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Zum stadtfest: - Gießener Allgemeine

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Herr Goebbels, woran arbeiten Sie gerade?<br />

HG: Ich versuche, das Arrangement eines<br />

Popsongs umzustricken. Er stammt von der<br />

Gruppe The Bird and the Bee und ist Teil<br />

des Stücks »Wenn the mountain changed<br />

its clothing«. Es hat Ende September auf der<br />

Ruhrtriennale seine Welturaufführung und<br />

geht dann auf Tournee in verschiedene<br />

europäische Städte, unter<br />

anderem Graz, Maribor,<br />

Paris, Brüssel, Luxembourg,<br />

Amsterdam und<br />

Hannover. Heute proben<br />

wir gerade mit einem<br />

Chor aus 40 Mädchen, alle zwischen zehn<br />

und 20 Jahre alt und aus Maribor in Slowenien,<br />

der europäischen Kulturhauptstadt<br />

2012.<br />

Ich dachte, Sie sitzen an »Europeras 1 & 2«,<br />

mit der Sie die Ruhrtriennale am 17. August<br />

in Bochum eröffnen?<br />

HG: (lacht) Das war letzte Woche. Mein<br />

Leben ist zurzeit relativ kurzatmig. Wir<br />

haben jetzt zwei Wochen an »Europeras«<br />

geprobt. Vor allem die ständige Verwandlung<br />

der Bühnenbilder ist eine gigantische<br />

Herausforderung. 25 Menschen, meistens<br />

Studenten, helfen uns im Rhythmus von<br />

zwei bis drei Minuten insgesamt 30 Bühnenbilder<br />

auf- und abzubauen. Das geht<br />

zurück auf eine Idee von John Cage, von<br />

dem die Oper stammt und der das Genre<br />

Oper in alle Einzelteile zerlegt und ihnen<br />

ein Eigenleben zugesteht. Hier haben wir<br />

jetzt erst mal mit dem Eigenleben der Bühnenbilder<br />

gearbeitet, nächste Woche geht<br />

es wieder weiter mit den Sängern.<br />

Können Sie das Stück einem Laien in wenigen<br />

Sätzen erklären?<br />

HG: Cage macht das total raffiniert und radikal.<br />

Er greift auf den europäischen Opernfundus<br />

zurück, der 300 Jahre alt ist und in<br />

dem alles zusammengeschweißt wurde,<br />

was sich die europäische Kulturgeschichte<br />

auf der Bühne vorstellen konnte. Und das<br />

befreit er aus seinen Zusammenhängen.<br />

Plötzlich wird aus diesem alten Material<br />

etwas völlig Neues, eine ungehörte Musik,<br />

eine Leichtigkeit, eine große Freiheit. Es<br />

gibt viel zu entdecken.<br />

Cage mutet seinen Zuhörern viel zu, das<br />

tun Sie ja offenkundig auch.<br />

HG: Nein, ganz im Gegenteil. Ich verschaffe<br />

dem Publikum das Vergnügen, dass es<br />

immer etwas zu entdecken hat. Die Arbeiten,<br />

die wir zeigen, sind fast alle neue<br />

Arbeiten. Und vor diesen neuen Arbeiten<br />

sind wir alle gleich. Wir haben zum Beispiel<br />

eine Kinderjury, 100 Kinder im Alter<br />

»Mein Leben ist zurzeit<br />

relativ kurzatmig«<br />

von 12, 13 Jahren aus der ganzen Region.<br />

Die werden uns am Ende des Festivals<br />

sagen, was die langweiligste und was die<br />

spannendste Produktion war.<br />

Sie haben viele Gesichter, wenn man so<br />

sagen darf: Musiker, Komponist, Hörspielautor,<br />

Regisseur und Professor. Gibt es ein<br />

Standbein, mit dem Sie<br />

sich am ehesten identifizieren,<br />

gibt es ein Spielbein,<br />

das Ihnen besonders<br />

lieb ist, oder ist das<br />

alles gleichwertig?<br />

HG: Was Sie da aufzählen, findet ja nicht<br />

alles gleichzeitig statt. Das bündelt sich<br />

jetzt etwas, denn ich habe meine Lehre in<br />

Gießen wegen der Ruhrtriennale nicht<br />

aufgegeben, sondern nur reduziert auf das<br />

halbe Lehrdeputat. Ich bin auch in der<br />

nächsten Woche wieder einige Tage zur<br />

Abschlusspräsentation<br />

meines szenischen Projektes<br />

in Gießen. Mein<br />

Hauptstandbein ist tatsächlich<br />

die Musik. Aber<br />

auch da wo es nicht um<br />

Musik geht, geht es immer auch um Rhythmus,<br />

um Kontrapunkte, um Komposition im<br />

weitesten Sinne.<br />

Wenn ich mir Ihre Biografie anschaue: Sie<br />

sind nicht nur Musiker, sondern auch Soziologe.<br />

Sie haben kurz nach 68 in Frankfurt<br />

studiert. Hat Ihr künstlerisches Werk<br />

eine gesellschaftskritische Komponente?<br />

»Das Publikum muss<br />

Neues entdecken«<br />

rAMpENLicht<br />

HG: Mich interessiert nie einfach nur ein<br />

Klang oder ein Text. Mich interessiert natürlich<br />

auch immer das gesellschaftliche<br />

Drumherum. Wie kommt etwas zustande,<br />

wie sind die Arbeitsbedingungen, unter<br />

denen man versucht, etwas auf die Bühne<br />

zu stellen? Das ist ein Interesse, das sich<br />

auch in der Ästhetik wieder abbildet.<br />

Würden Sie sich als politischen Menschen<br />

bezeichnen?<br />

HG: Meine Arbeit wird vielleicht als politisch<br />

verstanden. Ich bin zwar ein leidenschaftlicher<br />

Institutionskritiker, auch bei<br />

der Arbeit. Ich bin aber nicht jemand, der<br />

politische Botschaften austeilt.<br />

Apropos Politik: Beim Namen Goebbels<br />

zuckt man unwillkürlich zusammen…<br />

HG: Eine biografische Verbindung zum<br />

Propagandaminister des Dritten Reiches gibt<br />

es nicht. Ich hatte zwar<br />

einen Onkel, der Joseph<br />

hieß. Aber der war nicht<br />

mit dem anderen Joseph<br />

verwandt. Und inzwischen<br />

gibt es ja manchmal<br />

diesen merkwürdigen Umkehrschluss.<br />

Manche glauben, der Nazi Goebbels hätte<br />

Heiner mit Vornamen geheißen. Als der<br />

Film »Der Untergang« herauskam, gab es<br />

im Internet eine News-Seite, da stand unter<br />

einem Foto von der Familie Goebbels: »Heiner<br />

Goebbels verübte mit seiner gesamten<br />

Familie Selbstmord«. Da habe ich etliche<br />

Beileid-Emails bekommen.<br />

Eines von 30 Bühnenbildern, die in »Europeras 1 & 2« zu sehen sind.<br />

Foto:<br />

8/2012 streifzug 15

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