ALG II IHR RECHT VON A-Z - Strassenfeger
ALG II IHR RECHT VON A-Z - Strassenfeger
ALG II IHR RECHT VON A-Z - Strassenfeger
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
strassen|feger<br />
<strong>ALG</strong> <strong>II</strong><br />
<strong>IHR</strong> <strong>RECHT</strong><br />
<strong>VON</strong> A-Z<br />
Kein Geld für einen Anwalt – kostenlose Rechtsberatung für Arme<br />
Gespräch mit dem Berliner Sozialrichter Michael Kanert<br />
Interview mit Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit<br />
Ratgeber-Ausgabe<br />
2009<br />
1,50 Euro<br />
15 Jahre<br />
Ein Verein stellt<br />
sich vor
2<br />
Edito<br />
Edito<br />
Es ist immer eine politische Entscheidung,<br />
wieviel Lebensunterhalt dem Erwerbslosen<br />
zugestanden wird. Der Druck der vermeintlich<br />
leeren Kassen, unter dem 2004 die<br />
Hartzgesetze durchgepeischt wurden, die<br />
zu einem signifikanten Anstieg der Armut in<br />
Deutschland geführt haben, wurde von den<br />
riesigen Rettungspaketen für das systemrelevante<br />
Bankgeschäft Lügen gestraft<br />
bzw. hat gezeigt, dass uns Menschen keine<br />
Systemrelevanz zugestanden wird. Besonders<br />
in Berlin ist die Armut in den letzten<br />
Jahren augenfällig geworden, Pfandflaschensammler<br />
und Arbeitslose oder Rentner,<br />
die in Mülleimern nach Verwertbarem stöbern,<br />
gehören in manchen Bezirken schon<br />
zur alltäglichen Normalität. (Und dienen<br />
in der touristschen Hochsaison dem Berlinbesucher<br />
als Lokalkolorit, denn endlich<br />
kann Herr X und Frau Y aus Hintertupfing am<br />
Stammtisch erläutern, was mit „arm aber<br />
sexy“ gemeint ist.)<br />
Von der Verwaltung wird die Praxis der<br />
Statistikretouche weiter verfeinert, um zu<br />
verschleiern, wie groß der Anteil der Abgehängten<br />
in unserer Gesellschaft tatsächlich<br />
ist. Seit der Finanzkrise ist zwar vielen klar<br />
geworden, dass die <strong>ALG</strong>-<strong>II</strong>-Gesetzgebung<br />
einen anderen Hintergrund als den proklamierten<br />
hat, doch die dringend notwendige<br />
Solidarisierung aller (Lohn-)Abhängigen<br />
lässt auf sich warten. 2009 haben wir ein<br />
Superwahljahr, doch eine Umkehr in der<br />
Politik ist angesichts der Geiselfunktion, die<br />
die AlG-<strong>II</strong>-Bezieher (auf Rentner und Kinder<br />
will ich hier gar nicht eingehen) übernommen<br />
haben und die im Hinblick auf Lohnforderungen<br />
Erfolge für die „gebeutelte“<br />
Wirtschaft zeitigt, nicht abzusehen.<br />
Diese Tatsache wirft natürlich die Frage<br />
auf, wem denn nun von Armut Betroffene in<br />
unserem Land am Wahltag ihr Vertrauen in<br />
Form eines Kreuzchens aussprechen sollten,<br />
nur ist an dieser Stelle nicht der Platz für<br />
derartige Erörterungen.<br />
Uns bleibt hier nur, die minimalen Rechte, die<br />
Erwerbslosen noch zugestanden werden, zu<br />
erläutern und zu deren Einforderung zu ermutigen.<br />
Bei kleinen Kindern, die etwas wollen,<br />
was sie gerade nicht bekommen sollen, sagt<br />
man schnell, dass sie Grenzen lernen müssen<br />
– die in diesem Heft zusammengestellten<br />
Texte wollen jedem Einzelnen den Rücken<br />
stärken, um dem Verwaltungsapparat die<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Quelle: wikimedia<br />
Grenzen zu zeigen, die der Gesetzgeber bzw.<br />
häufig die Gerichte (und dann nachträglich)<br />
gezogen haben. Den dazu nötigen Mut möchten<br />
wir allen Betroffenen geben.<br />
Und dann: Wenn Sie in Ihrem Bekanntenkreis<br />
Menschen mit Arbeit haben, geben<br />
Sie diesen Ratgeber leihweise an jene<br />
weiter. Die Unkenntnis über das Ausmaß<br />
der Beschneidung der Persönlichkeitsrechte<br />
durch „HIV“ ist immer noch erschreckend<br />
weit verbreitet. Eine regelmäßige Lektüre<br />
unseres strassenfeger kann hier übrigens<br />
auch Abhilfe schaffen!<br />
Lou
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Inhalt<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
Vorwort 4<br />
Antragstellung 5<br />
Antragsformular 6<br />
aufstockendes <strong>ALG</strong> <strong>II</strong> 6<br />
Beistand 7<br />
Bescheid 7<br />
Datenschutz 8<br />
eheähnliche Gemeinschaft 10<br />
Erlaß von Ansprüchen 11<br />
Ermessen 12<br />
Folgeantrag 12<br />
GEZ-Gebühren 12<br />
Haushaltsenergie 13<br />
Haushaltsgemeinschaft 13<br />
Jugendliche unter 25 14<br />
Klassenfahrten 15<br />
Mehrbedarf 16<br />
Miete 17<br />
Mitwirkungspflichten 19<br />
Nebenkosten 21<br />
Ortsabwesenheit 21<br />
Rechtsschutz 22<br />
Beratungs- und Prozesskostenhilfe 23<br />
Widerspruch 23<br />
aufschiebende Wirkung 23<br />
einstweilige Anordnung 24<br />
Klage 24<br />
Untätigkeitsklage 25<br />
Überprüfungsantrag 25<br />
Sofortangebote 26<br />
Umzug 26<br />
Verpflegung 29<br />
Vorschuss 29<br />
Vorsorge für das Alter 30<br />
Literaturhinweise 31<br />
Anlaufstellen 31<br />
Inhalt<br />
Klare Worte<br />
Kochbuch zum Sparen 32<br />
Ungeklärte Mietobergrenzen 33<br />
Kinderarmut per Gesetz 34<br />
Menschenwürde ist antastbar 35<br />
Kein Geld für einen Anwalt? 36<br />
Umgang mit Arbeitslosen 37<br />
Hartz IV und Tier 41<br />
Nachgefragt<br />
Beim Berliner Sozialgericht 38<br />
Interview mit dem Berliner Sozialrichter<br />
Michael Kanert<br />
Bei der Bundesagentur für Arbeit 46<br />
Interview mit Vorstandsmitglied Heinrich Alt,<br />
verantwortlich für Grundsicherung<br />
Aus der Arbeit unseres Vereins<br />
Ziele und Angebote 42<br />
Notübernachtung 42<br />
strassenfeger 43<br />
Kaffee Bankrott 44<br />
Selbstbauhaus 44<br />
EDV-Abteilung 44<br />
TrödelPoint 45<br />
Mitarbeit und Praktikum 45<br />
Spenden und Unterstützung 45<br />
Schnittstelle<br />
von Wolfgang Mocker 50<br />
Impressum 51<br />
3
4<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
Vorwort<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
� heute halten Sie die zweite Hartz-IV-Ausgabe<br />
des straßenfeger in der Hand. Die erste<br />
Ausgabe erschien im Mai 2007. Der Ratgeber<br />
enthält zum Teil andere Schwerpunktthemen.<br />
Hier spiegeln sich besonders viele Konflikte<br />
mit der Arbeitslosenbehörde wider. Wie beim<br />
Thema Umzug. Es gibt Fälle, da mussten<br />
Betroffene Privatkredite aufnehmen, obwohl<br />
der Umzug von der Behörde veranlasst wurde!<br />
Das Gesetz zwingt das Amt in diesen Fällen,<br />
eigentlich die mit<br />
dem Umzug in der<br />
Regel anfallenden<br />
Kosten zu übernehmen.<br />
In der Zwischenzeit<br />
haben sich viele<br />
Gesetze und auch die<br />
DH (Durchführungshinweise<br />
der BA =<br />
NICHT DIE NOT IST DAS SCHLIMMSTE,<br />
SONDERN DASS SIE ERTRAGEN WIRD!<br />
DENN DAS HINNEHMEN <strong>VON</strong> ARMUT,<br />
WÄHREND ES REICHTUM GIBT,<br />
IST GEISTIGES VERSAGEN,<br />
IST UNEMPFINDLICHKEIT DER SEELE<br />
GEGEN DIE BELEIDIGUNG<br />
Erich Mühsam<br />
Bundesagentur für Arbeit) geändert. Leider<br />
gingen die Änderungen mehrheitlich zu Lasten<br />
der Betroffenen. Das SGB <strong>II</strong> (Sozialgesetzbuch<br />
<strong>II</strong>) wird deshalb von Kritikern immer wieder<br />
mit „Strafgesetzbuch <strong>II</strong>“ übersetzt.<br />
Klagen und Urteile<br />
Das Bundessozialgericht hat in verschiedenen<br />
Fällen ein wenig Klarheit gebracht. Positiv zu<br />
bewerten waren die Urteile gegen die Anrechnung<br />
von Verpflegung in Krankenhäusern u.ä.,<br />
sowie bei über 25-Jährigen im Elternhaus.<br />
Die Zulassung von Verfassungsklagen gegen<br />
die Höhe der Regelleistungen der 6- bis 14-<br />
Jährigen bewirkte zumindest erst mal die<br />
Erhöhung auf 251 Euro und zum 1.8.2009<br />
erstmals 100 Euro für den Schulbedarf.<br />
Erschreckend sind die Urteile zur völligen,<br />
zeitlich unbegrenzten, Anrechnung von<br />
Steuererstattungen als Einkommen und die<br />
Verpflichtung, bei ausreichendem Einkommen,<br />
für die Kinder der Partnerin in der<br />
Bedarfsgemeinschaft aufkommen zu müssen.<br />
Niemand kann sagen, wie viele Gerichtsprozesse<br />
allein wegen der Verpflegung geführt<br />
wurden. Die Verantwortlichen beklagen sich<br />
jedenfalls, dass zu viele (angeblich nicht zu<br />
gewinnende) Prozesse geführt werden. Dabei<br />
werden gerade im SGB <strong>II</strong> mehr als 50 Prozent<br />
der Verfahren positiv entschieden. Das ist weit<br />
mehr als bei allen anderen Sozialgesetzen. Das<br />
heißt jedoch nicht, dass die anderen 50 Prozent<br />
negativ entschieden wurden. Weitere 20<br />
bis 30 Prozent wurden<br />
positiv erledigt. Z.B.<br />
wurden durch Untätigkeitsklagen<br />
die<br />
Behörden tätig.<br />
Oder das Gericht<br />
stellte die aufschiebende<br />
Wirkung fest,<br />
wozu man früher<br />
keine Gerichte<br />
brauchte. Jedoch sind die steigenden Fallzahlen<br />
der Gerichte ein willkommener Anlass,<br />
die Schuld bei den Armen abzuladen. Man will<br />
wieder einmal Gerichtsgebühren einführen.<br />
Wir können nur hoffen, dass dieses Vorhaben<br />
auch dieses Mal u.a. an den Richtern scheitert,<br />
die immer wieder auf erhebliche verfassungsrechtliche<br />
Bedenken hinweisen.<br />
Gewinne und Verluste<br />
Angesichts der Finanzkrise<br />
spielt Geld nur eine Rolle, wenn<br />
es von unten nach oben verschoben<br />
werden kann. Oben<br />
angekommen, ist es dann kein<br />
Problem. eine halbe Billion Euro<br />
innerhalb von ein paar Tagen<br />
bereitzustellen: für die „notleidenden<br />
Banken“, die sich mit<br />
Eine Frau heizt ihren Ofen mit<br />
Inflationsgeld (um 1924).<br />
Geld als Energieressource der Zukunft?<br />
fremdem und arbeitslosem Geld einfach mal<br />
verzockt haben. Sie haben sich mit ihren<br />
hochriskanten Geldanlagen nicht strafbar<br />
gemacht! Im Gegenteil, denn dies wurde<br />
durch Gesetzesänderungen, die die Gründung<br />
von ausländischen Tochterfirmen der Banken<br />
WER GLAUBT,<br />
DASS LOHNVERZICHT<br />
ARBEITSPLÄTZE<br />
SCHAFFT,<br />
DER GLAUBT AUCH,<br />
DASS ZITRONENFALTER<br />
ZITRONEN FALTEN!<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
für diese Zwecke erlauben, erst in diesem<br />
Maße möglich. Übrigens wurde der Einfall der<br />
„Heuschrecken“ – insbesondere im Immobilienmarkt<br />
– auch erst durch exorbitante Steuerermäßigungen<br />
für die Fonds attraktiv.<br />
Es gab auch keinen Grund für die Banken,<br />
anders zu handeln. Schließlich haben wir ein<br />
voll funktionierendes kapitalistisches Gesellschaftssystem;<br />
Gewinne werden privatisiert,<br />
Verluste sozialisiert, also von der Sozialgemeinschaft,<br />
den Steuerzahlern bezahlt. Deshalb<br />
nennt man das auch „soziale Marktwirtschaft“<br />
und so funktioniert sie auch!<br />
Rechte und ihre Durchsetzung<br />
Die Zeche werden die normalen Steuerzahler<br />
und die Armen zahlen. Wer von den Armen<br />
jetzt auf das Grundgesetz Artikel 1 „Die Würde<br />
des Menschen ist unantastbar.“ hofft, dem sei<br />
gesagt, dass diese Menschenwürde ein unbestimmter<br />
Rechtsbegriff ist. Der wird erst durch<br />
Gesetze wie z.B. das SGB <strong>II</strong> bestimmt. Ob es<br />
die Kürzungen mit Einführung des SGB <strong>II</strong> und<br />
X<strong>II</strong> waren oder die im SGB <strong>II</strong> verankerte Verweigerung<br />
jeglicher Zahlung ist; alles das ist<br />
mit dem Grundgesetz anscheinend vereinbar.<br />
Auch weitere direkte oder indirekte Kürzungen<br />
werden es sein!<br />
Also nutzen wir trotz dieser<br />
Aussichten die wenigen Rechte,<br />
die die Armen noch haben! Der<br />
Hartz-IV-Ratgeber soll eine<br />
Hilfe dazu sein. Er kann jedoch<br />
nur einen kleinen Einblick in<br />
ein paar Themen geben und soll<br />
ein Einstieg in diese Gesetze<br />
sein. Hier möchten wir den<br />
Lesern als weitere Hilfen unbedingt<br />
den neuen „Leitfaden Alg <strong>II</strong>/Sozialhilfe“<br />
(siehe Literaturhinweise) und die Adresse<br />
www.tacheles-sozialhilfe.de ans Herz legen.<br />
Jette Stockfisch<br />
Quelle: Mammon-Akademie
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
ABM – Arbeitsbeschaffungsmaßnahme<br />
Az – Aktenzeichen<br />
BA - Bundesanstalt für Arbeit<br />
BGB – Bürgerliches Gesetzbuch<br />
BGH – Bundesgerichtshof<br />
BSG – Bundessozialgericht<br />
BSHG - Bundessozialhilfegesetz<br />
BvR – Bundesverfassung<br />
BVerfG – Bundesverfassungsgericht<br />
BVerwG – Bundesverwaltungsgericht<br />
EA – Einstweilige Anordnung<br />
EAO – Erreichbarkeitsanordnung<br />
EWG – Europäische Wirtschaftsgemeinschaft<br />
FEG – Fortentwicklungsgesetz<br />
LSG – Landessozialgericht<br />
MAE – Mehraufwandsentschädigung<br />
OVG – Oberverwaltungsgericht<br />
PKH – Prozesskostenhilfe<br />
Rz. – Randziffer<br />
SGB – Sozialgesetzbuch<br />
WG – Wohngemeinschaft<br />
WSI - Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche<br />
Institut<br />
Merkzeichen G – Ein Vermerk auf einem Behindertenausweis.<br />
Es bedeutet gehbehindert und berechtigt<br />
wahlweise zur unentgeltlichen Beförderung im<br />
öffentlichen Personennahverkehr oder zur Kraftfahrzeugsteuerermäßigung<br />
von 50 Prozent.<br />
Merkzeichen aG – bedeutet außergewöhnlich<br />
gehbehindert.<br />
ANTRAGSTELLUNG<br />
� Der Antrag auf Arbeitslosengeld <strong>II</strong> sollte so<br />
früh wie möglich gestellt werden. Viele Menschen<br />
scheuen sich vor der Antragstellung, was<br />
menschlich verständlich ist, werden die Bezieher<br />
von Alg <strong>II</strong> doch immer wieder als Sozialschmarotzer<br />
und ähnliches bezeichnet. Wer<br />
möchte sich da schon freiwillig einreihen!<br />
In der Hoffnung, in der Zwischenzeit doch noch<br />
einen Job zu ergattern und somit dem Alg <strong>II</strong><br />
zu entrinnen, verbrauchen viele Betroffene<br />
ihre Ersparnisse, um dann – ohne einen Cent in<br />
der Tasche – doch beim JobCenter zu landen.<br />
Häufig werden auch noch Schulden gemacht,<br />
und auch die Miete wird nicht bezahlt. Das<br />
ist blanker finanzieller Selbstmord. Denn dem<br />
JobCenter sind die Schulden egal. Im Kampf<br />
um die Mietschuldenübernahme hat schon so<br />
mancher seine Wohnung verloren!<br />
Pro Person dürfen 150 Euro pro Lebensjahr<br />
als Vermögen mit in die Arbeitslosigkeit<br />
gebracht werden. Zusätzlich noch 250 Euro<br />
pro Lebensjahr VORSORGE �.<br />
Wer beim JobCenter erscheint, um einen Antrag<br />
zu stellen, wird oft mit dem ANTRAGSFORMU-<br />
LAR � und der Auflage, mit dem ausgefüllten<br />
Antrag und den nötigen Unterlagen zu einem<br />
späteren Termin wiederzukommen, nach Hause<br />
geschickt. Das ist auch in Ordnung, wenn der<br />
Antrag den Datumsstempel des Antragstages<br />
trägt. Die häufige Praxis, den Antrag erst mit<br />
dem zweiten Termin zu datieren, ist rechtswidrig.<br />
Der Antrag gilt als gestellt, wenn man<br />
zum ersten Mal dort erscheint und den Antrag<br />
stellt. Niemand sollte sich mit einer mündlichen<br />
Ablehnung abfinden. Die ist schnell ausgesprochen.<br />
Es sollte immer auf einem schrift-<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
5<br />
Foto: K.B.<br />
lichen BESCHEID � bestanden werden. Nicht<br />
selten hat sich dann plötzlich die Ablehnung<br />
erledigt. Auch kann man gegen einen schriftlichen<br />
BESCHEID � besser WIDERSPRUCH �<br />
einlegen. Gegen einen mündlichen Bescheid<br />
kann man zwar auch Widerspruch einlegen,<br />
doch besteht bei der mündlichen Erstbeantragung<br />
das Problem nachzuweisen, dass man<br />
überhaupt einen Antrag gestellt hat, und dass<br />
dieser mündlich abgelehnt wurde. Wenn beim<br />
Job Center keine Aktennotiz darüber existiert,<br />
hat man eigentlich nur Zeit verloren!<br />
Häufig warten Betroffene mit der Antragstellung,<br />
bis sie völlig pleite sind und nicht wissen,<br />
wie und wovon sie die nächsten Tage leben<br />
sollen. Dann ist ein VORSCHUSS � fällig.
6<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
ANTRAGSFORMULAR<br />
� Im Antragsformular gibt es ein paar Unklarheiten<br />
und Fallen, die man vermeiden kann.<br />
Auf Seite 1 wird nach der Telefonnummer und<br />
E-Mail-Adresse gefragt. Diese Angaben sind<br />
freiwillig. Insbesondere die Angabe der Telefonnummer<br />
sollte man sich gut überlegen.<br />
In der Hoffnung auf eine bessere Vermittelbarkeit<br />
geben viele ihre Telefonnummer<br />
an. Man sollte jedoch auch bedenken, dass<br />
man sich mit dieser Art der Erreichbarkeit<br />
den Telefonterror eines übereifrigen Mitarbeiters<br />
einhandeln kann. Nicht zu übersehen<br />
sind die Kontrollanrufe von Call-Centern.<br />
Beides kann zu erheblichen Problemen bis<br />
hin zu Leistungskürzungen führen. Deshalb<br />
ist Betroffenen, auch wenn sie ein noch so<br />
reines Gewissen haben, von diesen Angaben<br />
abzuraten. Hier sind auch wichtige Hinweise<br />
zum DATENSCHUTZ � zu beachten.<br />
Von Betroffenen, die kein Konto haben, wird<br />
der Nachweis verlangt, dass sie kein Konto<br />
eröffnen können. Dafür gibt es keine Verpflichtung.<br />
Wer die entstehenden Kosten einer Geldübermittlung<br />
ohne eigenes Konto nicht tragen<br />
will, kann die Barauszahlung verlangen.<br />
Unter „<strong>II</strong>. Persönliche Verhältnisse“ wird<br />
auch nach dem Partner in eheähnlicher<br />
Gemeinschaft gefragt. Hier machen viele<br />
Antragsteller den Fehler, ihre Freundin oder<br />
AUFSTOCKENDES <strong>ALG</strong> <strong>II</strong><br />
� Auch Erwerbstätige haben das<br />
Recht, einen Antrag auf Alg <strong>II</strong> zu<br />
stellen. Unter den üblichen Voraussetzungen<br />
(Vermögens- und Einkommensfreibeträge<br />
usw.) haben<br />
sie einen Rechtsanspruch auf aufstockendes<br />
Alg <strong>II</strong>. Insbesondere<br />
die steigende Zahl von Hungerlöhnen<br />
lässt die Zahl der Antragsteller<br />
stetig steigen. Hier geht es nicht<br />
nur um Minijobber, sondern mehr<br />
und mehr um Vollbeschäftigte,<br />
deren Lohn nicht zum Leben reicht.<br />
Es ist schwer, an dieser Stelle eine<br />
Aussage über die Bedürftigkeit zu<br />
machen. Als Grundlage einer Berechnung<br />
sollte der Bedarf dienen.<br />
Nebenstehend eine Übersicht der<br />
Berechnung in Kurzform und einem<br />
Beispiel.<br />
den Freund einzutragen, ohne sich der möglichen<br />
auch finanziellen Folgen bewusst zu<br />
sein und ohne zu wissen, was der Unterschied<br />
zwischen verliebtem Zusammenleben<br />
und EHEÄHNLICHER GEMEINSCHAFT � ist. Ein<br />
Paar ist eben nicht zwangsläufig eine eheähnliche<br />
Gemeinschaft.<br />
Bei der Spalte „Unterbringung in einer stationären<br />
Einrichtung“ sind Angaben zu<br />
machen, z. B., ob der Aufenthalt länger als<br />
sechs Monate dauern wird. Das ist für Antragsteller<br />
jedoch nur möglich, wenn sie genau<br />
wissen, wie lange sie im Krankenhaus o.ä.<br />
sein werden. Wissen sie das nicht, sollten<br />
sie die Aufenthaltsdauer auch nicht einfach<br />
schätzen. Dann muss von der Arbeitslosenbehörde<br />
eine Prognose erstellt werden. Diese<br />
Prognose entscheidet darüber, ob sie Alg-<strong>II</strong>berechtigt<br />
sind oder in die Sozialhilfe abgeschoben<br />
werden können. Allerdings muss das<br />
359 Euro Regelleistung für Alleinstehende plus<br />
360 Euro Miete sind<br />
719 Euro Gesamtbedarf;<br />
dazu können noch verschiedene Formen von MEHRBEDARF � kommen,<br />
die dann zum Bedarf addiert werden müssen.<br />
Zur Einkommensberechnung hier eine grobe Kurzform:<br />
Die ersten 100 Euro sind als Werbungskostenpauschale<br />
anrechnungsfrei,<br />
von 100 bis 800 Euro brutto sind 20 Prozent, also je 20 Euro von<br />
je 100 Euro anrechnungsfrei,<br />
von 800 bis 1.200 Euro brutto sind 10 Prozent, also 10 Euro von<br />
je 100 Euro anrechnungsfrei,<br />
von 1.200 bis 1.500 Euro brutto sind nur bei Erwerbstätigen mit<br />
Kindern noch 10 Prozent anrechnungsfrei.<br />
Bei einem Bruttoeinkommen von 1.000 Euro sind das also<br />
100 Euro + 140 Euro (7 mal 20 Euro) + 20 Euro (2 mal 10 Euro)<br />
sind 260 Euro, die der Erwerbstätige zusätzlich zu seinem Bedarf vom<br />
Beispiel oben von 719 Euro behalten darf. Insgesamt 979 Euro.<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
JobCenter bis zum Einsetzen der Sozialhilfe<br />
Alg <strong>II</strong> zahlen.<br />
Unter „<strong>II</strong>I. Persönliche Verhältnisse der mit<br />
dem Antragsteller in einem Haushalt lebenden<br />
weiteren Personen“ sind zu Personen, die<br />
nicht nur vorübergehend im Haushalt leben,<br />
Angaben zu machen. Bloße Mitglieder einer<br />
Wohngemeinschaft gehören hier nicht hin.<br />
Über sie brauchen überhaupt keine persönlichen<br />
Angaben gemacht zu werden. Lediglich<br />
über die Höhe der Mietzahlungen an anderer<br />
Stelle, wenn der Antragsteller sie an den Mitbewohner<br />
zahlt, oder als Angaben zum Einkommen,<br />
wenn der Antragsteller Mietzahlungen<br />
vom Mitbewohner erhält. An dieser Stelle<br />
sind Paare oft verunsichert, wo und wie sie<br />
denn ihren Freund eintragen müssen, wenn sie<br />
wissen, dass sie keine EHEÄHNLICHE GEMEIN-<br />
SCHAFT � sind.<br />
Zu beachten ist, dass bei Neuanträgen<br />
die tatsächliche MIETE �<br />
übernommen werden muss. Ist<br />
die Miete 560 Euro hoch, so<br />
muss die Arbeitslosenbehörde die<br />
Miete erst einmal in voller Höhe<br />
zahlen. Damit verschiebt sich die<br />
Bedürftigkeitsgrenze zu unserem<br />
Beispiel um 200 Euro nach oben.<br />
Allerdings kann das JobCenter den<br />
Alg-<strong>II</strong>-Bezieher auffordern, seine<br />
Mietkosten zu senken. Dann muss<br />
es die volle Miete bis zu sechs<br />
Monaten und die Kosten für einen<br />
UMZUG � zahlen. Ohne Umzug ist<br />
dann in der Regel nur noch die<br />
„angemessene“ Miete (in Berlin<br />
bei Alleinstehenden 378 Euro) zu<br />
übernehmen.
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
BEISTAND<br />
� Jeder hat das Recht, einen Beistand mit<br />
zur Behörde zu nehmen (§ 13 SGB X). Was<br />
der Beistand sagt, muss von der Behörde so<br />
behandelt werden, als hätte es der Betroffene<br />
selbst gesagt. Es sei denn, der Betroffene widerspricht<br />
dem sofort (§ 13 Abs.4 SGB X). Alg-<strong>II</strong>-<br />
Bezieher machen von dieser Möglichkeit des<br />
Selbstschutzes gegenüber Behörden viel zu<br />
wenig Gebrauch. Dabei muss der Beistand nicht<br />
zwangsläufig bessere Rechtskenntnisse als der<br />
Betroffene haben. Es reicht oft schon, wenn der<br />
Beistand nur als Zeuge dem Gespräch beiwohnt.<br />
Der Sachbearbeiter, der bisher vielleicht herablassend<br />
oder sogar beleidigend war, verwandelt<br />
sich in Gegenwart eines Beistands zwar nicht in<br />
ein Schmusekätzchen, jedoch reicht es schon,<br />
wenn er einfach nur höflich ist und auf Fragen<br />
eine korrekte Antwort gibt. Das ist in den Job-<br />
Centern leider nicht die Regel.<br />
Es passiert immer noch, dass die Sachbearbeiter<br />
einen Beistand nicht akzeptieren und mit der<br />
Begründung des „Datenschutzes“ des Raumes<br />
verweisen. Das sollte sich niemand gefallen<br />
lassen! Über seine Daten entscheidet in diesem<br />
Fall noch immer der Betroffene selbst. Leider sind<br />
die Sachbearbeiter nicht um den Datenschutz<br />
besorgt, wenn im selben Zimmer zwei Sachbearbeiter<br />
zur selben Zeit zwei Alg-<strong>II</strong>- Bezieher<br />
abfertigen. Dass die Alg-<strong>II</strong>-Bezieher zwangsläufig<br />
die Gespräche des Anderen mithören - das ist<br />
eine Verletzung des Datenschutzes.<br />
BESCHEID<br />
� Kaum ein Bescheid ist so abgefasst, dass<br />
ein Bezieher von Alg <strong>II</strong> ihn nachvollziehen<br />
kann. In der Regel ist es sinnvoller, man lässt<br />
die Rechnung der JobCenter links liegen und<br />
macht seine eigene Aufstellung. Eine Aufstellung<br />
der verschiedenen Regelsätze ist in<br />
jedem Bescheid zu finden. Dazu wird die tatsächliche<br />
Miete mit Heizkosten gerechnet.<br />
Siehe Bedarfsberechnung unter AUFSTOCKEN-<br />
DES <strong>ALG</strong> <strong>II</strong> � Dabei ist es unerheblich, ob die<br />
Heizung mit zur Miete gehört oder Abschläge<br />
dafür an Strom- oder Gasversorger gezahlt<br />
werden. Es kann hier zu Abzügen für Warmwasser<br />
oder Kochen kommen.<br />
Wer in seinem Bescheid irgendwelche Abzüge<br />
unter „Einkommen“ findet und kein Einkommen<br />
hat, sollte auf jeden Fall Widerspruch<br />
einlegen. Jedoch rechnen Kindergeld, Unterhalt<br />
und Unterhaltsvorschuss auch zum Einkommen.<br />
Die Widerspruchsfrist ist ein Monat.<br />
Danach ist der Bescheid rechtskräftig.<br />
Der Bundesdatenschutzbeauftragte ist zu<br />
erreichen in 53117 Bonn, Husarenstr. 30,<br />
Tel. (01888) 77 99-0 oder (0228) 8 19 95-0,<br />
E-Mai:l poststelle@bfdi.bund.de,<br />
Webseite: http://www.bfdi.bund.de<br />
Oft ist es jedoch so, dass Betroffene erst<br />
Monate später durch Zufall von anderen<br />
Hartz-IV-Beziehern erfahren, dass sie zu<br />
wenig Geld erhalten. Z.B. wird gern der MEHR-<br />
BEDARF � für Alleinerziehende „vergessen“.<br />
Hier besteht nicht nur ein Anspruch darauf,<br />
den Mehrbedarf für die Zukunft zu erhalten,<br />
sondern auch darauf, den Mehrbedarf rück-<br />
Quelle: Archiv<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
7<br />
wirkend zu erhalten. Anders als bei z.B. beim<br />
Mehrbedarf für Ernährung, der beantragt<br />
werden muss, da das JobCenter in der Regel<br />
davon keine Kenntnis hat, ist der Mehrbedarf<br />
für Alleinerziehende der Arbeitslosenbehörde<br />
bekannt, weil da Kinder zur Bedarfsgemeinschaft<br />
gehören.<br />
In diesen Fällen kann ein ÜBERPRÜFUNGSAN-<br />
TRAG � gestellt werden. Solche grundlegenden<br />
Fehler treten nicht selten auf. Manchmal<br />
werden die Kinder der Antragsteller einfach<br />
vergessen, häufiger die Heizkosten, die an<br />
Gas- oder Stromversorger gezahlt werden<br />
müssen.
8<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
DATENSCHUTZ<br />
� Die Berliner und Brandenburger Datenschutzbeauftragten<br />
haben den überarbeiteten<br />
„Ratgeber zu Hartz IV“ herausgegeben. Damit<br />
gibt es zumindest eine gewisse Rechtssicherheit,<br />
was die Behörden an Daten verlangen<br />
und einholen dürfen und was nicht. (Ratgeber<br />
als pdf unter www.datenschutz-berlin.de (>Ver<br />
öffentlichungen>Ratgeber))<br />
Hausdurchsuchungen<br />
(verharmlosend Hausbesuche genannt)<br />
Immer wieder glauben die Arbeitslosenbehörden,<br />
das Recht zu haben, Hausdurchsuchungen<br />
nach Lust und Laune machen zu dürfen (z.B.<br />
bei Neuanträgen). Routinemäßige Hausdurchsuchungen<br />
ohne vorherige Indizien sind unzulässig!<br />
Nach Meinung der Datenschutzbeauftragten<br />
sind Hausdurchsuchungen nach § 20<br />
SGB X in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Nr. 4 SGB<br />
X zulässig. Sie sind jedoch nur zulässig, um<br />
BEREITS BEKANNTE INDIZIEN zu klären.<br />
Insbesondere finden Hausdurchsuchungen<br />
statt, um eine EHEÄHNLICHE GEMEINSCHAFT �<br />
Kontoauszüge<br />
Die Rechtsprechung zur Kontrolle der Armen<br />
hat sich im Laufe der Jahre erheblich verschärft.<br />
Früher war ein pauschales Verlangen<br />
nach den Kontoauszügen für Zeiten vor der<br />
Antragstellung in der Regel nicht erlaubt<br />
Kontoauszüge dürfen von der Arbeitslosenbehörde<br />
EINGESEHEN werden. Der Betroffene<br />
macht Kopien von seinen Kontoauszügen,<br />
schwärzt die Kopien entsprechend und legt<br />
sie dann dem Mitarbeiter vor. Bitte nie die<br />
Originale schwärzen! Die Neubeschaffung<br />
von Kontoauszügen lassen sich die Banken<br />
teuer bezahlen. Die Mitarbeiter haben in der<br />
Regel kein Recht, die Kontoauszüge bzw.<br />
deren Kopien zu den Akten zu nehmen! Die<br />
dürfen nur eingesehen werden! Die Mitarbeiter<br />
können sich dann Notizen machen,<br />
dass die Kontoauszüge für einen bestimmten<br />
Zeitraum vorlagen und keine Auffälligkeiten<br />
vorlagen. Mehr nicht.<br />
Am 19.09.08 hat das Bundessozialgericht<br />
(BSG) unter dem Az. B 14 AS 45/07 R über die<br />
Vorlage von Kontoauszügen sein Urteil gefällt.<br />
Die Vorlage der Kontoauszüge für die letzten<br />
drei Monate vor Antragstellung und Folgeantragstellung<br />
gehört nach Ansicht des Gerichts<br />
zu den Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB I.<br />
Es bedarf keines konkreten Verdachts. Man kann<br />
dies auch so interpretieren: Alg-<strong>II</strong>-Antragstel-<br />
festzustellen. Dies ist jedoch nur bedingt<br />
möglich. In erster Linie lässt sich eine eheähnliche<br />
Gemeinschaft durch andere Informationen<br />
beurteilen; Abstammung der Kinder,<br />
gemeinsame Konten oder Versicherungen oder<br />
nachweisliche Zahlungen von anteiliger Miete,<br />
Strom- oder Telefonkosten. Die Formulierung<br />
der Datenschutzbeauftragten („Der Hausbesuch<br />
ist allenfalls geeignet, noch bestehende<br />
„Restzweifel“ auszuräumen.“) ist unbefriedigend.<br />
Die Behörden haben scheinbar immer<br />
„Restzweifel“!<br />
Stehen (meist zwei) Mitarbeiter vor der Tür,<br />
haben diese sich UNAUFGEFORDERT auszuweisen.<br />
Sie haben dem Betroffenen vor dem<br />
ler werden als potenzielle Betrüger angesehen,<br />
denen man generell erst einmal Sozialhilfemissbrauch<br />
unterstellt. Mit der erzwungenen<br />
Vorlage der Kontoauszüge können sie dann<br />
diesen Generalverdacht widerlegen.<br />
Übrigens, wenn Arbeitgeber sich von der<br />
Arbeitslosenbehörde Arbeitnehmer finanzieren<br />
lassen, müssen sie nur schriftliche Versicherungen<br />
abgeben, z.B. dass es sich um einen neuen<br />
Arbeitsplatz handelt. Nachweisen müssen sie<br />
das nicht! Überprüft wird dies in der Regel<br />
auch nicht. Wenn da gelogen wird, dass sich<br />
die Balken biegen, wird das jedoch nicht als<br />
Sozialhilfemissbrauch bezeichnet, hier nennt<br />
sich das „Mitnahmeeffekt“. Es gibt auch keinen<br />
Generalverdacht. Aber vor dem Gesetz sind ja<br />
alle gleich! Doch zurück zum BSG.<br />
Wer nach der Aufforderung zur Vorlage der<br />
Kontoauszüge und einer Fristsetzung samt<br />
Belehrung über die Folgen der fehlenden Mitwirkung<br />
dieser nicht nachkommt, dem kann<br />
nach § 66 SGB I die Leistung ganz oder teilweise<br />
versagt werden.<br />
Das Gericht vertritt die Meinung, dass ALLE<br />
Daten zu Einnahmen ungeschwärzt sein<br />
müssen! Ohne Ausnahme! Ferner müssen auch<br />
alle Soll-Beträge ungeschwärzt bleiben. Einzige<br />
Ausnahmen von Schwärzung: § 67 Abs.<br />
Quelle: flickr.com<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Betreten der Wohnung den GRUND zu nennen.<br />
Sie haben dem Betroffenen zu erklären, dass<br />
er den Zutritt verweigern kann, jedoch auch,<br />
dass es dann zur Kürzung oder Streichung der<br />
Leistung kommen kann. Die Zustimmung zum<br />
Betreten der Wohnung beinhaltet nicht die<br />
Durchsicht der Schränke. Hierfür bedarf es einer<br />
gesonderten Einwilligung, da niemand gezwungen<br />
werden kann, den Inhalt seiner Schränke<br />
zu zeigen. Wird die Zustimmung erteilt, ist<br />
lediglich ein kurzer Blick in die Schränke, nicht<br />
jedoch ein „Wühlen“ in dessen Inhalt erlaubt.<br />
Betroffene sollten eine Ab- oder Durchschrift<br />
des Prüfungsprotokolls verlangen. Darauf haben<br />
Betroffene ein Recht.<br />
12 SGB X „besondere Arten personenbezogener<br />
Daten sind Angaben über die rassische und<br />
ethnische Herkunft, politische Meinungen,<br />
religiöse oder philosophische Überzeugungen,<br />
Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheit und<br />
Sexualleben.“ Diese Daten dürfen auch nach<br />
Meinung des BSG geschwärzt werden. Klar<br />
ist, dass darunter Mitgliedsbeiträge für Parteien<br />
und Gewerkschaften gehören. Auch die<br />
von mir immer wieder angeführten Abos von<br />
Pornoheften dürften wohl, als zum Sexualleben<br />
gehörend, geschwärzt werden. Ebenso das<br />
Abo für die linke Zeitschrift „Konkret“ als zur<br />
politischen Meinung gehörend.<br />
Streiten kann man sich schon darüber, ob ein<br />
Abo des „Neuen Deutschland“ nur Zeitungsabo<br />
ist oder noch zur politischen Meinung<br />
gehört. Die sogenannten Frauenzeitschriften<br />
dürften zu den nicht zu schwärzenden Objekten<br />
zählen. Wenngleich zu überlegen ist,<br />
ob der Fanatismus, mit dem der Inhalt von<br />
manchen Frauen gelesen wird, nicht doch<br />
schon wieder religiöse Züge hat und somit<br />
geschwärzt werden dürfte.<br />
Der politischen Entwicklung entsprechend<br />
wäre es folgerichtig, wenn das BSG in ein paar<br />
Jahren die dann flächendeckenden Hausdurchsuchungen<br />
der Arbeitslosenbehörden für rechtens<br />
erachtet.
Quelle: Filmszene „Brazil“<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Weitere Unterlagen<br />
In der Regel ist es unzulässig (§ 60 Abs. 1 Nr.<br />
3), Kopien von Bank- und Sparkassenkarten,<br />
Sparbüchern, vollständigen Vaterschaftsanerkennungen,<br />
Unterhaltstiteln und Scheidungsurteilen<br />
anzufertigen. Hier reicht es aus, die<br />
benötigten Einzelangaben zu vermerken.<br />
Der Personalausweis enthält Informationen,<br />
die nicht leistungsrelevant sind z.B. Größe,<br />
Augenfarbe, PA-Nummer. Diese nicht relevanten<br />
Angaben dürfen geschwärzt werden.<br />
Es ist auch unzulässig (§ 31 Abs. 5), den<br />
gesamten Mietvertrag zu kopieren. Untermieter<br />
sind in der Regel nicht verpflichtet, den<br />
Hauptmietvertrag des Wohnungsmieters vorzulegen.<br />
Nur in besonders begründeten Einzelfällen,<br />
wenn die Behörde Anhaltspunkte<br />
für einen Leistungsmissbrauch hat, kann dies<br />
verlangt werden.<br />
Entbindung von der Schweigepflicht<br />
Zu den MITWIRKUNGSPFLICHTEN � nach den<br />
Paragrafen 60-64 gehört NICHT die Pflicht,<br />
Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden.<br />
Eine Verpflichtung, Dritte von der Schweigepflicht<br />
zu entbinden, besteht nicht! Sie darf<br />
auch nicht durch die Drohung der Leistungskürzung<br />
oder -streichung, wie bei Hausdurchsuchungen,<br />
erzwungen werden. Weigert sich<br />
der Betroffene, diese Erklärung abzugeben,<br />
so hat der ärztliche Dienst die Leistungsvoraussetzungen<br />
durch eigene Untersuchungen<br />
Die Voraussetzung für den Mehrbedarf wegen<br />
Schwangerschaft ab der zwölften Woche kann<br />
durch ein Attest, das auch den voraussichtlichen<br />
Geburtstermin beinhaltet, nachgewiesen<br />
werden. Ist dieses Attest nicht vorhanden,<br />
kann der Mutterpass VORGELEGT werden. Es<br />
ist unzulässig, den Ausweis als Kopie zur Akte<br />
zu nehmen, weil es umfangreiche, nicht leistungsrelevante<br />
Angaben enthält.<br />
zu ermitteln. Die Weigerung, solche Schweigepflichtsentbindungen<br />
abzugeben, ist jedoch<br />
nur sinnvoll, wenn die Behörden etwas erfahren<br />
wollen, das der Betroffene nicht wünscht,<br />
z.B. Feststellung psychischer Erkrankungen<br />
oder bei der „Zwangsverrentung“.<br />
Wird z. B. ein MEHRBEDARF � wegen kostenaufwendiger<br />
Ernährung beantragt oder ist der<br />
Betroffene der Meinung, er sei nicht mehr<br />
uneingeschränkt erwerbsfähig, ist es sinnvoll,<br />
Allgemeines<br />
Noch immer sind die Betroffenen<br />
mit der Offenlegung ihrer Daten<br />
zu unvorsichtig! Der berechtigte<br />
Gedanke vieler, dass sie nichts<br />
zu verbergen hätten, ist ja sehr<br />
redlich, sollte jedoch nicht dazu<br />
beitragen, den Behörden die<br />
Anforderung und Speicherung<br />
unzulässiger Daten zu ermöglichen.<br />
Hätten die Betroffenen<br />
in den vergangenen Jahren der<br />
unbegründeten Datenerhebung<br />
bei Kontoauszügen oder Hausdurchsuchungen<br />
mehr Widerstand<br />
entgegengesetzt, wären<br />
diese wohl nicht so zur „Normalität“<br />
geworden. Es ist nicht<br />
nur das Bedürfnis des Staates,<br />
seine Bürger, insbesondere seine<br />
Armen, zu kontrollieren, was zu<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
Familienversicherung<br />
9<br />
Montage: cs<br />
Antragsteller, die über eine Familienversicherung<br />
versichert sind, müssen nur Angaben zu<br />
demjenigen machen, über den sie versichert<br />
sind.<br />
Dritte von der Schweigepflicht zu entbinden.<br />
Doch auch hier ist es in der Regel nicht nötig,<br />
alle möglichen Ärzte oder Krankenhäuser, in<br />
denen man zur Behandlung war oder ist, von<br />
der Schweigepflicht zu entbinden. Z.B. reicht<br />
bei Beantragung eines Mehrbedarfs in der<br />
Regel die Schweigepflichtentbindung des die<br />
Krankheit behandelnden Arztes oder Facharztes.<br />
Auch bei Wirbelsäulenerkrankungen benötigt<br />
die Behörde, bspw., keine Unterlagen des<br />
Psychiaters.<br />
erheblicher Ausweitung der Datenerhebung<br />
beigetragen hat. Hätten die Armen dies nicht<br />
so klaglos hingenommen, wäre es zumindest<br />
nicht in diesem Umfang dazu gekommen. Deshalb<br />
sollten Daten ÜBERALL UND GEGENÜBER<br />
JEDER BEHÖRDE nur nach der Devise herausgegeben<br />
werden: „So viel Daten wie nötig und<br />
so wenig Daten wie möglich.“<br />
Der Zugriff auf persönlichste Daten ist von<br />
den Betroffenen praktisch in keiner Weise<br />
kontrollierbar! Auch, wenn es rein theoretisch<br />
(also per Gesetz) anders sein sollte.<br />
Niemand ist davor sicher, dass die Daten<br />
nicht an Unbefugte weitergegeben werden.<br />
Wie in den letzten Monaten mehrfach passiert,<br />
dass die Daten von Bankkunden, von<br />
Meldestellen oder Krankenkassen, plötzlich<br />
im Internet für jeden lesbar oder ohne Einwilligung<br />
an Dritte weitergegeben wurden.
10<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
EHEÄHNLICHE GEMEINSCHAFT<br />
� Dieser Begriff hat schon zu Zeiten des<br />
BSHG zu massivem Streit zwischen Betroffenen<br />
und Behörden geführt. So versuchen die<br />
Gesetzgeber mit immer neuen Gesetzen, den<br />
Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft (eäG)<br />
zu erweitern. So auch mit den Änderungen<br />
des Fortentwicklungsgesetzes (FEG), also<br />
den Änderungen zu den Änderungen des seit<br />
01.01.05 geltenden SGB <strong>II</strong>.<br />
„Zur Bedarfsgemeinschaft gehören...der...<br />
Partner...oder...eine Person..., die mit dem<br />
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem<br />
gemeinsamem Haushalt so zusammenlebt,<br />
dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige<br />
Wille anzunehmen ist, Verantwortung<br />
füreinander zu tragen und füreinander<br />
einzustehen.“ (§ 7 SGB <strong>II</strong>)<br />
„Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung<br />
füreinander zu tragen und füreinander einzustehen,<br />
wird vermutet, wenn Partner<br />
1. länger als ein Jahr zusammenleben,<br />
2. mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,<br />
3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen<br />
oder<br />
4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen<br />
des anderen zu verfügen“ (§ 7 Abs. 3a SGB <strong>II</strong>)<br />
Mit dieser gesetzlichen Regelung wird die<br />
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />
sowie einer Vielzahl von Sozialgerichten<br />
bewusst angegriffen. Einer WG wird häufig<br />
spätestens nach einem Jahr eine Bedarfsgemeinschaft<br />
unterstellt, da sich die Formulierung<br />
nicht nur auf „Partner“, sondern auch<br />
auf „Personen“ bezieht. Es wird versucht,<br />
eine Beweislastumkehr vorzunehmen, nicht<br />
die Behörde soll die eäG beweisen, sondern<br />
die Betroffenen sollen beweisen, dass eine<br />
solche nicht besteht. Hier hat das SG Freiburg<br />
in Bezug deutlich gemacht: „Das Zusammenleben<br />
in einer reinen Wohngemeinschaft<br />
über mehr als ein Jahr begründet die Vermutung<br />
der eheähnlichen Gemeinschaft nicht,<br />
es muss sich um eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft<br />
handeln. Ist diese nicht<br />
bewiesen, bleibt die objektive Beweislast bei<br />
der Behörde.“ (21.07.06, S 9 AS 3120/06 ER)<br />
Erste Voraussetzung für eine eäG ist eine<br />
Wohngemeinschaft. Im Gegensatz zur Ehe<br />
setzt eine eäG „grundsätzlich“ eine WG voraus.<br />
(LSG Berlin- Brandenburg 21.06.2006- L 29 B<br />
314/06 AS ER) Getrennte Wohnungen sprechen<br />
trotz einer Liebesbeziehung gegen eine<br />
eäG. (OVG Sachsen 29.06.2000)<br />
Zweite Voraussetzung für eine eäG ist eine<br />
Haushaltsgemeinschaft. Eine Ehe kann bestehen,<br />
ohne dass gemeinsam gewirtschaftet wird,<br />
eine eäG nicht. Ohne Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft<br />
kein eheähnliches Verhältnis<br />
(LSG Hessen 24.07.2006, L7 86/06 ER).<br />
Ein reines Untermietverhältnis schließt eine<br />
Haushaltsgemeinschaft und damit eine eäG aus<br />
(LSG Ba-Wü 05.12.2005, L 8AS 3441/05 ER-B).<br />
„Ein „Wirtschaften aus einem Topf“, wie dies<br />
für eine Haushaltsgemeinschaft kennzeichnend<br />
ist, (kann) nicht angenommen werden...,<br />
wenn einer dem anderen Mietzins zahlen muss.<br />
Stellt ein Leistungsträger nach dem SGB <strong>II</strong> die<br />
Wirksamkeit eines (Unter-) Mietvertrages nicht<br />
in Frage, sondern gewährt er den Mietzins als<br />
Kosten der Unterkunft, kann er das Zusammenleben<br />
zweier Personen auch nicht als Haushaltsgemeinschaft<br />
werten.“<br />
Für eine Wirtschaftsgemeinschaft spricht<br />
u.a. die gemeinsame Verfügung über ein Auto<br />
oder ein gemeinsames Konto, eine gegenseitige<br />
Kontovollmacht oder die Befugnis, über<br />
Einkommen und Vermögen des Partners tatsächlich<br />
verfügen zu können.<br />
Dritte Voraussetzung für eine eäG ist eine<br />
Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft.<br />
Eine eäG liegt nur vor, wenn zwischen<br />
den Partnern so enge Bindungen bestehen,<br />
dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen<br />
in den Not- und Wechselfällen des Lebens<br />
erwartet werden kann. Eine solche Lebensgemeinschaft<br />
kann nur zwischen einem Mann<br />
und einer Frau bestehen. Sie muss auf Dauer<br />
angelegt sein, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft<br />
gleicher Art zulassen und sich<br />
durch innere Bindungen auszeichnen, die ein<br />
gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander<br />
begründen, also über die Beziehungen<br />
in einer reinen Haushalt- und Wirtschaftsgemeinschaft<br />
hinausgehen. (siehe BVerfG<br />
02.09.2004 – 1 BvR 1962/04)<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Vierte Voraussetzung ist die freiwillige Sicherung<br />
des gemeinsamen Lebensunterhalts vorrangig<br />
vor den eigenen Bedürfnissen. „Nur<br />
wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so<br />
sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass<br />
sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt<br />
sicherstellen, bevor sie ihr persönliches<br />
Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse<br />
verwenden, ist ihre Lage mit derjenigen<br />
nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten im<br />
Hinblick auf die verschärfte Bedürftigkeitsprüfung<br />
vergleichbar.“ So das Bundesverfassungsgericht.<br />
(BVerfG 17.11.1992 Az 1 BvL 8/87)<br />
Ebenso muss ein langjähriges Zusammenleben<br />
vorliegen. Langjährig bedeutet nach Adam<br />
Quelle: flickr.com<br />
Ries immer: mehrere Jahre! Der Bundesgerichtshof<br />
urteilt, dass man frühestens nach<br />
zwei bis drei Jahren von einer eäG ausgehen<br />
könne (BGH 12.03.1997, NJW 1997,1851).<br />
Das Bundessozialgericht (BSG) hält eine dreijährige<br />
Dauer der Beziehung als Voraussetzung<br />
für eine eäG als gerechtfertigt. (29.04.1998,B<br />
7 AL 56/97 R) Entgegen aller Rechtsprechung<br />
gibt es im SGB <strong>II</strong> die Zwangsvereheähnlichung<br />
nach einem Jahr! Auch wenn dies jetzt Gesetzestext<br />
ist: Es wird nicht rechtens – wenn die<br />
Betroffenen sich wehren!<br />
In Bezug auf das damals anstehende SGB <strong>II</strong><br />
entschied das BVerfG am 9.11. 2004, Az 1 BvR<br />
684/98: „Der Begriff der Ehe kann nicht in<br />
dem Sinne erweiternd ausgelegt werden, dass<br />
er auch nichteheliche Lebensgemeinschaften<br />
erfasst. Dies gilt auch für nichteheliche Lebensgemeinschaften<br />
mit gemeinsamen Kindern.“<br />
Durch Hausdurchsuchungen ist in der Regel<br />
keine eheähnliche Gemeinschaft feststellbar.<br />
Weder ein Doppelbett noch ein benutz-
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
tes Doppelbett und auch keine überzählige<br />
Zahnbürste sind Beweise dafür. Die in der<br />
Regel zwangsläufigen Hausdurchsuchungen<br />
der Ämter, wenn Betroffene die Wohnung mit<br />
einem anderen Bewohner teilen, entsprechen<br />
nicht dem DATENSCHUTZ �!<br />
Besonders schwerwiegend sind die Folgen,<br />
wenn ein Partner Kinder mit in die Beziehung<br />
bringt und der andere Partner über ein höheres<br />
Einkommen verfügt. Das BSG hat es für diese<br />
Fälle als rechtens angesehen (B 14 AS 2/08 R<br />
vom 13.11.2008), dass der Partner mit Einkommen<br />
nicht nur für seine (in diesem Fall) Partnerin<br />
finanziell aufzukommen hat, was auch<br />
nicht strittig war, er muss auch die Kinder in<br />
vollem Umfang mitversorgen! Das Gericht hat<br />
den Partner nicht einmal die höheren Grenzen<br />
des Unterhaltsrechts zugebilligt.<br />
Solange der Partner freiwillig für die Kinder<br />
der Partnerin aufkommt, ist das alles kein<br />
Problem. Ist er jedoch nur bereit, finanziell<br />
für die Partnerin, jedoch nicht für ihre Kinder<br />
aufzukommen, hat die Mutter ein riesiges<br />
Problem. Da die Mutter von der Arbeitslosenbehörde<br />
kein Geld erhält, ist sie auf die<br />
Zahlungen des Partners angewiesen. Zahlt<br />
er nicht, kann sie ihn nicht auf Unterhalt<br />
ERLASS <strong>VON</strong> ANSPRÜCHEN<br />
� Es gibt im SGB <strong>II</strong> einen Paragrafen, der den<br />
Arbeitslosenbehörden das Recht einräumt,<br />
auf Forderungen zu verzichten. Dass die<br />
Betroffenen diesen Paragrafen nicht kennen,<br />
verwundert nicht. Doch dass es scheinbar<br />
keine Mitarbeiter gibt, die je davon gehört<br />
haben, ist einfach nicht glaubwürdig.<br />
Es handelt sich um den § 44, der nur aus<br />
einem kurzen Satz besteht: „Veränderung<br />
von Ansprüchen. Die Träger von Leistungen<br />
nach diesem Buch dürfen Ansprüche erlassen,<br />
wenn deren Einziehung nach Lage des<br />
Einzelfalles unbillig wäre.“<br />
Eigentlich ist jede Kürzung der Regelsätze<br />
unbillig, weil schon die Höhe der Regelsätze<br />
menschenunwürdig ist, auch wenn das Bundessozialgericht<br />
anderes sagt. Das steht<br />
jedoch auf einem anderen Blatt.<br />
Es stellt sich die Frage, wann die Einziehung<br />
von Ansprüchen unbillig sein kann. Das kann<br />
auf Darlehen nach § 23 zutreffen. Deren Tilgung<br />
ist durch eine Aufrechnung in Höhe von<br />
bis zu 10 Prozent des Regelsatzes vorgesehen.<br />
verklagen! Im Unterhaltsrecht gibt es keine<br />
Unterhaltspflicht für Stiefkinder, schon gar<br />
nicht, wenn die Mutter nicht mit dem neuen<br />
Partner verheiratet ist.<br />
Das Gericht verlangt, dass die Mutter die Zuwendungen,<br />
die sie vom Partner erhält zuerst für<br />
die Kinder verwendet. Wie unmöglich das ist,<br />
soll ein Beispiel zeigen. Die Mutter erhält 164<br />
Euro Kindergeld, sowie vom Partner für sich die<br />
anteilige Miete von 200 Euro und 350 Euro,<br />
insgesamt 714 Euro. Sie hat z.B. einen Sohn<br />
von 15 Jahren. Sie müsste für den Sohn, nach<br />
Ansicht des Gerichts, somit 387 Euro Unterhalt<br />
plus 200 Euro anteilige Miete, also 587<br />
Euro, aufbringen. Von den restlichen 127 Euro<br />
kann sie nicht leben, geschweige denn ihren<br />
Mietanteil beisteuern. Bei zwei Kindern würde<br />
das Geld nicht einmal für die Kinder reichen,<br />
selbst wenn sie verhungern würde! Sie ist<br />
somit gezwungen, den Unterhalt an den Sohn<br />
zu kürzen, um selbst zu überleben. Tut sie das<br />
jedoch, ist das eine Sorgerechtsverletzung und<br />
ruft, wenn es bekannt wird, das Jugendamt auf<br />
den Plan! Das kann dann dazu führen, dass ihr<br />
das Kind weggenommen wird!<br />
Es ist zwar fraglich, ob es zu solch einer<br />
Situation kommen wird, denn diese Situation<br />
Doch kann es sich ergeben, dass ein Darlehen<br />
für Leistungen bewilligt wurde, die regelmäßig<br />
oder fortwährend auftreten. Z.B. mussten<br />
Betroffene ihre Rechte auf Finanzierung des<br />
Umgangsrechts (hohe Fahrtkosten) mit ihren<br />
weit entfernt lebenden Kindern gerichtlich<br />
durchsetzen. Ebenso bei schwerer Neurodermitis<br />
befürworteten Gerichte die Finanzierung<br />
dieser ungewöhnlich hohen Kosten nach § 23,<br />
also auf Darlehensbasis. Da die genannten Darlehen<br />
jedoch so regelmäßig auftreten und der<br />
finanzielle Bedarf so hoch ist, dass es zu einer<br />
Dauertilgung von der Regelleistung käme,<br />
haben die Gerichte den Arbeitslosenbehörden<br />
nahegelegt, auf die Einziehung der Ansprüche<br />
nach § 44 SGB <strong>II</strong> zu verzichten.<br />
Es kann auch sein, dass Betroffene ihren<br />
defekten Kühlschrank auf Kredit durch<br />
einen energiesparenden Kühlschrank ersetzt<br />
haben. Danach gibt die Waschmaschine ihren<br />
Geist auf und es wird ein Darlehen nach<br />
§23 beantragt. Zusätzlich zur Kredittilgung<br />
kann kaum noch das Darlehen zurückgezahlt<br />
werden. Das wäre eine finanzielle Überforderung.<br />
Das können auch die Tilgung von Miet-<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
11<br />
wird unzweifelhaft zur Trennung führen. Das<br />
BSG hat in seinem Urteil die Zahlungspflicht<br />
des „Stiefvaters“ damit begründet, dass bei<br />
ausreichendem Einkommen Kosten nicht auf<br />
die Allgemeinheit abgewälzt werden könnten.<br />
Die Folge, wenn der „Stiefvater“ nicht zahlt,<br />
ist bei der Trennung, dass in deren Folge dieselbe<br />
Allgemeinheit nicht nur für die Kinder<br />
aufkommen muss, sondern auch noch für die<br />
Mutter, die vorher durch den Partner versorgt<br />
wurde! Eine Milchmädchenrechnung!<br />
Doch das ist nicht das Problem der Betroffenen.<br />
Das Problem ist, dass es Alleinerziehenden, die<br />
Alg <strong>II</strong> erhalten, unmöglich ist eine eäG einzugehen,<br />
wenn der Partner mehr verdient und<br />
nicht mit jedem Cent für die Kinder eines Fremden<br />
aufkommen will. Das BSG sieht in dieser<br />
Benachteiligung keine Verletzung des Grundgesetzes<br />
durch Art 2 Abs.1 „Jeder hat das Recht<br />
auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit,<br />
soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und<br />
nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung<br />
oder das Sittengesetz verstößt.“ Da können<br />
Alleinerziehende dann frei entfaltet verhungern<br />
oder ihre Kinder im Heim besuchen!<br />
Jedoch wird wohl das Bundesverfassungsgericht<br />
diese Frage klären müssen.<br />
schulden beim Vermieter oder Stromschulden,<br />
die Zahlung der Differenz von tatsächlicher<br />
zu angemessener Miete aus dem Regelsatz<br />
u.ä. sein. Kommt dann noch zusätzlich ein<br />
Darlehen über § 23 zur Tilgung, kann die<br />
Behörde die Ansprüche auf Rückzahlung des<br />
Darlehens erlassen. Ebenso kann das auf<br />
Kranke zutreffen, die zwar nicht so hohe<br />
Kosten haben, wie bei dem Neurodermitisbeispiel,<br />
wo jedoch schon ein Betrag von 20<br />
bis 30 Euro monatlich zusätzlich aufgebracht<br />
werden muss. Alle diese Beispiele sollten in<br />
besonderem Maße gelten, wenn Kinder mit in<br />
der Bedarfsgemeinschaft leben.<br />
Doch könnten die Behörden auch auf Ansprüche<br />
verzichten, wenn z.B. durch Arbeitsaufnahme,<br />
die der Betroffene umgehend gemeldet<br />
hat, eine Überzahlung stattgefunden hat. Das<br />
sind alles Möglichkeiten. Die Arbeitslosenbehörde<br />
wird wohl freiwillig nicht auf Leistungen<br />
verzichten. Jedoch haben sie die Pflicht,<br />
ERMESSEN � auszuüben. Für diese Entscheidungsausübung<br />
müssen die Mitarbeiter jedoch<br />
erst einmal einen Antrag auf den Erlass von<br />
Ansprüchen auf den Tisch bekommen!
12<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
ERMESSEN<br />
� Es gibt Paragraphen, die zwingen Sachbearbeiter<br />
genau so zu handeln, wie es im<br />
Gesetzestext z.B: im § 31 SGB <strong>II</strong> steht: „Das<br />
Arbeitslosengeld <strong>II</strong> wird... abgesenkt...“ Das<br />
Wort „wird“ ebenso wie, bspw., das Wort<br />
„soll“ geben den Mitarbeitern keinen Ermessensspielraum.<br />
Jedoch steht in vielen Paragraphen<br />
„kann“. Das bedeutet, der Mitarbeiter<br />
kann etwas bewilligen oder versagen.<br />
§ 39 SGB I „Sind die Leistungsträger ermächtigt,<br />
bei der Entscheidung über Sozialleistungen<br />
nach ihrem Ermessen zu handeln, haben<br />
sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck<br />
der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen<br />
Grenzen des Ermessens einzuhalten.<br />
Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens<br />
besteht ein Anspruch.“<br />
Der Sachbearbeiter hat kein Recht, entsprechende<br />
Anträge einfach abzulehnen. Es<br />
entscheidet nicht die Tageslaune oder der<br />
Sparzwang. Die Ausübung des Ermessens ist<br />
gerichtlich überprüfbar – wenn die Betroffenen<br />
vor Gericht ziehen!<br />
FOLGEANTRAG<br />
� Im Folgeantrag müssen nicht alle Unterlagen<br />
neu eingereicht werden. Wenn sich nichts<br />
verändert hat, müssen in der Regel auch keine<br />
Nachweise dafür, dass sich nichts verändert<br />
hat, vorgelegt werden. Lediglich beim Einkommen<br />
sind immer aktuelle Bescheinigungen mit<br />
dem Folgeantrag abzugeben.<br />
Wer zeitgleich mit dem Folgeantrag der<br />
Arbeitslosenbehörde irgendwelche Änderungen<br />
melden muss, dem sei der Rat gegeben,<br />
diese Änderungen nicht auf dem Folgeantrag<br />
anzugeben! Dieser Rat hat nichts mit Betrug<br />
zu tun. Es ist eine der leidigen Erfahrungen<br />
seit Bestehen von Hartz IV, dass Änderungsmeldungen<br />
auf dem Folgeantrag oft die Bearbeitungszeit<br />
unverhältnismäßig verlängern.<br />
Deshalb Änderungen entweder vor oder nach<br />
der Antragstellung melden. Wer Änderungen<br />
vor Antragstellung meldet (und wenn es nur<br />
einen Tag vorher ist), braucht sie nicht noch<br />
einmal im Folgeantrag zu melden. Auch wenn<br />
die Mitarbeiter der JobCenter über diesen Rat<br />
stocksauer sein dürften, so ist nicht dieser<br />
Tipp zu beanstanden, sondern die Erfahrungen,<br />
die zu diesem Tipp geführt haben!<br />
Leider hat die BA ihre Dienstanweisung geändert.<br />
Nun gibt es bei einem zu spät eingereichten<br />
Folgeantrag in der Regel kein Geld<br />
rückwirkend. Diese Möglichkeit, dass der Erstantrag<br />
nachwirkt, war zu kundenfreundlich. Ob<br />
die Gerichte diese neue Anweisung der BA als<br />
rechtskonform ansehen werden, ist zweifelhaft.<br />
Man sollte jedoch möglichst vier Wochen<br />
vor Ablauf des Bewilligungsabschnitts den<br />
Folgeantrag stellen, um Verzögerungen bei der<br />
Weiterbewilligung zu vermeiden.<br />
Abb: ARCHIV<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
GEZ-GEBÜHREN<br />
� Wer Alg <strong>II</strong> bezieht, hat in der Regel einen<br />
Anspruch auf die Befreiung von den GEZ-<br />
Gebühren. Besonderheit: Im Gegensatz zu allen<br />
anderen Anträgen gilt die Gebührenbefreiung<br />
erst ab dem Folgemonat nach der Antragstellung!<br />
Man muss jetzt nicht mehr unbedingt<br />
den beglaubigten Bescheid mit vielen darin<br />
enthaltenen Daten, die die GEZ nichts angehen,<br />
einreichen. Zum Antragsformular gibt<br />
es jetzt ein Formblatt, das die Arbeitslosenbehörde<br />
ausfüllen muss und in dem nur die<br />
wenigen Daten enthalten sind, die die GEZ zur<br />
Gebührenbefreiung benötigt.
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
HAUSHALTSENERGIE<br />
� Jede Regelleistung zur Sicherung des<br />
Lebensunterhalts enthält auch eine Pauschale<br />
für Haushaltsenergie. Bei der Regelleistung für<br />
einen Alleinstehenden von 359 Euro beträgt<br />
die Pauschale jetzt 22,62 Euro. Diese Summe<br />
beinhaltet Energie für die Warmwasserbereitung,<br />
das Kochen und für elektrische Geräte<br />
und Licht. Relevant wird dies, wenn irgendwelche<br />
Abzüge von Miete oder Heizkosten<br />
vorgenommen werden. Beispiel: Bei Wohnungen<br />
mit Fern- oder Zentralheizung wird häufig<br />
auch Warmwasser geliefert. Die Kosten für<br />
Warmwasser sind somit in der Gesamtmiete<br />
enthalten, welche die JobCenter übernehmen.<br />
Damit der Teil für die Bereitung von Warmwasser<br />
nicht zweimal gezahlt wird (einmal in der<br />
Regeleistung und einmal in der Miete), muss<br />
die Warmwasserpauschale einmal abgezogen<br />
werden. Das wird in der Regel bei der Miete<br />
getan.<br />
In Berlin musste der rot-rote Senat erst mit<br />
mehreren Gerichtsverfahren darauf aufmerksam<br />
gemacht werden, dass die Energiepauschale<br />
im Regelsatz von über 27 Euro abgesenkt<br />
wurde und dass daraus resultierend auch<br />
die einzelnen Pauschalen für Warmwasser und<br />
zum Kochen gesunken sind. Jahrelang haben<br />
die Arbeitslosenbehörden auf Weisung des<br />
Senats noch immer 9 Euro für Warmwasser<br />
abgezogen. Im Bild die Abzugspauschalen<br />
nach der Regelsatzerhöhung zum 01.07.09.<br />
Abzugspauschalen<br />
Personengruppe Energiepauschale Anteil für Warmwasser Anteil für Kochenergie<br />
Bei Alleinstehenden,<br />
Alleinerziehenden und<br />
Haushaltvorständen 22,62 Euro 6,79 Euro 5,04 Euro<br />
Partner in der BG 20,35 Euro 6,11 Euro 4,54 Euro<br />
Kinder<br />
von 0 bis 6 Jahren 13,55 Euro 4,07 Euro 3,02 Euro<br />
Kinder<br />
von 6 bis 14 Jahren 15,81 Euro 4,75 Euro 3,53 Euro<br />
Jugendliche<br />
von 14 bis 25 Jahren 18,08 Euro 5,43 Euro 4,03 Euro<br />
Diese Abzüge dürfen nur vorgenommen werden,<br />
wenn tatsächlich in den Mietkosten (dazu<br />
zählen auch die Heizkosten) auch Kosten für<br />
Kochen oder Warmwasser enthalten sind. Beispiel:<br />
Erna und Paul zahlen Miete. Ihre Wohnung<br />
wird durch Gasetagenheizung beheizt.<br />
HAUSHALTSGEMEINSCHAFT<br />
� § 9 Abs.5: „Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft<br />
mit Verwandten oder Verschwägerten,<br />
so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen<br />
erhalten, soweit dies nach deren Einkommen<br />
und Vermögen erwartet werden kann.“<br />
Diese Vermutung kann durch einfache schriftliche<br />
Erklärung, dass der Hartz-IV-Berechtigte<br />
keine Leistungen von den Verwandten erhält,<br />
widerlegt werden.<br />
Zum Thema Haushaltsgemeinschaft hat sich<br />
das Bundesverfassungsgericht schon mit<br />
Beschluss vom 2.9.004 (1BvR 1962/04) wie<br />
folgt geäußert:<br />
„Bloße Mitglieder einer Wohngemeinschaft<br />
gehören auch nicht zu der `Haushaltsgemeinschaft´<br />
nach § 9 Abs.5 SGB <strong>II</strong>, denn diese Regelung<br />
erfasst nur Verwandte oder Verschwägerte<br />
im Sinne der §§ 1589 f. BGB (vgl. BTDrucks<br />
15/1516, S. 53). Aus diesen Gründen enthalten<br />
die angegriffenen Regelungen keine Auskunfts-<br />
pflichten über die persönlichen Verhältnisse<br />
eines bloßen Mitbewohners. Insbesondere muss<br />
der Hilfebedürftige keine derartigen Angaben zu<br />
Mit- oder Untermietern machen. Für die Zwecke<br />
der Grundsicherung für Arbeit reicht es aus,<br />
wenn er den von ihm getragenen Mietanteil<br />
benennt oder die Untermietzahlung als Einkommen<br />
angibt. Allerdings trägt er das rechtliche<br />
Risiko, das sich ergeben kann, wenn entgegen<br />
seinen Angaben doch eine eheähnliche Lebensgemeinschaft<br />
vorliegt.“<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
13<br />
Quelle: flickr.com<br />
Mit Gas wird auch das Warmwasser bereitet<br />
und gekocht. Bei ihnen sind zweimal 6,11 Euro<br />
(12,22 Euro) für Warmwasser und zweimal 4,54<br />
Euro (9,08 Euro) zum Kochen, gesamt also<br />
21,30 Euro monatlich von den Abschlägen an<br />
den Gasversorger abzuziehen.
14<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
JUGENDLICHE unter 25 (oder U 25)<br />
� Mit der Begründung, dass zu viele Jugendliche<br />
wegen des Bezugs von Hartz IV aus der<br />
elterlichen Wohnung ausgezogen seien und<br />
dies Missbrauch von Sozialleistungen wäre,<br />
wurden die Gesetze gegen die U 25 verschärft.<br />
Zahlen für diesen angeblichen Missbrauch<br />
wurden nie vorgelegt. Außerdem hatten sie bis<br />
2006 das Recht auszuziehen. Sein Recht wahrzunehmen,<br />
ist kein Missbrauch. Jeder Steuerzahlende<br />
darf so viel steuerlich mindernd geltend<br />
machen, wie das Steuerrecht hergibt. Das<br />
ist kein Missbrauch. Nur bei den Armen wird<br />
es als Missbrauch bezeichnet, wenn sie ihre<br />
Rechte wahrnehmen. Deshalb dürfen die U 25<br />
seit März 2006 nicht mehr ohne ausdrückliche<br />
Erlaubnis des JobCenters umziehen.<br />
Ziehen sie einfach aus der elterlichen Wohnung<br />
aus, wird ihnen keine Erstausstattung für<br />
die Wohnung gewährt, sie erhalten keine Mietkosten<br />
ersetzt (und das bis zum 25. Geburtstag),<br />
und sie erhalten immer den seit 01.07.06<br />
um damals 69 Euro gekürzten Regelsatz eines<br />
Minderjährigen (seit 01.07.09 287 Euro). Im<br />
äußersten Fall erhält ein 18-Jähriger, der ohne<br />
Erlaubnis auszieht, volle sieben Jahre keinen<br />
Cent Miete. Auch nicht die Miete oder den<br />
Mietanteil, der bisher in der Elternwohnung<br />
übernommen wurde! Ob nicht zumindest der<br />
Mietanteil, der in der elterlichen Wohnung<br />
übernommen wurde, gezahlt werden muss, hat<br />
anscheinend noch kein Gericht entscheiden<br />
müssen, weil die jungen Erwachsenen dies<br />
wohl noch nicht eingeklagt haben.<br />
Jedoch gibt es auch Möglichkeiten, legal<br />
auszuziehen.<br />
§ 22 Abs. 2a „... Der kommunale Träger ist zur<br />
Zusicherung verpflichtet, wenn<br />
1. der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen<br />
Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern<br />
oder eines Elternteils verwiesen werden kann,<br />
2. der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung<br />
in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder<br />
3. ein sonstiger ähnlich schwerwiegender Grund<br />
vorliegt.“<br />
Schwerwiegende soziale Gründe können sein:<br />
unüberbrückbare Differenzen mit den Eltern,<br />
Suchterkrankungen der Eltern (SG Nürnberg vom<br />
2.11.06 – S 19 AS 811/06 ER) wie auch der<br />
Jugendlichen selbst,<br />
wenn Eltern die Jugendlichen vor die Tür<br />
setzen,<br />
unzumutbare räumliche Unterbringung (SG<br />
Berlin vom 9.11.2007 – S 37 AS 8402/06)<br />
fortgesetzte Gängelei und Herabsetzung (VG<br />
Meiningen vom 27.4.2006 – 8 K 807/05 ME, SG<br />
Dortmund vom 5.10.2006 – S 48 AS 34/06 ER)<br />
Kein eigenes Zimmer zu haben, kann auch ein<br />
Grund zum Auszug sein.<br />
An die schwerwiegenden sozialen Gründe nach<br />
§ 22 Abs. 2a SGB <strong>II</strong> dürfen jedoch keine überzogenen<br />
Ansprüche gestellt werden. Denn diese<br />
Gründe knüpfen an den gleich lautenden § 64<br />
Abs.1 SGB <strong>II</strong>I an. Zu diesem Paragrafen hat das<br />
BSG schon am 02.06.2004 – B 7 AL 38/03 R<br />
festgestellt, dass die Vorschrift über Kürzungen<br />
existenzsichernder Leistungen massiv in die<br />
Lebensführung junger Volljähriger eingreift,<br />
weil die von hilfebedürftigen Eltern geforderte<br />
Einstandspflicht in drastischem Gegensatz zur<br />
Situation nicht hilfebedürftiger Eltern steht.<br />
Zur Vermeidung einer überzogenen Haftung<br />
armer Eltern sind daher die Ausführungen des<br />
BSG auch für die Auslegung nach § 22 Abs.2a<br />
Satz 2 Nr.1 SGB <strong>II</strong> heranzuziehen (LSG Hamburg<br />
vom 2.5.2006 – L 5 B 160/06 AS ER) Danach<br />
gelten folgende Maßstäbe:<br />
Schwerwiegende soziale Gründe können<br />
sowohl aus Sicht des jungen Volljährigen als<br />
auch aus Sicht der Eltern vorliegen. Auf ein<br />
Verschulden des jungen Volljährigen kommt<br />
es nicht an. Störungen im Eltern-Kind-Verhältnis<br />
sind schwerwiegend, wenn eine Besserung<br />
nicht zu erwarten ist.<br />
Liegen keine Anhaltspunkte für einen Auszug<br />
zur Erlangung höherer Alg-<strong>II</strong>-Ansprüche vor,<br />
ist die auf der Basis erheblicher persönlicher<br />
Differenzen in der Vergangenheit begründete<br />
übereinstimmende Erkenntnis von Eltern und<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Foto: uk<br />
jungem Volljährigen, dass ein weiteres Zusammenleben<br />
nicht möglich sei, zu respektieren.<br />
Dies trägt dem verfassungsrechtlichen Vorrecht<br />
der elterlichen Erziehung (Art. 6 Abs.2 GG) und<br />
dem Persönlichkeitsrecht der Betroffenen (Art.<br />
2 Abs. 1 GG) Rechnung, so das BSG.<br />
Die Einschaltung des Jugendamts ist keine Voraussetzung<br />
für die Anerkennung schwerer sozialer<br />
Gründe. Solche Hilfeangebote können nicht<br />
einmal vom JobCenter erzwungen werden.<br />
Es kann sogar von einer Zusicherung abgesehen<br />
werden, wenn es dem Jugendlichen<br />
„aus wichtigem Grund nicht zumutbar war,<br />
die Zusicherung einzuholen.“ (§ 22 Abs. 2a<br />
Nr. 3 SGB <strong>II</strong>)<br />
Wer genau liest, wird bemerkt haben, dass<br />
immer vom Umzug geschrieben wird, nicht<br />
vom Auszug aus der elterlichen Wohnung.<br />
Vom Gesetzestext her soll jeder junge Erwachsene,<br />
der noch nicht 25 Jahre ist, vor jedem<br />
UMZUG � die Erlaubnis des JobCenters einholen.<br />
Doch so war das im Gesetzgebungsverfahren<br />
nicht vorgesehen. In der Gesetzesbegründung<br />
steht, dass die Ursache angeblicher<br />
hoher Kosten von Hartz IV unter anderem<br />
der Erstbezug einer eigenen Wohnung junger<br />
Erwachsener sei. Doch der „Erstbezug“ aus
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
der Gesetzesbegründung verwandelt sich<br />
einfach in einen Paragrafen, der alle Umzüge<br />
der U 25 ohne Genehmigung verbieten will.<br />
Aufgrund der Gesetzesbegründung ist dieses<br />
Umzugsverbot für junge Erwachsene, die eine<br />
Wohnung haben, nicht durchzusetzen. Ebenso<br />
nicht genehmigungspflichtig ist:<br />
1. der Umzug von einem Elternteil zum anderen,<br />
2. der Auszug der Eltern unter „Zurücklassung“<br />
des Jugendlichen,<br />
3. der Auszug junger Verheirateter,<br />
4. der Auszug der U 25, die schwanger sind oder<br />
ein Kind bis zu sechs Jahren betreuen.<br />
Wie zu sehen ist, gibt es viele Gründe, einen<br />
Auszug zu genehmigen. Ich kenne jedoch nicht<br />
einen Umzugsantrag der U 25, den die Arbeitslosenbehörden<br />
von sich aus genehmigt haben!<br />
Wenn, dann musste die Erlaubnis erst über ein<br />
Gerichtsverfahren erzwungen werden.<br />
KLASSENFAHRTEN<br />
� Eine der wenigen einmaligen Beihilfen; die<br />
den Betroffenen mit Einführung von Hartz IV<br />
geblieben sind, sind die mehrtägigen Klassenfahrten<br />
(§ 23 Abs.3 Satz 1 Nr. 3) im Rahmen<br />
der schulrechtlichen Bestimmungen. Schulfonds<br />
oder andere Zuschüsse der Schulbehörde<br />
sind vorrangig zu beantragen. Bisher sind zwei<br />
Möglichkeiten bekannt, wie Sozialbehörden<br />
rechtswidrig gegen diese Anträge vorgehen:<br />
1. Sie bezweifeln, dass die beantragte Klassenfahrt<br />
den schulrechtlichen Bestimmungen<br />
entspricht und lehnen den Antrag ab.<br />
2. Sie pauschalieren die beantragte Summe<br />
und zahlen nur einen Teil der Kosten.<br />
Zu 1. Festzulegen, was den schulrechtlichen<br />
Bestimmungen entspricht, obliegt der Schule<br />
bzw. der Schulbehörde, jedoch nicht den<br />
Arbeitslosenbehörden. Wenn also die Schule<br />
bekannt gibt, dass sie eine mehrtägige Klassenfahrt<br />
im Rahmen der schulrechtlichen<br />
Bestimmungen macht, dann hat die Arbeitslosenbehörde<br />
das so zu akzeptieren.<br />
Zu 2. Einige JobCenter fühlen sich berufen,<br />
die Kosten als willkürlich begrenzten<br />
Zuschuss zu übernehmen, teilweise übernehmen<br />
sie dann ganz großzügig die restliche<br />
Summe, auf der sie die Betroffenen sitzen<br />
lassen, als rückzahlbares Darlehen. Beides<br />
ist rechtswidrig! Mehrtägige Klassenfahrten<br />
Selbstverständlich darf z.B. ein junger<br />
Erwachsener, der im elterlichen Haushalt lebt<br />
und seinen Lebensunterhalt selbst verdient,<br />
ohne Erlaubnis ausziehen! Ebenso bedarf es<br />
keiner Genehmigung, wenn die Eltern den<br />
Jugendlichen vor die Tür setzen.<br />
Doch selbst Obdachlosigkeit der jungen<br />
Erwachsenen ist für die Behörde scheinbar<br />
kein Grund, die Kosten für eine Wohnung<br />
zu übernehmen. Auch diese Jugendlichen<br />
wurden auf das Elternhaus verwiesen. Eigentlich<br />
sollen die JobCenter Obdachlosigkeit<br />
verhindern bzw. beenden! Eigentlich!<br />
Wenn Kosten mit dem Umzug verbunden sind,<br />
muss deren Übernahme vor dem Umzug beantragt<br />
werden. Auch in den Fällen, in denen<br />
eine Umzugserlaubnis nicht eingeholt werden<br />
muss. Mit einer Wohnung sind in der Regel<br />
sind von Kürzungen durch Pauschalen ausgenommen,<br />
im Gegensatz zu den anderen einmaligen<br />
Beihilfen.<br />
Die Übernahme darf auch nicht abgelehnt<br />
werden, weil nur ein Teil der Klasse (z.B. bei<br />
Projektfahrten) fährt oder die Fahrt ins Ausland<br />
geht oder zum Ende der Schulzeit stattfindet.<br />
Zu den Fahrtkosten gehören auch<br />
während der Reise entstehende Kosten wie<br />
Eintrittsgelder, Leihgebühren usw. Den Klassenfahrten<br />
gleichgestellt können auch mehrtägige<br />
Fahrten eines Kindergartens sein.<br />
Lediglich das Taschengeld ist von den Eltern<br />
aus der Regelleistung zu übernehmen.<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
15<br />
eine Kaution, die Mietkostenübernahmebescheinigung<br />
und die Erstausstattung verbunden.<br />
Die müssen wie bei jedem anderen Alg-<br />
<strong>II</strong>-Bezieher vorher beantragt werden.<br />
Wer gern im „Hotel Mama“ bleiben möchte,<br />
soll das tun, sich von Mama bekochen, seine<br />
Wäsche waschen, sein Zimmer aufräumen<br />
lassen, kurz, immer schön am Rockzipfel<br />
von Mama hängen. So haben die JobCenter<br />
Euch gern: abhängig und billig! Toll! Wer<br />
gute Gründe hat, von zu Hause auszuziehen,<br />
der sollte auch bereit sein, für sein Recht zu<br />
kämpfen. Da die JobCenter wohl kaum einen<br />
Antrag auf Auszug genehmigen, ehe sie von<br />
den Gerichten dazu gezwungen werden, stellt<br />
Euch darauf ein, und lasst Euch nicht mit<br />
einem gekürzten Regelsatz und der Weigerung,<br />
die Miete zu zahlen, von den JobCentern in<br />
die Schuldenfalle treiben.<br />
Das Bundessozialgericht hat Ende 2008 zu<br />
diesem Thema unter dem Aktenzeichen B 14<br />
AS 36/07 R die <strong>ALG</strong>-<strong>II</strong>-Behörde verpflichtet,<br />
die vollen Kosten der Klassenfahrt zu übernehmen.<br />
Damit hat sich hoffentlich auch die<br />
rechtswidrige Praxis der Berliner Arbeitslosenbehörden<br />
erledigt.<br />
Wurde schon für eine Klassenfahrt bezahlt,<br />
weil das JobCenter den Antrag abgelehnt<br />
oder gekürzt hat, kann ein ÜBERPRÜFUNGS-<br />
ANTRAG � gestellt und das Geld zurückgefordert<br />
werden.
16<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
MEHRBEDARF<br />
� Mehrbedarfszuschläge gibt es für bestimmte<br />
Behinderte, für Schwangere, für Alleinerziehende<br />
und Kranke mit besonderen Diäten.<br />
Mehrbedarf in Höhe von 35 Prozent (Tabelle<br />
unten) für Behinderte (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 SGB<br />
<strong>II</strong>): Den gibt es leider nur, wenn Sie Leistungen<br />
zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33<br />
SGB IX, sowie sonstige Hilfen zur Erlangung<br />
eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben<br />
oder Eingliederungshilfen nach § 54 Abs. 1<br />
Satz 1 Nrn. 1-3 SGB X<strong>II</strong> von einem öffentlich-rechtlichen<br />
Träger nach § 6 Abs. 1 SGB<br />
IX tatsächlich erhalten. – Die BA verweigert<br />
Behinderten diesen Mehrbedarf neuerdings,<br />
wenn Erhalt oder Erlangen eines Arbeitsplatzes<br />
nur über Mobilitätshilfen, Beratung oder<br />
Vermittlung gefördert wird.<br />
Mehrbedarf in Höhe von 17 Prozent für behinderte<br />
Sozialgeldbezieher (& 28 Abs. 1 Nr. 4<br />
SGB <strong>II</strong>), die einen entsprechenden Ausweis mit<br />
Ernährungsbedingter Mehrbedarf<br />
Seit Jahrzehnten richteten sich die Ämter bei<br />
diesem Mehrbedarf mehr oder weniger nach den<br />
Empfehlungen des Deutschen Vereins (DV). In<br />
den letzten Jahren unterliefen die Ämter diese<br />
Vorgaben und beriefen sich teilweise auf den<br />
„Begutachtungsleitfaden“ des Landschaftsverbandes<br />
Westfalen-Lippe, der, man ahnt es,<br />
eine „Schmalspurdiät“ verteidigt. Nun ist der<br />
Deutsche Verein „eingeknickt“. Nach seinen<br />
Empfehlungen ist nun in der Regel für Vollkost<br />
und deren spezielle Formen kein Mehrbedarf<br />
mehr erforderlich.<br />
Es reicht nicht mehr, verzehrende (konsumierende)<br />
Erkrankungen wie z.B. Krebs, HIV/AIDS,<br />
Multiple Sklerose, Morbus Chrohn oder Colitis<br />
ulcerosa zu haben; sozusagen „ein bisschen<br />
Krebs“ reicht nicht. Jetzt wird nur bei erheblichen<br />
körperlichen Auswirkungen, schweren<br />
Verläufen oder gestörter Nährstoffausnahme<br />
zugebilligt, dass eventuell im Einzelfall ein<br />
erhöhter Ernährungsbedarf vorliegen kann! Das<br />
heißt, dass jemand mit „fortschreitendem/fortgeschrittenen<br />
Krebsleiden“ mit den Ämtern um<br />
die Anerkennung als Einzelfall kämpfen muss,<br />
wenn er einen Mehrbedarf haben will. Das dürfte<br />
mit ziemlicher Sicherheit fast ausschließlich<br />
vor Gericht landen, sollten diese Schwerkranken<br />
nebenbei noch dafür überflüssige Kräfte haben.<br />
Jetzt wissen wir wieder einmal, weshalb sich<br />
das Ganze „Fürsorgesystem“ nennt!<br />
Für solch „einfache“ Krankheiten wie z.B.<br />
Hyperlipidämie (Erhöhung der Blutfettwerte),<br />
Hyperurikämie (Erhöhung der Harnsäure im<br />
dem Merkzeichen G haben. Kindern unter 15<br />
Jahren wird dieser Zuschlag jetzt ganz verweigert,<br />
da er angeblich volle Erwerbsminderung<br />
voraussetzt und Schulkinder dem Arbeitsmarkt<br />
sowieso nicht zur Verfügung stünden.<br />
Beide neuen Anweisungen widersprechen den<br />
bestehenden Gesetzen, die sich nicht geändert<br />
haben und bis heute keine solche Einschränkungen<br />
vorsehen. Den Betroffenen bleibt auch<br />
hier nur die Möglichkeit, gegen die Verweigerung<br />
des Mehrbedarfs mit WIDERSPRUCH �<br />
und KLAGE � vorzugehen.<br />
Mehrbedarf bei Alleinstehenden<br />
Prozent vom Regelsatz 351 Euro Regelsatz 359 Euro<br />
Regelsatz bis 30.06.2009 ab 01.07.2009<br />
12 % 42 Euro 43 Euro<br />
17 % 60 Euro 61 Euro<br />
35 % 123 Euro 126 Euro<br />
36 % 126 Euro 129 Euro<br />
Blut), Gicht, Hypertonie (Bluthochdruck),<br />
kardiale und renale Ödeme, Diabetes mellitus<br />
(Zuckerkrankheit Typ I und <strong>II</strong>), Zwölffingerdarmgeschwür,<br />
Magengeschwür, Neurodermitis,<br />
Leberinsuffizienz, denen bisher ein Mehrbedarf<br />
zwischen 25 und 35 Euro zugebilligt wurde, „...<br />
ist in der Regel ein krankheitsbedingt erhöhter<br />
Ernährungsaufwand zu verneinen.“ (O-Ton DV)<br />
In den Durchführungshinweisen zu § 21 ist<br />
für folgende Krankheiten ein Mehrbedarf vorgesehen:<br />
Art der Krankenkost Kranken-<br />
Erkrankung kostzulage<br />
Nierenversagen<br />
Nierenversagen mit<br />
Eiweißdefinierte Kost 36 Euro<br />
Hämodialysebehandlung Dialysekost 72 Euro<br />
Zöliakie/Sprue Glutenfreie Kost 72 Euro<br />
Der Höhe nach sind Abweichungen in besonders gelagerten<br />
Einzelfällen möglich.<br />
Ein krankheitsbedingter Mehrbedarf für<br />
kostenaufwendige Ernährung ist bei folgenden<br />
verzehrenden Krankheiten in der Regel<br />
nur bei schweren Verläufen oder dem Vorliegen<br />
besonderer Umstände zu bejahen:<br />
36 Euro monatlich bei Colitis ulcerosa, HIV/<br />
AIDS, Krebs (bösartiger Tumor), Leberversagen,<br />
Morbus Crohn, Multipler Sklerose.<br />
Im Text wird immer wieder von beispielhaften<br />
Aufzählungen (z.B.) der Krankheiten ausgegangen.<br />
Das heißt, nur für diese Krankheiten<br />
gibt es diese Empfehlungen. Sie sind nicht<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Mehrbedarf in Höhe von 17 Prozent für<br />
Schwangere ab der 13. Schwangerschaftswoche<br />
(§ 21 Abs. 1 Nr.2 SGB<strong>II</strong>): Mehrbedarfszuschläge<br />
richten sich prozentual nach der Höhe<br />
der Regelleistung nach § 20 SGB <strong>II</strong>. Da diese<br />
verschieden hoch sein können, ergeben sich<br />
auch prozentual verschieden hohe Zuschläge.<br />
Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe von<br />
12-60 Prozent (§ 21 Abs.1 Nr.3 SGB <strong>II</strong>)<br />
1. in Höhe von 36 Prozent, wenn sie mit einem<br />
Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder<br />
drei Kindern unter sechzehn Jahren zusammenleben<br />
(129,24 Euro)<br />
2. in Höhe von 43,08 Euro für<br />
jedes Kind, wenn sich dadurch<br />
ein höherer Prozentsatz als nach<br />
Nr.1 ergibt. Höchstens jedoch 60<br />
Prozent (215,40 Euro) der Regelleistung.<br />
abschließend. Wenn für andere, nicht aufgeführte<br />
Erkrankungen (z.B. Rheuma, Allergien)<br />
ein erhöhter Ernährungsbedarf besteht, ist ein<br />
Antrag an die Behörde zu jeder Zeit möglich.<br />
Die kann sich nicht darauf berufen, dass die<br />
Krankheit nicht in den Empfehlungen des DV<br />
enthalten ist.<br />
Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil<br />
vom 27.02.2008 (B 14 7b AS 64/06) den Amtsermittlungsgrundsatz<br />
betont, der die Behörde<br />
im Einzelfall verpflichtet, selbst<br />
den Sachverhalt zu ermitteln<br />
(§ 20 SGB X) und auch die für<br />
Betroffene günstigen Umstände<br />
zu berücksichtigen, sowie die Einholung<br />
medizinischer und/oder<br />
ernährungswissenschaftlicher<br />
Stellungnahmen und Gutachten.<br />
(§ 21 SGBX)<br />
Es ist den Kranken jedoch zu<br />
empfehlen, möglichst selbst die erhöhten<br />
Kosten für die Ernährung nachzuweisen. Vielleicht<br />
helfen hier die Ernährungsberater von<br />
Krankenkassen, entsprechenden Vereinen oder<br />
Selbsthilfegruppen. Denn es ist zu befürchten,<br />
dass „unabhängige“ Gutachter, wenn sie denn<br />
eingeschaltet werden, gern die Meinung der<br />
Auftraggeber vertreten.<br />
Auf jeden Fall haben die neuen Empfehlungen<br />
zwei Dinge erreicht: Einsparungen in Millionenhöhe<br />
und eine weitere Beschäftigung der<br />
Sozialgerichte!
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
MIETE – KOSTEN DER UNTERKUNFT<br />
� „Laufende Leistungen für die Unterkunft<br />
und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen<br />
Aufwendungen erbracht...“ (§ 22 Abs. 1. Satz<br />
1 SGB <strong>II</strong>). Dieser Satz gilt für alle, die Hartz<br />
IV erstmals beantragen. Egal, wie hoch die<br />
Miete ist, die Arbeitslosenbehörde muss sie<br />
in voller Höhe übernehmen, wenn der Antragsteller<br />
„bedürftig“ ist. Ausnahmen gibt es für<br />
die Kosten von Garagen, Kabelgebühren u.ä.,<br />
wenn sie aus dem Mietvertrag herausgenommen<br />
werden können. Sind sie Bestandteil des<br />
Mietvertrags, ohne dass man auf diese Leistungen<br />
verzichten kann, müssen sie in der Regel<br />
auch übernommen werden. Da in diesem Paragraphen<br />
nicht von Miete, sondern von Kosten<br />
der Unterkunft geschrieben wird, zählen dazu<br />
u.a. auch Kosten für Untermiete, Eigenheime,<br />
Stellplatzkosten für einen Wohnwagen (LSG<br />
Berlin-Brandenburg vom 12.10.2007), reale<br />
Unterbringungskosten bei Dritten, Kosten<br />
einer Obdachlosenunterkunft, einer Pension,<br />
eines Hotels, einer Gartenlaube (LSG Berlin-<br />
Brandenburg vom 8.3.2006 – L 19 B 42/06 AS<br />
ER), auch die Wohnkosten in einem besetzten<br />
Haus. Also alle Kosten, die nachweislich für<br />
eine Unterkunft erbracht werden.<br />
Übrigens gelten bei Gartenlauben und Wohnwagen,<br />
die nicht gemietet, sondern Eigentum<br />
sind, die gleichen Bestimmungen wie bei<br />
Eigenheimen. Kosten für Wasser, Müllabfuhr,<br />
Reparaturen, Pacht des Grundstücks usw.<br />
müssen als Kosten der Unterkunft in der Regel<br />
übernommen werden.<br />
Voraussetzung für die Übernahme der Kosten<br />
der Unterkunft ist in der Regel die tatsächliche<br />
Zahlung, nicht die Vorlage irgendeines<br />
Vertrages. Wer z.B. keinen Vertrag hat, jedoch<br />
durch Kontoauszüge nachweisen kann, dass<br />
Überweisungen für eine Unterkunft getätigt<br />
werden, hat in der Regel auch Anspruch auf<br />
Übernahme der Kosten.<br />
Der oben erwähnte Satz des §22 wird jedoch<br />
mit der Hinzufügung „...soweit diese angemessen<br />
sind“ beendet. Das heißt, dass es da<br />
Beschränkungen gibt. Diese Beschränkungen<br />
treten jedoch nicht sofort in Kraft. Die<br />
Arbeitslosenbehörde, die verpflichtet ist, die<br />
Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe<br />
zu übernehmen, kann einem Alg-<strong>II</strong>-Bezieher<br />
mitteilen, dass sie seine Miete für unangemessen<br />
hoch hält und ihn zur Senkung der<br />
Mietkosten mit einer Fristsetzung auffordern.<br />
Die Kosten können durch Untervermietung,<br />
UMZUG � oder durch eigene Zahlung von<br />
Teilen der Miete gesenkt werden.<br />
Doch was ist angemessen? Für diesen Begriff<br />
gibt es keine feste Summe. Jedes Bundesland,<br />
jede Kommune kann die Angemessen-<br />
heit anders festlegen. Von dieser Möglichkeit<br />
haben die Verantwortlichen auch sehr willkürlich<br />
Gebrauch gemacht, unter der Prämisse<br />
„Hauptsache billig“ wurden Mietobergrenzen<br />
festgelegt, die keiner gerichtlichen Überprüfung<br />
standhielten.<br />
Die Angemessenheit richtet sich nach dem<br />
Wohnstandard, insbesondere der Wohnfläche,<br />
die den Betroffenen zugestanden wird, den<br />
Mietpreisen des Wohnungsmarktes und der<br />
persönlichen Situation des Erwerbsfähigen und<br />
seiner Bedarfs-oder Haushaltsgemeinschaft.<br />
Der Wohnstandard für Alg <strong>II</strong>-Bezieher richtet<br />
sich immer nach dem Wohnstandard am Ort.<br />
Wer in Dörfern oder Kleinstädten wohnt, in<br />
denen viele Wohnungen noch mit Ofenheizung<br />
und ohne Bad sind, kann auch nicht mehr<br />
verlangen. Wer jedoch in Gegenden wohnt,<br />
wo ein hoher Prozentsatz der Wohnungen mit<br />
Zentralheizung und Bad ausgestattet ist, wird<br />
schwerlich auf den kleinen Teil der Wohnungen<br />
ohne Bad verwiesen werden können.<br />
Die zugebilligte Wohnungsgröße soll sich an<br />
den Richtwerten der Wohngeldtabelle orientieren<br />
(z.B. 45-50 Quadratmeter für eine Person).<br />
Die Tabelle erhält man bei jedem Wohnungsamt.<br />
„Bei der Beurteilung der Angemessenheit der<br />
Mietaufwendungen... sind die örtlichen Verhältnisse<br />
zunächst insoweit maßgeblich, als<br />
auf die im unteren Bereich der für vergleich-<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
17<br />
bare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen<br />
marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen<br />
und auf dieser tatsächlichen Grundlage<br />
die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne<br />
zu ermitteln ist.“ (BVerwG 28.04.05<br />
– 5 C 15/04) Der örtliche Mietspiegel kann in<br />
diesem Sinne eine gute Vorlage sein. Berlin<br />
z.B. hat einen detaillierten Mietspiegel. Und<br />
was macht der Berliner Senat?<br />
Foto: Dario<br />
Er legt eine Einheitsmietobergrenze pro Person<br />
fest, ohne den Mietspiegel, ohne auch nur die<br />
geringste Aussage treffen zu können, wie viele<br />
Wohnungen für Bezieher nach SGB <strong>II</strong> und X<strong>II</strong><br />
in diesen Preislagen tatsächlich zur Verfügung<br />
stehen. Genau diese Vorgehensweise hat das<br />
Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil<br />
nicht gemeint. Für diese Praxis haben wir ja<br />
auch einen „rot-roten“ Senat.<br />
Maßgeblich soll im Prinzip der Quadratmeterpreis<br />
mal den zulässigen Quadratmetern sein.<br />
Innerhalb dieser Grenzen ist es einem Alg-<strong>II</strong>-<br />
Bezieher möglich zu variieren. Z.B. ist Grundlage<br />
ein Quadratmeterpreis von sechs Euro und<br />
eine Wohnungsgröße von 50 Quadratmetern,<br />
so entspricht dies einer Miethöchstgrenze von<br />
300 Euro. Es kann eine knapp 43 qm große<br />
Wohnung, jedoch mit Balkon und/oder Fahrstuhl,<br />
für sieben Euro pro Quadratmeter gemietet<br />
werden. Es kann aber auch, weil ein größeres<br />
Platzbedürfnis besteht, eine Wohnung mit<br />
60 Quadratmetern und einem Quadratmeterpreis<br />
von fünf Euro gemietet werden. Wichtig<br />
ist, dass die 300 Euro Miethöchstgrenze nicht<br />
überschritten werden.
18<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
Der persönlichen Situation entsprechend<br />
können Betroffenen auch größere Wohnungen<br />
zugebilligt werden, insbesondere bei:<br />
Pflegebedürftigkeit,<br />
Behinderten (z.B. Rollstuhlfahrer),<br />
Schwangeren,<br />
Alleinerziehenden,<br />
Selbstständigen (Büro, Werkstatt, Arbeitszimmer),<br />
häufigen und regelmäßigen Besuchen der leiblichen<br />
Kinder mit längerem Aufenthalt (SG<br />
Magdeburg, Urteil vom 28.10.2005 – S 28 AS<br />
383/05),<br />
Haushalt mit Angehörigen der BG mit bedarfsdeckendem<br />
Einkommen (SG Oldenburg, Beschluss<br />
vom 31.10.2005 – S 47 AS 256/05 ER).<br />
Bei Alleinerziehenden zeichnet sich ab, dass<br />
ihnen mehr Wohnraum zugestanden werden<br />
kann als Paarhaushalten. Das BSG hat in seinem<br />
Urteil (18.06.2008 B 14/7b AS 44/06 R) nochmals<br />
einer Alleinerziehenden mehr Wohnraum<br />
zugebilligt. Ebenso hat das LSG Berlin-Brandenburg<br />
(29.07.2008 L 14 B 248/08 AS ER)<br />
einer Mutter mit Kind einen um 10 Prozent<br />
höheren Richtwert eines Zwei-Personen-Haushaltes<br />
zugesprochen.<br />
Zusätzlich zur angemessenen Miete geht es<br />
jedoch auch um angemessene Heizkosten. Hier<br />
sind die Versuche der Arbeitslosenbehörden,<br />
Heizkosten pauschal bei einer meist willkürli-<br />
chen Summe zu begrenzen, dank der Gerichte<br />
kläglich gescheitert. Durchschnittswerte<br />
berechtigen die Arbeitslosenbehörden nicht,<br />
die tatsächlichen Heizkosten zu verweigern<br />
oder zukünftige Heizkostennachzahlungen<br />
abzulehnen. Tenor vieler Gerichte ist: Höhere<br />
Kosten sind zu übernehmen, bis das Amt die<br />
Ursache der Kostenerhöhung ermittelt hat (SG<br />
Kassel vom 9.3.2005 – S 21 AS 11/05 ER).<br />
Dabei ist immer der Einzelfall zu prüfen. Hohe<br />
Heizkosten wegen zusätzlicher Außenwände,<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
feuchter Wände, zu kalten Hausfluren, Erdgeschoss-<br />
oder Dachwohnungen, ungedämmte<br />
Wohnungen, teure Heizungsarten (Strom),<br />
aber auch zusätzlicher Wärmebedarf von<br />
Kleinkindern, alten oder kranken Menschen,<br />
müssen berücksichtigt werden. Auch wenn<br />
sich die Heizkosten wegen eines besonders<br />
kalten Winter erhöht haben.<br />
Bei Kohleheizung gibt es z.B. in Berlin eine<br />
Begrenzung der Bewilligung nach Zentnern<br />
und Personenzahl und nicht nach Quadratmetern.<br />
Betroffene können, wenn der Kohlenvorrat<br />
zur Neige geht, zusätzliches „Kohlengeld“<br />
beantragen. Hier hat auch wieder<br />
eine Einzelfallprüfung zu erfolgen. Es muss,<br />
insbesondere bei den oben genannten besonderen<br />
Umständen, nachbewilligt werden.<br />
Kein Betroffener darf auf eine ungeheizte<br />
Wohnung verwiesen werden.<br />
In Berlin wurden die Mietobergrenze für Ein-<br />
Personen-Haushalte von 360 Euro auf 378<br />
Euro zum 01.03.2009 erhöht. Wenn der neue<br />
Mietspiegel (ca. Sommer 2009) erstellt ist,<br />
wollte der Senat die Mietobergrenzen für <strong>ALG</strong>-<br />
<strong>II</strong>- und Sozialhilfebezieher überprüfen. Das ist<br />
bis heute nicht geschehen.<br />
Foto: cs
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
MITWIRKUNGSPFLICHTEN<br />
� Fast jeder Alg-<strong>II</strong>-Bezieher wurde wohl schon<br />
auf seine Mitwirkungspflichten hingewiesen.<br />
In der Regel werden Forderungen nach irgendwelchen<br />
Unterlagen mit dem Hinweis auf die<br />
Mitwirkungspflichten versehen. Immer wieder<br />
überschreiten die Behörden ihre Kompetenzen<br />
und fordern Unterlagen, die sie nichts<br />
angehen oder deren Erbringung unmöglich<br />
ist. Ob es die Einkommensbescheinigungen<br />
irgendwelcher WG-Mitglieder sind oder die<br />
Bescheinigung, dass kein Einkommen erzielt<br />
wird, es sind dies alles Blüten hyperaktiver<br />
Datensammler bei den Arbeitslosenbehörden.<br />
Nur die Sterbeurkunde der Urgroßmutter samt<br />
Totenschein haben die Behörden wohl noch<br />
nicht verlangt.<br />
Doch ehe wir uns hier mit den Pflichten der<br />
Betroffenen befassen, sehen wir uns die<br />
Pflichten der Behörde an:<br />
§20 SGB X Untersuchungsgrundsatz<br />
„(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt<br />
von Amts wegen. Sie bestimmt Art und<br />
Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen<br />
und an die Beweisanträge der Beteiligten ist<br />
sie nicht gebunden.<br />
(2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall<br />
bedeutsamen, auch die für die Beteiligten<br />
günstigen Umstände zu berücksichtigen.<br />
(3) Die Behörde darf die Entgegennahme<br />
von Erklärungen oder Anträgen, die in ihren<br />
Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb<br />
verweigern, weil sie die Erklärung oder den<br />
Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet<br />
hält.“<br />
Wenn der Betroffene angibt, keiner Erwerbstätigkeit<br />
nachzugehen, dann haben die Mitarbeiter<br />
den Sachverhalt selbst zu ermitteln,<br />
wenn sie daran Zweifel haben, anstatt von<br />
dem Betroffenen unsinnige und unmögliche<br />
Nachweise der „Nichterwerbstätigkeit“ zu<br />
verlangen. Davon, dass die Mitarbeiter auch<br />
die für Betroffene günstigen Umstände zu<br />
berücksichtigen haben, dürften oder wollen<br />
diese oft nichts wissen.<br />
Doch kommen wir zu dem, was die Behörden<br />
von den Betroffenen verlangen dürfen.<br />
SGB I § 60 Angaben von Tatsachen<br />
Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält,<br />
hat<br />
1. alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung<br />
erheblich sind, und auf Verlangen des<br />
zuständigen Leistungsträgers der Erteilung<br />
der erforderlichen Auskünfte durch Dritte<br />
zuzustimmen,<br />
2. Änderungen in den Verhältnissen, die für<br />
die Leistung erheblich sind oder über die im<br />
Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen<br />
abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen,<br />
3. Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen<br />
des zuständigen Leistungsträgers<br />
Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage<br />
zuzustimmen.“<br />
§ 61 verpflichtet zum persönlichen Erscheinen,<br />
wenn die Behörde dies fordert.<br />
§ 62 verpflichtet zu ärztlichen und psychologischen<br />
Untersuchungen, soweit diese für die<br />
Entscheidung über Leistungen erforderlich<br />
sind.<br />
§63 verpflichtet, sich einer Heilbehandlung<br />
zu unterziehen, wenn dadurch eine Besserung<br />
herbeigeführt oder eine Verschlechterung<br />
verhindert wird.<br />
§ 64 verpflichtet zur Teilnahme an Leistungen<br />
zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn zu<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
19<br />
Quelle: Archiv<br />
erwarten ist, dass sie seine Erwerbs- und<br />
Vermittlungsfähigkeit auf Dauer fördern oder<br />
erhalten werden.<br />
Der Inhalt der §§ 60 bis 64 ist verkürzt wiedergegeben.<br />
§ 60 Abs. 1 schreibt vor, dass die Angaben<br />
für die Leistung ERHEBLICH sein müssen. Die<br />
Adresse des Vermieters ist unerheblich. Seine<br />
Bankverbindung auch. DATENSCHUTZ � Ausnahme;<br />
die Miete wird direkt an den Vermieter<br />
überwiesen. Daten der Eltern sind unerheblich,<br />
wenn kein Unterhalt gezahlt wird<br />
usw. Damit besteht auch keine Pflicht, diese<br />
Angaben zu machen.<br />
Diese Paragrafen sind den Mitarbeitern weitgehend<br />
geläufig. Was von den Arbeitslosenbehörden<br />
scheinbar völlig ignoriert wird, sind<br />
die gesetzlichen Grenzen der Mitwirkungspflichten.<br />
Die stehen gleich unter den Pflichten,<br />
im § 65 SGB I.<br />
(1) „Die Mitwirkungspflichten nach § 60 bis<br />
64 bestehen nicht, soweit<br />
1. ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen<br />
Verhältnis zu der in Anspruch genommenen<br />
Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht<br />
oder<br />
2. ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem<br />
wichtigen Grund nicht zugemutet werden
20<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
kann oder<br />
3. der Leistungsträger sich durch einen geringeren<br />
Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte<br />
die erforderlichen Kenntnisse<br />
selbst beschaffen kann.<br />
2) Behandlungen und Untersuchungen<br />
1. bei denen im Einzelfall ein Schaden für<br />
Leben oder Gesundheit nicht nur mit hoher<br />
Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden<br />
kann,<br />
2. die mit erheblichen Schmerzen verbunden<br />
sind oder<br />
3. die einen erheblichen Eingriff in die körperliche<br />
Unversehrtheit bedeuten, können<br />
abgelehnt werden.<br />
(3) Angaben, die dem Antragsteller, dem<br />
Leistungsberechtigten oder ihnen nahe stehende<br />
Personen die Gefahr zuziehen würde,<br />
wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit<br />
verfolgt zu werden, können verweigert<br />
werden.“<br />
Mit einem geringeren Aufwand kann sich der<br />
Mitarbeiter die Kenntnis z.B. des Bezugs von<br />
Kindergeld oder von Unterhaltsvorschuss<br />
per Telefon (mit Erlaubnis des Betroffenen)<br />
beschaffen. Auch die Bescheinigung bei<br />
Einkommensbeziehern, dass kein Wohngeld<br />
gezahlt wird, kann auf diese Weise zur Kenntnis<br />
gelangen, anstatt die Betroffenen durch<br />
sämtliche Behörden zu hetzen. Die Mitarbeiter<br />
sollten bei solchen und ähnlichen Anliegen<br />
aufgefordert werden, sich ihre Erkenntnisse<br />
selbst zu beschaffen. Die anderen Behörden<br />
sind im Rahmen der Amtshilfe (§§ 3-7 SGB X)<br />
zur Auskunft verpflichtet.<br />
§ 67a Aufwendungsersatz<br />
„(1) Wer einem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers<br />
nach den §§ 61 oder 62 nachkommt,<br />
kann auf Antrag Ersatz seiner notwendigen<br />
Auslagen und seines Verdienstausfalls in<br />
angemessenem Umfang erhalten....“ Das heißt:<br />
Werden Unterlagen verlangt, deren Beschaffung<br />
Geld kostet z.B. eine Bescheinigung, ein<br />
ärztliches Attest, Kostenvoranschläge usw.,<br />
muss die Behörde die Kosten übernehmen,<br />
wenn dies VORHER beantragt wird.<br />
§ 66 Folgen fehlender Mitwirkung<br />
Kommt jemand seinen Mitwirkungspflichten<br />
nicht nach und erschwert er damit die Aufklärung<br />
eines Sachverhalts ERHEBLICH und<br />
können dadurch die Voraussetzungen für<br />
eine Leistung nicht ermittelt werden, kann<br />
die Behörde die Leistung ganz oder teilweise<br />
versagen. Hat jemand z.B. den Nachweis für<br />
den Unterhaltsvorschuss nicht erbracht, kann<br />
die Leistung auch nur bis zur Höhe dieser<br />
Summe gekürzt werden, nicht die komplette<br />
Zahlung. Das wäre unverhältnismäßig.<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
„(3) Sozialleistungen dürfen wegen fehlender<br />
Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden,<br />
nachdem der Leistungsberechtigte auf diese<br />
Folgen schriftlich hingewiesen worden ist<br />
und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb<br />
einer ihm gesetzten Frist nachgekommen ist.“<br />
Immer muss vorher eine angemessene Frist<br />
gesetzt werden und SCHRIFTLICH auf die Kürzung<br />
hingewiesen werden. Liegt eine Fristversäumnis<br />
nicht im Verschulden des Betroffenen<br />
z.B. weil der Arbeitgeber den Gehaltsnachweis<br />
nicht ausstellt, darf die Leistung nicht<br />
gekürzt oder versagt werden. Natürlich muss<br />
die Behörde vom Betroffenen darüber unterrichtet<br />
werden.<br />
§ 67 „Wird die Mitwirkungspflicht nachgeholt<br />
und liegen die Leistungsvoraussetzungen vor,<br />
kann der Leistungsträger Sozialleistungen,<br />
die er nach § 66 versagt oder entzogen hat,<br />
nachträglich ganz oder teilweise erbringen.“<br />
Das Wort „kann“ sagt aus, dass die Mitarbeiter<br />
nach eigenem ERMESSEN � handeln dürfen.<br />
Bei Beziehern nach dem SGB <strong>II</strong> und SGB X<strong>II</strong><br />
handelt es sich in der Regel um die Beseitigung<br />
von Notlagen. Damit gibt es keinen<br />
Ermessensspielraum. Die Leistung muss daher<br />
bei nachgeholter Mitwirkung nachgezahlt<br />
werden!
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
NEBENKOSTENABRECHNUNG<br />
� Aus der Nebenkostenabrechnung entstehende<br />
Nachzahlungen gehören zu den Kosten<br />
der Unterkunft nach § 22 SGB <strong>II</strong> und müssen<br />
von der Arbeitslosenbehörde übernommen<br />
werden. (SG Hannover 03.03.2005 – S 51 SO<br />
75/05 ER; SG Lüneburg 15.03.05 S 23 S 75/05<br />
ORTSABWESENHEIT<br />
� Ortsabwesenheit besteht, wenn ein Bezieher<br />
von Regelleistungen nach dem SGB <strong>II</strong><br />
werktags ohne Erlaubnis der Arbeitslosenbehörde<br />
länger als 24 Stunden seinen Briefkasten<br />
im Stich lässt. Ausnahmen davon<br />
gelten für die Wochenenden und Feiertage.<br />
Ebenfalls darf man sich per Antrag für 21<br />
Kalendertage (!) Urlaub genehmigen lassen<br />
(möglichst schriftlich).<br />
Schon allein die Erreichbarkeit daran festzumachen,<br />
dass der Betroffene persönlich<br />
„an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder<br />
gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm<br />
benannten Anschrift durch Briefpost vom<br />
Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende<br />
erreicht werden kann“ macht den Zwangscharakter<br />
der EAO klar. Als gäbe es kein Telefon,<br />
Fax, Handy und kein Internet. Das Bestehen<br />
darauf, dass die Betroffenen täglich persönlich<br />
ihren Briefkasten besuchen müssen (BSG<br />
09.02.06), könnte man als weltfremd sehen,<br />
wenn es nicht einen so schönen Sanktionstatbestand<br />
liefern würde!<br />
Was würde es schaden, wenn ein Nachbar täglich<br />
den Briefkasten leert und bei Bedarf den<br />
Betroffenen anruft? Vielleicht sogar per Handy.<br />
Schlachtentscheidend wäre doch eigentlich,<br />
dass der Betroffene unverzüglich handelt. Es<br />
ER) Sie sind kein in der Regelleistung enthaltener<br />
Bedarf, der als Darlehen nach § 23 Abs. 1<br />
vergeben wird! Die berechtigte Nachforderung<br />
an Nebenkosten muss die Arbeitslosenbehörde<br />
übernehmen. Dabei ist es unwichtig, ob der<br />
Abrechnungszeitraum vor oder im Bezug von<br />
würde ausreichen, wenn<br />
Sanktionen bei selbst<br />
verschuldeten Verzögerungen<br />
einsetzen. Doch<br />
dann hätte hat man<br />
die Leute nicht mehr so<br />
schön am Gängelband.<br />
ACHTUNG! Wer ortsabwesend<br />
„erwischt“ wird, verliert<br />
rückwirkend für diese<br />
Zeit seinen Anspruch<br />
auf Alg <strong>II</strong>. Für auf dem<br />
ersten Arbeitsmarkt sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigte gilt dies<br />
nicht.<br />
Foto: flickr.com<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
21<br />
Alg <strong>II</strong> liegt. Wichtig ist, dass die Forderung<br />
während des Bezugs von Alg <strong>II</strong> entsteht. Liegt<br />
die Forderung nach dem Bezug von Alg <strong>II</strong>, ist<br />
nicht mehr das JobCenter zuständig.<br />
Guthaben aus Nebenkostenabrechnungen<br />
mindern die Unterkunftskosten im Folgemonat<br />
um diese Summe.<br />
ACHTUNG! FÜR ALLE MIETER WICHTIG! Eine<br />
Betriebskostenabrechnung muss nur beglichen<br />
werden, wenn sie innerhalb von zwölf<br />
Monaten nach dem Abrechnungszeitraum eingegangen<br />
ist. Danach sind Nachforderungen<br />
unwirksam. Wer eine eigentlich unwirksame<br />
Nachforderung bezahlt hat, kann sie nach<br />
einem Urteil des BGH vom 18.01.2006 – V<strong>II</strong>I<br />
ZR 94/05 bis zu drei Jahre zurückfordern.
22<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
� Jeder Betroffene hat<br />
das Recht, sich gegen<br />
falsche Bescheide, egal, ob<br />
es sich um den laufenden Bezug, einmalige<br />
Beihilfen oder Aufhebungs- oder Erstattungsbescheide<br />
handelt, zu wehren. Nur wenige<br />
Betroffene jedoch wehren sich. Dazu sind verschiedene<br />
Voraussetzungen nötig: ein abgeschlossenes<br />
Jurastudium – na gut, war ein<br />
Scherz. Doch Fakt ist, dass sich nur wenige<br />
Betroffene in den unübersichtlichen, teilweise<br />
widersprüchlichen und sich ständig ändernden<br />
komplexen Gesetzestexten des SGB <strong>II</strong> auch nur<br />
ansatzweise auskennen. Hinzu kommen die<br />
Durchführungshinweise der BA, aber auch die<br />
Urteile und Beschlüsse der Gerichte. Betroffene<br />
dürften eigentlich nie auf die Richtigkeit der<br />
Bescheide vertrauen! Dazu müssen die Betroffenen<br />
noch den Mut und die Kraft haben, sich<br />
mit Widersprüchen und Klagen auseinander zu<br />
setzen.<br />
Wege zum zum Recht<br />
Nur wenige Betroffene bemerken<br />
Fehler im Bescheid. Von ihnen<br />
legt nur ein kleiner Teil Widerspruch<br />
ein. Die Hürde zur Klage<br />
schaffen dann noch einmal weniger<br />
Betroffene, weil sie Angst<br />
haben, sich mit den Arbeitslosenbehörden<br />
anzulegen, weil sie<br />
nicht an einen Sieg glauben oder<br />
weil ihnen einfach die Kraft dafür<br />
fehlt. Hinzu kommen von den<br />
Gerichten abgelehnte Beratungs-<br />
oder Prozesskostenhilfe und die<br />
Suche nach einem Anwalt, der<br />
vom SGB <strong>II</strong> mehr als nur eine<br />
Ahnung hat.<br />
Dennoch brechen die Sozialgerichte<br />
trotz zahlreicher neuer<br />
Richterstellen unter der Klageflut<br />
fast zusammen. Jährlich steigen<br />
die Zahlen der Akten. Um vorauszusehen,<br />
dass die Zahlen noch<br />
weiter steigen, muss man kein<br />
Prophet sein. Allein die Änderungen<br />
der Durchführungshinweise<br />
zum MEHRBEDARF � für Ernährung<br />
und für Behinderte führen<br />
zu weiteren Prozessen.<br />
Weitere Sanktionen und Einschränkungen<br />
werden folgen.<br />
Seit Jahren arbeiten die Regierungen<br />
daran, für Sozialgerichte<br />
Gebühren einzuführen. Bisher<br />
haben in erster Linie die Richter<br />
mit dem Verweis auf die Verfassung<br />
Gebühren verhindern<br />
können. Jedoch ist es nur eine<br />
<strong>RECHT</strong>SSCHUTZ<br />
Frage der Zeit, dass dieses Argument keinen<br />
Gesetzgeber mehr von solchen Ungerechtigkeiten<br />
abhält. Nutzen wir also die Rechte,<br />
solange wir sie noch haben!<br />
Wer sich wehren will, der sollte nicht sofort an<br />
Klage und Gericht denken. Nicht immer ist es<br />
sinnvoll, gleich mit Widersprüchen und Klagen<br />
zu arbeiten. Manchmal schafft der „kurze Weg“<br />
auch in kurzer Zeit ein akzeptables Ergebnis.<br />
Der Instanzenweg ist der aufwendigere, längere<br />
und belastendere Weg. Es ist nicht selten, dass<br />
es verschiedene Beanstandungen zu beseitigen<br />
gilt. Dazu mehrere Gerichtsverfahren anzufangen,<br />
während es zumindest den Versuch wert<br />
ist, die Dinge mit einem Gespräch oder einem<br />
kurzen Schreiben zu klären, wäre unsinnig.<br />
Auch besteht die Gefahr, wenn man nur verbissen<br />
über die Gerichte verhandelt, irgendwann<br />
eine Frist zu versäumen, den Überblick<br />
zu verlieren oder unter der hohen Belastung<br />
zusammenzubrechen. Damit ist niemandem<br />
geholfen außer den Arbeitslosenbehörden,<br />
Standbild eines Ritters mit gezücktem Richtschwert. Rolandsfiguren wurden im Mittelalter als<br />
Zeichen bürgerlicher Unabhängigkeit, der Eigenständigkeit der Stadt und damit der Freiheit<br />
errichtet. Die hier abgebildete über fünf Meter hohe Statue, eine Kopie des Roland von Brandenburg<br />
aus dem 15. Jahrhundert, steht vor dem Berliner Märkischen Museum.<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
denn ihre teils willkürlichen Bescheide werden<br />
dann rechtskräftig.<br />
Gespräch und/oder Widerspruch<br />
Wurde bei einem Bescheid eindeutig etwas vergessen,<br />
z.B. die Heizkosten, sollte auf jeden<br />
Fall versucht werden, die Sache persönlich zu<br />
klären. Manchmal hilft allein schon der Vorgesetzte<br />
gegen das „Vergessen“ oder auch, weil<br />
der ein paar Stunden Schulung mehr hatte als<br />
der Sachbearbeiter. Leider gibt es JobCenter,<br />
die sich gegen den Besuch der Betroffenen<br />
wie Banken gegen Räuber absichern. Mit jeder<br />
Menge Sicherheitspersonal, das den direkten<br />
Kontakt möglichst verhindern soll. Wenn außer<br />
in Notfällen nur noch langfristige Termine vergeben<br />
werden, können Betroffene nur noch mit<br />
einem kurzen Schreiben auf Fehler hinweisen.<br />
Keinesfalls sollte die Monatsfrist für den Widerspruch<br />
aus den Augen verloren werden.<br />
Zum Rechtsschutz gehören u.a. der Widerspruch,<br />
der Überprüfungsantrag nach § 44<br />
SGB X, die einstweilige Anordnung,<br />
die Klage und u.U. die<br />
Berufung.<br />
Quelle: wikipedia<br />
ACHTUNG!!<br />
Wer ohne Anwalt vor Gericht<br />
zieht, sollte beachten, dass<br />
bei Klagen u.ä. Änderungen<br />
eingetreten sind. Es wird nicht<br />
mehr davon ausgegangen, dass<br />
der Vertreter der Bedarfsgemeinschaft<br />
(an den auch die<br />
Bescheide gerichtet sind) automatisch<br />
bei Gericht auch die<br />
anderen Mitglieder vertritt.<br />
Wird bei Klagen, Einstweiligem<br />
Rechtsschutz o.ä. für mehrere<br />
Personen vor Gericht gezogen,<br />
muss jede betroffene Person<br />
namentlich aufgeführt werden.<br />
Klagt eine BG mit zwei Kindern<br />
(z.B. wegen Mietkosten),<br />
kann in der Klage zum Beispiel<br />
geschrieben werden: „... klagen<br />
wir, Fritz und Erna Müller, auch<br />
als gesetzliche Vertreter unserer<br />
Kinder Laura und Egon Müller...“<br />
Alle Volljährigen, die die Klage<br />
betrifft, müssen sie auch unterschreiben.<br />
Für Alleinstehende ändert sich<br />
deshalb nichts. Ebenso verhält<br />
es sich, wenn es sich um Leistungen<br />
für nur ein Mitglied der<br />
Bedarfsgemeinschaft handelt<br />
– z.B. bei Sanktionen nach § 31<br />
oder Mehrbedarf.
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Beratungs- und Prozesskostenhilfe (PKH)<br />
� Alg-<strong>II</strong>-Bezieher, die Zweifel haben, ob ihr<br />
Bescheid richtig ist, können ihn bei einer<br />
Sozialberatungsstelle überprüfen lassen. Sie<br />
können auch beim zuständigen Gericht einen<br />
Beratungsschein beantragen. Voraussetzungen<br />
dazu sind, dass sie keine Rechtsschutzversicherung<br />
oder andere Mitgliedschaften haben,<br />
die solche Kosten übernehmen, und dass sie<br />
Vermögen nur innerhalb der Sozialhilfegrenzen<br />
besitzen.<br />
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden<br />
(I BvR 1517/08), dass die Praxis der Ablehnung<br />
von Beratungshilfekosten durch die Sozialgerichte<br />
mit dem Verweis auf behördliche Beratung<br />
des SGB <strong>II</strong>-Leistungsträgers verfassungs-<br />
Widerspruch<br />
� In der Regel richtet sich ein Widerspruch<br />
gegen einen Bescheid. Dieser Bescheid muss<br />
nicht zwingend schriftlich sein. Auch eine<br />
mündliche Ablehnung kann ein Verwaltungsakt,<br />
also ein Bescheid sein. Bei schriftlichen<br />
Bescheiden, die im Briefkasten landen, beginnt<br />
die Widerspruchsfrist von einem Monat erst mit<br />
dem Tag, an dem die Post eingegangen ist. Sie<br />
kann in Extremfällen mehrere Wochen nach<br />
der Datierung des Bescheids erfolgen. Deshalb<br />
sollte der Erhalt immer notiert werden (Briefumschlag<br />
aufheben). „...im Zweifel hat die<br />
Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und<br />
den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.“<br />
§ 37 Abs.2 SGB X.<br />
Nicht selten erfahren Betroffene durch Zufall,<br />
dass ihr Bescheid falsch sein könnte. Ist die<br />
Widerspruchsfrist fast um, sollte nicht erst<br />
nach einer Beratungsstelle oder einem Anwalt<br />
gesucht werden. Wer in Zeitnot ist, kann an<br />
Stelle der Begründung schreiben: „Die Begründung<br />
des Widerspruchs wird nachgereicht.“<br />
Dann sollte die Begründung jedoch auch nachgeholt<br />
werden, spätestens, wenn man sich<br />
schlau gemacht hat.<br />
Der Widerspruch kann jedoch auch mündlich<br />
beim SGB-<strong>II</strong>-Träger vorgebracht werden. Der<br />
Aufschiebende Wirkung<br />
� In der heutigen Sozialhilfe haben Widersprüche<br />
noch immer aufschiebende Wirkung.<br />
In der früheren Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe<br />
galt das auch. „Aufschiebende<br />
Wirkung“ bedeutet, dass die Behörde, die<br />
mit einem Bescheid etwas durchsetzen will<br />
(z.B. eine Kürzung der Regelleistung), durch<br />
Widerspruch und Klage daran gehindert wird.<br />
Das Amt muss sein Anliegen aufschieben, bis<br />
der Rechtsstreit beendet ist.<br />
widrig ist. Es ist zumindest zu hoffen, dass<br />
sich die verfassungswidrige Praxis der Gerichte<br />
damit erledigt hat. Wo das nicht der Fall ist,<br />
sollte auf das Urteil verwiesen werden.<br />
Mit dem Beratungsschein kann ein Anwalt<br />
(möglichst ein Fachanwalt für Sozialrecht mit<br />
SGB-<strong>II</strong>-Kenntnissen) den Bescheid prüfen und<br />
ggf. Widerspruch einlegen. Der Anwalt kann<br />
10 Euro Selbstbeteiligung von seinem Klienten<br />
verlangen, muss es aber nicht.<br />
Für die Klageerhebung durch einen Anwalt<br />
benötigen Betroffene Prozesskostenhilfe. Die<br />
kann der Anwalt, der schon den Beratungsschein<br />
erhielt, beantragen oder der Betroffene<br />
ist zur Protokollierung<br />
verpflichtet. (§ 84 Abs.<br />
1 Satz 1 SGG, Sozialgerichtsgesetz)<br />
Auf jeden<br />
Fall sollte das Geschriebene<br />
dann sorgfältig<br />
überprüft werden, ehe<br />
es unterschrieben wird.<br />
Die Kopie für sich selbst<br />
nicht vergessen! Jedoch<br />
ist dieses Vorgehen nur<br />
für Betroffene, die sich<br />
gut auskennen, geeignet.<br />
Enthält der Bescheid eine<br />
Widerspruchsbelehrung,<br />
muss der Widerspruch<br />
innerhalb eines Monats<br />
bei der Behörde eingegangen<br />
sein. Ohne Widerspruchsbelehrung<br />
beträgt<br />
die Frist ein Jahr. Jedoch<br />
ist es in der Regel wenig<br />
sinnvoll, solche Fristen<br />
auszuschöpfen.<br />
Bei Hartz-IV-Beziehern entfällt die aufschiebende<br />
Wirkung bei Widersprüchen und Klagen<br />
gegen einen Bescheid, der eine bereits bewilligte<br />
Leistung entzieht oder kürzt (§ 39 SGB<br />
<strong>II</strong>). Natürlich nur aus reiner Fürsorgepflicht<br />
werden den Betroffenen immer mehr Rechte<br />
genommen: Sie müssen erst einmal wissen,<br />
dass es die Wiederherstellung der aufschiebenden<br />
Wirkung gibt, um sie dann zusammen<br />
mit dem Widerspruch beantragen zu können.<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
23<br />
beim Gericht. Die Voraussetzungen sind auch<br />
hier wie oben beschrieben und betreffen auch<br />
die hinreichende Aussicht auf Erfolg. Liegen die<br />
Voraussetzungen vor, ist der Anwalt kostenlos.<br />
Wird Prozesskostenhilfe abgelehnt, weil angeblich<br />
keine Aussicht auf Erfolg besteht, kann<br />
gegen diese Entscheidung geklagt werden.<br />
Also wird praktisch ein Prozess um die Prozesskostenhilfe<br />
geführt. Das „vereinfacht“ die<br />
Sache für Betroffene natürlich ungemein.<br />
Wer nicht warten kann, sollte sofort beim<br />
Sozialgericht einen einstweiligen Rechtsschutz<br />
auf Anordnung bzw. zur Wiederherstellung<br />
der aufschiebenden Wirkung beantragen.<br />
Ist doch klar, weiß doch jeder – oder<br />
etwa doch nicht? Auch hierfür ist wieder ein<br />
Anwalt anzuraten.
24<br />
Einstweilige Anordnung<br />
� Neben dem Widerspruch und der Klage gibt<br />
es bei dringenden Notlagen den einstweiligen<br />
Rechtsschutz (ER), auch einstweilige Anordnung<br />
(EA) genannt , die man nur beantragen<br />
kann, „...wenn sie zur Abwendung wesentlicher<br />
Nachteile nötig erscheint...“ Zuerst muss<br />
in der Regel der Widerspruch eingereicht sein,<br />
dann kann eine EA beantragt werden. Der ER<br />
ist ein Eilverfahren. Es kann z.B. beantragt<br />
werden, wenn<br />
• trotz Mittellosigkeit kein Alg <strong>II</strong> gezahlt<br />
wird,<br />
• ohne Krankenversicherung dringend ein Arzt<br />
aufgesucht werden muss,<br />
• dringend benötigte Dinge (z.B. ein Bett) bei<br />
Erstausstattung verweigert werden,<br />
• wegen Mietrückständen die fristlose Kündigung<br />
drohen könnte,<br />
• Stromsperre droht.<br />
Leider lassen auch die massenhaften Eilverfahren<br />
noch keine klare Richtung erkennen,<br />
wo die Bagatellgrenze liegt. Das Hessische<br />
LSG (Beschluss vom 7.11.2005 – L 9 AS 66/05<br />
Klage<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
� Es gibt verschiedene Arten von Klagen. Die<br />
Anfechtungsklage, die Feststellungsklage, die<br />
Leistungsklage und die Verpflichtungsklage.<br />
Für den Kläger ist es nicht wichtig, diese<br />
einordnen und benennen zu können. Das ist<br />
Sache der Gerichte, zumal eine Klage oftmals<br />
verschiedene dieser Klagearten enthält.<br />
In der Regel kommt es nach einem halben<br />
bis zwei Jahren zu einer Verhandlung. Jedoch<br />
können Richter auch ohne Verhandlung entscheiden.<br />
Man kann eine mündliche Verhandlung<br />
beantragen. Hat man dann noch wichtige<br />
Tatsachen oder Ansichten vorzutragen, sollte<br />
man darauf achten, dass sie auch ins Protokoll<br />
der Verhandlung aufgenommen werden.<br />
Oft enden Prozesse mit einem Vergleich. Richter<br />
streben diese Form der Erledigung eines<br />
Prozesses gern an, weil er ihnen weniger Arbeit<br />
macht als die ausführliche Begründung eines<br />
Urteils. Ohne Anwalt ist es oft schwierig zu<br />
beurteilen, ob es richtiger ist, sich auf einen<br />
ER) hält 1,38 Euro Monatsbetrag für zu gering<br />
für die Eilbedürftigkeit; das LSG Niedersachsen-Bremen<br />
(Beschluss vom 10.2.2006 – L 9<br />
AS 1/06 ER) hält selbst 8,14 Euro je Monat<br />
noch für zu gering. Kann jedoch im Eilverfahren<br />
abschließend entschieden werden, so kann<br />
der Betrag auch geringer sein.<br />
Wie beim Widerspruch kann man auch bei den<br />
Sozialgerichten seine Anträge in der Rechtsantragsstelle<br />
zur Niederschrift geben. Voraussetzung<br />
für den Antrag auf eine EA ist in der Regel<br />
der Widerspruch. Erst Widerspruch einlegen,<br />
dann EA beantragen! Zu beachten ist auch,<br />
dass eine EA nicht das Hauptsacheverfahren<br />
ersetzt; deshalb muss in der Regel, unabhängig<br />
von der beantragten EA, auf den Widerspruchsbescheid<br />
reagiert werden. Ist der ablehnend,<br />
muss neben der EA innerhalb eines Monats<br />
Klage beim Gericht erhoben werden! Die EA<br />
versucht im Prinzip, das zu erwartende Ergebnis<br />
der Klage vorwegzunehmen. Das Hauptverfahren<br />
ist in der Regel aber die Klage.<br />
Vergleich einzulassen<br />
oder auf ein Urteil,<br />
in der Hoffnung, dass<br />
es positiv ausfällt, zu<br />
bestehen. Man sollte<br />
sich auf einen Vergleich<br />
nur einlassen,<br />
wenn man während<br />
der Verhandlung den<br />
Eindruck gewinnt,<br />
dass man nicht mehr<br />
erreichen kann. Wer<br />
jedoch ein positives<br />
Urteil erreicht hat,<br />
sollte es bitte an<br />
info@tacheles-sozialhilfe.de<br />
schicken.<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Wer eine EA ohne Hilfe eines Anwalts beantragen<br />
will, sollte mit möglichst vielen Unterlagen<br />
seine Angaben belegen können. Es<br />
ist wenig sinnvoll, eine EA anzustreben und<br />
dann die Richter zu zwingen, wegen wichtiger<br />
Unterlagen mit zusätzlichem Schriftverkehr<br />
die Zeit unnötig zu vertrödeln. Personalausweis,<br />
Alg-<strong>II</strong>-Bescheid (falls vorhanden), der<br />
letzte Kontoauszug (falls es ein Konto gibt)<br />
und eine Kopie des Widerspruchs sind die Mindestausstattung,<br />
mit der man bei Gericht auftauchen<br />
sollte – bei einfachen Fällen. Eidesstattliche<br />
Versicherungen von Personen, die<br />
etwas bezeugen können, was man selbst nicht<br />
mit Unterlagen beweisen kann, sind sinnvoll.<br />
Auch wenn die Sozialgerichte gehalten sind,<br />
keine überspannten Anforderungen an die<br />
Glaubhaftmachung der EA zu stellen, sollte<br />
dies Betroffene nicht verleiten, vorhandene<br />
erforderliche Unterlagen nicht vorzulegen.
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Untätigkeitsklage<br />
� Während Alg-<strong>II</strong>-Bezieher sofort zu springen<br />
haben, wenn die Arbeitslosenbehörde<br />
pfeift, darf diese sich per Gesetz erst einmal<br />
sechs Monate Zeit lassen, um einen Antrag zu<br />
bearbeiten, ehe ein Betroffener das Gericht<br />
mit einer Untätigkeitsklage (§ 88 Abs. 1 SGG)<br />
bemühen darf.<br />
Bei Widersprüchen muss die Behörde „ganz<br />
fix“ sein. Sie hat dann nur drei Monate für die<br />
Überprüfungsantrag<br />
� Wer einen Bescheid erhalten hat und auf<br />
dessen Richtigkeit vertraut und deshalb keinen<br />
WIDERSPRUCH � eingelegt hat, für den gibt<br />
es noch die Möglichkeit, einen Überprüfungsantrag<br />
zu stellen. Oft stellt sich in Gesprächen<br />
unter Betroffenen heraus, dass es verschiedene<br />
Bescheide bei gleichen Voraussetzungen gibt.<br />
Z.B. wird einer Alleinerziehenden ein MEHRBE-<br />
DARF � zuerkannt, und die andere alleinerziehende<br />
Mutter geht leer aus.<br />
Ist ein Bescheid älter als ein Monat, kann<br />
dagegen kein Widerspruch eingelegt werden.<br />
Das SGB X sieht jedoch die Möglichkeit vor,<br />
einen Überprüfungsantrag zu stellen: „§ 44<br />
Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden<br />
Verwaltungsaktes. Soweit sich im<br />
Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes<br />
das Recht unrichtig angewandt<br />
oder von einem Sachverhalt ausgegangen<br />
worden ist, der sich als unrichtig erweist, und<br />
soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht<br />
nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben<br />
worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch<br />
Bearbeitung Zeit, um Untätigkeitsklagen zu<br />
verhindern. In der Regel sollte man sich schon<br />
vorher um seine Angelegenheiten kümmern.<br />
Es ist auch wenig sinnvoll, auf diesen Klageweg<br />
zu vertrauen. Solche Klagen, wenn sie<br />
sich nicht während des Klageverfahrens durch<br />
„Tätigkeit“ der Behörde erledigen, dauern<br />
schon mal ein bis zwei Jahre. Behörden sollte<br />
unter Fristsetzung mit einer Untätigkeitsklage<br />
gedroht werden, wenn sie die drei bzw. sechs<br />
nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit<br />
Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.“<br />
Das heißt: Hat eine Behörde einen Fehler<br />
gemacht und dadurch einen Betroffenen in<br />
einem Bescheid (Verwaltungsakt) benachteiligt,<br />
hat sie den falschen Bescheid zurückzu-<br />
Jeden Montag von 11 bis 15 Uhr<br />
im Kaffee Bankrott bei mob e.V.<br />
Prenzlauer Allee 87, 10405 Berlin<br />
Rechtsanwältin Simone Krauskopf<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
Allgemeine Rechtsberatung<br />
Bei Bedürftigkeit wird von der Rechtsanwältin ein Beratungsschein beantragt.<br />
Bitte entsprechende Nachweise mitbringen (z. B. <strong>ALG</strong>-<strong>II</strong>-Bescheid)!<br />
25<br />
Monate zur Bearbeitung<br />
ausnutzen.<br />
Erfolgt danach keine<br />
Reaktion, dann sollte die<br />
Untätigkeitsklage aber auch<br />
tatsächlich eingereicht werden. Diese Zeit zu<br />
warten, haben jedoch die wenigsten Betroffenen.<br />
Foto: Peter Woelck<br />
nehmen und einen neuen, richtigen Bescheid<br />
auszustellen. Sozialleistungen werden dann<br />
rückwirkend bis zu einem Zeitraum von vier<br />
Jahren erbracht (Abs. 4). Dabei ist es unerheblich,<br />
ob die Behörde den Fehler selbst<br />
entdeckt hat (leider absolute Ausnahmefälle),<br />
oder ob sie von einem Betroffenen dazu aufgefordert<br />
wird, den Bescheid zu überprüfen.
26<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
SOFORTANGEBOTE<br />
� Auch wenn die Bezeichnung „Sofortangebote“<br />
die Vorstellung erweckt, sie würden<br />
„sofort“ erfolgen, ist dem nicht so. Zumindest,<br />
wenn wir von den Paragrafen des SGB <strong>II</strong><br />
ausgehen. Und eben darum geht es; um das,<br />
was die Paragrafen aussagen.<br />
Der Begriff „Sofortangebote“ wurde nicht als<br />
Spitzname von den Betroffenen erfunden,<br />
sondern von den politisch Verantwortlichen<br />
bewusst gewählt und als besonders schnelle<br />
„Hilfsangebote“ gepriesen. Praktische<br />
Anwendung erfahren sie im Wortsinn immer<br />
wieder von den Mitarbeitern der Arbeitslosenbehörden.<br />
Will ein Antragsteller seinen<br />
Erstantrag auf <strong>ALG</strong> <strong>II</strong> stellen, wird teilweise<br />
versucht, die Antragstellung damit zu verhindern,<br />
dass erst bestimmte „Angebote“<br />
abgearbeitet werden sollen. In der Regel<br />
sind es irgendwelche Ein-Euro-Jobs, die<br />
die Betroffenen antreten sollen. Manchmal<br />
wird die Antragsannahme völlig verweigert,<br />
manchmal wird die Bearbeitung des Antrags<br />
erst in Aussicht gestellt, wenn der Betroffene<br />
die Bedingungen der „Sofortangebote“<br />
erfüllt hat. Beides ist gesetzwidrig.<br />
Sehen wir uns die Gesetze an: „Sofortangebote“<br />
sind in § 3 Abs. 2 und § 15a im SGB<br />
<strong>II</strong> vorgesehen. § 3 bezieht sich auf Jugendliche<br />
unter 25 Jahre (U 25). „Erwerbsfähige<br />
Hilfebedürftige, die das 25. Lebensjahr noch<br />
nicht vollendet haben, sind unverzüglich nach<br />
Antragstellung auf Leistungen nach diesem<br />
Buch in eine Arbeit, eine Ausbildung oder eine<br />
Arbeitsgelegenheit zu vermitteln...“<br />
UMZUG<br />
� Jeder Alg-<strong>II</strong>-Bezieher hat das Recht umzuziehen.<br />
Auch ohne die vorherige Erlaubnis<br />
des JobCenters einzuholen. Im § 22 Abs. 2<br />
SGB <strong>II</strong> steht zwar: „Vor Abschluss eines Vertrages<br />
über eine neue Unterkunft soll der<br />
erwerbsfähige Hilfebedürftige die Zusicherung...<br />
für die neue Unterkunft einholen.“<br />
Jedoch ist die Folge dieser „Sollvorschrift“<br />
nicht, dass die Miete für die neue Wohnung<br />
vom Amt einfach verweigert werden kann,<br />
sondern dass das Amt eventuell Teile der<br />
neuen Miete nicht übernehmen muss!<br />
Auch darf in der Regel die neue Miete nicht<br />
höher sein als die alte und vom Amt keine<br />
Kosten, die mit dem Umzug zusammenhängen,<br />
beantragt werden. Wenn z.B. die erste<br />
Nebenkostenabrechnung in der neuen Woh-<br />
„§ 15a Sofortangebot. Erwerbsfähige Personen,<br />
die innerhalb der letzten zwei Jahre<br />
laufende Geldleistungen, die zur Sicherung<br />
des Lebensunterhalts dienen, weder nach<br />
diesem Buch noch nach dem Dritten Buch<br />
bezogen haben, sollen bei der Beantragung<br />
von Leistungen nach diesem Buch unverzüglich<br />
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit<br />
angeboten werden.“ Dieser Paragraf gilt für<br />
Erwachsene über 25.<br />
In § 3 heißt es „nach Antragstellung“ und in<br />
§ 15a „bei Antragstellung“. Erst ist der Antrag<br />
zu stellen und dann sind „unverzüglich“ die<br />
betreffenden Angebote zu unterbreiten. Die<br />
BA hat im August 2008 eine neue Weisung<br />
herausgegeben, in der angeordnet wird, dass<br />
den U 25 VOR oder innerhalb einer Woche nach<br />
Antragstellung eine Erstberatung mit Profiling<br />
und Feststellung der Betreuungsstufe überverholfen<br />
werden soll. Die U 25 sollen dann<br />
innerhalb von drei Wochen eine EGV abschließen,<br />
und danach soll ihnen innerhalb von vier<br />
Wochen eine Arbeit, Ausbildung, Ausbildungsvorbereitung,<br />
Weiterbildung oder Arbeitsgelegenheit<br />
„angeboten“ werden. Das sind in der<br />
Regel Ein-Euro-Jobs oder Trainingsmaßnahmen.<br />
Solche Leistungen zur Eingliederung sind<br />
in der Regel völlig sinnlose Maßnahmen und<br />
dienen lediglich dem Zweck, „die Bereitschaft<br />
des Hilfesuchenden zur Arbeitsaufnahme zu<br />
prüfen“ (Begründung des Gesetzentwurfs).<br />
Man kann das auch „Hilfe durch Abschrekkung“<br />
nennen. Oder wie der SPD-Experte<br />
Brandner formulierte: „Mit solchen Schrit-<br />
nung sehr hoch ist und sich herausstellt,<br />
dass der Vermieter die Nebenkosten unverhältnismäßig<br />
niedrig angesetzt hat, um<br />
eine geringere Miete vorzutäuschen, können<br />
erhebliche Probleme mit der Übernahme der<br />
Nebenkostennachzahlung und der daraus<br />
entstehenden höheren Miete entstehen.<br />
Problematisch kann auch der Umzug von<br />
einem Bundesland ins andere sein. Die Miete<br />
der alten Wohnung kann z.B. in Frankfurt im<br />
angemessenen Rahmen liegen, die gleiche<br />
Miete kann jedoch schon über den Grenzen der<br />
für Berlin gültigen Angemessenheit liegen.<br />
Deshalb ist anzuraten, die Zusicherung zur<br />
Übernahme der Mietkosten beim JobCenter<br />
einzuholen. Damit werden einfach diese Risi-<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
ten kann eine Konzentration der Mittel auf<br />
die wirklich Bedürftigen erreicht werden.“<br />
Mit anderen Worten: Hochschulabsolventen,<br />
arbeitslos gewordene Minijobber oder<br />
aus anderen prekären Arbeitsverhältnissen<br />
Gekündigte, gescheiterte Selbstständige,<br />
Frauen nach Erziehungsphasen oder in Frauenhäusern<br />
sind nicht bedürftig, wenn sie von<br />
der Arbeitslosenbehörde Hilfen erwarten, die<br />
ihrer individuellen Lebenslage entsprechen<br />
und sie wirklich weiterbringen!<br />
Ihnen auch nur eine Minute Zeit zu lassen,<br />
selbst Arbeit zu suchen, bevor ihnen „irgendwas“<br />
aufgezwungen wird, ist bei solchen<br />
Ansichten nicht vorgesehen! Um es noch<br />
einmal deutlich zu machen: Mit diesen meist<br />
unsinnigen Zwangsmaßnahmen verfällt der<br />
Antrag auf Alg <strong>II</strong> nicht! Die Verweigerung<br />
der Antragsannahme ist gesetzwidrig! Auch<br />
wenn die BA andere Anweisungen gibt. Noch<br />
gelten die Gesetze. Es besteht ein Rechtsanspruch<br />
auf Entgegennahme und Bearbeitung<br />
des Antrags trotz „Sofortangeboten“!<br />
Bearbeitung heißt jedoch auch Zahlung<br />
von Alg <strong>II</strong>, wenn die Vermögensfreigrenzen<br />
nicht überschritten werden, oder wenn keine<br />
zumutbare Arbeit vermittelt werden kann,<br />
die bedarfsdeckend ist. Bei Ablehnung von<br />
zumutbaren (!!!) „Sofortangeboten“ kann<br />
höchstens die Leistung nach § 31 gekürzt<br />
werden. Eine sofortige Streichung der Leistungen<br />
ist im Gesetz nicht vorgesehen!!!<br />
ken ausgeschlossen. Erteilt das Amt die Zusicherung,<br />
kann es auch Wohnungsbeschaffungskosten<br />
übernehmen.<br />
Diese Einschränkungen gelten nicht für WG-<br />
Bewohner, Untermieter oder Bewohner von<br />
Wohnwagen, Gartenlauben o.ä. Wollen diese<br />
Menschen eine eigene Wohnung beziehen,<br />
ist das ein vom JobCenter zu genehmigender<br />
Umzug.<br />
Ist ein Umzug erforderlich, sollte immer die<br />
Einwilligung der Behörde eingeholt werden.<br />
Dann gilt nicht die Höhe der alten Miete,<br />
sondern die angemessene Miete als zu übernehmen.<br />
Auch werden dann mit dem Umzug<br />
verbundene Kosten übernommen.
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Erforderlich ist ein Umzug, wenn<br />
• das JobCenter ihn durch eine Mietsenkungsaufforderung<br />
veranlasst hat,<br />
• berufliche Gründe vorliegen; weiter<br />
Anfahrtsweg, neuer Arbeitsplatz an einem<br />
anderen Ort, wenn an einem anderen Ort eher<br />
Arbeit gefunden werden kann,<br />
• ein rechtskräftiges Räumungsurteil vorliegt,<br />
• die Wohnung zu klein ist; unter 35 qm für<br />
eine Person, (HessLSG vom 12.3.2007 – L 9<br />
AS 260/06), 1,5 Zimmer (52qm) für Eltern<br />
mit Kleinkind (LSG Berlin-Bandenburg vom<br />
25.6.2007 – 10 B 854/07 AS ER),<br />
• das Wohnumfeld unzumutbar ist, z.B. drohende<br />
Gewalt Dritter, erhebliche Verwahrlosung,<br />
Lärmbelästigung (LSG Berlin-Brandenburg<br />
6.6.2007 – L 28 B 676/07 AS ER und<br />
31.3.2008 – L 29 B 296/08 AS ER),<br />
• Baumängel bestehen (z.B. Feuchtigkeit),<br />
die der Vermieter nicht oder nicht in vertretbarer<br />
Zeit beseitigt,<br />
• die Wohnung von Schimmel befallen ist,<br />
der gesundheitsgefährdende Ausmaße hat.<br />
Im Streitfall muss das Amt den Sachverhalt<br />
klären (§ 20 SGB X Untersuchungsgrundsatz).<br />
Es kann z.B. einen Mieterverein beauftragen<br />
oder ein medizinisches Sachverständigengutachten<br />
einholen und bezahlen (§21 SGB<br />
X Beweismittel),<br />
• bei Kohleöfen das Kohlenschleppen schwer<br />
fällt,<br />
• sanitäre Verhältnisse unzumutbar schlecht<br />
sind (SG Berlin vom 4.11.2005 – S 37 AS<br />
10013/05 ER),<br />
• sich Eheleute oder Paare trennen<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
Foto: Andreas Düllick<br />
27<br />
• oder zusammenziehen wollen...<br />
Die Aufzählung ist nicht abschließend; es<br />
können auch andere Gründe vorliegen.<br />
Zu den notwendigen Umzugskosten gehören<br />
z.B. Kosten für Umzugskartons, Transport,<br />
Versicherungen, Benzin, LKW-Miete, Verpflegung<br />
der Umzugshelfer bei Selbsthilfeumzug.<br />
Wer zu alt oder zu krank ist oder keine<br />
Umzugshelfer hat, bei dem können die Kosten<br />
einer Spedition übernommen werden.<br />
Weitere Wohnungsbeschaffungskosten:<br />
• Zeitungsannoncen,<br />
• Fahrtkosten,<br />
• Maklergebühren,<br />
• Übernahme von Doppelmieten, jedoch nur,<br />
wenn sie nicht vermeidbar sind (z.B. bei
28<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
langer, intensiver Wohnungssuche oder notwendigen<br />
Renovierungsarbeiten),<br />
• Renovierungen (sind nicht in der Regelleistung<br />
enthalten),<br />
• Abstandszahlungen,<br />
• Kosten für die Ummeldung Post/Telefon,<br />
• Genossenschaftsanteile,<br />
• Kautionen.<br />
Einige Wohnungsbeschaffungskosten können<br />
schon beim Antrag der Umzugsgenehmigung<br />
bzw. nach der Mietkostensenkungsaufforderung<br />
durch das Amt beantragt werden, z.B.<br />
Annoncen, Fahrtkosten, Abschlussrenovierungen,<br />
für die Ummeldung von Post und<br />
Telefon, Genossenschaftsanteile und Kautionen,<br />
die Klärung, ob Umzugskosten nur in<br />
Selbsthilfe oder durch eine Spedition übernommen<br />
werden.<br />
Das Problem dabei ist, dass diese Anträge<br />
sehr oft entweder nicht bearbeitet oder einfach<br />
abgelehnt werden. Ohne zu wissen, ob<br />
die Kosten übernommen werden bzw. bei<br />
Ablehnung der Kosten können sich Betroffene<br />
keine Wohnung suchen. Wobei die<br />
Kosten für die Ummeldung von Post und<br />
Telefon noch die geringsten Probleme sind.<br />
Auch hier bleibt in der Regel nur der Gang<br />
zum Gericht – wegen des Antrags auf EINST-<br />
WEILIGE ANORDNUNG �.<br />
Schon mit der Prüfung der Angemessenheit<br />
der neuen Wohnung scheinen sich manche<br />
Arbeitslosenbehörden so schwer zu tun, dass<br />
es Wochen in Anspruch nimmt und die Woh-<br />
nungen dann meist schon längst vergeben<br />
sind. Wenn die Ämter dann gleichzeitig den<br />
Umzugsgrund und die Wohnungsbeschaffungskosten<br />
prüfen, sind sie in der Regel<br />
völlig überfordert. Nicht selten werden nur<br />
die Mietkosten übernommen. Auf allen anderen<br />
Kosten bleiben die Betroffenen sitzen.<br />
Entweder stürzen die sich dann in Schulden<br />
oder sie können die neue Wohnung nicht<br />
anmieten. Auch hier ist wieder EINSTWEILIGE<br />
ANORDNUNG � möglich.<br />
Eigentlich ist die Behörde zur Zusicherung<br />
der Wohnungsbeschaffungskosten spätestens<br />
dann verpflichtet, wenn sie die Übernahme<br />
der Mietkosten zusichert und es ein erforderlicher<br />
Umzug ist oder der Umzug von ihr veranlasst<br />
wurde (LSG Berlin-Brandenburg vom<br />
05.02.08 L 10 B 2193/07 AS ER).<br />
Die Kaution ist bei Umzügen immer wieder ein<br />
Problem. Sie soll übernommen werden, „wenn<br />
der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst<br />
oder aus anderen Gründen notwendig<br />
ist und ohne die Zusicherung eine Unterkunft<br />
in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden<br />
werden kann.“ (§ 22 Abs. 3 Satz 2) Die<br />
pauschale Verweigerung der Kaution durch die<br />
Mitarbeiter ist rechtswidrig, wird aber gern<br />
praktiziert, weil sie so erfolgreich und billig<br />
ist. Auch der pauschale Hinweis, es gäbe genug<br />
Wohnraum ohne Kaution, ist rechtswidrig. Die<br />
Behörden haben zu prüfen, ob es genug Wohnungen<br />
zu Hartz-IV-Mieten gibt, ob genug<br />
Wohnungen frei sind, ob diese überhaupt an<br />
Alg-<strong>II</strong>-Bezieher vermietet werden und ob von<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
diesen genug Wohnungen ohne Kaution vermietet<br />
werden. Erst wenn alle diese Punkte positiv<br />
sind, dürfte die Kaution verweigert werden. Für<br />
verschuldete Wohnungssuchende verschärft<br />
sich die Wohnungssuche durch die negative<br />
Schufa-Auskunft nochmals, da sie deshalb oft<br />
keine Wohnung bekommen. Für Berlin dürften<br />
alle vier Punkte negativ zu beantworten sein.<br />
Wird die Kaution übernommen, wird sie als<br />
Darlehen nach § 22 Abs.3 gewährt. Darlehen<br />
heißt in diesem Fall, dass sich die Arbeitslosenbehörde<br />
dem Vermieter gegenüber die<br />
Kaution sichert. Ziehen die Alg-<strong>II</strong>-Bezieher<br />
aus der Wohnung aus, geht die Kaution somit<br />
direkt an das JobCenter zurück.<br />
Darlehen heißt ausnahmsweise nicht, dass<br />
Betroffene sie aus ihrer Regelleistung zurückzahlen<br />
müssen! Die Anwendung des § 23<br />
Abs.1 ist rechtswidrig. Wer zu einem solchen<br />
Darlehensvertrag veranlasst wurde, sollte ihn<br />
sofort kündigen und die gezahlten Beträge<br />
zurückfordern. Wird oder wurde das Darlehen<br />
einfach von der Regelleistung einbehalten,<br />
sollte gegen die Einbehaltung vorgegangen<br />
werden. Wenn das nicht klappt, sollten die<br />
Gerichte bemüht werden.
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
VERPFLEGUNG<br />
� Bereitgestellte Verpflegung in Krankenhäusern,<br />
Schulen, Kitas usw., sowie der<br />
Naturalunterhalt, den Eltern für über 25-jährige<br />
„Kinder“ zu Hause bereitstellen, dürfen<br />
rückwirkend zum 1.1.2008 nicht mehr auf die<br />
Regelleistung angerechnet werden. Wem seit<br />
diesem Zeitpunkt doch Verpflegung angerechnet<br />
wurde, sollte sein Geld zurückfordern,<br />
entweder schriftlich formlos oder als<br />
ÜBERPRÜFUNGSANTRAG �:<br />
Ab 01.01.09 gilt eine neue Berechnung von<br />
bereitgestellter Verpflegung vom Arbeitgeber.<br />
Die Arbeitslosenverordnung wurde wie<br />
folgt geändert: § 2 Abs. 5 „Bei der Berechnung<br />
des Einkommens ist der Wert der vom<br />
Arbeitgeber bereitgestellten Vollverpflegung<br />
mit täglich 1 Prozent der nach § 20 des Zweiten<br />
Buches Sozialgesetzbuch maßgebenden<br />
monatlichen Regelleistung anzusetzen. Wird<br />
Teilverpflegung bereitgestellt, entfallen auf<br />
das Frühstück ein Anteil von 20 Prozent und<br />
auf das Mittag- und Abendessen Anteile von<br />
je 40 Prozent des sich aus Satz 1 ergebenen<br />
Betrages.“<br />
Da es verschieden hohe Regelsätze gibt, sind<br />
auch verschieden hohe Beträge anrechenbar.<br />
Da kann es passieren, dass bei zwei Kollegen,<br />
die dieselbe Vollverpflegung erhalten, völlig<br />
verschiedene Summen täglich angerechnet<br />
werden.<br />
VORSCHUSS<br />
� Oft werden die Betroffenen bei der ANTRAG-<br />
STELLUNG � mit ihrem Antrag einfach wieder<br />
nach Hause geschickt. Es geht hier um die, die<br />
bei der Arbeitslosenbehörde ohne Geld aufschlagen,<br />
und wenn sie noch ein Konto haben,<br />
da nichts drauf ist. Absolut nichts mehr zum<br />
Leben zu haben, nennt man Mittellosigkeit.<br />
– Gern werden auch diese Antragsteller ohne<br />
weiteres wieder nach Hause geschickt.<br />
Unbelastet von solchen Nebensächlichkeiten<br />
wie dem § 17 SGB I, der vorschreibt: Die „Leistungsträger<br />
sind verpflichtet, darauf hinzuwirken,<br />
dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden<br />
Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise,<br />
umfassend und zügig erhält...“ gammeln die<br />
Arbeitslosenbehörden so vor sich hin. In der<br />
Regel stehen Betroffene den völlig gleichgültigen<br />
Mitarbeitern hilflos gegenüber, ohne Geld<br />
und ohne Rechtskenntnisse. Hier ist der Hin-<br />
weis auf § 42 SGB I Abs.1 wichtig. „Besteht<br />
ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde<br />
nach und ist zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich<br />
längere Zeit erforderlich, kann der<br />
zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen,<br />
deren Höhe er nach pflichtgemäßem ERMES-<br />
SEN* bestimmt. Er hat Vorschüsse nach Satz 1<br />
zu zahlen, wenn der Berechtigte es beantragt;<br />
die Vorschusszahlung beginnt spätestens nach<br />
Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang<br />
des Antrags.“ Das heißt: Jeder Sachbearbeiter<br />
ist verpflichtet, Berechtigten einen Vorschuss<br />
zu zahlen, wenn diese ihn beantragen, insbesondere<br />
wenn sie vortragen, dass sie mittellos<br />
sind und sofort Geld zum Überleben benötigen.<br />
Dies ist ein Antrag im Sinne des § 17 SGB<br />
I. Das pflichtgemäße Ermessen erstreckt sich<br />
hier auch nicht darauf, ob der Bearbeiter Lust<br />
hat zu zahlen, sondern das Ermessen reduziert<br />
sich hier auf Null, weil es bei Mittellosigkeit<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
29<br />
Foto: Klaus Linke<br />
keine Alternative zum sofortigen Vorschuss<br />
gibt!<br />
Weigert sich der Bearbeiter bei Mittellosigkeit,<br />
einen Vorschuss zu zahlen, sollte gleich<br />
dessen Vorgesetzter angesprochen werden:<br />
mit Verweis auf § 17 SGB I. Hat auch der<br />
keine Lust, dem Gesetz zu folgen, ist es hilfreich,<br />
mit der Beantragung einer einstweiligen<br />
Anordnung beim Sozialgericht zu drohen.<br />
Geht der Vorgesetzte selbstherrlich nicht<br />
darauf ein, bleibt nur der Gang zu Gericht.<br />
Es ist rechtswidrig, doch wird es immer wieder<br />
praktiziert, Betroffene auf Suppenküchen,<br />
Tafeln o.ä. zu verweisen. Bei Bedürftigkeit der<br />
Betroffenen gibt es noch einen Rechtsanspruch<br />
auf Alg <strong>II</strong> und nicht den Verweis auf Suppenküchen<br />
und Tafeln. Ebenso ist ein Verweis auf<br />
einen Bankkredit nicht zumutbar.
30<br />
Ihr Recht von A-Z<br />
VORSORGE für das Alter<br />
� Die sogenannte Riesterrente ist bis zum<br />
jährlichen Höchstbetrag staatlicher Förderung<br />
(ab 2008 in Höhe von 2.100 Euro)<br />
geschützt. Anderes zur Altersvorsorge angespartes<br />
Vermögen darf bestimmte Höchstgrenzen<br />
nicht überschreiten. Es muss so<br />
angelegt werden, dass es nicht vor Erreichung<br />
des Rentenalters angegriffen werden<br />
kann. Im August 2006 wurden diese Beträge<br />
von 200 Euro auf 250 Euro pro Lebensjahr<br />
erhöht. Der Höchstbetrag liegt jetzt bei<br />
16.750 Euro für nach dem 31.12.1963 Geborene.<br />
Die Gesetzgeber feierten die Erhöhung<br />
als weiteren „Fortschritt“ zur Absicherung<br />
des Alters. Doch war dies kein Geschenk aus<br />
irgendwelchen Sozialkassen! Die Zeche durften<br />
die Alg-<strong>II</strong>-Bezieher selbst zahlen. Ihnen<br />
wurden im gleichen Zuge die Vermögensfreibeträge<br />
zur freien Verfügung von 200 Euro<br />
auf 150 Euro gekürzt!<br />
Immer wieder wird den Leuten gebetsmühlenartig<br />
vorgekaut, dass sie für ihr Alter<br />
vorsorgen müssen, um ihre Rente damit aufbessern<br />
zu können. Sogar Minijobber werden<br />
dazu ermutigt, von ihren Minilöhnen für das<br />
Alter vorzusorgen. Schließlich sollen sie ja<br />
keine allzu großen Einbußen ihres Lebens-<br />
standards haben! Von welchem Lebensstandard<br />
ist denn hier eigentlich die Rede? Wenn<br />
Minijobber keinen Ehe- oder Lebensgefährten<br />
haben, dann ist ihr Lebensstandard Hartz IV!<br />
Mit sinkenden Reallöhnen ist für immer mehr<br />
Erwerbstätige der Lebensstandard Hartz IV!<br />
Was passiert denn mit der Altersvorsorge,<br />
wenn Hungerlöhner, Minijobber, Alg-<strong>II</strong>-<br />
Bezieher und andere Arme in Rente gehen?<br />
In der Regel wird ihre Rente weit unter dem<br />
Existenzminimum liegen. Also fallen sie mit<br />
Rentenbeginn entweder in die Sozialhilfe<br />
oder die Grundsicherung im Alter. Dann ist<br />
ihre sauer angesparte Altersvorsorge jedoch<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
kein zusätzliches Einkommen für sie, sondern<br />
genau dieses Geld steckt sich Vater Staat in<br />
die Tasche, indem es angerechnet wird. Die<br />
private Altersvorsorge mindert die Sozialleistungen!<br />
Pech gehabt! Bist du arm, bleibst<br />
du arm. Dafür sorgen schon die Gesetze.<br />
Jeder, der nicht zu den Besserverdienenden<br />
zählt, sollte es sich ernsthaft überlegen, ob es<br />
für ihn wirklich sinnvoll ist, sein Einkommen<br />
mit irgendwelcher Altersvorsorge zu mindern.<br />
Abgesehen von der Gefahr, sein Geld an windige<br />
Betrüger zu verlieren, wird das Risiko, mit<br />
sinkenden Renten allein für den Staat gespart<br />
zu haben, immer größer.<br />
Foto: Peter Woelck
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
LITERATURHINWEISE<br />
Leitfaden Alg <strong>II</strong>/Sozialhilfe von A-Z<br />
Stand 01.10.2008, 10 Euro inklusive Versandkosten,<br />
Bestellung unter 1)<br />
Kommentar: DER betroffenenorientierte<br />
Ratgeber für den Alltag mit der Arbeitslosenbehörde.<br />
Verständlich und so einfach wie<br />
möglich geschrieben und für jeden Laien und<br />
Neuling empfehlenswert.<br />
Leitfaden zum Arbeitslosengeld <strong>II</strong><br />
Stand 01.04.2009, 15 Euro plus Versandkosten,<br />
Bestellung unter 2)<br />
Kommentar: Hervorragender Leitfaden<br />
für Betroffene und Berater, die sich schon<br />
möglichst mit Paragrafen und Verordnungen<br />
befasst haben.<br />
Leitfaden für Arbeitslose<br />
Rechtsratgeber zum SGB <strong>II</strong>I<br />
Stand 13.02.2009, 15 Euro plus Versandkosten,<br />
Bestellung unter 2)<br />
Kommentar: Ein Klassiker für Arbeitslosengeld-I-Bezieher<br />
Sozialhilfe für Behinderte und<br />
Pflegebedürftige von A-Z<br />
Stand März 2005, 5 Euro inklusive Versandkosten,<br />
Bestellung unter 1)<br />
Durchführungshinweise der Bundesagentur<br />
für Arbeit für die<br />
Anwendung des SGB <strong>II</strong><br />
Erläuterungen und Informationen für<br />
Betroffene, Berater und Behörden<br />
Stand 1/2009, 23 Euro plus Porto, erscheint<br />
im Juni 2009 neu, Bestellung unter 2)<br />
Kommentar: Als Alleinliteratur ungeeignet.<br />
Nur zusammen mit Ratgebern zu benutzen, da<br />
Teile der Gesetzestexte und somit der Durchführungshinweise<br />
mit anderen Gesetzen oder<br />
mit Urteilen oberster Gerichte kollidieren. Um<br />
Mitarbeitern der JobCenter geeignete Passagen<br />
unter die Nase zu halten, jedoch sehr geeignet.<br />
Zeitschrift „info also“<br />
Die einzige juristische Fachzeitschrift für<br />
Arbeitslosen- und Sozialhilferecht. Sie verbindet<br />
Fachwissen mit praktischer Hilfe.<br />
Erscheint zweimonatlich, Jahresabo 42 Euro,<br />
Probeexemplar kostenlos und unverbindlich:<br />
Frau Hohmann, Tel. 07221/2104-39 oder<br />
Bestellung: Nomos Verlagsgesellschaft mbh<br />
& Co.KG, Waldseestraße 3-5, Postfach: 10 03<br />
10, 76530 Baden-Baden, Telefon: 07221 /<br />
2104 – 0, Fax: 07221 / 2104 – 27, Email:<br />
nomos@nomos.de<br />
Arbeitslosenzeitung quer<br />
„Pflichtzeitung“ für Alg-I- und -<strong>II</strong>-Bezieher,<br />
erscheint zweimonatlich, Jahresabo 12,50<br />
Euro, Bestellung: PF 1363 Oldenburg, 26003<br />
Oldenburg, Tel. 0441-955 84 49,<br />
Fax 0441/955 84 43;<br />
Email: quer.infos@web.de<br />
weitere Informationen:<br />
SERVICE<br />
31<br />
Nebensache Mensch, Arbeitslosigkeit<br />
in Deutschland<br />
Rainer Roth, 15 Euro, Bestellung unter 1)<br />
Weshalb Menschen zur Ware Arbeit verkommen<br />
sind und immer mehr überflüssig<br />
werden.<br />
Sozialhilfemissbrauch, Wer missbraucht<br />
hier wen?<br />
Rainer Roth, Band 9, 2004, 5,80 Euro plus<br />
Versandkosten, Bestellung unter 1)<br />
Über den Lohn am Ende des Monats<br />
Eine Umfrage unter Erwerbstätigen<br />
Rainer Roth, 5 Euro Bestellung unter 1)<br />
Über den Monat am Ende des Geldes<br />
Umfrage unter Sozialhilfebeziehern<br />
Rainer Roth, 3,50 Euro, Bestellung unter 1)<br />
Bestelladressen:<br />
1) DVS, Schuhmannstraße 51, 60325 Frankfurt/Main;<br />
Fax: 069/74 01 69; Email: d.v.s.@t-online.de<br />
2) Fachhochschulverlag, Kleiststraße 10, Gebäude 1,<br />
60318 Frankfurt/Main, www.fhverlag.de, Tel.:<br />
069/1533-2820, 069/1533-2840;<br />
Email: bestellung@fhverlag.de<br />
Anlaufstellen bei Meinungsverschiedenheiten mit den<br />
JobCentern in Berlin-Brandenburg<br />
Regionale Anlaufstelle:<br />
Bundesagentur für Arbeit<br />
Regionaldirektion Berlin-Brandenburg<br />
(Früher: Landesarbeitsamt)<br />
Friedrichstraße 34<br />
10969 Berlin<br />
Email: Berlin-Brandenburg@arbeitsagentur.de<br />
Fax: 030–5555 99 49 99<br />
Die Regionaldirektion ist die direkte vorgesetzte<br />
Dienststelle für alle Geschäftstellen der<br />
Arbeitsagenturen und JobCenter.<br />
Die überegionale Anlaufstelle<br />
in Nürnberg:<br />
Bundesagentur für Arbeit<br />
BA Service-Haus<br />
Kundenreaktionsmanagement<br />
Regensburger Straße 104<br />
90478 Nürnberg<br />
Telefax: 0911–1798 21 23<br />
Und nicht zu vergessen das betreffende<br />
Ministerium:<br />
Bundesministerium für Arbeit und Soziales<br />
Wilhelmstraße 49<br />
10117 Berlin<br />
Petitionen<br />
Jeder Bürger hat das Recht, Eingaben (Petitionen)<br />
an den Gesetzgeber zu richten.<br />
Sie sind an keine besondere Form gebunden.<br />
Es empfiehlt sich jedoch, möglichst sachlich<br />
und detailliert (Aktenzeichen, Kopien des<br />
Schriftverkehrs) sein Anliegen zu schildern.<br />
Dies können Streitigkeiten mit Behörden,<br />
Änderung bei Gesetzen und ähnliches sein.<br />
Ausnahme bilden hier lediglich anhängige<br />
Gerichtsverfahren.<br />
Abgeordnetenhaus von Berlin<br />
Petitionsausschuss<br />
Niederkirchnerstraße 5<br />
10111 Berlin<br />
oder<br />
Deutscher Bundestag<br />
Petitionsausschuss<br />
Platz der Republik<br />
10111 Berlin
32<br />
Klare Worte<br />
Uwe Glinka, Kurt Meier: Das Sparkochbuch. Günstig und<br />
ausgewogen ernähren nach dem Regelsatz HARZ IV<br />
Ein zweifelhaftes Buch für den kleinen Geldbeutel.<br />
Von Günther Jauch bei stern-TV als „eine Superidee“ gepriesen, die<br />
Rezepte über eine Million Mal heruntergeladen, von einem deutschen<br />
Hollywoodproduzenten für eine Kochshow ins Auge gefasst: Uwe Glinka<br />
und Kurt Meier, die beiden Hartz-IV-Empfänger aus dem Norden, haben<br />
mit ihrem Kochbuch eine Erfolgslawine losgetreten, die dafür sorgen<br />
dürfte, dass wenigstens sie sich in Kürze keine Sorgen mehr machen<br />
müssen, ob man von 4,33 Euro pro Person ausreichen essen kann.<br />
Was medial gefeiert als Rezeptbuch für kleine Geldbeutel daherkommt,<br />
sind alte Rezepte, die Glinka und Meier auf ihre Anfrage hin<br />
von Landfrauenvereinen geschickt bekamen und auswerteten. Mit<br />
Einkaufslisten bewaffnet, zogen sie dann los zu den Discountern und<br />
kauften ein. So billig, dass viele der für zwei Personen entworfenen<br />
Tagespläne sogar unter dem Regelsatz bleiben.<br />
So gut, so katastrophal.<br />
Zunächst: Ja, man kann 425 g Obstsalat zum Frühstück für 0,55 Euro<br />
bekommen – der ist dann bis zum Erbrechen gezuckert. Ja, es gibt vier<br />
Brötchen für insgesamt 0,68 Euro beim Discounter – die abgepackten<br />
Knautschbrötchen, von denen man nicht wissen möchte, was sie<br />
alles außer Mehl noch enthalten. Denn dass Hersteller auch bei teureren<br />
Produkten bereits kräftig an den hochwertigen Zutaten sparen<br />
und diese – von uns unbemerkt – durch Ersatzstoffe, Aromen und<br />
Chemie ersetzen, ist mittlerweile bekannt. (Quelle: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2009/0711/tagesthema/0083/index.html)<br />
Bei 200 g Schweinegulasch für 1,20 Euro hört der Spaß dann völlig auf.<br />
Wir erinnern uns an Nikolaus Geyrhalters Film „Unser täglich Brot“:<br />
Den Schweinen, von denen dieses billige Fleisch kommt, wird als<br />
kleinen Ferkeln zunächst einmal bei vollem Bewusstsein der Ringelschwanz<br />
abgeschnitten und sie werden, wenn männlich, ohne Betäubung<br />
kastriert. Gefüttert mit verschiedenen Hormoncocktails, setzen<br />
sie möglichst schnell Fett an, versorgt von weiteren Medikamenten,<br />
damit sie nicht am Stress vorzeitig sterben. Das dürfen sie dann in<br />
Panik auf den Laufbändern der Schlachthöfe. Lecker! Und so gesund!<br />
Zumindest bestätigte das die Ernährungsberaterin von stern-TV.<br />
Menschen arbeiten in diesen Fleischproduktionsstätten ohne Tarifvertrag<br />
und für oft weniger als fünf Euro die Stunde. Deutschland gilt<br />
mittlerweile als Billiglohnland der Nahrungsmittelindustrie (Quelle:<br />
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/81/481551/text/). Und damit<br />
sauer k / g<br />
Konzept & Gestaltung<br />
Plakate<br />
Anzeigen<br />
Flyer<br />
Zeitung<br />
Brochuren/Kataloge<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
schließt sich der Kreis: Billiglöhne=Billigfleisch – kein Grund also,<br />
den Regelsatz zu erhöhen.<br />
Das Rezeptbuch für den kleinen Geldbeutel verschließt auch vor anderen<br />
Problemen die Augen: Was ist mit Kindern, für die weniger als 4,33<br />
Euro veranschlagt werden, die aber Schulbrote, ein warmes Mittagessen,<br />
Obst nach sportlichen Betätigung usw. benötigen? Was ist mit all<br />
den Leuten, die nicht mehr die Kraft zum Kochen, Spülen, Aufräumen<br />
haben, weil sie durch HARTZ IV bereits krank geworden sind – psychisch<br />
oder physisch? Was ist mit denen, die nicht so gut zu Fuß sind, dass sie<br />
stundenlang von einem Discounter zum anderen laufen können? Oder<br />
mit jenen, die gar keinen Discounter in Lauf- und Schleppweite haben?<br />
Was ist mit den gestiegenen Energie-, Wasser-, Spülmittelkosten, die in<br />
der Rezeptberechnung nicht berücksichtigt sind? Was ist mit den vielen<br />
Allergikern, die nicht als solche<br />
anerkannt sind, die aber trotzdem<br />
z.B. Süßstoffe, Aromen, Konservierungsstoffe,<br />
Farbstoffe, Sojazusätze<br />
nicht vertragen und die daher<br />
nicht einfach alles kaufen können?<br />
Was ist mit all jenen, die durchaus<br />
arbeiten, deren Arbeit aber weniger<br />
bringt als der Hartz-IV-Satz? Wann<br />
gehen die Preise vergleichen?<br />
Egal, das Buch hat Erfolg. Wahrscheinlich<br />
aus zwei Gründen:<br />
Zum einen wurde es mit Günther<br />
Jauch von einem Mann gepusht,<br />
den viele seit seiner IQ-Show für<br />
besonders intelligent halten. Zum<br />
anderen hat das Buch etwas, was auch viele Menschen an Diätbüchern<br />
anzieht: Die Möglichkeit der scheinbaren Kontrolle. Denn was<br />
ist beruhigender, als sich von einem Buch sagen zu lassen, dass das<br />
Frühstück nur 90 Cent gekostet hat?!<br />
Man kauft sich mit dieser Broschüre nicht nur ein Rezeptbuch. Man<br />
kauft sich die Absolution, auch als Hartz-IV-Empfänger kein ganzer<br />
Versager zu sein. Denn immerhin kann man sich dann stolz mit den<br />
Autoren in eine Reihe stellen und denken: „Wie heisst es so schön:<br />
Aus der Not eine Tugend machen.“ (S. 6)<br />
Guten Appetit!<br />
Ghattas<br />
carsten sauer<br />
telefon: 030/44 16 507<br />
email: sauer_kg@yahoo.de
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe Bonus-Material<br />
2009<br />
Ganz schön mutig<br />
Der rot-rote Senat verkündet stolz die<br />
„Anpassung“ der Mietobergrenzen an die<br />
Entwicklung der Mietpreise. Doch für viele<br />
betroffene Hartz-IV-Bezieher bringt diese<br />
Erhöhung überhaupt nichts.<br />
Am 1. März 2009 ist sie in Kraft getreten: die neue Ausführungsvorschrift<br />
Wohnen des Senats von Berlin. Für diesen phänomenalen Wurf<br />
hat sich die Berliner Sozialsenatorin Heidi Knaake-Werner (Linke) so<br />
richtig ins Zeug gelegt, um die Hartz-IV- oder Sozialhilfe-Betroffenen<br />
aus dem Tal der Misere herauszuholen. Doch was da herausgekommen<br />
ist und seit 1. März mit der AV Wohnen in Kraft getreten ist, entbehrt<br />
wirklich jedweder Verbesserung in Sachen menschenwürdiger Mietobergrenzen<br />
für Hartz-IV- und Sozialhilfebezieher, die sich doch die Sozialsenatorin<br />
so gerne auf die Fahnen geschrieben hat. Erst waren es<br />
die großen Versprechungen und Ankündigungen, dann wurde sie immer<br />
kleinlauter, bis letztendlich nur eine Erhöhung der Mietobergrenze für<br />
Ein-Personen-Haushalte von 360 auf 378 Euro herauskam. „Es wird eine<br />
völlig neue Ausführungsverordnung<br />
Wohnen geben“ verkündete<br />
sie noch großspurig am<br />
11. Juli 2007 während einer<br />
Tagung der „Beratergruppe zur<br />
Fortschreibung des Obdachlosenrahmenplans<br />
und Wohnungslosenpolitik<br />
in Berlin“. Grund für<br />
diese hoffnungsvoll stimmenden<br />
Worte von Heidi Knaake- Werner:<br />
An diesem Tag wurde der derzeit<br />
gültige Mietspiegel veröffentlicht.<br />
Und da sich seit Einführung<br />
von Hartz IV im Jahre 2005<br />
Veränderungen auf dem Arbeits-<br />
und Wohnungsmarkt in einem<br />
solchen Umfang ergeben hätten,<br />
kann eine „kleinteilige Anpassung“,<br />
wie die Sozialsenatorin<br />
erklärte, nicht angemessen sein.<br />
Ab 1. März 2009 sind nach der<br />
AV Wohnen die Mietobergrenzen<br />
um sage und schreibe 18 Euro<br />
gestiegen – von 360 auf jetzt 378 bruttowarm. Mehr war mit dem<br />
Koalitionspartner SPD leider nicht zu machen, erklärt Frau Knaake-<br />
Werner. Aber dennoch: „der Senat reagiert mit der Erhöhung auf<br />
die Mietpreisentwicklung, wonach insbesondere die Mieten für die<br />
kleinen Wohnungen angestiegen sind“, wie es in einer Erklärung der<br />
linken Sozialsenatorin heißt. Dass bei den anderen Haushalten die<br />
Mieten in den letzten Jahren ebenso angestiegen sind, haben SPD<br />
und Linke schlichtweg vergessen. Und so bleiben die Mietobergrenzen<br />
für Zwei-Personen-Haushalte bei 444 Euro, für Drei-Personen-Haushalte<br />
bei 542 Euro, für Vier-Personen-Haushalte bei 619 Euro und<br />
Fünf-Personen-Haushalte bei 705 Euro unverändert.<br />
Dabei wäre eine deutliche Anhebung auch der anderen Personenhaushalte,<br />
bei denen die Mietsteigerungen weit mehr als diese lächerlichen<br />
18 Euro bei den Ein-Personen-Haushalten betragen, dringend<br />
notwendig, um den tatsächlichen Bedarf der explodierenden Mietpreissteigerung<br />
zu decken. Schon bei Einführung der Angemessen-<br />
Klare Worte<br />
33<br />
heitskriterien im Juli 2005 waren die Mietobergrenzen für Alg-<strong>II</strong>- und<br />
Sozialhilfebezieher längst überholt. Denn Grundlage waren die Zahlen<br />
der Wohnungsmarktdaten von 2004. Und 2007, als die Preise auf dem<br />
Wohnungsmarkt enorm stiegen, gerade bei den Hartz IV-tauglichen<br />
Wohnungen (10,2 Prozent), sah der Senat keine Veranlassung, die<br />
Mietobergrenzen zu erhöhen.<br />
Die jetzige „Anpassung“ der Mietobergrenzen, auch nur für die Ein-<br />
Personen-Haushalte muss man weiterhin als Ignorieren der Mietpreissteigerung<br />
seitens des Senats betrachten. So werden sich auch<br />
weiterhin die Alg-<strong>II</strong>- und Sozialhilfeempfänger die für sie zu teuren<br />
Mieten vom ihrem Regelsatz absparen müssen. Dass das von diesem<br />
defizitären Regelsatz utopisch ist, wissen die Hilfeleistungsbezieher.<br />
Sie machen dann halt Mietschulden – auf die Gefahr hin, in die<br />
Obdachlosigkeit zu rutschen.<br />
Dass die neue AV-Wohnen völlig unzureichend ist, hat unter anderen<br />
die Berliner Mietergemeinschaft erklärt. Und die rechnet schon mal<br />
vor, dass bereits heute auf jede Wohnung für einen Ein-Personen-<br />
Haushalt nach der Mietobergrenze mindestens schon zwei Nachfrager<br />
kommen. Und der im Sommer 2009 erscheinende Mietspiegel wird<br />
diesen Trend mit ziemlicher Sicherheit bestätigen. Für diesen Trend<br />
gesorgt hat zum einen der jetzige Stillstand des Sozialwohnungsbaus<br />
und zum anderen die Aufwertung und Sanierung vorhandener Wohnungen,<br />
die zu einer Abnahme des Angebots gerade in den unteren<br />
Preisklassen gesorgt hat. So ist wohl trotz dieser grandiosen Anhebung<br />
mit einer drastischen Zunahme von Zwangsumzügen zu rechnen,<br />
kritisiert nicht nur der DGB die neue AV Wohnen, sondern auch die<br />
Berliner Kampagne gegen Zwangsumzüge. Denn Berlin ist der Forderung<br />
des Bundesrechnungshofes nachgekommen, die Einjahresfrist<br />
der vollen Mietübernahme auf ein halbes Jahr zu kürzen. Und jetzt<br />
könnten sogar Quadratmetergrößen einer Wohnung durch den neu<br />
eingeführten Punkt „unzumutbar beengter Wohnverhältnisse“ der AV<br />
Wohnen ein Hintertürchen für die Entscheidung der JobCenter, ob<br />
jemanden umziehen muss oder nicht, sein.<br />
Martyn R.<br />
(www.gegen-zwangsumzuege.de, Notruftelefon 0800-27 27 27 8)<br />
Foto: uk
34<br />
Klare Worte<br />
Hartz-IV-Gesetze nehmen Kinderarmut in Kauf<br />
Über die strukturelle Ausgrenzung von Kindern<br />
Die SGB-<strong>II</strong>-Gesetze, die die Regelsätze auch für Kinder festlegen, orientieren<br />
sich am Bedarf eines Singlehaushalts der unteren Einkommensschicht.<br />
Sie gestehen dem Nachwuchs in Hartz-IV-Familien, der, wie alle<br />
Kinder vor allem eines unweigerlich tut, nämlich wachsen, noch nicht<br />
mal die nötige Bekleidungspauschalen zu: alle halben Jahre das größere<br />
und der Witterung angepaßte Paar Schuhe usw.<br />
Aber die Ungerichtigkeit ist weitreichender: Nach einem Rechtsgutachten<br />
von Frau Prof. Dr. jur. Anne Lenze, die an der Hochschule Darmstadt<br />
Sozialrecht lehrt, steht Kindern armer Eltern nur der Bedarf des<br />
sächlichen Existenzminimums zu. Würde man für sie auch einen Betrag<br />
für Betreuung und Erziehung – wie er besserverdienenden Familien durch<br />
den Steuerfreibetrag (aktuell 6024 Euro im Jahr) zusteht – dazurechnen,<br />
stünde den Kindern ein Satz von 502 Euro im Monat zu. Der Gesetzgeber<br />
nimmt also die Kinderarmut, die mittlerweile schon jedes zweite Kind in<br />
Deutschland (einem der reichsten Länder der Welt) betrifft, in Kauf, um<br />
die Eltern zur Annahme jeglicher Arbeit zu zwingen.<br />
Kinder als Geiseln<br />
Gerade die Familien, die nicht in der Lage sind, aus eigenen Mitteln<br />
die Kosten für soziales Miteinander wie Vereinsbeiträge, Sprachförderung,<br />
Internetkurse, den Internetzugang zu Hause, den Schulen ab<br />
der siebenten Klasse als Lernwerkzeug voraussetzen, oder den Nachhilfeunterricht<br />
zu tragen, werden so von der persönlichen Entwicklungsförderung<br />
ihres Nachwuches strukturell ausgeschlossen.<br />
Frau Lenze hat in einem Rechtsgutachten, das sie 2008 für die gewerkschaftsnahe<br />
Hans-Böckler-Stiftung verfaßte, die Frage untersucht, ob<br />
es dem Grundsatz der Gleichbehandlung verfassungsgemäß ist, dass<br />
die auf Grundsicherung angewiesenen Kinder von diesen Möglichkeiten<br />
der Bildung abgekoppelt werden, und kommt zu dem Schluß, dass<br />
auch die Besonderheit der Sozialgesetzgebung keine Rechtfertigung<br />
dieser Mißstände erlaubt.<br />
An anderer Stelle weist Frau Lenze daraufhin, dass es in unserem Land<br />
mit der Familienförderung, trotz anderslautender Erklärungen von den<br />
Parteien, nicht weit her ist. Die Milliardenbeträge, die als Familien-<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Was haben Kinder und Jugendliche, die per Gesetz nicht arbeitslos oder arbeitssuchend<br />
sein können, in den Karteien der JobCenter zu suchen?<br />
förderung präsentiert werden, enthalten nicht unerhebliche Summen,<br />
die von der Sache her in andere Kategorien fallen, z.B. Ausgaben für<br />
Schulen (45,3 Milliarden), die durch die Schulpflicht jedem unausweichlich<br />
aufgezwungen werden und die man keinesfalls als familienpolitische<br />
Maßnahmen deklarieren kann, ja nicht einmal der große<br />
Posten des Kindergeldes von 30,9 Mrd. Euro kann hier voll geltend<br />
gemacht werden, besteht er doch zu zwei Dritteln aus der Rückerstattung<br />
der verfassungsrechtlich verbotenen Besteuerung* des kindlichen<br />
Existenzminimums (und ist daher ebenfalls keine Sozialleistung,<br />
erst recht nicht eine, die Politiker nach Gutdünken in andere, angeblich<br />
Familien zugute kommende Töpfe investieren können wie den<br />
Ausbau von Krippenplätzen).<br />
Die Mehrwertsteuererhöhung<br />
und die Energieabgabe<br />
trifft zudem<br />
Familien in größerem<br />
Ausmaß als<br />
Singles, die wenigerVerbrauchsgüter<br />
benötigen und<br />
sich Anschaffungen<br />
besser einteilen<br />
können.<br />
Kein Wunder, dass<br />
Menschen und gemeinnützigeOrganisationen<br />
den Markt<br />
der Not sehen; zunehmend warten sie mit Betreuungsangeboten für<br />
Hartz-IV-Kids auf. Die Berichte, die die dort beschäftigten SozialpädagogInnen<br />
der Öffentlichkeit über den teilweise erschreckenden<br />
Zustand der Kinder zukommen lassen, nutzen die Medien, um die<br />
verzweifelten und deprimierten Eltern, die keinen Ausweg aus ihrer<br />
Lage sehen und zum Teil deshalb unter psychischen Problemen leiden,<br />
zu diffamieren. Der Druck, unter dem diese Erwachsenen gerade zu<br />
Weihnachten – der Hochzeit des Konsums – stehen, ist extrem belastend!<br />
Aber auch den Rest des Jahres wird die familiäre Kultur nicht<br />
gestärkt, wenn die Kinder außer Haus beköstigt und betreut werden<br />
müssen, weil daheim das Geld fehlt.<br />
Aus der Politik kommen zudem zynische Vorschläge zur Einführung<br />
von Bezugsscheinen, anstatt der längst fälligen Diskussion über die<br />
Ausgliederung der Kinder aus der Zuständigkeit des SGB <strong>II</strong> – Frau<br />
Lenze hält das Kinder- und Jugendhilfegesetz für den passenderen Ort<br />
– und die Erhöhung der kindlichen Regelsätze auf den tatsächlichen<br />
Bedarf des inklusiven Existenzminimums.<br />
Tatsächlich könnte eine Verfassungsklage in Karlsruhe die ungerechten<br />
Gesetze und ihre fatalen Folgen schneller beenden, denn das politische<br />
Brimborium um Familie ist hohles Gewäsch, wie man an der<br />
gesetzlich sanktionierten Benachteiligung erkennt!<br />
Lou<br />
(* Hier ist die Mehrwertsteuer auf Kinderkleider, -schuhe, -nahrung usw.gemeint.)<br />
Foto: Lou
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Die Würde des Menschen ist antastbar – durch Hartz IV<br />
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen<br />
ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ So bestimmt es der<br />
erste Artikel des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland.<br />
Und auf diesen Sachverhalt zielen letztlich alle im Grundgesetz verankerten<br />
Grundrechte ab. Die gesellschaftliche Realität aber ist eine<br />
andere. Die Würde mehrerer Millionen Menschen in Deutschland ist<br />
angetastet und die Grundrechte sind zumindest teilweise aufgehoben<br />
durch das ‚Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt’,<br />
besser bekannt als Hartz IV.<br />
Zwar räumt das deutsche Grundgesetz durchaus die Möglichkeit ein,<br />
dass „ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“ eingeschränkt<br />
werden kann. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber aber festgelegt,<br />
dass in einem solchen Falle „das Gesetz das Grundrecht unter<br />
Angabe des Artikels nennen“ muss, und hinzugefügt, dass „in keinem<br />
Falle ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden“ darf.<br />
Hartz IV verstößt gegen beide Grundsätze. Es schränkt Grundrechte<br />
nicht nur ein, ohne dies im Gesetzestext zu vermerken, es berührt<br />
diese Rechte auch in ihrem Kern.<br />
Aufschlussreich ist dabei die Tatsache, dass mit der Missachtung<br />
eigentlich unveräußerlicher Grundrechte das selbstformulierte Hauptziel<br />
von Hartz IV, nämlich „die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen<br />
Hilfebedürftigen“ stärken zu wollen, als bloße Phrase entlarvt<br />
wird. Dies hehre Anliegen wird solange in sein Gegenteil verkehrt<br />
bleiben, solange Beziehern von Arbeitslosengeld <strong>II</strong> jeglicher Freiraum<br />
für eigenverantwortliches Handeln verwehrt ist. Wie können<br />
<strong>ALG</strong>-<strong>II</strong>-Empfänger in Eigenverantwortung handeln, wenn sie in völliger<br />
Abhängigkeit von den Entscheidungen der zuständigen Behörde<br />
gehalten werden? Wenn sie um die Erlaubnis für die selbstverständlichsten<br />
Dinge des alltäglichen Lebens bitten und betteln müssen?<br />
Wenn sie etwa für Reisen die vorherige Zustimmung eines Sachbearbeiters<br />
einholen müssen, auch bei Wohnungswechsel eine solche<br />
Zustimmung voraussetzt wird und ihnen jede Art der Arbeit zugemutet<br />
werden kann?<br />
Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, wie Hartz IV die Würde<br />
erwachsener Menschen verletzt und sie auf das Selbstbestimmungsni-<br />
Illustration: Jürgen H.<br />
Klare Worte<br />
35<br />
veau kleiner Kinder hinabzwingt. Sie zeigen aber auch, dass Hartz IV<br />
genau diejenigen Grundgesetzartikel aushöhlt, die die Freiheit eines<br />
jeden Einzelnen ins Zentrum einer gerechten Sozialordnung stellen und<br />
diese Freiheit als unveräußerliches Gut schützen wollen. „Alle Deutschen<br />
genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet“ und „haben<br />
das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen“,<br />
heißt es in unserem Grundgesetz. Aber Freiheit, so scheint es, ist das,<br />
was Hartz IV den Menschen gerade nicht zugestehen will.<br />
Ist das nun zynisch oder bloß dumm? Wo doch Freiheit die entscheidende<br />
Voraussetzung ist für eigenverantwortliches Handeln, das zu<br />
befördern sich die Reformer ehemals auf die Fahnen geschrieben<br />
hatten. Ruft man sich drei der größten Köpfe hinter den Hartz-<br />
Reformen in Erinnerung – Gerhard Schröder, Wolfgang Clement und<br />
Peter Hartz – fällt die Antwort einigermaßen leicht. Ist Zynismus<br />
doch mehr als nur bornierte Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen<br />
Problemlagen. Und da die Väter von Hartz IV ihre eigene Verantwortung<br />
schon immer mit Eigennutz verwechselt haben, ist es nicht nur<br />
für einige von ihnen persönlich dumm gelaufen. Auch ihre Reformen<br />
haben – wie eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und<br />
Berufsforschung feststellt – bislang zu keiner positiven Entwicklung<br />
am Arbeitsmarkt geführt.<br />
Wir dürfen uns nicht wundern, wenn sich ganz im Gegenteil die gesellschaftlichen<br />
Schieflagen seither noch verstärkt haben. Denn nur wer<br />
die Idee eines freien und selbstbestimmten Menschen ins Zentrum<br />
politischen Handelns stellt, kann Rahmenbedingungen schaffen, die<br />
die drängenden Probleme einer Gesellschaft lösen helfen. Hartz IV<br />
kann dies nicht. Deshalb: Weg damit!<br />
Jürgen Haunss<br />
Quellen:<br />
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (im Text zitiert aus den Artikeln 1,<br />
11, 12, 19 GG)<br />
Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Artikel 1, Sozialgesetzbuch<br />
(SGB), Zweites Buch (<strong>II</strong>), Grundsicherung für Arbeitssuchende (im<br />
Text insbesondere Bezug genommen auf die Paragrafen 1, 7, 10, 22 SGB <strong>II</strong>)
36<br />
Klare Worte<br />
Kein Geld für einen Anwalt<br />
Kostenlose Rechtsberatung bei mob e.V.*<br />
„Vor einer Woche bekam ich einen Bescheid vom JobCenter. Die<br />
ziehen mir neun Euro für die Warmwasserpauschale ab. Das sind<br />
im Jahr 108 Euro, die ich weniger bekomme.“<br />
„Bei mir wurde der Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung<br />
gestrichen.“<br />
„Mir wird Einkommen angerechnet, was ich gar nicht verdiene.“<br />
„Das JobCenter bearbeitet meinen Antrag nicht. Ich habe kein<br />
Geld, um die Miete zu zahlen.“<br />
„Ich soll umziehen, weil die Wohnung zu teuer ist.“<br />
„Obwohl wir bloß in einer Wohngemeinschaft leben, werden wir<br />
als Bedarfsgemeinschaft berechnet.“<br />
Die Liste der Äußerungen lässt sich beliebig und variantenreich<br />
fortsetzen.<br />
Eines haben die Aussagen gemeinsam: Sie stammen alle von Alg-<strong>II</strong>-<br />
Empfängern, die kein Geld haben, um einen Anwalt zu bezahlen, der<br />
ihnen hilft, ihre Rechte durchzusetzen.<br />
Wenn nämlich gegen die Bescheide der Job-<br />
Center nicht vorgegangen wird, erlangen sie<br />
rechtliche Bestandskraft, sind in der Regel<br />
unanfechtbar und man kann, so falsch sie<br />
auch sein mögen, kaum noch etwas unternehmen.<br />
Gegen einen Bescheid vom JobCenter muss<br />
innerhalb von vier Wochen nach Zugang des<br />
Bescheides Widerspruch eingelegt werden.<br />
Diesen Widerspruch kann jeder selbst einlegen.<br />
Der Widerspruch muss begründet werden. Ist<br />
der Sachverhalt kompliziert, muss die Begründung<br />
diesem Umstand Rechnung tragen. In<br />
solchen Fällen geht es eigentlich nicht ohne<br />
anwaltliche Hilfe. Jeder Betroffene kann sich<br />
einen Anwalt suchen – auch wenn er weiß,<br />
dass kein Geld da ist, die anwaltliche Dienstleistung<br />
zu bezahlen.<br />
Hier kommt die Beratungshilfe zum Tragen. Simone in ihrem Anwaltsbüro<br />
Beratungshilfe wird auf Antrag gewährt, wenn<br />
der Antragsteller monatlich nicht mehr als 380 Euro nach Abzug der<br />
Miete zur Verfügung hat. Jeder Alg-<strong>II</strong>-Empfänger fällt mit seinem Regelsatz<br />
unter diese Grenze. Die Beratungshilfescheine stellt das zuständige<br />
Amtsgericht des Wohnortes aus. Die Möglichkeit, über den Anwalt<br />
nachträglich Beratungshilfe zu beantragen, gibt es auch. Um aber auf<br />
der sicheren Seite zu sein, sollte der Ratsuchende bereits mit einem<br />
bewilligten Beratungshilfeschein beim Anwalt seiner Wahl aufkreuzen.<br />
Der Anwalt erhält für die Bearbeitung eines Beratungshilfemandats sein<br />
Geld von der Staatskasse. Dieser Betrag liegt weit unter dem, was der<br />
Anwalt dem Klienten nach der üblichen anwaltlichen Vergütung in Rechnung<br />
stellen könnte. Aus diesem Grunde werden Beratungshilfemandate<br />
von einigen Anwälten gar nicht angenommen. Der Ratsuchende zahlt<br />
lediglich einen Anteil von zehn Euro. Selbst diese zehn Euro darf der<br />
Anwalt bei Bedürftigkeit erlassen.<br />
Der Ratsuchende muss sich also auf die Suche nach einem Anwalt<br />
machen, der seinen Widerspruch vor dem JobCenter auf der Basis der<br />
Beratungshilfe vertritt. Ist der Anwalt gefunden, legt dieser, wenn der<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Betroffene es noch nicht selbst getan hat, Widerspruch ein. Gleichzeitig<br />
wird Akteneinsicht beantragt. Das JobCenter stellt dem Anwalt die<br />
Akte zur Verfügung. Häufig ergeben sich aus der Akte konkrete Anhaltspunkte<br />
für die Rechtswidrigkeit eines Bescheides und der Widerspruch<br />
kann detailliert begründet werden.<br />
Der Widerspruch wird vom JobCenter bearbeitet und dann irgendwann<br />
auch beschieden. Manche Widerspruchsbescheide lassen monatelang<br />
auf sich warten. Kommt es für den Betroffenen zu einer existenziell<br />
untragbaren Situation, weil das Geld für die Miete fehlt und keine<br />
Lebensmittel mehr gekauft werden können, muss der Anwalt beim<br />
Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragen.<br />
Wird diesem Antrag durch das Sozialgericht entsprochen, ist das Job-<br />
Center bis zur Entscheidung über den Widerspruch erst einmal dazu<br />
verpflichtet, die Leistungen zu zahlen.<br />
Wird der Widerspruch abgelehnt, bleibt nur noch die Klageerhebung<br />
vor dem Sozialgericht. Auch hier kann der Betroffene seine Klage selbst<br />
einreichen. Das Sozialgericht verfügt über eine Rechtsantragsstelle. Die<br />
Aufgabe der Mitarbeiter ist es, nicht anwaltlich vertretenen Klägern bei<br />
der Klageformulierung und Klageerhebung behilflich zu sein.<br />
Für viele Betroffene ist aber die Hemmschwelle, selbst gegen die<br />
Behörde JobCenter vorzugehen beziehungsweise gar Klage beim Sozialgericht<br />
zu erheben, sehr hoch. Die Hemmschwelle, anwaltlichen Rat<br />
zu suchen, ist ebenfalls nicht zu unterschätzen.<br />
Die Betroffenen sollten aber in jedem Fall den Versuch unternehmen,<br />
einen Anwalt zu finden. Es gibt Anwälte, die bereit sind, auf Beratungshilfebasis<br />
Mandate zu übernehmen. Über die Internetplattform<br />
von „Tacheles“ wird man fündig. Und zehn Euro für eine anwaltliche<br />
Vertretung dürften auch für einen Alg-<strong>II</strong>-Bezieher erschwinglich sein.<br />
Simone Krauskopf, Rechtsanwältin<br />
* kostenlos nur für Bezieher von Alg <strong>II</strong>, Sozialhilfe, Grundsicherung (GSi) und<br />
andere Arme<br />
Beachten Sie die Anzeige auf Seite 25!<br />
Foto: Guido Fahrendholz
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Über den Umgang mit arbeitslosen Menschen<br />
Drei Beispiele für das Verhalten des JobCenters gegenüber Arbeitslosen<br />
Die Abhängigkeit von einem JobCenter kann<br />
jungen, unsicheren oder labilen Menschen<br />
zum Verhängnis werden. Nicht wenige gehen<br />
traumatisiert aus einer Behandlung durch<br />
das JobCenter hervor.<br />
Drei Beispiele möchte ich schildern. Das erste<br />
betraf mich selbst und steht für das Auflaufenlassen<br />
als Taktik: Da mein Sohn die Grundschule<br />
wechseln musste, suchte ich eine Wohnung<br />
in der Nähe des zukünftigen Lernortes in<br />
Berlin-Pankow. Wegen der vereinbarten Schul-<br />
Probezeit von sechs Monaten, meldete ich<br />
mich bei einem jungen Paar, das seine Wohnung<br />
für ein halbes Jahr untervermietete, um<br />
Australien zu bereisen. Für diese Wohnung auf<br />
Zeit stellte mir das JobCenter Berlin-Kreuzberg<br />
eine Mietübernahmebescheinigung aus und<br />
übernahm die erste Miete. Dann war Pankow<br />
zuständig. Dort verschwand ein Teil meiner<br />
Unterlagen. Hernach wurden mir Mietzahlungen<br />
verweigert, da keine Untermieterlaubnis<br />
vorläge. Die Hauptmieter waren unerreichbar,<br />
die Hausverwaltung zwar informiert, konnte<br />
mir aber keine offizielle Bescheinigung ausstellen.<br />
Sie telefonisch zu befragen, lag nicht<br />
im Interesse des JobCenters. Ich saß in der<br />
Falle: Fände ich eine neue Bleibe, verlören<br />
die Hauptmieter meinetwegen ihre Wohnung<br />
– wenn nicht noch mehr! Bliebe ich, bestand<br />
immerhin eine Chance, das drohende Unheil<br />
abzuwenden. Im JobCenter begegnete mir<br />
eisige Kälte. Der Sachbearbeiter redete nicht<br />
mit mir, ließ mich sitzen. Was ich noch wolle? Ich ging zum Jugendamt,<br />
Sozialamt, zur SPD und Sozialberatung und von dort mit einem Antrag<br />
auf Einstweilige Verfügung zum Sozialgericht. Ich verbrachte unruhige<br />
Nächte, brach ungewollt in Tränen aus, schämte mich und konnte kaum<br />
an etwas anderes denken, als ich – Gott sei Dank! – im vierten Monat<br />
ohne Mietzahlungen Recht bekam.<br />
Der zweite Fall schildert eine Hetz-Taktik am Beispiel einer schüchternen<br />
Bekannten mit akademischem Abschluss. Sie hatte während<br />
ihrer Arbeitssuche vom JobCenter Berlin-Neukölln in den ersten neun<br />
Monaten keinerlei Vermittlungsvorschläge erhalten, aber sollte stattdessen<br />
eine Eingliederungsvereinbarung unterschreiben, in der sie<br />
sich verpflichtete, „an allen Maßnahmen teilzunehmen“. Während<br />
sie sich ohnehin um Arbeit bemühte, schickte sie ihrer Fallmanagerin<br />
schriftlich ihre Einwände - und dass noch keine Versuche erfolgt<br />
wären, sie auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Statt einer<br />
Antwort wurden ihr drei Ein-Euro-Jobs gleichzeitig zugewiesen, die<br />
weder ihre angegebenen Fähig- und Fertigkeiten berücksichtigten,<br />
noch ihr beruflich nützlich wären. Das bat sie schriftlich zu bedenken.<br />
Nach einem ersten Vorstellungstermin teilte der Träger dem JobCenter<br />
mit, sie sei für die Tätigkeit ungeeignet. Des ungeachtet, landeten in<br />
den darauffolgenden Wochen drei Kürzungsbescheide um je 30 Prozent<br />
im Briefkasten meiner Bekannten. Drei Kürzungen um 30 Prozent<br />
bedeuteten 90 Prozent Minderung – also nur noch zehn Prozent der<br />
Leistung. Ohne Rückhalt durch andere wäre sie verzweifelt. Ihr Widerspruch<br />
wurde vom JobCenter abgelehnt. Erst das Sozialgericht gab ihr<br />
Recht. Alle Sanktionsbescheide wurden aufgehoben.<br />
Klare Worte<br />
37<br />
Das dritte Beispiel schildert Demütigungen, die das Selbstverständnis<br />
eines arbeitslosen Bauzeichners verwundeten. Nachdem die Fallmanagerin<br />
im JobCenter Berlin-Mitte seine Unsicherheit entdeckt hatte,<br />
erlag sie der Versuchung, die finanzielle Abhängigkeit des Junggesellen<br />
auszunutzen. Durch hämische Unterstellungen drängte sie den<br />
40-Jährigen in die Defensive und scheute nicht davor zurück, seine<br />
frühere Tätigkeit sowie seine derzeitigen Eigenbemühungen um Arbeit<br />
lächerlich erscheinen zu lassen. Seine Berichte über frühere Tätigkeiten<br />
oder zu jüngsten Bewerbungsterminen tat sie als unglaubwürdig<br />
ab. Je mehr sich der Bauzeichner bemühte, ihr die Richtigkeit<br />
seiner Angaben auch zu beweisen, desto hilfloser verstrickte er sich<br />
in Rechtfertigungen und Erklärungen. Die anmaßende Haltung der<br />
Sachbearbeiterin hatte zur Folge, dass er sich nicht mehr allein zu<br />
einem Termin mit ihr traute und um Hilfe bat. Als ich ihn deshalb<br />
zum nächsten Termin begleitete, nahm das Gespräch eine überraschende<br />
Wendung: Die Fallmanagerin hielt es für überflüssig, seine<br />
mitgebrachten Belege über die Art der bisherigen Berufsausübung zu<br />
prüfen, tat frühere Anschuldigungen als belanglos ab und stellte ihre<br />
Mithilfe bei der Vermittlung in Arbeit in Aussicht.<br />
Unter „Fördern und Fordern“ werden die finanziell Abhängigen bevormundet,<br />
missachtet, entmutigt, erpresst und in die Enge getrieben – und<br />
es trifft gerade den am härtesten, dem der nötige Rückhalt fehlt.<br />
Constanze
38<br />
Nachgefragt<br />
Obwohl sie berechtigte Zweifel an der Richtigkeit ihres Bescheides<br />
hegen, scheuen immer noch viele Menschen, die <strong>ALG</strong> <strong>II</strong> beziehen, den<br />
Klageweg, um zu ihrem Recht zu gelangen. Sie fürchten versteckte<br />
Sanktionen der zuständigen Mitarbeiter_innen ihres JobCenters.<br />
Deshalb waren wir zu Besuch im Berliner Sozialgericht und erfuhren:<br />
Etwa die Hälfte aller Klagenden bekommt Recht. Zwar spricht sich<br />
diese Tatsache nur langsam herum, doch die Zahl der Klagen steigt.<br />
Allein in Berlin werden jährlich Zehntausende eingereicht. Für den<br />
strassenfeger sprach Dinah Persch mit dem Berliner Sozialrichter<br />
Michael Kanert (Jahrgang 1963).<br />
strassenfeger: Wie arbeitet das Sozialgericht?<br />
Michael Kanert: Das Sozialgericht kontrolliert die meisten Behörden<br />
des Sozialstaates. Die JobCenter, die gesetzliche Rentenversicherung,<br />
die gesetzliche Krankenversicherung, die Berufsgenossenschaft und<br />
die Pflegeversicherung. All dies sind Behörden, die dazu da sind, dass<br />
soziale Ansprüche gehört und verwirklicht werden. Diese Behörden<br />
sind an Regeln, Gesetze und Verordnungen gebunden und der Bürger<br />
kann, wenn er der Meinung ist, dass diese Behörden die Gesetze<br />
verletzt haben, das Sozialgericht anrufen und dann überprüfen wir<br />
diesen Fall.<br />
sf: Gab es einen persönlichen Auslöser, dass Sie Richter am Sozialgericht<br />
geworden sind?<br />
M.K.: Eigentlich wollte ich gar kein Richter am Sozialgericht werden,<br />
ich wollte ans Verwaltungsgericht, weil ich die Idee hatte, dass dort<br />
die spannenderen Entscheidungen getroffen werden. Dort war keine<br />
Das Berliner Sozialgericht in der Invalidenstraße<br />
Wo ein Kläger ist, gibt es immer auch einen Richter<br />
Interview mit dem Berliner Sozialrichter Michael Kanert<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Stelle frei und ein Kollege riet mir: „Versuchen Sie es doch am Sozialgericht,<br />
da gibt es auch sehr spannende Fälle.“ Jetzt bin ich seit<br />
14 Jahren hier.<br />
Früher wussten sehr wenige Leute, was wir hier machen. Das hat<br />
sich geändert, seit es Hartz IV gibt.<br />
sf: Wie hoch ist der prozentuale Anteil an Anträgen bezüglich des Hartz-<br />
IV-Gesetzes?<br />
M.K.: Zwei Drittel betreffen Hartz IV. Das ist das große Thema bei<br />
uns am Sozialgericht. Damit hatte ursprünglich niemand gerechnet.<br />
Als im Januar 2005 Hartz IV in Kraft trat, hatten wir 5,5 Richterstellen<br />
dafür eingeplant, inzwischen sind es zehn Mal so viele. Das war<br />
ein neues Rechtsgebiet; die Fälle hatten damals eine neue Farbe von<br />
Aktendeckeln bekommen: sie waren hellgrün. Nach ein paar Monaten<br />
sind uns diese Aktendeckel ausgegangen. Wenn man heute ins Archiv<br />
geht, sieht man unter den erledigten Fällen immer wieder Aktenstapel<br />
mit weißen Deckblättern. Da fehlten uns die grünen Deckel. Das<br />
zeigt, dass weder die Politik, noch die Justiz damit gerechnet hatten,<br />
was das für ein Ausmaß annehmen wird.<br />
sf: Was macht die anderen Anträge an das Sozialgericht aus?<br />
M.K.: Ganz viele Themen betreffen die Rentenversicherung. Wir hatten<br />
tausende Anfragen aus den USA, Israel aber beispielsweise auch aus<br />
Ungarn von Rentnern, die ihre Rentenansprüche einklagten. Dann<br />
hatten wir nach der Wiedervereinigung sehr viele Klagen von Rentnern<br />
aus der ehemaligen DDR, was nun mit ihren Ansprüchen passiert, die<br />
sie im Sozialsystem der DDR erworben hatten. Das hat uns auch jah-<br />
Foto: K.B.
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
relang beschäftigt. Doch das ist alles kein Vergleich zu dem, was jetzt<br />
vorherrschend ist. Das große Thema: Hartz IV. – Ein weiteres Thema<br />
ist die Pflegeversicherung. Wenn jemand zum Beispiel ein bestimmtes<br />
Medikament benötigt und die Krankenkasse nicht zahlen will, weil es<br />
ihrer Meinung nach zu teuer ist, kann der Patient hier klagen.<br />
Wir haben hier auch kuriose Fälle:<br />
Wenn jemand auf dem Weg zur Arbeit<br />
einen Unfall hat, aber er war noch<br />
schnell beim Bäcker, um ein Brot zu<br />
kaufen, und hatte dort einen Unfall,<br />
betrifft das dann auch die Berufsgenossenschaft?<br />
sf: Welche Erfahrungen machen Sie als<br />
Richter mit der Hartz-IV-Sozialreform?<br />
M.K.: Hartz IV war eine sehr große<br />
Sozialreform, weil zwei Systeme<br />
zusammengelegt wurden und praktisch<br />
die Verwaltung im Zusammenhang mit<br />
Massenarbeitslosigkeit ganz neu aufgebaut<br />
wurde. Damit sollte auch ein<br />
System der Leistung aufgebaut werden.<br />
Deshalb ist es auch eine Reform mit<br />
erheblichen Auswirkungen, immerhin<br />
sind in Deutschland sieben Millionen<br />
Menschen Bezieher von Hartz-IV-Lei-<br />
Sozialrichter Michael Kanert<br />
stungen, allein in Berlin ist es jeder vierte oder fünfte Erwachsene.<br />
Hier bei uns geht es ja nicht um die politische Bewertung von<br />
Hartz IV. Die steht nicht zur Überprüfung im Gerichtssaal. Auch wenn<br />
anfangs einige Leistungsbezieher der Meinung waren, das Gericht<br />
müsse jetzt alle Entscheidungen der Sozialreform aufheben, so ist die<br />
politische Bewertung in einer Demokratie Sache des Parlaments. Die<br />
Regeln zu machen, ist Aufgabe des Parlaments und die Regeln einzuhalten,<br />
ist eine Sache der Gerichte. Bei genau dieser gesetzlichen<br />
Umsetzung passieren enorm viele Fehler. Fast jede zweite Entscheidung<br />
der JobCenter müssen wir beanstanden. Diese enorm hohe Zahl<br />
an Gerichtsverhandlungen hatten wir einfach nicht erwartet.<br />
sf: Wie hoch etwa ist die Anzahl der Klagen?<br />
M.K.: Im Vergleich zu den ersten Jahren hat sich die Anzahl der Klagen<br />
verdreifacht und die Tendenz geht nicht nach unten, sondern weiterhin<br />
nach oben. Die Menschen kommen mit einer konkreten Entscheidung<br />
der Behörde zu uns und sagen: „Diese Entscheidung ist falsch.“ Darunter<br />
sind teilweise schwierige Berechnungsfragen; in den JobCentern<br />
arbeiten zum Teil Menschen, die erst vor kurzem durch einen Zeitarbeitsvertrag<br />
an diese komplizierte Materie geraten sind. Sie sind oft<br />
auch vom Computerprogramm überfordert, das bei schwierigen Berechnungen<br />
durch Umgehungslösungen ausgetrickst werden muss. So kommt<br />
es häufig vor, dass die Richter während der Verhandlung die eigentliche<br />
Sachbearbeitung und Berechnung machen müssen.<br />
sf: Wie viele der 2008 eingereichten Klagen konnten abschließend verhandelt<br />
werden?<br />
M.K.: Es wurden in Berlin im vergangenen Jahr etwa 30.000 Klagen<br />
eingereicht, davon waren etwa 20.000 Hartz-IV-Fälle. Über etwa 16.000<br />
Fälle im Bereich Hartz IV konnten wir noch nicht entscheiden, obwohl<br />
die Anzahl der Hartz-IV-Richter verzehnfacht worden ist. Es werden<br />
auch noch vierzig neue Stellen geschaffen, aber bis dahin werden Richter<br />
aus anderen Bereichen, wie zum Beispiel der Rentenversicherung,<br />
abgezogen. Das bedeutet, dass jetzt auch Kläger aus anderen Bereichen<br />
länger auf ihr Gerichtsverfahren warten müssen. Allerdings schaffen wir<br />
es in existenziellen Notfällen innerhalb von wenigen Tagen zu entscheiden.<br />
In den übrigen Fällen dauert es auch bei Hartz IV inzwischen über<br />
Nachgefragt<br />
39<br />
ein Jahr und bei komplizierten Rentenfällen kann es auch schon mal bis<br />
zu drei Jahren dauern, bis das Verfahren abgeschlossen werden kann.<br />
Das ist natürlich deutlich zu lang.<br />
sf: Inwiefern liegt die Überlastung bei den JobCentern?<br />
Foto: Dinah<br />
M.K.: Hartz IV hat einen enormen<br />
Verwaltungsaufwand hervorgebracht.<br />
Allein in Berlin sind es zwei Millionen<br />
Bescheide, die jährlich verschickt<br />
werden; bundesweit sind es über siebzehn<br />
Millionen Bescheide. Diese stellen<br />
jährlich einen ungeheuren Verwaltungsakt<br />
dar. Ursprüngliches Ziel der<br />
Reform war ja eine Vereinfachung des<br />
Verwaltungsaufwandes und die schnelle<br />
Rückführung des Arbeitslosen auf den<br />
ersten Arbeitsmarkt. Noch komplizierter<br />
ist die Berechnung von Leistungsbeziehern,<br />
die Leistung zusätzlich zu<br />
ihrem Gehalt auf dem ersten Arbeitsmarkt<br />
beziehen.<br />
sf: Aber Hartz IV hat ja genau das<br />
Gegenteil hervorgebracht...<br />
M.K.: Erst einmal muss man sich fragen:<br />
Gibt es überhaupt genug Stellen für alle Leistungsbezieher? Die andere<br />
Frage ist: Ist denn eine praktischen Umsetzung dieses Ziels möglich?<br />
Das ist natürlich ein Ziel, das der Staat erreichen will, doch die bisherigen<br />
Behörden konnten das nicht. Sie waren falsch strukturiert. Ziel<br />
war, dass alle Leistungen aus einer Hand kommen. Doch jetzt sind es<br />
mehr Hände geworden als vorher und in der derzeitigen Struktur ist es<br />
sogar verfassungswidrig. Niemand – weder Bund, noch die Kommunen<br />
– können eine klare Verantwortung übernehmen. Das Verfassungsgericht<br />
hat aus diesem Grund entschieden, dass bis 2010 diese Situation<br />
geklärt werden muss.<br />
sf: Sehr viele Bescheide sind falsch, aber die Leistungsempfänger klagen<br />
nicht, sondern winken bei Minimalbeträgen ab.<br />
M.K.: Das können wir hier nicht sagen, aber die Behörde sagt uns, dass<br />
es etwa ein Prozent sind, die klagen. Natürlich können wir nicht sagen,<br />
Die Zeitung auf’s Ohr!<br />
strassen|feger radio<br />
Jeden Mittwoch um 20:00 Uhr.<br />
im Offenen Kanal Berlin auf 92,6 MHz im Berliner Kabelnetz<br />
und 97,2 MHz über Antenne<br />
oder www.okb.de (livestream)
40<br />
Nachgefragt<br />
dass die übrigen 99 Prozent richtig sind; wir können aber auch nicht<br />
sagen, dass von den restlichen Bescheiden jeder zweite falsch ist.<br />
sf: Wie oft endet ein Verfahren positiv für den Kläger?<br />
M.K.: Jedes zweite Verfahren geht zu Gunsten des Klägers aus, wobei<br />
man sagen muss, dass 85 Prozent aller Verfahren ohne Urteil verhandelt<br />
werden. Zum einen passiert es durchaus, dass der Kläger sagt:<br />
„Das hätte man mir nur richtig erklären müssen.“ Jetzt weiß der<br />
Kläger, dass er keinen Anspruch vor Gericht hatte, den er durchsetzen<br />
wollte. Dann nimmt er die Klage zurück. Zum anderen passiert es<br />
auch, dass die Behörde sagt: Ja, wir haben hier einen Fehler gemacht“<br />
und ihre Entscheidung korrigiert. So kommt das Endergebnis von etwa<br />
Halb und Halb zustande.<br />
sf: Stimmt es, dass in Zukunft bei einer Klageeinreichung ein Pauschalbetrag<br />
von 10 Euro gezahlt werden soll?<br />
M.K.: Das ist eine der Ideen, die in der politischen Welt kursieren.<br />
Aber das ist im Moment kein Gesetz, auch wenn es Politiker gibt,<br />
die es für richtig hielten. Doch diese haben so ein bestimmtes Bild<br />
von den potenziellen Klägern im Kopf – nämlich dass das Recht auf<br />
kostenlose Rechtsentscheide missbraucht würde. Wir können das aber<br />
nicht bestätigen. Denn wenn jeder Zweite, der hier klagt, Erfolg hat,<br />
ist es auf jeden Fall so, dass die Kläger einen berechtigten Anlass<br />
haben. Die Kläger können, wenn sie einen Anwalt nutzen, auch Prozesskostenhilfe<br />
beantragen. Denn auch für bedürftige Menschen soll<br />
vor Gericht Chancengleichheit bestehen.<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
sf: Warum gibt es bundesweit keine einheitliche Mietobergrenze für Leistungsbezieher?<br />
M.K.: Im Gesetz steht dazu gar nichts. Da heißt es, die Kosten für die<br />
Unterkunft werden gezahlt, soweit diese Kosten angemessen sind.<br />
Das ist eine nichtssagende Formulierung. Wir Richter fordern hier<br />
eine klarere Regel, die die Politik machen muss. Dennoch wird man<br />
bundesweit keinen einheitlichen Mietpreis machen können, da die<br />
Mietpreise zu unterschiedlich sind. Da es keine übergreifende politische<br />
Entscheidung gibt, hat die Senatsverwaltung für Soziales von<br />
Berlin gesagt: „Wir lösen das Problem intern.“ So steht hier in der AV<br />
Wohnen, dass die Miete für einen Alleinstehenden bis zu 360 Euro<br />
übernommen wird; das wurde aber nun angehoben auf 378 Euro. Doch<br />
das ist eine verwaltungsinterne Entscheidung, die für die Gerichte<br />
nicht bindend ist.<br />
sf: Würde jetzt aber eine bundeseinheitliche Entscheidung getroffen,<br />
führte das doch automatisch zur Ghettoisierung?<br />
M.K.: Genau diese Frage bleibt eine politische Frage, denn es ist eine<br />
grundlegende Regel des Sozialstaats, dass politische Fragen im Parlament<br />
entschieden werden müssen. Dieser Entscheid liegt nicht bei<br />
den Gerichten. Massenarbeitslosigkeit und Leben am Existenzminimum<br />
sind keine Verwaltungsprobleme, sondern ganz grundsätzliche<br />
und bringen Probleme mit sich, die auch nicht durch die Verwaltungsreform<br />
gelöst werden.<br />
sf: Dankeschön, dass Sie sich die Zeit genommen haben!<br />
Foto: Dinah
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Hartz IV und Tier<br />
Eine Bestandsaufnahme für Berlin<br />
Nicht nur in der Hauptstadt gibt es immer mehr Menschen, die von Leistungen<br />
wie Hartz IV oder Sozialhilfe ihren Alltag bestreiten müssen.<br />
Auch Menschen, die trotz Rente oder Job unter dem Armutsniveau<br />
in Deutschland leben, haben mitunter Schwierigkeiten, sich adäquat<br />
selbst zu versorgen. Nicht wenige Menschen leben außerdem gänzlich<br />
ohne regelmäßiges Einkommen auf der Straße.<br />
Ein geringes Einkommen reicht häufig nicht aus, um den monatlichen<br />
Bedarf an Nahrungsmitteln, laufenden Kosten wie die Telefonrechnung<br />
oder Sonderausgaben, die mitunter überraschend anfallen, zu<br />
decken. Besonders schwierig wird’s, wenn neben Mensch noch Hund,<br />
Katze oder Meerschweinchen versorgt werden wollen. Wer arm ist, der<br />
ist nicht selten einsam. Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der<br />
fast alles seinen Preis hat, und auch wenn es Sozialtickets oder Ermäßigungsprogramme<br />
gibt – das Geld bleibt knapp und das macht eine<br />
Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben nicht leichter. Ein Haustier<br />
kann helfen, aus der unfreiwilligen Einsamkeit auszubrechen.<br />
Nur: Hohe Arbeitslosenzahlen, die Einführung von Hartz IV und der<br />
unaufhaltsame Anstieg der Lebenshaltungskosten bringen immer<br />
mehr Haustierbesitzer in ein Dilemma: Das geliebte Haustier behalten<br />
und noch mehr Entbehrungen auf sich nehmen oder das Tier in<br />
ein Heim oder zu einem neuen Besitzer geben und selbst unglücklich<br />
sein? Tatsache ist, dass Hartz IV keine Zusatzleistungen für Tiere<br />
beinhaltet. Futtergeld oder die Kosten für den Tierarzt müssen von<br />
der Regelleistung bestritten werden. Das Sozialgericht Gießen hat<br />
dazu entschieden, dass „die Haltung von Haustieren ein reines Privatvergnügen“<br />
– ein Hobby, nicht mehr – ist.<br />
Konsequenz: Die bundesdeutschen Tierheime sind seit der Einführung<br />
des SGB <strong>II</strong> geradezu mit Tieren von Hartz-IV-Empfängern überschwemmt<br />
worden. Nicht desto trotz bleibt der Gesetzgeber hart und<br />
sieht sich nicht dazu veranlasst, Tierbesitzern eine Möglichkeit zu<br />
eröffnen, die es ihnen erlaubt, ihr Tier zu behalten. Immerhin: Wer<br />
einen Hund besitzt, kann über einen Antrag beim Finanzamt eine<br />
Ermäßigung der anfallenden Hundesteuer erwirken.<br />
Für Mensch gibt es Kleiderkammern, Sozialkaufhäuser und Essensausgaben,<br />
die es ihm gestatten, seine laufenden Kosten niedrig zu halten.<br />
Und was ist mit Tier? Das Problem wurde erkannt – in Berlin existieren<br />
inzwischen einige Initiativen, die Tierbesitzern unterstützend zu<br />
Seite stehen. Allen voran ist die Tiertafel zu nennen, die Ausgabestellen<br />
betreut, an denen Nahrungsmittel für Tiere ausgegeben werden, die in<br />
der Regel für drei bis vier Tage ausreichen. Darüber hinaus geben die<br />
Mitarbeiter der Tiertafel Tipps zur artgerechten und günstigen Fütterung<br />
und Haltung von Kanarienvogel und Konsorten. Eine tierärztliche<br />
Betreuung kann die Tiertafel nur in Ausnahmefällen organisieren.<br />
Wer Futter von der Tiertafel beziehen möchte, muss seine Bedürftigkeit<br />
nachweisen können - ein Bescheid über die Gewährung von Hartz<br />
IV oder Sozialhilfe oder der Rentenbescheid reicht aus. Die Ausgabestelle<br />
befindet sich in der Mörikestraße 15 in 12437 Berlin; Ausgabetag<br />
ist immer samstags zwischen 11 und 16 Uhr.<br />
Mit der tierärztlichen Versorgung von Hund und Katze ist es schwieriger:<br />
Jeder, der schon einmal mit seinem Tier zu einem Tierarzt gehen<br />
musste, weiß, dass die Kosten für Diagnose und Behandlung schnell<br />
in Bereiche gehen, die trotz aller Liebe wehtun. Tierärzte für Bedürftige<br />
sind deutschlandweit bisher Ausnahmen.<br />
Klare Worte<br />
41<br />
In Berlin ist das ähnlich: Ärzte, die sich um die Tiere von Menschen mit<br />
geringem Einkommen kümmern, ohne dafür die anfallenden Kosten zu<br />
verlangen, gibt es so gut wie gar nicht. Klik (Kontaktladen für Straßenkinder<br />
in Krisen), eine Berliner Hilfseinrichtung, arbeitet mit einer Tierärztin<br />
zusammen, die in die Einrichtung kommt und die Hunde von Straßenkindern<br />
grundversorgt. Das Projekt HundeDoc kümmert sich leider<br />
ausschließlich um die Tiere von Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />
in sozialpädagogischer Betreuung und steht demnach nicht allen offen.<br />
Dennoch: Ratenzahlungen sind möglich. Einige Tierärzte bieten diesen<br />
Weg der Tilgung der Behandlungskosten an.<br />
Hartz IV und Tier – keine einfache Kombination. Doch die Chancen,<br />
dass sich in Zukunft Selbsthilfeinitiativen gründen, die Menschen<br />
mit Haustieren in Notsituationen helfen, sind da. Trotzdem gilt: Sich<br />
ein Haustier anzuschaffen, sollte nicht ad hoc entschieden werden,<br />
besonders nicht, wenn man es sich eigentlich nicht leisten kann.<br />
Weder Mensch noch Tier wird damit ein Gefallen getan.<br />
Mandy<br />
Weitere Infos:<br />
www.tiertafel.de – Alle Informationen rund um die Tiertafel, ihre Leistungen<br />
und die deutschlandweiten Ausgabestellen.<br />
www.arbeitslosenselbsthilfe.org – Umfangreiches Forum zu vielen Problemen<br />
rund um Hartz IV, unter anderem auch zu Hundesteuer bei Hartz IV.<br />
http://www.klik-berlin.de/hundedoc.html – Überblick über die Arbeit des HundeDocs<br />
und die Bedingungen, die für eine kostenlose Behandlung erfüllt sein<br />
müssen.<br />
Foto: K.B.
Ausgangspunkte unserer Arbeit<br />
Der Anlass zur Gründung unseres Vereins<br />
besteht nach wie vor: Die anhaltende Armut<br />
signifikanter Teile der Bevölkerung, die sich<br />
in ihrer krassesten Form in der Wohnungslosigkeit<br />
zeigt. Trotz anderslautender Beteuerungen<br />
der Wohnungswirtschaft und von<br />
Teilen der Politik ist das Problem der akuten<br />
Wohnungsnot weiterhin gravierend. So<br />
sind in Berlin derzeit circa 7.000 bis 10.000<br />
Personen ohne festen Wohnsitz. Sie leben in<br />
Heimen und Notunterkünften, ungesicherten<br />
Wohnverhältnissen oder halten sich auf der<br />
Straße auf. Seit 2004 steigt die Zahl der wohnungslosen<br />
Menschen in Berlin wieder an.<br />
Um diesen Personenkreis bei der Aufrechterhaltung<br />
eines menschenwürdigen Daseins<br />
und bei der Entwicklung eigener Perspek-<br />
Ziele und Angebote<br />
„Ziel des Vereins ist die Verbesserung der<br />
Lebensumstände von gesellschaftlich Benachteiligten<br />
und Ausgegrenzten, insbesondere<br />
Obdachlose bzw. von Obdachlosigkeit bedrohte<br />
Menschen. Ihnen soll ermöglicht werden, sich<br />
für ihre eigenen Belange und Interessen einzusetzen,<br />
eigenverantwortlich Initiativen und<br />
Projekte aufzubauen und durchzuführen und<br />
so selbst eine Veränderung und Verbesserung<br />
strassen|feger<br />
mob – obdachlose machen mobil e. V.<br />
tiven zu unterstützen,<br />
unterhält mob – obdachlose<br />
machen mobil e. V.<br />
in Berlin-Prenzlauer Berg<br />
verschiedene spezifische<br />
Projekte. Sie verfolgen in<br />
Organisation und Ausführung<br />
den Gedanken der<br />
Selbsthilfe, was bedeutet,<br />
dass die eigene Aktivität<br />
der Menschen besonders<br />
betont wird. Unter dem<br />
Dach des Vereins können<br />
sich die mitwirkenden<br />
Nutzer mit eigenen Projekten<br />
ansiedeln – bis hin<br />
zum Ausbau einer eigenen<br />
Wohnung.<br />
ihrer Lebenslage herbeizuführen.“ (aus § 2 der<br />
Satzung von mob e. V.)<br />
Im Laufe der Jahre entwickelten wir folgende,<br />
für die Selbsthilfe von wohnungslosen und<br />
armen Menschen typische Arbeitsformen und<br />
Angebote:<br />
• die Straßenzeitung strassenfeger<br />
• der Selbsthilfetreffpunkt Kaffee Bankrott<br />
Notübernachtung<br />
Unsere ganzjährige Notübernachtung<br />
in der Prenzlauer Allee 87 ist entstanden,<br />
weil wir den Verkäuferinnen<br />
und Verkäufern der Straßenzeitung,<br />
die akut wohnungslos sind, einen<br />
Übernachtungsplatz anbieten wollen.<br />
Dieses Angebot ist aber grundsätzlich<br />
offen für alle, die einen Schlafplatz<br />
benötigen. Der Aufenthalt ist auf acht<br />
Wochen begrenzt, in Ausnahmefällen<br />
ist eine Verlängerung möglich.<br />
Die Notübernachtung bietet zehn<br />
Männern und sieben Frauen in<br />
getrennten Räumen Schlafplätze an.<br />
Hunde können nach Absprache mitgebracht<br />
werden. Im Winter können<br />
zur Not bis zu vier zusätzliche Betten<br />
• die Notübernachtung<br />
• das Selbsthilfehaus in der Oderberger Straße 12<br />
• das Projekt TrödelPoint<br />
Die Internetseite www.strassenfeger.org dient<br />
der Kommunikation mit der interessierten<br />
Öffentlichkeit und macht Vereinsarbeit für ein<br />
breites Publikum transparent. In regelmäßigen<br />
Abständen wird ein Newsletter herausgegeben.<br />
für eine Nacht aufgebaut werden; wir möchten<br />
niemanden wegschicken. Weil der Verein<br />
mob e. V. sein Notübernachtungsangebot ohne<br />
staatliche Förderung und allein aufgrund eigener<br />
Initiative betreibt, erheben wir von allen<br />
Schläfern einen Unkostenbeitrag in Höhe von<br />
1,50 Euro pro Nacht.<br />
Dafür bieten wir Folgendes an:<br />
• Wasch-/Duschmöglichkeiten (gratis Duschgel,<br />
Shampoo, Rasierzeug, Cremes, usw.)<br />
• Wäschewaschen / Trocknen<br />
• Nutzung der Kleiderkammer<br />
• Kostenloses Internet<br />
• Tagesangebote des Treffpunktes<br />
„Kaffee Bankrott“<br />
• Beratung und Unterstützung bei Behörden<br />
• Hilfe bei der Wohnraumsuche
strassenfeger – die Straßenzeitung<br />
(ISSN 1437 – 1928)<br />
Was tun, wenn das Geld knapp ist? Vielleicht<br />
den strassenfeger verkaufen?<br />
Der strassenfeger ist von Anfang an eine Zeitung<br />
gewesen, die allen offen stand, die mitmachen<br />
wollten. Deswegen ist die Verkäuferschaft<br />
auch bunt gemischt und international.<br />
Es sind Menschen dabei, die auf der Straße<br />
leben, süchtig sind und sonst kein anderes<br />
Einkommen haben. Andere leben in Einrichtungen<br />
der Wohnungslosenhilfe, wieder andere<br />
waren einmal wohnungslos und leben jetzt<br />
mit Alg <strong>II</strong> in einer eigenen Wohnung. Wieder<br />
andere sind einfach nur arm und lange arbeitslos<br />
und wollen die Zeit bis zum nächsten Geld<br />
vom JobCenter überbrücken.<br />
Es gibt Verkäufer, die täglich mehrere Stunden<br />
verkaufen, dann wieder andere, die es<br />
sporadisch und bei Bedarf tun. Es gibt hier<br />
keine Festlegungen und keine Mindestverkaufsmengen.<br />
Jeder Verkäufer, jede Verkäuferin<br />
kann selbst entscheiden, wo und wann<br />
er oder sie den strassenfeger anbietet.<br />
Warum also nicht? Die Stadt ist groß und wer<br />
sich nicht gleich der eigenen Nachbarschaft als<br />
armer Mensch zu erkennen geben will, kann<br />
in einen anderen Stadtteil fahren. Natürlich<br />
braucht es ein wenig Übung, einen guten Verkaufsstandort<br />
zu finden, und auch Geduld, bis<br />
ein Stammplatz daraus geworden ist.<br />
Was also ist zu tun, um Verkäufer oder Verkäuferin<br />
zu werden?<br />
Die Anmeldung erfolgt im Treffpunkt Kaffee<br />
Bankrott in der Prenzlauer Allee 87 in 10405<br />
Berlin (nähe S-Bahnhof Prenzlauer Allee) an<br />
der Theke. Das Kaffee ist täglich, auch am<br />
Wochenende, zwischen 8 und 20 Uhr geöffnet.<br />
Ein Ausweis ist hilfreich, aber nicht zwingend<br />
erforderlich. Wichtig ist, die Verkäuferselbstverpflichtung<br />
zu lesen, zu verstehen und zu<br />
akzeptieren. Dann stellen wir einen Verkäuferausweis<br />
aus und geben die ersten fünf Zeitungen<br />
gratis aus – sozusagen als Starthilfe.<br />
Von dann an sind die weiteren Zeitungen für<br />
den Betrag von 60 Cent bei den Ausgabestellen<br />
zu erwerben und können für 1,50 Euro<br />
in Berlin / Brandenburg verkauft werden. Pro<br />
verkaufte Zeitung bleiben 90 Cent für den/die<br />
Verkäufer/in.<br />
Der Treffpunkt Kaffee Bankrott ist nicht die<br />
einzige Zeitungsausgabestelle. Weitere Zeitungsausgabestellen<br />
sind ein Wohnanhänger<br />
am Bahnhof Zoo in der Jebensstraße und ein<br />
Wohnanhänger am Ostbahnhof. Er steht direkt<br />
am Herman-Stöhr-Platz in der Koppenstraße,<br />
zwischen dem Kaufhof und dem Ostbahnhof.<br />
Der strassenfeger erscheint vierzehntäglich<br />
montags mit 26 Ausgaben pro Jahr und<br />
erreicht eine durchschnittliche verkaufte<br />
Die Notübernachtung ist täglich geöffnet. Einlasszeiten<br />
sind von 17 bis 23 Uhr. Bis 10 Uhr<br />
des darauffolgenden Tages muss die Notübernachtung<br />
wieder verlassen werden. Für Anmeldungen<br />
oder Beratung stehen die Mitarbeiter<br />
der Notübernachtung gerne zur Verfügung.<br />
In unserer Notübernachtung gilt eine Hausordnung,<br />
die von den Schläfern zu beachten<br />
ist. Zu den Regeln gehören:<br />
• keine Gewaltanwendung und keine Gewaltandrohung<br />
• keine sexuelle Belästigung<br />
• kein Drogen- & Alkoholkonsum oder -besitz<br />
in unseren Räumen<br />
• das Rauchen in den Betten ist strengstens<br />
verboten<br />
• ab 24 Uhr ist Nachtruhe<br />
Auflage von 21.000 Exemplaren. Insgesamt<br />
sind es gegenwärtig rund 250 Personen, die<br />
den strassenfeger allein in Berlin und Umgebung<br />
ständig verkaufen.<br />
Redaktion<br />
Die Redaktionssitzung des strassenfeger ist<br />
immer dienstags zwischen 17.00 und 19.00<br />
Uhr in der Prenzlauer Allee 87 in 10405<br />
Berlin. Bei den öffentlichen Sitzungen, zu<br />
denen jeder kommen kann, werden die Texte<br />
für die nächste Ausgabe besprochen und die<br />
Themen und Beiträge für die folgenden Ausgaben<br />
festgelegt. Aber auch außerhalb der<br />
wöchentlichen Redaktionssitzungen können<br />
Artikel und Beiträge eingereicht werden. Bei<br />
der Auswahl der Texte werden Artikel von VerkäuferInnen<br />
bevorzugt berücksichtigt. Wer<br />
keine Erfahrung im Verfassen von Texten hat,<br />
kann von der Redaktion Unterstützung und<br />
Beratung beim Schreiben erfahren. Auch hilft<br />
die Redaktion im Umgang mit Computern.<br />
Der strassenfeger nimmt entschieden Partei<br />
für Arme, Arbeitslose, Ausgegrenzte, Süchtige<br />
und Wohnungslose. Die Zeitung kann das<br />
tun, weil sie und der Verein mob e. V., der den<br />
strassenfeger herausgibt, unabhängig sind<br />
von staatlicher Förderung und Finanzierung.<br />
Der Verein trägt sich selbst aus den Einnahmen<br />
der Zeitung und der anderen Projekte,<br />
aus Sach- und Geldspenden und öffentlich<br />
geförderten Arbeitsprojekten.<br />
Fotos: Andreas Düllick (3), cs (2)
Treffpunkt Kaffee Bankrott<br />
In der Prenzlauer Allee 87 betreibt der Verein<br />
mob e. V. einen offenen Treffpunkt für VerkäuferInnen,<br />
Vereinsmitglieder, MitarbeiterInnen<br />
und AnwohnerInnen. Auch Hunde können mitgebracht<br />
werden. Der Treffpunkt ist barrierefrei<br />
erreichbar und bietet eine behindertengerechte<br />
Toilette. Der Treffpunkt ist ganzjährig<br />
täglich zwischen 8 und 20 Uhr geöffnet. Zu<br />
den Angeboten des Treffpunktes gehören:<br />
• Soziale Kontakte und Selbsthilfe<br />
• kostenloses Surfen im Internet<br />
Selbsthilfehaus<br />
Oderberger Straße 12<br />
Eine Wohnung ist nicht alles – aber ohne Wohnung<br />
ist alles nichts. Aus diesem Grund ist das<br />
Selbsthilfehaus in der Oderberger Straße 12<br />
ein wesentlicher Bestandteil zur Bekämpfung<br />
der aktuellen Wohnungsnot in der Stadt. Da<br />
die aktuelle Wohnungsnot ursächlich auf den<br />
strukturellen Mangel an preiswertem Wohnraum<br />
zurückzuführen ist und sich die öffentliche<br />
Hand aus der Wohnungsbauförderung<br />
zurückgezogen hat, ist Selbsthilfe an dieser<br />
Stelle dringend erforderlich.<br />
Im Zeitraum 1999 bis 2003 hat mob e. V. im<br />
Rahmen des Landesprogramms Wohnungspolitische<br />
Selbsthilfe ein Wohnhaus aus der Gründerzeit<br />
(Vorderhaus und Quergebäude) unter<br />
Mitarbeit von ehemals Wohnungslosen unter<br />
fachlicher Anleitung in Eigeninitiative instandgesetzt<br />
und modernisiert. Es entstanden dort<br />
18 Wohneinheiten und zwei Gewerbeeinheiten.<br />
EDV – Abteilung<br />
Computer- und Internetzugang sind inzwischen<br />
zu einem unentbehrlichen Arbeitsmittel<br />
geworden. In allen Projekten sind mehrere<br />
Rechner im Einsatz. Dazu kommen die öffentlich<br />
zugänglichen Computer im Treffpunkt<br />
• Gelegenheit zum Aufenthalt und zum Aufwärmen<br />
• Preiswertes Frühstück und Mittagsessen<br />
sowie Kaffee, Tee und weitere Getränke<br />
• Veranstaltungen und Ausstellungen<br />
• Allgemeine Sozialberatung immer dienstags<br />
zwischen 14 und 17 Uhr<br />
• Allgemeine Rechtsberatung durch eine<br />
Anwältin immer montags zwischen 11 und<br />
15 Uhr (außer in den Schulferien und an<br />
Feiertagen)<br />
Damit ist erstmalig in Berlin ein Projekt der<br />
Selbsthilfe von wohnungslosen und armen<br />
Menschen in der Lage, in eigenen Häusern<br />
dauerhaft preisgünstigen Wohnraum anzubieten.<br />
Das Beispiel Oderberger Str. 12 zeigt:<br />
Es ist möglich, zusammen mit Wohnungslo-<br />
Kaffee Bankrott. Die Aufgabe der EDV-Abteilung<br />
besteht darin, die Arbeitsfähigkeit (Wartung<br />
und Instandsetzung) der Computertechnik<br />
zu gewährleisten (einschließlich Drucker,<br />
Server, Datensicherheit usw.).<br />
mob e. V. betreibt den Treffpunkt<br />
Kaffee Bankrott ohne<br />
staatliche Unterstützung nur<br />
durch ehrenamtliche Mitarbeit<br />
und Spenden durch<br />
die Bevölkerung. Weil wir<br />
alle Angebote unseres Treffpunkts<br />
aus eigenen Mitteln<br />
bestreiten müssen, erwarten<br />
wir für einige unserer Leistungen<br />
in der Regel eine<br />
Kostenbeteiligung in Form<br />
einer Spende. Im Rahmen<br />
unserer Möglichkeiten als<br />
Selbsthilfeprojekt verstehen<br />
wir unseren Treffpunkt<br />
Kaffee Bankrott auch als<br />
Anlaufstelle bei akuten Krisen und Problemfällen.<br />
Soweit es unsere Möglichkeiten zulassen,<br />
wollen wir Hilfe zur Selbsthilfe anbieten.<br />
Damit ist grundsätzlich unser Treffpunkt offen<br />
für alle, die zu uns kommen.<br />
Um dies zu gewährleisten, gelten folgende<br />
Regeln:<br />
• keine Gewaltandrohung und -anwendung<br />
• keine sexuelle Belästigung<br />
• kein Drogenkonsum in unseren Räumen<br />
sen ein sehr ehrgeiziges<br />
Sanierungsvorhaben<br />
fach- und zeitgerecht<br />
abzuschließen. Auf dieser<br />
Grundlage kann<br />
nun der zweite Schritt<br />
erfolgen, sich innovativ<br />
in die bestehende<br />
Nachbarschaft einzubringen.<br />
Der Verein hat einen<br />
engen Kontakt zu allen<br />
Mieterinnen und Mietern.<br />
In den seltenen<br />
Fällen, in denen eine Wohnung frei wird, wird<br />
diese bevorzugt an Wohnungslose oder Personen<br />
in schwierigen Wohnverhältnissen oder an<br />
Menschen mit Wohnungsberechtigungsschein<br />
(WBS) vergeben.<br />
Im Rahmen ihrer Möglichkeiten bietet die EDV-<br />
Abteilung auch an, gebrauchte Computer mit<br />
Zubehör an bedürftige Menschen abzugeben<br />
und bei technischen Problemen zu helfen.
TrödelPoint: Gebrauchtwaren und Wohnungseinrichtungen<br />
Der TrödelPoint hilft wohnungslosen Menschen,<br />
die wieder eine Wohnung erhalten,<br />
bei der Einrichtung der Wohnung mit Möbeln,<br />
Haushalts- und Gebrausgegenständen. Dabei<br />
nehmen wir auch Kostenübernahmescheine<br />
vom Sozialamt entgegen. Der TrödelPoint<br />
unterstützt Bürgerinnen und Bürger im Raum<br />
Berlin und Brandenburg, die Möbel oder Hausrat<br />
nicht mehr brauchen, im Keller lagern und<br />
Mitarbeit<br />
Mitarbeiten bei mob e. V. kann grundsätzlich<br />
jede und jeder. Dennoch sind Vollzeitarbeitsplätze<br />
bei uns die Ausnahme. Wir bieten folgende<br />
Möglichkeiten der Mitarbeit an:<br />
• ehrenamtliche Tätigkeit<br />
• „Arbeit statt Strafe“/Freie Tätigkeit (AsS)<br />
• Mehraufwandentschädigungs-Jobs (MAE,<br />
sogenannte 1-Euro-Jobs)<br />
• weitere geförderte Arbeitsmöglichkeiten<br />
in Kooperation mit dem Arbeitslosenamt,<br />
dem JobCenter oder dem Sozialamt nach<br />
individueller Absprache.<br />
Spenden / Unterstützung<br />
mob – obdachlose machen mobil e. V. „will allgemein<br />
auf das Problem der Wohnungslosigkeit<br />
und Wohnungsnot aufmerksam machen,<br />
in sozialer, kultureller und politischer Hinsicht<br />
aufklärend auf die Bevölkerung einwirken<br />
und eine konstruktive Zusammenarbeit<br />
zwischen Wohnungslosen und Nicht-Wohnungslosen<br />
ermöglichen, unterstützen und<br />
kritisch begleiten.“ (aus § 2 der Satzung)<br />
mob – obdachlose machen mobil e. V. „verfolgt<br />
ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige<br />
für eine sinnvolle Weiterverwendung an uns<br />
abgeben wollen. Wir holen die Angebote ab<br />
und vereinbaren dazu gerne einen Termin.<br />
Dieses Konzept entlastet die Umwelt. Gebrauchsgegenstände,<br />
für die es noch Verwendung<br />
gibt, werden von uns abgeholt,<br />
gegebenenfalls gereinigt, repariert und an<br />
Bedürftige weitergegeben. Damit ist unser<br />
bzw. mildtätige Zwecke im Sinne des Abschnitts<br />
‚Steuerbegünstigte Zwecke’ der Abgabenordnung.<br />
Der Verein ist selbstlos tätig, er verfolgt<br />
nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche<br />
Zwecke.“ (aus § 3 der Satzung)<br />
Um die Ziele umzusetzen und die entsprechenden<br />
Projekte entwickeln und<br />
unterhalten zu können, ist der Verein auf<br />
vielfältige Unterstützung angewiesen: die<br />
ehrenamtliche Mitarbeit, Sachspenden für<br />
den TrödelPoint oder für die laufende Arbeit,<br />
Projekt umwelt- und ressourcenschonend.<br />
Das Projekt schafft Beschäftigung. Menschen,<br />
öffentlich geförderte Beschäftigungen<br />
mit Mehraufwandsentschädigungen (MAE),<br />
also sogenannte 1-Euro-Jobs oder freie Tätigkeit<br />
(Arbeit statt Strafe) leisten, können ihre<br />
Fähigkeiten und Fertigkeiten im TrödelPoint<br />
einbringen. Auch andere Möglichkeiten der<br />
Förderung ind möglich.<br />
Praktikum<br />
Berufsvorbereitendes Praktikum, Schülerpraktikum<br />
Praktika sind grundsätzlich in allen Projekten<br />
des Vereins möglich. Beispielsweise in<br />
den Bereichen<br />
• Redaktion & Layout<br />
• Notübernachtung<br />
• Treffpunkt Kaffee Bankrott<br />
• Projekt TrödelPoint<br />
• Verwaltung, Buchhaltung<br />
• EDV-Abteilung<br />
Kontakt und Adressen<br />
Unsere Telefonnummern und Adressen<br />
finden Sie auf Seite 51 (Impressum).<br />
Geldspenden für die Notübernachtung („Ein<br />
Dach über dem Kopf“) oder für laufende<br />
Ausbauvorhaben. Möglich sind aber auch<br />
Benefiz-Events und andere denkbare Formen<br />
der Zusammenarbeit zum gegenseitigen<br />
Vorteil.<br />
Spendenbescheinigungen stellen wir auf<br />
Wunsch gerne aus.<br />
Bankverbindung:<br />
Kto.-Nr.: 328 38 00<br />
BLZ 100 205 00<br />
Bank für Sozialwirtschaft<br />
Fotos: Andreas Düllick (1), cs (3), David Vogel (1), Borja Bretzke (1)
46<br />
Nachgefragt<br />
Mit dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit sprachen Andreas<br />
Düllick und Torsten Scharmann.<br />
strassenfeger: Wie will die BA die neuen Herausforderungen bewältigen,<br />
die sich aus der Weltwirtschaftskrise und der damit verbundenen steigenden<br />
Zahl der Arbeitslosen im Bereich <strong>ALG</strong> I bzw. <strong>ALG</strong> <strong>II</strong> bewältigen?<br />
Heinrich Alt: Wir konzentrieren uns mit ganzer Kraft auf unsere Arbeit.<br />
Wir sind in der Verantwortung, unseren Kunden das Gefühl zu vermitteln,<br />
dass wir ihnen in dieser Zeit zur Seite stehen und Unterstützung<br />
geben können. Natürlich bedeutet dies für die Kolleginnen und Kollegen<br />
in den Arbeitsagenturen und den Trägern der Grundsicherung vor<br />
Ort eine hohe Arbeitsbelastung, aber ich persönlich erlebe die Kollegen<br />
sehr engagiert und motiviert. Außerdem wurden der Bundesagentur im<br />
Rahmen des Konjunkturpaketes <strong>II</strong> zusätzlich 5.000 Vermittlerstellen zur<br />
Verfügung gestellt. Wir werden die Zeit der Krise unter anderem dazu<br />
nutzen, um Arbeitsuchende zu qualifizieren. Nach der Krise sollten wir<br />
wettbewerbsfähiger sein als vor der Krise.<br />
sf: Statistiken zur Arbeitslosigkeit beruhen auf Parametern, denen Ihre<br />
Institution Folge zu leisten hat. Offiziell gelten heute nur dreieinhalb<br />
Millionen Menschen als arbeitslos. Nach konkurrierenden Untersuchungen<br />
werden zurzeit für Deutschland zwischen sieben und achteinhalb<br />
Millionen Personen angenommen, die sich selbst als arbeitslos bezeichnen.<br />
Werden von der Bundesagentur Untersuchungen in dieser Richtung<br />
erhoben? Wenn ja: Zu welchem Ergebnis gelangen sie?<br />
H. A.: Deutschland hat immer noch die ehrlichste und transparenteste<br />
Arbeitslosenstatistik in Europa, wenn nicht gar weltweit. Gemessen<br />
an den international üblichen Definitionen der EU und der ILO [Anmerkung:<br />
ILO = International Labour Organization] sind die Arbeitslosenzahlen<br />
der BA rund 10 Prozent überzeichnet. Arbeitsuchende, die<br />
sich in Qualifizierungsmaßnahmen befinden oder im zweiten Arbeitsmarkt<br />
beschäftigt sind, gelten nach der offiziellen Statistik nicht als<br />
arbeitslos, werden von uns aber gesondert ausgewiesen. Derzeit sind<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Fragen des strassenfeger an den Vorstand Grundsicherung<br />
der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt<br />
Heinrich Alt, Mitglied<br />
des Vorstandes der Bundesagentur<br />
für Arbeit<br />
(Quelle/Foto: bundesagentur.de)<br />
dies fast eine Million Menschen. Unser Institut für Arbeitsmarkt- und<br />
Berufsforschung (IAB) weist regelmäßig Daten zur tatsächlichen Unterbeschäftigung<br />
in Deutschland aus. Darin enthalten sind neben den<br />
Personen in Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik auch Menschen, die<br />
sich aus den verschiedensten Gründen vom Arbeitsmarkt zurückgezogen<br />
haben. Das IAB schätzt diese Zahl auf rund eine halbe Million<br />
Menschen. Wir gehen also davon aus, dass in Deutschland aktuell<br />
etwa 5 Millionen Personen auf Arbeitssuche sind.<br />
sf: 2008 gab es in Deutschland im Schnitt 3,268 Mio. Arbeitslose, 1,6<br />
Mio. weniger als 2005. Davon 2,257 Mio. im Bereich SGB <strong>II</strong> und 1,011<br />
Mio. im Bereich SGB <strong>II</strong>I. Warum gibt es gerade im Bereich <strong>ALG</strong> <strong>II</strong> so viele<br />
Menschen?<br />
H. A.: Zum einen hatten wir natürlich eine Art „Starteffekt“. Mit Einführung<br />
des SGB <strong>II</strong> im Januar 2005 haben wir unsere Arbeit in der<br />
Grundsicherung mit über 2,2 Millionen Arbeitslosen begonnen. Dies<br />
waren ehemalige Arbeitslosen- bzw. Sozialhilfeempfänger. Außerdem<br />
ist durch die Verkürzung des Arbeitslosengeld-I-Bezuges der Übergang<br />
vom Rechtskreis SGB <strong>II</strong>I in den Bereich des SGB <strong>II</strong> zeitlich verlagert<br />
geworden.<br />
Zum anderen müssen wir uns die Struktur der Arbeitslosen in den<br />
beiden Rechtskreisen genau ansehen. Im SGB <strong>II</strong>I sind größtenteils<br />
Menschen, die erst vor kurzer Zeit ihre Arbeit verloren haben oder<br />
nach der Ausbildung nicht übernommen werden konnten. Gerade während<br />
der Kündigungsphase und in der ersten Zeit der Arbeitslosigkeit<br />
sind die Vermittlungschancen besonders gut. Im SGB <strong>II</strong> haben wir<br />
zum Beispiel Langzeitarbeitslose, Menschen mit Migrationshintergrund,<br />
Jugendliche ohne Ausbildung oder auch Menschen mit vielschichtigen<br />
Lebensumständen, die eine Vermittlung erschweren. Hier<br />
wirkt gute Vermittlungsarbeit nur dann, wenn sie ganz individuell auf<br />
den Einzelnen zugeschnitten ist, angefangen von der Beratung zur<br />
persönlichen Stabilisierung, über Qualifizierung oder auch Arbeitsgelegenheiten<br />
als Brücke in den Arbeitsmarkt. Hier ist der Weg in Arbeit<br />
mit vielen kleinen Integrationsfortschritten verbunden. Wir haben<br />
aber auch im SGB <strong>II</strong> Fachkräfte, die wir zeitnah Arbeit bringen.<br />
sf: Was ist mit Menschen, die eine Maßnahme der Jobförderung (in der<br />
Regel sechs Monate bei MAE) bekommen haben bzw. mit Menschen, die<br />
eine Weiterbildung im Rahmen des SGB <strong>II</strong>/<strong>ALG</strong> <strong>II</strong> machen müssen? Fallen<br />
die aus der Arbeitslosenstatistik raus, wenn ja warum und verfälscht<br />
diese Praxis die Statistik nicht unzulässig?<br />
H. A.: Teilnehmer an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind<br />
nach dem Gesetz nicht arbeitslos. Dazu gehören unter anderem Weiterbildungs-<br />
oder Trainingsmaßnahmen oder eben auch die Arbeitsgelegenheiten.<br />
Unsere Statistiken weisen dies aber gesondert aus. Weiterbildungsangebote<br />
sollten immer als Chance und nicht als „Muss“<br />
verstanden werden.<br />
sf: Warum hat die BA in 2008 Mittel in Höhe von 843 Millionen Euro<br />
– das sind 9,7 Prozent von 7,852 Milliarden insgesamt – nicht wie vorgesehen<br />
für die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung eingesetzt?<br />
H. A.: Die von Ihnen genannten Haushaltsmittel standen 2008 nicht für<br />
die aktive Arbeitsförderung, sondern für sogenannte Pflichtleistungen zur<br />
Verfügung. Hierunter fallen zum Beispiel die Berufsausbildungsbeihilfe,<br />
der Ausbildungsbonus, Leistungen zur Förderung der Teilhabe behinderter<br />
Menschen oder die Förderung der beruflichen Selbständigkeit.
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
sf: Gibt es Erhebungen, wie viele Personen seit Einführung des SGB <strong>II</strong><br />
bisher Leistungen nach der Hartz-IV-Gesetzgebung in Anspruch genommen<br />
haben? Wie hoch ist also der „Durchlauf“?<br />
H. A.: Für den Zeitraum 2005 bis zum Ende des Jahres 2007 haben<br />
wir eine sehr detaillierte Analyse unseres Institutes für Arbeitsmarkt<br />
und Berufsforschung (IAB) vorliegen. Demnach sind wir mit Einführung<br />
von Hartz IV mit 6,1 Millionen Menschen in der neuen Grundsicherung<br />
gestartet. Innerhalb der 3 Jahre kamen weitere 5,5 Millionen<br />
Menschen hinzu, sodass bis Dezember 2007 rund 11,6 Millionen<br />
Menschen zumindest zeitweise oder auch wiederholt Unterstützung<br />
aus der Grundsicherung erhielten. Demgegenüber stehen aber auch<br />
Menschen, die in diesem Zeitraum ihre Hilfebedürftigkeit beenden<br />
konnten, zum Beispiel durch die Aufnahme einer Arbeit. Was wir dem<br />
Bericht leider entnehmen können, ist, dass es noch nicht in ausreichendem<br />
Maße gelingt, Hilfebedürftigkeit dauerhaft zu beenden. 40<br />
Prozent derjenigen, die Hartz IV bezogen haben, sind spätestens nach<br />
einem Jahr erneut auf staatliche Unterstützung angewiesen. Die Zahl<br />
bedeutet aber auch, dass es eben zu 60 Prozent gelang, Hilfebedürftigkeit<br />
längerfristig oder dauerhaft zu beenden.<br />
sf: Vertreten Sie die Auffassung, dass Vollbeschäftigung in Deutschland<br />
möglich ist? Wenn ja: Welche Bedingungen der Möglichkeit sind dafür<br />
erforderlich?<br />
H. A.: Vollbeschäftigung würde ja in der Theorie bedeuten, dass Angebot<br />
und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt ausgeglichen sind. Dies würde<br />
zunächst voraussetzen, dass alle Arbeitnehmer bedingungslos flexibel<br />
und mobil sind. Wir haben derzeit rund 300.000 offene Stellen und<br />
dies sind nur die Arbeitsplätze, die der Bundesagentur gemeldet sind.<br />
Nach unseren Hochrechnungen liegt das gesamtwirtschaftliche Stellenangebot<br />
bei 1,1 Millionen. Dies zeigt, wie schwierig es ist, sowohl<br />
einen qualitativen als auch quantitativen Ausgleich am Arbeitsmarkt<br />
zu realisieren. Wir müssen uns aber auch ehrlich die Frage stellen,<br />
wie viele Personen in Deutschland zum Beispiel durch gesundheitliche<br />
Einschränkungen, durch jahrelange Arbeitslosigkeit oder durch persönliche<br />
Lebensumstände, realistisch gesehen, nicht mehr in den ersten<br />
Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Wenn es uns gelingt, diese<br />
Menschen zu erreichen und zum Beispiel durch organisierte öffentliche<br />
Arbeit langfristig am Erwerbsleben teilhaben zu lassen, dann könnten<br />
wir einen Schritt in Richtung Vollbeschäftigung in Deutschland gehen.<br />
Die Arbeit geht uns zumindest auch in Zukunft nicht aus ...<br />
Nachgefragt<br />
47<br />
Foto: uk<br />
sf: Wenn keine Vollbeschäftigung absehbar ist: Halten Sie das Postulat<br />
von „Fördern und Fordern“ für vertretbar, sobald der zugrunde liegende<br />
Anspruch ins Leere läuft?<br />
H. A.: Ich bin und bleibe ein Verfechter des Prinzips Fördern und<br />
Fordern, wenn es konsequent und mit Augenmaß angewandt wird.<br />
Die richtige Idee liegt ja darin, dass wir in Deutschland den traditionellen<br />
Ansatz der „Umverteilung“ durch die Betonung der „Aktivierung“<br />
abgelöst haben. Es heißt nichts anderes, als dass jene, die<br />
keine Erwerbsarbeit haben, aber staatliche Unterstützung erhalten,<br />
verpflichtet sind, im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine Gegenleistung<br />
für die gewährte Hilfe zu erbringen. Dazu gehört unter anderem die<br />
Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit, wie zum Beispiel durch die<br />
Teilnahme an Weiterbildungs- oder Trainingsmaßnahmen oder auch<br />
an Arbeitsgelegenheiten. Mit einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik<br />
möchten wir die individuelle Eigenverantwortung und Eigenkompetenz<br />
stärken. Dies kann und darf nicht falsch sein. Aktivierender<br />
Staat bedeutet letztendlich Teilhabe zu organisieren, statt Menschen<br />
außerhalb der Gesellschaft zu „versorgen“.<br />
sf: Welche Auffassung vertreten Sie selbst zum Thema „bedingungsloses<br />
Grundeinkommen“? Halten Sie in diesem Zusammenhang das Argument<br />
für bedenkenswert, dass auch in Ihrer Behörde enorme Potenziale frei<br />
werden würden, die für unsere Gesellschaft an anderer Stelle dringend vonnöten<br />
sind – zum Beispiel in Bildung, Pflege und aktivem Umweltschutz?<br />
H. A.: Die Idee des „bedingungslosen Grundeinkommens“ ist bisher<br />
nicht praxistauglich.<br />
sf: Gab es und/oder gibt es Untersuchungen Ihrer Agentur, die die Auswirkungen<br />
der Alg-I- und Alg-<strong>II</strong>-Regelungen hinsichtlich der Verarmung,<br />
aber insbesondere der Altersarmut betrachten? Zu welchen Ergebnissen<br />
sind diese Untersuchungen gekommen? Halten Sie selbst es für angemessen,<br />
dass eine lebenslang angesparte Rücklage aufgrund unverschuldeter<br />
Arbeitslosigkeit weggenommen wird und damit die Altersarmut erst<br />
erzeugt – und machen diese Enteignungen volkswirtschaftlich betrachtet<br />
überhaupt Sinn?<br />
H. A.: Als Bundesagentur für Arbeit ist es unser gesetzlicher Auftrag,<br />
bei Arbeitslosigkeit Entgeltersatzleistungen zu zahlen oder im Sinne<br />
von Hartz IV gemeinsam mit den Kommunen dafür zu sorgen, dass<br />
Menschen in unserer Gesellschaft existenzsichernd leben können. Die
48<br />
Nachgefragt<br />
Bundesregierung gibt jährlich einen Armuts- und Reichtumsbericht<br />
heraus, der natürlich auch die Gründe dafür beleuchtet, warum Armut<br />
im Allgemeinen und Kinder- und Altersarmut im Speziellen zunehmen.<br />
Es ist aber Aufgabe der Politik zu bewerten, ob die aktuelle Gesetzgebung<br />
diesen Zustand eher begünstigt oder nicht.<br />
Die Arbeitslosengeld-<strong>II</strong>-Regelungen zur Anrechnung von Vermögen sind<br />
nicht neu. Diese wurden weitestgehend aus der alten Arbeitslosen- und<br />
Sozialhilfe übernommen. Grundlage hierfür ist das Prinzip, dass der<br />
Staat dann einspringt, wenn man sich aus eigenen Mitteln nicht selbst<br />
helfen kann. Dies bedeutet, dass Einkommen und Vermögen zunächst zu<br />
verbrauchen sind. Angesparte Rücklagen werden im Falle eingetretener<br />
Arbeitslosigkeit aber nicht willkürlich weggenommen. Es gibt Regelungen,<br />
wonach insbesondere Ersparnisse für die Altersvorsorge unangetastet<br />
bleiben. Außerdem gibt es einen Freibetrag in Höhe von 150<br />
Euro je Lebensalter. Am Beispiel eines Ehepaares, beide 50 Jahre alt,<br />
entspricht dies einem Vermögen von 15.000 Euro.<br />
Der beste Weg, Altersarmut zu bekämpfen, ist, für stabile und lange<br />
Erwerbsbiografien zu sorgen.<br />
sf: Die Bundesregierung und die BA setzen auf das Instrument Kurzarbeit.<br />
Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit erzeugen einen immensen Verlust<br />
an Produktivität. Wer seine regelmäßige Arbeit zehn Monate oder länger<br />
verloren hat, gilt nach verschiedenen Untersuchungen bereits als arbeitsunfähig.<br />
Ihre Partei hätte mit einem Bruchteil der heutigen großzügigen<br />
Ausgaben an das Finanzmarktkapital hier Abhilfe leisten können. – Wie<br />
denken Sie heute darüber?<br />
H. A.: Ich bin ein großer Befürworter des Instruments Kurzarbeit,<br />
denn Kurzarbeit sichert Arbeitsplätze. Kurzarbeit bedeutet für mich<br />
nicht gleichzeitig Verlust von Produktivität. Unsere derzeitigen<br />
Erfahrungen zeigen, dass Kurzarbeit lediglich zu einem durchschnittlichen<br />
Arbeitsausfall von 30 Prozent führt. Gegenüber den Unternehmen<br />
werben wir dafür, dass diese 30 Prozent für die Weiterbildung der<br />
Beschäftigten genutzt werden. Dies entlastet zum einen das Unternehmen<br />
finanziell und zum anderen erhöht dies die Beschäftigungsfähigkeit<br />
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nach der Krise gehen<br />
sie mit neu erworbenem Wissen an den Start und verbessern damit<br />
natürlich auch ihren eigenen Marktwert.<br />
sf: Sie bewerben Kurzarbeit in einer breit angelegten Kampagne. Im<br />
Rahmen des Konjunkturpakets <strong>II</strong> wurde die mögliche Bezugsdauer von<br />
sechs auf 18 Monate erhöht. Der entscheidende Vorteil aus dem Konjunkturpaket<br />
<strong>II</strong> wird den Arbeitnehmern aber vorenthalten. Die zugunsten der<br />
Arbeitnehmer rückwirkend vorgenommenen Änderungen des Einkommensteuertarifes<br />
werden in den Nettoentgelttabellen, die der Berechnung<br />
des Kurzarbeitergeldes zugrunde liegen, nicht berücksichtigt. Folge: Das<br />
Kurzarbeitergeld fällt geringer aus. Warum ändern Sie das nicht sofort?<br />
H. A.: Diese Frage müssen Sie der Politik stellen. Als BA wenden wir<br />
das Gesetz an. In der Rolle als Berater der Politik haben wir auf diese<br />
Situation hingewiesen.<br />
sf: Stichwort „Rente ab 67“: Haben die verschiedenen Maßnahmen Ihrer<br />
Einrichtung zu einer erkennbaren Steigerung der Beschäftigungsrate in<br />
der Altersgruppe der 60- bis 65-Jährigen geführt? Wie würden Sie selbst<br />
eine erkennbare Steigerungsrate, die die Heraufsetzung des Rentenalters<br />
sinnvoll erscheinen lässt, definieren? Oder findet hier de facto eine Rentenkürzung<br />
ihren Anfang?<br />
H. A.: Zunächst einmal ist die Erhöhung der Beschäftigung von<br />
Älteren erklärtes Ziel der europäischen Länder und in den beschäftigungspolitischen<br />
Leitlinien der EU verankert. Darin steht, dass die<br />
Gesamtbeschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer mindestens 50 Prozent<br />
betragen soll, verbunden mit einer Verringerung der Arbeitslo-<br />
sigkeit. Damit hat Deutschland einen eindeutigen Auftrag<br />
erhalten, den wir als BA natürlich in der Umsetzung unterstützen,<br />
zusammen mit dem BMAS zum Beispiel mit dem<br />
Beschäftigungsprogramm „50plus“. Und dies tun wir recht<br />
erfolgreich. Im letzten Jahr ist die sozialversicherungspflichtige<br />
Beschäftigung Älterer über 55 Jahre gegenüber<br />
2007 um 7,5 Prozent gestiegen.<br />
Für mich persönlich ist es vor dem Hintergrund der<br />
demografischen Entwicklung wichtig, dass alle Gruppen der<br />
Gesellschaft am Arbeitsleben teilhaben können. Dazu zählen<br />
Menschen mit Migrationshintergrund, Geringqualifizierte,<br />
Frauen und hier insbesondere Alleinerziehende, Jugendliche<br />
und eben auch Ältere. Dies stärkt letztendlich auch den<br />
gesellschaftlichen Zusammenhalt.<br />
sf: Eine eher persönliche Frage: Wenn Ihre eigenen Kinder<br />
oder Enkelkinder oder die Ihrer Freunde oder Nachbarn auf<br />
die finanzielle Unterstützung nach SGB <strong>II</strong> angewiesen wären<br />
– welche berufliche Neuorientierung würden Sie sich für diese<br />
Personen wünschen? Meinen Sie, dass die JobCenter dazu in<br />
der Lage sind, die nötigen Perspektiven zu bieten?<br />
H. A.: In den JobCentern sind alle entsprechenden Kompetenzen<br />
gebündelt, sowohl von der Arbeitsagentur als auch<br />
von den Kommunen. Von daher hier ein eindeutiges Ja.<br />
Unsere Vermittlungsfachkräfte sind Experten und können<br />
die Arbeitsmarktchancen jedes Einzelnen einschätzen.<br />
Eine berufliche Neuorientierung ist natürlich ein wichtiger<br />
Schritt, der in die richtige Richtung gehen muss. Die<br />
Kolleginnen und Kollegen in den JobCentern leisten hier<br />
sehr gute Arbeit, auch wenn ich weiß, dass wir hier noch<br />
Verbesserungspotenziale haben.<br />
sf: Könnten Sie sich vorstellen, dass Sie und Ihre Familie<br />
wenigstens sechs Monate von den gegenwärtigen Regelsätzen<br />
leben? Welche Regelsätze wären Ihrer Meinung nach zum<br />
Überleben notwendig?<br />
H. A.: Ich denke, die Politik hat einen Regelsatz ermittelt,<br />
der das Existenzminimum absichert. Natürlich muss man sich<br />
in dieser Zeit einschränken, aber der Sinn einer Grundsicherung<br />
kann ja auch nicht darin bestehen, dauerhafte Erwerbslosigkeit<br />
zu finanzieren. Als Student habe ich mehrere Jahre<br />
auf dem Niveau der heutigen Grundsicherung gelebt.<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
sf: Wie denken Sie über den Mindestlohn? Wie hoch muss Ihrer Meinung<br />
nach das Einkommen einer vierköpfigen Familie sein, dass es ihr zu<br />
einem normalen, angemessenen und kulturvollen Leben genügt?<br />
H. A.: Mindestlöhne können einen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten.<br />
Das Existenzminimum ist gesetzlich definiert.<br />
sf: Der Charakter der Arbeit wird sich grundlegend wandeln – von der<br />
bisherigen lebenslangen Arbeitsplatzbindung hin zur projektbezogenen<br />
Tätigkeit. Wie stellt sich Ihre Behörde darauf ein und welche Sicherungssysteme<br />
im Falle der Erwerbslosigkeit können Sie dann bieten?<br />
H. A.: In unserer Arbeitsweise haben wir uns bereits auf den Wandel<br />
der Arbeitswelt eingestellt. Wir denken nicht mehr in klassischen<br />
Berufsbildern, sondern in Kompetenzen, sowohl in beruflicher als<br />
auch persönlicher Hinsicht. Dies ermöglicht uns, den Vermittlungsprozess<br />
viel flexibler zu gestalten. Ein Tischler zum Beispiel kann<br />
nicht nur gut mit Holz umgehen, sondern ist kreativ, hat ein gutes<br />
Vorstellungsvermögen und arbeitet projektorientiert. Diese Kompetenzen<br />
eröffnen deutlich mehr Einsatzgebiete.
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
Form und Funktion: Verwaltungszentrum der BA in Nürnberg<br />
sf: Viel Kritik gibt es an den MAE-Maßnahmen. Der Bundesrechnungshof<br />
hat mehrmals festgestellt, dass die Maßnahmen häufig nicht zusätzlich<br />
und von öffentlichem Interesse sind. Was hat die BA unternommen, um<br />
diese gesetzeswidrigen Maßnahmen durch die Träger zu unterbinden?<br />
H. A.: Zusammen mit dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen<br />
Landkreistag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund sowie der<br />
Freien Wohlfahrtspflege haben wir uns darüber unterhalten, wie wir<br />
öffentlich geförderte Beschäftigung im Rahmen der Grundsicherung<br />
gestalten können. Unisono haben wir uns darauf verständigt, dass<br />
Zusatzjobs keine regulären Beschäftigungsverhältnisse verdrängen<br />
dürfen. Entstanden ist eine gemeinsame Erklärung, die beschreibt, in<br />
welchen Bereichen Zusatzjobs sinnvoll sind, immer unter dem Aspekt<br />
der Zusätzlichkeit und dem öffentlichen Interesse. Außerdem gibt es<br />
in fast allen JobCentern Beiräte, die als beratendes Organ die Umsetzung<br />
der regionalen Arbeitsmarktpolitik begleiten. In den Beiräten<br />
sind alle Partner am Arbeitsmarkt vertreten. Damit ist gewährleistet,<br />
dass die Interessen aller Parteien Berücksichtigung finden. Ich denke<br />
also schon, dass wir als BA alles unternommen haben, um die Arbeitsgelegenheiten<br />
gesetzeskonform in der Praxis umzusetzen.<br />
Quelle: wikipedia<br />
Nachgefragt<br />
49<br />
sf: Welche Folgen hat es für Sachbearbeiter und Fallmanager, wenn<br />
sie eindeutig gegen bestehendes Recht verstoßen, z. B. rechtswidrige<br />
Bescheide erlassen oder Eingliederungsvereinbarungen per Post verschikken?<br />
Wenn dieses Verhalten Folgen hat, welche und in wie vielen Fällen<br />
war das jährlich der Fall?<br />
H. A.: Wer grob fahrlässig oder vorsätzlich handelt, wird sanktioniert.<br />
Gott sei Dank sind dies nur wenige Einzelfälle.<br />
sf: Im April 2007 ist in Speyer ein junger Mann, der an Depressionen<br />
litt, nach Sanktionen durch das JobCenter verhungert. Bekanntlich sind<br />
Menschen mit derartigen Erkrankungen z. T. oft wochenlang nicht in der<br />
Lage, auf Post o. ä. zu reagieren oder die Wohnung zu verlassen. Was<br />
hat die BA unternommen, um mit solchen Menschen angemessen umzugehen<br />
und weitere Todesfälle zu vermeiden, indem man auf Sanktionen<br />
verzichtet oder diese aussetzt?<br />
H. A.: Der Fall ist natürlich dramatisch und erschütternd. Präventiv<br />
kann man durch einen engen Kontakt im Netzwerk mit Sozialämtern,<br />
medizinischen Diensten und dem Kunden Vorsorge treffen.<br />
sf: Es gibt keine wirklich professionelle und passgenaue Bildungs- und<br />
Berufsberatung sowie Betreuung durch Fallmanager. Insbesondere gibt es<br />
keine freiwillige Zielvereinbarung, sondern eine angeordnete Eingliederungsvereinbarung<br />
(dies wird auch als „Beratung im Sanktionskontext“<br />
bezeichnet). Wie wollen Sie das in Zukunft verändern, verbessern?<br />
H. A.: Ihren ersten Satz möchte ich vehement bestreiten. Ich lade<br />
Sie gerne mal zu einem Besuch in ein JobCenter ein. Dort werden<br />
Sie sehen, wie professionell Bildungsberatung und Fallmanagement<br />
umgesetzt werden. Die Eingliederungsvereinbarung ist der individuelle<br />
Fahrplan zurück auf den Arbeitsmarkt und Ergebnis des Prinzips<br />
Fördern und Fordern. Der Gesetzgeber hat uns aufgefordert, mit<br />
jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine solche Vereinbarung<br />
abzuschließen. Damit weiß jeder, wo er steht und was er von der BA<br />
oder der Kommune zu erwarten hat.<br />
sf: Wir bekommen häufig Berichte über fragwürdige Weiterbildungsmaßnahmen<br />
im Bereich des <strong>ALG</strong> <strong>II</strong>/MAE: Hochschulabsolventen müssen<br />
Bewerbungstraining machen, incl. Lebenslauf schreiben etc. Was soll das<br />
den Menschen bringen?<br />
H. A.: Weiterbildung kann nie schaden. Viele Hochschulabsolventen<br />
sind keine Bewerbungsprofis. Oder nehmen Sie einen Arbeitsuchenden,<br />
der 20 Jahre lang in seinem Ausbildungsbetrieb gearbeitet hat.<br />
Er musste sich noch nie um eine andere Arbeitsstelle bemühen. Die<br />
Bewerbung ist der erste Eindruck und somit die ganz persönliche Eintrittskarte<br />
in den Job. Umso professioneller sollte sie auch gestaltet<br />
sein und dies zu unterstützen ist richtig.<br />
sf: Die Bundesrepublik hat über Jahrzehnte „Sockelarbeitslosigkeit“ (laut<br />
DIW) aufgebaut, d. h., die Erwerbslosigkeit hat im Aufschwung nicht<br />
stärker abgenommen, als sie im darauf folgenden Abschwung wuchs.<br />
Damit einher ging wachsende Ungleichheit bei Einkommen. Was kann die<br />
BA diesbezüglich tun?<br />
H. A.: Die BA verbessert durch Aus- und Weiterbildung indirekt die<br />
Einkommensmöglichkeiten. Was wir auch tun können, ist die aktive<br />
Einbindung der Langzeitarbeitslosen in den Vermittlungsprozess.<br />
Und dies gelingt uns ganz gut. Immerhin haben wir heute 20 Prozent<br />
weniger Langzeitarbeitslose als noch vor einem Jahr.<br />
sf: Wir bedanken uns, dass Sie uns Gelegenheit gegeben haben, Ihnen<br />
Fragen zu stellen, die für viele Menschen sehr wichtig sind.
50<br />
Schnittstelle<br />
Schnittstelle von Wolfgang Mocker<br />
Jetzt sind die Rettungsmaßnahmen der Regierung gegen<br />
die Finanzkrise endlich auch bei den Hartz-IV-Empfängern<br />
angekommen. Der Regelsatz wird ab Juli 2009 auf<br />
stolze 359 Euro erhöht.<br />
Gleichzeitig wurde Hartz IV gigantisch ausgeweitet. Bis<br />
tief in den systemisch wichtigen Finanzsektor hinein!<br />
Mittlerweile leben bereits ganze Großbanken von Staatsknete.<br />
Dadurch beschäftigt Hartz IV die Gerichte noch<br />
stärker als früher. Nicht nur, daß viele Langzeitarbeitslose<br />
gegen staatlich verordnete zwangseheähnliche Verhältnisse<br />
und Zahnbürsten-Razzien klagen, selbst Bankmanager<br />
versuchen sich auf ihren Arbeitsplatz zurückzuklagen.<br />
Oder wenigstens ordentliche Abfindungen und<br />
Ruhestandsbezüge vor Gericht rauszuholen. Schließlich<br />
haben gerade sie viele, viele Milliarden erwirtschaftet.<br />
Verluste zwar, aber dafür eigenhändig!<br />
Flankierend zu den<br />
Sozialmaßnahmen für<br />
notleidende Banken<br />
hat die Regierung zeitgleich<br />
die Geldstrafen<br />
drastisch erhöht. Steuerhinterzieher<br />
sollen<br />
nun ebenfalls stärker<br />
gefördert und gefordert<br />
werden. Immerhin<br />
können künftig saftige<br />
Geldstrafen zwischen<br />
10,8 Millionen für einfache<br />
und 21,6 Millionen<br />
Euro für mehrere<br />
Straftatbestände verhängt<br />
werden. Dies<br />
dürfte jedoch nur echte Spitzenverdiener unter den Wirtschaftskriminellen<br />
treffen. Also eher die Ausnahmen. Die<br />
Kassiererin aus dem Supermarkt kommt bei Untreue bis 1,30<br />
Euro auch weiterhin mit einer einfachen Kündigung davon.<br />
Müssen Reiche jetzt etwa richtig bluten? Sieht ganz so<br />
aus. Denn gerade für die Ärmsten der Reichen dürfte<br />
eine Geldstrafe von mehreren Millionen praktisch einer<br />
Enteignung gleichkommen. Manche sprechen in diesem<br />
Zusammenhang sogar von einer Todesstrafe light für Vermögende.<br />
Der erhöhte Hartz-IV-Regelsatz von 359 Euro gilt unter<br />
den Betroffenen – gerade wegen seiner Höhe – ebenfalls<br />
als eine Art Geldstrafe. Wofür? Na, für Arbeitslosigkeit<br />
natürlich. Und das mit Recht. Denn Arbeitslosigkeit ist<br />
schließlich auch ein schweres Wirtschaftsverbrechen. Sie<br />
würgt die Konjunktur ab und führt zu äußerst unbeliebten<br />
Mindereinnahmen beim Fiskus.<br />
Eine sächsische CDU-Abgeordnete forderte von Bundessozialminister<br />
Olaf Scholz nun auch noch eine Abwrackprämie<br />
für Hartzis. Nein, nicht was Sie denken – daß<br />
man für einen seit mindestens neun Jahren arbeitslosen<br />
Bürger nicht einfach einen niegelnagelneuen Hartz-IV-<br />
Empfänger bekommt, der sich von lediglich 2.500 Euro<br />
selbst finanzieren könnte, ist sogar der CDU klar. Es geht<br />
vielmehr darum, ob auch Hartzis für den Kauf eines Neuwagens<br />
die umweltzweckgebundene Prämie abzugsfrei<br />
erhalten sollen, oder ob die Mäuse ein einmaliges Sondereinkommen<br />
für Arbeitslose darstellen, das man von<br />
ihren Hartz-IV-Bezügen abziehen könnte. Mit anderen<br />
Worten: Dürfen auch Langzeitarbeitslose die Konjunktur<br />
ankurbeln? Oder müssen sie stur auf unbezahlte Arbeit in<br />
Form eines 1-Euro-Jobs warten?<br />
Der Hinweis auf die Gleichheit aller Bürger vor dem<br />
Gesetz greift hierbei nicht. Oder doch nur ins Leere. Denn<br />
andernfalls müßten etliche Manager und Landesbankdirektoren<br />
ja längst Hartz-IV-Empfänger sein. Allen voran<br />
der Namenspatron aller Hartzis – Peter von und zu Hartz.<br />
Das heißt, der müßte eigentlich wegen Untreue in 44<br />
Fällen sogar 15 Jahre<br />
lang Tüten kleben.<br />
Wenn alles mit rechten<br />
Dingen zugegangen<br />
wäre. Statt mit gelinkten<br />
Absprachen.<br />
Aber wir leben natürlich<br />
in einem freien<br />
Land. Nicht nur auf<br />
Chefetagen, auch im<br />
Kellergeschoß. Betteln<br />
zum Beispiel ist Langzeitarbeitlosen<br />
nicht<br />
verboten. Betteln ist<br />
keine Arbeit im Sinne<br />
des Sozialgesetzbuchs.<br />
Die Einnahmen<br />
aus dieser Tätigkeit gelten demnach nicht als Einkommen<br />
und dürfen nicht zur Senkung von Sozialleistungen<br />
mißbraucht werden. Das wäre glatter Sozialmißbrauch!<br />
Wie in Göttingen geschehen, wo ein staatlich bestallter<br />
Sozialamtsschimmel einen Hartz-IV-Empfänger tagelang<br />
und flächendeckend beim Betteln bespitzelt hatte. Auf<br />
die Kulanz des Göttinger Oberbürgermeisters sollten sich<br />
andere Arbeitslose aber nicht zu sehr verlassen. Sie war<br />
im Grunde nur wegen der Proteste der Öffentlichkeit<br />
gewährt worden.<br />
Ähnliche Symphatiekundgebungen aus der deutschen<br />
Bevölkerung sind bei den Seeräubern, die unsere<br />
Marine gerade im Golf von Aden geschnappt hat, nicht<br />
zu befürchten. Da die Freibeuter sich an einem deutschen<br />
Tanker vergriffen haben, gehören sie streng nach<br />
dem Gesetz eigentlich vor ein deutsches Gericht. Doch<br />
in diesem Fall will unser Rechtsstaat Milde walten und<br />
Gnade vor Recht ergehen lassen. Aus der CDU heißt es:<br />
Gnade den Seeräubern Gott! Wir werden diese Burschen<br />
nicht auch noch zum Asylverfahren einladen, sondern<br />
nach Kenia abschieben.<br />
Afrikanische Piraten sind so arm – die kann man nicht<br />
mal mit Hartz IV bestrafen.<br />
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009
strassen|feger<br />
Ratgeberausgabe 2009<br />
strassen|feger<br />
Mitglied im<br />
Partner im<br />
ISSN 1437-1928<br />
Herausgeber<br />
mob – obdachlose machen mobil e.V.<br />
Prenzlauer Allee 87, 10405 Berlin<br />
Tel.: 030 / 46 79 46 11<br />
Fax: 030 / 46 79 46 13<br />
Email: info@strassenfeger.org<br />
www.strassenfeger.org<br />
Vorsitzende: Dr. Dan-Christian Ghattas,<br />
Lothar Markwardt, Andreas Düllick (V.i.S.d.P.)<br />
Redaktion<br />
Prenzlauer Allee 87, 10405 Berlin<br />
Tel.: 030 / 41 93 45 91<br />
eMail: redaktion@strassenfeger.org<br />
Abo-Koordination & Anzeigen<br />
mob – obdachlose machen mobil e.V.<br />
Tel.: 030 / 41 93 45 91<br />
Treffpunkt Kaffee Bankrott<br />
Prenzlauer Allee 87, 10405 Berlin<br />
Tel.: 030 / 44 73 66 41<br />
Öffnungszeiten: Mo.–So. 8:00–20:00 Uhr<br />
Zeitungsverkauf: bis 20:00 Uhr<br />
Küchenschluss: 19:00 Uhr<br />
Notübernachtung<br />
Prenzlauer Allee 87, 10405 Berlin<br />
Tel.: 030 / 41 93 45 93<br />
Öffnungszeiten: 19:00–10:00 Uhr<br />
Anmeldung: 9:00–23:00 Uhr<br />
Trödelpoint bei mob e.V.<br />
Prenzlauer Allee 87, 10405 Berlin<br />
gegenüber dem S-Bahnhof Prenzlauer Allee<br />
Mo–Fr: 8:00–20:00 Uhr<br />
Tel.: 030v/ 246 279 35<br />
Email: troedel_point@strassenfeger.org<br />
Fit für den Berufsstart ? - Auf ins BiZ<br />
Informieren Sie sich zu Fragen der Berufswahl.<br />
Das Berufsinformationszentrum (BiZ) bietet<br />
Ihnen die aktuellsten Antworten.<br />
Dort können Sie sich per Internet sowie in<br />
Büchern, Zeitschriften, Informationsmappen<br />
umfassend über Ausbildung, Studium und Beruf<br />
informieren. Regelmäßig werden<br />
berufskundliche Vorträge und Bewerbertrainings<br />
angeboten.<br />
Kommen Sie ins BiZ! Natürlich kostenlos und<br />
ohne Anmeldung und auch während der Ferien.<br />
Im Internet finden Sie uns unter<br />
www.arbeitsagentur.de.<br />
51<br />
Redaktionsleitung Andreas Düllick<br />
CvD Scharmann<br />
Redaktionelle Mitarbeit für die Ausgabe<br />
Lou Brass, Andreas Düllick, Dan-Christian Ghattas,<br />
Constanze von Haller, Jürgen Haunss, Simone Krauskopf,<br />
Mandy Merkel, Wolfgang Mocker, Dinah Persch, Martyn<br />
Ringk, Scharmann<br />
Titelbild Andreas Prüstel<br />
Impressum<br />
Rücktitel-Konzept „Dach über dem Kopf“<br />
Anne Wenkel und Sebastian Quellmann<br />
Karikaturen Andreas Prüstel, OL<br />
Satz und Layout carsten sauer<br />
Belichtung & Druck Union Druckerei Berlin<br />
Redaktionsschluss: September 2009<br />
Namentlich genannte Beiträge geben nicht unbedingt<br />
die Meinung der Redaktion wieder. Es war nicht möglich,<br />
bei allen Bildern die Urheberrechte festzustellen.<br />
Betroffene melden sich bitte bei uns. Für unverlangt<br />
eingesandte Fotos, Manuskripte oder Illustrationen<br />
übernehmen wir keine Haftung.<br />
Der strassenfeger ist offen für weitere Partner.<br />
Interessierte Projekte melden sich bei den Herausgebern.<br />
Eigentumsvorbehalt: Nach diesem Eigentumsvorbehalt<br />
ist die Zeitung solange Eigentum des Absenders,<br />
bis sie dem/der Gefangenen persönlich ausgehändigt<br />
ist. Zur-Habe-Nahme ist keine persönliche Aushändigung<br />
im Sinne des Vorbehalts. Wird die Zeitung<br />
dem/der Gefangenen nicht persönlich ausgehändigt,<br />
ist sie dem Absender unter Angabe des Grundes der<br />
Nichtaushändigung zurückzusenden.<br />
Die Berufsinformationszentren haben für Sie geöffnet:<br />
Agentur für Arbeit Berlin Nord<br />
Königin-Elisabeth-Str. 49 Mo, Di, Mi 8.00 – 16.00 Uhr<br />
14059 Berlin Do 8.00 – 18.00 Uhr<br />
Tel. 5555 70 2199 Fr 8.00 – 13.00 Uhr<br />
Agentur für Arbeit Berlin Mitte<br />
Friedrichstr. 39<br />
10969 Berlin<br />
Tel. 5555 99 2626 Mo, Di 8.00 – 16.00 Uhr<br />
und Mi, Fr 8.00 – 12.00 Uhr<br />
Janusz-Korczak-Str. 32 Do 8.00 – 18.00 Uhr<br />
12627 Berlin<br />
Tel. 5555 89 2194<br />
Agentur für Arbeit Berlin Süd<br />
Sonnenallee 282 Mo, Di, Mi 8.00 – 16.00 Uhr<br />
12057 Berlin Do 8.00 – 18.00 Uhr<br />
Tel. 5555 77 2360 Fr 8.00 – 12.00 Uhr
������������������������������������������������������������������������<br />
��������������������������������������������������������������������������������������������<br />
�����������������������������������������������������������������������������������������������<br />
����������������������������������������������������������������<br />
��������<br />
������������������������������������������<br />
����������������������������������������������������������������<br />
������������������������������������������������������������<br />
�����������������������<br />
� ����������������������������������������������<br />
� �������������������������������������������������������<br />
� �����������������������������������������������<br />
� �������������������������������������������������������<br />
� �����������������������������������������������<br />
� �������������������������������������������������������<br />
���������������������������������������������������� �������������������������������������������������������������������<br />
�������������<br />
������<br />
��������<br />
��������������<br />
� ��������<br />
�����������<br />
�����������������������������������������������<br />
����������������������������������������������������<br />
�����������������������<br />
� �����������������������������������������<br />
� ������������������������������������������������<br />
� ������������������<br />
� ��������������������������������������������������<br />
� ������������������������������������������������������<br />
� ������������������������������������<br />
������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������<br />
�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������<br />
����<br />
���������<br />
������������<br />
���<br />
�������<br />
Foto: r.Werner Franke