Hausarbeit - Integration im Sportunterricht 2010
Hausarbeit - Integration im Sportunterricht 2010 Hausarbeit - Integration im Sportunterricht 2010
Gliederung 1. Begründung der Themenwahl ..................................................................................... 1 2. Theoretische Grundlagen ........................................................................................... 2 2.1 Begründung durch Grundgesetz und Lehrplan........................................................... 2 2.2 Begriffserklärung........................................................................................................ 2 2.2.1 Integration......................................................................................................... 2 2.2.2 Integration im Sportunterricht............................................................................ 3 2.3 Der Sportbegriff in einem erweiterten Blickfeld........................................................... 4 2.4 Jonas - ein Kind mit besonderen Bedürfnissen .......................................................... 5 2.4.1 Kurze Biographie .............................................................................................. 5 2.4.2 Das Krankheitsbild - Osteogenesis Imperfecta Typ III....................................... 6 2.4.3 Könnensstand................................................................................................... 6 2.5 Situationsanalyse der Klasse ..................................................................................... 7 2.5.1 Bemerkung zum Klassenverband...................................................................... 7 2.5.2 Bemerkung zu einzelnen Schülern.................................................................... 8 3. Praktische Umsetzung ................................................................................................ 9 3.1 Die Einbindung von Jonas in den Sportunterricht....................................................... 9 3.1.1 Der Sportunterricht in der 1. und 2. Klasse........................................................ 9 3.1.2 Das erste Schulhalbjahr 2009/10 ...................................................................... 9 3.1.3 Das zweite Schulhalbjahr 2010 ........................................................................10 3.2 Stundenbeispiele zur Einbindung von Jonas in den Sportunterricht ..........................11 3.2.1 Bewegungskünste - Zirkusstunde ....................................................................11 3.2.2 Alltagsmaterialien - Turnen mit einer Zeitung ...................................................13 3.2.3 Spiele mit Hand und Schläger..........................................................................15 3.2.4 Bewegungslandschaft - In den Bergen.............................................................16 3.2.5 Pädagogische Staffelspiele..............................................................................18 3.3 Der Rollstuhltag ........................................................................................................19 3.3.1 Warum ein Rollstuhltag? ..................................................................................19 3.3.2 Der Ablauf des Rollstuhltages ..........................................................................20 3.3.3 Die Sportstunde der Klasse 3b/4b....................................................................21 3.3.4 Resümee .........................................................................................................21 3.4 Fragebogenauswertung ............................................................................................22 3.5 Interview mit Jonas ...................................................................................................25 4. Resümee ......................................................................................................................26 Literaturangabe Abbildungsverzeichnis Anhang Erklärung 0
- Seite 2 und 3: 1. Begründung der Themenwahl Am 14
- Seite 4 und 5: Die erste geschlossene Konzeption f
- Seite 6 und 7: einhaltet, können nicht alle Kinde
- Seite 8 und 9: Jonas konnte sich generell nur fort
- Seite 10 und 11: 3. Praktische Umsetzung 3.1 Die Ein
- Seite 12 und 13: nach deren Voraussetzungen zu plane
- Seite 14 und 15: Resümee Abb. 1: Jonas und seine Kl
- Seite 16 und 17: 3.2.3 Spiele mit Hand und Schläger
- Seite 18 und 19: konnte. Da er fast den ganzen Tag n
- Seite 20 und 21: Staffel fand ein Gespräch statt un
- Seite 22 und 23: edeutete ein langer Pfiff sofort st
- Seite 24 und 25: Der Fragebogen gliederte sich in dr
- Seite 26 und 27: Hierbei konnte man klar erkennen, d
- Seite 28 und 29: Literaturverzeichnis Bayerisches St
- Seite 30 und 31: Anhang Anhang 1: Gerechte Staffelsp
- Seite 32 und 33: Anhang 3: Unsere Fragen an Frau Mei
- Seite 34 und 35: 3. Station Unsere Basketballstunde
- Seite 36 und 37: Anhang 6: Fragebogen der Mitschüle
- Seite 38: Erklärung Ich versichere hiermit,
Gliederung<br />
1. Begründung der Themenwahl ..................................................................................... 1<br />
2. Theoretische Grundlagen ........................................................................................... 2<br />
2.1 Begründung durch Grundgesetz und Lehrplan........................................................... 2<br />
2.2 Begriffserklärung........................................................................................................ 2<br />
2.2.1 <strong>Integration</strong>......................................................................................................... 2<br />
2.2.2 <strong>Integration</strong> <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong>............................................................................ 3<br />
2.3 Der Sportbegriff in einem erweiterten Blickfeld........................................................... 4<br />
2.4 Jonas - ein Kind mit besonderen Bedürfnissen .......................................................... 5<br />
2.4.1 Kurze Biographie .............................................................................................. 5<br />
2.4.2 Das Krankheitsbild - Osteogenesis Imperfecta Typ III....................................... 6<br />
2.4.3 Könnensstand................................................................................................... 6<br />
2.5 Situationsanalyse der Klasse ..................................................................................... 7<br />
2.5.1 Bemerkung zum Klassenverband...................................................................... 7<br />
2.5.2 Bemerkung zu einzelnen Schülern.................................................................... 8<br />
3. Praktische Umsetzung ................................................................................................ 9<br />
3.1 Die Einbindung von Jonas in den <strong>Sportunterricht</strong>....................................................... 9<br />
3.1.1 Der <strong>Sportunterricht</strong> in der 1. und 2. Klasse........................................................ 9<br />
3.1.2 Das erste Schulhalbjahr 2009/10 ...................................................................... 9<br />
3.1.3 Das zweite Schulhalbjahr <strong>2010</strong> ........................................................................10<br />
3.2 Stundenbeispiele zur Einbindung von Jonas in den <strong>Sportunterricht</strong> ..........................11<br />
3.2.1 Bewegungskünste - Zirkusstunde ....................................................................11<br />
3.2.2 Alltagsmaterialien - Turnen mit einer Zeitung ...................................................13<br />
3.2.3 Spiele mit Hand und Schläger..........................................................................15<br />
3.2.4 Bewegungslandschaft - In den Bergen.............................................................16<br />
3.2.5 Pädagogische Staffelspiele..............................................................................18<br />
3.3 Der Rollstuhltag ........................................................................................................19<br />
3.3.1 Warum ein Rollstuhltag? ..................................................................................19<br />
3.3.2 Der Ablauf des Rollstuhltages ..........................................................................20<br />
3.3.3 Die Sportstunde der Klasse 3b/4b....................................................................21<br />
3.3.4 Resümee .........................................................................................................21<br />
3.4 Fragebogenauswertung ............................................................................................22<br />
3.5 Interview mit Jonas ...................................................................................................25<br />
4. Resümee ......................................................................................................................26<br />
Literaturangabe<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Anhang<br />
Erklärung<br />
0
1. Begründung der Themenwahl<br />
Am 14.09.2009 begann meine Referendarzeit an der Grundschule Günzburg Südost.<br />
An diesem Tag wurden die Erstklässler von allen anderen Kindern begrüßt und ich<br />
sah Jonas zum ersten Mal. Er fuhr ganz selbstbewusst in seinem Rollstuhl vor die<br />
neuen Schüler, stellte sich vor und erklärte ihnen seine Krankheit. Bereits bei dieser<br />
Ansprache merkte ich, wie viel Energie und Lebensfreude in diesem Kind steckten.<br />
Einige Tage später erhielt ich meinen Stundenplan und eine kleine Anmerkung zu<br />
meiner Sportklasse: „In ihrer Klasse ist Jonas, der Junge mit der<br />
Glasknochenkrankheit, aber um diesen müssen sie sich nicht kümmern, er<br />
beschäftigt sich schon selber mit seiner Individualbetreuerin, Frau Gürtler.“<br />
Der Gedanke, dass dieses zufriedene Kind <strong>im</strong> Sport ausgesondert werden sollte und<br />
dadurch eine Außenseiterposition einnahm, gefiel mir nicht. Durch diese<br />
Ausgrenzung hätte er seine Klassenkameraden 1 nur von einer Matte aus beobachten<br />
können und deutlich zu spüren bekommen, wie sehr ihn seine Behinderung auch in<br />
dieser Hinsicht einschränkte.<br />
Somit beschloss ich noch am gleichen Tag, Jonas in meinem <strong>Sportunterricht</strong> zu<br />
integrieren und ihm möglichst weitgehende Beteiligungschancen zu ermöglichen. Im<br />
Internet recherchierte ich über die Glasknochenkrankheit und sprach mit Jonas’<br />
Individualbetreuerin, welche Bewegungen er in seinem Ermessen ausführen konnte.<br />
Im ersten Schulhalbjahr tastete ich mich an den integrativen <strong>Sportunterricht</strong> heran<br />
und vertiefte mein Vorhaben <strong>im</strong> zweiten Schulhalbjahr.<br />
Im Klassenverband wurde Jonas ausnahmslos integriert und angenommen. Da er<br />
aber in den ersten beiden Schuljahren nicht integrativ <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> mitmachen<br />
konnte, war es mir ein Anliegen, die Kinder für den Umgang mit Jonas zu<br />
sensibilisieren und ein gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Seine<br />
Klassenkameraden sollten lernen, rücksichtsvoll mit ihm umzugehen und ihn trotz<br />
seiner Einschränkungen in ihrer Mitte aufzunehmen. Mein Ziel war es somit, meine<br />
Sportstunden so zu planen, dass auch wirklich alle Kinder daran teilnehmen<br />
konnten.<br />
1<br />
Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wird <strong>im</strong> Verlauf der Arbeit sowohl für männliche als auch für<br />
weibliche Personen die männliche Form verwendet.<br />
1
2. Theoretische Grundlage<br />
2.1 Begründung durch Grundgesetz und Lehrplan<br />
Grundgesetz<br />
Der Deutsche Bundestag ergänzte 1994 den Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes,<br />
welcher den Gleichheitsgrundsatz regelt, durch Satz 2: „Niemand darf wegen seiner<br />
Behinderung benachteiligt werden“ (Eberwein & Knauer 2002, S. 13).<br />
Lehrplan<br />
Auch der Lehrplan weist in seinen fächerübergreifenden Bildungs- und<br />
Erziehungsaufgaben auf das Leben und Lernen mit Behinderten hin. Damit laut<br />
Lehrplan eine gesellschaftliche <strong>Integration</strong> von Menschen mit Behinderungen<br />
gelingen kann, ist eine frühzeitige Sensibilisierung <strong>im</strong> wechselseitigen<br />
Miteinanderumgehen erstrebenswert. Durch den vorurteilsfreien Umgang aller Kinder<br />
kann eine Akzeptanz und Toleranz aufgebaut werden, die auch <strong>im</strong> Erwachsenenalter<br />
weiterhin bestehen bleibt (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und<br />
Kultus 2007, S. 16).<br />
Im Fachprofil Sporterziehung wird zudem der Lernbereich „Gemeinschaft“ genannt,<br />
wobei den Schülern Gelegenheiten für soziales Lernen offeriert werden. „Sie lernen<br />
dabei Haltungen und Einstellungen des kooperativen, fairen Miteinanders zu<br />
erproben und zu festigen“ (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus<br />
2007, S. 44). Die Notwendigkeit der allgemeinen Regeleinhaltung sollte den Kindern<br />
hierbei bewusst werden und sie sollen erkennen, dass diese den Bedürfnissen aller<br />
Beteiligten angepasst werden können. Zudem lernen die Schüler, sich gegenseitig zu<br />
helfen und neben Rücksicht auch Toleranz gegenüber ihren Klassenkameraden<br />
aufzubauen (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2007, S.<br />
44).<br />
2.2 Begriffserklärung<br />
2.2.1 <strong>Integration</strong><br />
Um zunächst einen grundlegenden Einblick in die Thematik zu erhalten, wird der<br />
Begriff <strong>Integration</strong> näher erläutert.<br />
2
Die erste geschlossene Konzeption für die <strong>Integration</strong> von Kindern mit<br />
Behinderungen in die Regelschule wurde 1973 vorgelegt. Dabei handelt es sich um<br />
eine Empfehlung des Deutschen Bildungsrates, die den Titel „Zur pädagogischen<br />
Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher“<br />
trägt. <strong>Integration</strong> wird in diesem Sinne als eine neue Konzeption verstanden, die eine<br />
gemeinsame Unterrichtung von Menschen mit und ohne Behinderung anstrebt (vgl.<br />
Muth 1986, S.11).<br />
„Die schulische und gesellschaftliche Nichtaussonderung von Menschen mit Behinderungen<br />
ist das Ziel der <strong>Integration</strong>spädagogik. Im Verständnis dieser Bewegung meint <strong>Integration</strong><br />
das gemeinsame Lernen aller, von geistig behinderten bis hin zu sehr guten Schülerinnen<br />
und Schülern und schließt Kinder mit allen Arten von Behinderungen [�] mit ein“<br />
(Prengel 2006, S. 139; Herv. S.M.).<br />
Folglich sollte an Schulen keine Segregation mehr stattfinden, bei der Kinder mit<br />
besonderen Bedürfnissen ausgeschlossen werden. Vielmehr sollte eine Schule für<br />
alle Kinder geschaffen werden, welche die Unterschiede der Kinder und die sich<br />
daraus ergebende Heterogenität als Chance und nicht als Nachteil betrachtet.<br />
„Integrative Grundschularbeit wird hier verstanden als das Bemühen, allen Kindern<br />
und jedem Kind gerecht zu werden“ (Erzmann 2003, S. 249; Herv. S.M.).<br />
2.2.2 <strong>Integration</strong> <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong><br />
In der Sportliteratur ist <strong>im</strong>mer wieder zu lesen, dass durch den Sport die soziale<br />
<strong>Integration</strong> zunehmend verbessert werden kann. Durch die große Bandbreite, die<br />
der <strong>Sportunterricht</strong> einem Lehrer eröffnet, hat er viele Möglichkeiten, Kinder mit und<br />
ohne Behinderungen entsprechend ihrer Voraussetzungen zu fördern und sie in die<br />
jeweilige Sportgruppe zu integrieren. Die Schüler arbeiten häufig mit ihrem Partner<br />
oder der ganzen Gruppe zusammen und müssen lernen, sich gegenseitig zu helfen<br />
und die Stärken und Schwächen ihres Gegenübers zu respektieren und<br />
anzuerkennen.<br />
Zudem ist das Bedürfnis nach sportlichen Betätigungen in jedem Kind, ob mit oder<br />
ohne Beeinträchtigungen, gegeben, da der Bewegungsdrang von Natur aus in<br />
jedem menschlichen Wesen existiert. Von klein auf ist der Mensch auf Bewegung<br />
ausgelegt und entwickelt spielerisch ein selbstbewusstes Verhältnis zu seiner<br />
eigenen Leiblichkeit (vgl. Kapustin & Kapustin- Lauffer 2009, S. 14).<br />
3
Um eine ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung zu gewährleisten, müssen laut<br />
Kapustin & Kapustin- Lauffer (2009, S. 23) jedem Kind Bewegungserfahrungen und<br />
– erfolge ermöglicht werden.<br />
Auch bei Kindern mit der Glasknochenkrankheit ist viel Bewegung das oberste<br />
Gebot. Trotz der ständigen Bruchgefahr müssen Knochenzellen belastet werden,<br />
damit sie genügend Knochengrundsubstanz produzieren. Die Verkalkung dieser<br />
Substanz führt zu einer erhöhten Knochenfestigkeit, wodurch mehr Belastung<br />
toleriert werden kann. Zusätzlich wird durch die Bewegung das Muskelkorsett<br />
aufgebaut, was dazu beiträgt, dass die Knochen seltener brechen oder sich<br />
verformen (vgl. Lehmann 2004, S.4).<br />
Die hohe Wertschätzung, die dem <strong>Sportunterricht</strong> sowohl in Bezug auf dessen<br />
<strong>Integration</strong>skraft als auch auf dessen gesundheitlichen Nutzen entgegengebracht<br />
wird, ist unbestritten. Allerdings liegen hier noch Defizite in der praktischen<br />
Umsetzung vor (vgl. Wurzel 1991, S. 11).<br />
„Trotz der nach übereinst<strong>im</strong>mender Auffassung von Ärzten, Psychologen und Pädagogen<br />
großen Bedeutung des Sports für Behinderte, vor allem für die Unterstützung des<br />
Bildungsprozesses [�] und für ihre <strong>Integration</strong> in die Gesellschaft, sind die<br />
Voraussetzungen für den Sport dieser Gruppe noch unzureichend“ (Kultusminister NRW<br />
in Wurzel 1991, S. 12; Herv. S.M.).<br />
Laut Kapustin & Kapustin- Lauffer (2009, S. 9) liegt die Mitgliedsquote behinderter<br />
Kinder in ihrem nahen Sportverein sehr deutlich unter 10% und noch deutlich<br />
geringer ist der Anteil von Kindern mit Behinderungen, die gemeinsam mit<br />
Nichtbehinderten in Spiel- und Sportgruppen integrieret sind.<br />
Diese Prozentzahl beruht zum einen darauf, dass nach wie vor Methoden und<br />
Hinweise für die Organisation des Unterrichts mit Kindern mit Behinderungen fehlen<br />
und sich die Sportlehrer außerstande sehen, diesen Schülern gerecht zu werden<br />
(vgl. Scholtzmethner in Wurzel 1991, S. 94). Zum anderen muss vom traditionellen<br />
Sportverständnis abgewichen werden und ein weit reichendes und umfassendes<br />
Sportverständnis in den Blickwinkel gerückt werden (vgl. Rheker 1993, S.8).<br />
2.3 Der Sportbegriff in einem erweiterten Blickfeld<br />
Um einem Kind mit besonderen Bedürfnissen weitgehende Beteiligungschancen <strong>im</strong><br />
<strong>Sportunterricht</strong> zu ermöglichen, darf sich der Lehrer nicht nur an den traditionellen<br />
Disziplinen wie Springen, Werfen und Laufen orientieren. Mit diesem<br />
Sportverständnis, das vor allem die Zielvorstellung höher, schneller und weiter<br />
4
einhaltet, können nicht alle Kinder entsprechend ihrer Fähigkeiten gleichberechtigt<br />
am <strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen. Zudem führt ein derart enges Sportverständnis dazu,<br />
dass Schüler, die gewissen Normen nicht entsprechen, vom <strong>Sportunterricht</strong> befreit<br />
oder ausgegrenzt werden (vgl. Sowa 1997, S.9 f.).<br />
„Erst das Überschreiten von scheinbaren Grenzen, erst die Erweiterung des eigenen<br />
Blickfeldes öffnet die Sicht für mehr Aktivität <strong>im</strong> Bereich des Sports. Erst das Blicken über den<br />
eigenen Horizont, über den vielleicht am eigenen Leib erlebten <strong>Sportunterricht</strong> hinaus, macht<br />
frei“ (Sowa 1997, S.10; Herv. S.M.).<br />
Der Lehrplan <strong>im</strong> Sport ermöglicht einem Lehrer in vielen verschiedenen Bereichen zu<br />
agieren und auch neue Ideen in den Unterricht mit einzubringen. Wenn die<br />
Orientierung an traditionellen Normen wegfällt, ist der Weg frei für einen<br />
erlebnisoffnen <strong>Sportunterricht</strong>, der sich nach den individuellen Bedürfnissen aller<br />
Schüler richtet. Somit sollte der integrative <strong>Sportunterricht</strong> so strukturiert werden,<br />
dass jeder Teilnehmer seine Wünsche, Fähigkeiten und Fertigkeiten mit einbringen<br />
kann. Zudem sollte die Gestaltung des <strong>Sportunterricht</strong>s darauf abzielen, jedem<br />
Schüler Inhalte anzubieten, die seine Unabhängigkeit und Selbstständigkeit fördern<br />
(vgl. Sowa 1997, S. 10).<br />
Jeder Sportlehrer müsste sich demnach die Frage stellen, wie er seinen<br />
<strong>Sportunterricht</strong> aufbauen kann, damit jeder seiner Schüler aktiv am <strong>Sportunterricht</strong><br />
teilnehmen kann. Damit dies jedoch gewährleistet werden kann, muss man jeden<br />
Schüler genauer betrachten und seine Stärken und Schwächen herausfinden. Aus<br />
diesem Grund wird <strong>im</strong> Folgenden ein kurzer Einblick in die Krankengeschichte und<br />
den Könnensstand von Jonas Lacher gegeben.<br />
2.4 Jonas- ein Kind mit besonderen Bedürfnissen<br />
2.4.1 Kurze Biographie<br />
Jonas Lacher wurde am 23.11.1999 in Günzburg geboren. Er ist das ältere von zwei<br />
Kindern, wobei der jüngere Bruder gesund ist. Im Alter von vier Jahren kam Jonas in<br />
den Kindergarten und wurde 2007 in die Grundschule Günzburg Südost eingeschult.<br />
Zur Bewältigung des schulischen Alltags standen ihm zwei Individualbetreurinnen zur<br />
Seite.<br />
5
2.4.2 Das Krankheitsbild - Osteogenesis Imperfecta Typ III<br />
Bei der Erstuntersuchung <strong>im</strong> Krankenhaus wurden bei Jonas eine Deformierung der<br />
unteren Extremitäten und ein Einwärtsdrehen der Füße festgestellt. Hinzu kamen ein<br />
ausgeprägter Verknöcherungsdefekt des gesamten Hinterschädels und eine leichte<br />
Muskelhypotonie. Als Jonas sieben Monate alt war wurde die Diagnose einer<br />
Osteogenesis <strong>im</strong>perfecta Typ III gestellt (vgl. Ärztlicher Entlassungsbericht).<br />
Der Fachterminus „Osteogenesis Imperfecta“ beschreibt den meist <strong>im</strong> Mundgebrauch<br />
verwendeten Begriff der „Glasknochenkrankheit“. Dabei handelt es sich um eine<br />
seltene Erkrankung des Binde- und Stützgewebes, die auf Veränderungen der<br />
Erbsubstanz beruhen (vgl. Lehmann 2004, S.6).<br />
Das klinische Symptombild der Osteogenesis Imperfecta untergliedert sich nach<br />
Schweregrad der Erkrankung in sieben Typen. Bei Jonas wurde Typ III diagnostiziert,<br />
der zu den extremen Verlaufsformen der Osteogenesis <strong>im</strong>perfecta zählt. Die<br />
Betroffenen weisen eine geringe Körpergröße auf und sind häufig auf den Rollstuhl<br />
angewiesen. Zudem kommt die höchste Neigung zu Deformierung und<br />
Knochenbrüchen. Jonas war zu dem damaligen Zeitpunkt 90 cm groß und 13 kg<br />
schwer und hatte bereits viele Frakturen (vgl. Glaesner, Hagelsetin& Petersen n.v.,<br />
S.8).<br />
2.4.3 Könnensstand<br />
Bei einem integrativen <strong>Sportunterricht</strong> ist es sehr wichtig, Kinder mit Behinderungen<br />
nicht als Defizitwesen zu betrachten und nur ihre „Mängel“ hervorzuheben. „Auch<br />
wenn für Kinder mit einer Körperbehinderung Grenzen in ihrer motorischen<br />
Entwicklung bestehen, bedeutet dies nicht, dass ihre Bewegungsmöglichkeiten<br />
begrenzt werden dürfen“ (Hachmeister in Schoo 1999, S. 31, Herv. S.M.).<br />
Da sie täglich mit ihren Einschränkungen leben müssen, ist es wichtig, ihnen<br />
Entfaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen, die ihnen helfen, ihren Körper zu akzeptieren<br />
und sich mit ihm zu identifizieren. Um ihnen hierfür Erfolgserlebnisse geben zu<br />
können, müssen die Stärken der Schüler hervorgehoben werden, die sich bei jedem<br />
Kind entdecken lassen (vgl. Schoo 1999, S.31f.).<br />
Aus diesem Grund wollte ich mir noch ein genaueres Bild von Jonas’ motorischen<br />
Fähigkeiten machen und fuhr am 29.03.<strong>2010</strong> mit ihm und seiner Mutter nach Ulm zur<br />
Krankengymnastik. Während dieser Stunde konnte ich miterleben, welche<br />
Bewegungen Jonas gut ausführen konnte und welche ihm Probleme bereiteten.<br />
6
Jonas konnte sich generell nur fortbewegen, indem er auf den Unterarmen (Ellbogen)<br />
und Knien krabbelte. Der aufrechte Gang war für ihn nicht realisierbar. Aus der<br />
Bauchlage setzte er sich über die Seite hin und durch Gewichtsverlagerung rutschte<br />
er auf dem Gesäß nach vorne. Allerdings waren die Arme zum Abstützen auf den<br />
Boden nicht lang genug und er konnte sich nur durch das Festhalten an niedrigen<br />
Gegenständen aufrichten.<br />
Während den Übungen hatte ich Gelegenheit, mit der Krankengymnastin über<br />
mögliche Aktivitäten <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> zu sprechen. Auch Jonas wurde bei diesem<br />
Gespräch miteinbezogen und konnte selber seine Sichtweise mit einbringen. Für ihn<br />
war es extrem wichtig, Bewegungen in seinem eignen Tempo ausführen zu können,<br />
sie selbst zu steuern und den eigenen Rhythmus zu finden. Das Schwungtuch hätte<br />
sich hier beispielsweise nicht geeignet, da Jonas es <strong>im</strong> gleichen Tempo wie seine<br />
Mitschüler schwingen müsste. Des Weiteren waren ruckartige Bewegungen und<br />
Zweikämpfe unbedingt zu vermeiden.<br />
2.5 Situationsanalyse der Klasse<br />
2.5.1 Bemerkung zum Klassenverband<br />
Auch der Klassenverband ist bei einem integrativen <strong>Sportunterricht</strong> wichtig und wird<br />
<strong>im</strong> Folgenden näher erläutert.<br />
Die Kombiklasse 3b/4b setzte sich aus 25 Kindern zusammen, davon 12 Mädchen<br />
und 13 Jungen. Besonders bemerkenswert war das Sozialverhalten der Kinder<br />
untereinander. Gegenseitiges Helfen, selbstständiges Arbeiten in Gruppen und die<br />
Akzeptanz jedes einzelnen Kindes waren hier sehr stark ausgeprägt. Das<br />
vorherrschende Kl<strong>im</strong>a war sehr angenehm und die vereinbarten Regeln wurden von<br />
dem größten Teil der Klasse auch eingehalten. Dies war auch wichtig, damit ein<br />
gemeinsamer <strong>Sportunterricht</strong> mit Kindern mit und ohne Behinderung überhaupt<br />
funktionieren konnte.<br />
Jonas wurde in seiner Klasse ausnahmslos akzeptiert und behandelt wie jeder<br />
andere. Die Hilfsbereitschaft und die Rücksichtnahme ihm gegenüber waren enorm<br />
groß. Allerdings mussten die Kinder langsam an den richtigen Umgang mit Jonas<br />
herangeführt werden und auch er musste lernen, dass er seinen Klassenkameraden<br />
vertrauen konnte.<br />
7
2.5.2 Bemerkung zu einzelnen Schülern<br />
Im Folgenden werden einzelne Schüler näher beschrieben, um einen detaillierteren<br />
Einblick in die Schülerkonstellation zu erhalten.<br />
Einige Kinder, wie beispielsweise Johannes und Annika waren sehr oft an Jonas’<br />
Seite und unterstützten ihn tatkräftig. Sie waren äußerst hilfsbereit und brachten ihm<br />
Materialien, wenn er sie selber nicht beschaffen konnte.<br />
Robert fehlte auf Grund seiner Leukämieerkrankung sehr oft <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong>. Er<br />
wirkte oft abwesend und hatte die größten Probleme, sich an die vereinbarten<br />
Regeln zu halten. In der Zusammenarbeit mit Jonas war er manchmal noch etwas<br />
unbeholfen und vergaß leicht, dass hier besondere Vorsicht erforderlich war.<br />
Zudem gab es schon sehr pubertierende Jungen, wie Loran und T<strong>im</strong>, die gerne ihre<br />
„coole Seite“ zeigten. Im Umgang mit Jonas mussten sie <strong>im</strong> Laufe des Schuljahres<br />
für mehr Rücksichtnahme sensibilisiert werden und lernen, dass verstärkte Regeln<br />
zum Wohl aller Beteiligten beitrugen.<br />
Marc und Christian waren zwei sportlich sehr aktive und ehrgeizige Jungen. Sie<br />
sahen sich gerne in der Gewinnerposition und mussten des Öfteren daran erinnert<br />
werden, dass sie keine Einzelkämpfer waren. Wenn jedoch Jonas in ihrer Gruppe<br />
war, ging es nicht mehr ausschließlich um das Gewinnen, sondern um das<br />
gemeinsame Miteinander und das Fairplay. Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme<br />
rückten dann schnell in den Vordergrund. Daher war es für mich wichtig, Situationen<br />
zu arrangieren, bei denen vor allem die Teamarbeit und das Miteinander <strong>im</strong><br />
Mittelpunkt standen.<br />
8
3. Praktische Umsetzung<br />
3.1 Die Einbindung von Jonas in den <strong>Sportunterricht</strong><br />
3.1.1 Der <strong>Sportunterricht</strong> in der 1. und 2. Klasse<br />
In den ersten beiden Schuljahren war Jonas nicht <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> integriert und<br />
nahm eine Außenseiterrolle ein. Vor dem Geräteraum wurden für ihn <strong>im</strong>mer zwei<br />
Turnmatten bereitgelegt, auf denen er sich mit einem Mitschüler und seiner<br />
Individualbetreuerin aufhielt. Hier beschäftigte er sich mit einem Ball oder dem<br />
Rollbrett und nahm öfter die Rolle des passiven Zuschauers ein. Vor jeder<br />
Sportstunde suchte sich Jonas einen Schüler aus, der bei ihm blieb. Wenn jedoch<br />
ein attraktives Spiel für die Klasse angeboten wurde, lief dieser davon und Jonas<br />
geriet in Vergessenheit.<br />
In Schiedsrichtertätigkeiten wurde er nie mit einbezogen und langweilte sich nach<br />
eigenen Aussagen in seiner meist inaktiven Rolle. Der Inhalt <strong>im</strong> Sport basierte oft auf<br />
Fangspielen oder Spielen wie beispielsweise „Rübenziehen“, an denen Jonas nicht<br />
teilnehmen konnte. Lediglich be<strong>im</strong> Rundenlaufen in der Sporthalle konnte Jonas<br />
mitmachen.<br />
3.1.2 Das erste Schulhalbjahr 2009/10<br />
Den <strong>Sportunterricht</strong> teilte ich mir gemeinsam mit unserem Direktor, Herrn Hackel. Er<br />
gab in dieser Klasse die Einzelstunde am Donnerstag und ich die Doppelstunde am<br />
Montag.<br />
Im ersten Schulhalbjahr versuchte ich Jonas von Anfang an in den <strong>Sportunterricht</strong> mit<br />
einzubeziehen. Da er jeden zweiten Montag in der Krankengymnastik war, konnte er<br />
somit nur alle zwei Wochen am <strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen.<br />
Be<strong>im</strong> Turnen, wo die Kinder die Rolle vor- und rückwärts erlernten, legte ich für<br />
Jonas andere Kriterien fest, um ihm ein Mitmachen zu ermöglichen. Somit rollte er<br />
die schiefe Ebene über die Längsachse mit gestrecktem Körper hinunter. Zudem<br />
wurde in dieser Stunde in Kleingruppen gearbeitet, wobei die Schüler je nach<br />
eigenem Könnensstand eine Bahn auswählten, die verschiedene<br />
Differenzierungsangebote enthielt.<br />
Als am Ende der Sequenz die Noten abgenommen wurden, hatte Jonas Angst in den<br />
<strong>Sportunterricht</strong> zu gehen, da er die Anforderungen seiner Mitschüler nicht meistern<br />
konnte. Aber auch bei der Notengebung galten für ihn andere Kriterien, wie die oben<br />
9
ereits genannten. Um den Schwierigkeitsgrad auch bei ihm zu steigern, musste er<br />
beispielsweise einen Ball zwischen die Beine klemmen und ihn ohne zu verlieren<br />
nach unten befördern. Diese Aufgabe meisterte er sehr gut und konnte so<br />
entsprechend seiner individuellen Voraussetzungen beurteilt werden.<br />
Beteiligen konnte er sich auch bei der Ausdauersequenz und be<strong>im</strong> Werfen. Meine<br />
erste Unterrichtsvorbereitung <strong>im</strong> Sport richtete ich somit auch nach Jonas, damit er<br />
hier zusammen mit seiner ganzen Klasse teilnehmen konnte. Es ging dabei um die<br />
verschiedenen Wurfarten, wie Schlagwurf, Schöpfwurf und Brustwurf, bei denen<br />
Jonas problemlos mitmachen konnte. Be<strong>im</strong> freien Bewegen zu Beginn der Stunde<br />
wärmte sich Jonas allerdings mit einem Mitschüler in einem abgetrennten Feld auf<br />
und auch be<strong>im</strong> Abschlussspiel nahm er die Rolle meines Assistenten ein, da ich noch<br />
nicht genau einschätzen konnte, inwiefern die Klasse auf Jonas Rücksicht nehmen<br />
konnte. Be<strong>im</strong> Brennball erhielt Jonas eine eigene Bahn, die parallel zu der Bahn der<br />
anderen Kinder verlief.<br />
Im Januar brach sich Jonas zu Hause in der Badewanne seinen Arm und konnte drei<br />
Monate lang nicht am <strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen. Hierbei ist zu erwähnen, dass sich<br />
Jonas <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> nie eine Fraktur zugezogen hat.<br />
In der Zeit, wo er nicht am <strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen konnte, plante ich meinen<br />
Stoffverteilungsplan um und schob die Fußballsequenz dazwischen. Bei dieser<br />
Sportart hätte Jonas auf Grund seiner motorischen Eigenschaften nicht mitmachen<br />
können und somit bot sich diese Änderung an. In diesem integrativen <strong>Sportunterricht</strong><br />
war es wichtig sich nach den Gegebenheiten der Kinder zu richten, weshalb ein<br />
flexibles Handeln erforderlich war.<br />
Am Ende des ersten Halbjahres stellte ich fest, dass ich Jonas phasenweise sehr gut<br />
integrieren konnte und wollte ihn nun komplett mit einbeziehen. Seine Mutter änderte<br />
die Termine bei der Krankengymnastik und Jonas konnte somit jeden Montag am<br />
<strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen.<br />
3.1.3 Das zweite Schulhalbjahr <strong>2010</strong><br />
In der Bibliothek fand ich theoretische Ansätze, wie ein integrativer <strong>Sportunterricht</strong><br />
mit einem Kind mit besonderen Bedürfnissen allgemein möglich wäre. Jedoch gab es<br />
keine praktischen Hilfen, wie man mit einem Kind mit Osteogenesis Imperfecta einen<br />
integrativen Sport gestalten konnte. Demzufolge war es wichtig, Jonas und seine<br />
Klassenkameraden über einen best<strong>im</strong>mten Zeitraum zu beobachten und die Stunden<br />
10
nach deren Voraussetzungen zu planen. Im ersten Schulhalbjahr konnte ich meine<br />
Beobachtungen tätigen und lernte dabei die Klasse besser einzuschätzen und zu<br />
beurteilen. Somit konnte ich <strong>im</strong> zweiten Schulhalbjahr <strong>im</strong>mer gezielter entscheiden,<br />
welche sportlichen Aktivitäten mit allen Schülern umsetzbar waren.<br />
Als Jonas wieder am <strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen konnte, holte ich mir, wie bereits<br />
unter Punkt 2.4.3 beschrieben, Informationen zu seinem Könnensstand ein. Zudem<br />
nahm ich über das Internet Kontakt zu vielen anderen Betroffenen auf und erkundigte<br />
mich nach möglichen Ideen und Vorgehensweisen, die aber leider nicht sehr<br />
umfangreich waren, da Kinder mit Osteogenesis Imperfecta oft vom <strong>Sportunterricht</strong><br />
befreit werden.<br />
Ausgehend von all diesen Überlegungen plante ich integrative Sportstunden, die ich<br />
von den Oster- bis zu den Sommerferien durchführte.<br />
3.2 Stundenbeispiele zur Einbindung von Jonas in den <strong>Sportunterricht</strong><br />
3.2.1 Bewegungskünste - Zirkusstunde<br />
Zielsetzung<br />
3.4 Spielen- Gestalten - Fit werden<br />
3.4.1 Spielen mit der Bewegung<br />
Um den vertrauensvollen Umgang mit Jonas und seinen Klassenkameraden zu<br />
vertiefen, plante ich am 26.04.<strong>2010</strong> eine Zirkusstunde mit der gesamten Klasse.<br />
Durch die verschiedenen Interaktionsformen, wie gemeinschaftliches Üben und<br />
gegenseitiges Helfen, sollte dies umgesetzt werden. Die Schüler sollten bei den<br />
Menschenpyramiden genaue Absprachen treffen und eine gewisse Wachsamkeit für<br />
Jonas entwickeln. Zudem war es mir wichtig, intensive Körperkontakte zwischen ihm<br />
und seinen Mitschülern zu ermöglichen. Einerseits, um den Kindern die Angst vor<br />
Jonas’ Krankheit zu nehmen und ihnen auch bewusst zu machen, das sie selber eine<br />
hohe Verantwortung für sein Wohlergehen trugen und auf ihn besonders aufpassen<br />
mussten. Andererseits, um Jonas zu zeigen, dass er Vertrauen zu seinen<br />
Mitschülern aufbauen und sich auf sie verlassen konnte.<br />
Weitere Ziele dieser Stunde waren die koordinativen und kreativen Fähigkeiten der<br />
Schüler zu verbessern und ihnen die Freude an den Bewegungskünsten zu<br />
vermitteln.<br />
11
Praktische Durchführung<br />
Vorbereitungsstunde<br />
Eine Woche vor der geplanten Zirkusstunde wurde eine vorbereitende<br />
Einführungsstunde durchgeführt, um den Schülern best<strong>im</strong>mte Techniken und<br />
Verhaltensweisen näher zu bringen. Die Jongliertechnik wurde besprochen und von<br />
den Schülern gruppenweise geübt. Zudem wurden die Menschenpyramiden<br />
methodisch erarbeitet. Erste Körperkontakte fanden durch den Körper- TÜV statt,<br />
wobei die Kinder best<strong>im</strong>mte Körperteile anspannen mussten und ihre Partner die<br />
Muskelanspannung überprüften. Um die Standfestigkeit der Pyramide zu<br />
gewährleisten, übten alle Kinder die Bankstellung und korrigierten sich gegenseitig.<br />
Zudem wurden genaue Absprachen getroffen. Jonas musste seiner Gruppe<br />
beispielsweise sagen, wenn er auf die Menschenpyramide krabbelte und sich<br />
vergewissern, dass alle eine standfeste Position innehatten.<br />
Zirkusstunde<br />
In der eigentlichen Zirkusstunde wurde zum Aufwärmen ein Laufspiel durchgeführt,<br />
wobei die Schüler in ihren Gruppen zusammengingen und hintereinander her in<br />
Reihen zur Musik in der Halle herum liefen. Wenn die Musik stoppte, mussten sie zu<br />
verschiedenen Stationen laufen und dort mit Materialien, wie Tüchern, Jonglierbällen<br />
und Bändern Bewegungsaufgaben durchführen.<br />
Anschließend durchliefen die Schüler mit ihren Gruppen verschiedene Stationen<br />
(Jonglierkünste, Turnkunststücke, Löwengehege, Balancierkünste und<br />
Gruppenpyramiden) und führten die unterschiedlichen Aufgaben aus. Bei den<br />
Jonglierkünsten versuchten sie mit Bällen oder Tüchern zu jonglieren. Ihre<br />
Turnkunststücke übten sie auf der Matte, wobei Hilfsmittel oder andere Materialien<br />
miteinbezogen werden konnten. Im Löwengehege mussten die Schüler mit<br />
Rollbrettern eine Strecke, die mit Seilen ausgelegt war, abfahren und durften dabei<br />
die Seile nicht berühren. Da Jonas nicht <strong>im</strong> Laufen balancieren konnte, mussten er<br />
und seine Mitschüler in Bauchlage Sandsäckchen oder andere Materialien auf ihrem<br />
Kopf balancieren und sie sicher zur anderen Seite befördern. Um Jonas bei den<br />
Menschenpyramiden ein „Aufsteigen“ auf seine Mitschüler zu ermöglichen, wurden<br />
auf beiden Seiten kleine Kästen aufgestellt. Jonas konnte zuerst auf diese Hilfsmittel<br />
und anschließend auf den Rücken seiner Mitschüler krabbeln.<br />
12
Resümee<br />
Abb. 1: Jonas und seine Klassenkameraden<br />
bei der Ausführung der Menschenpyramide<br />
Diese Zirkusstunde übertraf meine Erwartungen. Sehr selbstständig übten die Kinder<br />
an den verschiedenen Stationen und gaben sich bei der Zwischenreflexion<br />
gegenseitig Tipps. Ihrer Kreativität ließen sie freien Lauf und somit hatte jeder seine<br />
individuellen Erfolgserlebnisse. Bei den Jonglierkünsten musste ich allerdings in der<br />
Vorbereitungsstunde feststellen, dass Jonas aufgrund seiner Armlänge nicht mit<br />
Tüchern jonglieren konnte und so lieh ich mir kleine Jonglierbälle aus, mit denen er in<br />
der Zirkusstunde üben konnte.<br />
Ein gewisses Risiko bestand bei der Station mit den Menschenpyramiden, da ein<br />
Zusammenbrechen der Pyramide oder ein Herunterfallen von Jonas eine weitere<br />
Fraktur bedeutet hätte. Jedoch stärkte gerade diese Verantwortung für Jonas das<br />
gegenseitige Vertrauen und ließ die Klasse noch stärker zusammenwachsen.<br />
3.2.2 Alltagsmaterialien - Turnen mit einer Zeitung<br />
Zielsetzung<br />
3.4 Spielen – Gestalten - Fit werden<br />
3.4.6 Turnen an Geräten<br />
Ein wesentliches Ziel dieser Stunde mit Alltagsmaterialien war, den Bewegungsdrang<br />
und den Erfindungsgeist der Schüler herauszufordern. Auch Jonas sollte hier<br />
sportliche Aktivitäten finden, die er unter Berücksichtigung seiner Gegebenheiten<br />
ausführen konnte. Zudem ging es darum, Ängste abzubauen und ein freies Agieren<br />
zu ermöglichen.<br />
Praktische Durchführung<br />
Bei der Aufwärmphase sollten die Kinder auf optische Signale reagieren und<br />
best<strong>im</strong>mte Bewegungsaufgaben mit ihrer Zeitung ausführen. Hieran schloss sich die<br />
13
freie Exper<strong>im</strong>entierphase an. In dieser offenen Phase ließen die Schüler ihrer<br />
Kreativität freien Lauf und überlegten sich mit ihrem Zeitungsbogen unterschiedliche<br />
Bewegungsaufgaben. Diese demonstrierten sie den Schülern und ahmten sie<br />
anschließend nach. Auch Jonas erfand Bewegungen, wie beispielsweise die Zeitung<br />
zu einem Knäuel zu formen, diesen hochzuwerfen, zu klatschen und ihn danach<br />
wieder aufzufangen. Daraufhin entwickelten die Schüler in Partnerarbeit best<strong>im</strong>mte<br />
Ideen, wie sie mit einer Zeitung spielerisch umgehen konnten.<br />
Nach dieser Phase zeigte ich den Kindern Bewegungen, die sie zu zweit ausführen<br />
sollten. Bei dem Spiel „Blinder und Blindenhund“ stellten sich die Schüler<br />
hintereinander auf und hielten einen Zeitungsbogen in Hochhalte. Das hintere Kind<br />
schloss die Augen und ließ sich vom Vordermann führen.<br />
Daraufhin wurde die Klasse in zwei Gruppen eingeteilt. Die einen hielten<br />
Zeitungsbögen in die Luft und die andern versuchten, diese abzuwerfen. Zum<br />
Ausklang stellten sich die Schüler gruppenweise in Reihen auf und transportieren die<br />
Kugeln aus Zeitungspapier zur anderen Hallenseite. Sieger war dabei die<br />
Mannschaft, die dies zuerst schaffte.<br />
Resümee<br />
Der Erfindungsgeist der Kinder konnte bei dieser Stunde voll zur Geltung kommen.<br />
Sie exper<strong>im</strong>entierten viel und auch Jonas konnte ungezwungen agieren, da er keine<br />
Angst vor harten Materialien haben musste.<br />
Dennoch war es wichtig, dass die Kinder sich in dieser Stunde an die vereinbarten<br />
Regeln hielten, da ein zu starkes Durcheinander be<strong>im</strong> freien Erproben Jonas<br />
gefährdet hätte. Auf Pfiff mussten die Schüler stehen bleiben und be<strong>im</strong> Kreiszeichen<br />
schnell in den Mittelkreis kommen. Jonas hielt sich bei der freien Phase am Rand der<br />
Halle auf, um das Risiko eines Zusammenstoßens zu vermeiden. Auch be<strong>im</strong><br />
Abschlussspiel war es wichtig, dass Jonas in der Reihenaufstellung den letzten Platz<br />
einnahm, damit der nötige Freiraum für ihn gewährleistet war und er nicht in der Mitte<br />
unterging.<br />
14
3.2.3 Spiele mit Hand und Schläger<br />
Zielsetzung<br />
3.4 Spielen- Gestalten- Fit werden<br />
3.4.5 Spielen mit Bällen<br />
Der Schwerpunkt dieser Stunde lag darin, dass die Schüler Erfahrungen mit<br />
unterschiedlichen Bällen und Schlägern sammeln konnten, um die für ihre<br />
Könnensstufe geeigneten Materialien selbst herauszufinden. Zudem ging es darum,<br />
best<strong>im</strong>mte Bälle mit der Hand oder dem Schläger zu spielen und eine gewisse<br />
Geschicklichkeit <strong>im</strong> Umgang mit den Geräten zu entwickeln. Da die Bälle hin- und<br />
hergespielt wurden, bestand keine Gefahr von Zweikämpfen und durch eine gut<br />
organisierte Aufstellung sollte auch Jonas seinen Freiraum zum eigenständigen<br />
Agieren erhalten. Seine Klassenkameraden sollten in dieser Stunde lernen,<br />
Rücksicht auf Jonas zu nehmen und mit Geduld ein gemeinsames Rückschlagspiel<br />
zu arrangieren, bei dem nicht das Gewinnen, sondern das „Gemeinsame<br />
Miteinander“ <strong>im</strong> Mittelpunkt stand.<br />
Praktische Durchführung<br />
Nachdem die Schüler frei mit dem Luftballon exper<strong>im</strong>entieren konnten, stellte ich<br />
ihnen best<strong>im</strong>mte „Wer kann“ Aufgaben, wie beispielsweise „Wie lange kannst du den<br />
Luftballon in der Luft halten, ohne dass er herunterfällt?“ oder „Kannst du den<br />
Luftballon mit deiner Hand zu deinem Partner spielen?“. In der Zwischenreflexion<br />
erklärten die Kinder sich gegenseitig, wie sie die Hand halten mussten, um sich den<br />
Luftballon zuspielen zu können.<br />
Anschließend setzten sie ihre Ideen um. Das Ganze wurde auch mit anderen Bällen,<br />
wie beispielsweise Gymnastik- oder Tennisbällen, ausprobiert. Durch andere<br />
Materialien wie Reifen oder Hütchen lernten die Schüler die Bälle passgenau ihrem<br />
Partner zuzuspielen und mit viel Geschicklichkeit den Gegenstand zu treffen.<br />
Nach diesen Übungen spielten sich die Schüler mit unterschiedlichen Schlägern die<br />
verschiedenen Bälle zu und suchten sich entsprechend ihrer Fähigkeiten den<br />
Richtigen aus. Verwendung fanden hier Badminton- oder Beachballschläger. Für<br />
Jonas hatte ich mir einen kleinen Badmintonschläger ausgeliehen, der entsprechend<br />
seiner Armlänge besser auf ihn abgest<strong>im</strong>mt war.<br />
15
Abb. 2: Jonas und Marc<br />
be<strong>im</strong> Badmintonspielen<br />
Zum Ausklang setzten sich alle Beteiligten <strong>im</strong> Kreis zusammen und massierten sich<br />
gegenseitig entsprechend einer Geschichte, die ich ihnen zu dem „Igelball“ erzählte.<br />
Resümee<br />
Die methodische Aufbereitung wurde von den Schülern gut umgesetzt und sie<br />
fanden individuell ihre Geräte, mit denen sie am besten umgehen konnten.<br />
Leistungsstärkere Schüler spielten schnell mit den Badmintonschlägern und den<br />
Federbällen. Andere hingegen hielten sich lieber bei anderen Geräten auf, wie<br />
beispielsweise den Gymnastikbällen oder den Luftballons. Auch Jonas spielte zu<br />
Beginn den Luftballon mit dem Badmintonschläger seinem Partner zu, da er diesen<br />
auf Grund seiner langsamen Geschwindigkeit gut kontrollieren konnte. Später<br />
versuchte er es auch mit dem Federball, dessen Umgang für ihn schwieriger war, der<br />
ihn aber auch in gewisser Weise herausforderte.<br />
Für seinen Mitspieler ging es pr<strong>im</strong>är darum, passgenau zu Jonas zu spielen, um ein<br />
gemeinsames Spiel zu ermöglichen. Marc, der ansonsten sehr auf das Gewinnen <strong>im</strong><br />
Sport aus war, zeigte hierbei eine andere Seite, da ihm das gemeinsame Spielen in<br />
dieser Hinsicht wichtiger erschien. Auch die anderen Kinder kamen auf ihre Kosten,<br />
da diese Stunde wieder sehr differenziert war und jedem Schüler gerecht wurde.<br />
3.2.4 Bewegungslandschaft – In den Bergen<br />
Zielsetzung<br />
3.4 Spielen- Gestalten- Fit werden<br />
3.4.6 Turnen an Geräten<br />
Damit Jonas <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> nicht <strong>im</strong>mer an den Rollstuhl gebunden war, plante<br />
ich eine Sportstunde, bei der er auf gleicher Augenhöhe mit seinen Mitschülern sein<br />
16
konnte. Da er fast den ganzen Tag nur sitzend verbrachte, ist es laut Glaesner,<br />
Hagelstein & Petersen (n.v., S.76) wichtig, einen Bewegungsparcours mit seiner<br />
eigenen Fortbewegungsart zu durchlaufen. Aus diesem Grund stellte ich eine<br />
Bewegungslandschaft für die gesamte Klasse zusammen, wobei viele<br />
Wahrnehmungsbereiche sowie die Grobmotorik gefördert und viele Muskelgruppen<br />
gestärkt werden sollten. Zudem sollten die Kinder selbst an dem Umbau des<br />
Parcours mitwirken und ihre Ideen mit einbringen.<br />
Praktische Durchführung<br />
Schwerpunkt dieser Sportstunde waren die verschiedenen Stationen, welche die<br />
Schüler zum Thema „In den Bergen“ durchliefen. An der Station „Wacklige Brücke“<br />
mussten sie sich in Bauchlage an Kästen entlang vorziehen, ohne dabei die<br />
aufgestellten Reifen zu berühren. Bei der nächsten Station „Achtung Felsbrocken“<br />
sollten die Beteiligten unter einer Matte hindurch kriechen und am Ende mit einer<br />
Rolle vor- oder seitwärts abschließen. Um auch die Arm- und Rückenmuskulatur zu<br />
trainieren, mussten sich die Kinder auf einem Rollbrett liegend an einem Seil entlang<br />
zur Sprossenwand ziehen. Des Weiteren gab es noch zwei andere Stationen. Zum<br />
einen „Kurvenreiche Bergstraße“, bei der die Kinder mit ihren Rollbrettern durch<br />
Stangen und bogenförmige Matten fuhren und zum anderen „Berg herunterrollen“ wo<br />
sie zwei Weichbodenmatten hinauf kriechen mussten und anschließend in<br />
Bauchlage hinunterrollten.<br />
Bei der Zwischenreflexion hatten die Kinder die Möglichkeit, Änderungen an den<br />
Stationen vorzunehmen und den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen.<br />
Resümee<br />
Während dieser Sportstunde war Jonas genauso aktiv wie seine Mitschüler.<br />
Unterschiede fielen dabei nicht mehr auf. Da er aber ohne Rollstuhl Sport machte,<br />
galt für die Anderen eine erhöhte Aufmerksamkeitsbereitschaft und so wurde die<br />
allgemeine Regel aufgestellt, dass der Nächste erst an die Station durfte, wenn sein<br />
Vordermann bei einem vereinbarten Punkt angelangt war.<br />
Jonas konnte hier seine tatsächlichen motorischen Möglichkeiten kennen lernen und<br />
weiter ausschöpfen. Alle Bewegungsaufgaben konnte er zudem selbstständig und<br />
mit seinen individuellen Möglichkeiten lösen.<br />
Der Stationenwechsel, welcher <strong>im</strong> Uhrzeigersinn erfolgte, wurde mit Musik<br />
unterstützt. Durch dieses eingeübte Signal war ein reibungsloser Ablauf garantiert.<br />
17
Mittlerweile konnte ich die Kinder auch so gut einschätzen, dass ich Jonas<br />
bedenkenlos ohne Rollstuhl teilnehmen ließ. Seine Individualbetreuerin, Frau Gürtler,<br />
war zudem auch <strong>im</strong>mer an seiner Seite und hätte gegebenenfalls eingreifen können.<br />
3.2.5 Pädagogische Staffelspiele<br />
Zielsetzung<br />
3.4 Spielen- Gestalten- Fit werden<br />
3.4.3 Laufen, springen, werfen<br />
Bei Staffelspielen mit heterogenen Gruppen ist es erforderlich, die Diskrepanz<br />
zwischen läuferisch starken und motorisch eingeschränkten Mitspielern<br />
auszugleichen (vgl. Schoo 1999, S. 68).<br />
Deshalb war das Hauptziel dieser Stunde, den Schülern die bestehenden<br />
Ungleichheiten zwischen ihnen und Jonas zu verdeutlichen und sie zum Nachdenken<br />
anzuregen, wie sie diese Unterschiede aufheben konnten. Im Mittelpunkt stand somit<br />
nicht wer gewinnt, sondern welche Mannschaft es schaffte, die Regeln so<br />
festzulegen, dass alle die gleichen Erfolgschancen hatten.<br />
Praktische Durchführung<br />
Um die Schüler für die bestehende Situation zu sensibilisieren, ließ ich am Anfang<br />
die Staffeln in ihren Sportgruppen gegeneinander laufen. Bewusst erhielt jeder<br />
Schüler die gleiche Aufgabe und auch Jonas musste <strong>im</strong> Rollstuhl genauso, wie seine<br />
Mitschüler die gleiche Strecke in Form einer Pendelstaffel zurücklegen.<br />
In der Zwischenreflexion sprachen die Kinder sehr schnell davon, dass ungerechte<br />
Bedingungen für Jonas vorherrschten, da er mit seinem Rollstuhl viel langsamer war,<br />
als die Anderen. Zur Problemlösung diskutierten die Gruppen über mögliche<br />
Variationen und hielten ihre Ideen auf einem Blatt fest (siehe Anhang 1).<br />
Anschließend stellte jede Gruppe ihre Strategie vor, die auch gleich umgesetzt<br />
wurde. Damit die Schüler ein Gefühl für die Lage von Jonas bekommen konnten,<br />
hatte ich mir <strong>im</strong> Vorfeld einen Rollstuhl vom Augsburger Klinikum ausgeliehen.<br />
Dieser wurde <strong>im</strong>mer von einem Mitglied der präsentierenden Gruppe gefahren, damit<br />
diese auch selber das Resultat ihrer Idee erfassen konnten.<br />
Bei der ersten Gruppe fuhren die beiden Rollstuhlfahrer von der gegenüberliegenden<br />
Seite aus los, um sich eine Streckenlänge zu sparen. Die restlichen Schüler liefen die<br />
Strecke zwe<strong>im</strong>al, da sie von dem normalen Startpunkt aus losliefen. Nach jeder<br />
18
Staffel fand ein Gespräch statt und hierbei stellte sich heraus, dass die<br />
Rollstuhlfahrer <strong>im</strong>mer noch benachteiligt waren.<br />
Daran anschließend wurden die Ideen der restlichen Gruppen ausprobiert. Diese<br />
waren unter anderem, dass die anderen Schüler ein Handicap bekamen, wie auf<br />
einem Bein zu hüpfen oder sich <strong>im</strong> Vierfüßlergang fortzubewegen. Auch die<br />
Streckenlänge wurde variiert. Die beiden Rollstuhlfahrer fuhren zu einem Hütchen,<br />
das in der Mitte der Strecke platziert wurde, die anderen mussten die übliche Strecke<br />
ablaufen. Bei der Puzzlestaffel nahmen sie anstatt einem Puzzleteil gleich zwei mit.<br />
Am Ende fand die Klasse eine opt<strong>im</strong>ale Lösung, wobei die Rollstuhlfahrer nur bis zu<br />
der Mitte des Hütchens fuhren und alle anderen Kinder die längere Strecke <strong>im</strong><br />
beidbeinigen Hüpfen zurücklegen mussten.<br />
Zum Ausklang wurden Glückstaffeln gespielt, bei der die Gruppe mit dem meisten<br />
Glück und nicht mit den schnellsten Schülern gewinnen konnte.<br />
Resümee<br />
In dieser Stunde gelang es den Kindern ganz alleine, die unterschiedlichen<br />
Voraussetzungen zu erkennen und zu berücksichtigen. Hierfür musste ich ihnen nur<br />
die entsprechenden Anregungen geben und die Ergebnisse mit ihnen in einer<br />
Zwischenreflexion erörtern.<br />
Die Kinder hatten genug Phantasie, um die bestehenden Unterschiede zu<br />
überwinden und die Spielregeln entsprechend anzupassen. Dies dauerte eine<br />
gewisse Zeit, aber am Ende waren alle Kinder mit den gemeinsam vereinbarten<br />
Änderungen zugunsten einer Chancengleichheit zufrieden. Im Mittelpunkt stand<br />
eindeutig die gleichberechtigte Teilhabe an den Staffelspielen und nicht wer<br />
letztendlich gewonnen hatte. Im sozialen Miteinander haben die Kinder sehr viel über<br />
Gerechtigkeit gelernt, was ihnen hoffentlich noch länger <strong>im</strong> Gedächtnis bleiben wird.<br />
3.3 Der Rollstuhltag<br />
3.3.1 Warum ein Rollstuhltag?<br />
Bereits <strong>im</strong> Februar <strong>2010</strong> nahm ich über das Internet Kontakt zu verschiedenen<br />
Gesellschaften für Menschen mit dem Krankheitsbild Osteogenesis Imperfecta auf<br />
und suchte nach kompetenten Fachleuten. Mein Anliegen war es, einen Rollstuhltag<br />
für die gesamte Klasse zu organisieren, um alle Kinder für das Gefühl <strong>im</strong> Rollstuhl zu<br />
sensibilisieren. Sie sollten so weit wie möglich nachvollziehen können, welche<br />
19
Bedürfnisse und Schwierigkeiten ein Rollstuhlfahrer <strong>im</strong> Alltag hat, um sich noch<br />
besser in Jonas hineinversetzen zu können (vgl. Deutscher Rollstuhl-Sportverband<br />
2009, S. 17f.).<br />
Nach vielen Telefonaten, die in ganz Deutschland stattfanden, bekam ich den Tipp,<br />
bei Frau Birgit Meitner, einer aktiven Rollstuhlbasketballerin anzurufen. Sie hat<br />
erfolgreich bei den Paralympics teilgenommen und die Silbermedaille mit ihrer<br />
Mannschaft gewonnen. Gleich bei unserem ersten Telefonat erklärte sie sich bereit,<br />
den Rollstuhltag in der Kombiklasse durchzuführen.<br />
3.3.2 Der Ablauf des Rollstuhltages<br />
Am 21.06.<strong>2010</strong> kam Frau Meitner mit zwei ihrer Teamkollegen, Manfred Wolf und<br />
Natalie S<strong>im</strong>anowski, an die Grundschule Günzburg Südost. Mit dabei hatten sie zwölf<br />
Sportrollstühle, die sie für die Kinder in der Halle bereitstellten. Auch die örtliche<br />
Presse war von Herrn Wolf verständigt worden und schrieb einen Artikel über diesen<br />
Rollstuhltag (siehe Anhang 2).<br />
Zu Beginn fand eine Gesprächsrunde statt, bei der die Schüler Fragen an Frau<br />
Meitner stellten, die vorab <strong>im</strong> Klassenverband erarbeitet wurden (siehe Anhang 3).<br />
Hierfür hatte ich den Kindern eine Woche vor dem Rollstuhltag eine Powerpoint<br />
Präsentation mit den wichtigsten Informationen über ihre Person und ihren Sport<br />
gezeigt. Darauf basierend schrieben die Schüler Fragen auf, die sie Frau Meitner an<br />
diesem Tag stellten.<br />
Anschließend gingen die Kinder <strong>im</strong>mer paarweise zusammen und vollführten erste<br />
Eingewöhnungsübungen für den Umgang mit einem Rollstuhl. Dies beinhaltete unter<br />
anderem geradeaus zu fahren, Slalom vorwärts und rückwärts zu fahren und ein<br />
Slalomrennen. Zudem lernten die Kinder, wie sie <strong>im</strong> Fahren einen Ball aufnehmen<br />
konnten.<br />
Daraufhin wurde die Klasse in drei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe spielte<br />
gegeneinander Basketball (vier gegen vier), die nächste Gruppe absolvierte<br />
Korbwurfübungen und die dritte Gruppe übte mit Jonglierbällen das genaue Werfen<br />
und Fangen.<br />
Nach kurzem Bedenken, Jonas auch bei dem Basketballspiel antreten zu lassen,<br />
waren wir uns schnell einig, dass wir es versuchen wollten. Ein Zusammenstoßen<br />
der Rollstühle hätte für Jonas unangenehme Folgen gehabt. Aus diesem Grund<br />
sprach ich mit den beteiligten Kindern über die Vorsichtsmaßnahmen. Somit<br />
20
edeutete ein langer Pfiff sofort stehen zu bleiben, woran sich die Kinder auch<br />
vorbildhaft hielten.<br />
Zwei volle Stunden dauerte der Rollstuhltag und am Ende stellten die Kinder noch<br />
einmal Fragen, wie etwa „Wie hast du diese Behinderung bekommen?“ oder „Wie ist<br />
die Umstellung von früher, wo du laufen konntest, auf jetzt, wo du <strong>im</strong> Rollstuhl sitzen<br />
musst?“. Zum Schluss verabschiedeten sich alle per Handschlag bei den Dreien und<br />
bedankten sich für den tollen Rollstuhltag.<br />
3.3.3 Die Sportstunde der Klasse 3b/4b<br />
Um mir ein Bild über den Lernzuwachs der Kinder machen zu können, erhielten sie<br />
gleich <strong>im</strong> Anschluss an den Rollstuhltag eine Aufgabe von mir. Sie sollten selber eine<br />
Basketballstunde planen, bei der Jonas und die gesamte Klasse gleichermaßen<br />
mitmachen konnte. Hierfür wurde den bestehenden Gruppen ein Platz in der Halle<br />
zugewiesen und sie bekamen ein leeres Stationenblatt, um ihre Ideen festzuhalten.<br />
Ohne meine Hilfe stellten sie Stationen zusammen und planten mit ihrer eigenen<br />
Kreativität eine integrative Sportstunde. Bei zwei Gruppen kam es während der<br />
Planung zu Meinungsdifferenzen, die aber nach einem Gespräch behoben werden<br />
konnten.<br />
Anschließend stellten die Gruppen ihre Stationen vor und alle Kinder durchliefen sie<br />
einmal. Jonas konnte bei allen Stationen bis auf einer problemlos mitmachen. Eine<br />
Gruppe hatte jedoch Jonas’ Größe bei der Planung nicht beachtet, da er auch auf<br />
den großen Basketballkorb werfen sollte. Aber schon bei der Vorstellungsrunde<br />
bemerkten einige Kinder dieses Defizit. Dies wurde jedoch gleich behoben, indem<br />
zwei Kinder einen kleinen Kasten holten, diesen umdrehten und daneben stellten.<br />
3.3.4 Resümee<br />
Die Begeisterung der Kinder über diesen Rollstuhltag war groß. Mit viel Interesse<br />
verfolgten sie die Gesprächsrunden und zeigten ihr Mitgefühl bei den Schilderungen,<br />
wie es zu der jeweiligen Behinderung kam.<br />
Am Anfang hatten viele Kinder Probleme bei der Handhabung des Rollstuhles, aber<br />
die drei geübten Rollstuhlfahrer und Jonas konnten hier hilfreiche Tipps geben. Mit<br />
der Zeit wurden die Schüler <strong>im</strong> Umgang mit dem Rollstuhl sicherer und es machte<br />
ihnen offenkundig Spaß mal einen anderen <strong>Sportunterricht</strong> zu erleben.<br />
21
Deutlich zu spüren war die Rücksichtnahme der Kinder be<strong>im</strong> Basketballspiel. Hier<br />
hielten sie Jonas den Weg frei, ohne ihn bewusst zu verteidigen.<br />
Am Ende des Schultages hielten die Schüler ihre Eindrücke und Meinungen zu dem<br />
Rollstuhlsport schriftlich fest. Auf die Frage „Wie hat es sich angefühlt, <strong>im</strong> Rollstuhl<br />
Sport zu machen?“ kamen folgende Antworten:<br />
• „Dieses Gefühl <strong>im</strong> Rollstuhl zu sitzen ist wie alleine und verlassen zu sein“ (Marc, 4.<br />
Klasse).<br />
• „Es macht Spaß <strong>im</strong> Rollstuhl zu sitzen, aber es ist ungewohnt, weil das ist mein erstes<br />
mal, wo ich in einem Rollstuhl sitze und das ist schwer für mich. Mir hat das Spiel am<br />
besten gefallen, weil da merkt man, dass man alleine kein Tor machen kann. Nur mit<br />
einem Team das habe ich gemerkt“ (Elvan, 3. Klasse).<br />
• „Es war toll zu erfahren, das es Ballsportarten gibt, die man <strong>im</strong> Rollstuhl machen kann“<br />
(n.v. 3./4. Klasse).<br />
• „Es war toll, aber mein Leben lang würde ich es nicht mögen. Aber es war toll zu erfahren,<br />
wie Behinderte Sport machen“ (Corina, 3. Klasse).<br />
Der größte Teil der Klasse war von den Möglichkeiten, wie Menschen mit<br />
Behinderungen Sport treiben können, sehr angetan. Dennoch sind sich alle einig,<br />
dass sie nicht für längere Zeit in einem Rollstuhl sitzen möchten, da es doch ein<br />
ungewohntes Gefühl ist und man in gewisser Weise sehr eingeschränkt ist.<br />
Größtenteils wurde bei der selbst entworfenen Stunde für Jonas auch an den<br />
Gymnastikball gedacht, der auf Grund des weicheren Materials keine<br />
Verletzungsgefahr darstellte. Eine Gruppe wollte sogar einen Schiedsrichter haben,<br />
der aufpassen sollte, dass nichts passiert. Hieran konnte man klar sehen, dass die<br />
Kinder innerhalb dieses Schuljahres viel dazugelernt hatten, vor allem wie man einen<br />
integrativen <strong>Sportunterricht</strong> umsetzt und auf was man dabei achten muss.<br />
3.4 Fragebogenauswertung<br />
Um die Einstellung von Jonas’ Klassenkameraden zum integrativen <strong>Sportunterricht</strong><br />
widerspiegeln zu können, teilte ich am Ende des Schuljahres einen Fragebogen<br />
(siehe Anhang 6) aus, den die Kinder anonym beantworteten. An diesem Tag war ein<br />
Kind krank, weshalb nur 23 Fragebögen ausgefüllt wurden. Da sehr viele Antworten<br />
das Gleiche aussagten oder sogar exakt <strong>im</strong> Wortlaut übereinst<strong>im</strong>mten, werden <strong>im</strong><br />
Folgenden vor allem die Antworten wiedergegeben, die einen guten Einblick<br />
gewähren.<br />
22
Der Fragebogen gliederte sich in drei Teile: Die Sichtweise der Schüler zum<br />
<strong>Sportunterricht</strong> in den beiden ersten Schuljahren, ihre Einstellung zum derzeitigen<br />
<strong>Sportunterricht</strong> und ihre Meinung, warum der Sport für Jonas wichtig ist.<br />
Auf die erste Frage „Jonas konnte die ersten beiden Schuljahre nicht ganz am<br />
<strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen. Wie fandest du das?“ waren sich alle Kinder einig,<br />
dass sie dies keinesfalls gut fanden und begründeten ihre Meinung auch mit<br />
folgenden Argumenten:<br />
• „Ich fand es gemein, weil wenn jemand außen stehen muss fühlt man sich<br />
ausgeschlossen.“<br />
• „Ich fand es gemein, denn Jonas kann ja nichts dafür dass er Glasknochen hat. Man hätte<br />
ja für ihn das Gleiche aufbauen können. Und zwar so wie er es kann.“<br />
• „Ich fand es gemein, weil Jonas ja auch ein Mensch ist.“<br />
• „Ich fand das blöd, weil er sogar bei manchen Sachen mitmachen konnte aber nicht<br />
durfte. Und er saß <strong>im</strong>mer am Rand und musste zuschauen.“<br />
• „Ich fand das blöd, weil er dann <strong>im</strong>mer alleine ist und zuschauen muss, wie wir Spaß<br />
hatten und er war dann traurig.“<br />
Die Kinder in dieser Klasse hatten einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Ihrer<br />
Ansicht nach war die Ausgrenzung von Jonas nicht angebracht und auch seine<br />
Gefühlslage, die er alleine als Außenseiter innehatte, konnten sie nachvollziehen.<br />
Obwohl der Fragebogen bewusst anonym ausgefüllt wurde und die Kinder auch von<br />
meiner Seite zu ehrlichen Antworten angehalten wurden, kam hier keine Antwort, die<br />
die separate Behandlung von Jonas für gut befunden hätte.<br />
Demzufolge wurde die zweite Frage „Findest du es gut, dass Jonas jetzt <strong>im</strong><br />
<strong>Sportunterricht</strong> <strong>im</strong>mer mitmachen kann?“ einst<strong>im</strong>mig mit „Ja“ beantwortet.<br />
Nachfolgend wurden bei der Frage „Warum? Begründe!“, verschiedene Aspekte<br />
genannt.<br />
• „Weil er sonst ausgegrenzt wurde.“<br />
• „Weil er genauso ein Mensch ist wie alle anderen.“<br />
• „Weil er dann nicht mehr so allein ist.“<br />
Zudem sprachen drei Kinder den Fairnessgedanken an, dass jeder das Recht hat<br />
mitzumachen. Weiterhin wurde von sechs Kindern ein Argument gegen Langeweile<br />
genannt. Ein Kind schrieb, dass es für Jonas wichtig ist, wieder aktiv Sport zu treiben<br />
und auch der Spaßfaktor wurde von ein paar Kindern berücksichtigt:<br />
23
• „Weil er dann genauso viel Spaß haben kann wie wir.“<br />
• „Dann hat er Spaß am <strong>Sportunterricht</strong> und denkt vielleicht nicht an seine Glasknochen.“<br />
Bei der vierten Frage „Musst du auf ihn während der Sportstunde besonders<br />
Rücksicht nehmen? Stört dich das manchmal?“ war es mir wichtig zu erfahren,<br />
wie die Teilnahme von Jonas <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> empfunden wird. Ob er<br />
möglicherweise als Störfaktor gesehen wurde, weil Rücksichtnahme unbedingt<br />
erforderlich war.<br />
Ein Kind schrieb, dass es nur manchmal besonders aufpassen müsse, andere<br />
erwähnten, dass Jonas ja sehr gut auf sich selber aufpasst und sie gegenseitig<br />
Rücksicht nehmen.<br />
Auf die zweite Teilfrage sind nur zehn Kinder näher eingegangen. Unter anderem<br />
wurde hier geantwortet:<br />
• „Jetzt muss ich zwar Rücksicht nehmen, aber es macht jetzt viel mehr Spaß.“<br />
• „Ich muss zwar vorsichtiger sein, aber ich habe mich schon daran gewöhnt.“<br />
• „Ja, aber das macht mir nichts aus, weil er mein Freund ist.“<br />
• „Ich nehme gerne auf ihn Rücksicht, weil er dann mitmachen kann.“<br />
• „Ja, ich muss Rücksicht nehmen. Die Stunden mit Jonas sind aber cool!“<br />
Entgegen meiner Erwartungen kamen hier nur positive Rückmeldungen. Kein Kind<br />
erwähnte, dass es die Rücksichtnahme als störend empfand oder Jonas eine<br />
Belastung für den Unterrichtsablauf darstellte.<br />
Auf die letzte Frage „Was glaubst du, warum es für Jonas wichtig ist <strong>im</strong><br />
<strong>Sportunterricht</strong> mitzumachen?“ schrieb fast die Hälfte der Kinder, dass er dadurch<br />
ein Teil von ihnen ist und auch <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> dazugehört.<br />
• „Er kann jetzt mehr ein Mitglied der Gemeinschaft werden.“<br />
• „Weil er nicht von der Klasse ausgeschlossen ist wenn wir Sport haben.“<br />
• „Dass er nicht mehr so allein ist.“<br />
Acht andere schrieben, dass der sportliche Aspekt auch für Jonas’ Gesundheit<br />
wichtig ist:<br />
• „Dass er sieht dass er auch Sport machen kann und <strong>im</strong>mer fit bleibt.“<br />
• „Damit er mehr Kraft für das Rollifahren bekommt.“<br />
24
Hierbei konnte man klar erkennen, dass die Kinder auch an Jonas’ Fitness dachten<br />
und auch den gesundheitlichen Faktor bei ihm für wichtig erachteten.<br />
3.5 Interview mit Jonas<br />
Am Ende des Schuljahres führte ich zudem mit Jonas ein Interview durch, um auch<br />
seine Sichtweise näher zu betrachten. Die wichtigsten Gesprächsinhalte werden <strong>im</strong><br />
Folgenden wiedergegeben.<br />
1. Frage:<br />
Wie war denn der <strong>Sportunterricht</strong> in der 1. und 2. Klasse für dich?<br />
Jonas:<br />
Es war sehr langweilig, weil ich nichts mitmachen konnte. Oder zumindest das<br />
meiste nicht mitmachen konnte. Ich musste <strong>im</strong>mer extra, separat mit einem Kind auf<br />
einer Matte turnen. Mit irgendwelchen Geräten, die da waren und wenn ein tolles<br />
Spiel kam, sind die Kinder dann auch weggerannt.<br />
2. Frage:<br />
Erzähl doch mal genauer, wie der <strong>Sportunterricht</strong> in diesem Schuljahr war.<br />
Jonas:<br />
Ich kann jetzt alles mitmachen und gehöre auch <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> zur Klasse dazu.<br />
So wie es eigentlich sein sollte.<br />
3. Frage:<br />
Was wünschst du dir für den <strong>Sportunterricht</strong> in den kommenden Schuljahren?<br />
Jonas:<br />
Ich wünsche mir, dass ich wieder so weitermachen kann, wie dieses Schuljahr, dass<br />
ich alle Spiele mitmachen kann und dass es wieder so tolle Aktionen gibt, wie den<br />
Rollstuhltag.<br />
25
4. Resümee<br />
Der Gedanke, nicht die Spieler dem Spiel, sondern das Spiel den Spielern<br />
anzupassen, war mir in diesem Schuljahr ein wichtiger Leitsatz, an dem ich<br />
kontinuierlich gearbeitet habe. Als Sportlehrerin waren zwei Anforderungen an mich<br />
gestellt. Einerseits den leistungsstärkeren Schülern in dieser Klasse gerecht zu<br />
werden und andererseits Beteiligungschancen für Jonas zu finden, durch die er, wie<br />
seine Mitschüler, am <strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen konnte. Dies war eine schwierige<br />
Gradwanderung, da auf der einen Seite Jonas’ Klassenkameraden auf Grund der<br />
geforderten Rücksichtnahme nicht das Interesse am gemeinsamen <strong>Sportunterricht</strong><br />
verlieren durften und auf der anderen Seite Jonas nicht gefährdet werden durfte, um<br />
ihm eine ungezwungene Teilnahme zu ermöglichen (vgl. Schoo 1999, S.37).<br />
In diese neue Aufgabe musste ich auch erst hineinwachsen und mir neues Wissen<br />
selbst aneignen. Faktoren, die sich für mich in einem integrativen <strong>Sportunterricht</strong> als<br />
wichtig herausgestellt haben, waren unter anderem Offenheit, Flexibilität, Kreativität<br />
und eine Portion Mut, <strong>im</strong>mer wieder neues auszuprobieren.<br />
Rückblickend war es mir, vor allem <strong>im</strong> zweiten Schulhalbjahr, gelungen, Jonas<br />
vollständig <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> zu integrieren und ihm Beteiligungschancen zu bieten,<br />
die eine aktive Teilnahme seinerseits ermöglichten. Auch die Klasse hat in diesem<br />
Schuljahr viel dazugelernt, vor allem das Menschen mit Behinderungen die gleichen<br />
Bedürfnisse haben wie wir alle und dass jeder von uns etwas dazu beitragen kann,<br />
sie in unserer Mitte aufzunehmen.<br />
Das Sozialverhalten war in dieser Klasse unwahrscheinlich stark ausgeprägt. Jeder<br />
bot seine Hilfe an und unterstützt den anderen, wo er nur konnte. Dass dies gerade<br />
in Jonas’ Klasse so war, war best<strong>im</strong>mt kein Zufall. Er hat diese Klasse geprägt und<br />
den Kindern Dinge beigebracht, die sie hoffentlich auch in Zukunft zu einem<br />
hilfsbereiten, toleranten und vorurteilsfreien Umgang mit anderen Menschen anleiten<br />
werden.<br />
Im Sommer konnte Jonas zudem, genau wie seine Mitschüler, das Deutsche<br />
Sportabzeichen machen. Nach einigen Telefonaten konnte ich erreichen, dass für<br />
Jonas andere Ausgleichsdisziplinen zugelassen wurden. Seine Leistungen schickte<br />
ich nach München ein, wo sie bearbeitet wurden. Nach einer Woche kamen die<br />
Urkunde (siehe Anhang 7) und die Anstecknadel zurück, die für Jonas einen großen<br />
Anerkennungswert besitzen.<br />
„Damit Mögliches entsteht, muss <strong>im</strong>mer wieder Unmögliches versucht werden!“<br />
Herrmann Hesse (Deutsche Gesellschaft für Osteogenesis Imperfecta <strong>2010</strong>, S.1; Herv. S.M.).<br />
26
Literaturverzeichnis<br />
Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2000): Lehrplan für die<br />
Grundschule. Kirchhe<strong>im</strong> bei München<br />
Beck, Froschmeier, Lang, Schreibe, Schwesig & Spitzenpfeil (2005): Fit für die<br />
Sporterziehung in der Grundschule. Grundwissen Praxisbausteine. LASPO.<br />
Donauwörth<br />
Bracher, Brattinger, Dressler, Froschmeier, Ludwig, Kohnen, Kohnert & Z<strong>im</strong>nik<br />
(2002): Sporterziehung. Grundschule 3./4. Jahrgangsstufe. LASPO. Donauwörth<br />
Deutsche Gesellschaft für Osteogenesis Imperfecta (Glasknochen) Betroffene e.V.<br />
(<strong>2010</strong>): „Damit Mögliches entsteht, muss <strong>im</strong>mer wieder Unmögliches versucht<br />
werden!“ Hermann Hesse. Hamburg<br />
Deutscher Rollstuhl-Sportverband (2009): Sport+ Mobilität mit Rollstuhl. 28.<br />
Jahrgang, Heft 10/2009. Duisburg<br />
Eberwein, Hans & Knauer, Sabine (2002): <strong>Integration</strong>spädagogik. 6. Auflage.<br />
Weinhe<strong>im</strong> und Basel<br />
Erzmann, Tobias (2003): Konstitutive Elemente einer Allgemeinen (integrativen)<br />
Pädagogik und eines veränderten Verständnisses von Behinderung. Frankfurt am<br />
Main<br />
Glaesner, Nina, Hagelsetin, Willy & Petersen, Tanja (n.v.): Glasfit mini. Das<br />
Frühförderungsprogramm für Kinder mit Osteogenesis <strong>im</strong>perfecta. Hamburg<br />
Häusermann, Stefan (2008): Mit Unterschieden Spielen. Themenfächer.<br />
Herzogenbuchsee<br />
Hosfeld, Christin (2009): Werfen, Laufen und Springen in der Grundschule.<br />
Tageslehrgänge der Staatlichen Lehrerfortbildung (76/902). LASPO<br />
Kapustin, Peter& Kapustin- Lauffer, Tatjana (2009): Ich will auch� wie Du! Sport,<br />
Spiel und Spaß zusammen mit beeinträchtigten Kindern. Wiebelshe<strong>im</strong><br />
Lehmann, Hartwig (2004): Bewegungsträume werden wahr. Krankengymnastik bei<br />
Osteogenesis Imperfecta. Meckenhe<strong>im</strong><br />
27
Muth, Jakob (1986): <strong>Integration</strong> von Behinderten. Über die Gemeinsamkeiten <strong>im</strong><br />
Bildungswesen. Bochum<br />
Prengel, Annedore (2006): Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und<br />
Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik. 3.<br />
Auflage. Wiesbaden<br />
Rheker, Uwe (1993): Spiel und Sport für alle. Aachen<br />
Schoo, Michael (1999): Sport- und Bewegungsspiele für körperbehinderte Kinder und<br />
Jugendliche. München<br />
Sowa, Martin (1997): Sport- Spiel- Spannung- Spaß. Praxishandbuch zum Sport für<br />
alle in Schule und Verein. Dortmund<br />
Wurzel, Bettina (1991): <strong>Sportunterricht</strong> mit Nichtbehinderten und Behinderten.<br />
Untersucht am Beispiel von Sehenden und Blinden. Schorndorf<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abb. 1:<br />
Jonas und seine Klassenkameraden bei der Ausführung der Menschenpyramide .. 13<br />
Abb. 2:<br />
Jonas und Marc be<strong>im</strong> Badmintonspielen ................................................................. 16<br />
28
Anhang<br />
Anhang 1:<br />
Gerechte Staffelspiele<br />
Gerechte Staffelspiele<br />
Wie kannst du die Staffelstrecken oder die Bedingungen ändern, dass alle Kinder die<br />
gleichen Chancen haben?<br />
Überlege dir mit deiner Gruppe Möglichkeiten und schreibe sie kurz auf:<br />
__________________________________________________________<br />
__________________________________________________________<br />
__________________________________________________________<br />
__________________________________________________________<br />
29
Anhang 2:<br />
Zeitungsartikel von dem Rollstuhltag<br />
(SAMSTAG, 26. JUNI <strong>2010</strong> NUMMER 144, verfasst von Bernhard Wetzenegger)<br />
30
Anhang 3:<br />
Unsere Fragen an Frau Meitner<br />
Unsere Fragen an Frau Meitner<br />
Aufgabe: Überlege dir in deiner Gruppe Fragen, die du Frau Meitner gerne<br />
stellen würdest und schreibe sie auf.<br />
31
Anhang 4:<br />
Die Basketballstationen der Kombiklasse<br />
1. Station:<br />
2. Station<br />
Unsere Basketballstunde für Jonas<br />
1. Station<br />
Aufgabe: Laufe/fahre Slalom um die Hütchen und werfe den Ball in den Kasten oder den<br />
Basketballkorb.<br />
Variationen:<br />
• Dribble auch mit der linken Hand<br />
• Dribble links/rechts abwechselnd<br />
Du brauchst: 1 kleinen Kasten, 8 Hütchen, 4 Basketbälle, 1 Gymnastikball<br />
32
3. Station<br />
Unsere Basketballstunde für Jonas<br />
2. Station<br />
Aufgabe: Man muss erst über die Matten, dann unter der Stange hindurchkrabbeln. Danach<br />
auf der Weichbodenmatte eine Rolle vor- oder seitwärts machen. Hinter der Matte steht<br />
einer, der den Ball zu einem passt, diesen muss man in den Korb oder den Kasten werfen.<br />
Variationen:<br />
• Versuche vor- oder rückwärts zu krabbeln<br />
• Werfe in den kleinen Kasten oder in den kleinen Basketballkorb<br />
Du brauchst: 1 kleinen Kasten, 2 blaue Matten, 2 Hütchen, 3 Stangen mit Halterungen, 1<br />
Weichbodenmatte, 1 kleinen Kasten, 1 kleinen Basketballkorb, 1 Gymnastikball<br />
Unsere Basketballstunde für Jonas<br />
3. Station<br />
Aufgabe: Krabble <strong>im</strong> Slalom durch die Hütchen und rolle dich über die Matte. Danach prellst<br />
du den Ball in die Reifen und krabbelst unter der Stange durch.<br />
Variationen:<br />
• Fahre mit dem Rollbrett durch die Hütchen<br />
Du brauchst: 3 Hütchen, 2 Basketbälle, 1 Softball, 1 Weichbodenmatte, 3 Reifen, 3 Stangen<br />
mit Halterungen, 2 Hütchen, 1 Gymnastikball<br />
33
4. Station<br />
Unsere Basketballstunde für Jonas<br />
4. Station<br />
Aufgabe: Es spielen 2 Angreifer gegen 2 Abwehrspieler. Später wird getauscht. Einer ist der<br />
Schiedsrichter, der aufpasst.<br />
Variationen:<br />
• Den Korb höher/niedriger stellen<br />
Du brauchst: 1 Kasten, 1 Basketball, 1 Basketballkorb, 1 markiertes Feld, 1 Gymnastikball<br />
34
Anhang 6:<br />
Fragebogen der Mitschüler<br />
<strong>Hausarbeit</strong> Sarah Müller<br />
Fragebogen für die Mitschüler/innen<br />
1.) Jonas konnte die ersten beiden Schuljahre nicht am <strong>Sportunterricht</strong> teilnehmen. Wie fandest du das?<br />
2.) Findest du es gut, dass Jonas jetzt <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> <strong>im</strong>mer mitmachen kann?<br />
3.) Warum? Begründe!<br />
ja nein<br />
4.) Musst du auf ihn während der Sportstunde besonders Rücksicht nehmen? Stört dich das?<br />
5.) Was glaubst du, warum es für Jonas wichtig ist <strong>im</strong> <strong>Sportunterricht</strong> mitzumachen?<br />
35
Anhang 7:<br />
Das Deutsche Sportabzeichen von Jonas<br />
Anhang 8:<br />
Video: „Integrativer <strong>Sportunterricht</strong> - ein Junge mit der Glasknochenkrankheit <strong>im</strong><br />
Rollstuhl.“<br />
Die Sportstunden vom 12.04. - 21.06.10 wurden von unserem Hausmeister Herr<br />
Schwarz mitgefilmt.<br />
36
Erklärung<br />
Ich versichere hiermit, dass ich die schriftliche <strong>Hausarbeit</strong> nicht schon als Doktor-,<br />
Magister- oder Diplomarbeit bei einer Hochschule oder als schriftliche <strong>Hausarbeit</strong> bei<br />
einer anderen Staatsprüfung für ein Lehramt eingereicht habe. Außerdem habe ich<br />
die Arbeit in allen Teilen selbst gefertigt und keine anderen als in der schriftlichen<br />
<strong>Hausarbeit</strong> angegebenen Hilfsmittel benutzt.<br />
(Ort, Datum, Unterschrift)<br />
37