde,<br />

mit seinem Web-Redaktionssystem<br />

in der<br />

Rolle des Vorreiters.<br />

„Unsere CMS-Plattform<br />

war eine der<br />

ersten mit ausschließlich<br />

webgestützter<br />

Bedienung“, sagt<br />

Geschäftsführer Frank Thomas<br />

Schweitzer. Dank dieser Technik sei<br />

die Bedienung des Programms besonders<br />

einfach.<br />

Active Web hat <strong>Darmstadt</strong> nicht<br />

zufällig als Standort gewählt. Die<br />

Stadt in Südhessen ist für ihre Informationstechnik-Unternehmenbekannt.<br />

Zu dem Hightech-Image tragen<br />

Konzerne wie die Deutsche Telekom<br />

und Computer Associates bei,<br />

hinzu kommen viele Mittelständler,<br />

die Technische Universität und Institute<br />

der Fraunhofer-Gesellschaft.<br />

Active Web tauscht sich auch regelmäßig<br />

mit Wissenschaftlern und<br />

anderen Unternehmen aus. Schweitzer<br />

schätzt diese Zusammenarbeit:<br />

„<strong>Darmstadt</strong> ist ein gutes Pflaster, um<br />

ein Software-Unternehmen zu gründen“,<br />

sagt er.<br />

Das Content-Management-System<br />

(CMS) von Active Web soll helfen,<br />

komplexe Daten zu strukturieren<br />

und leicht nutzbar zu machen.<br />

Beim Vertrieb ihrer Ware hilft den<br />

Darmstädtern das gut ausgebaute<br />

Netzwerk. Sie verkaufen ihre Software<br />

nicht nur an fügen sie auch<br />

selbst ins dortige System ein. „Wir<br />

sind auch Dienstleister und passen<br />

die Software den Kundenbedürfnissen<br />

an“, sagt Schweitzer. „Je nachdem,<br />

ob er sie für Wissensmanagement,<br />

Internetmarketing oder Organisationsberatung<br />

nutzt.“<br />

Studenten für sich gewinnen<br />

Den Standort <strong>Darmstadt</strong> schätzt<br />

auch Hans-Detlef Schulz, Marketingund<br />

Vertriebsleiter des IT-Sicherheitsspezialisten<br />

Media Transfer. „In<br />

<strong>Darmstadt</strong> passt für uns alles zusammen:<br />

Mit T-Online und T-Systems<br />

und zwei Versicherern haben wir vier<br />

große Kunden in der Nähe, und die<br />

Verkehrsanbindungen sind gut“, lobt<br />

Schulz. Dazu kommen Vorteile bei<br />

der Rekrutierung des Nachwuchses:<br />

Viele Studenten der Darmstädter<br />

Hochschulen schreiben ihre Diplomarbeit<br />

bei Media Transfer. „Das<br />

gibt uns die Möglichkeit, High Potentials<br />

kennen zu lernen und für uns zu<br />

gewinnen.“<br />

Media Transfer ist seit Juni vergangenen<br />

Jahres das zwölfte Unternehmen<br />

in <strong>Deutschland</strong>, das <strong>vom</strong><br />

Bundesamt für Sicherheit in der<br />

Informationstechnik (BSI) die Zulassung<br />

als Prüfstelle gemäß der so genannten<br />

Common Criteria erhalten<br />

hat. Diese internationalen Standards<br />

regeln die Anerkennung von IT-Produkten,<br />

die die Darmstädter prüfen.<br />

Um als Prüfstelle für IT-Sicherheit<br />

zugelassen zu werden, müssen Unternehmen<br />

hohe Anforderungen erfüllen.<br />

Bei Media Transfer hat sich<br />

das Zulassungsverfahren über neun<br />

Monate hingezogen. Dafür darf das<br />

Unternehmen jetzt als einziges in der<br />

Region für Sicherheit sorgen. „Zertifiziert<br />

werden nicht nur Geräte,<br />

sondern beispielsweise auch Software“,<br />

sagt Andrea Klenk, bei Media<br />

Transfer für IT-Sicherheit verantwortlich.<br />

Für die kommenden Monate erwartet<br />

sie viele Prüfungen im Zusammenhang<br />

mit der Gesundheitskarte,<br />

die kurz vor der Einführung steht.<br />

<strong>Darmstadt</strong> genießt den<br />

Ruf einer Wissenschaftsstadt.<br />

Deshalb haben viele<br />

namhafte Unternehmen<br />

hier ihren Sitz. Für sie<br />

gehören Forschung und<br />

Wirtschaft zum täglichen<br />

Geschäft.<br />

VON DAVID SELBACH<br />

UND CHRISTOPH HUS<br />

Als die Raumsonde Mars Express<br />

im Januar 2004 Wasser<br />

auf dem Roten Planeten<br />

fand, trat der wissenschaftliche<br />

Leiter der Europäischen Raumfahrtbehörde<br />

ESA, David Southwood,<br />

in <strong>Darmstadt</strong> vor die Presse.<br />

Denn hier, in ein paar unscheinbaren<br />

Flachbauten in einem Wohngebiet,<br />

bekam die Menschheit das marsianische<br />

Wasser zum ersten Mal zu sehen<br />

– oder vielmehr: die Spektralanalyse<br />

der Oberfläche.<br />

In <strong>Darmstadt</strong> ist die Kommandozentrale<br />

für die Raumschiffe und Satelliten<br />

der Europäer beheimatet. Am<br />

European Space Operations Centre<br />

(ESOC) sitzen Raumfahrtingenieure<br />

in unterirdischen, fensterlosen Hallen<br />

vor ihren Leitständen und dirigieren<br />

per Funksignal Satelliten wie<br />

den 150 Mio. € teuren Mars Express,<br />

der im Juni 2003 auf der Spitze einer<br />

Sojus-Rakete gestartet ist. Geht irgendetwas<br />

schief, ruft niemand nach<br />

Houston wie die amerikanische Nasa.<br />

Dann heißt es: „<strong>Darmstadt</strong>, wir<br />

haben ein Problem.“ Raketen und<br />

Raumfahrt sind auch in <strong>Darmstadt</strong><br />

etwas Besonderes – doch die Technologiebranche<br />

hat hier eine lange Tradition.<br />

Computer Associates, T-Online<br />

und die Software AG sind nur<br />

drei der Unternehmen mit großen<br />

Namen, die in <strong>Darmstadt</strong> ihren Sitz<br />

haben.<br />

„Die Stärke der Region liegt in Forschungs-<br />

und technologiestarken<br />

Unternehmen“, sagt Uwe Vetterlein,<br />

Hauptgeschäftsführer der Industrieund<br />

Handelskammer (IHK) Darm-<br />

Standort mit starken Partnern<br />

<strong>Darmstadt</strong> und seine Wirtschaftsregion<br />

Nachbarn <strong>Darmstadt</strong> liegt<br />

in Südhessen, zwischen<br />

Rhein und Main, und profitiert<br />

von der Nähe zu<br />

Frankfurt und dessen Flughafen.<br />

Zahlreiche Mittelständler<br />

und Konzerne<br />

haben sich in <strong>Darmstadt</strong>s<br />

Umgebung zwischen<br />

Gernsheim und Kelsterbach<br />

angesiedelt. Die<br />

Stadt zählt aktuell 138 000<br />

Einwohner, soll aber jährlich<br />

um 300 Neubürger<br />

wachsen. Das Bruttoinlandsprodukt<br />

beträgt<br />

61 583 €, die Arbeitslosenquote<br />

9,0 Prozent.<br />

138 000<br />

61 583 ¤<br />

9,0 %<br />

European Space Operations Centre in <strong>Darmstadt</strong>: der Navigationssatellit Galileo im Modell. 2008 sollen 30 solcher Satelliten um die Erde kreisen<br />

stadt. Denn die prägen den Ruf<br />

<strong>Darmstadt</strong>s als attraktiven Wirtschaftsstandort<br />

und locken auch Unternehmen<br />

anderer Branchen nach<br />

Südhessen. Die Region gilt deshalb<br />

als Hessens Musterländle.<br />

Der Erfolg beruht vor allem auf<br />

<strong>Darmstadt</strong>s Tradition als Wissenschaftsmetropole.<br />

In der Stadt sind<br />

neben drei Hochschulen auch vier<br />

Fraunhofer-Institute zu Hause. Außerdem<br />

gibt es ein Technologie- und<br />

Innovationszentrum.<br />

Die Zusammenarbeit zwischen<br />

Wissenschaft und Unternehmen gehört<br />

zum Alltag: So lernen Studenten<br />

hier nicht nur Theorie. „Wer in<br />

<strong>Darmstadt</strong> studiert, arbeitet oft<br />

schon während seiner Studienzeit für<br />

ein Unternehmen der Region“, lobt<br />

IHK-Chef Vetterlein. Viele Studenten<br />

schreiben ihre Diplomarbeiten in<br />

Zusammenarbeit mit Unternehmen<br />

der Region. Und mit dualen Studiengängen<br />

ziehen sich die Pharma- und<br />

A 3<br />

Rüsselsheim<br />

A 60<br />

Einwohnerzahl (2004),<br />

Bruttoinlandsprodukt je<br />

Erwerbstätigen (2004),<br />

Arbeitslosenquote (12/2005)<br />

Groß-Gerau<br />

Rhein<br />

Kelsterbach<br />

Biebesheim<br />

Gernsheim<br />

A 67<br />

A 5<br />

Main<br />

Frankfurt<br />

A 661<br />

<strong>Darmstadt</strong><br />

FTD/jst; Quelle: Stadt <strong>Darmstadt</strong><br />

Chemiekonzerne Merck und Röhm<br />

gut ausgebildete Fachkräfte heran.<br />

Dieses Image lockt immer mehr<br />

wissenschaftlichen Nachwuchs in<br />

die Stadt. So haben Akademiker hier<br />

einen Anteil von mehr als 18 Prozent<br />

an der Gesamtbevölkerung – gegenüber<br />

rund zehn Prozent im Landesdurchschnitt.<br />

<strong>Darmstadt</strong> besteche aber auch<br />

durch hohe Lebensqualität, sagt<br />

Thomas Dieckhoff, Geschäftsführer<br />

des Darmstädter Unter-<br />

nehmens KPSS, das unter<br />

der Marke Goldwell<br />

Haarpflegeprodukte an<br />

Friseure vertreibt.<br />

„Frankfurt ist nicht weit,<br />

und deshalb hat man hier<br />

das Angebot einer Großstadt.<br />

Trotzdem muss<br />

man auf eine gewisse Intimität<br />

nicht verzichten“, schwärmt<br />

Dieckhoff. Für KPSS ist das ein wichtiger<br />

Standortvorteil: Dieckhoff fällt<br />

es nicht schwer, selbst solche Bewerber<br />

für sein Unternehmen zu gewinnen,<br />

die bisher in Metropolen wie<br />

München oder Hamburg gearbeitet<br />

haben. Denn: „Wer hat schon ein Büro,<br />

von dem aus er in der Mittagspause<br />

innerhalb von zwei Minuten<br />

zum Laufen im Wald ist?“<br />

Zudem sei die Stadt extrem gut zu<br />

erreichen, sagt der KPSS-Chef:<br />

„<strong>Darmstadt</strong>s Verkehrsanbindung ist<br />

ideal: Wer uns besuchen will, ist mit<br />

dem Flugzeug, dem Auto oder der<br />

Bahn schnell hier.“<br />

Auch wegen der starken Unternehmen<br />

der Region ist es in <strong>Darmstadt</strong><br />

leichter als anderswo, einen Arbeitsplatz<br />

zu finden. Gute Aussichten haben<br />

vor allem Ingenieure. Besonders<br />

begehrt sind bei den Unternehmen<br />

in der Region Maschinenbauingenieure,<br />

Elektrotechniker und Chemiker.<br />

„Wir brauchen<br />

uns nicht zu<br />

verstecken“<br />

Uwe Vetterlein,<br />

IHK-Chef<br />

Die Zukunft des Standorts soll aber<br />

auch in modernen Dienstleistungsbranchen<br />

liegen, das haben die Wirtschaftsförderer<br />

der Stadt sich vorgenommen.<br />

Ein Vorbild, über die Grenzen<br />

Hessens bekannt, ist T-Online:<br />

Die Tochter der Deutschen Telekom<br />

hat auf dem Gelände des so genannten<br />

Europäischen Viertels kürzlich<br />

ihre neue Zentrale gebaut. Das Internetunternehmen<br />

soll jetzt wie ein<br />

Magnet für andere Technologie- und<br />

Dienstleistungsfirmen<br />

wirken.<br />

Den Strukturwandel<br />

hat <strong>Darmstadt</strong> besser<br />

gemeistert als andere Regionen.<br />

In den 90er Jahren<br />

gingen zwar auch hier<br />

mehrere Tausend Arbeitsplätze<br />

verloren, die<br />

meisten in der Druckindustrie<br />

und im Maschinenbau.<br />

Gleichzeitig boomten aber andere<br />

Branchen, die der Stadt neue Arbeitsplätze<br />

bescherten. Dennoch steht für<br />

den Oberbürgermeister die Industrie<br />

immer noch an erster Stelle: „<strong>Darmstadt</strong><br />

ist eine Stadt des produzieren-<br />

den Gewerbes und soll dies bleiben.<br />

Auch eine Wissenschaftsstadt<br />

kommt ohne Produktion nicht aus.“<br />

Bestes Beispiel für den Erfolg sind die<br />

Autozulieferer der Region.<br />

Probleme bereitet Wirtschaft und<br />

Politik nur, dass Wohnungen in<br />

<strong>Darmstadt</strong> ein knappes und teures<br />

Gut sind. Der Raum für Neubauviertel<br />

ist sehr begrenzt, und viele Menschen<br />

pendeln deshalb zur Arbeit<br />

nach <strong>Darmstadt</strong>. Entspannung bringen<br />

könnte der geplante Abzug der<br />

amerikanischen Streitkräfte in den<br />

kommenden Jahren.<br />

Die Mehrheit der Unternehmen in<br />

der Region beklagt sich nicht, wie die<br />

Konjunkturumfrage der IHK belegt.<br />

Danach bewerten 26 Prozent der Unternehmen<br />

die Geschäftslage als gut,<br />

52 Prozent als befriedigend und 22<br />

Prozent als schlecht – eine deutliche<br />

Verbesserung im Vergleich zu den<br />

Vormonaten.<br />

Und so scheut der IHK-Chef Vetterlein<br />

nicht den Vergleich mit München:<br />

„Das hört sich zwar zuerst vermessen<br />

an. Aber wir brauchen uns<br />

nicht zu verstecken.“<br />

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Laif/Tim Wegner; Wella; Fraport


A2 DARMSTADT<br />

Erfolgreiche<br />

Symbiosen in<br />

<strong>Darmstadt</strong><br />

Die Pharmaindustrie lebt von<br />

ihrer guten Vernetzung<br />

VON FRIEDERIKE KRIEGER<br />

Eine Plexiglasscheibe, ein neuartiges<br />

Erfrischungsgetränk und ein<br />

Flachbildfernseher haben mehr gemeinsam,<br />

als zunächst zu vermuten<br />

ist. Direkt oder indirekt haben solche<br />

Produkte ihren Ursprung in der<br />

Pharma- und Chemiebranche in<br />

<strong>Darmstadt</strong>. Das Erfolgsrezept für die<br />

große Innovationstätigkeit ist ein<br />

Netzwerk aus Großunternehmen,<br />

Mittelständlern und Forschungsinstituten<br />

von Universität und Fachhochschule.<br />

Bei Pharma und Chemie kann<br />

<strong>Darmstadt</strong> auf eine lange Tradition<br />

zurückblicken: Schon 1668 siedelte<br />

sich mit dem Apotheker Merck das<br />

erste Unternehmen dieser Sparte an.<br />

Heutzutage ist der weltweit agierende<br />

Konzern mit seinen rund 8000<br />

Beschäftigten der größte Arbeitgeber<br />

in <strong>Darmstadt</strong>. Im Jahr 2003 erhielt<br />

Merck den Deutschen Zukunftspreis<br />

der Bundesregierung für die Entwicklung<br />

einer neuen Flüssigkristallmischung,<br />

mit der Displayhersteller<br />

großformatige Flachbildfernseher<br />

produzieren können. Zweiter Gigant<br />

der Branche ist Röhm, das sich mit<br />

der Erfindung des Plexiglases einen<br />

Namen gemacht hat und inzwischen<br />

zu Degussa gehört.<br />

Agile Szene an der Universität<br />

„Daneben hat sich im Umfeld der<br />

Großkonzerne und der Institute der<br />

Technischen Universität und der<br />

Fachhochschule eine agile Szene an<br />

kleinen und mittelständischen Unternehmen<br />

herausgebildet“, sagt Michael<br />

Kolmer, Leiter des Amts für<br />

Wirtschaft und Stadtentwicklung.<br />

Mehr als 30 Firmen zählt die Darmstädter<br />

Chemie- und Pharmabranche<br />

inzwischen. Es sind vor allem<br />

Ausgründungen aus Unternehmen<br />

und Hochschulen im Bereich der<br />

Biotechnologie, die die Branche bereichern.<br />

„Im Gegensatz zu anderen<br />

Städten haben sich die Darmstädter<br />

Biotechnologie-Firmen über den<br />

Gründungsboom im Jahre 2000 hinaus<br />

gehalten“, sagt Kolmer. Mit universitärem<br />

Hintergrund wie einem<br />

Professor im Aufsichtsrat oder Kontakten<br />

zu Großunternehmen, die als<br />

Kapitalgeber fungieren können, seien<br />

die Newcomer gut aufgestellt.<br />

Eines dieser Unternehmen ist die<br />

1999 von der Technischen Universität<br />

und der Fachhochschule gegründete<br />

N-Zyme Biotec, die Enzyme<br />

für den Einsatz im medizinischpharmazeutischen<br />

Bereich und im<br />

Lebensmittelsektor weiterentwickelt.<br />

Mit ins Boot geholt haben sich<br />

die Wissenschaftler Döhler, einen<br />

der führenden Anbieter von Getränkegrundstoffen.<br />

Martin Hils aus der<br />

Forschungs- und Entwicklungsabteilung<br />

von N-Zyme schätzt das gute<br />

Innovationsklima in <strong>Darmstadt</strong>. „Jeder<br />

hat seine Nische gefunden, und<br />

man pflegt gute Kontakte“, erklärt er.<br />

Ähnlich sieht es auch Kolmer: „Es<br />

herrschen symbiotische Verhältnisse.“<br />

Lockenhaartest im Labor von Wella in <strong>Darmstadt</strong>. Das Unternehmen hat seine Ausgaben für Forschungszwecke verdreifacht<br />

Laif/Stephan Elleringmann; PR<br />

„<strong>Darmstadt</strong><br />

muss gezielt<br />

seine ökonomische<br />

Nische<br />

suchen“<br />

Walter Hoffmann,<br />

Oberbürgermeister<br />

DONNERSTAG, 19. JANUAR 2006<br />

FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND<br />

Von Haarkosmetik bis Weltraumtechnik<br />

<strong>Darmstadt</strong> baut seine Zukunft auf Forschung und<br />

Entwicklung. Unternehmen wie Wella oder Merck nutzen<br />

den Standort genauso wie die Weltraumagentur ESA.<br />

VON HOLGER ELFES<br />

Stolz sind die Darmstädter auf<br />

den Beinamen, der ihrer Stadt<br />

vor neun Jahren <strong>vom</strong> hessischen<br />

Innenministerium verliehen<br />

wurde: „Wissenschaftsstadt“.<br />

Dass sie sich damit gegen den Konkurrenten<br />

Frankfurt durchsetzen<br />

konnten, macht den Titel noch attraktiver.<br />

Die 138 000-Einwohner-Stadt im<br />

Südhessischen setzt auf Forschung<br />

und Entwicklung. Ein wirtschaftspolitisches<br />

Konzept, das der Stadt<br />

über den Verlust von 10 000 Arbeitsplätzen<br />

im produzierenden Sektor in<br />

den 90er Jahren hinweghelfen soll.<br />

Für Oberbürgermeister Walter<br />

Hoffmann gibt es zu dieser Ausrichtung<br />

keine ernsthafte Alternative.<br />

„<strong>Darmstadt</strong> muss gezielt seine ökonomische<br />

Nische suchen. Wir müssen<br />

uns flexibel spezialisieren, ohne<br />

uns von einer einzelnen Branche abhängig<br />

zu machen.“<br />

Dazu sollen auch die drei Hochschulen<br />

in <strong>Darmstadt</strong> beitragen: die<br />

bekannte Technische Universität –<br />

die bundesweit beachtete autonome<br />

Modellhochschule mit 16 000 Studierenden<br />

– sowie eine evangelische<br />

und eine staatliche Fachhochschule,<br />

mit 11 000 Studierenden die größte<br />

Hessens. Dazu kommen mehr als<br />

30 Forschungseinrichtungen. Die<br />

Schwerpunkte in Forschung und<br />

Lehre liegen insbesondere im Ingenieur-<br />

und naturwissenschaftlichen<br />

Bereich, etwa bei renommierten<br />

Forschungsinstituten wie der Gesellschaft<br />

für Schwerionenforschung<br />

(GSI) oder dem Deutschen Kunststoff-Institut<br />

(DKI). Allein vier Fraunhofer-Institute<br />

haben ihren Sitz in<br />

<strong>Darmstadt</strong>: das Fraunhofer-Institut<br />

für Graphische Datenverarbeitung<br />

(IGD), für Betriebsfestigkeit und<br />

Systemzuverlässigkeit (LBF), für<br />

Sichere Informations-Technologie<br />

(SIT) und für Integrierte<br />

Publikations- und Informationssysteme<br />

(IPSI).<br />

Hinzu kommt, dass<br />

<strong>Darmstadt</strong> eine Domäne<br />

der unternehmensgebundenen<br />

Forschung ist.<br />

Pharmariese Merck, die<br />

Deutsche Post und der<br />

Telekom-Konzern mit<br />

der Tochter T-Systems<br />

haben hier ihre Entwicklungszentren.<br />

Komplettiert wird das<br />

Bild der „Wissenschaftsstadt“<br />

durch internationale<br />

Organisationen der<br />

Weltraum- und Satellitenkontrolle.ESA-Raketenstarts<br />

und Weltraummissionen<br />

werden durch<br />

das European Space Operation<br />

Centre (ESOC) vor<br />

Ort gesteuert und bringen<br />

den Namen <strong>Darmstadt</strong>s<br />

regelmäßig auch in die internationale<br />

Presse. Eumetsat spielt als<br />

internationale Organisation zur Kontrolle<br />

der Wettersatelliten eine wichtige<br />

Rolle für den kurzfristigen Wetterbericht<br />

ebenso wie für die globale<br />

Klimabeobachtung.<br />

Angesichts dieses Netzwerks setzt<br />

die kommunale Wirtschaftspolitik<br />

auf fünf Hightech-Schwerpunkte, die<br />

sich in der Forschungsszene widerspiegeln.<br />

„Die Zukunft des Wirtschaftsstandorts<br />

<strong>Darmstadt</strong> baut auf<br />

die Technologie aus den Bereichen<br />

Chemie, Pharma und Biotechnik, auf<br />

den IT-Sektor, die Mechatronik, die<br />

Haarkosmetik sowie die Weltraumund<br />

Satellitentechnik“, sagt Oberbürgermeister<br />

Hoffmann. Zu den<br />

Flaggschiffunternehmen zählen<br />

Röhm Degussa, T-Online,<br />

die Software AG, Computer<br />

Associates und gleich<br />

drei bedeutende Haarkosmetik-Produzenten:<br />

Wella, Goldwell und Paul<br />

Mitchell. Zusammen halten<br />

die drei rund 60 Prozent<br />

Anteil am deutschen<br />

Haarkosmetikmarkt.<br />

Die Beschäftigungseffekte<br />

der ForschungsundEntwicklungsein-<br />

richtungen selbst sind in<br />

der Wissenschaftsstadt<br />

enorm. Schätzungen gehen<br />

davon aus, dass in<br />

<strong>Darmstadt</strong> 40 000 Menschen<br />

direkt oder indirekt<br />

mit Forschung und Entwicklung<br />

verbunden<br />

sind. Bei knapp 120 000<br />

Erwerbstätigen ist das ein<br />

gutes Drittel. Allein die<br />

TU <strong>Darmstadt</strong> beschäftigt<br />

rund 3000 Mitarbeiter und zählt<br />

damit zu den Top Ten der Arbeitgeber<br />

in der Stadt.<br />

Optisches Symbol der Wissenschaftsstadt<br />

wird bis Ende 2007 das<br />

bereits im Bau befindliche Wissenschafts-<br />

und Kongresszentrum zwischen<br />

TU-Hauptgebäude, Schloss<br />

und Innenstadt werden. Rund<br />

77 Mio. € kostet das Joint Venture<br />

zwischen Stadt und TU. „<strong>Darmstadt</strong>ium“<br />

heißt das Zentrum. Ein<br />

Name, der nur Chemiker nicht stutzen<br />

lässt: Das Element 110 im Periodensystem<br />

trägt diesen Namen.<br />

Auto-Zulieferer punkten mit Spezialwissen<br />

Mittelständler der Region bündeln ihre Schlagkraft · Initiative hat inzwischen 180 Mitglieder · Bessere Lage bei Opel erleichtert die Branche<br />

VON SARA KAMMLER<br />

Bei Opel geht es wieder aufwärts.<br />

Der Autohersteller mit Stammsitz<br />

im hessischen Rüsselsheim<br />

scheint nach einem schwierigen Jahr<br />

die Talsohle durchschritten zu haben.<br />

Betriebsratschef Klaus Franz jedenfalls<br />

zeigt sich optimistisch: „Die<br />

Stückzahlen, die Qualität und das<br />

Image zeigen nach oben. Ich gehe<br />

davon aus, dass 2006 wieder eine<br />

schwarze Null geschrieben wird.“<br />

Die Nachrichten von Opel lassen<br />

die ganze Region zwischen Frankfurt<br />

und <strong>Darmstadt</strong> aufatmen. Schließlich<br />

ist das Traditionsunternehmen<br />

für Südhessen so wichtig wie DaimlerChrysler<br />

für das Schwabenland.<br />

Außerdem hat die Entwicklung bei<br />

Opel eine wichtige Signalfunktion für<br />

die ganze Zuliefererbranche.<br />

Und die ist rund um <strong>Darmstadt</strong><br />

stark vertreten: Vor drei Jahren haben<br />

sich Unternehmen der Rhein-Main-<br />

Neckar-Region auf Initiative der<br />

Industrie- und Handelskammer<br />

<strong>Darmstadt</strong> zusammen-<br />

geschlossen. Jetzt versteht<br />

man sich als „Automotive<br />

Cluster“, also als<br />

Schwerpunktregion der<br />

Automobiltechnik. Die<br />

Unternehmen wollten<br />

ein Netz errichten, das<br />

die Kompetenzen der<br />

einzelnen Firmen vereint<br />

und ihre Schlagkraft bündelt.<br />

Inzwischen hat die Initiative<br />

180 Mitglieder.<br />

Viele Autozulieferer in der Region<br />

sind stark spezialisiert. So setzt zum<br />

Beispiel die Firma H. Diedrichs aus<br />

<strong>Darmstadt</strong> auf Isolier- und Abschirmtechnik.<br />

Ursprünglich Spielzeug-<br />

und Kinderwagenproduzent,<br />

entwickelte Helmut Diedrichs ein<br />

Tiefpressverfahren für Spezialpappe,<br />

um einen stromlinienförmigen Kinderwagen<br />

bauen zu können. Auf<br />

diese Technik wurde die Automobilindustrie<br />

aufmerksam. Und mit<br />

Volkswagen ließ der erste Autokunde<br />

nicht lange auf sich warten.<br />

Inzwischen hat Diedrichs auch ein<br />

Aluminiumblech entwickelt, das besonders<br />

stabil ist und sich dennoch<br />

bei der Produktion sehr gut formen<br />

lässt. Verwendet wird dieses „Nopal“<br />

beispielsweise für Wärmeabschirmbleche,<br />

Karosserieteile und Verkleidungen.<br />

Das mittelständische Unternehmen<br />

Lang-Rohrbiegemaschinen in<br />

Michelstadt ist im vergangenen Jahr<br />

mit dem „Unternehmerpreis Innovativer<br />

Mittelstand 2005“ ausgezeichnet<br />

worden. Der Heizungsbauer Ludwig<br />

Lang hatte 1945 einen Rohr-<br />

„2006 wird<br />

wieder eine<br />

schwarze Null<br />

geschrieben“<br />

Klaus Franz,<br />

Betriebsrat Opel<br />

<strong>Darmstadt</strong> mischt überall vorne mit<br />

Spitzenreiter Eine Studie<br />

des Basler Prognos-<br />

Instituts aus dem Jahr<br />

2004 bescheinigt <strong>Darmstadt</strong><br />

große „Zukunftsfähigkeit“.<br />

Unter 439<br />

Städten und Landkreisen<br />

liegt <strong>Darmstadt</strong> auf Platz<br />

vier – wegen seiner<br />

guten Wirtschaftsstruktur,<br />

der niedrigen<br />

Arbeitslosigkeit und<br />

herausragenden Wettbewerbsfähigkeit. <br />

biegeapparat entwickelt, um das Verlegen<br />

von Wasser- und Heizungsrohren<br />

zu vereinfachen. Heutzutage<br />

werden in Michelstadt Rohrbiegemaschinen<br />

für die ganze Welt gebaut<br />

und für etliche Branchen<br />

– auch für die Automobilindustrie<br />

und deren Zulieferer.<br />

Bei Sauer Product in<br />

Dieburg kümmern sich<br />

hessische Ingenieure um<br />

die Mehrkomponententechnik.<br />

„Wir erstellen<br />

Bauteile, bei denen harte<br />

und weiche Materialien<br />

verarbeitet werden“, sagt Geschäftsführer<br />

Jürgen Sauer. „Man hat bei<br />

diesem Verfahren einen harten Basiswerkstoff,<br />

den man mit einer<br />

Weichkomponente als Dichtfunktion<br />

verbindet.“ Ein Produkt einer<br />

solchen Herstellungsweise sind zum<br />

Beispiel Kraftstoffeinfüllstutzen.<br />

Die Kernkompetenz des mittelständischen<br />

Unternehmens ist die<br />

Entwicklung und Herstellung von<br />

Kunststoffteilen für die Automobilbauer.<br />

Im Auftrag der Industrie<br />

entwickelt Sauer Prototypen<br />

für Autoteile, die ein Laser<br />

aus speziellem Kunststoff formt.<br />

Sauer liefert aber auch Serienmodelle.<br />

Zu den Kunden des<br />

Unternehmens zählen die großen<br />

Namen in der Automobilindustrie:<br />

Audi, BMW und<br />

DaimlerChrysler.<br />

Opel steht zwar nicht auf<br />

der Liste der Kunden, dennoch<br />

hat auch Sauer sich<br />

gefreut, dass es den Rüsselsheimern<br />

wieder besser<br />

geht – schließlich stärken<br />

positive Nachrichten<br />

von dort das Auto-<br />

Image der ganzen Region.<br />

Himmelsstürmer Die<br />

Darmstädter Weltraumkontrollbehörde<br />

ESOC<br />

wird künftig 15 der 30 Satelliten<br />

des internationalen<br />

Navigationssystems<br />

Galileo steuern. Das nach<br />

dem italienischen Astronomen<br />

und Physiker Galileo<br />

Galilei benannte Projekt<br />

soll 100 000 neue<br />

Arbeitsplätze in ganz<br />

Europa schaffen – und<br />

auch viele Jobs vor Ort.<br />

Sonnenanbeter Die südhessische<br />

Stadt mit den<br />

überdurchschnittlich<br />

vielen Sonnenstunden im<br />

Jahr ist bundesweit eine<br />

Vorreiterkommune bei<br />

der Nutzung von Ökostrom.<br />

Rund 32 Prozent<br />

des Strombedarfs werden<br />

aus 24 Solarkraftwerken<br />

gedeckt. Im Dezember<br />

2005 wurde die 100.<br />

Photovoltaikanlage der<br />

Region eingeweiht.<br />

Montageband für den Opel Vectra in Rüsselsheim.<br />

Seit 1929 gehört Opel zu General Motors<br />

FREELENS Pool/Friedrich Stark


DONNERSTAG, 19. JANUAR 2006<br />

FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND DARMSTADT A3<br />

Ein Cargo-Jumbo der China Air nimmt auf dem Rhein-Main-Flughafen seine Fracht auf. Im November 2005 wurden hier 8132 Tonnen innerhalb von 24 Stunden be- und entladen. Ein neuer Tagesrekord<br />

Die Region rund um<br />

<strong>Darmstadt</strong> ist für Logistiker<br />

ein idealer Standort. Denn<br />

Südhessen profitiert <strong>vom</strong><br />

Frachtflughafen Frankfurt<br />

und dient als Verteilzentrum<br />

für Süddeutschland. Die<br />

Branche will weiter<br />

expandieren und hofft auf<br />

den Ausbau des Flughafens.<br />

VON DAVID SELBACH<br />

Das kleine Städtchen Kelsterbach<br />

mit seinen gerade einmal<br />

gut 15 000 Einwohnern<br />

hat unter Logistikern einen<br />

guten Ruf. Hier sind fast alle großen<br />

Transportspezialisten, Spediteure<br />

und Paketdienste der Branche mit<br />

Dependancen vertreten: die deutschen<br />

Logistiker Lufthansa Cargo<br />

und Schenker genauso wie das amerikanische<br />

Unternehmen Federal<br />

Express (Fedex) und der japanische<br />

Spediteur Nippon Express.<br />

Kein Wunder: Kelsterbach grenzt<br />

im Süden unmittelbar an den Rhein-<br />

Main-Flughafen und zeigt, wie der<br />

größte Frachtflughafen<br />

Europas die Region Südhessen<br />

verändert hat.<br />

<strong>Darmstadt</strong> und vor allem<br />

der Landkreis Groß-Gerau<br />

im Südwesten profitieren<br />

stark <strong>vom</strong> Flughafen,<br />

auf dem jedes Jahr<br />

1,8 Millionen Tonnen<br />

Tiefkühlfisch, DVD-Player<br />

und Eilpakete verladen<br />

werden. Das sind<br />

12 000 prall gefüllte Jumbo-Jets. Tendenz<br />

steigend: Das Frachtaufkommen<br />

in der „Cargo City“ legte 2004<br />

um gut 13 Prozent zu.<br />

„Für die Region ist der Flughafen<br />

extrem wichtig“, sagt Marc Köhler<br />

<strong>vom</strong> Speditions- und Logistikverband<br />

Hessen/Rheinland-Pfalz.<br />

„Südhessen lebt von der Cargo City<br />

und der Luftfracht.“ Deshalb hofft<br />

die Branche auch auf den geplanten<br />

Ausbau des Flughafens. Zurzeit baut<br />

Lufthansa für 150 Mio. € eine neue<br />

Werfthalle für Riesenflugzeuge <strong>vom</strong><br />

Typ Airbus A380. Bis 2009 will die<br />

Flughafengesellschaft Fraport eine<br />

neue Landebahn im Nordwesten in<br />

Betrieb nehmen. Dann sind 120 statt<br />

80 Flugbewegungen pro Stunde<br />

möglich.<br />

Bis 2015 soll ein dritter Terminal<br />

fertig sein: „Für den Flughafen<br />

Flughafenausbau<br />

Jobmacher Direkt am<br />

Flughafen soll es 18 000<br />

neue Arbeitsplätze geben,<br />

zudem indirekte Jobs bei<br />

Lieferanten: 11 000. Die Beschäftigten<br />

geben ihr Geld<br />

in der Region aus – macht<br />

noch einmal 14 000 Jobs.<br />

Im gesamten Bezirk <strong>Darmstadt</strong><br />

sollen 54 000 zusätzliche<br />

Jobs bei Unternehmen<br />

entstehen, die von<br />

einer verbesserten Flughafenanbindung<br />

profitieren.<br />

Logistiker zieht es nach Südhessen<br />

„Südhessen lebt<br />

von der Cargo<br />

City und der<br />

Luftfracht“<br />

Marc Köhler,<br />

Speditions- und Logistikverband<br />

Hessen<br />

Flughafenausbau schafft neue Arbeitsplätze<br />

Anzahl<br />

11 000<br />

indirekte Effekte<br />

(durch den Bau)<br />

18 000<br />

direkte Effekte<br />

(am Flughafen)<br />

14 000<br />

in der Region<br />

(durch steigende<br />

Konsumnachfrage)<br />

Frankfurt wird bis dahin vorausgesagt,<br />

dass hier mehr als 80 Millionen<br />

Menschen starten und landen<br />

wollen“, sagt Wilhelm Bender, Vorstandsvorsitzender<br />

der Fraport AG.<br />

Um dieser Nachfrage gerecht zu<br />

werden, würden die neue Startbahn<br />

und ein weiteres Terminal gebraucht.<br />

„Nur mit dem Ausbau sichern wir<br />

unsere Position als eines der großen<br />

internationalen Luftverkehrsdrehkreuze.“<br />

Die A380-Werft wäre kurz vor<br />

Schluss beinahe am Widerstand von<br />

Naturschützern, Bürgerinitiativen<br />

und einigen Umlandgemeinden gescheitert,<br />

weil für den Bau rund 21<br />

Hektar zum Teil geschützter Wald<br />

gerodet werden müssen. Die Ausbaugegner<br />

befürchten eine starke<br />

Zunahme des Fluglärms – und sie bezweifeln<br />

die Wachstumsprognosen<br />

der Fraport AG.<br />

Für die Region soll der Flughafenausbau<br />

bis zu 100 000 zusätzliche<br />

Arbeitsplätze bringen, ein Großteil<br />

davon im Logistiksektor. Das ist das<br />

Ergebnis eines von Flughafenbefürwortern<br />

immer wieder zitierten Gutachtens<br />

der Universität Frankfurt<br />

(siehe Grafik). Auf jeden Beschäftigten<br />

am Flughafen kommt demnach<br />

noch einmal ein Mehrfaches an<br />

Beschäftigten im Umland.<br />

Im Bezirk der Industrie- und Handelskammer<br />

<strong>Darmstadt</strong><br />

sind heutzutage bereits<br />

21 000 Menschen im Sektor<br />

Transport und Logistik<br />

beschäftigt, berichtet<br />

Marc Köhler <strong>vom</strong> Logistikverband.<br />

„Für die Region<br />

Südhessen ist Logistik<br />

der bedeutendste<br />

Wirtschaftszweig“, sagt<br />

er. „Im gesamten Rhein-<br />

Main-Gebiet belegt die<br />

Logistik Rang zwei nach den Finanzdienstleistungen.“<br />

Fast 3000 Unternehmen<br />

machen rund 3 Mrd. €<br />

Umsatz pro Jahr. Einer IHK-Statistik<br />

zufolge stieg die Zahl der Beschäftigten<br />

im Jahr 2004 gegen alle<br />

Konjunkturtrends sogar noch: um<br />

1,6 Prozent.<br />

Schwerpunkt der Branche ist der<br />

Landkreis Groß-Gerau, in dem allein<br />

900 Logistikfirmen ihren Sitz haben.<br />

Neben den Luftfrachtlogistikern in<br />

Kelsterbach haben hier viele Handelsunternehmen<br />

ihre Versandzentren<br />

für Süddeutschland aufgebaut:<br />

Von Biebesheim aus verschickt der<br />

Kosmetikproduzent Goldwell seine<br />

Profi-Haarkolorationen und Shampoos<br />

an Friseure in das ganze Bundesgebiet.<br />

Partner von Goldwell ist<br />

der Logistiker G. L. Kayser mit Sitz in<br />

Mainz.<br />

gesamt<br />

97 000<br />

54 000<br />

Gastronomie,<br />

Zulieferer und<br />

Logistik<br />

FTD/jst; Quelle: Hujer,<br />

Rürup et al. 2003/<br />

Baum, Esser, Kurte 2003<br />

Der Bremer Kaffeeröster Tchibo,<br />

der inzwischen einen großen Teil seines<br />

Geschäfts mit Handys, Mikrowellen,<br />

Schmuck und Fahrrädern<br />

macht, lässt Haushalts- und Elektronikartikel<br />

seit 2004 <strong>vom</strong> südhessischen<br />

Gernsheim aus nach Süddeutschland<br />

ausliefern. Täglich rollen<br />

40 bis 50 Lkw voller Waren zu<br />

Tchibos Logistikzentrum. Die Nähe<br />

NEU!<br />

+<br />

+<br />

Für Profis.<br />

der Autobahn A 67 macht Gernsheim<br />

attraktiv für Händler, außerdem der<br />

Containerhafen am Rhein.<br />

In <strong>Darmstadt</strong> selbst betreibt die<br />

ehemalige Güterbahnsparte der<br />

Deutschen Bahn AG, Railion, seit<br />

2002 das Lager- und Logistikzentrum<br />

<strong>Darmstadt</strong>. Und mit Logosys Logistik<br />

hat ein Speziallogistiker für die Pharmabranche<br />

seinen Sitz in <strong>Darmstadt</strong>.<br />

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bis zur Dialyseflüssigkeit,<br />

werden von hier aus verschickt:<br />

für Kunden wie Fresenius,<br />

Merck, Herbalife und Procter & Gamble<br />

Pharmaceuticals.<br />

„Die Handelslogistiker in Südhessen<br />

werden <strong>vom</strong> Flughafenausbau<br />

vor allem indirekt profitieren“, sagt<br />

Uwe Hofmann, Inhaber der Hof-<br />

mann Internationale Spedition in<br />

Biebesheim. Auch Hofmann übernimmt<br />

im Auftrag reiner Luftfrachtfirmen<br />

mit seinen 60 Lkw die „Feinverteilung“<br />

von Waren. Das macht<br />

für ihn weniger als fünf Prozent seines<br />

Geschäfts aus. Dennoch setzt er<br />

auf A380-Werft, Landebahn und Terminal,<br />

denn die würden schließlich<br />

der ganzen Region zugute kommen.<br />

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Bilderberg/Rene Spalek


A4 DARMSTADT<br />

Touristen<br />

bleiben meist<br />

zwei Nächte<br />

<strong>Darmstadt</strong> nutzt die gute<br />

Verkehrsanbindung<br />

VON VERENA DIETHELM<br />

Die Konkurrenz ist groß. Aber obwohl<br />

<strong>Darmstadt</strong> in der Nähe von<br />

Tourismuszentren wie Frankfurt und<br />

Heidelberg liegt, zählt die Wissenschaftsstadt<br />

jährlich mehr als<br />

454 000 Übernachtungen. Die Tourismuswirtschaft<br />

in <strong>Darmstadt</strong> profitiert<br />

vor allem von der günstigen<br />

Verkehrslage im Rhein-Main-Gebiet.<br />

Dabei erweist sich die Nähe zu einer<br />

der größten Drehscheiben Europas,<br />

dem Frankfurter Flughafen, wo jährlich<br />

mehr als 51 Millionen Passagiere<br />

aus aller Welt ankommen, als größter<br />

Standortvorteil.<br />

„<strong>Darmstadt</strong> liegt näher am Flughafen<br />

als die Frankfurter Innenstadt.<br />

Das ist ein Riesenvorteil“, sagt Michael<br />

Blechschmitt, Geschäftsführer<br />

der Darmstädter Stadt- und Touristikmarketing-Gesellschaft<br />

Proregio.<br />

Gerade für Touristen aus Übersee,<br />

die sich auf dem Weg nach Mannheim,<br />

Heidelberg, Stuttgart oder<br />

München befänden, sei <strong>Darmstadt</strong><br />

daher ein „lohnendes Etappenziel“.<br />

Besonders beliebt ist <strong>Darmstadt</strong> bei<br />

Gästen aus den USA, Japan und<br />

Großbritannien. Rund 30 Prozent<br />

aller Besucher kommen aus dem<br />

Ausland. Ihre durchschnittliche Aufenthaltsdauer<br />

in <strong>Darmstadt</strong> liegt bei<br />

durchschnittlich zwei Tagen.<br />

Für die unterschiedlichen Interessen<br />

der Touristen stellt die Proregio<br />

ein individuelles Programm mit Führungen<br />

und Fachvorträgen in der<br />

Landessprache zusammen. Zum<br />

Pflichtprogramm zählen natürlich<br />

die Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe,<br />

die 2000 nach Plänen<br />

von Friedensreich Hundertwasser<br />

erbaute Waldspirale, aber auch die<br />

Forschungseinrichtungen der Europäischen<br />

Weltraumorganisation und<br />

die Eumetsat-Kontrollzentrale.<br />

Chinesen lernen Recycling<br />

Für Gäste aus China gibt es ein spezielles<br />

Angebot der Proregio: „Chinesen<br />

interessieren sich besonders für<br />

unsere Abfallentsorgungs- und Recyclinganlagen“,<br />

sagt Blechschmitt.<br />

2004 hat die Proregio die Zahl ihrer<br />

Stadtführungen um fast 25 Prozent<br />

auf mehr als 1260 Führungen gesteigert.<br />

„Der Tourismus hat eine sehr<br />

große Bedeutung in <strong>Darmstadt</strong> –<br />

auch als Wirtschaftsfaktor“, sagt der<br />

Proregio-Chef. Dies belegt auch eine<br />

Untersuchung des Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen<br />

Instituts<br />

für Fremdenverkehr (DWIF) in München.<br />

Demnach gibt ein Übernachtungsgast<br />

im Großraum Frankfurt/<br />

Rhein-Main im Durchschnitt<br />

119,70 € pro Tag aus. Daraus lassen<br />

sich für <strong>Darmstadt</strong> Bruttoumsätze<br />

aus dem Marktsegment Tourismus<br />

von rund 54 Mio. € errechnen.<br />

Auch den Tagesausflüglern wird<br />

eine große wirtschaftliche Bedeutung<br />

beigemessen. 2004 besuchten<br />

33,3 Millionen Tagesreisende <strong>Darmstadt</strong><br />

und die Region Odenwald-<br />

Bergstraße-Neckartal. Auf Basis einer<br />

Erhebung des DWIF ergeben sich daraus<br />

für die Region Bruttoumsätze<br />

von rund 809 Mio. €.<br />

WM soll Auslastung erhöhen<br />

Für das laufende Jahr erwartet <strong>Darmstadt</strong><br />

vor allem durch die Fußball-<br />

Weltmeisterschaft touristische Impulse.<br />

Zwar ist die Stadt nicht selbst<br />

Austragungsort, liegt aber gut erreichbar<br />

in der Nähe der Spielstätten<br />

in Kaiserslautern, Frankfurt und<br />

Stuttgart. Die Darmstädter IHK rechnet<br />

durch die WM in Südhessen mit<br />

einem zusätzlichem Umsatz von<br />

55 Mio. €.<br />

„Ich erhoffe, dass durch die Fußball-WM<br />

die Auslastung in den Sommermonaten<br />

erfolgt“, sagt Proregio-<br />

Chef Blechschmitt. Die Darmstädter<br />

Hoteliers könnten vor allem dadurch<br />

punkten, dass sie während der Weltmeisterschaft<br />

im Gegensatz zu ihren<br />

Frankfurter Kollegen keine Zuschläge<br />

erheben, sondern bei ihren<br />

üblichen Preisen bleiben. In den<br />

Darmstädter Hotels und Privatunterkünften<br />

stehen mehr als 3300 Betten<br />

zur Verfügung. Um das Geschäft<br />

anzukurbeln, wird <strong>Darmstadt</strong> zur<br />

WM den „Summer in the City“ veranstalten.<br />

Auf einer Großbildleinwand<br />

in der Innenstadt können<br />

Gäste und Einheimische die Spiele<br />

verfolgen, ein Rahmenprogramm<br />

soll aber auch Nicht-Fußballbegeisterte<br />

unterhalten.<br />

<strong>Darmstadt</strong>ium: eine 3-D-Simulation des neuen Wissenschafts- und Kongresszentrums in der Innenstadt von <strong>Darmstadt</strong>. Es soll am 6. Dezember 2007 eröffnet werden<br />

Jugendstil<br />

Vorreiter Äußerlich kennzeichnen<br />

den Jugendstil dekorativ geschwungene<br />

Linien und flächenhafte Blumenornamente.<br />

Die Symmetrie der<br />

Formen wurde aufgegeben, dem<br />

Kitsch eine Abfuhr erteilt. Nach<br />

München wurde <strong>Darmstadt</strong> zum<br />

zweiten Zentrum dieser Bewegung.<br />

Aufbruch Mit dem Jugendstil verbinden<br />

sich zahlreiche künstlerische<br />

Manifeste. Zur Programmatik der<br />

Kunstform gehörte die Forderung<br />

nach Funktionalität: Die Funktion<br />

eines Gebäudes sollte sich auch in<br />

dessen Gestaltung widerspiegeln.<br />

Architektur und Kunst suchten nach<br />

neuen Gestaltungsmöglichkeiten.<br />

„Viele der<br />

Flächen gehören<br />

zur besten<br />

Wohnlage“<br />

Michael Kolmer,<br />

Stadtentwickler<br />

DONNERSTAG, 19. JANUAR 2006<br />

FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND<br />

Schöner einkaufen und schicker wohnen<br />

Die Entwicklung von <strong>Darmstadt</strong> kennt derzeit keinen<br />

Stillstand. Neben dem Wissenschafts- und Kongresszentrum<br />

entsteht auch wieder neuer Wohnraum. Denn die<br />

Stadt expandiert.<br />

VON CHRISTOPH HUS<br />

Bisher sind nur einige Betonwände<br />

zu sehen, neben<br />

denen Kräne in den Darmstädter<br />

Himmel ragen. Doch<br />

schon in wenigen Monaten werden<br />

Passanten erahnen können, wie das<br />

Wissenschafts- und Kongresszentrums<br />

„<strong>Darmstadt</strong>ium“ aussehen<br />

wird: große, kubusförmige Baukörper,<br />

die dank Stahl und Glas luftig<br />

leicht erscheinen.<br />

Der Neubau in der Innenstadt ist<br />

der augenfälligste Beleg dafür, wie<br />

schnell <strong>Darmstadt</strong> sich in den vergangenen<br />

Jahren gewandelt hat. Seit<br />

das modernisierte Einkaufszentrum<br />

Luisencenter im Jahr 2002 wiedereröffnet<br />

wurde, hat die Stadt auch an<br />

vielen anderen Stellen ihr Gesicht<br />

verändert: So zog der Fachbereich<br />

Bauingenieurwesen der Technischen<br />

Universität in einen imposanten<br />

Neubau mit preisgekrönter Fassade,<br />

und im Hauptbahnhof empfängt die<br />

Stadt Besucher mit modernem Galeriegebäude<br />

und neuem Parkhaus.<br />

Ganzer Stolz der Stadtväter ist aber<br />

der Neubau des <strong>Darmstadt</strong>iums, ein<br />

Gemeinschaftsprojekt von Stadt und<br />

VON VERENA DIETHELM<br />

<strong>Darmstadt</strong> verdankt seinen Ruf als<br />

Jugendstilzentrum <strong>Deutschland</strong>s<br />

sieben jungen wilden Künstlern<br />

und seinem einstigen Großherzog.<br />

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts<br />

wollte Ernst Ludwig, Großherzog von<br />

Hessen und bei Rhein, der selbst ein<br />

Künstler und weltoffener Europäer<br />

war, die Künste in seiner<br />

Residenzstadt aufleben<br />

lassen. Zu diesem Zweck<br />

lud er 1899 sieben junge<br />

Künstler im Alter von 20<br />

bis 32 Jahren ein, sich auf<br />

der Darmstädter Mathildenhöhe<br />

niederzulassen.<br />

Der Einladung des<br />

Großherzogs folgten der<br />

Wiener Otto-Wagner-<br />

Schüler Joseph Maria Olbrich sowie<br />

der spätere AEG-Designer Peter Behrens.<br />

Darüber hinaus siedelten sich<br />

die Maler und Kunstgewerbler Paul<br />

Bürck, Hans Christiansen und Patriz<br />

Huber sowie die Bildhauer Rudolf<br />

Bosselt und Ludwig Habich in <strong>Darmstadt</strong><br />

an. Diese jungen Multitalente<br />

schufen innovative Architektur,<br />

„Die Künstlerkolonie<br />

ist der<br />

Renner in<br />

<strong>Darmstadt</strong>“<br />

Julia Damm,<br />

Fremdenführerin<br />

Technischer Universität. „Das Zentrum<br />

wird wegen seiner innovativen<br />

Architektur ein weiteres Highlight in<br />

der Darmstädter Innenstadt setzen“,<br />

freut sich Michael Kolmer, Leiter des<br />

Amts für Wirtschaft und Stadtentwicklung.<br />

„Und es wird <strong>Darmstadt</strong>s<br />

Profil als Wissenschaftsstadt<br />

weiter schärfen.“<br />

Kaum geringer ist der<br />

Rummel um einen weiteren<br />

Neubau in der Innenstadt,<br />

das „Boulevard-<br />

Einkaufszentrum“ auf<br />

dem ehemaligen Fina-<br />

Gelände. Hier investiert<br />

ein örtlicher Unternehmer<br />

in einen Einzelhandels-Tempel<br />

– die Geschäfte<br />

in dem dreigeschossigen<br />

Zentrum sollen schon im<br />

Advent 2006 eröffnen. Insgesamt<br />

entstehen 4800 Quadratmeter Verkaufsfläche,<br />

und der Betreiber erhofft<br />

bis zu 10 000 Besucher pro Tag.<br />

Aus Sicht vieler Darmstädter war<br />

es höchste Zeit, dass das Gelände in<br />

der Innenstadt bebaut wurde. „Dieses<br />

Filetstück ist jahrelang nicht genutzt<br />

worden. Jetzt bekommt es endlich<br />

eine angemessene Bebauung“,<br />

lobt Maren Feuring, bei der Industrie-<br />

und Handelskammer (IHK)<br />

<strong>Darmstadt</strong> für Standortpolitik verantwortlich.<br />

Die Mehrheit der Einzelhändler<br />

in der Innenstadt fürchtet<br />

die neue Konkurrenz durch das Boulevard-Einkaufszentrum<br />

nach Feurings<br />

Beobachtung nicht: „Die meisten<br />

haben positiv reagiert. Sie freuen<br />

sich über die Bereicherung für die<br />

Darmstädter Innenstadt.“<br />

Auch für andere Branchen soll<br />

<strong>Darmstadt</strong> in den kommenden Jahren<br />

noch attraktiver werden. Dabei<br />

setzt die Stadt auf das so genannte<br />

Europäische Viertel nahe des Hauptbahnhofs.<br />

Dessen Kernstück ist ein<br />

200 000 Quadratmeter großes Gelände,<br />

das sich zu einem Technologiepark<br />

wandeln soll. Schon 2012 sollen<br />

hier nach Planung der Stadt mehr als<br />

8000 Menschen arbeiten. In einem<br />

ersten Schritt baute die Telekom-<br />

Tochter T-Online bereits eine neue<br />

Firmenzentrale für 2000 Mitarbeiter.<br />

Auf dem Gelände der Europa-Arkaden<br />

sollen zusätzlich 15 000 Quadratmeter<br />

Bürofläche entstehen. Und<br />

neuer Nachbar des europäischen<br />

Weltraumkontrollzentrums ESOC ist<br />

ein Technologie- und Gründerzentrum.<br />

„Wir spüren eine steigende<br />

Nachfrage von Unternehmen nach<br />

diesen Flächen. Deshalb bin ich<br />

sicher, dass hier ein 1-a-Bürostandort<br />

entsteht“, sagt Stadtentwickler<br />

Kolmer.<br />

Mit der Neuansiedlung von Unternehmen<br />

wird auch der Verkehr auf<br />

<strong>Darmstadt</strong>s Straßen zunehmen,<br />

und so wird der<br />

Neubau einer Nord-Ost-<br />

Umgehung für <strong>Darmstadt</strong><br />

immer dringender. „Die<br />

Darmstädter Innenstadt<br />

ist ein Nadelöhr für Fahrzeuge,<br />

die <strong>vom</strong> Osten der<br />

Stadt auf die Autobahn<br />

wollen“, klagt IHK-Expertin<br />

Feuring. Dieses Problem<br />

soll die Umgehungsstraße<br />

lösen.<br />

Ein wichtiges Thema für die Stadtentwicklung<br />

ist außerdem der Bau<br />

neuer Wohnungen. Neue Perspektiven<br />

ergeben sich durch den angekündigten<br />

Abzug der amerikanischen<br />

Streitkräfte. Sie wollen in den<br />

kommenden zehn Jahren alle fünf<br />

Standorte im Darmstädter Stadtgebiet<br />

verlassen, wodurch insgesamt<br />

rund 120 Hektar Kasernengelände<br />

frei werden. „Viele der Flächen gehö-<br />

Die glorreichen sieben<br />

Die Künstlerkolonie auf der Darmstädter Mathildenhöhe ist ein Zentrum des deutschen Jugendstils<br />

Skulpturen, Möbel und Gebrauchsgegenstände<br />

mit der für den Jugendstil<br />

typischen Detailverliebtheit.<br />

„Nur die Malerei ist in <strong>Darmstadt</strong><br />

etwas zu kurz gekommen“, sagt die<br />

Gästeführerin Julia Damm bei einem<br />

Rundgang durch das Museum<br />

Künstlerkolonie.<br />

Die Hauptattraktion der Künstlerkolonie<br />

waren die Privatvillen der<br />

Künstler selbst. Sie stan-<br />

den auch im Mittelpunkt<br />

der ersten Ausstellung<br />

„Ein Dokument deutscher<br />

Kunst“. Tausende<br />

Gäste aus dem In- und<br />

Ausland besuchten die<br />

insgesamt vier Ausstellungen,<br />

die von 1901 bis<br />

1914 auf der Darmstädter<br />

Mathildenhöhe stattfanden.<br />

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges<br />

beendete jedoch abrupt das<br />

Schaffen der Künstlerkolonie. „Die<br />

Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe<br />

hatte nur 15 Jahre Bestand, aber<br />

in diesen 15 Jahren ist sie zum Zentrum<br />

des deutschen Jugendstils geworden“,<br />

sagt Damm. Während der<br />

so genannten Brandnacht im Zwei-<br />

ten Weltkrieg wurde <strong>Darmstadt</strong><br />

durch den Abwurf von 230 Sprengbomben<br />

und mehr als 280 000<br />

Brandbomben fast vollständig zerstört.<br />

Auch die Mathildenhöhe blieb<br />

nicht verschont. Die Jugendstilvillen<br />

der Darmstädter Künstler konnten<br />

nur zum Teil wiederhergestellt werden.<br />

Am besten erhalten sind das<br />

große und das kleine Haus Glückert,<br />

das Haus von Peter Behrens und das<br />

Haus Deiters.<br />

Trotzdem ist die Künstlerkolonie<br />

laut Fremdenführerin Julia Damm<br />

„der Renner in <strong>Darmstadt</strong>“. Für<br />

einen Großteil der Gäste sei die<br />

Mathildenhöhe der Hauptgrund, um<br />

nach <strong>Darmstadt</strong> zu kommen. Die<br />

Ausstellungen der Künstlerkolonie<br />

werden von rund 40 000 Gästen jährlich<br />

besucht. Aber auch junge Paare<br />

aus dem In- und Ausland kommen<br />

immer öfter nach <strong>Darmstadt</strong>, um im<br />

Hochzeitsturm auf der Mathildenhöhe<br />

getraut zu werden. Das Wahrzeichen<br />

<strong>Darmstadt</strong>s war ein Hochzeitsgeschenk<br />

der Stadt anlässlich<br />

der Vermählung Ernst Ludwigs mit<br />

Großherzogin Eleonore 1905 und<br />

zählt zu den letzten Bauwerken des<br />

1908 verstorbenen Joseph Maria<br />

Olbrich. Seit 1993 werden dort Trauungen<br />

vorgenommen. „Heiraten im<br />

Hochzeitsturm wird immer beliebter“,<br />

bestätigt Stadträtin Cornelia<br />

Diekmann. 2005 fanden 473 Trauungen<br />

im Hochzeitsturm statt.<br />

ren zur besten Wohnlage“, sagt<br />

Stadtentwickler Kolmer.<br />

Raum für neue Wohnungen hat die<br />

Stadt in den vergangenen Jahren<br />

händeringend gesucht. Denn die Bevölkerung<br />

wächst: Die Stadt rechnet<br />

mit rund 300 neuen Darmstädtern<br />

pro Jahr. Bis 2020 soll die Einwohnerzahl<br />

auf 144 000 gewachsen sein.<br />

Der Darmbach soll<br />

wieder ans Tageslicht<br />

� Für viele Darmstädter ist das<br />

Thema eher von untergeordneter<br />

Bedeutung. Doch mit den Augen<br />

eines Auswärtigen betrachtet hat<br />

die Stadt Außergewöhnliches vor:<br />

In den kommenden Jahren soll<br />

der Darmbach, der bisher im<br />

Untergrund unter der Stadt hindurchfließt,<br />

zurück ans Tageslicht.<br />

Die Öffnung des Bachs ist<br />

ein Projekt der lokalen Agenda<br />

21. Die Innenstadt soll mit einem<br />

offenen Gewässer attraktiver<br />

werden, und die Biologen hoffen<br />

darauf, dass bald wieder Bachschmerle,<br />

Stichling und Rotauge<br />

den Bach besiedeln. Die Planungen<br />

für das Wiederauftauchen<br />

des Baches hat die Stadtverwaltung<br />

in der Schublade, doch über<br />

einen Zeitplan ist noch nicht<br />

entschieden. CHRISTOPH HUS<br />

Auch abseits des Jugendstils bietet<br />

<strong>Darmstadt</strong> seinen Gästen viel Kultur.<br />

Im Zentrum der heutigen Innenstadt<br />

befindet sich das Darmstädter<br />

Schloss – ein Bautenkonglomerat aus<br />

sechs Jahrhunderten. Im Krieg wurde<br />

es bis auf die Außenmauern zerstört,<br />

heute ist der Zustand der Vorkriegszeit<br />

nahezu wiederhergestellt. Das<br />

Schlossmuseum bietet einen Überblick<br />

über die Geschichte und das<br />

Leben im Großherzogtum Hessen.<br />

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