Nachts auf dem Stadtfest Um 23 Uhr ist Schluss? Regelmäßig gehen auf den Bühnen des Stadtfests ausgerechnet dann die Lautsprecher aus, wenn es junge Leute an normalen Wochenenden gerade einmal aus dem Haus in den Club zieht. Das war nicht immer so. Vor 20 Jahren wurde den »unverschämten Übertreibungen der vergangenen Stadtfeste in der <strong>Gießener</strong> Innenstadt« mit einer Klage ein Ende gesetzt. Heute herrscht bei vielen Besuchern nach der Freude über viel Altbekanntes und wenig Brandneues regelmäßig Unverständnis über den frühen Zapfenstreich. Doch: Weiterfeiern ist möglich – dies gilt mehr denn je auch für die 28. Auflage, die vom 17. bis 19. August in der Innenstadt gefeiert wird. 4 streifzug 8/2012
Foto: Foto: Lademann Lademann Das Rezept ist einfach wie genial: Bands, Bier und Bratwurst will das Volk. Einmal im Jahr kommt Gießen zusammen. Der traditionelle Termin mitten in den Semesterferien ist für eine Studentenstadt fast schon revolutionär gewählt. Man weiß: Die guten Schulfreunde aus der Jugend, die irgendwann dem Ruf der Großstadt gefolgt waren, stehen wie jedes Jahr an der vorderen Plockstraße. Man würde sie blind finden. Die verschrobenen Freunde der Eltern, bei denen man früher mit der Familie regelmäßig zu Grillabenden eingeladen war, erzählen auch dieses Mal wieder ihre Geschichten von damals am Kirchenplatz. Heimatgefühl deluxe. Dazu die kleinen Perlen im Bühnenprogramm: Tess Wiley, OK KID, The Joy Over The Lost Penny oder Budzillus werden in diesem Jahr dabei sein. Das Leben kann so schön sein, so easy, so leicht. Doch dann: Keine Musik! Keine altbekannten Gesichter an den altbekannten Ständen! Kein Bierpilz am Kirchenplatz! Kein Stau bei den Schwätzern! Was für Anhänger des Stadtfests klingt wie Horrorszenarien wäre 1992 fast zur bitteren Realität geworden. Von einer »teuflischen Hinrichtungsart« war die Rede in einem Schreiben, das damals von einem »Arbeitskreis Stadtmitte« an <strong>Gießener</strong> Haushalte verteilt wurde. Ein Polizeiminister aus Peking, so hieß es dort, habe sich die Methode vor etwa 4000 Jahren ausgedacht. Die Idee: »Durch permanentes Trommeln, Flötenspielen und Lärmen ließ er die Verurteilten zu Wahnsinn und schließlich Tod treiben.« Das Stadtfest in seiner damaligen Form gefährde zwar nicht das Leben, so wurde in dem Schreiben argumentiert, wohl aber die Gesundheit der Anwohner. Was folgte war ein Streit, der nach einer Klage bis vor den Hessischen Verwaltungsgerichtshof führte. Die Organisatoren des Stadtfests hatten der Klägerin sogar angeboten, ihr und ihrer Tochter für die Tage der Innenstadtfeierei einen Urlaub zu spendieren. Ohne Erfolg. Erst einen Tag vor Beginn stand 1992 überhaupt fest, dass es ein Stadtfest geben würde. Allerdings nicht wie in den Jahren zuvor: Am späten Abend durften eng gesetzte Lärmrichtwerte nicht mehr überschritten werden. Dazu kam die Verkürzung des Fests von vier auf drei Tage. Noch heute werden die Bühnen nur bis 23 Uhr bespielt, bis 1 Uhr sind Bier und Bratwurst zu bekommen. Ein Plan der Gießen Marketing GmbH vor etwa acht Jahren, die Regelung des frühen Zapfenstreichs aufzuweichen, und die Lautsprecher erst um 24 Uhr auszumachen, wurde von den internen Juristen mit dem Hinweis abgeblockt, das Urteil von 1992 habe weiter Bestand. Bei genauerem Hinsehen muss die Innenstadtfeierei in Gießen heute den Vergleich mit anderen Städten aber auch gar nicht fürchten: So werden die Bühnen etwa bei »3 Tage Marburg« ebenfalls nicht länger bespielt. In vielen anderen Städten stellt sich die Situation nicht anders dar. Außerdem gibt es Alternativen. Im Ulenspiegel hat man bereits vor vier Jahren den ersten Schritt gemacht: Ab 23 Uhr geht die Musik inzwischen im Keller weiter. Weiterfeiern ist möglich, ohne die Nerven der Anwohner überzustrapazieren. In diesem Jahr spielen Elfmorgen und Weltrekorder ihre rockig-alternativen Stücke. Auch das MuK bittet zum Tanz, nachdem die Innenstadtfeierei vorbei ist. Während für Freitag ein »90er Eurodance Open Air« geplant ist, geben sich am Samstag wie gewohnt und wie geliebt die Jungs von UNDERtheGROUND die Ehre. Beim »Stadtfest Open Air« an der Automeile wird zu elektronischer Tanzmusik auch der 15. Geburtstag der Partyreihe gefeiert. Das Monkeys lädt am Freitag zur legendären Kopfhörerparty. Am Samstag kommen die »King Kong Warriors« zurück: Die ersten Gäste in der Affenkammer erhalten ein Laserschwert. Wichtig für die Weiterfeierei: Freitag und Samstag fahren die Stadtbusse zusätzlich um 0.30 Uhr und um 1 Uhr ab Marktplatz. Die Nachtbuslinien Venus und Saturn verkehren von 0.30 Uhr bis 4.30 Uhr. Florian Dörr bLickpuNkt »Run and Roll« Herz beweisen kann Gießen am Sonntag, 19. August, beim Stadtlauf »Run’n’Roll for Help« durch die Innenstadt. Die Erlöse kommen der Aidshilfe und der Lebenshilfe zugute. Ausgesprochen sportlich müssen die Teilnehmer nicht sein: Um 15.30 Uhr laden die Veranstalter auf die 5-km- Strecke zum Nordic Walking, danach folgt der Schülerlauf über 1000 Meter. Ausreden gibt es also nicht. Um 16.45 Uhr wird es beim Lauf auf der 5-km-Strecke etwas anspruchsvoller, bevor um 18 Uhr traditionell zur Königsdisziplin des »Run’n’Roll for Help« geblasen wird: 10 000 Meter stehen dann auf dem Programm. Quer durch die Innenstadt, über Walltorstraße, Ostanlage, Neuen Bäue und Brandplatz führt die Route. Die Online-Anmeldung auf www.runandrollforhelp.de ist bis zum 15. August möglich. Drachenbootcup Seit 2300 Jahren kennt man die Boote. Der Legende nach gehen sie auf den Versuch zurück, einen Ertrinkenden vor dem sicheren Tod zu retten. In Gießen sind Drachenboote zumindest seit neun Jahren ein Thema. Seitdem holt man sie einmal im Sommer heraus, um den inzwischen traditionellen Drachenbootcup auszutragen. Am Samstag, 18. August, ist es wieder so weit. Auf 200 Lahnmetern kämpfen die stärksten Männer und zähesten Frauen der Stadt um Ruhm und Ehre. Dabei gilt: Wer das Boot erst einmal in Bewegung gebracht hat, der kann bereits stolz sein. Denn ein voll besetztes Drachenboot wiegt immerhin bis zu zwei Tonnen. Den ersten Startschuss gibt es bereits um 9 Uhr. Ausgetragen wird ein Sport- und ein Funcup für mehr oder weniger am- bitionierte Sportler. 8/2012 streifzug 5