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ALG II IHR RECHT VON A-Z - Strassenfeger

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strassen|feger<br />

<strong>ALG</strong> <strong>II</strong><br />

<strong>IHR</strong> <strong>RECHT</strong><br />

<strong>VON</strong> A-Z<br />

Kein Geld für einen Anwalt – kostenlose Rechtsberatung für Arme<br />

Gespräch mit dem Berliner Sozialrichter Michael Kanert<br />

Interview mit Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit<br />

Ratgeber-Ausgabe<br />

2009<br />

1,50 Euro<br />

15 Jahre<br />

Ein Verein stellt<br />

sich vor


2<br />

Edito<br />

Edito<br />

Es ist immer eine politische Entscheidung,<br />

wieviel Lebensunterhalt dem Erwerbslosen<br />

zugestanden wird. Der Druck der vermeintlich<br />

leeren Kassen, unter dem 2004 die<br />

Hartzgesetze durchgepeischt wurden, die<br />

zu einem signifikanten Anstieg der Armut in<br />

Deutschland geführt haben, wurde von den<br />

riesigen Rettungspaketen für das systemrelevante<br />

Bankgeschäft Lügen gestraft<br />

bzw. hat gezeigt, dass uns Menschen keine<br />

Systemrelevanz zugestanden wird. Besonders<br />

in Berlin ist die Armut in den letzten<br />

Jahren augenfällig geworden, Pfandflaschensammler<br />

und Arbeitslose oder Rentner,<br />

die in Mülleimern nach Verwertbarem stöbern,<br />

gehören in manchen Bezirken schon<br />

zur alltäglichen Normalität. (Und dienen<br />

in der touristschen Hochsaison dem Berlinbesucher<br />

als Lokalkolorit, denn endlich<br />

kann Herr X und Frau Y aus Hintertupfing am<br />

Stammtisch erläutern, was mit „arm aber<br />

sexy“ gemeint ist.)<br />

Von der Verwaltung wird die Praxis der<br />

Statistikretouche weiter verfeinert, um zu<br />

verschleiern, wie groß der Anteil der Abgehängten<br />

in unserer Gesellschaft tatsächlich<br />

ist. Seit der Finanzkrise ist zwar vielen klar<br />

geworden, dass die <strong>ALG</strong>-<strong>II</strong>-Gesetzgebung<br />

einen anderen Hintergrund als den proklamierten<br />

hat, doch die dringend notwendige<br />

Solidarisierung aller (Lohn-)Abhängigen<br />

lässt auf sich warten. 2009 haben wir ein<br />

Superwahljahr, doch eine Umkehr in der<br />

Politik ist angesichts der Geiselfunktion, die<br />

die AlG-<strong>II</strong>-Bezieher (auf Rentner und Kinder<br />

will ich hier gar nicht eingehen) übernommen<br />

haben und die im Hinblick auf Lohnforderungen<br />

Erfolge für die „gebeutelte“<br />

Wirtschaft zeitigt, nicht abzusehen.<br />

Diese Tatsache wirft natürlich die Frage<br />

auf, wem denn nun von Armut Betroffene in<br />

unserem Land am Wahltag ihr Vertrauen in<br />

Form eines Kreuzchens aussprechen sollten,<br />

nur ist an dieser Stelle nicht der Platz für<br />

derartige Erörterungen.<br />

Uns bleibt hier nur, die minimalen Rechte, die<br />

Erwerbslosen noch zugestanden werden, zu<br />

erläutern und zu deren Einforderung zu ermutigen.<br />

Bei kleinen Kindern, die etwas wollen,<br />

was sie gerade nicht bekommen sollen, sagt<br />

man schnell, dass sie Grenzen lernen müssen<br />

– die in diesem Heft zusammengestellten<br />

Texte wollen jedem Einzelnen den Rücken<br />

stärken, um dem Verwaltungsapparat die<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Quelle: wikimedia<br />

Grenzen zu zeigen, die der Gesetzgeber bzw.<br />

häufig die Gerichte (und dann nachträglich)<br />

gezogen haben. Den dazu nötigen Mut möchten<br />

wir allen Betroffenen geben.<br />

Und dann: Wenn Sie in Ihrem Bekanntenkreis<br />

Menschen mit Arbeit haben, geben<br />

Sie diesen Ratgeber leihweise an jene<br />

weiter. Die Unkenntnis über das Ausmaß<br />

der Beschneidung der Persönlichkeitsrechte<br />

durch „HIV“ ist immer noch erschreckend<br />

weit verbreitet. Eine regelmäßige Lektüre<br />

unseres strassenfeger kann hier übrigens<br />

auch Abhilfe schaffen!<br />

Lou


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Inhalt<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

Vorwort 4<br />

Antragstellung 5<br />

Antragsformular 6<br />

aufstockendes <strong>ALG</strong> <strong>II</strong> 6<br />

Beistand 7<br />

Bescheid 7<br />

Datenschutz 8<br />

eheähnliche Gemeinschaft 10<br />

Erlaß von Ansprüchen 11<br />

Ermessen 12<br />

Folgeantrag 12<br />

GEZ-Gebühren 12<br />

Haushaltsenergie 13<br />

Haushaltsgemeinschaft 13<br />

Jugendliche unter 25 14<br />

Klassenfahrten 15<br />

Mehrbedarf 16<br />

Miete 17<br />

Mitwirkungspflichten 19<br />

Nebenkosten 21<br />

Ortsabwesenheit 21<br />

Rechtsschutz 22<br />

Beratungs- und Prozesskostenhilfe 23<br />

Widerspruch 23<br />

aufschiebende Wirkung 23<br />

einstweilige Anordnung 24<br />

Klage 24<br />

Untätigkeitsklage 25<br />

Überprüfungsantrag 25<br />

Sofortangebote 26<br />

Umzug 26<br />

Verpflegung 29<br />

Vorschuss 29<br />

Vorsorge für das Alter 30<br />

Literaturhinweise 31<br />

Anlaufstellen 31<br />

Inhalt<br />

Klare Worte<br />

Kochbuch zum Sparen 32<br />

Ungeklärte Mietobergrenzen 33<br />

Kinderarmut per Gesetz 34<br />

Menschenwürde ist antastbar 35<br />

Kein Geld für einen Anwalt? 36<br />

Umgang mit Arbeitslosen 37<br />

Hartz IV und Tier 41<br />

Nachgefragt<br />

Beim Berliner Sozialgericht 38<br />

Interview mit dem Berliner Sozialrichter<br />

Michael Kanert<br />

Bei der Bundesagentur für Arbeit 46<br />

Interview mit Vorstandsmitglied Heinrich Alt,<br />

verantwortlich für Grundsicherung<br />

Aus der Arbeit unseres Vereins<br />

Ziele und Angebote 42<br />

Notübernachtung 42<br />

strassenfeger 43<br />

Kaffee Bankrott 44<br />

Selbstbauhaus 44<br />

EDV-Abteilung 44<br />

TrödelPoint 45<br />

Mitarbeit und Praktikum 45<br />

Spenden und Unterstützung 45<br />

Schnittstelle<br />

von Wolfgang Mocker 50<br />

Impressum 51<br />

3


4<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

Vorwort<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

� heute halten Sie die zweite Hartz-IV-Ausgabe<br />

des straßenfeger in der Hand. Die erste<br />

Ausgabe erschien im Mai 2007. Der Ratgeber<br />

enthält zum Teil andere Schwerpunktthemen.<br />

Hier spiegeln sich besonders viele Konflikte<br />

mit der Arbeitslosenbehörde wider. Wie beim<br />

Thema Umzug. Es gibt Fälle, da mussten<br />

Betroffene Privatkredite aufnehmen, obwohl<br />

der Umzug von der Behörde veranlasst wurde!<br />

Das Gesetz zwingt das Amt in diesen Fällen,<br />

eigentlich die mit<br />

dem Umzug in der<br />

Regel anfallenden<br />

Kosten zu übernehmen.<br />

In der Zwischenzeit<br />

haben sich viele<br />

Gesetze und auch die<br />

DH (Durchführungshinweise<br />

der BA =<br />

NICHT DIE NOT IST DAS SCHLIMMSTE,<br />

SONDERN DASS SIE ERTRAGEN WIRD!<br />

DENN DAS HINNEHMEN <strong>VON</strong> ARMUT,<br />

WÄHREND ES REICHTUM GIBT,<br />

IST GEISTIGES VERSAGEN,<br />

IST UNEMPFINDLICHKEIT DER SEELE<br />

GEGEN DIE BELEIDIGUNG<br />

Erich Mühsam<br />

Bundesagentur für Arbeit) geändert. Leider<br />

gingen die Änderungen mehrheitlich zu Lasten<br />

der Betroffenen. Das SGB <strong>II</strong> (Sozialgesetzbuch<br />

<strong>II</strong>) wird deshalb von Kritikern immer wieder<br />

mit „Strafgesetzbuch <strong>II</strong>“ übersetzt.<br />

Klagen und Urteile<br />

Das Bundessozialgericht hat in verschiedenen<br />

Fällen ein wenig Klarheit gebracht. Positiv zu<br />

bewerten waren die Urteile gegen die Anrechnung<br />

von Verpflegung in Krankenhäusern u.ä.,<br />

sowie bei über 25-Jährigen im Elternhaus.<br />

Die Zulassung von Verfassungsklagen gegen<br />

die Höhe der Regelleistungen der 6- bis 14-<br />

Jährigen bewirkte zumindest erst mal die<br />

Erhöhung auf 251 Euro und zum 1.8.2009<br />

erstmals 100 Euro für den Schulbedarf.<br />

Erschreckend sind die Urteile zur völligen,<br />

zeitlich unbegrenzten, Anrechnung von<br />

Steuererstattungen als Einkommen und die<br />

Verpflichtung, bei ausreichendem Einkommen,<br />

für die Kinder der Partnerin in der<br />

Bedarfsgemeinschaft aufkommen zu müssen.<br />

Niemand kann sagen, wie viele Gerichtsprozesse<br />

allein wegen der Verpflegung geführt<br />

wurden. Die Verantwortlichen beklagen sich<br />

jedenfalls, dass zu viele (angeblich nicht zu<br />

gewinnende) Prozesse geführt werden. Dabei<br />

werden gerade im SGB <strong>II</strong> mehr als 50 Prozent<br />

der Verfahren positiv entschieden. Das ist weit<br />

mehr als bei allen anderen Sozialgesetzen. Das<br />

heißt jedoch nicht, dass die anderen 50 Prozent<br />

negativ entschieden wurden. Weitere 20<br />

bis 30 Prozent wurden<br />

positiv erledigt. Z.B.<br />

wurden durch Untätigkeitsklagen<br />

die<br />

Behörden tätig.<br />

Oder das Gericht<br />

stellte die aufschiebende<br />

Wirkung fest,<br />

wozu man früher<br />

keine Gerichte<br />

brauchte. Jedoch sind die steigenden Fallzahlen<br />

der Gerichte ein willkommener Anlass,<br />

die Schuld bei den Armen abzuladen. Man will<br />

wieder einmal Gerichtsgebühren einführen.<br />

Wir können nur hoffen, dass dieses Vorhaben<br />

auch dieses Mal u.a. an den Richtern scheitert,<br />

die immer wieder auf erhebliche verfassungsrechtliche<br />

Bedenken hinweisen.<br />

Gewinne und Verluste<br />

Angesichts der Finanzkrise<br />

spielt Geld nur eine Rolle, wenn<br />

es von unten nach oben verschoben<br />

werden kann. Oben<br />

angekommen, ist es dann kein<br />

Problem. eine halbe Billion Euro<br />

innerhalb von ein paar Tagen<br />

bereitzustellen: für die „notleidenden<br />

Banken“, die sich mit<br />

Eine Frau heizt ihren Ofen mit<br />

Inflationsgeld (um 1924).<br />

Geld als Energieressource der Zukunft?<br />

fremdem und arbeitslosem Geld einfach mal<br />

verzockt haben. Sie haben sich mit ihren<br />

hochriskanten Geldanlagen nicht strafbar<br />

gemacht! Im Gegenteil, denn dies wurde<br />

durch Gesetzesänderungen, die die Gründung<br />

von ausländischen Tochterfirmen der Banken<br />

WER GLAUBT,<br />

DASS LOHNVERZICHT<br />

ARBEITSPLÄTZE<br />

SCHAFFT,<br />

DER GLAUBT AUCH,<br />

DASS ZITRONENFALTER<br />

ZITRONEN FALTEN!<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

für diese Zwecke erlauben, erst in diesem<br />

Maße möglich. Übrigens wurde der Einfall der<br />

„Heuschrecken“ – insbesondere im Immobilienmarkt<br />

– auch erst durch exorbitante Steuerermäßigungen<br />

für die Fonds attraktiv.<br />

Es gab auch keinen Grund für die Banken,<br />

anders zu handeln. Schließlich haben wir ein<br />

voll funktionierendes kapitalistisches Gesellschaftssystem;<br />

Gewinne werden privatisiert,<br />

Verluste sozialisiert, also von der Sozialgemeinschaft,<br />

den Steuerzahlern bezahlt. Deshalb<br />

nennt man das auch „soziale Marktwirtschaft“<br />

und so funktioniert sie auch!<br />

Rechte und ihre Durchsetzung<br />

Die Zeche werden die normalen Steuerzahler<br />

und die Armen zahlen. Wer von den Armen<br />

jetzt auf das Grundgesetz Artikel 1 „Die Würde<br />

des Menschen ist unantastbar.“ hofft, dem sei<br />

gesagt, dass diese Menschenwürde ein unbestimmter<br />

Rechtsbegriff ist. Der wird erst durch<br />

Gesetze wie z.B. das SGB <strong>II</strong> bestimmt. Ob es<br />

die Kürzungen mit Einführung des SGB <strong>II</strong> und<br />

X<strong>II</strong> waren oder die im SGB <strong>II</strong> verankerte Verweigerung<br />

jeglicher Zahlung ist; alles das ist<br />

mit dem Grundgesetz anscheinend vereinbar.<br />

Auch weitere direkte oder indirekte Kürzungen<br />

werden es sein!<br />

Also nutzen wir trotz dieser<br />

Aussichten die wenigen Rechte,<br />

die die Armen noch haben! Der<br />

Hartz-IV-Ratgeber soll eine<br />

Hilfe dazu sein. Er kann jedoch<br />

nur einen kleinen Einblick in<br />

ein paar Themen geben und soll<br />

ein Einstieg in diese Gesetze<br />

sein. Hier möchten wir den<br />

Lesern als weitere Hilfen unbedingt<br />

den neuen „Leitfaden Alg <strong>II</strong>/Sozialhilfe“<br />

(siehe Literaturhinweise) und die Adresse<br />

www.tacheles-sozialhilfe.de ans Herz legen.<br />

Jette Stockfisch<br />

Quelle: Mammon-Akademie


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

ABM – Arbeitsbeschaffungsmaßnahme<br />

Az – Aktenzeichen<br />

BA - Bundesanstalt für Arbeit<br />

BGB – Bürgerliches Gesetzbuch<br />

BGH – Bundesgerichtshof<br />

BSG – Bundessozialgericht<br />

BSHG - Bundessozialhilfegesetz<br />

BvR – Bundesverfassung<br />

BVerfG – Bundesverfassungsgericht<br />

BVerwG – Bundesverwaltungsgericht<br />

EA – Einstweilige Anordnung<br />

EAO – Erreichbarkeitsanordnung<br />

EWG – Europäische Wirtschaftsgemeinschaft<br />

FEG – Fortentwicklungsgesetz<br />

LSG – Landessozialgericht<br />

MAE – Mehraufwandsentschädigung<br />

OVG – Oberverwaltungsgericht<br />

PKH – Prozesskostenhilfe<br />

Rz. – Randziffer<br />

SGB – Sozialgesetzbuch<br />

WG – Wohngemeinschaft<br />

WSI - Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche<br />

Institut<br />

Merkzeichen G – Ein Vermerk auf einem Behindertenausweis.<br />

Es bedeutet gehbehindert und berechtigt<br />

wahlweise zur unentgeltlichen Beförderung im<br />

öffentlichen Personennahverkehr oder zur Kraftfahrzeugsteuerermäßigung<br />

von 50 Prozent.<br />

Merkzeichen aG – bedeutet außergewöhnlich<br />

gehbehindert.<br />

ANTRAGSTELLUNG<br />

� Der Antrag auf Arbeitslosengeld <strong>II</strong> sollte so<br />

früh wie möglich gestellt werden. Viele Menschen<br />

scheuen sich vor der Antragstellung, was<br />

menschlich verständlich ist, werden die Bezieher<br />

von Alg <strong>II</strong> doch immer wieder als Sozialschmarotzer<br />

und ähnliches bezeichnet. Wer<br />

möchte sich da schon freiwillig einreihen!<br />

In der Hoffnung, in der Zwischenzeit doch noch<br />

einen Job zu ergattern und somit dem Alg <strong>II</strong><br />

zu entrinnen, verbrauchen viele Betroffene<br />

ihre Ersparnisse, um dann – ohne einen Cent in<br />

der Tasche – doch beim JobCenter zu landen.<br />

Häufig werden auch noch Schulden gemacht,<br />

und auch die Miete wird nicht bezahlt. Das<br />

ist blanker finanzieller Selbstmord. Denn dem<br />

JobCenter sind die Schulden egal. Im Kampf<br />

um die Mietschuldenübernahme hat schon so<br />

mancher seine Wohnung verloren!<br />

Pro Person dürfen 150 Euro pro Lebensjahr<br />

als Vermögen mit in die Arbeitslosigkeit<br />

gebracht werden. Zusätzlich noch 250 Euro<br />

pro Lebensjahr VORSORGE �.<br />

Wer beim JobCenter erscheint, um einen Antrag<br />

zu stellen, wird oft mit dem ANTRAGSFORMU-<br />

LAR � und der Auflage, mit dem ausgefüllten<br />

Antrag und den nötigen Unterlagen zu einem<br />

späteren Termin wiederzukommen, nach Hause<br />

geschickt. Das ist auch in Ordnung, wenn der<br />

Antrag den Datumsstempel des Antragstages<br />

trägt. Die häufige Praxis, den Antrag erst mit<br />

dem zweiten Termin zu datieren, ist rechtswidrig.<br />

Der Antrag gilt als gestellt, wenn man<br />

zum ersten Mal dort erscheint und den Antrag<br />

stellt. Niemand sollte sich mit einer mündlichen<br />

Ablehnung abfinden. Die ist schnell ausgesprochen.<br />

Es sollte immer auf einem schrift-<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

5<br />

Foto: K.B.<br />

lichen BESCHEID � bestanden werden. Nicht<br />

selten hat sich dann plötzlich die Ablehnung<br />

erledigt. Auch kann man gegen einen schriftlichen<br />

BESCHEID � besser WIDERSPRUCH �<br />

einlegen. Gegen einen mündlichen Bescheid<br />

kann man zwar auch Widerspruch einlegen,<br />

doch besteht bei der mündlichen Erstbeantragung<br />

das Problem nachzuweisen, dass man<br />

überhaupt einen Antrag gestellt hat, und dass<br />

dieser mündlich abgelehnt wurde. Wenn beim<br />

Job Center keine Aktennotiz darüber existiert,<br />

hat man eigentlich nur Zeit verloren!<br />

Häufig warten Betroffene mit der Antragstellung,<br />

bis sie völlig pleite sind und nicht wissen,<br />

wie und wovon sie die nächsten Tage leben<br />

sollen. Dann ist ein VORSCHUSS � fällig.


6<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

ANTRAGSFORMULAR<br />

� Im Antragsformular gibt es ein paar Unklarheiten<br />

und Fallen, die man vermeiden kann.<br />

Auf Seite 1 wird nach der Telefonnummer und<br />

E-Mail-Adresse gefragt. Diese Angaben sind<br />

freiwillig. Insbesondere die Angabe der Telefonnummer<br />

sollte man sich gut überlegen.<br />

In der Hoffnung auf eine bessere Vermittelbarkeit<br />

geben viele ihre Telefonnummer<br />

an. Man sollte jedoch auch bedenken, dass<br />

man sich mit dieser Art der Erreichbarkeit<br />

den Telefonterror eines übereifrigen Mitarbeiters<br />

einhandeln kann. Nicht zu übersehen<br />

sind die Kontrollanrufe von Call-Centern.<br />

Beides kann zu erheblichen Problemen bis<br />

hin zu Leistungskürzungen führen. Deshalb<br />

ist Betroffenen, auch wenn sie ein noch so<br />

reines Gewissen haben, von diesen Angaben<br />

abzuraten. Hier sind auch wichtige Hinweise<br />

zum DATENSCHUTZ � zu beachten.<br />

Von Betroffenen, die kein Konto haben, wird<br />

der Nachweis verlangt, dass sie kein Konto<br />

eröffnen können. Dafür gibt es keine Verpflichtung.<br />

Wer die entstehenden Kosten einer Geldübermittlung<br />

ohne eigenes Konto nicht tragen<br />

will, kann die Barauszahlung verlangen.<br />

Unter „<strong>II</strong>. Persönliche Verhältnisse“ wird<br />

auch nach dem Partner in eheähnlicher<br />

Gemeinschaft gefragt. Hier machen viele<br />

Antragsteller den Fehler, ihre Freundin oder<br />

AUFSTOCKENDES <strong>ALG</strong> <strong>II</strong><br />

� Auch Erwerbstätige haben das<br />

Recht, einen Antrag auf Alg <strong>II</strong> zu<br />

stellen. Unter den üblichen Voraussetzungen<br />

(Vermögens- und Einkommensfreibeträge<br />

usw.) haben<br />

sie einen Rechtsanspruch auf aufstockendes<br />

Alg <strong>II</strong>. Insbesondere<br />

die steigende Zahl von Hungerlöhnen<br />

lässt die Zahl der Antragsteller<br />

stetig steigen. Hier geht es nicht<br />

nur um Minijobber, sondern mehr<br />

und mehr um Vollbeschäftigte,<br />

deren Lohn nicht zum Leben reicht.<br />

Es ist schwer, an dieser Stelle eine<br />

Aussage über die Bedürftigkeit zu<br />

machen. Als Grundlage einer Berechnung<br />

sollte der Bedarf dienen.<br />

Nebenstehend eine Übersicht der<br />

Berechnung in Kurzform und einem<br />

Beispiel.<br />

den Freund einzutragen, ohne sich der möglichen<br />

auch finanziellen Folgen bewusst zu<br />

sein und ohne zu wissen, was der Unterschied<br />

zwischen verliebtem Zusammenleben<br />

und EHEÄHNLICHER GEMEINSCHAFT � ist. Ein<br />

Paar ist eben nicht zwangsläufig eine eheähnliche<br />

Gemeinschaft.<br />

Bei der Spalte „Unterbringung in einer stationären<br />

Einrichtung“ sind Angaben zu<br />

machen, z. B., ob der Aufenthalt länger als<br />

sechs Monate dauern wird. Das ist für Antragsteller<br />

jedoch nur möglich, wenn sie genau<br />

wissen, wie lange sie im Krankenhaus o.ä.<br />

sein werden. Wissen sie das nicht, sollten<br />

sie die Aufenthaltsdauer auch nicht einfach<br />

schätzen. Dann muss von der Arbeitslosenbehörde<br />

eine Prognose erstellt werden. Diese<br />

Prognose entscheidet darüber, ob sie Alg-<strong>II</strong>berechtigt<br />

sind oder in die Sozialhilfe abgeschoben<br />

werden können. Allerdings muss das<br />

359 Euro Regelleistung für Alleinstehende plus<br />

360 Euro Miete sind<br />

719 Euro Gesamtbedarf;<br />

dazu können noch verschiedene Formen von MEHRBEDARF � kommen,<br />

die dann zum Bedarf addiert werden müssen.<br />

Zur Einkommensberechnung hier eine grobe Kurzform:<br />

Die ersten 100 Euro sind als Werbungskostenpauschale<br />

anrechnungsfrei,<br />

von 100 bis 800 Euro brutto sind 20 Prozent, also je 20 Euro von<br />

je 100 Euro anrechnungsfrei,<br />

von 800 bis 1.200 Euro brutto sind 10 Prozent, also 10 Euro von<br />

je 100 Euro anrechnungsfrei,<br />

von 1.200 bis 1.500 Euro brutto sind nur bei Erwerbstätigen mit<br />

Kindern noch 10 Prozent anrechnungsfrei.<br />

Bei einem Bruttoeinkommen von 1.000 Euro sind das also<br />

100 Euro + 140 Euro (7 mal 20 Euro) + 20 Euro (2 mal 10 Euro)<br />

sind 260 Euro, die der Erwerbstätige zusätzlich zu seinem Bedarf vom<br />

Beispiel oben von 719 Euro behalten darf. Insgesamt 979 Euro.<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

JobCenter bis zum Einsetzen der Sozialhilfe<br />

Alg <strong>II</strong> zahlen.<br />

Unter „<strong>II</strong>I. Persönliche Verhältnisse der mit<br />

dem Antragsteller in einem Haushalt lebenden<br />

weiteren Personen“ sind zu Personen, die<br />

nicht nur vorübergehend im Haushalt leben,<br />

Angaben zu machen. Bloße Mitglieder einer<br />

Wohngemeinschaft gehören hier nicht hin.<br />

Über sie brauchen überhaupt keine persönlichen<br />

Angaben gemacht zu werden. Lediglich<br />

über die Höhe der Mietzahlungen an anderer<br />

Stelle, wenn der Antragsteller sie an den Mitbewohner<br />

zahlt, oder als Angaben zum Einkommen,<br />

wenn der Antragsteller Mietzahlungen<br />

vom Mitbewohner erhält. An dieser Stelle<br />

sind Paare oft verunsichert, wo und wie sie<br />

denn ihren Freund eintragen müssen, wenn sie<br />

wissen, dass sie keine EHEÄHNLICHE GEMEIN-<br />

SCHAFT � sind.<br />

Zu beachten ist, dass bei Neuanträgen<br />

die tatsächliche MIETE �<br />

übernommen werden muss. Ist<br />

die Miete 560 Euro hoch, so<br />

muss die Arbeitslosenbehörde die<br />

Miete erst einmal in voller Höhe<br />

zahlen. Damit verschiebt sich die<br />

Bedürftigkeitsgrenze zu unserem<br />

Beispiel um 200 Euro nach oben.<br />

Allerdings kann das JobCenter den<br />

Alg-<strong>II</strong>-Bezieher auffordern, seine<br />

Mietkosten zu senken. Dann muss<br />

es die volle Miete bis zu sechs<br />

Monaten und die Kosten für einen<br />

UMZUG � zahlen. Ohne Umzug ist<br />

dann in der Regel nur noch die<br />

„angemessene“ Miete (in Berlin<br />

bei Alleinstehenden 378 Euro) zu<br />

übernehmen.


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

BEISTAND<br />

� Jeder hat das Recht, einen Beistand mit<br />

zur Behörde zu nehmen (§ 13 SGB X). Was<br />

der Beistand sagt, muss von der Behörde so<br />

behandelt werden, als hätte es der Betroffene<br />

selbst gesagt. Es sei denn, der Betroffene widerspricht<br />

dem sofort (§ 13 Abs.4 SGB X). Alg-<strong>II</strong>-<br />

Bezieher machen von dieser Möglichkeit des<br />

Selbstschutzes gegenüber Behörden viel zu<br />

wenig Gebrauch. Dabei muss der Beistand nicht<br />

zwangsläufig bessere Rechtskenntnisse als der<br />

Betroffene haben. Es reicht oft schon, wenn der<br />

Beistand nur als Zeuge dem Gespräch beiwohnt.<br />

Der Sachbearbeiter, der bisher vielleicht herablassend<br />

oder sogar beleidigend war, verwandelt<br />

sich in Gegenwart eines Beistands zwar nicht in<br />

ein Schmusekätzchen, jedoch reicht es schon,<br />

wenn er einfach nur höflich ist und auf Fragen<br />

eine korrekte Antwort gibt. Das ist in den Job-<br />

Centern leider nicht die Regel.<br />

Es passiert immer noch, dass die Sachbearbeiter<br />

einen Beistand nicht akzeptieren und mit der<br />

Begründung des „Datenschutzes“ des Raumes<br />

verweisen. Das sollte sich niemand gefallen<br />

lassen! Über seine Daten entscheidet in diesem<br />

Fall noch immer der Betroffene selbst. Leider sind<br />

die Sachbearbeiter nicht um den Datenschutz<br />

besorgt, wenn im selben Zimmer zwei Sachbearbeiter<br />

zur selben Zeit zwei Alg-<strong>II</strong>- Bezieher<br />

abfertigen. Dass die Alg-<strong>II</strong>-Bezieher zwangsläufig<br />

die Gespräche des Anderen mithören - das ist<br />

eine Verletzung des Datenschutzes.<br />

BESCHEID<br />

� Kaum ein Bescheid ist so abgefasst, dass<br />

ein Bezieher von Alg <strong>II</strong> ihn nachvollziehen<br />

kann. In der Regel ist es sinnvoller, man lässt<br />

die Rechnung der JobCenter links liegen und<br />

macht seine eigene Aufstellung. Eine Aufstellung<br />

der verschiedenen Regelsätze ist in<br />

jedem Bescheid zu finden. Dazu wird die tatsächliche<br />

Miete mit Heizkosten gerechnet.<br />

Siehe Bedarfsberechnung unter AUFSTOCKEN-<br />

DES <strong>ALG</strong> <strong>II</strong> � Dabei ist es unerheblich, ob die<br />

Heizung mit zur Miete gehört oder Abschläge<br />

dafür an Strom- oder Gasversorger gezahlt<br />

werden. Es kann hier zu Abzügen für Warmwasser<br />

oder Kochen kommen.<br />

Wer in seinem Bescheid irgendwelche Abzüge<br />

unter „Einkommen“ findet und kein Einkommen<br />

hat, sollte auf jeden Fall Widerspruch<br />

einlegen. Jedoch rechnen Kindergeld, Unterhalt<br />

und Unterhaltsvorschuss auch zum Einkommen.<br />

Die Widerspruchsfrist ist ein Monat.<br />

Danach ist der Bescheid rechtskräftig.<br />

Der Bundesdatenschutzbeauftragte ist zu<br />

erreichen in 53117 Bonn, Husarenstr. 30,<br />

Tel. (01888) 77 99-0 oder (0228) 8 19 95-0,<br />

E-Mai:l poststelle@bfdi.bund.de,<br />

Webseite: http://www.bfdi.bund.de<br />

Oft ist es jedoch so, dass Betroffene erst<br />

Monate später durch Zufall von anderen<br />

Hartz-IV-Beziehern erfahren, dass sie zu<br />

wenig Geld erhalten. Z.B. wird gern der MEHR-<br />

BEDARF � für Alleinerziehende „vergessen“.<br />

Hier besteht nicht nur ein Anspruch darauf,<br />

den Mehrbedarf für die Zukunft zu erhalten,<br />

sondern auch darauf, den Mehrbedarf rück-<br />

Quelle: Archiv<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

7<br />

wirkend zu erhalten. Anders als bei z.B. beim<br />

Mehrbedarf für Ernährung, der beantragt<br />

werden muss, da das JobCenter in der Regel<br />

davon keine Kenntnis hat, ist der Mehrbedarf<br />

für Alleinerziehende der Arbeitslosenbehörde<br />

bekannt, weil da Kinder zur Bedarfsgemeinschaft<br />

gehören.<br />

In diesen Fällen kann ein ÜBERPRÜFUNGSAN-<br />

TRAG � gestellt werden. Solche grundlegenden<br />

Fehler treten nicht selten auf. Manchmal<br />

werden die Kinder der Antragsteller einfach<br />

vergessen, häufiger die Heizkosten, die an<br />

Gas- oder Stromversorger gezahlt werden<br />

müssen.


8<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

DATENSCHUTZ<br />

� Die Berliner und Brandenburger Datenschutzbeauftragten<br />

haben den überarbeiteten<br />

„Ratgeber zu Hartz IV“ herausgegeben. Damit<br />

gibt es zumindest eine gewisse Rechtssicherheit,<br />

was die Behörden an Daten verlangen<br />

und einholen dürfen und was nicht. (Ratgeber<br />

als pdf unter www.datenschutz-berlin.de (>Ver<br />

öffentlichungen>Ratgeber))<br />

Hausdurchsuchungen<br />

(verharmlosend Hausbesuche genannt)<br />

Immer wieder glauben die Arbeitslosenbehörden,<br />

das Recht zu haben, Hausdurchsuchungen<br />

nach Lust und Laune machen zu dürfen (z.B.<br />

bei Neuanträgen). Routinemäßige Hausdurchsuchungen<br />

ohne vorherige Indizien sind unzulässig!<br />

Nach Meinung der Datenschutzbeauftragten<br />

sind Hausdurchsuchungen nach § 20<br />

SGB X in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Nr. 4 SGB<br />

X zulässig. Sie sind jedoch nur zulässig, um<br />

BEREITS BEKANNTE INDIZIEN zu klären.<br />

Insbesondere finden Hausdurchsuchungen<br />

statt, um eine EHEÄHNLICHE GEMEINSCHAFT �<br />

Kontoauszüge<br />

Die Rechtsprechung zur Kontrolle der Armen<br />

hat sich im Laufe der Jahre erheblich verschärft.<br />

Früher war ein pauschales Verlangen<br />

nach den Kontoauszügen für Zeiten vor der<br />

Antragstellung in der Regel nicht erlaubt<br />

Kontoauszüge dürfen von der Arbeitslosenbehörde<br />

EINGESEHEN werden. Der Betroffene<br />

macht Kopien von seinen Kontoauszügen,<br />

schwärzt die Kopien entsprechend und legt<br />

sie dann dem Mitarbeiter vor. Bitte nie die<br />

Originale schwärzen! Die Neubeschaffung<br />

von Kontoauszügen lassen sich die Banken<br />

teuer bezahlen. Die Mitarbeiter haben in der<br />

Regel kein Recht, die Kontoauszüge bzw.<br />

deren Kopien zu den Akten zu nehmen! Die<br />

dürfen nur eingesehen werden! Die Mitarbeiter<br />

können sich dann Notizen machen,<br />

dass die Kontoauszüge für einen bestimmten<br />

Zeitraum vorlagen und keine Auffälligkeiten<br />

vorlagen. Mehr nicht.<br />

Am 19.09.08 hat das Bundessozialgericht<br />

(BSG) unter dem Az. B 14 AS 45/07 R über die<br />

Vorlage von Kontoauszügen sein Urteil gefällt.<br />

Die Vorlage der Kontoauszüge für die letzten<br />

drei Monate vor Antragstellung und Folgeantragstellung<br />

gehört nach Ansicht des Gerichts<br />

zu den Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB I.<br />

Es bedarf keines konkreten Verdachts. Man kann<br />

dies auch so interpretieren: Alg-<strong>II</strong>-Antragstel-<br />

festzustellen. Dies ist jedoch nur bedingt<br />

möglich. In erster Linie lässt sich eine eheähnliche<br />

Gemeinschaft durch andere Informationen<br />

beurteilen; Abstammung der Kinder,<br />

gemeinsame Konten oder Versicherungen oder<br />

nachweisliche Zahlungen von anteiliger Miete,<br />

Strom- oder Telefonkosten. Die Formulierung<br />

der Datenschutzbeauftragten („Der Hausbesuch<br />

ist allenfalls geeignet, noch bestehende<br />

„Restzweifel“ auszuräumen.“) ist unbefriedigend.<br />

Die Behörden haben scheinbar immer<br />

„Restzweifel“!<br />

Stehen (meist zwei) Mitarbeiter vor der Tür,<br />

haben diese sich UNAUFGEFORDERT auszuweisen.<br />

Sie haben dem Betroffenen vor dem<br />

ler werden als potenzielle Betrüger angesehen,<br />

denen man generell erst einmal Sozialhilfemissbrauch<br />

unterstellt. Mit der erzwungenen<br />

Vorlage der Kontoauszüge können sie dann<br />

diesen Generalverdacht widerlegen.<br />

Übrigens, wenn Arbeitgeber sich von der<br />

Arbeitslosenbehörde Arbeitnehmer finanzieren<br />

lassen, müssen sie nur schriftliche Versicherungen<br />

abgeben, z.B. dass es sich um einen neuen<br />

Arbeitsplatz handelt. Nachweisen müssen sie<br />

das nicht! Überprüft wird dies in der Regel<br />

auch nicht. Wenn da gelogen wird, dass sich<br />

die Balken biegen, wird das jedoch nicht als<br />

Sozialhilfemissbrauch bezeichnet, hier nennt<br />

sich das „Mitnahmeeffekt“. Es gibt auch keinen<br />

Generalverdacht. Aber vor dem Gesetz sind ja<br />

alle gleich! Doch zurück zum BSG.<br />

Wer nach der Aufforderung zur Vorlage der<br />

Kontoauszüge und einer Fristsetzung samt<br />

Belehrung über die Folgen der fehlenden Mitwirkung<br />

dieser nicht nachkommt, dem kann<br />

nach § 66 SGB I die Leistung ganz oder teilweise<br />

versagt werden.<br />

Das Gericht vertritt die Meinung, dass ALLE<br />

Daten zu Einnahmen ungeschwärzt sein<br />

müssen! Ohne Ausnahme! Ferner müssen auch<br />

alle Soll-Beträge ungeschwärzt bleiben. Einzige<br />

Ausnahmen von Schwärzung: § 67 Abs.<br />

Quelle: flickr.com<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Betreten der Wohnung den GRUND zu nennen.<br />

Sie haben dem Betroffenen zu erklären, dass<br />

er den Zutritt verweigern kann, jedoch auch,<br />

dass es dann zur Kürzung oder Streichung der<br />

Leistung kommen kann. Die Zustimmung zum<br />

Betreten der Wohnung beinhaltet nicht die<br />

Durchsicht der Schränke. Hierfür bedarf es einer<br />

gesonderten Einwilligung, da niemand gezwungen<br />

werden kann, den Inhalt seiner Schränke<br />

zu zeigen. Wird die Zustimmung erteilt, ist<br />

lediglich ein kurzer Blick in die Schränke, nicht<br />

jedoch ein „Wühlen“ in dessen Inhalt erlaubt.<br />

Betroffene sollten eine Ab- oder Durchschrift<br />

des Prüfungsprotokolls verlangen. Darauf haben<br />

Betroffene ein Recht.<br />

12 SGB X „besondere Arten personenbezogener<br />

Daten sind Angaben über die rassische und<br />

ethnische Herkunft, politische Meinungen,<br />

religiöse oder philosophische Überzeugungen,<br />

Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheit und<br />

Sexualleben.“ Diese Daten dürfen auch nach<br />

Meinung des BSG geschwärzt werden. Klar<br />

ist, dass darunter Mitgliedsbeiträge für Parteien<br />

und Gewerkschaften gehören. Auch die<br />

von mir immer wieder angeführten Abos von<br />

Pornoheften dürften wohl, als zum Sexualleben<br />

gehörend, geschwärzt werden. Ebenso das<br />

Abo für die linke Zeitschrift „Konkret“ als zur<br />

politischen Meinung gehörend.<br />

Streiten kann man sich schon darüber, ob ein<br />

Abo des „Neuen Deutschland“ nur Zeitungsabo<br />

ist oder noch zur politischen Meinung<br />

gehört. Die sogenannten Frauenzeitschriften<br />

dürften zu den nicht zu schwärzenden Objekten<br />

zählen. Wenngleich zu überlegen ist,<br />

ob der Fanatismus, mit dem der Inhalt von<br />

manchen Frauen gelesen wird, nicht doch<br />

schon wieder religiöse Züge hat und somit<br />

geschwärzt werden dürfte.<br />

Der politischen Entwicklung entsprechend<br />

wäre es folgerichtig, wenn das BSG in ein paar<br />

Jahren die dann flächendeckenden Hausdurchsuchungen<br />

der Arbeitslosenbehörden für rechtens<br />

erachtet.


Quelle: Filmszene „Brazil“<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Weitere Unterlagen<br />

In der Regel ist es unzulässig (§ 60 Abs. 1 Nr.<br />

3), Kopien von Bank- und Sparkassenkarten,<br />

Sparbüchern, vollständigen Vaterschaftsanerkennungen,<br />

Unterhaltstiteln und Scheidungsurteilen<br />

anzufertigen. Hier reicht es aus, die<br />

benötigten Einzelangaben zu vermerken.<br />

Der Personalausweis enthält Informationen,<br />

die nicht leistungsrelevant sind z.B. Größe,<br />

Augenfarbe, PA-Nummer. Diese nicht relevanten<br />

Angaben dürfen geschwärzt werden.<br />

Es ist auch unzulässig (§ 31 Abs. 5), den<br />

gesamten Mietvertrag zu kopieren. Untermieter<br />

sind in der Regel nicht verpflichtet, den<br />

Hauptmietvertrag des Wohnungsmieters vorzulegen.<br />

Nur in besonders begründeten Einzelfällen,<br />

wenn die Behörde Anhaltspunkte<br />

für einen Leistungsmissbrauch hat, kann dies<br />

verlangt werden.<br />

Entbindung von der Schweigepflicht<br />

Zu den MITWIRKUNGSPFLICHTEN � nach den<br />

Paragrafen 60-64 gehört NICHT die Pflicht,<br />

Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden.<br />

Eine Verpflichtung, Dritte von der Schweigepflicht<br />

zu entbinden, besteht nicht! Sie darf<br />

auch nicht durch die Drohung der Leistungskürzung<br />

oder -streichung, wie bei Hausdurchsuchungen,<br />

erzwungen werden. Weigert sich<br />

der Betroffene, diese Erklärung abzugeben,<br />

so hat der ärztliche Dienst die Leistungsvoraussetzungen<br />

durch eigene Untersuchungen<br />

Die Voraussetzung für den Mehrbedarf wegen<br />

Schwangerschaft ab der zwölften Woche kann<br />

durch ein Attest, das auch den voraussichtlichen<br />

Geburtstermin beinhaltet, nachgewiesen<br />

werden. Ist dieses Attest nicht vorhanden,<br />

kann der Mutterpass VORGELEGT werden. Es<br />

ist unzulässig, den Ausweis als Kopie zur Akte<br />

zu nehmen, weil es umfangreiche, nicht leistungsrelevante<br />

Angaben enthält.<br />

zu ermitteln. Die Weigerung, solche Schweigepflichtsentbindungen<br />

abzugeben, ist jedoch<br />

nur sinnvoll, wenn die Behörden etwas erfahren<br />

wollen, das der Betroffene nicht wünscht,<br />

z.B. Feststellung psychischer Erkrankungen<br />

oder bei der „Zwangsverrentung“.<br />

Wird z. B. ein MEHRBEDARF � wegen kostenaufwendiger<br />

Ernährung beantragt oder ist der<br />

Betroffene der Meinung, er sei nicht mehr<br />

uneingeschränkt erwerbsfähig, ist es sinnvoll,<br />

Allgemeines<br />

Noch immer sind die Betroffenen<br />

mit der Offenlegung ihrer Daten<br />

zu unvorsichtig! Der berechtigte<br />

Gedanke vieler, dass sie nichts<br />

zu verbergen hätten, ist ja sehr<br />

redlich, sollte jedoch nicht dazu<br />

beitragen, den Behörden die<br />

Anforderung und Speicherung<br />

unzulässiger Daten zu ermöglichen.<br />

Hätten die Betroffenen<br />

in den vergangenen Jahren der<br />

unbegründeten Datenerhebung<br />

bei Kontoauszügen oder Hausdurchsuchungen<br />

mehr Widerstand<br />

entgegengesetzt, wären<br />

diese wohl nicht so zur „Normalität“<br />

geworden. Es ist nicht<br />

nur das Bedürfnis des Staates,<br />

seine Bürger, insbesondere seine<br />

Armen, zu kontrollieren, was zu<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

Familienversicherung<br />

9<br />

Montage: cs<br />

Antragsteller, die über eine Familienversicherung<br />

versichert sind, müssen nur Angaben zu<br />

demjenigen machen, über den sie versichert<br />

sind.<br />

Dritte von der Schweigepflicht zu entbinden.<br />

Doch auch hier ist es in der Regel nicht nötig,<br />

alle möglichen Ärzte oder Krankenhäuser, in<br />

denen man zur Behandlung war oder ist, von<br />

der Schweigepflicht zu entbinden. Z.B. reicht<br />

bei Beantragung eines Mehrbedarfs in der<br />

Regel die Schweigepflichtentbindung des die<br />

Krankheit behandelnden Arztes oder Facharztes.<br />

Auch bei Wirbelsäulenerkrankungen benötigt<br />

die Behörde, bspw., keine Unterlagen des<br />

Psychiaters.<br />

erheblicher Ausweitung der Datenerhebung<br />

beigetragen hat. Hätten die Armen dies nicht<br />

so klaglos hingenommen, wäre es zumindest<br />

nicht in diesem Umfang dazu gekommen. Deshalb<br />

sollten Daten ÜBERALL UND GEGENÜBER<br />

JEDER BEHÖRDE nur nach der Devise herausgegeben<br />

werden: „So viel Daten wie nötig und<br />

so wenig Daten wie möglich.“<br />

Der Zugriff auf persönlichste Daten ist von<br />

den Betroffenen praktisch in keiner Weise<br />

kontrollierbar! Auch, wenn es rein theoretisch<br />

(also per Gesetz) anders sein sollte.<br />

Niemand ist davor sicher, dass die Daten<br />

nicht an Unbefugte weitergegeben werden.<br />

Wie in den letzten Monaten mehrfach passiert,<br />

dass die Daten von Bankkunden, von<br />

Meldestellen oder Krankenkassen, plötzlich<br />

im Internet für jeden lesbar oder ohne Einwilligung<br />

an Dritte weitergegeben wurden.


10<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

EHEÄHNLICHE GEMEINSCHAFT<br />

� Dieser Begriff hat schon zu Zeiten des<br />

BSHG zu massivem Streit zwischen Betroffenen<br />

und Behörden geführt. So versuchen die<br />

Gesetzgeber mit immer neuen Gesetzen, den<br />

Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft (eäG)<br />

zu erweitern. So auch mit den Änderungen<br />

des Fortentwicklungsgesetzes (FEG), also<br />

den Änderungen zu den Änderungen des seit<br />

01.01.05 geltenden SGB <strong>II</strong>.<br />

„Zur Bedarfsgemeinschaft gehören...der...<br />

Partner...oder...eine Person..., die mit dem<br />

erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem<br />

gemeinsamem Haushalt so zusammenlebt,<br />

dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige<br />

Wille anzunehmen ist, Verantwortung<br />

füreinander zu tragen und füreinander<br />

einzustehen.“ (§ 7 SGB <strong>II</strong>)<br />

„Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung<br />

füreinander zu tragen und füreinander einzustehen,<br />

wird vermutet, wenn Partner<br />

1. länger als ein Jahr zusammenleben,<br />

2. mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,<br />

3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen<br />

oder<br />

4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen<br />

des anderen zu verfügen“ (§ 7 Abs. 3a SGB <strong>II</strong>)<br />

Mit dieser gesetzlichen Regelung wird die<br />

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />

sowie einer Vielzahl von Sozialgerichten<br />

bewusst angegriffen. Einer WG wird häufig<br />

spätestens nach einem Jahr eine Bedarfsgemeinschaft<br />

unterstellt, da sich die Formulierung<br />

nicht nur auf „Partner“, sondern auch<br />

auf „Personen“ bezieht. Es wird versucht,<br />

eine Beweislastumkehr vorzunehmen, nicht<br />

die Behörde soll die eäG beweisen, sondern<br />

die Betroffenen sollen beweisen, dass eine<br />

solche nicht besteht. Hier hat das SG Freiburg<br />

in Bezug deutlich gemacht: „Das Zusammenleben<br />

in einer reinen Wohngemeinschaft<br />

über mehr als ein Jahr begründet die Vermutung<br />

der eheähnlichen Gemeinschaft nicht,<br />

es muss sich um eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft<br />

handeln. Ist diese nicht<br />

bewiesen, bleibt die objektive Beweislast bei<br />

der Behörde.“ (21.07.06, S 9 AS 3120/06 ER)<br />

Erste Voraussetzung für eine eäG ist eine<br />

Wohngemeinschaft. Im Gegensatz zur Ehe<br />

setzt eine eäG „grundsätzlich“ eine WG voraus.<br />

(LSG Berlin- Brandenburg 21.06.2006- L 29 B<br />

314/06 AS ER) Getrennte Wohnungen sprechen<br />

trotz einer Liebesbeziehung gegen eine<br />

eäG. (OVG Sachsen 29.06.2000)<br />

Zweite Voraussetzung für eine eäG ist eine<br />

Haushaltsgemeinschaft. Eine Ehe kann bestehen,<br />

ohne dass gemeinsam gewirtschaftet wird,<br />

eine eäG nicht. Ohne Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft<br />

kein eheähnliches Verhältnis<br />

(LSG Hessen 24.07.2006, L7 86/06 ER).<br />

Ein reines Untermietverhältnis schließt eine<br />

Haushaltsgemeinschaft und damit eine eäG aus<br />

(LSG Ba-Wü 05.12.2005, L 8AS 3441/05 ER-B).<br />

„Ein „Wirtschaften aus einem Topf“, wie dies<br />

für eine Haushaltsgemeinschaft kennzeichnend<br />

ist, (kann) nicht angenommen werden...,<br />

wenn einer dem anderen Mietzins zahlen muss.<br />

Stellt ein Leistungsträger nach dem SGB <strong>II</strong> die<br />

Wirksamkeit eines (Unter-) Mietvertrages nicht<br />

in Frage, sondern gewährt er den Mietzins als<br />

Kosten der Unterkunft, kann er das Zusammenleben<br />

zweier Personen auch nicht als Haushaltsgemeinschaft<br />

werten.“<br />

Für eine Wirtschaftsgemeinschaft spricht<br />

u.a. die gemeinsame Verfügung über ein Auto<br />

oder ein gemeinsames Konto, eine gegenseitige<br />

Kontovollmacht oder die Befugnis, über<br />

Einkommen und Vermögen des Partners tatsächlich<br />

verfügen zu können.<br />

Dritte Voraussetzung für eine eäG ist eine<br />

Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft.<br />

Eine eäG liegt nur vor, wenn zwischen<br />

den Partnern so enge Bindungen bestehen,<br />

dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen<br />

in den Not- und Wechselfällen des Lebens<br />

erwartet werden kann. Eine solche Lebensgemeinschaft<br />

kann nur zwischen einem Mann<br />

und einer Frau bestehen. Sie muss auf Dauer<br />

angelegt sein, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft<br />

gleicher Art zulassen und sich<br />

durch innere Bindungen auszeichnen, die ein<br />

gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander<br />

begründen, also über die Beziehungen<br />

in einer reinen Haushalt- und Wirtschaftsgemeinschaft<br />

hinausgehen. (siehe BVerfG<br />

02.09.2004 – 1 BvR 1962/04)<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Vierte Voraussetzung ist die freiwillige Sicherung<br />

des gemeinsamen Lebensunterhalts vorrangig<br />

vor den eigenen Bedürfnissen. „Nur<br />

wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so<br />

sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass<br />

sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt<br />

sicherstellen, bevor sie ihr persönliches<br />

Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse<br />

verwenden, ist ihre Lage mit derjenigen<br />

nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten im<br />

Hinblick auf die verschärfte Bedürftigkeitsprüfung<br />

vergleichbar.“ So das Bundesverfassungsgericht.<br />

(BVerfG 17.11.1992 Az 1 BvL 8/87)<br />

Ebenso muss ein langjähriges Zusammenleben<br />

vorliegen. Langjährig bedeutet nach Adam<br />

Quelle: flickr.com<br />

Ries immer: mehrere Jahre! Der Bundesgerichtshof<br />

urteilt, dass man frühestens nach<br />

zwei bis drei Jahren von einer eäG ausgehen<br />

könne (BGH 12.03.1997, NJW 1997,1851).<br />

Das Bundessozialgericht (BSG) hält eine dreijährige<br />

Dauer der Beziehung als Voraussetzung<br />

für eine eäG als gerechtfertigt. (29.04.1998,B<br />

7 AL 56/97 R) Entgegen aller Rechtsprechung<br />

gibt es im SGB <strong>II</strong> die Zwangsvereheähnlichung<br />

nach einem Jahr! Auch wenn dies jetzt Gesetzestext<br />

ist: Es wird nicht rechtens – wenn die<br />

Betroffenen sich wehren!<br />

In Bezug auf das damals anstehende SGB <strong>II</strong><br />

entschied das BVerfG am 9.11. 2004, Az 1 BvR<br />

684/98: „Der Begriff der Ehe kann nicht in<br />

dem Sinne erweiternd ausgelegt werden, dass<br />

er auch nichteheliche Lebensgemeinschaften<br />

erfasst. Dies gilt auch für nichteheliche Lebensgemeinschaften<br />

mit gemeinsamen Kindern.“<br />

Durch Hausdurchsuchungen ist in der Regel<br />

keine eheähnliche Gemeinschaft feststellbar.<br />

Weder ein Doppelbett noch ein benutz-


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

tes Doppelbett und auch keine überzählige<br />

Zahnbürste sind Beweise dafür. Die in der<br />

Regel zwangsläufigen Hausdurchsuchungen<br />

der Ämter, wenn Betroffene die Wohnung mit<br />

einem anderen Bewohner teilen, entsprechen<br />

nicht dem DATENSCHUTZ �!<br />

Besonders schwerwiegend sind die Folgen,<br />

wenn ein Partner Kinder mit in die Beziehung<br />

bringt und der andere Partner über ein höheres<br />

Einkommen verfügt. Das BSG hat es für diese<br />

Fälle als rechtens angesehen (B 14 AS 2/08 R<br />

vom 13.11.2008), dass der Partner mit Einkommen<br />

nicht nur für seine (in diesem Fall) Partnerin<br />

finanziell aufzukommen hat, was auch<br />

nicht strittig war, er muss auch die Kinder in<br />

vollem Umfang mitversorgen! Das Gericht hat<br />

den Partner nicht einmal die höheren Grenzen<br />

des Unterhaltsrechts zugebilligt.<br />

Solange der Partner freiwillig für die Kinder<br />

der Partnerin aufkommt, ist das alles kein<br />

Problem. Ist er jedoch nur bereit, finanziell<br />

für die Partnerin, jedoch nicht für ihre Kinder<br />

aufzukommen, hat die Mutter ein riesiges<br />

Problem. Da die Mutter von der Arbeitslosenbehörde<br />

kein Geld erhält, ist sie auf die<br />

Zahlungen des Partners angewiesen. Zahlt<br />

er nicht, kann sie ihn nicht auf Unterhalt<br />

ERLASS <strong>VON</strong> ANSPRÜCHEN<br />

� Es gibt im SGB <strong>II</strong> einen Paragrafen, der den<br />

Arbeitslosenbehörden das Recht einräumt,<br />

auf Forderungen zu verzichten. Dass die<br />

Betroffenen diesen Paragrafen nicht kennen,<br />

verwundert nicht. Doch dass es scheinbar<br />

keine Mitarbeiter gibt, die je davon gehört<br />

haben, ist einfach nicht glaubwürdig.<br />

Es handelt sich um den § 44, der nur aus<br />

einem kurzen Satz besteht: „Veränderung<br />

von Ansprüchen. Die Träger von Leistungen<br />

nach diesem Buch dürfen Ansprüche erlassen,<br />

wenn deren Einziehung nach Lage des<br />

Einzelfalles unbillig wäre.“<br />

Eigentlich ist jede Kürzung der Regelsätze<br />

unbillig, weil schon die Höhe der Regelsätze<br />

menschenunwürdig ist, auch wenn das Bundessozialgericht<br />

anderes sagt. Das steht<br />

jedoch auf einem anderen Blatt.<br />

Es stellt sich die Frage, wann die Einziehung<br />

von Ansprüchen unbillig sein kann. Das kann<br />

auf Darlehen nach § 23 zutreffen. Deren Tilgung<br />

ist durch eine Aufrechnung in Höhe von<br />

bis zu 10 Prozent des Regelsatzes vorgesehen.<br />

verklagen! Im Unterhaltsrecht gibt es keine<br />

Unterhaltspflicht für Stiefkinder, schon gar<br />

nicht, wenn die Mutter nicht mit dem neuen<br />

Partner verheiratet ist.<br />

Das Gericht verlangt, dass die Mutter die Zuwendungen,<br />

die sie vom Partner erhält zuerst für<br />

die Kinder verwendet. Wie unmöglich das ist,<br />

soll ein Beispiel zeigen. Die Mutter erhält 164<br />

Euro Kindergeld, sowie vom Partner für sich die<br />

anteilige Miete von 200 Euro und 350 Euro,<br />

insgesamt 714 Euro. Sie hat z.B. einen Sohn<br />

von 15 Jahren. Sie müsste für den Sohn, nach<br />

Ansicht des Gerichts, somit 387 Euro Unterhalt<br />

plus 200 Euro anteilige Miete, also 587<br />

Euro, aufbringen. Von den restlichen 127 Euro<br />

kann sie nicht leben, geschweige denn ihren<br />

Mietanteil beisteuern. Bei zwei Kindern würde<br />

das Geld nicht einmal für die Kinder reichen,<br />

selbst wenn sie verhungern würde! Sie ist<br />

somit gezwungen, den Unterhalt an den Sohn<br />

zu kürzen, um selbst zu überleben. Tut sie das<br />

jedoch, ist das eine Sorgerechtsverletzung und<br />

ruft, wenn es bekannt wird, das Jugendamt auf<br />

den Plan! Das kann dann dazu führen, dass ihr<br />

das Kind weggenommen wird!<br />

Es ist zwar fraglich, ob es zu solch einer<br />

Situation kommen wird, denn diese Situation<br />

Doch kann es sich ergeben, dass ein Darlehen<br />

für Leistungen bewilligt wurde, die regelmäßig<br />

oder fortwährend auftreten. Z.B. mussten<br />

Betroffene ihre Rechte auf Finanzierung des<br />

Umgangsrechts (hohe Fahrtkosten) mit ihren<br />

weit entfernt lebenden Kindern gerichtlich<br />

durchsetzen. Ebenso bei schwerer Neurodermitis<br />

befürworteten Gerichte die Finanzierung<br />

dieser ungewöhnlich hohen Kosten nach § 23,<br />

also auf Darlehensbasis. Da die genannten Darlehen<br />

jedoch so regelmäßig auftreten und der<br />

finanzielle Bedarf so hoch ist, dass es zu einer<br />

Dauertilgung von der Regelleistung käme,<br />

haben die Gerichte den Arbeitslosenbehörden<br />

nahegelegt, auf die Einziehung der Ansprüche<br />

nach § 44 SGB <strong>II</strong> zu verzichten.<br />

Es kann auch sein, dass Betroffene ihren<br />

defekten Kühlschrank auf Kredit durch<br />

einen energiesparenden Kühlschrank ersetzt<br />

haben. Danach gibt die Waschmaschine ihren<br />

Geist auf und es wird ein Darlehen nach<br />

§23 beantragt. Zusätzlich zur Kredittilgung<br />

kann kaum noch das Darlehen zurückgezahlt<br />

werden. Das wäre eine finanzielle Überforderung.<br />

Das können auch die Tilgung von Miet-<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

11<br />

wird unzweifelhaft zur Trennung führen. Das<br />

BSG hat in seinem Urteil die Zahlungspflicht<br />

des „Stiefvaters“ damit begründet, dass bei<br />

ausreichendem Einkommen Kosten nicht auf<br />

die Allgemeinheit abgewälzt werden könnten.<br />

Die Folge, wenn der „Stiefvater“ nicht zahlt,<br />

ist bei der Trennung, dass in deren Folge dieselbe<br />

Allgemeinheit nicht nur für die Kinder<br />

aufkommen muss, sondern auch noch für die<br />

Mutter, die vorher durch den Partner versorgt<br />

wurde! Eine Milchmädchenrechnung!<br />

Doch das ist nicht das Problem der Betroffenen.<br />

Das Problem ist, dass es Alleinerziehenden, die<br />

Alg <strong>II</strong> erhalten, unmöglich ist eine eäG einzugehen,<br />

wenn der Partner mehr verdient und<br />

nicht mit jedem Cent für die Kinder eines Fremden<br />

aufkommen will. Das BSG sieht in dieser<br />

Benachteiligung keine Verletzung des Grundgesetzes<br />

durch Art 2 Abs.1 „Jeder hat das Recht<br />

auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit,<br />

soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und<br />

nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung<br />

oder das Sittengesetz verstößt.“ Da können<br />

Alleinerziehende dann frei entfaltet verhungern<br />

oder ihre Kinder im Heim besuchen!<br />

Jedoch wird wohl das Bundesverfassungsgericht<br />

diese Frage klären müssen.<br />

schulden beim Vermieter oder Stromschulden,<br />

die Zahlung der Differenz von tatsächlicher<br />

zu angemessener Miete aus dem Regelsatz<br />

u.ä. sein. Kommt dann noch zusätzlich ein<br />

Darlehen über § 23 zur Tilgung, kann die<br />

Behörde die Ansprüche auf Rückzahlung des<br />

Darlehens erlassen. Ebenso kann das auf<br />

Kranke zutreffen, die zwar nicht so hohe<br />

Kosten haben, wie bei dem Neurodermitisbeispiel,<br />

wo jedoch schon ein Betrag von 20<br />

bis 30 Euro monatlich zusätzlich aufgebracht<br />

werden muss. Alle diese Beispiele sollten in<br />

besonderem Maße gelten, wenn Kinder mit in<br />

der Bedarfsgemeinschaft leben.<br />

Doch könnten die Behörden auch auf Ansprüche<br />

verzichten, wenn z.B. durch Arbeitsaufnahme,<br />

die der Betroffene umgehend gemeldet<br />

hat, eine Überzahlung stattgefunden hat. Das<br />

sind alles Möglichkeiten. Die Arbeitslosenbehörde<br />

wird wohl freiwillig nicht auf Leistungen<br />

verzichten. Jedoch haben sie die Pflicht,<br />

ERMESSEN � auszuüben. Für diese Entscheidungsausübung<br />

müssen die Mitarbeiter jedoch<br />

erst einmal einen Antrag auf den Erlass von<br />

Ansprüchen auf den Tisch bekommen!


12<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

ERMESSEN<br />

� Es gibt Paragraphen, die zwingen Sachbearbeiter<br />

genau so zu handeln, wie es im<br />

Gesetzestext z.B: im § 31 SGB <strong>II</strong> steht: „Das<br />

Arbeitslosengeld <strong>II</strong> wird... abgesenkt...“ Das<br />

Wort „wird“ ebenso wie, bspw., das Wort<br />

„soll“ geben den Mitarbeitern keinen Ermessensspielraum.<br />

Jedoch steht in vielen Paragraphen<br />

„kann“. Das bedeutet, der Mitarbeiter<br />

kann etwas bewilligen oder versagen.<br />

§ 39 SGB I „Sind die Leistungsträger ermächtigt,<br />

bei der Entscheidung über Sozialleistungen<br />

nach ihrem Ermessen zu handeln, haben<br />

sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck<br />

der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen<br />

Grenzen des Ermessens einzuhalten.<br />

Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens<br />

besteht ein Anspruch.“<br />

Der Sachbearbeiter hat kein Recht, entsprechende<br />

Anträge einfach abzulehnen. Es<br />

entscheidet nicht die Tageslaune oder der<br />

Sparzwang. Die Ausübung des Ermessens ist<br />

gerichtlich überprüfbar – wenn die Betroffenen<br />

vor Gericht ziehen!<br />

FOLGEANTRAG<br />

� Im Folgeantrag müssen nicht alle Unterlagen<br />

neu eingereicht werden. Wenn sich nichts<br />

verändert hat, müssen in der Regel auch keine<br />

Nachweise dafür, dass sich nichts verändert<br />

hat, vorgelegt werden. Lediglich beim Einkommen<br />

sind immer aktuelle Bescheinigungen mit<br />

dem Folgeantrag abzugeben.<br />

Wer zeitgleich mit dem Folgeantrag der<br />

Arbeitslosenbehörde irgendwelche Änderungen<br />

melden muss, dem sei der Rat gegeben,<br />

diese Änderungen nicht auf dem Folgeantrag<br />

anzugeben! Dieser Rat hat nichts mit Betrug<br />

zu tun. Es ist eine der leidigen Erfahrungen<br />

seit Bestehen von Hartz IV, dass Änderungsmeldungen<br />

auf dem Folgeantrag oft die Bearbeitungszeit<br />

unverhältnismäßig verlängern.<br />

Deshalb Änderungen entweder vor oder nach<br />

der Antragstellung melden. Wer Änderungen<br />

vor Antragstellung meldet (und wenn es nur<br />

einen Tag vorher ist), braucht sie nicht noch<br />

einmal im Folgeantrag zu melden. Auch wenn<br />

die Mitarbeiter der JobCenter über diesen Rat<br />

stocksauer sein dürften, so ist nicht dieser<br />

Tipp zu beanstanden, sondern die Erfahrungen,<br />

die zu diesem Tipp geführt haben!<br />

Leider hat die BA ihre Dienstanweisung geändert.<br />

Nun gibt es bei einem zu spät eingereichten<br />

Folgeantrag in der Regel kein Geld<br />

rückwirkend. Diese Möglichkeit, dass der Erstantrag<br />

nachwirkt, war zu kundenfreundlich. Ob<br />

die Gerichte diese neue Anweisung der BA als<br />

rechtskonform ansehen werden, ist zweifelhaft.<br />

Man sollte jedoch möglichst vier Wochen<br />

vor Ablauf des Bewilligungsabschnitts den<br />

Folgeantrag stellen, um Verzögerungen bei der<br />

Weiterbewilligung zu vermeiden.<br />

Abb: ARCHIV<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

GEZ-GEBÜHREN<br />

� Wer Alg <strong>II</strong> bezieht, hat in der Regel einen<br />

Anspruch auf die Befreiung von den GEZ-<br />

Gebühren. Besonderheit: Im Gegensatz zu allen<br />

anderen Anträgen gilt die Gebührenbefreiung<br />

erst ab dem Folgemonat nach der Antragstellung!<br />

Man muss jetzt nicht mehr unbedingt<br />

den beglaubigten Bescheid mit vielen darin<br />

enthaltenen Daten, die die GEZ nichts angehen,<br />

einreichen. Zum Antragsformular gibt<br />

es jetzt ein Formblatt, das die Arbeitslosenbehörde<br />

ausfüllen muss und in dem nur die<br />

wenigen Daten enthalten sind, die die GEZ zur<br />

Gebührenbefreiung benötigt.


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

HAUSHALTSENERGIE<br />

� Jede Regelleistung zur Sicherung des<br />

Lebensunterhalts enthält auch eine Pauschale<br />

für Haushaltsenergie. Bei der Regelleistung für<br />

einen Alleinstehenden von 359 Euro beträgt<br />

die Pauschale jetzt 22,62 Euro. Diese Summe<br />

beinhaltet Energie für die Warmwasserbereitung,<br />

das Kochen und für elektrische Geräte<br />

und Licht. Relevant wird dies, wenn irgendwelche<br />

Abzüge von Miete oder Heizkosten<br />

vorgenommen werden. Beispiel: Bei Wohnungen<br />

mit Fern- oder Zentralheizung wird häufig<br />

auch Warmwasser geliefert. Die Kosten für<br />

Warmwasser sind somit in der Gesamtmiete<br />

enthalten, welche die JobCenter übernehmen.<br />

Damit der Teil für die Bereitung von Warmwasser<br />

nicht zweimal gezahlt wird (einmal in der<br />

Regeleistung und einmal in der Miete), muss<br />

die Warmwasserpauschale einmal abgezogen<br />

werden. Das wird in der Regel bei der Miete<br />

getan.<br />

In Berlin musste der rot-rote Senat erst mit<br />

mehreren Gerichtsverfahren darauf aufmerksam<br />

gemacht werden, dass die Energiepauschale<br />

im Regelsatz von über 27 Euro abgesenkt<br />

wurde und dass daraus resultierend auch<br />

die einzelnen Pauschalen für Warmwasser und<br />

zum Kochen gesunken sind. Jahrelang haben<br />

die Arbeitslosenbehörden auf Weisung des<br />

Senats noch immer 9 Euro für Warmwasser<br />

abgezogen. Im Bild die Abzugspauschalen<br />

nach der Regelsatzerhöhung zum 01.07.09.<br />

Abzugspauschalen<br />

Personengruppe Energiepauschale Anteil für Warmwasser Anteil für Kochenergie<br />

Bei Alleinstehenden,<br />

Alleinerziehenden und<br />

Haushaltvorständen 22,62 Euro 6,79 Euro 5,04 Euro<br />

Partner in der BG 20,35 Euro 6,11 Euro 4,54 Euro<br />

Kinder<br />

von 0 bis 6 Jahren 13,55 Euro 4,07 Euro 3,02 Euro<br />

Kinder<br />

von 6 bis 14 Jahren 15,81 Euro 4,75 Euro 3,53 Euro<br />

Jugendliche<br />

von 14 bis 25 Jahren 18,08 Euro 5,43 Euro 4,03 Euro<br />

Diese Abzüge dürfen nur vorgenommen werden,<br />

wenn tatsächlich in den Mietkosten (dazu<br />

zählen auch die Heizkosten) auch Kosten für<br />

Kochen oder Warmwasser enthalten sind. Beispiel:<br />

Erna und Paul zahlen Miete. Ihre Wohnung<br />

wird durch Gasetagenheizung beheizt.<br />

HAUSHALTSGEMEINSCHAFT<br />

� § 9 Abs.5: „Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft<br />

mit Verwandten oder Verschwägerten,<br />

so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen<br />

erhalten, soweit dies nach deren Einkommen<br />

und Vermögen erwartet werden kann.“<br />

Diese Vermutung kann durch einfache schriftliche<br />

Erklärung, dass der Hartz-IV-Berechtigte<br />

keine Leistungen von den Verwandten erhält,<br />

widerlegt werden.<br />

Zum Thema Haushaltsgemeinschaft hat sich<br />

das Bundesverfassungsgericht schon mit<br />

Beschluss vom 2.9.004 (1BvR 1962/04) wie<br />

folgt geäußert:<br />

„Bloße Mitglieder einer Wohngemeinschaft<br />

gehören auch nicht zu der `Haushaltsgemeinschaft´<br />

nach § 9 Abs.5 SGB <strong>II</strong>, denn diese Regelung<br />

erfasst nur Verwandte oder Verschwägerte<br />

im Sinne der §§ 1589 f. BGB (vgl. BTDrucks<br />

15/1516, S. 53). Aus diesen Gründen enthalten<br />

die angegriffenen Regelungen keine Auskunfts-<br />

pflichten über die persönlichen Verhältnisse<br />

eines bloßen Mitbewohners. Insbesondere muss<br />

der Hilfebedürftige keine derartigen Angaben zu<br />

Mit- oder Untermietern machen. Für die Zwecke<br />

der Grundsicherung für Arbeit reicht es aus,<br />

wenn er den von ihm getragenen Mietanteil<br />

benennt oder die Untermietzahlung als Einkommen<br />

angibt. Allerdings trägt er das rechtliche<br />

Risiko, das sich ergeben kann, wenn entgegen<br />

seinen Angaben doch eine eheähnliche Lebensgemeinschaft<br />

vorliegt.“<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

13<br />

Quelle: flickr.com<br />

Mit Gas wird auch das Warmwasser bereitet<br />

und gekocht. Bei ihnen sind zweimal 6,11 Euro<br />

(12,22 Euro) für Warmwasser und zweimal 4,54<br />

Euro (9,08 Euro) zum Kochen, gesamt also<br />

21,30 Euro monatlich von den Abschlägen an<br />

den Gasversorger abzuziehen.


14<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

JUGENDLICHE unter 25 (oder U 25)<br />

� Mit der Begründung, dass zu viele Jugendliche<br />

wegen des Bezugs von Hartz IV aus der<br />

elterlichen Wohnung ausgezogen seien und<br />

dies Missbrauch von Sozialleistungen wäre,<br />

wurden die Gesetze gegen die U 25 verschärft.<br />

Zahlen für diesen angeblichen Missbrauch<br />

wurden nie vorgelegt. Außerdem hatten sie bis<br />

2006 das Recht auszuziehen. Sein Recht wahrzunehmen,<br />

ist kein Missbrauch. Jeder Steuerzahlende<br />

darf so viel steuerlich mindernd geltend<br />

machen, wie das Steuerrecht hergibt. Das<br />

ist kein Missbrauch. Nur bei den Armen wird<br />

es als Missbrauch bezeichnet, wenn sie ihre<br />

Rechte wahrnehmen. Deshalb dürfen die U 25<br />

seit März 2006 nicht mehr ohne ausdrückliche<br />

Erlaubnis des JobCenters umziehen.<br />

Ziehen sie einfach aus der elterlichen Wohnung<br />

aus, wird ihnen keine Erstausstattung für<br />

die Wohnung gewährt, sie erhalten keine Mietkosten<br />

ersetzt (und das bis zum 25. Geburtstag),<br />

und sie erhalten immer den seit 01.07.06<br />

um damals 69 Euro gekürzten Regelsatz eines<br />

Minderjährigen (seit 01.07.09 287 Euro). Im<br />

äußersten Fall erhält ein 18-Jähriger, der ohne<br />

Erlaubnis auszieht, volle sieben Jahre keinen<br />

Cent Miete. Auch nicht die Miete oder den<br />

Mietanteil, der bisher in der Elternwohnung<br />

übernommen wurde! Ob nicht zumindest der<br />

Mietanteil, der in der elterlichen Wohnung<br />

übernommen wurde, gezahlt werden muss, hat<br />

anscheinend noch kein Gericht entscheiden<br />

müssen, weil die jungen Erwachsenen dies<br />

wohl noch nicht eingeklagt haben.<br />

Jedoch gibt es auch Möglichkeiten, legal<br />

auszuziehen.<br />

§ 22 Abs. 2a „... Der kommunale Träger ist zur<br />

Zusicherung verpflichtet, wenn<br />

1. der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen<br />

Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern<br />

oder eines Elternteils verwiesen werden kann,<br />

2. der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung<br />

in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder<br />

3. ein sonstiger ähnlich schwerwiegender Grund<br />

vorliegt.“<br />

Schwerwiegende soziale Gründe können sein:<br />

unüberbrückbare Differenzen mit den Eltern,<br />

Suchterkrankungen der Eltern (SG Nürnberg vom<br />

2.11.06 – S 19 AS 811/06 ER) wie auch der<br />

Jugendlichen selbst,<br />

wenn Eltern die Jugendlichen vor die Tür<br />

setzen,<br />

unzumutbare räumliche Unterbringung (SG<br />

Berlin vom 9.11.2007 – S 37 AS 8402/06)<br />

fortgesetzte Gängelei und Herabsetzung (VG<br />

Meiningen vom 27.4.2006 – 8 K 807/05 ME, SG<br />

Dortmund vom 5.10.2006 – S 48 AS 34/06 ER)<br />

Kein eigenes Zimmer zu haben, kann auch ein<br />

Grund zum Auszug sein.<br />

An die schwerwiegenden sozialen Gründe nach<br />

§ 22 Abs. 2a SGB <strong>II</strong> dürfen jedoch keine überzogenen<br />

Ansprüche gestellt werden. Denn diese<br />

Gründe knüpfen an den gleich lautenden § 64<br />

Abs.1 SGB <strong>II</strong>I an. Zu diesem Paragrafen hat das<br />

BSG schon am 02.06.2004 – B 7 AL 38/03 R<br />

festgestellt, dass die Vorschrift über Kürzungen<br />

existenzsichernder Leistungen massiv in die<br />

Lebensführung junger Volljähriger eingreift,<br />

weil die von hilfebedürftigen Eltern geforderte<br />

Einstandspflicht in drastischem Gegensatz zur<br />

Situation nicht hilfebedürftiger Eltern steht.<br />

Zur Vermeidung einer überzogenen Haftung<br />

armer Eltern sind daher die Ausführungen des<br />

BSG auch für die Auslegung nach § 22 Abs.2a<br />

Satz 2 Nr.1 SGB <strong>II</strong> heranzuziehen (LSG Hamburg<br />

vom 2.5.2006 – L 5 B 160/06 AS ER) Danach<br />

gelten folgende Maßstäbe:<br />

Schwerwiegende soziale Gründe können<br />

sowohl aus Sicht des jungen Volljährigen als<br />

auch aus Sicht der Eltern vorliegen. Auf ein<br />

Verschulden des jungen Volljährigen kommt<br />

es nicht an. Störungen im Eltern-Kind-Verhältnis<br />

sind schwerwiegend, wenn eine Besserung<br />

nicht zu erwarten ist.<br />

Liegen keine Anhaltspunkte für einen Auszug<br />

zur Erlangung höherer Alg-<strong>II</strong>-Ansprüche vor,<br />

ist die auf der Basis erheblicher persönlicher<br />

Differenzen in der Vergangenheit begründete<br />

übereinstimmende Erkenntnis von Eltern und<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Foto: uk<br />

jungem Volljährigen, dass ein weiteres Zusammenleben<br />

nicht möglich sei, zu respektieren.<br />

Dies trägt dem verfassungsrechtlichen Vorrecht<br />

der elterlichen Erziehung (Art. 6 Abs.2 GG) und<br />

dem Persönlichkeitsrecht der Betroffenen (Art.<br />

2 Abs. 1 GG) Rechnung, so das BSG.<br />

Die Einschaltung des Jugendamts ist keine Voraussetzung<br />

für die Anerkennung schwerer sozialer<br />

Gründe. Solche Hilfeangebote können nicht<br />

einmal vom JobCenter erzwungen werden.<br />

Es kann sogar von einer Zusicherung abgesehen<br />

werden, wenn es dem Jugendlichen<br />

„aus wichtigem Grund nicht zumutbar war,<br />

die Zusicherung einzuholen.“ (§ 22 Abs. 2a<br />

Nr. 3 SGB <strong>II</strong>)<br />

Wer genau liest, wird bemerkt haben, dass<br />

immer vom Umzug geschrieben wird, nicht<br />

vom Auszug aus der elterlichen Wohnung.<br />

Vom Gesetzestext her soll jeder junge Erwachsene,<br />

der noch nicht 25 Jahre ist, vor jedem<br />

UMZUG � die Erlaubnis des JobCenters einholen.<br />

Doch so war das im Gesetzgebungsverfahren<br />

nicht vorgesehen. In der Gesetzesbegründung<br />

steht, dass die Ursache angeblicher<br />

hoher Kosten von Hartz IV unter anderem<br />

der Erstbezug einer eigenen Wohnung junger<br />

Erwachsener sei. Doch der „Erstbezug“ aus


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

der Gesetzesbegründung verwandelt sich<br />

einfach in einen Paragrafen, der alle Umzüge<br />

der U 25 ohne Genehmigung verbieten will.<br />

Aufgrund der Gesetzesbegründung ist dieses<br />

Umzugsverbot für junge Erwachsene, die eine<br />

Wohnung haben, nicht durchzusetzen. Ebenso<br />

nicht genehmigungspflichtig ist:<br />

1. der Umzug von einem Elternteil zum anderen,<br />

2. der Auszug der Eltern unter „Zurücklassung“<br />

des Jugendlichen,<br />

3. der Auszug junger Verheirateter,<br />

4. der Auszug der U 25, die schwanger sind oder<br />

ein Kind bis zu sechs Jahren betreuen.<br />

Wie zu sehen ist, gibt es viele Gründe, einen<br />

Auszug zu genehmigen. Ich kenne jedoch nicht<br />

einen Umzugsantrag der U 25, den die Arbeitslosenbehörden<br />

von sich aus genehmigt haben!<br />

Wenn, dann musste die Erlaubnis erst über ein<br />

Gerichtsverfahren erzwungen werden.<br />

KLASSENFAHRTEN<br />

� Eine der wenigen einmaligen Beihilfen; die<br />

den Betroffenen mit Einführung von Hartz IV<br />

geblieben sind, sind die mehrtägigen Klassenfahrten<br />

(§ 23 Abs.3 Satz 1 Nr. 3) im Rahmen<br />

der schulrechtlichen Bestimmungen. Schulfonds<br />

oder andere Zuschüsse der Schulbehörde<br />

sind vorrangig zu beantragen. Bisher sind zwei<br />

Möglichkeiten bekannt, wie Sozialbehörden<br />

rechtswidrig gegen diese Anträge vorgehen:<br />

1. Sie bezweifeln, dass die beantragte Klassenfahrt<br />

den schulrechtlichen Bestimmungen<br />

entspricht und lehnen den Antrag ab.<br />

2. Sie pauschalieren die beantragte Summe<br />

und zahlen nur einen Teil der Kosten.<br />

Zu 1. Festzulegen, was den schulrechtlichen<br />

Bestimmungen entspricht, obliegt der Schule<br />

bzw. der Schulbehörde, jedoch nicht den<br />

Arbeitslosenbehörden. Wenn also die Schule<br />

bekannt gibt, dass sie eine mehrtägige Klassenfahrt<br />

im Rahmen der schulrechtlichen<br />

Bestimmungen macht, dann hat die Arbeitslosenbehörde<br />

das so zu akzeptieren.<br />

Zu 2. Einige JobCenter fühlen sich berufen,<br />

die Kosten als willkürlich begrenzten<br />

Zuschuss zu übernehmen, teilweise übernehmen<br />

sie dann ganz großzügig die restliche<br />

Summe, auf der sie die Betroffenen sitzen<br />

lassen, als rückzahlbares Darlehen. Beides<br />

ist rechtswidrig! Mehrtägige Klassenfahrten<br />

Selbstverständlich darf z.B. ein junger<br />

Erwachsener, der im elterlichen Haushalt lebt<br />

und seinen Lebensunterhalt selbst verdient,<br />

ohne Erlaubnis ausziehen! Ebenso bedarf es<br />

keiner Genehmigung, wenn die Eltern den<br />

Jugendlichen vor die Tür setzen.<br />

Doch selbst Obdachlosigkeit der jungen<br />

Erwachsenen ist für die Behörde scheinbar<br />

kein Grund, die Kosten für eine Wohnung<br />

zu übernehmen. Auch diese Jugendlichen<br />

wurden auf das Elternhaus verwiesen. Eigentlich<br />

sollen die JobCenter Obdachlosigkeit<br />

verhindern bzw. beenden! Eigentlich!<br />

Wenn Kosten mit dem Umzug verbunden sind,<br />

muss deren Übernahme vor dem Umzug beantragt<br />

werden. Auch in den Fällen, in denen<br />

eine Umzugserlaubnis nicht eingeholt werden<br />

muss. Mit einer Wohnung sind in der Regel<br />

sind von Kürzungen durch Pauschalen ausgenommen,<br />

im Gegensatz zu den anderen einmaligen<br />

Beihilfen.<br />

Die Übernahme darf auch nicht abgelehnt<br />

werden, weil nur ein Teil der Klasse (z.B. bei<br />

Projektfahrten) fährt oder die Fahrt ins Ausland<br />

geht oder zum Ende der Schulzeit stattfindet.<br />

Zu den Fahrtkosten gehören auch<br />

während der Reise entstehende Kosten wie<br />

Eintrittsgelder, Leihgebühren usw. Den Klassenfahrten<br />

gleichgestellt können auch mehrtägige<br />

Fahrten eines Kindergartens sein.<br />

Lediglich das Taschengeld ist von den Eltern<br />

aus der Regelleistung zu übernehmen.<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

15<br />

eine Kaution, die Mietkostenübernahmebescheinigung<br />

und die Erstausstattung verbunden.<br />

Die müssen wie bei jedem anderen Alg-<br />

<strong>II</strong>-Bezieher vorher beantragt werden.<br />

Wer gern im „Hotel Mama“ bleiben möchte,<br />

soll das tun, sich von Mama bekochen, seine<br />

Wäsche waschen, sein Zimmer aufräumen<br />

lassen, kurz, immer schön am Rockzipfel<br />

von Mama hängen. So haben die JobCenter<br />

Euch gern: abhängig und billig! Toll! Wer<br />

gute Gründe hat, von zu Hause auszuziehen,<br />

der sollte auch bereit sein, für sein Recht zu<br />

kämpfen. Da die JobCenter wohl kaum einen<br />

Antrag auf Auszug genehmigen, ehe sie von<br />

den Gerichten dazu gezwungen werden, stellt<br />

Euch darauf ein, und lasst Euch nicht mit<br />

einem gekürzten Regelsatz und der Weigerung,<br />

die Miete zu zahlen, von den JobCentern in<br />

die Schuldenfalle treiben.<br />

Das Bundessozialgericht hat Ende 2008 zu<br />

diesem Thema unter dem Aktenzeichen B 14<br />

AS 36/07 R die <strong>ALG</strong>-<strong>II</strong>-Behörde verpflichtet,<br />

die vollen Kosten der Klassenfahrt zu übernehmen.<br />

Damit hat sich hoffentlich auch die<br />

rechtswidrige Praxis der Berliner Arbeitslosenbehörden<br />

erledigt.<br />

Wurde schon für eine Klassenfahrt bezahlt,<br />

weil das JobCenter den Antrag abgelehnt<br />

oder gekürzt hat, kann ein ÜBERPRÜFUNGS-<br />

ANTRAG � gestellt und das Geld zurückgefordert<br />

werden.


16<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

MEHRBEDARF<br />

� Mehrbedarfszuschläge gibt es für bestimmte<br />

Behinderte, für Schwangere, für Alleinerziehende<br />

und Kranke mit besonderen Diäten.<br />

Mehrbedarf in Höhe von 35 Prozent (Tabelle<br />

unten) für Behinderte (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 SGB<br />

<strong>II</strong>): Den gibt es leider nur, wenn Sie Leistungen<br />

zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33<br />

SGB IX, sowie sonstige Hilfen zur Erlangung<br />

eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben<br />

oder Eingliederungshilfen nach § 54 Abs. 1<br />

Satz 1 Nrn. 1-3 SGB X<strong>II</strong> von einem öffentlich-rechtlichen<br />

Träger nach § 6 Abs. 1 SGB<br />

IX tatsächlich erhalten. – Die BA verweigert<br />

Behinderten diesen Mehrbedarf neuerdings,<br />

wenn Erhalt oder Erlangen eines Arbeitsplatzes<br />

nur über Mobilitätshilfen, Beratung oder<br />

Vermittlung gefördert wird.<br />

Mehrbedarf in Höhe von 17 Prozent für behinderte<br />

Sozialgeldbezieher (& 28 Abs. 1 Nr. 4<br />

SGB <strong>II</strong>), die einen entsprechenden Ausweis mit<br />

Ernährungsbedingter Mehrbedarf<br />

Seit Jahrzehnten richteten sich die Ämter bei<br />

diesem Mehrbedarf mehr oder weniger nach den<br />

Empfehlungen des Deutschen Vereins (DV). In<br />

den letzten Jahren unterliefen die Ämter diese<br />

Vorgaben und beriefen sich teilweise auf den<br />

„Begutachtungsleitfaden“ des Landschaftsverbandes<br />

Westfalen-Lippe, der, man ahnt es,<br />

eine „Schmalspurdiät“ verteidigt. Nun ist der<br />

Deutsche Verein „eingeknickt“. Nach seinen<br />

Empfehlungen ist nun in der Regel für Vollkost<br />

und deren spezielle Formen kein Mehrbedarf<br />

mehr erforderlich.<br />

Es reicht nicht mehr, verzehrende (konsumierende)<br />

Erkrankungen wie z.B. Krebs, HIV/AIDS,<br />

Multiple Sklerose, Morbus Chrohn oder Colitis<br />

ulcerosa zu haben; sozusagen „ein bisschen<br />

Krebs“ reicht nicht. Jetzt wird nur bei erheblichen<br />

körperlichen Auswirkungen, schweren<br />

Verläufen oder gestörter Nährstoffausnahme<br />

zugebilligt, dass eventuell im Einzelfall ein<br />

erhöhter Ernährungsbedarf vorliegen kann! Das<br />

heißt, dass jemand mit „fortschreitendem/fortgeschrittenen<br />

Krebsleiden“ mit den Ämtern um<br />

die Anerkennung als Einzelfall kämpfen muss,<br />

wenn er einen Mehrbedarf haben will. Das dürfte<br />

mit ziemlicher Sicherheit fast ausschließlich<br />

vor Gericht landen, sollten diese Schwerkranken<br />

nebenbei noch dafür überflüssige Kräfte haben.<br />

Jetzt wissen wir wieder einmal, weshalb sich<br />

das Ganze „Fürsorgesystem“ nennt!<br />

Für solch „einfache“ Krankheiten wie z.B.<br />

Hyperlipidämie (Erhöhung der Blutfettwerte),<br />

Hyperurikämie (Erhöhung der Harnsäure im<br />

dem Merkzeichen G haben. Kindern unter 15<br />

Jahren wird dieser Zuschlag jetzt ganz verweigert,<br />

da er angeblich volle Erwerbsminderung<br />

voraussetzt und Schulkinder dem Arbeitsmarkt<br />

sowieso nicht zur Verfügung stünden.<br />

Beide neuen Anweisungen widersprechen den<br />

bestehenden Gesetzen, die sich nicht geändert<br />

haben und bis heute keine solche Einschränkungen<br />

vorsehen. Den Betroffenen bleibt auch<br />

hier nur die Möglichkeit, gegen die Verweigerung<br />

des Mehrbedarfs mit WIDERSPRUCH �<br />

und KLAGE � vorzugehen.<br />

Mehrbedarf bei Alleinstehenden<br />

Prozent vom Regelsatz 351 Euro Regelsatz 359 Euro<br />

Regelsatz bis 30.06.2009 ab 01.07.2009<br />

12 % 42 Euro 43 Euro<br />

17 % 60 Euro 61 Euro<br />

35 % 123 Euro 126 Euro<br />

36 % 126 Euro 129 Euro<br />

Blut), Gicht, Hypertonie (Bluthochdruck),<br />

kardiale und renale Ödeme, Diabetes mellitus<br />

(Zuckerkrankheit Typ I und <strong>II</strong>), Zwölffingerdarmgeschwür,<br />

Magengeschwür, Neurodermitis,<br />

Leberinsuffizienz, denen bisher ein Mehrbedarf<br />

zwischen 25 und 35 Euro zugebilligt wurde, „...<br />

ist in der Regel ein krankheitsbedingt erhöhter<br />

Ernährungsaufwand zu verneinen.“ (O-Ton DV)<br />

In den Durchführungshinweisen zu § 21 ist<br />

für folgende Krankheiten ein Mehrbedarf vorgesehen:<br />

Art der Krankenkost Kranken-<br />

Erkrankung kostzulage<br />

Nierenversagen<br />

Nierenversagen mit<br />

Eiweißdefinierte Kost 36 Euro<br />

Hämodialysebehandlung Dialysekost 72 Euro<br />

Zöliakie/Sprue Glutenfreie Kost 72 Euro<br />

Der Höhe nach sind Abweichungen in besonders gelagerten<br />

Einzelfällen möglich.<br />

Ein krankheitsbedingter Mehrbedarf für<br />

kostenaufwendige Ernährung ist bei folgenden<br />

verzehrenden Krankheiten in der Regel<br />

nur bei schweren Verläufen oder dem Vorliegen<br />

besonderer Umstände zu bejahen:<br />

36 Euro monatlich bei Colitis ulcerosa, HIV/<br />

AIDS, Krebs (bösartiger Tumor), Leberversagen,<br />

Morbus Crohn, Multipler Sklerose.<br />

Im Text wird immer wieder von beispielhaften<br />

Aufzählungen (z.B.) der Krankheiten ausgegangen.<br />

Das heißt, nur für diese Krankheiten<br />

gibt es diese Empfehlungen. Sie sind nicht<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Mehrbedarf in Höhe von 17 Prozent für<br />

Schwangere ab der 13. Schwangerschaftswoche<br />

(§ 21 Abs. 1 Nr.2 SGB<strong>II</strong>): Mehrbedarfszuschläge<br />

richten sich prozentual nach der Höhe<br />

der Regelleistung nach § 20 SGB <strong>II</strong>. Da diese<br />

verschieden hoch sein können, ergeben sich<br />

auch prozentual verschieden hohe Zuschläge.<br />

Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe von<br />

12-60 Prozent (§ 21 Abs.1 Nr.3 SGB <strong>II</strong>)<br />

1. in Höhe von 36 Prozent, wenn sie mit einem<br />

Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder<br />

drei Kindern unter sechzehn Jahren zusammenleben<br />

(129,24 Euro)<br />

2. in Höhe von 43,08 Euro für<br />

jedes Kind, wenn sich dadurch<br />

ein höherer Prozentsatz als nach<br />

Nr.1 ergibt. Höchstens jedoch 60<br />

Prozent (215,40 Euro) der Regelleistung.<br />

abschließend. Wenn für andere, nicht aufgeführte<br />

Erkrankungen (z.B. Rheuma, Allergien)<br />

ein erhöhter Ernährungsbedarf besteht, ist ein<br />

Antrag an die Behörde zu jeder Zeit möglich.<br />

Die kann sich nicht darauf berufen, dass die<br />

Krankheit nicht in den Empfehlungen des DV<br />

enthalten ist.<br />

Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil<br />

vom 27.02.2008 (B 14 7b AS 64/06) den Amtsermittlungsgrundsatz<br />

betont, der die Behörde<br />

im Einzelfall verpflichtet, selbst<br />

den Sachverhalt zu ermitteln<br />

(§ 20 SGB X) und auch die für<br />

Betroffene günstigen Umstände<br />

zu berücksichtigen, sowie die Einholung<br />

medizinischer und/oder<br />

ernährungswissenschaftlicher<br />

Stellungnahmen und Gutachten.<br />

(§ 21 SGBX)<br />

Es ist den Kranken jedoch zu<br />

empfehlen, möglichst selbst die erhöhten<br />

Kosten für die Ernährung nachzuweisen. Vielleicht<br />

helfen hier die Ernährungsberater von<br />

Krankenkassen, entsprechenden Vereinen oder<br />

Selbsthilfegruppen. Denn es ist zu befürchten,<br />

dass „unabhängige“ Gutachter, wenn sie denn<br />

eingeschaltet werden, gern die Meinung der<br />

Auftraggeber vertreten.<br />

Auf jeden Fall haben die neuen Empfehlungen<br />

zwei Dinge erreicht: Einsparungen in Millionenhöhe<br />

und eine weitere Beschäftigung der<br />

Sozialgerichte!


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

MIETE – KOSTEN DER UNTERKUNFT<br />

� „Laufende Leistungen für die Unterkunft<br />

und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen<br />

Aufwendungen erbracht...“ (§ 22 Abs. 1. Satz<br />

1 SGB <strong>II</strong>). Dieser Satz gilt für alle, die Hartz<br />

IV erstmals beantragen. Egal, wie hoch die<br />

Miete ist, die Arbeitslosenbehörde muss sie<br />

in voller Höhe übernehmen, wenn der Antragsteller<br />

„bedürftig“ ist. Ausnahmen gibt es für<br />

die Kosten von Garagen, Kabelgebühren u.ä.,<br />

wenn sie aus dem Mietvertrag herausgenommen<br />

werden können. Sind sie Bestandteil des<br />

Mietvertrags, ohne dass man auf diese Leistungen<br />

verzichten kann, müssen sie in der Regel<br />

auch übernommen werden. Da in diesem Paragraphen<br />

nicht von Miete, sondern von Kosten<br />

der Unterkunft geschrieben wird, zählen dazu<br />

u.a. auch Kosten für Untermiete, Eigenheime,<br />

Stellplatzkosten für einen Wohnwagen (LSG<br />

Berlin-Brandenburg vom 12.10.2007), reale<br />

Unterbringungskosten bei Dritten, Kosten<br />

einer Obdachlosenunterkunft, einer Pension,<br />

eines Hotels, einer Gartenlaube (LSG Berlin-<br />

Brandenburg vom 8.3.2006 – L 19 B 42/06 AS<br />

ER), auch die Wohnkosten in einem besetzten<br />

Haus. Also alle Kosten, die nachweislich für<br />

eine Unterkunft erbracht werden.<br />

Übrigens gelten bei Gartenlauben und Wohnwagen,<br />

die nicht gemietet, sondern Eigentum<br />

sind, die gleichen Bestimmungen wie bei<br />

Eigenheimen. Kosten für Wasser, Müllabfuhr,<br />

Reparaturen, Pacht des Grundstücks usw.<br />

müssen als Kosten der Unterkunft in der Regel<br />

übernommen werden.<br />

Voraussetzung für die Übernahme der Kosten<br />

der Unterkunft ist in der Regel die tatsächliche<br />

Zahlung, nicht die Vorlage irgendeines<br />

Vertrages. Wer z.B. keinen Vertrag hat, jedoch<br />

durch Kontoauszüge nachweisen kann, dass<br />

Überweisungen für eine Unterkunft getätigt<br />

werden, hat in der Regel auch Anspruch auf<br />

Übernahme der Kosten.<br />

Der oben erwähnte Satz des §22 wird jedoch<br />

mit der Hinzufügung „...soweit diese angemessen<br />

sind“ beendet. Das heißt, dass es da<br />

Beschränkungen gibt. Diese Beschränkungen<br />

treten jedoch nicht sofort in Kraft. Die<br />

Arbeitslosenbehörde, die verpflichtet ist, die<br />

Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe<br />

zu übernehmen, kann einem Alg-<strong>II</strong>-Bezieher<br />

mitteilen, dass sie seine Miete für unangemessen<br />

hoch hält und ihn zur Senkung der<br />

Mietkosten mit einer Fristsetzung auffordern.<br />

Die Kosten können durch Untervermietung,<br />

UMZUG � oder durch eigene Zahlung von<br />

Teilen der Miete gesenkt werden.<br />

Doch was ist angemessen? Für diesen Begriff<br />

gibt es keine feste Summe. Jedes Bundesland,<br />

jede Kommune kann die Angemessen-<br />

heit anders festlegen. Von dieser Möglichkeit<br />

haben die Verantwortlichen auch sehr willkürlich<br />

Gebrauch gemacht, unter der Prämisse<br />

„Hauptsache billig“ wurden Mietobergrenzen<br />

festgelegt, die keiner gerichtlichen Überprüfung<br />

standhielten.<br />

Die Angemessenheit richtet sich nach dem<br />

Wohnstandard, insbesondere der Wohnfläche,<br />

die den Betroffenen zugestanden wird, den<br />

Mietpreisen des Wohnungsmarktes und der<br />

persönlichen Situation des Erwerbsfähigen und<br />

seiner Bedarfs-oder Haushaltsgemeinschaft.<br />

Der Wohnstandard für Alg <strong>II</strong>-Bezieher richtet<br />

sich immer nach dem Wohnstandard am Ort.<br />

Wer in Dörfern oder Kleinstädten wohnt, in<br />

denen viele Wohnungen noch mit Ofenheizung<br />

und ohne Bad sind, kann auch nicht mehr<br />

verlangen. Wer jedoch in Gegenden wohnt,<br />

wo ein hoher Prozentsatz der Wohnungen mit<br />

Zentralheizung und Bad ausgestattet ist, wird<br />

schwerlich auf den kleinen Teil der Wohnungen<br />

ohne Bad verwiesen werden können.<br />

Die zugebilligte Wohnungsgröße soll sich an<br />

den Richtwerten der Wohngeldtabelle orientieren<br />

(z.B. 45-50 Quadratmeter für eine Person).<br />

Die Tabelle erhält man bei jedem Wohnungsamt.<br />

„Bei der Beurteilung der Angemessenheit der<br />

Mietaufwendungen... sind die örtlichen Verhältnisse<br />

zunächst insoweit maßgeblich, als<br />

auf die im unteren Bereich der für vergleich-<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

17<br />

bare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen<br />

marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen<br />

und auf dieser tatsächlichen Grundlage<br />

die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne<br />

zu ermitteln ist.“ (BVerwG 28.04.05<br />

– 5 C 15/04) Der örtliche Mietspiegel kann in<br />

diesem Sinne eine gute Vorlage sein. Berlin<br />

z.B. hat einen detaillierten Mietspiegel. Und<br />

was macht der Berliner Senat?<br />

Foto: Dario<br />

Er legt eine Einheitsmietobergrenze pro Person<br />

fest, ohne den Mietspiegel, ohne auch nur die<br />

geringste Aussage treffen zu können, wie viele<br />

Wohnungen für Bezieher nach SGB <strong>II</strong> und X<strong>II</strong><br />

in diesen Preislagen tatsächlich zur Verfügung<br />

stehen. Genau diese Vorgehensweise hat das<br />

Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil<br />

nicht gemeint. Für diese Praxis haben wir ja<br />

auch einen „rot-roten“ Senat.<br />

Maßgeblich soll im Prinzip der Quadratmeterpreis<br />

mal den zulässigen Quadratmetern sein.<br />

Innerhalb dieser Grenzen ist es einem Alg-<strong>II</strong>-<br />

Bezieher möglich zu variieren. Z.B. ist Grundlage<br />

ein Quadratmeterpreis von sechs Euro und<br />

eine Wohnungsgröße von 50 Quadratmetern,<br />

so entspricht dies einer Miethöchstgrenze von<br />

300 Euro. Es kann eine knapp 43 qm große<br />

Wohnung, jedoch mit Balkon und/oder Fahrstuhl,<br />

für sieben Euro pro Quadratmeter gemietet<br />

werden. Es kann aber auch, weil ein größeres<br />

Platzbedürfnis besteht, eine Wohnung mit<br />

60 Quadratmetern und einem Quadratmeterpreis<br />

von fünf Euro gemietet werden. Wichtig<br />

ist, dass die 300 Euro Miethöchstgrenze nicht<br />

überschritten werden.


18<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

Der persönlichen Situation entsprechend<br />

können Betroffenen auch größere Wohnungen<br />

zugebilligt werden, insbesondere bei:<br />

Pflegebedürftigkeit,<br />

Behinderten (z.B. Rollstuhlfahrer),<br />

Schwangeren,<br />

Alleinerziehenden,<br />

Selbstständigen (Büro, Werkstatt, Arbeitszimmer),<br />

häufigen und regelmäßigen Besuchen der leiblichen<br />

Kinder mit längerem Aufenthalt (SG<br />

Magdeburg, Urteil vom 28.10.2005 – S 28 AS<br />

383/05),<br />

Haushalt mit Angehörigen der BG mit bedarfsdeckendem<br />

Einkommen (SG Oldenburg, Beschluss<br />

vom 31.10.2005 – S 47 AS 256/05 ER).<br />

Bei Alleinerziehenden zeichnet sich ab, dass<br />

ihnen mehr Wohnraum zugestanden werden<br />

kann als Paarhaushalten. Das BSG hat in seinem<br />

Urteil (18.06.2008 B 14/7b AS 44/06 R) nochmals<br />

einer Alleinerziehenden mehr Wohnraum<br />

zugebilligt. Ebenso hat das LSG Berlin-Brandenburg<br />

(29.07.2008 L 14 B 248/08 AS ER)<br />

einer Mutter mit Kind einen um 10 Prozent<br />

höheren Richtwert eines Zwei-Personen-Haushaltes<br />

zugesprochen.<br />

Zusätzlich zur angemessenen Miete geht es<br />

jedoch auch um angemessene Heizkosten. Hier<br />

sind die Versuche der Arbeitslosenbehörden,<br />

Heizkosten pauschal bei einer meist willkürli-<br />

chen Summe zu begrenzen, dank der Gerichte<br />

kläglich gescheitert. Durchschnittswerte<br />

berechtigen die Arbeitslosenbehörden nicht,<br />

die tatsächlichen Heizkosten zu verweigern<br />

oder zukünftige Heizkostennachzahlungen<br />

abzulehnen. Tenor vieler Gerichte ist: Höhere<br />

Kosten sind zu übernehmen, bis das Amt die<br />

Ursache der Kostenerhöhung ermittelt hat (SG<br />

Kassel vom 9.3.2005 – S 21 AS 11/05 ER).<br />

Dabei ist immer der Einzelfall zu prüfen. Hohe<br />

Heizkosten wegen zusätzlicher Außenwände,<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

feuchter Wände, zu kalten Hausfluren, Erdgeschoss-<br />

oder Dachwohnungen, ungedämmte<br />

Wohnungen, teure Heizungsarten (Strom),<br />

aber auch zusätzlicher Wärmebedarf von<br />

Kleinkindern, alten oder kranken Menschen,<br />

müssen berücksichtigt werden. Auch wenn<br />

sich die Heizkosten wegen eines besonders<br />

kalten Winter erhöht haben.<br />

Bei Kohleheizung gibt es z.B. in Berlin eine<br />

Begrenzung der Bewilligung nach Zentnern<br />

und Personenzahl und nicht nach Quadratmetern.<br />

Betroffene können, wenn der Kohlenvorrat<br />

zur Neige geht, zusätzliches „Kohlengeld“<br />

beantragen. Hier hat auch wieder<br />

eine Einzelfallprüfung zu erfolgen. Es muss,<br />

insbesondere bei den oben genannten besonderen<br />

Umständen, nachbewilligt werden.<br />

Kein Betroffener darf auf eine ungeheizte<br />

Wohnung verwiesen werden.<br />

In Berlin wurden die Mietobergrenze für Ein-<br />

Personen-Haushalte von 360 Euro auf 378<br />

Euro zum 01.03.2009 erhöht. Wenn der neue<br />

Mietspiegel (ca. Sommer 2009) erstellt ist,<br />

wollte der Senat die Mietobergrenzen für <strong>ALG</strong>-<br />

<strong>II</strong>- und Sozialhilfebezieher überprüfen. Das ist<br />

bis heute nicht geschehen.<br />

Foto: cs


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

MITWIRKUNGSPFLICHTEN<br />

� Fast jeder Alg-<strong>II</strong>-Bezieher wurde wohl schon<br />

auf seine Mitwirkungspflichten hingewiesen.<br />

In der Regel werden Forderungen nach irgendwelchen<br />

Unterlagen mit dem Hinweis auf die<br />

Mitwirkungspflichten versehen. Immer wieder<br />

überschreiten die Behörden ihre Kompetenzen<br />

und fordern Unterlagen, die sie nichts<br />

angehen oder deren Erbringung unmöglich<br />

ist. Ob es die Einkommensbescheinigungen<br />

irgendwelcher WG-Mitglieder sind oder die<br />

Bescheinigung, dass kein Einkommen erzielt<br />

wird, es sind dies alles Blüten hyperaktiver<br />

Datensammler bei den Arbeitslosenbehörden.<br />

Nur die Sterbeurkunde der Urgroßmutter samt<br />

Totenschein haben die Behörden wohl noch<br />

nicht verlangt.<br />

Doch ehe wir uns hier mit den Pflichten der<br />

Betroffenen befassen, sehen wir uns die<br />

Pflichten der Behörde an:<br />

§20 SGB X Untersuchungsgrundsatz<br />

„(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt<br />

von Amts wegen. Sie bestimmt Art und<br />

Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen<br />

und an die Beweisanträge der Beteiligten ist<br />

sie nicht gebunden.<br />

(2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall<br />

bedeutsamen, auch die für die Beteiligten<br />

günstigen Umstände zu berücksichtigen.<br />

(3) Die Behörde darf die Entgegennahme<br />

von Erklärungen oder Anträgen, die in ihren<br />

Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb<br />

verweigern, weil sie die Erklärung oder den<br />

Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet<br />

hält.“<br />

Wenn der Betroffene angibt, keiner Erwerbstätigkeit<br />

nachzugehen, dann haben die Mitarbeiter<br />

den Sachverhalt selbst zu ermitteln,<br />

wenn sie daran Zweifel haben, anstatt von<br />

dem Betroffenen unsinnige und unmögliche<br />

Nachweise der „Nichterwerbstätigkeit“ zu<br />

verlangen. Davon, dass die Mitarbeiter auch<br />

die für Betroffene günstigen Umstände zu<br />

berücksichtigen haben, dürften oder wollen<br />

diese oft nichts wissen.<br />

Doch kommen wir zu dem, was die Behörden<br />

von den Betroffenen verlangen dürfen.<br />

SGB I § 60 Angaben von Tatsachen<br />

Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält,<br />

hat<br />

1. alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung<br />

erheblich sind, und auf Verlangen des<br />

zuständigen Leistungsträgers der Erteilung<br />

der erforderlichen Auskünfte durch Dritte<br />

zuzustimmen,<br />

2. Änderungen in den Verhältnissen, die für<br />

die Leistung erheblich sind oder über die im<br />

Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen<br />

abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen,<br />

3. Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen<br />

des zuständigen Leistungsträgers<br />

Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage<br />

zuzustimmen.“<br />

§ 61 verpflichtet zum persönlichen Erscheinen,<br />

wenn die Behörde dies fordert.<br />

§ 62 verpflichtet zu ärztlichen und psychologischen<br />

Untersuchungen, soweit diese für die<br />

Entscheidung über Leistungen erforderlich<br />

sind.<br />

§63 verpflichtet, sich einer Heilbehandlung<br />

zu unterziehen, wenn dadurch eine Besserung<br />

herbeigeführt oder eine Verschlechterung<br />

verhindert wird.<br />

§ 64 verpflichtet zur Teilnahme an Leistungen<br />

zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn zu<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

19<br />

Quelle: Archiv<br />

erwarten ist, dass sie seine Erwerbs- und<br />

Vermittlungsfähigkeit auf Dauer fördern oder<br />

erhalten werden.<br />

Der Inhalt der §§ 60 bis 64 ist verkürzt wiedergegeben.<br />

§ 60 Abs. 1 schreibt vor, dass die Angaben<br />

für die Leistung ERHEBLICH sein müssen. Die<br />

Adresse des Vermieters ist unerheblich. Seine<br />

Bankverbindung auch. DATENSCHUTZ � Ausnahme;<br />

die Miete wird direkt an den Vermieter<br />

überwiesen. Daten der Eltern sind unerheblich,<br />

wenn kein Unterhalt gezahlt wird<br />

usw. Damit besteht auch keine Pflicht, diese<br />

Angaben zu machen.<br />

Diese Paragrafen sind den Mitarbeitern weitgehend<br />

geläufig. Was von den Arbeitslosenbehörden<br />

scheinbar völlig ignoriert wird, sind<br />

die gesetzlichen Grenzen der Mitwirkungspflichten.<br />

Die stehen gleich unter den Pflichten,<br />

im § 65 SGB I.<br />

(1) „Die Mitwirkungspflichten nach § 60 bis<br />

64 bestehen nicht, soweit<br />

1. ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen<br />

Verhältnis zu der in Anspruch genommenen<br />

Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht<br />

oder<br />

2. ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem<br />

wichtigen Grund nicht zugemutet werden


20<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

kann oder<br />

3. der Leistungsträger sich durch einen geringeren<br />

Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte<br />

die erforderlichen Kenntnisse<br />

selbst beschaffen kann.<br />

2) Behandlungen und Untersuchungen<br />

1. bei denen im Einzelfall ein Schaden für<br />

Leben oder Gesundheit nicht nur mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden<br />

kann,<br />

2. die mit erheblichen Schmerzen verbunden<br />

sind oder<br />

3. die einen erheblichen Eingriff in die körperliche<br />

Unversehrtheit bedeuten, können<br />

abgelehnt werden.<br />

(3) Angaben, die dem Antragsteller, dem<br />

Leistungsberechtigten oder ihnen nahe stehende<br />

Personen die Gefahr zuziehen würde,<br />

wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit<br />

verfolgt zu werden, können verweigert<br />

werden.“<br />

Mit einem geringeren Aufwand kann sich der<br />

Mitarbeiter die Kenntnis z.B. des Bezugs von<br />

Kindergeld oder von Unterhaltsvorschuss<br />

per Telefon (mit Erlaubnis des Betroffenen)<br />

beschaffen. Auch die Bescheinigung bei<br />

Einkommensbeziehern, dass kein Wohngeld<br />

gezahlt wird, kann auf diese Weise zur Kenntnis<br />

gelangen, anstatt die Betroffenen durch<br />

sämtliche Behörden zu hetzen. Die Mitarbeiter<br />

sollten bei solchen und ähnlichen Anliegen<br />

aufgefordert werden, sich ihre Erkenntnisse<br />

selbst zu beschaffen. Die anderen Behörden<br />

sind im Rahmen der Amtshilfe (§§ 3-7 SGB X)<br />

zur Auskunft verpflichtet.<br />

§ 67a Aufwendungsersatz<br />

„(1) Wer einem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers<br />

nach den §§ 61 oder 62 nachkommt,<br />

kann auf Antrag Ersatz seiner notwendigen<br />

Auslagen und seines Verdienstausfalls in<br />

angemessenem Umfang erhalten....“ Das heißt:<br />

Werden Unterlagen verlangt, deren Beschaffung<br />

Geld kostet z.B. eine Bescheinigung, ein<br />

ärztliches Attest, Kostenvoranschläge usw.,<br />

muss die Behörde die Kosten übernehmen,<br />

wenn dies VORHER beantragt wird.<br />

§ 66 Folgen fehlender Mitwirkung<br />

Kommt jemand seinen Mitwirkungspflichten<br />

nicht nach und erschwert er damit die Aufklärung<br />

eines Sachverhalts ERHEBLICH und<br />

können dadurch die Voraussetzungen für<br />

eine Leistung nicht ermittelt werden, kann<br />

die Behörde die Leistung ganz oder teilweise<br />

versagen. Hat jemand z.B. den Nachweis für<br />

den Unterhaltsvorschuss nicht erbracht, kann<br />

die Leistung auch nur bis zur Höhe dieser<br />

Summe gekürzt werden, nicht die komplette<br />

Zahlung. Das wäre unverhältnismäßig.<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

„(3) Sozialleistungen dürfen wegen fehlender<br />

Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden,<br />

nachdem der Leistungsberechtigte auf diese<br />

Folgen schriftlich hingewiesen worden ist<br />

und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb<br />

einer ihm gesetzten Frist nachgekommen ist.“<br />

Immer muss vorher eine angemessene Frist<br />

gesetzt werden und SCHRIFTLICH auf die Kürzung<br />

hingewiesen werden. Liegt eine Fristversäumnis<br />

nicht im Verschulden des Betroffenen<br />

z.B. weil der Arbeitgeber den Gehaltsnachweis<br />

nicht ausstellt, darf die Leistung nicht<br />

gekürzt oder versagt werden. Natürlich muss<br />

die Behörde vom Betroffenen darüber unterrichtet<br />

werden.<br />

§ 67 „Wird die Mitwirkungspflicht nachgeholt<br />

und liegen die Leistungsvoraussetzungen vor,<br />

kann der Leistungsträger Sozialleistungen,<br />

die er nach § 66 versagt oder entzogen hat,<br />

nachträglich ganz oder teilweise erbringen.“<br />

Das Wort „kann“ sagt aus, dass die Mitarbeiter<br />

nach eigenem ERMESSEN � handeln dürfen.<br />

Bei Beziehern nach dem SGB <strong>II</strong> und SGB X<strong>II</strong><br />

handelt es sich in der Regel um die Beseitigung<br />

von Notlagen. Damit gibt es keinen<br />

Ermessensspielraum. Die Leistung muss daher<br />

bei nachgeholter Mitwirkung nachgezahlt<br />

werden!


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

NEBENKOSTENABRECHNUNG<br />

� Aus der Nebenkostenabrechnung entstehende<br />

Nachzahlungen gehören zu den Kosten<br />

der Unterkunft nach § 22 SGB <strong>II</strong> und müssen<br />

von der Arbeitslosenbehörde übernommen<br />

werden. (SG Hannover 03.03.2005 – S 51 SO<br />

75/05 ER; SG Lüneburg 15.03.05 S 23 S 75/05<br />

ORTSABWESENHEIT<br />

� Ortsabwesenheit besteht, wenn ein Bezieher<br />

von Regelleistungen nach dem SGB <strong>II</strong><br />

werktags ohne Erlaubnis der Arbeitslosenbehörde<br />

länger als 24 Stunden seinen Briefkasten<br />

im Stich lässt. Ausnahmen davon<br />

gelten für die Wochenenden und Feiertage.<br />

Ebenfalls darf man sich per Antrag für 21<br />

Kalendertage (!) Urlaub genehmigen lassen<br />

(möglichst schriftlich).<br />

Schon allein die Erreichbarkeit daran festzumachen,<br />

dass der Betroffene persönlich<br />

„an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder<br />

gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm<br />

benannten Anschrift durch Briefpost vom<br />

Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende<br />

erreicht werden kann“ macht den Zwangscharakter<br />

der EAO klar. Als gäbe es kein Telefon,<br />

Fax, Handy und kein Internet. Das Bestehen<br />

darauf, dass die Betroffenen täglich persönlich<br />

ihren Briefkasten besuchen müssen (BSG<br />

09.02.06), könnte man als weltfremd sehen,<br />

wenn es nicht einen so schönen Sanktionstatbestand<br />

liefern würde!<br />

Was würde es schaden, wenn ein Nachbar täglich<br />

den Briefkasten leert und bei Bedarf den<br />

Betroffenen anruft? Vielleicht sogar per Handy.<br />

Schlachtentscheidend wäre doch eigentlich,<br />

dass der Betroffene unverzüglich handelt. Es<br />

ER) Sie sind kein in der Regelleistung enthaltener<br />

Bedarf, der als Darlehen nach § 23 Abs. 1<br />

vergeben wird! Die berechtigte Nachforderung<br />

an Nebenkosten muss die Arbeitslosenbehörde<br />

übernehmen. Dabei ist es unwichtig, ob der<br />

Abrechnungszeitraum vor oder im Bezug von<br />

würde ausreichen, wenn<br />

Sanktionen bei selbst<br />

verschuldeten Verzögerungen<br />

einsetzen. Doch<br />

dann hätte hat man<br />

die Leute nicht mehr so<br />

schön am Gängelband.<br />

ACHTUNG! Wer ortsabwesend<br />

„erwischt“ wird, verliert<br />

rückwirkend für diese<br />

Zeit seinen Anspruch<br />

auf Alg <strong>II</strong>. Für auf dem<br />

ersten Arbeitsmarkt sozialversicherungspflichtig<br />

Beschäftigte gilt dies<br />

nicht.<br />

Foto: flickr.com<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

21<br />

Alg <strong>II</strong> liegt. Wichtig ist, dass die Forderung<br />

während des Bezugs von Alg <strong>II</strong> entsteht. Liegt<br />

die Forderung nach dem Bezug von Alg <strong>II</strong>, ist<br />

nicht mehr das JobCenter zuständig.<br />

Guthaben aus Nebenkostenabrechnungen<br />

mindern die Unterkunftskosten im Folgemonat<br />

um diese Summe.<br />

ACHTUNG! FÜR ALLE MIETER WICHTIG! Eine<br />

Betriebskostenabrechnung muss nur beglichen<br />

werden, wenn sie innerhalb von zwölf<br />

Monaten nach dem Abrechnungszeitraum eingegangen<br />

ist. Danach sind Nachforderungen<br />

unwirksam. Wer eine eigentlich unwirksame<br />

Nachforderung bezahlt hat, kann sie nach<br />

einem Urteil des BGH vom 18.01.2006 – V<strong>II</strong>I<br />

ZR 94/05 bis zu drei Jahre zurückfordern.


22<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

� Jeder Betroffene hat<br />

das Recht, sich gegen<br />

falsche Bescheide, egal, ob<br />

es sich um den laufenden Bezug, einmalige<br />

Beihilfen oder Aufhebungs- oder Erstattungsbescheide<br />

handelt, zu wehren. Nur wenige<br />

Betroffene jedoch wehren sich. Dazu sind verschiedene<br />

Voraussetzungen nötig: ein abgeschlossenes<br />

Jurastudium – na gut, war ein<br />

Scherz. Doch Fakt ist, dass sich nur wenige<br />

Betroffene in den unübersichtlichen, teilweise<br />

widersprüchlichen und sich ständig ändernden<br />

komplexen Gesetzestexten des SGB <strong>II</strong> auch nur<br />

ansatzweise auskennen. Hinzu kommen die<br />

Durchführungshinweise der BA, aber auch die<br />

Urteile und Beschlüsse der Gerichte. Betroffene<br />

dürften eigentlich nie auf die Richtigkeit der<br />

Bescheide vertrauen! Dazu müssen die Betroffenen<br />

noch den Mut und die Kraft haben, sich<br />

mit Widersprüchen und Klagen auseinander zu<br />

setzen.<br />

Wege zum zum Recht<br />

Nur wenige Betroffene bemerken<br />

Fehler im Bescheid. Von ihnen<br />

legt nur ein kleiner Teil Widerspruch<br />

ein. Die Hürde zur Klage<br />

schaffen dann noch einmal weniger<br />

Betroffene, weil sie Angst<br />

haben, sich mit den Arbeitslosenbehörden<br />

anzulegen, weil sie<br />

nicht an einen Sieg glauben oder<br />

weil ihnen einfach die Kraft dafür<br />

fehlt. Hinzu kommen von den<br />

Gerichten abgelehnte Beratungs-<br />

oder Prozesskostenhilfe und die<br />

Suche nach einem Anwalt, der<br />

vom SGB <strong>II</strong> mehr als nur eine<br />

Ahnung hat.<br />

Dennoch brechen die Sozialgerichte<br />

trotz zahlreicher neuer<br />

Richterstellen unter der Klageflut<br />

fast zusammen. Jährlich steigen<br />

die Zahlen der Akten. Um vorauszusehen,<br />

dass die Zahlen noch<br />

weiter steigen, muss man kein<br />

Prophet sein. Allein die Änderungen<br />

der Durchführungshinweise<br />

zum MEHRBEDARF � für Ernährung<br />

und für Behinderte führen<br />

zu weiteren Prozessen.<br />

Weitere Sanktionen und Einschränkungen<br />

werden folgen.<br />

Seit Jahren arbeiten die Regierungen<br />

daran, für Sozialgerichte<br />

Gebühren einzuführen. Bisher<br />

haben in erster Linie die Richter<br />

mit dem Verweis auf die Verfassung<br />

Gebühren verhindern<br />

können. Jedoch ist es nur eine<br />

<strong>RECHT</strong>SSCHUTZ<br />

Frage der Zeit, dass dieses Argument keinen<br />

Gesetzgeber mehr von solchen Ungerechtigkeiten<br />

abhält. Nutzen wir also die Rechte,<br />

solange wir sie noch haben!<br />

Wer sich wehren will, der sollte nicht sofort an<br />

Klage und Gericht denken. Nicht immer ist es<br />

sinnvoll, gleich mit Widersprüchen und Klagen<br />

zu arbeiten. Manchmal schafft der „kurze Weg“<br />

auch in kurzer Zeit ein akzeptables Ergebnis.<br />

Der Instanzenweg ist der aufwendigere, längere<br />

und belastendere Weg. Es ist nicht selten, dass<br />

es verschiedene Beanstandungen zu beseitigen<br />

gilt. Dazu mehrere Gerichtsverfahren anzufangen,<br />

während es zumindest den Versuch wert<br />

ist, die Dinge mit einem Gespräch oder einem<br />

kurzen Schreiben zu klären, wäre unsinnig.<br />

Auch besteht die Gefahr, wenn man nur verbissen<br />

über die Gerichte verhandelt, irgendwann<br />

eine Frist zu versäumen, den Überblick<br />

zu verlieren oder unter der hohen Belastung<br />

zusammenzubrechen. Damit ist niemandem<br />

geholfen außer den Arbeitslosenbehörden,<br />

Standbild eines Ritters mit gezücktem Richtschwert. Rolandsfiguren wurden im Mittelalter als<br />

Zeichen bürgerlicher Unabhängigkeit, der Eigenständigkeit der Stadt und damit der Freiheit<br />

errichtet. Die hier abgebildete über fünf Meter hohe Statue, eine Kopie des Roland von Brandenburg<br />

aus dem 15. Jahrhundert, steht vor dem Berliner Märkischen Museum.<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

denn ihre teils willkürlichen Bescheide werden<br />

dann rechtskräftig.<br />

Gespräch und/oder Widerspruch<br />

Wurde bei einem Bescheid eindeutig etwas vergessen,<br />

z.B. die Heizkosten, sollte auf jeden<br />

Fall versucht werden, die Sache persönlich zu<br />

klären. Manchmal hilft allein schon der Vorgesetzte<br />

gegen das „Vergessen“ oder auch, weil<br />

der ein paar Stunden Schulung mehr hatte als<br />

der Sachbearbeiter. Leider gibt es JobCenter,<br />

die sich gegen den Besuch der Betroffenen<br />

wie Banken gegen Räuber absichern. Mit jeder<br />

Menge Sicherheitspersonal, das den direkten<br />

Kontakt möglichst verhindern soll. Wenn außer<br />

in Notfällen nur noch langfristige Termine vergeben<br />

werden, können Betroffene nur noch mit<br />

einem kurzen Schreiben auf Fehler hinweisen.<br />

Keinesfalls sollte die Monatsfrist für den Widerspruch<br />

aus den Augen verloren werden.<br />

Zum Rechtsschutz gehören u.a. der Widerspruch,<br />

der Überprüfungsantrag nach § 44<br />

SGB X, die einstweilige Anordnung,<br />

die Klage und u.U. die<br />

Berufung.<br />

Quelle: wikipedia<br />

ACHTUNG!!<br />

Wer ohne Anwalt vor Gericht<br />

zieht, sollte beachten, dass<br />

bei Klagen u.ä. Änderungen<br />

eingetreten sind. Es wird nicht<br />

mehr davon ausgegangen, dass<br />

der Vertreter der Bedarfsgemeinschaft<br />

(an den auch die<br />

Bescheide gerichtet sind) automatisch<br />

bei Gericht auch die<br />

anderen Mitglieder vertritt.<br />

Wird bei Klagen, Einstweiligem<br />

Rechtsschutz o.ä. für mehrere<br />

Personen vor Gericht gezogen,<br />

muss jede betroffene Person<br />

namentlich aufgeführt werden.<br />

Klagt eine BG mit zwei Kindern<br />

(z.B. wegen Mietkosten),<br />

kann in der Klage zum Beispiel<br />

geschrieben werden: „... klagen<br />

wir, Fritz und Erna Müller, auch<br />

als gesetzliche Vertreter unserer<br />

Kinder Laura und Egon Müller...“<br />

Alle Volljährigen, die die Klage<br />

betrifft, müssen sie auch unterschreiben.<br />

Für Alleinstehende ändert sich<br />

deshalb nichts. Ebenso verhält<br />

es sich, wenn es sich um Leistungen<br />

für nur ein Mitglied der<br />

Bedarfsgemeinschaft handelt<br />

– z.B. bei Sanktionen nach § 31<br />

oder Mehrbedarf.


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Beratungs- und Prozesskostenhilfe (PKH)<br />

� Alg-<strong>II</strong>-Bezieher, die Zweifel haben, ob ihr<br />

Bescheid richtig ist, können ihn bei einer<br />

Sozialberatungsstelle überprüfen lassen. Sie<br />

können auch beim zuständigen Gericht einen<br />

Beratungsschein beantragen. Voraussetzungen<br />

dazu sind, dass sie keine Rechtsschutzversicherung<br />

oder andere Mitgliedschaften haben,<br />

die solche Kosten übernehmen, und dass sie<br />

Vermögen nur innerhalb der Sozialhilfegrenzen<br />

besitzen.<br />

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden<br />

(I BvR 1517/08), dass die Praxis der Ablehnung<br />

von Beratungshilfekosten durch die Sozialgerichte<br />

mit dem Verweis auf behördliche Beratung<br />

des SGB <strong>II</strong>-Leistungsträgers verfassungs-<br />

Widerspruch<br />

� In der Regel richtet sich ein Widerspruch<br />

gegen einen Bescheid. Dieser Bescheid muss<br />

nicht zwingend schriftlich sein. Auch eine<br />

mündliche Ablehnung kann ein Verwaltungsakt,<br />

also ein Bescheid sein. Bei schriftlichen<br />

Bescheiden, die im Briefkasten landen, beginnt<br />

die Widerspruchsfrist von einem Monat erst mit<br />

dem Tag, an dem die Post eingegangen ist. Sie<br />

kann in Extremfällen mehrere Wochen nach<br />

der Datierung des Bescheids erfolgen. Deshalb<br />

sollte der Erhalt immer notiert werden (Briefumschlag<br />

aufheben). „...im Zweifel hat die<br />

Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und<br />

den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.“<br />

§ 37 Abs.2 SGB X.<br />

Nicht selten erfahren Betroffene durch Zufall,<br />

dass ihr Bescheid falsch sein könnte. Ist die<br />

Widerspruchsfrist fast um, sollte nicht erst<br />

nach einer Beratungsstelle oder einem Anwalt<br />

gesucht werden. Wer in Zeitnot ist, kann an<br />

Stelle der Begründung schreiben: „Die Begründung<br />

des Widerspruchs wird nachgereicht.“<br />

Dann sollte die Begründung jedoch auch nachgeholt<br />

werden, spätestens, wenn man sich<br />

schlau gemacht hat.<br />

Der Widerspruch kann jedoch auch mündlich<br />

beim SGB-<strong>II</strong>-Träger vorgebracht werden. Der<br />

Aufschiebende Wirkung<br />

� In der heutigen Sozialhilfe haben Widersprüche<br />

noch immer aufschiebende Wirkung.<br />

In der früheren Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe<br />

galt das auch. „Aufschiebende<br />

Wirkung“ bedeutet, dass die Behörde, die<br />

mit einem Bescheid etwas durchsetzen will<br />

(z.B. eine Kürzung der Regelleistung), durch<br />

Widerspruch und Klage daran gehindert wird.<br />

Das Amt muss sein Anliegen aufschieben, bis<br />

der Rechtsstreit beendet ist.<br />

widrig ist. Es ist zumindest zu hoffen, dass<br />

sich die verfassungswidrige Praxis der Gerichte<br />

damit erledigt hat. Wo das nicht der Fall ist,<br />

sollte auf das Urteil verwiesen werden.<br />

Mit dem Beratungsschein kann ein Anwalt<br />

(möglichst ein Fachanwalt für Sozialrecht mit<br />

SGB-<strong>II</strong>-Kenntnissen) den Bescheid prüfen und<br />

ggf. Widerspruch einlegen. Der Anwalt kann<br />

10 Euro Selbstbeteiligung von seinem Klienten<br />

verlangen, muss es aber nicht.<br />

Für die Klageerhebung durch einen Anwalt<br />

benötigen Betroffene Prozesskostenhilfe. Die<br />

kann der Anwalt, der schon den Beratungsschein<br />

erhielt, beantragen oder der Betroffene<br />

ist zur Protokollierung<br />

verpflichtet. (§ 84 Abs.<br />

1 Satz 1 SGG, Sozialgerichtsgesetz)<br />

Auf jeden<br />

Fall sollte das Geschriebene<br />

dann sorgfältig<br />

überprüft werden, ehe<br />

es unterschrieben wird.<br />

Die Kopie für sich selbst<br />

nicht vergessen! Jedoch<br />

ist dieses Vorgehen nur<br />

für Betroffene, die sich<br />

gut auskennen, geeignet.<br />

Enthält der Bescheid eine<br />

Widerspruchsbelehrung,<br />

muss der Widerspruch<br />

innerhalb eines Monats<br />

bei der Behörde eingegangen<br />

sein. Ohne Widerspruchsbelehrung<br />

beträgt<br />

die Frist ein Jahr. Jedoch<br />

ist es in der Regel wenig<br />

sinnvoll, solche Fristen<br />

auszuschöpfen.<br />

Bei Hartz-IV-Beziehern entfällt die aufschiebende<br />

Wirkung bei Widersprüchen und Klagen<br />

gegen einen Bescheid, der eine bereits bewilligte<br />

Leistung entzieht oder kürzt (§ 39 SGB<br />

<strong>II</strong>). Natürlich nur aus reiner Fürsorgepflicht<br />

werden den Betroffenen immer mehr Rechte<br />

genommen: Sie müssen erst einmal wissen,<br />

dass es die Wiederherstellung der aufschiebenden<br />

Wirkung gibt, um sie dann zusammen<br />

mit dem Widerspruch beantragen zu können.<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

23<br />

beim Gericht. Die Voraussetzungen sind auch<br />

hier wie oben beschrieben und betreffen auch<br />

die hinreichende Aussicht auf Erfolg. Liegen die<br />

Voraussetzungen vor, ist der Anwalt kostenlos.<br />

Wird Prozesskostenhilfe abgelehnt, weil angeblich<br />

keine Aussicht auf Erfolg besteht, kann<br />

gegen diese Entscheidung geklagt werden.<br />

Also wird praktisch ein Prozess um die Prozesskostenhilfe<br />

geführt. Das „vereinfacht“ die<br />

Sache für Betroffene natürlich ungemein.<br />

Wer nicht warten kann, sollte sofort beim<br />

Sozialgericht einen einstweiligen Rechtsschutz<br />

auf Anordnung bzw. zur Wiederherstellung<br />

der aufschiebenden Wirkung beantragen.<br />

Ist doch klar, weiß doch jeder – oder<br />

etwa doch nicht? Auch hierfür ist wieder ein<br />

Anwalt anzuraten.


24<br />

Einstweilige Anordnung<br />

� Neben dem Widerspruch und der Klage gibt<br />

es bei dringenden Notlagen den einstweiligen<br />

Rechtsschutz (ER), auch einstweilige Anordnung<br />

(EA) genannt , die man nur beantragen<br />

kann, „...wenn sie zur Abwendung wesentlicher<br />

Nachteile nötig erscheint...“ Zuerst muss<br />

in der Regel der Widerspruch eingereicht sein,<br />

dann kann eine EA beantragt werden. Der ER<br />

ist ein Eilverfahren. Es kann z.B. beantragt<br />

werden, wenn<br />

• trotz Mittellosigkeit kein Alg <strong>II</strong> gezahlt<br />

wird,<br />

• ohne Krankenversicherung dringend ein Arzt<br />

aufgesucht werden muss,<br />

• dringend benötigte Dinge (z.B. ein Bett) bei<br />

Erstausstattung verweigert werden,<br />

• wegen Mietrückständen die fristlose Kündigung<br />

drohen könnte,<br />

• Stromsperre droht.<br />

Leider lassen auch die massenhaften Eilverfahren<br />

noch keine klare Richtung erkennen,<br />

wo die Bagatellgrenze liegt. Das Hessische<br />

LSG (Beschluss vom 7.11.2005 – L 9 AS 66/05<br />

Klage<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

� Es gibt verschiedene Arten von Klagen. Die<br />

Anfechtungsklage, die Feststellungsklage, die<br />

Leistungsklage und die Verpflichtungsklage.<br />

Für den Kläger ist es nicht wichtig, diese<br />

einordnen und benennen zu können. Das ist<br />

Sache der Gerichte, zumal eine Klage oftmals<br />

verschiedene dieser Klagearten enthält.<br />

In der Regel kommt es nach einem halben<br />

bis zwei Jahren zu einer Verhandlung. Jedoch<br />

können Richter auch ohne Verhandlung entscheiden.<br />

Man kann eine mündliche Verhandlung<br />

beantragen. Hat man dann noch wichtige<br />

Tatsachen oder Ansichten vorzutragen, sollte<br />

man darauf achten, dass sie auch ins Protokoll<br />

der Verhandlung aufgenommen werden.<br />

Oft enden Prozesse mit einem Vergleich. Richter<br />

streben diese Form der Erledigung eines<br />

Prozesses gern an, weil er ihnen weniger Arbeit<br />

macht als die ausführliche Begründung eines<br />

Urteils. Ohne Anwalt ist es oft schwierig zu<br />

beurteilen, ob es richtiger ist, sich auf einen<br />

ER) hält 1,38 Euro Monatsbetrag für zu gering<br />

für die Eilbedürftigkeit; das LSG Niedersachsen-Bremen<br />

(Beschluss vom 10.2.2006 – L 9<br />

AS 1/06 ER) hält selbst 8,14 Euro je Monat<br />

noch für zu gering. Kann jedoch im Eilverfahren<br />

abschließend entschieden werden, so kann<br />

der Betrag auch geringer sein.<br />

Wie beim Widerspruch kann man auch bei den<br />

Sozialgerichten seine Anträge in der Rechtsantragsstelle<br />

zur Niederschrift geben. Voraussetzung<br />

für den Antrag auf eine EA ist in der Regel<br />

der Widerspruch. Erst Widerspruch einlegen,<br />

dann EA beantragen! Zu beachten ist auch,<br />

dass eine EA nicht das Hauptsacheverfahren<br />

ersetzt; deshalb muss in der Regel, unabhängig<br />

von der beantragten EA, auf den Widerspruchsbescheid<br />

reagiert werden. Ist der ablehnend,<br />

muss neben der EA innerhalb eines Monats<br />

Klage beim Gericht erhoben werden! Die EA<br />

versucht im Prinzip, das zu erwartende Ergebnis<br />

der Klage vorwegzunehmen. Das Hauptverfahren<br />

ist in der Regel aber die Klage.<br />

Vergleich einzulassen<br />

oder auf ein Urteil,<br />

in der Hoffnung, dass<br />

es positiv ausfällt, zu<br />

bestehen. Man sollte<br />

sich auf einen Vergleich<br />

nur einlassen,<br />

wenn man während<br />

der Verhandlung den<br />

Eindruck gewinnt,<br />

dass man nicht mehr<br />

erreichen kann. Wer<br />

jedoch ein positives<br />

Urteil erreicht hat,<br />

sollte es bitte an<br />

info@tacheles-sozialhilfe.de<br />

schicken.<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Wer eine EA ohne Hilfe eines Anwalts beantragen<br />

will, sollte mit möglichst vielen Unterlagen<br />

seine Angaben belegen können. Es<br />

ist wenig sinnvoll, eine EA anzustreben und<br />

dann die Richter zu zwingen, wegen wichtiger<br />

Unterlagen mit zusätzlichem Schriftverkehr<br />

die Zeit unnötig zu vertrödeln. Personalausweis,<br />

Alg-<strong>II</strong>-Bescheid (falls vorhanden), der<br />

letzte Kontoauszug (falls es ein Konto gibt)<br />

und eine Kopie des Widerspruchs sind die Mindestausstattung,<br />

mit der man bei Gericht auftauchen<br />

sollte – bei einfachen Fällen. Eidesstattliche<br />

Versicherungen von Personen, die<br />

etwas bezeugen können, was man selbst nicht<br />

mit Unterlagen beweisen kann, sind sinnvoll.<br />

Auch wenn die Sozialgerichte gehalten sind,<br />

keine überspannten Anforderungen an die<br />

Glaubhaftmachung der EA zu stellen, sollte<br />

dies Betroffene nicht verleiten, vorhandene<br />

erforderliche Unterlagen nicht vorzulegen.


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Untätigkeitsklage<br />

� Während Alg-<strong>II</strong>-Bezieher sofort zu springen<br />

haben, wenn die Arbeitslosenbehörde<br />

pfeift, darf diese sich per Gesetz erst einmal<br />

sechs Monate Zeit lassen, um einen Antrag zu<br />

bearbeiten, ehe ein Betroffener das Gericht<br />

mit einer Untätigkeitsklage (§ 88 Abs. 1 SGG)<br />

bemühen darf.<br />

Bei Widersprüchen muss die Behörde „ganz<br />

fix“ sein. Sie hat dann nur drei Monate für die<br />

Überprüfungsantrag<br />

� Wer einen Bescheid erhalten hat und auf<br />

dessen Richtigkeit vertraut und deshalb keinen<br />

WIDERSPRUCH � eingelegt hat, für den gibt<br />

es noch die Möglichkeit, einen Überprüfungsantrag<br />

zu stellen. Oft stellt sich in Gesprächen<br />

unter Betroffenen heraus, dass es verschiedene<br />

Bescheide bei gleichen Voraussetzungen gibt.<br />

Z.B. wird einer Alleinerziehenden ein MEHRBE-<br />

DARF � zuerkannt, und die andere alleinerziehende<br />

Mutter geht leer aus.<br />

Ist ein Bescheid älter als ein Monat, kann<br />

dagegen kein Widerspruch eingelegt werden.<br />

Das SGB X sieht jedoch die Möglichkeit vor,<br />

einen Überprüfungsantrag zu stellen: „§ 44<br />

Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden<br />

Verwaltungsaktes. Soweit sich im<br />

Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes<br />

das Recht unrichtig angewandt<br />

oder von einem Sachverhalt ausgegangen<br />

worden ist, der sich als unrichtig erweist, und<br />

soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht<br />

nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben<br />

worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch<br />

Bearbeitung Zeit, um Untätigkeitsklagen zu<br />

verhindern. In der Regel sollte man sich schon<br />

vorher um seine Angelegenheiten kümmern.<br />

Es ist auch wenig sinnvoll, auf diesen Klageweg<br />

zu vertrauen. Solche Klagen, wenn sie<br />

sich nicht während des Klageverfahrens durch<br />

„Tätigkeit“ der Behörde erledigen, dauern<br />

schon mal ein bis zwei Jahre. Behörden sollte<br />

unter Fristsetzung mit einer Untätigkeitsklage<br />

gedroht werden, wenn sie die drei bzw. sechs<br />

nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit<br />

Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.“<br />

Das heißt: Hat eine Behörde einen Fehler<br />

gemacht und dadurch einen Betroffenen in<br />

einem Bescheid (Verwaltungsakt) benachteiligt,<br />

hat sie den falschen Bescheid zurückzu-<br />

Jeden Montag von 11 bis 15 Uhr<br />

im Kaffee Bankrott bei mob e.V.<br />

Prenzlauer Allee 87, 10405 Berlin<br />

Rechtsanwältin Simone Krauskopf<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

Allgemeine Rechtsberatung<br />

Bei Bedürftigkeit wird von der Rechtsanwältin ein Beratungsschein beantragt.<br />

Bitte entsprechende Nachweise mitbringen (z. B. <strong>ALG</strong>-<strong>II</strong>-Bescheid)!<br />

25<br />

Monate zur Bearbeitung<br />

ausnutzen.<br />

Erfolgt danach keine<br />

Reaktion, dann sollte die<br />

Untätigkeitsklage aber auch<br />

tatsächlich eingereicht werden. Diese Zeit zu<br />

warten, haben jedoch die wenigsten Betroffenen.<br />

Foto: Peter Woelck<br />

nehmen und einen neuen, richtigen Bescheid<br />

auszustellen. Sozialleistungen werden dann<br />

rückwirkend bis zu einem Zeitraum von vier<br />

Jahren erbracht (Abs. 4). Dabei ist es unerheblich,<br />

ob die Behörde den Fehler selbst<br />

entdeckt hat (leider absolute Ausnahmefälle),<br />

oder ob sie von einem Betroffenen dazu aufgefordert<br />

wird, den Bescheid zu überprüfen.


26<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

SOFORTANGEBOTE<br />

� Auch wenn die Bezeichnung „Sofortangebote“<br />

die Vorstellung erweckt, sie würden<br />

„sofort“ erfolgen, ist dem nicht so. Zumindest,<br />

wenn wir von den Paragrafen des SGB <strong>II</strong><br />

ausgehen. Und eben darum geht es; um das,<br />

was die Paragrafen aussagen.<br />

Der Begriff „Sofortangebote“ wurde nicht als<br />

Spitzname von den Betroffenen erfunden,<br />

sondern von den politisch Verantwortlichen<br />

bewusst gewählt und als besonders schnelle<br />

„Hilfsangebote“ gepriesen. Praktische<br />

Anwendung erfahren sie im Wortsinn immer<br />

wieder von den Mitarbeitern der Arbeitslosenbehörden.<br />

Will ein Antragsteller seinen<br />

Erstantrag auf <strong>ALG</strong> <strong>II</strong> stellen, wird teilweise<br />

versucht, die Antragstellung damit zu verhindern,<br />

dass erst bestimmte „Angebote“<br />

abgearbeitet werden sollen. In der Regel<br />

sind es irgendwelche Ein-Euro-Jobs, die<br />

die Betroffenen antreten sollen. Manchmal<br />

wird die Antragsannahme völlig verweigert,<br />

manchmal wird die Bearbeitung des Antrags<br />

erst in Aussicht gestellt, wenn der Betroffene<br />

die Bedingungen der „Sofortangebote“<br />

erfüllt hat. Beides ist gesetzwidrig.<br />

Sehen wir uns die Gesetze an: „Sofortangebote“<br />

sind in § 3 Abs. 2 und § 15a im SGB<br />

<strong>II</strong> vorgesehen. § 3 bezieht sich auf Jugendliche<br />

unter 25 Jahre (U 25). „Erwerbsfähige<br />

Hilfebedürftige, die das 25. Lebensjahr noch<br />

nicht vollendet haben, sind unverzüglich nach<br />

Antragstellung auf Leistungen nach diesem<br />

Buch in eine Arbeit, eine Ausbildung oder eine<br />

Arbeitsgelegenheit zu vermitteln...“<br />

UMZUG<br />

� Jeder Alg-<strong>II</strong>-Bezieher hat das Recht umzuziehen.<br />

Auch ohne die vorherige Erlaubnis<br />

des JobCenters einzuholen. Im § 22 Abs. 2<br />

SGB <strong>II</strong> steht zwar: „Vor Abschluss eines Vertrages<br />

über eine neue Unterkunft soll der<br />

erwerbsfähige Hilfebedürftige die Zusicherung...<br />

für die neue Unterkunft einholen.“<br />

Jedoch ist die Folge dieser „Sollvorschrift“<br />

nicht, dass die Miete für die neue Wohnung<br />

vom Amt einfach verweigert werden kann,<br />

sondern dass das Amt eventuell Teile der<br />

neuen Miete nicht übernehmen muss!<br />

Auch darf in der Regel die neue Miete nicht<br />

höher sein als die alte und vom Amt keine<br />

Kosten, die mit dem Umzug zusammenhängen,<br />

beantragt werden. Wenn z.B. die erste<br />

Nebenkostenabrechnung in der neuen Woh-<br />

„§ 15a Sofortangebot. Erwerbsfähige Personen,<br />

die innerhalb der letzten zwei Jahre<br />

laufende Geldleistungen, die zur Sicherung<br />

des Lebensunterhalts dienen, weder nach<br />

diesem Buch noch nach dem Dritten Buch<br />

bezogen haben, sollen bei der Beantragung<br />

von Leistungen nach diesem Buch unverzüglich<br />

Leistungen zur Eingliederung in Arbeit<br />

angeboten werden.“ Dieser Paragraf gilt für<br />

Erwachsene über 25.<br />

In § 3 heißt es „nach Antragstellung“ und in<br />

§ 15a „bei Antragstellung“. Erst ist der Antrag<br />

zu stellen und dann sind „unverzüglich“ die<br />

betreffenden Angebote zu unterbreiten. Die<br />

BA hat im August 2008 eine neue Weisung<br />

herausgegeben, in der angeordnet wird, dass<br />

den U 25 VOR oder innerhalb einer Woche nach<br />

Antragstellung eine Erstberatung mit Profiling<br />

und Feststellung der Betreuungsstufe überverholfen<br />

werden soll. Die U 25 sollen dann<br />

innerhalb von drei Wochen eine EGV abschließen,<br />

und danach soll ihnen innerhalb von vier<br />

Wochen eine Arbeit, Ausbildung, Ausbildungsvorbereitung,<br />

Weiterbildung oder Arbeitsgelegenheit<br />

„angeboten“ werden. Das sind in der<br />

Regel Ein-Euro-Jobs oder Trainingsmaßnahmen.<br />

Solche Leistungen zur Eingliederung sind<br />

in der Regel völlig sinnlose Maßnahmen und<br />

dienen lediglich dem Zweck, „die Bereitschaft<br />

des Hilfesuchenden zur Arbeitsaufnahme zu<br />

prüfen“ (Begründung des Gesetzentwurfs).<br />

Man kann das auch „Hilfe durch Abschrekkung“<br />

nennen. Oder wie der SPD-Experte<br />

Brandner formulierte: „Mit solchen Schrit-<br />

nung sehr hoch ist und sich herausstellt,<br />

dass der Vermieter die Nebenkosten unverhältnismäßig<br />

niedrig angesetzt hat, um<br />

eine geringere Miete vorzutäuschen, können<br />

erhebliche Probleme mit der Übernahme der<br />

Nebenkostennachzahlung und der daraus<br />

entstehenden höheren Miete entstehen.<br />

Problematisch kann auch der Umzug von<br />

einem Bundesland ins andere sein. Die Miete<br />

der alten Wohnung kann z.B. in Frankfurt im<br />

angemessenen Rahmen liegen, die gleiche<br />

Miete kann jedoch schon über den Grenzen der<br />

für Berlin gültigen Angemessenheit liegen.<br />

Deshalb ist anzuraten, die Zusicherung zur<br />

Übernahme der Mietkosten beim JobCenter<br />

einzuholen. Damit werden einfach diese Risi-<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

ten kann eine Konzentration der Mittel auf<br />

die wirklich Bedürftigen erreicht werden.“<br />

Mit anderen Worten: Hochschulabsolventen,<br />

arbeitslos gewordene Minijobber oder<br />

aus anderen prekären Arbeitsverhältnissen<br />

Gekündigte, gescheiterte Selbstständige,<br />

Frauen nach Erziehungsphasen oder in Frauenhäusern<br />

sind nicht bedürftig, wenn sie von<br />

der Arbeitslosenbehörde Hilfen erwarten, die<br />

ihrer individuellen Lebenslage entsprechen<br />

und sie wirklich weiterbringen!<br />

Ihnen auch nur eine Minute Zeit zu lassen,<br />

selbst Arbeit zu suchen, bevor ihnen „irgendwas“<br />

aufgezwungen wird, ist bei solchen<br />

Ansichten nicht vorgesehen! Um es noch<br />

einmal deutlich zu machen: Mit diesen meist<br />

unsinnigen Zwangsmaßnahmen verfällt der<br />

Antrag auf Alg <strong>II</strong> nicht! Die Verweigerung<br />

der Antragsannahme ist gesetzwidrig! Auch<br />

wenn die BA andere Anweisungen gibt. Noch<br />

gelten die Gesetze. Es besteht ein Rechtsanspruch<br />

auf Entgegennahme und Bearbeitung<br />

des Antrags trotz „Sofortangeboten“!<br />

Bearbeitung heißt jedoch auch Zahlung<br />

von Alg <strong>II</strong>, wenn die Vermögensfreigrenzen<br />

nicht überschritten werden, oder wenn keine<br />

zumutbare Arbeit vermittelt werden kann,<br />

die bedarfsdeckend ist. Bei Ablehnung von<br />

zumutbaren (!!!) „Sofortangeboten“ kann<br />

höchstens die Leistung nach § 31 gekürzt<br />

werden. Eine sofortige Streichung der Leistungen<br />

ist im Gesetz nicht vorgesehen!!!<br />

ken ausgeschlossen. Erteilt das Amt die Zusicherung,<br />

kann es auch Wohnungsbeschaffungskosten<br />

übernehmen.<br />

Diese Einschränkungen gelten nicht für WG-<br />

Bewohner, Untermieter oder Bewohner von<br />

Wohnwagen, Gartenlauben o.ä. Wollen diese<br />

Menschen eine eigene Wohnung beziehen,<br />

ist das ein vom JobCenter zu genehmigender<br />

Umzug.<br />

Ist ein Umzug erforderlich, sollte immer die<br />

Einwilligung der Behörde eingeholt werden.<br />

Dann gilt nicht die Höhe der alten Miete,<br />

sondern die angemessene Miete als zu übernehmen.<br />

Auch werden dann mit dem Umzug<br />

verbundene Kosten übernommen.


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Erforderlich ist ein Umzug, wenn<br />

• das JobCenter ihn durch eine Mietsenkungsaufforderung<br />

veranlasst hat,<br />

• berufliche Gründe vorliegen; weiter<br />

Anfahrtsweg, neuer Arbeitsplatz an einem<br />

anderen Ort, wenn an einem anderen Ort eher<br />

Arbeit gefunden werden kann,<br />

• ein rechtskräftiges Räumungsurteil vorliegt,<br />

• die Wohnung zu klein ist; unter 35 qm für<br />

eine Person, (HessLSG vom 12.3.2007 – L 9<br />

AS 260/06), 1,5 Zimmer (52qm) für Eltern<br />

mit Kleinkind (LSG Berlin-Bandenburg vom<br />

25.6.2007 – 10 B 854/07 AS ER),<br />

• das Wohnumfeld unzumutbar ist, z.B. drohende<br />

Gewalt Dritter, erhebliche Verwahrlosung,<br />

Lärmbelästigung (LSG Berlin-Brandenburg<br />

6.6.2007 – L 28 B 676/07 AS ER und<br />

31.3.2008 – L 29 B 296/08 AS ER),<br />

• Baumängel bestehen (z.B. Feuchtigkeit),<br />

die der Vermieter nicht oder nicht in vertretbarer<br />

Zeit beseitigt,<br />

• die Wohnung von Schimmel befallen ist,<br />

der gesundheitsgefährdende Ausmaße hat.<br />

Im Streitfall muss das Amt den Sachverhalt<br />

klären (§ 20 SGB X Untersuchungsgrundsatz).<br />

Es kann z.B. einen Mieterverein beauftragen<br />

oder ein medizinisches Sachverständigengutachten<br />

einholen und bezahlen (§21 SGB<br />

X Beweismittel),<br />

• bei Kohleöfen das Kohlenschleppen schwer<br />

fällt,<br />

• sanitäre Verhältnisse unzumutbar schlecht<br />

sind (SG Berlin vom 4.11.2005 – S 37 AS<br />

10013/05 ER),<br />

• sich Eheleute oder Paare trennen<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

Foto: Andreas Düllick<br />

27<br />

• oder zusammenziehen wollen...<br />

Die Aufzählung ist nicht abschließend; es<br />

können auch andere Gründe vorliegen.<br />

Zu den notwendigen Umzugskosten gehören<br />

z.B. Kosten für Umzugskartons, Transport,<br />

Versicherungen, Benzin, LKW-Miete, Verpflegung<br />

der Umzugshelfer bei Selbsthilfeumzug.<br />

Wer zu alt oder zu krank ist oder keine<br />

Umzugshelfer hat, bei dem können die Kosten<br />

einer Spedition übernommen werden.<br />

Weitere Wohnungsbeschaffungskosten:<br />

• Zeitungsannoncen,<br />

• Fahrtkosten,<br />

• Maklergebühren,<br />

• Übernahme von Doppelmieten, jedoch nur,<br />

wenn sie nicht vermeidbar sind (z.B. bei


28<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

langer, intensiver Wohnungssuche oder notwendigen<br />

Renovierungsarbeiten),<br />

• Renovierungen (sind nicht in der Regelleistung<br />

enthalten),<br />

• Abstandszahlungen,<br />

• Kosten für die Ummeldung Post/Telefon,<br />

• Genossenschaftsanteile,<br />

• Kautionen.<br />

Einige Wohnungsbeschaffungskosten können<br />

schon beim Antrag der Umzugsgenehmigung<br />

bzw. nach der Mietkostensenkungsaufforderung<br />

durch das Amt beantragt werden, z.B.<br />

Annoncen, Fahrtkosten, Abschlussrenovierungen,<br />

für die Ummeldung von Post und<br />

Telefon, Genossenschaftsanteile und Kautionen,<br />

die Klärung, ob Umzugskosten nur in<br />

Selbsthilfe oder durch eine Spedition übernommen<br />

werden.<br />

Das Problem dabei ist, dass diese Anträge<br />

sehr oft entweder nicht bearbeitet oder einfach<br />

abgelehnt werden. Ohne zu wissen, ob<br />

die Kosten übernommen werden bzw. bei<br />

Ablehnung der Kosten können sich Betroffene<br />

keine Wohnung suchen. Wobei die<br />

Kosten für die Ummeldung von Post und<br />

Telefon noch die geringsten Probleme sind.<br />

Auch hier bleibt in der Regel nur der Gang<br />

zum Gericht – wegen des Antrags auf EINST-<br />

WEILIGE ANORDNUNG �.<br />

Schon mit der Prüfung der Angemessenheit<br />

der neuen Wohnung scheinen sich manche<br />

Arbeitslosenbehörden so schwer zu tun, dass<br />

es Wochen in Anspruch nimmt und die Woh-<br />

nungen dann meist schon längst vergeben<br />

sind. Wenn die Ämter dann gleichzeitig den<br />

Umzugsgrund und die Wohnungsbeschaffungskosten<br />

prüfen, sind sie in der Regel<br />

völlig überfordert. Nicht selten werden nur<br />

die Mietkosten übernommen. Auf allen anderen<br />

Kosten bleiben die Betroffenen sitzen.<br />

Entweder stürzen die sich dann in Schulden<br />

oder sie können die neue Wohnung nicht<br />

anmieten. Auch hier ist wieder EINSTWEILIGE<br />

ANORDNUNG � möglich.<br />

Eigentlich ist die Behörde zur Zusicherung<br />

der Wohnungsbeschaffungskosten spätestens<br />

dann verpflichtet, wenn sie die Übernahme<br />

der Mietkosten zusichert und es ein erforderlicher<br />

Umzug ist oder der Umzug von ihr veranlasst<br />

wurde (LSG Berlin-Brandenburg vom<br />

05.02.08 L 10 B 2193/07 AS ER).<br />

Die Kaution ist bei Umzügen immer wieder ein<br />

Problem. Sie soll übernommen werden, „wenn<br />

der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst<br />

oder aus anderen Gründen notwendig<br />

ist und ohne die Zusicherung eine Unterkunft<br />

in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden<br />

werden kann.“ (§ 22 Abs. 3 Satz 2) Die<br />

pauschale Verweigerung der Kaution durch die<br />

Mitarbeiter ist rechtswidrig, wird aber gern<br />

praktiziert, weil sie so erfolgreich und billig<br />

ist. Auch der pauschale Hinweis, es gäbe genug<br />

Wohnraum ohne Kaution, ist rechtswidrig. Die<br />

Behörden haben zu prüfen, ob es genug Wohnungen<br />

zu Hartz-IV-Mieten gibt, ob genug<br />

Wohnungen frei sind, ob diese überhaupt an<br />

Alg-<strong>II</strong>-Bezieher vermietet werden und ob von<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

diesen genug Wohnungen ohne Kaution vermietet<br />

werden. Erst wenn alle diese Punkte positiv<br />

sind, dürfte die Kaution verweigert werden. Für<br />

verschuldete Wohnungssuchende verschärft<br />

sich die Wohnungssuche durch die negative<br />

Schufa-Auskunft nochmals, da sie deshalb oft<br />

keine Wohnung bekommen. Für Berlin dürften<br />

alle vier Punkte negativ zu beantworten sein.<br />

Wird die Kaution übernommen, wird sie als<br />

Darlehen nach § 22 Abs.3 gewährt. Darlehen<br />

heißt in diesem Fall, dass sich die Arbeitslosenbehörde<br />

dem Vermieter gegenüber die<br />

Kaution sichert. Ziehen die Alg-<strong>II</strong>-Bezieher<br />

aus der Wohnung aus, geht die Kaution somit<br />

direkt an das JobCenter zurück.<br />

Darlehen heißt ausnahmsweise nicht, dass<br />

Betroffene sie aus ihrer Regelleistung zurückzahlen<br />

müssen! Die Anwendung des § 23<br />

Abs.1 ist rechtswidrig. Wer zu einem solchen<br />

Darlehensvertrag veranlasst wurde, sollte ihn<br />

sofort kündigen und die gezahlten Beträge<br />

zurückfordern. Wird oder wurde das Darlehen<br />

einfach von der Regelleistung einbehalten,<br />

sollte gegen die Einbehaltung vorgegangen<br />

werden. Wenn das nicht klappt, sollten die<br />

Gerichte bemüht werden.


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

VERPFLEGUNG<br />

� Bereitgestellte Verpflegung in Krankenhäusern,<br />

Schulen, Kitas usw., sowie der<br />

Naturalunterhalt, den Eltern für über 25-jährige<br />

„Kinder“ zu Hause bereitstellen, dürfen<br />

rückwirkend zum 1.1.2008 nicht mehr auf die<br />

Regelleistung angerechnet werden. Wem seit<br />

diesem Zeitpunkt doch Verpflegung angerechnet<br />

wurde, sollte sein Geld zurückfordern,<br />

entweder schriftlich formlos oder als<br />

ÜBERPRÜFUNGSANTRAG �:<br />

Ab 01.01.09 gilt eine neue Berechnung von<br />

bereitgestellter Verpflegung vom Arbeitgeber.<br />

Die Arbeitslosenverordnung wurde wie<br />

folgt geändert: § 2 Abs. 5 „Bei der Berechnung<br />

des Einkommens ist der Wert der vom<br />

Arbeitgeber bereitgestellten Vollverpflegung<br />

mit täglich 1 Prozent der nach § 20 des Zweiten<br />

Buches Sozialgesetzbuch maßgebenden<br />

monatlichen Regelleistung anzusetzen. Wird<br />

Teilverpflegung bereitgestellt, entfallen auf<br />

das Frühstück ein Anteil von 20 Prozent und<br />

auf das Mittag- und Abendessen Anteile von<br />

je 40 Prozent des sich aus Satz 1 ergebenen<br />

Betrages.“<br />

Da es verschieden hohe Regelsätze gibt, sind<br />

auch verschieden hohe Beträge anrechenbar.<br />

Da kann es passieren, dass bei zwei Kollegen,<br />

die dieselbe Vollverpflegung erhalten, völlig<br />

verschiedene Summen täglich angerechnet<br />

werden.<br />

VORSCHUSS<br />

� Oft werden die Betroffenen bei der ANTRAG-<br />

STELLUNG � mit ihrem Antrag einfach wieder<br />

nach Hause geschickt. Es geht hier um die, die<br />

bei der Arbeitslosenbehörde ohne Geld aufschlagen,<br />

und wenn sie noch ein Konto haben,<br />

da nichts drauf ist. Absolut nichts mehr zum<br />

Leben zu haben, nennt man Mittellosigkeit.<br />

– Gern werden auch diese Antragsteller ohne<br />

weiteres wieder nach Hause geschickt.<br />

Unbelastet von solchen Nebensächlichkeiten<br />

wie dem § 17 SGB I, der vorschreibt: Die „Leistungsträger<br />

sind verpflichtet, darauf hinzuwirken,<br />

dass jeder Berechtigte die ihm zustehenden<br />

Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise,<br />

umfassend und zügig erhält...“ gammeln die<br />

Arbeitslosenbehörden so vor sich hin. In der<br />

Regel stehen Betroffene den völlig gleichgültigen<br />

Mitarbeitern hilflos gegenüber, ohne Geld<br />

und ohne Rechtskenntnisse. Hier ist der Hin-<br />

weis auf § 42 SGB I Abs.1 wichtig. „Besteht<br />

ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde<br />

nach und ist zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich<br />

längere Zeit erforderlich, kann der<br />

zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen,<br />

deren Höhe er nach pflichtgemäßem ERMES-<br />

SEN* bestimmt. Er hat Vorschüsse nach Satz 1<br />

zu zahlen, wenn der Berechtigte es beantragt;<br />

die Vorschusszahlung beginnt spätestens nach<br />

Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang<br />

des Antrags.“ Das heißt: Jeder Sachbearbeiter<br />

ist verpflichtet, Berechtigten einen Vorschuss<br />

zu zahlen, wenn diese ihn beantragen, insbesondere<br />

wenn sie vortragen, dass sie mittellos<br />

sind und sofort Geld zum Überleben benötigen.<br />

Dies ist ein Antrag im Sinne des § 17 SGB<br />

I. Das pflichtgemäße Ermessen erstreckt sich<br />

hier auch nicht darauf, ob der Bearbeiter Lust<br />

hat zu zahlen, sondern das Ermessen reduziert<br />

sich hier auf Null, weil es bei Mittellosigkeit<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

29<br />

Foto: Klaus Linke<br />

keine Alternative zum sofortigen Vorschuss<br />

gibt!<br />

Weigert sich der Bearbeiter bei Mittellosigkeit,<br />

einen Vorschuss zu zahlen, sollte gleich<br />

dessen Vorgesetzter angesprochen werden:<br />

mit Verweis auf § 17 SGB I. Hat auch der<br />

keine Lust, dem Gesetz zu folgen, ist es hilfreich,<br />

mit der Beantragung einer einstweiligen<br />

Anordnung beim Sozialgericht zu drohen.<br />

Geht der Vorgesetzte selbstherrlich nicht<br />

darauf ein, bleibt nur der Gang zu Gericht.<br />

Es ist rechtswidrig, doch wird es immer wieder<br />

praktiziert, Betroffene auf Suppenküchen,<br />

Tafeln o.ä. zu verweisen. Bei Bedürftigkeit der<br />

Betroffenen gibt es noch einen Rechtsanspruch<br />

auf Alg <strong>II</strong> und nicht den Verweis auf Suppenküchen<br />

und Tafeln. Ebenso ist ein Verweis auf<br />

einen Bankkredit nicht zumutbar.


30<br />

Ihr Recht von A-Z<br />

VORSORGE für das Alter<br />

� Die sogenannte Riesterrente ist bis zum<br />

jährlichen Höchstbetrag staatlicher Förderung<br />

(ab 2008 in Höhe von 2.100 Euro)<br />

geschützt. Anderes zur Altersvorsorge angespartes<br />

Vermögen darf bestimmte Höchstgrenzen<br />

nicht überschreiten. Es muss so<br />

angelegt werden, dass es nicht vor Erreichung<br />

des Rentenalters angegriffen werden<br />

kann. Im August 2006 wurden diese Beträge<br />

von 200 Euro auf 250 Euro pro Lebensjahr<br />

erhöht. Der Höchstbetrag liegt jetzt bei<br />

16.750 Euro für nach dem 31.12.1963 Geborene.<br />

Die Gesetzgeber feierten die Erhöhung<br />

als weiteren „Fortschritt“ zur Absicherung<br />

des Alters. Doch war dies kein Geschenk aus<br />

irgendwelchen Sozialkassen! Die Zeche durften<br />

die Alg-<strong>II</strong>-Bezieher selbst zahlen. Ihnen<br />

wurden im gleichen Zuge die Vermögensfreibeträge<br />

zur freien Verfügung von 200 Euro<br />

auf 150 Euro gekürzt!<br />

Immer wieder wird den Leuten gebetsmühlenartig<br />

vorgekaut, dass sie für ihr Alter<br />

vorsorgen müssen, um ihre Rente damit aufbessern<br />

zu können. Sogar Minijobber werden<br />

dazu ermutigt, von ihren Minilöhnen für das<br />

Alter vorzusorgen. Schließlich sollen sie ja<br />

keine allzu großen Einbußen ihres Lebens-<br />

standards haben! Von welchem Lebensstandard<br />

ist denn hier eigentlich die Rede? Wenn<br />

Minijobber keinen Ehe- oder Lebensgefährten<br />

haben, dann ist ihr Lebensstandard Hartz IV!<br />

Mit sinkenden Reallöhnen ist für immer mehr<br />

Erwerbstätige der Lebensstandard Hartz IV!<br />

Was passiert denn mit der Altersvorsorge,<br />

wenn Hungerlöhner, Minijobber, Alg-<strong>II</strong>-<br />

Bezieher und andere Arme in Rente gehen?<br />

In der Regel wird ihre Rente weit unter dem<br />

Existenzminimum liegen. Also fallen sie mit<br />

Rentenbeginn entweder in die Sozialhilfe<br />

oder die Grundsicherung im Alter. Dann ist<br />

ihre sauer angesparte Altersvorsorge jedoch<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

kein zusätzliches Einkommen für sie, sondern<br />

genau dieses Geld steckt sich Vater Staat in<br />

die Tasche, indem es angerechnet wird. Die<br />

private Altersvorsorge mindert die Sozialleistungen!<br />

Pech gehabt! Bist du arm, bleibst<br />

du arm. Dafür sorgen schon die Gesetze.<br />

Jeder, der nicht zu den Besserverdienenden<br />

zählt, sollte es sich ernsthaft überlegen, ob es<br />

für ihn wirklich sinnvoll ist, sein Einkommen<br />

mit irgendwelcher Altersvorsorge zu mindern.<br />

Abgesehen von der Gefahr, sein Geld an windige<br />

Betrüger zu verlieren, wird das Risiko, mit<br />

sinkenden Renten allein für den Staat gespart<br />

zu haben, immer größer.<br />

Foto: Peter Woelck


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

LITERATURHINWEISE<br />

Leitfaden Alg <strong>II</strong>/Sozialhilfe von A-Z<br />

Stand 01.10.2008, 10 Euro inklusive Versandkosten,<br />

Bestellung unter 1)<br />

Kommentar: DER betroffenenorientierte<br />

Ratgeber für den Alltag mit der Arbeitslosenbehörde.<br />

Verständlich und so einfach wie<br />

möglich geschrieben und für jeden Laien und<br />

Neuling empfehlenswert.<br />

Leitfaden zum Arbeitslosengeld <strong>II</strong><br />

Stand 01.04.2009, 15 Euro plus Versandkosten,<br />

Bestellung unter 2)<br />

Kommentar: Hervorragender Leitfaden<br />

für Betroffene und Berater, die sich schon<br />

möglichst mit Paragrafen und Verordnungen<br />

befasst haben.<br />

Leitfaden für Arbeitslose<br />

Rechtsratgeber zum SGB <strong>II</strong>I<br />

Stand 13.02.2009, 15 Euro plus Versandkosten,<br />

Bestellung unter 2)<br />

Kommentar: Ein Klassiker für Arbeitslosengeld-I-Bezieher<br />

Sozialhilfe für Behinderte und<br />

Pflegebedürftige von A-Z<br />

Stand März 2005, 5 Euro inklusive Versandkosten,<br />

Bestellung unter 1)<br />

Durchführungshinweise der Bundesagentur<br />

für Arbeit für die<br />

Anwendung des SGB <strong>II</strong><br />

Erläuterungen und Informationen für<br />

Betroffene, Berater und Behörden<br />

Stand 1/2009, 23 Euro plus Porto, erscheint<br />

im Juni 2009 neu, Bestellung unter 2)<br />

Kommentar: Als Alleinliteratur ungeeignet.<br />

Nur zusammen mit Ratgebern zu benutzen, da<br />

Teile der Gesetzestexte und somit der Durchführungshinweise<br />

mit anderen Gesetzen oder<br />

mit Urteilen oberster Gerichte kollidieren. Um<br />

Mitarbeitern der JobCenter geeignete Passagen<br />

unter die Nase zu halten, jedoch sehr geeignet.<br />

Zeitschrift „info also“<br />

Die einzige juristische Fachzeitschrift für<br />

Arbeitslosen- und Sozialhilferecht. Sie verbindet<br />

Fachwissen mit praktischer Hilfe.<br />

Erscheint zweimonatlich, Jahresabo 42 Euro,<br />

Probeexemplar kostenlos und unverbindlich:<br />

Frau Hohmann, Tel. 07221/2104-39 oder<br />

Bestellung: Nomos Verlagsgesellschaft mbh<br />

& Co.KG, Waldseestraße 3-5, Postfach: 10 03<br />

10, 76530 Baden-Baden, Telefon: 07221 /<br />

2104 – 0, Fax: 07221 / 2104 – 27, Email:<br />

nomos@nomos.de<br />

Arbeitslosenzeitung quer<br />

„Pflichtzeitung“ für Alg-I- und -<strong>II</strong>-Bezieher,<br />

erscheint zweimonatlich, Jahresabo 12,50<br />

Euro, Bestellung: PF 1363 Oldenburg, 26003<br />

Oldenburg, Tel. 0441-955 84 49,<br />

Fax 0441/955 84 43;<br />

Email: quer.infos@web.de<br />

weitere Informationen:<br />

SERVICE<br />

31<br />

Nebensache Mensch, Arbeitslosigkeit<br />

in Deutschland<br />

Rainer Roth, 15 Euro, Bestellung unter 1)<br />

Weshalb Menschen zur Ware Arbeit verkommen<br />

sind und immer mehr überflüssig<br />

werden.<br />

Sozialhilfemissbrauch, Wer missbraucht<br />

hier wen?<br />

Rainer Roth, Band 9, 2004, 5,80 Euro plus<br />

Versandkosten, Bestellung unter 1)<br />

Über den Lohn am Ende des Monats<br />

Eine Umfrage unter Erwerbstätigen<br />

Rainer Roth, 5 Euro Bestellung unter 1)<br />

Über den Monat am Ende des Geldes<br />

Umfrage unter Sozialhilfebeziehern<br />

Rainer Roth, 3,50 Euro, Bestellung unter 1)<br />

Bestelladressen:<br />

1) DVS, Schuhmannstraße 51, 60325 Frankfurt/Main;<br />

Fax: 069/74 01 69; Email: d.v.s.@t-online.de<br />

2) Fachhochschulverlag, Kleiststraße 10, Gebäude 1,<br />

60318 Frankfurt/Main, www.fhverlag.de, Tel.:<br />

069/1533-2820, 069/1533-2840;<br />

Email: bestellung@fhverlag.de<br />

Anlaufstellen bei Meinungsverschiedenheiten mit den<br />

JobCentern in Berlin-Brandenburg<br />

Regionale Anlaufstelle:<br />

Bundesagentur für Arbeit<br />

Regionaldirektion Berlin-Brandenburg<br />

(Früher: Landesarbeitsamt)<br />

Friedrichstraße 34<br />

10969 Berlin<br />

Email: Berlin-Brandenburg@arbeitsagentur.de<br />

Fax: 030–5555 99 49 99<br />

Die Regionaldirektion ist die direkte vorgesetzte<br />

Dienststelle für alle Geschäftstellen der<br />

Arbeitsagenturen und JobCenter.<br />

Die überegionale Anlaufstelle<br />

in Nürnberg:<br />

Bundesagentur für Arbeit<br />

BA Service-Haus<br />

Kundenreaktionsmanagement<br />

Regensburger Straße 104<br />

90478 Nürnberg<br />

Telefax: 0911–1798 21 23<br />

Und nicht zu vergessen das betreffende<br />

Ministerium:<br />

Bundesministerium für Arbeit und Soziales<br />

Wilhelmstraße 49<br />

10117 Berlin<br />

Petitionen<br />

Jeder Bürger hat das Recht, Eingaben (Petitionen)<br />

an den Gesetzgeber zu richten.<br />

Sie sind an keine besondere Form gebunden.<br />

Es empfiehlt sich jedoch, möglichst sachlich<br />

und detailliert (Aktenzeichen, Kopien des<br />

Schriftverkehrs) sein Anliegen zu schildern.<br />

Dies können Streitigkeiten mit Behörden,<br />

Änderung bei Gesetzen und ähnliches sein.<br />

Ausnahme bilden hier lediglich anhängige<br />

Gerichtsverfahren.<br />

Abgeordnetenhaus von Berlin<br />

Petitionsausschuss<br />

Niederkirchnerstraße 5<br />

10111 Berlin<br />

oder<br />

Deutscher Bundestag<br />

Petitionsausschuss<br />

Platz der Republik<br />

10111 Berlin


32<br />

Klare Worte<br />

Uwe Glinka, Kurt Meier: Das Sparkochbuch. Günstig und<br />

ausgewogen ernähren nach dem Regelsatz HARZ IV<br />

Ein zweifelhaftes Buch für den kleinen Geldbeutel.<br />

Von Günther Jauch bei stern-TV als „eine Superidee“ gepriesen, die<br />

Rezepte über eine Million Mal heruntergeladen, von einem deutschen<br />

Hollywoodproduzenten für eine Kochshow ins Auge gefasst: Uwe Glinka<br />

und Kurt Meier, die beiden Hartz-IV-Empfänger aus dem Norden, haben<br />

mit ihrem Kochbuch eine Erfolgslawine losgetreten, die dafür sorgen<br />

dürfte, dass wenigstens sie sich in Kürze keine Sorgen mehr machen<br />

müssen, ob man von 4,33 Euro pro Person ausreichen essen kann.<br />

Was medial gefeiert als Rezeptbuch für kleine Geldbeutel daherkommt,<br />

sind alte Rezepte, die Glinka und Meier auf ihre Anfrage hin<br />

von Landfrauenvereinen geschickt bekamen und auswerteten. Mit<br />

Einkaufslisten bewaffnet, zogen sie dann los zu den Discountern und<br />

kauften ein. So billig, dass viele der für zwei Personen entworfenen<br />

Tagespläne sogar unter dem Regelsatz bleiben.<br />

So gut, so katastrophal.<br />

Zunächst: Ja, man kann 425 g Obstsalat zum Frühstück für 0,55 Euro<br />

bekommen – der ist dann bis zum Erbrechen gezuckert. Ja, es gibt vier<br />

Brötchen für insgesamt 0,68 Euro beim Discounter – die abgepackten<br />

Knautschbrötchen, von denen man nicht wissen möchte, was sie<br />

alles außer Mehl noch enthalten. Denn dass Hersteller auch bei teureren<br />

Produkten bereits kräftig an den hochwertigen Zutaten sparen<br />

und diese – von uns unbemerkt – durch Ersatzstoffe, Aromen und<br />

Chemie ersetzen, ist mittlerweile bekannt. (Quelle: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2009/0711/tagesthema/0083/index.html)<br />

Bei 200 g Schweinegulasch für 1,20 Euro hört der Spaß dann völlig auf.<br />

Wir erinnern uns an Nikolaus Geyrhalters Film „Unser täglich Brot“:<br />

Den Schweinen, von denen dieses billige Fleisch kommt, wird als<br />

kleinen Ferkeln zunächst einmal bei vollem Bewusstsein der Ringelschwanz<br />

abgeschnitten und sie werden, wenn männlich, ohne Betäubung<br />

kastriert. Gefüttert mit verschiedenen Hormoncocktails, setzen<br />

sie möglichst schnell Fett an, versorgt von weiteren Medikamenten,<br />

damit sie nicht am Stress vorzeitig sterben. Das dürfen sie dann in<br />

Panik auf den Laufbändern der Schlachthöfe. Lecker! Und so gesund!<br />

Zumindest bestätigte das die Ernährungsberaterin von stern-TV.<br />

Menschen arbeiten in diesen Fleischproduktionsstätten ohne Tarifvertrag<br />

und für oft weniger als fünf Euro die Stunde. Deutschland gilt<br />

mittlerweile als Billiglohnland der Nahrungsmittelindustrie (Quelle:<br />

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/81/481551/text/). Und damit<br />

sauer k / g<br />

Konzept & Gestaltung<br />

Plakate<br />

Anzeigen<br />

Flyer<br />

Zeitung<br />

Brochuren/Kataloge<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

schließt sich der Kreis: Billiglöhne=Billigfleisch – kein Grund also,<br />

den Regelsatz zu erhöhen.<br />

Das Rezeptbuch für den kleinen Geldbeutel verschließt auch vor anderen<br />

Problemen die Augen: Was ist mit Kindern, für die weniger als 4,33<br />

Euro veranschlagt werden, die aber Schulbrote, ein warmes Mittagessen,<br />

Obst nach sportlichen Betätigung usw. benötigen? Was ist mit all<br />

den Leuten, die nicht mehr die Kraft zum Kochen, Spülen, Aufräumen<br />

haben, weil sie durch HARTZ IV bereits krank geworden sind – psychisch<br />

oder physisch? Was ist mit denen, die nicht so gut zu Fuß sind, dass sie<br />

stundenlang von einem Discounter zum anderen laufen können? Oder<br />

mit jenen, die gar keinen Discounter in Lauf- und Schleppweite haben?<br />

Was ist mit den gestiegenen Energie-, Wasser-, Spülmittelkosten, die in<br />

der Rezeptberechnung nicht berücksichtigt sind? Was ist mit den vielen<br />

Allergikern, die nicht als solche<br />

anerkannt sind, die aber trotzdem<br />

z.B. Süßstoffe, Aromen, Konservierungsstoffe,<br />

Farbstoffe, Sojazusätze<br />

nicht vertragen und die daher<br />

nicht einfach alles kaufen können?<br />

Was ist mit all jenen, die durchaus<br />

arbeiten, deren Arbeit aber weniger<br />

bringt als der Hartz-IV-Satz? Wann<br />

gehen die Preise vergleichen?<br />

Egal, das Buch hat Erfolg. Wahrscheinlich<br />

aus zwei Gründen:<br />

Zum einen wurde es mit Günther<br />

Jauch von einem Mann gepusht,<br />

den viele seit seiner IQ-Show für<br />

besonders intelligent halten. Zum<br />

anderen hat das Buch etwas, was auch viele Menschen an Diätbüchern<br />

anzieht: Die Möglichkeit der scheinbaren Kontrolle. Denn was<br />

ist beruhigender, als sich von einem Buch sagen zu lassen, dass das<br />

Frühstück nur 90 Cent gekostet hat?!<br />

Man kauft sich mit dieser Broschüre nicht nur ein Rezeptbuch. Man<br />

kauft sich die Absolution, auch als Hartz-IV-Empfänger kein ganzer<br />

Versager zu sein. Denn immerhin kann man sich dann stolz mit den<br />

Autoren in eine Reihe stellen und denken: „Wie heisst es so schön:<br />

Aus der Not eine Tugend machen.“ (S. 6)<br />

Guten Appetit!<br />

Ghattas<br />

carsten sauer<br />

telefon: 030/44 16 507<br />

email: sauer_kg@yahoo.de


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe Bonus-Material<br />

2009<br />

Ganz schön mutig<br />

Der rot-rote Senat verkündet stolz die<br />

„Anpassung“ der Mietobergrenzen an die<br />

Entwicklung der Mietpreise. Doch für viele<br />

betroffene Hartz-IV-Bezieher bringt diese<br />

Erhöhung überhaupt nichts.<br />

Am 1. März 2009 ist sie in Kraft getreten: die neue Ausführungsvorschrift<br />

Wohnen des Senats von Berlin. Für diesen phänomenalen Wurf<br />

hat sich die Berliner Sozialsenatorin Heidi Knaake-Werner (Linke) so<br />

richtig ins Zeug gelegt, um die Hartz-IV- oder Sozialhilfe-Betroffenen<br />

aus dem Tal der Misere herauszuholen. Doch was da herausgekommen<br />

ist und seit 1. März mit der AV Wohnen in Kraft getreten ist, entbehrt<br />

wirklich jedweder Verbesserung in Sachen menschenwürdiger Mietobergrenzen<br />

für Hartz-IV- und Sozialhilfebezieher, die sich doch die Sozialsenatorin<br />

so gerne auf die Fahnen geschrieben hat. Erst waren es<br />

die großen Versprechungen und Ankündigungen, dann wurde sie immer<br />

kleinlauter, bis letztendlich nur eine Erhöhung der Mietobergrenze für<br />

Ein-Personen-Haushalte von 360 auf 378 Euro herauskam. „Es wird eine<br />

völlig neue Ausführungsverordnung<br />

Wohnen geben“ verkündete<br />

sie noch großspurig am<br />

11. Juli 2007 während einer<br />

Tagung der „Beratergruppe zur<br />

Fortschreibung des Obdachlosenrahmenplans<br />

und Wohnungslosenpolitik<br />

in Berlin“. Grund für<br />

diese hoffnungsvoll stimmenden<br />

Worte von Heidi Knaake- Werner:<br />

An diesem Tag wurde der derzeit<br />

gültige Mietspiegel veröffentlicht.<br />

Und da sich seit Einführung<br />

von Hartz IV im Jahre 2005<br />

Veränderungen auf dem Arbeits-<br />

und Wohnungsmarkt in einem<br />

solchen Umfang ergeben hätten,<br />

kann eine „kleinteilige Anpassung“,<br />

wie die Sozialsenatorin<br />

erklärte, nicht angemessen sein.<br />

Ab 1. März 2009 sind nach der<br />

AV Wohnen die Mietobergrenzen<br />

um sage und schreibe 18 Euro<br />

gestiegen – von 360 auf jetzt 378 bruttowarm. Mehr war mit dem<br />

Koalitionspartner SPD leider nicht zu machen, erklärt Frau Knaake-<br />

Werner. Aber dennoch: „der Senat reagiert mit der Erhöhung auf<br />

die Mietpreisentwicklung, wonach insbesondere die Mieten für die<br />

kleinen Wohnungen angestiegen sind“, wie es in einer Erklärung der<br />

linken Sozialsenatorin heißt. Dass bei den anderen Haushalten die<br />

Mieten in den letzten Jahren ebenso angestiegen sind, haben SPD<br />

und Linke schlichtweg vergessen. Und so bleiben die Mietobergrenzen<br />

für Zwei-Personen-Haushalte bei 444 Euro, für Drei-Personen-Haushalte<br />

bei 542 Euro, für Vier-Personen-Haushalte bei 619 Euro und<br />

Fünf-Personen-Haushalte bei 705 Euro unverändert.<br />

Dabei wäre eine deutliche Anhebung auch der anderen Personenhaushalte,<br />

bei denen die Mietsteigerungen weit mehr als diese lächerlichen<br />

18 Euro bei den Ein-Personen-Haushalten betragen, dringend<br />

notwendig, um den tatsächlichen Bedarf der explodierenden Mietpreissteigerung<br />

zu decken. Schon bei Einführung der Angemessen-<br />

Klare Worte<br />

33<br />

heitskriterien im Juli 2005 waren die Mietobergrenzen für Alg-<strong>II</strong>- und<br />

Sozialhilfebezieher längst überholt. Denn Grundlage waren die Zahlen<br />

der Wohnungsmarktdaten von 2004. Und 2007, als die Preise auf dem<br />

Wohnungsmarkt enorm stiegen, gerade bei den Hartz IV-tauglichen<br />

Wohnungen (10,2 Prozent), sah der Senat keine Veranlassung, die<br />

Mietobergrenzen zu erhöhen.<br />

Die jetzige „Anpassung“ der Mietobergrenzen, auch nur für die Ein-<br />

Personen-Haushalte muss man weiterhin als Ignorieren der Mietpreissteigerung<br />

seitens des Senats betrachten. So werden sich auch<br />

weiterhin die Alg-<strong>II</strong>- und Sozialhilfeempfänger die für sie zu teuren<br />

Mieten vom ihrem Regelsatz absparen müssen. Dass das von diesem<br />

defizitären Regelsatz utopisch ist, wissen die Hilfeleistungsbezieher.<br />

Sie machen dann halt Mietschulden – auf die Gefahr hin, in die<br />

Obdachlosigkeit zu rutschen.<br />

Dass die neue AV-Wohnen völlig unzureichend ist, hat unter anderen<br />

die Berliner Mietergemeinschaft erklärt. Und die rechnet schon mal<br />

vor, dass bereits heute auf jede Wohnung für einen Ein-Personen-<br />

Haushalt nach der Mietobergrenze mindestens schon zwei Nachfrager<br />

kommen. Und der im Sommer 2009 erscheinende Mietspiegel wird<br />

diesen Trend mit ziemlicher Sicherheit bestätigen. Für diesen Trend<br />

gesorgt hat zum einen der jetzige Stillstand des Sozialwohnungsbaus<br />

und zum anderen die Aufwertung und Sanierung vorhandener Wohnungen,<br />

die zu einer Abnahme des Angebots gerade in den unteren<br />

Preisklassen gesorgt hat. So ist wohl trotz dieser grandiosen Anhebung<br />

mit einer drastischen Zunahme von Zwangsumzügen zu rechnen,<br />

kritisiert nicht nur der DGB die neue AV Wohnen, sondern auch die<br />

Berliner Kampagne gegen Zwangsumzüge. Denn Berlin ist der Forderung<br />

des Bundesrechnungshofes nachgekommen, die Einjahresfrist<br />

der vollen Mietübernahme auf ein halbes Jahr zu kürzen. Und jetzt<br />

könnten sogar Quadratmetergrößen einer Wohnung durch den neu<br />

eingeführten Punkt „unzumutbar beengter Wohnverhältnisse“ der AV<br />

Wohnen ein Hintertürchen für die Entscheidung der JobCenter, ob<br />

jemanden umziehen muss oder nicht, sein.<br />

Martyn R.<br />

(www.gegen-zwangsumzuege.de, Notruftelefon 0800-27 27 27 8)<br />

Foto: uk


34<br />

Klare Worte<br />

Hartz-IV-Gesetze nehmen Kinderarmut in Kauf<br />

Über die strukturelle Ausgrenzung von Kindern<br />

Die SGB-<strong>II</strong>-Gesetze, die die Regelsätze auch für Kinder festlegen, orientieren<br />

sich am Bedarf eines Singlehaushalts der unteren Einkommensschicht.<br />

Sie gestehen dem Nachwuchs in Hartz-IV-Familien, der, wie alle<br />

Kinder vor allem eines unweigerlich tut, nämlich wachsen, noch nicht<br />

mal die nötige Bekleidungspauschalen zu: alle halben Jahre das größere<br />

und der Witterung angepaßte Paar Schuhe usw.<br />

Aber die Ungerichtigkeit ist weitreichender: Nach einem Rechtsgutachten<br />

von Frau Prof. Dr. jur. Anne Lenze, die an der Hochschule Darmstadt<br />

Sozialrecht lehrt, steht Kindern armer Eltern nur der Bedarf des<br />

sächlichen Existenzminimums zu. Würde man für sie auch einen Betrag<br />

für Betreuung und Erziehung – wie er besserverdienenden Familien durch<br />

den Steuerfreibetrag (aktuell 6024 Euro im Jahr) zusteht – dazurechnen,<br />

stünde den Kindern ein Satz von 502 Euro im Monat zu. Der Gesetzgeber<br />

nimmt also die Kinderarmut, die mittlerweile schon jedes zweite Kind in<br />

Deutschland (einem der reichsten Länder der Welt) betrifft, in Kauf, um<br />

die Eltern zur Annahme jeglicher Arbeit zu zwingen.<br />

Kinder als Geiseln<br />

Gerade die Familien, die nicht in der Lage sind, aus eigenen Mitteln<br />

die Kosten für soziales Miteinander wie Vereinsbeiträge, Sprachförderung,<br />

Internetkurse, den Internetzugang zu Hause, den Schulen ab<br />

der siebenten Klasse als Lernwerkzeug voraussetzen, oder den Nachhilfeunterricht<br />

zu tragen, werden so von der persönlichen Entwicklungsförderung<br />

ihres Nachwuches strukturell ausgeschlossen.<br />

Frau Lenze hat in einem Rechtsgutachten, das sie 2008 für die gewerkschaftsnahe<br />

Hans-Böckler-Stiftung verfaßte, die Frage untersucht, ob<br />

es dem Grundsatz der Gleichbehandlung verfassungsgemäß ist, dass<br />

die auf Grundsicherung angewiesenen Kinder von diesen Möglichkeiten<br />

der Bildung abgekoppelt werden, und kommt zu dem Schluß, dass<br />

auch die Besonderheit der Sozialgesetzgebung keine Rechtfertigung<br />

dieser Mißstände erlaubt.<br />

An anderer Stelle weist Frau Lenze daraufhin, dass es in unserem Land<br />

mit der Familienförderung, trotz anderslautender Erklärungen von den<br />

Parteien, nicht weit her ist. Die Milliardenbeträge, die als Familien-<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Was haben Kinder und Jugendliche, die per Gesetz nicht arbeitslos oder arbeitssuchend<br />

sein können, in den Karteien der JobCenter zu suchen?<br />

förderung präsentiert werden, enthalten nicht unerhebliche Summen,<br />

die von der Sache her in andere Kategorien fallen, z.B. Ausgaben für<br />

Schulen (45,3 Milliarden), die durch die Schulpflicht jedem unausweichlich<br />

aufgezwungen werden und die man keinesfalls als familienpolitische<br />

Maßnahmen deklarieren kann, ja nicht einmal der große<br />

Posten des Kindergeldes von 30,9 Mrd. Euro kann hier voll geltend<br />

gemacht werden, besteht er doch zu zwei Dritteln aus der Rückerstattung<br />

der verfassungsrechtlich verbotenen Besteuerung* des kindlichen<br />

Existenzminimums (und ist daher ebenfalls keine Sozialleistung,<br />

erst recht nicht eine, die Politiker nach Gutdünken in andere, angeblich<br />

Familien zugute kommende Töpfe investieren können wie den<br />

Ausbau von Krippenplätzen).<br />

Die Mehrwertsteuererhöhung<br />

und die Energieabgabe<br />

trifft zudem<br />

Familien in größerem<br />

Ausmaß als<br />

Singles, die wenigerVerbrauchsgüter<br />

benötigen und<br />

sich Anschaffungen<br />

besser einteilen<br />

können.<br />

Kein Wunder, dass<br />

Menschen und gemeinnützigeOrganisationen<br />

den Markt<br />

der Not sehen; zunehmend warten sie mit Betreuungsangeboten für<br />

Hartz-IV-Kids auf. Die Berichte, die die dort beschäftigten SozialpädagogInnen<br />

der Öffentlichkeit über den teilweise erschreckenden<br />

Zustand der Kinder zukommen lassen, nutzen die Medien, um die<br />

verzweifelten und deprimierten Eltern, die keinen Ausweg aus ihrer<br />

Lage sehen und zum Teil deshalb unter psychischen Problemen leiden,<br />

zu diffamieren. Der Druck, unter dem diese Erwachsenen gerade zu<br />

Weihnachten – der Hochzeit des Konsums – stehen, ist extrem belastend!<br />

Aber auch den Rest des Jahres wird die familiäre Kultur nicht<br />

gestärkt, wenn die Kinder außer Haus beköstigt und betreut werden<br />

müssen, weil daheim das Geld fehlt.<br />

Aus der Politik kommen zudem zynische Vorschläge zur Einführung<br />

von Bezugsscheinen, anstatt der längst fälligen Diskussion über die<br />

Ausgliederung der Kinder aus der Zuständigkeit des SGB <strong>II</strong> – Frau<br />

Lenze hält das Kinder- und Jugendhilfegesetz für den passenderen Ort<br />

– und die Erhöhung der kindlichen Regelsätze auf den tatsächlichen<br />

Bedarf des inklusiven Existenzminimums.<br />

Tatsächlich könnte eine Verfassungsklage in Karlsruhe die ungerechten<br />

Gesetze und ihre fatalen Folgen schneller beenden, denn das politische<br />

Brimborium um Familie ist hohles Gewäsch, wie man an der<br />

gesetzlich sanktionierten Benachteiligung erkennt!<br />

Lou<br />

(* Hier ist die Mehrwertsteuer auf Kinderkleider, -schuhe, -nahrung usw.gemeint.)<br />

Foto: Lou


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Die Würde des Menschen ist antastbar – durch Hartz IV<br />

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen<br />

ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ So bestimmt es der<br />

erste Artikel des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland.<br />

Und auf diesen Sachverhalt zielen letztlich alle im Grundgesetz verankerten<br />

Grundrechte ab. Die gesellschaftliche Realität aber ist eine<br />

andere. Die Würde mehrerer Millionen Menschen in Deutschland ist<br />

angetastet und die Grundrechte sind zumindest teilweise aufgehoben<br />

durch das ‚Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt’,<br />

besser bekannt als Hartz IV.<br />

Zwar räumt das deutsche Grundgesetz durchaus die Möglichkeit ein,<br />

dass „ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“ eingeschränkt<br />

werden kann. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber aber festgelegt,<br />

dass in einem solchen Falle „das Gesetz das Grundrecht unter<br />

Angabe des Artikels nennen“ muss, und hinzugefügt, dass „in keinem<br />

Falle ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden“ darf.<br />

Hartz IV verstößt gegen beide Grundsätze. Es schränkt Grundrechte<br />

nicht nur ein, ohne dies im Gesetzestext zu vermerken, es berührt<br />

diese Rechte auch in ihrem Kern.<br />

Aufschlussreich ist dabei die Tatsache, dass mit der Missachtung<br />

eigentlich unveräußerlicher Grundrechte das selbstformulierte Hauptziel<br />

von Hartz IV, nämlich „die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen<br />

Hilfebedürftigen“ stärken zu wollen, als bloße Phrase entlarvt<br />

wird. Dies hehre Anliegen wird solange in sein Gegenteil verkehrt<br />

bleiben, solange Beziehern von Arbeitslosengeld <strong>II</strong> jeglicher Freiraum<br />

für eigenverantwortliches Handeln verwehrt ist. Wie können<br />

<strong>ALG</strong>-<strong>II</strong>-Empfänger in Eigenverantwortung handeln, wenn sie in völliger<br />

Abhängigkeit von den Entscheidungen der zuständigen Behörde<br />

gehalten werden? Wenn sie um die Erlaubnis für die selbstverständlichsten<br />

Dinge des alltäglichen Lebens bitten und betteln müssen?<br />

Wenn sie etwa für Reisen die vorherige Zustimmung eines Sachbearbeiters<br />

einholen müssen, auch bei Wohnungswechsel eine solche<br />

Zustimmung voraussetzt wird und ihnen jede Art der Arbeit zugemutet<br />

werden kann?<br />

Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, wie Hartz IV die Würde<br />

erwachsener Menschen verletzt und sie auf das Selbstbestimmungsni-<br />

Illustration: Jürgen H.<br />

Klare Worte<br />

35<br />

veau kleiner Kinder hinabzwingt. Sie zeigen aber auch, dass Hartz IV<br />

genau diejenigen Grundgesetzartikel aushöhlt, die die Freiheit eines<br />

jeden Einzelnen ins Zentrum einer gerechten Sozialordnung stellen und<br />

diese Freiheit als unveräußerliches Gut schützen wollen. „Alle Deutschen<br />

genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet“ und „haben<br />

das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen“,<br />

heißt es in unserem Grundgesetz. Aber Freiheit, so scheint es, ist das,<br />

was Hartz IV den Menschen gerade nicht zugestehen will.<br />

Ist das nun zynisch oder bloß dumm? Wo doch Freiheit die entscheidende<br />

Voraussetzung ist für eigenverantwortliches Handeln, das zu<br />

befördern sich die Reformer ehemals auf die Fahnen geschrieben<br />

hatten. Ruft man sich drei der größten Köpfe hinter den Hartz-<br />

Reformen in Erinnerung – Gerhard Schröder, Wolfgang Clement und<br />

Peter Hartz – fällt die Antwort einigermaßen leicht. Ist Zynismus<br />

doch mehr als nur bornierte Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen<br />

Problemlagen. Und da die Väter von Hartz IV ihre eigene Verantwortung<br />

schon immer mit Eigennutz verwechselt haben, ist es nicht nur<br />

für einige von ihnen persönlich dumm gelaufen. Auch ihre Reformen<br />

haben – wie eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und<br />

Berufsforschung feststellt – bislang zu keiner positiven Entwicklung<br />

am Arbeitsmarkt geführt.<br />

Wir dürfen uns nicht wundern, wenn sich ganz im Gegenteil die gesellschaftlichen<br />

Schieflagen seither noch verstärkt haben. Denn nur wer<br />

die Idee eines freien und selbstbestimmten Menschen ins Zentrum<br />

politischen Handelns stellt, kann Rahmenbedingungen schaffen, die<br />

die drängenden Probleme einer Gesellschaft lösen helfen. Hartz IV<br />

kann dies nicht. Deshalb: Weg damit!<br />

Jürgen Haunss<br />

Quellen:<br />

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (im Text zitiert aus den Artikeln 1,<br />

11, 12, 19 GG)<br />

Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Artikel 1, Sozialgesetzbuch<br />

(SGB), Zweites Buch (<strong>II</strong>), Grundsicherung für Arbeitssuchende (im<br />

Text insbesondere Bezug genommen auf die Paragrafen 1, 7, 10, 22 SGB <strong>II</strong>)


36<br />

Klare Worte<br />

Kein Geld für einen Anwalt<br />

Kostenlose Rechtsberatung bei mob e.V.*<br />

„Vor einer Woche bekam ich einen Bescheid vom JobCenter. Die<br />

ziehen mir neun Euro für die Warmwasserpauschale ab. Das sind<br />

im Jahr 108 Euro, die ich weniger bekomme.“<br />

„Bei mir wurde der Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung<br />

gestrichen.“<br />

„Mir wird Einkommen angerechnet, was ich gar nicht verdiene.“<br />

„Das JobCenter bearbeitet meinen Antrag nicht. Ich habe kein<br />

Geld, um die Miete zu zahlen.“<br />

„Ich soll umziehen, weil die Wohnung zu teuer ist.“<br />

„Obwohl wir bloß in einer Wohngemeinschaft leben, werden wir<br />

als Bedarfsgemeinschaft berechnet.“<br />

Die Liste der Äußerungen lässt sich beliebig und variantenreich<br />

fortsetzen.<br />

Eines haben die Aussagen gemeinsam: Sie stammen alle von Alg-<strong>II</strong>-<br />

Empfängern, die kein Geld haben, um einen Anwalt zu bezahlen, der<br />

ihnen hilft, ihre Rechte durchzusetzen.<br />

Wenn nämlich gegen die Bescheide der Job-<br />

Center nicht vorgegangen wird, erlangen sie<br />

rechtliche Bestandskraft, sind in der Regel<br />

unanfechtbar und man kann, so falsch sie<br />

auch sein mögen, kaum noch etwas unternehmen.<br />

Gegen einen Bescheid vom JobCenter muss<br />

innerhalb von vier Wochen nach Zugang des<br />

Bescheides Widerspruch eingelegt werden.<br />

Diesen Widerspruch kann jeder selbst einlegen.<br />

Der Widerspruch muss begründet werden. Ist<br />

der Sachverhalt kompliziert, muss die Begründung<br />

diesem Umstand Rechnung tragen. In<br />

solchen Fällen geht es eigentlich nicht ohne<br />

anwaltliche Hilfe. Jeder Betroffene kann sich<br />

einen Anwalt suchen – auch wenn er weiß,<br />

dass kein Geld da ist, die anwaltliche Dienstleistung<br />

zu bezahlen.<br />

Hier kommt die Beratungshilfe zum Tragen. Simone in ihrem Anwaltsbüro<br />

Beratungshilfe wird auf Antrag gewährt, wenn<br />

der Antragsteller monatlich nicht mehr als 380 Euro nach Abzug der<br />

Miete zur Verfügung hat. Jeder Alg-<strong>II</strong>-Empfänger fällt mit seinem Regelsatz<br />

unter diese Grenze. Die Beratungshilfescheine stellt das zuständige<br />

Amtsgericht des Wohnortes aus. Die Möglichkeit, über den Anwalt<br />

nachträglich Beratungshilfe zu beantragen, gibt es auch. Um aber auf<br />

der sicheren Seite zu sein, sollte der Ratsuchende bereits mit einem<br />

bewilligten Beratungshilfeschein beim Anwalt seiner Wahl aufkreuzen.<br />

Der Anwalt erhält für die Bearbeitung eines Beratungshilfemandats sein<br />

Geld von der Staatskasse. Dieser Betrag liegt weit unter dem, was der<br />

Anwalt dem Klienten nach der üblichen anwaltlichen Vergütung in Rechnung<br />

stellen könnte. Aus diesem Grunde werden Beratungshilfemandate<br />

von einigen Anwälten gar nicht angenommen. Der Ratsuchende zahlt<br />

lediglich einen Anteil von zehn Euro. Selbst diese zehn Euro darf der<br />

Anwalt bei Bedürftigkeit erlassen.<br />

Der Ratsuchende muss sich also auf die Suche nach einem Anwalt<br />

machen, der seinen Widerspruch vor dem JobCenter auf der Basis der<br />

Beratungshilfe vertritt. Ist der Anwalt gefunden, legt dieser, wenn der<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Betroffene es noch nicht selbst getan hat, Widerspruch ein. Gleichzeitig<br />

wird Akteneinsicht beantragt. Das JobCenter stellt dem Anwalt die<br />

Akte zur Verfügung. Häufig ergeben sich aus der Akte konkrete Anhaltspunkte<br />

für die Rechtswidrigkeit eines Bescheides und der Widerspruch<br />

kann detailliert begründet werden.<br />

Der Widerspruch wird vom JobCenter bearbeitet und dann irgendwann<br />

auch beschieden. Manche Widerspruchsbescheide lassen monatelang<br />

auf sich warten. Kommt es für den Betroffenen zu einer existenziell<br />

untragbaren Situation, weil das Geld für die Miete fehlt und keine<br />

Lebensmittel mehr gekauft werden können, muss der Anwalt beim<br />

Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragen.<br />

Wird diesem Antrag durch das Sozialgericht entsprochen, ist das Job-<br />

Center bis zur Entscheidung über den Widerspruch erst einmal dazu<br />

verpflichtet, die Leistungen zu zahlen.<br />

Wird der Widerspruch abgelehnt, bleibt nur noch die Klageerhebung<br />

vor dem Sozialgericht. Auch hier kann der Betroffene seine Klage selbst<br />

einreichen. Das Sozialgericht verfügt über eine Rechtsantragsstelle. Die<br />

Aufgabe der Mitarbeiter ist es, nicht anwaltlich vertretenen Klägern bei<br />

der Klageformulierung und Klageerhebung behilflich zu sein.<br />

Für viele Betroffene ist aber die Hemmschwelle, selbst gegen die<br />

Behörde JobCenter vorzugehen beziehungsweise gar Klage beim Sozialgericht<br />

zu erheben, sehr hoch. Die Hemmschwelle, anwaltlichen Rat<br />

zu suchen, ist ebenfalls nicht zu unterschätzen.<br />

Die Betroffenen sollten aber in jedem Fall den Versuch unternehmen,<br />

einen Anwalt zu finden. Es gibt Anwälte, die bereit sind, auf Beratungshilfebasis<br />

Mandate zu übernehmen. Über die Internetplattform<br />

von „Tacheles“ wird man fündig. Und zehn Euro für eine anwaltliche<br />

Vertretung dürften auch für einen Alg-<strong>II</strong>-Bezieher erschwinglich sein.<br />

Simone Krauskopf, Rechtsanwältin<br />

* kostenlos nur für Bezieher von Alg <strong>II</strong>, Sozialhilfe, Grundsicherung (GSi) und<br />

andere Arme<br />

Beachten Sie die Anzeige auf Seite 25!<br />

Foto: Guido Fahrendholz


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Über den Umgang mit arbeitslosen Menschen<br />

Drei Beispiele für das Verhalten des JobCenters gegenüber Arbeitslosen<br />

Die Abhängigkeit von einem JobCenter kann<br />

jungen, unsicheren oder labilen Menschen<br />

zum Verhängnis werden. Nicht wenige gehen<br />

traumatisiert aus einer Behandlung durch<br />

das JobCenter hervor.<br />

Drei Beispiele möchte ich schildern. Das erste<br />

betraf mich selbst und steht für das Auflaufenlassen<br />

als Taktik: Da mein Sohn die Grundschule<br />

wechseln musste, suchte ich eine Wohnung<br />

in der Nähe des zukünftigen Lernortes in<br />

Berlin-Pankow. Wegen der vereinbarten Schul-<br />

Probezeit von sechs Monaten, meldete ich<br />

mich bei einem jungen Paar, das seine Wohnung<br />

für ein halbes Jahr untervermietete, um<br />

Australien zu bereisen. Für diese Wohnung auf<br />

Zeit stellte mir das JobCenter Berlin-Kreuzberg<br />

eine Mietübernahmebescheinigung aus und<br />

übernahm die erste Miete. Dann war Pankow<br />

zuständig. Dort verschwand ein Teil meiner<br />

Unterlagen. Hernach wurden mir Mietzahlungen<br />

verweigert, da keine Untermieterlaubnis<br />

vorläge. Die Hauptmieter waren unerreichbar,<br />

die Hausverwaltung zwar informiert, konnte<br />

mir aber keine offizielle Bescheinigung ausstellen.<br />

Sie telefonisch zu befragen, lag nicht<br />

im Interesse des JobCenters. Ich saß in der<br />

Falle: Fände ich eine neue Bleibe, verlören<br />

die Hauptmieter meinetwegen ihre Wohnung<br />

– wenn nicht noch mehr! Bliebe ich, bestand<br />

immerhin eine Chance, das drohende Unheil<br />

abzuwenden. Im JobCenter begegnete mir<br />

eisige Kälte. Der Sachbearbeiter redete nicht<br />

mit mir, ließ mich sitzen. Was ich noch wolle? Ich ging zum Jugendamt,<br />

Sozialamt, zur SPD und Sozialberatung und von dort mit einem Antrag<br />

auf Einstweilige Verfügung zum Sozialgericht. Ich verbrachte unruhige<br />

Nächte, brach ungewollt in Tränen aus, schämte mich und konnte kaum<br />

an etwas anderes denken, als ich – Gott sei Dank! – im vierten Monat<br />

ohne Mietzahlungen Recht bekam.<br />

Der zweite Fall schildert eine Hetz-Taktik am Beispiel einer schüchternen<br />

Bekannten mit akademischem Abschluss. Sie hatte während<br />

ihrer Arbeitssuche vom JobCenter Berlin-Neukölln in den ersten neun<br />

Monaten keinerlei Vermittlungsvorschläge erhalten, aber sollte stattdessen<br />

eine Eingliederungsvereinbarung unterschreiben, in der sie<br />

sich verpflichtete, „an allen Maßnahmen teilzunehmen“. Während<br />

sie sich ohnehin um Arbeit bemühte, schickte sie ihrer Fallmanagerin<br />

schriftlich ihre Einwände - und dass noch keine Versuche erfolgt<br />

wären, sie auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Statt einer<br />

Antwort wurden ihr drei Ein-Euro-Jobs gleichzeitig zugewiesen, die<br />

weder ihre angegebenen Fähig- und Fertigkeiten berücksichtigten,<br />

noch ihr beruflich nützlich wären. Das bat sie schriftlich zu bedenken.<br />

Nach einem ersten Vorstellungstermin teilte der Träger dem JobCenter<br />

mit, sie sei für die Tätigkeit ungeeignet. Des ungeachtet, landeten in<br />

den darauffolgenden Wochen drei Kürzungsbescheide um je 30 Prozent<br />

im Briefkasten meiner Bekannten. Drei Kürzungen um 30 Prozent<br />

bedeuteten 90 Prozent Minderung – also nur noch zehn Prozent der<br />

Leistung. Ohne Rückhalt durch andere wäre sie verzweifelt. Ihr Widerspruch<br />

wurde vom JobCenter abgelehnt. Erst das Sozialgericht gab ihr<br />

Recht. Alle Sanktionsbescheide wurden aufgehoben.<br />

Klare Worte<br />

37<br />

Das dritte Beispiel schildert Demütigungen, die das Selbstverständnis<br />

eines arbeitslosen Bauzeichners verwundeten. Nachdem die Fallmanagerin<br />

im JobCenter Berlin-Mitte seine Unsicherheit entdeckt hatte,<br />

erlag sie der Versuchung, die finanzielle Abhängigkeit des Junggesellen<br />

auszunutzen. Durch hämische Unterstellungen drängte sie den<br />

40-Jährigen in die Defensive und scheute nicht davor zurück, seine<br />

frühere Tätigkeit sowie seine derzeitigen Eigenbemühungen um Arbeit<br />

lächerlich erscheinen zu lassen. Seine Berichte über frühere Tätigkeiten<br />

oder zu jüngsten Bewerbungsterminen tat sie als unglaubwürdig<br />

ab. Je mehr sich der Bauzeichner bemühte, ihr die Richtigkeit<br />

seiner Angaben auch zu beweisen, desto hilfloser verstrickte er sich<br />

in Rechtfertigungen und Erklärungen. Die anmaßende Haltung der<br />

Sachbearbeiterin hatte zur Folge, dass er sich nicht mehr allein zu<br />

einem Termin mit ihr traute und um Hilfe bat. Als ich ihn deshalb<br />

zum nächsten Termin begleitete, nahm das Gespräch eine überraschende<br />

Wendung: Die Fallmanagerin hielt es für überflüssig, seine<br />

mitgebrachten Belege über die Art der bisherigen Berufsausübung zu<br />

prüfen, tat frühere Anschuldigungen als belanglos ab und stellte ihre<br />

Mithilfe bei der Vermittlung in Arbeit in Aussicht.<br />

Unter „Fördern und Fordern“ werden die finanziell Abhängigen bevormundet,<br />

missachtet, entmutigt, erpresst und in die Enge getrieben – und<br />

es trifft gerade den am härtesten, dem der nötige Rückhalt fehlt.<br />

Constanze


38<br />

Nachgefragt<br />

Obwohl sie berechtigte Zweifel an der Richtigkeit ihres Bescheides<br />

hegen, scheuen immer noch viele Menschen, die <strong>ALG</strong> <strong>II</strong> beziehen, den<br />

Klageweg, um zu ihrem Recht zu gelangen. Sie fürchten versteckte<br />

Sanktionen der zuständigen Mitarbeiter_innen ihres JobCenters.<br />

Deshalb waren wir zu Besuch im Berliner Sozialgericht und erfuhren:<br />

Etwa die Hälfte aller Klagenden bekommt Recht. Zwar spricht sich<br />

diese Tatsache nur langsam herum, doch die Zahl der Klagen steigt.<br />

Allein in Berlin werden jährlich Zehntausende eingereicht. Für den<br />

strassenfeger sprach Dinah Persch mit dem Berliner Sozialrichter<br />

Michael Kanert (Jahrgang 1963).<br />

strassenfeger: Wie arbeitet das Sozialgericht?<br />

Michael Kanert: Das Sozialgericht kontrolliert die meisten Behörden<br />

des Sozialstaates. Die JobCenter, die gesetzliche Rentenversicherung,<br />

die gesetzliche Krankenversicherung, die Berufsgenossenschaft und<br />

die Pflegeversicherung. All dies sind Behörden, die dazu da sind, dass<br />

soziale Ansprüche gehört und verwirklicht werden. Diese Behörden<br />

sind an Regeln, Gesetze und Verordnungen gebunden und der Bürger<br />

kann, wenn er der Meinung ist, dass diese Behörden die Gesetze<br />

verletzt haben, das Sozialgericht anrufen und dann überprüfen wir<br />

diesen Fall.<br />

sf: Gab es einen persönlichen Auslöser, dass Sie Richter am Sozialgericht<br />

geworden sind?<br />

M.K.: Eigentlich wollte ich gar kein Richter am Sozialgericht werden,<br />

ich wollte ans Verwaltungsgericht, weil ich die Idee hatte, dass dort<br />

die spannenderen Entscheidungen getroffen werden. Dort war keine<br />

Das Berliner Sozialgericht in der Invalidenstraße<br />

Wo ein Kläger ist, gibt es immer auch einen Richter<br />

Interview mit dem Berliner Sozialrichter Michael Kanert<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Stelle frei und ein Kollege riet mir: „Versuchen Sie es doch am Sozialgericht,<br />

da gibt es auch sehr spannende Fälle.“ Jetzt bin ich seit<br />

14 Jahren hier.<br />

Früher wussten sehr wenige Leute, was wir hier machen. Das hat<br />

sich geändert, seit es Hartz IV gibt.<br />

sf: Wie hoch ist der prozentuale Anteil an Anträgen bezüglich des Hartz-<br />

IV-Gesetzes?<br />

M.K.: Zwei Drittel betreffen Hartz IV. Das ist das große Thema bei<br />

uns am Sozialgericht. Damit hatte ursprünglich niemand gerechnet.<br />

Als im Januar 2005 Hartz IV in Kraft trat, hatten wir 5,5 Richterstellen<br />

dafür eingeplant, inzwischen sind es zehn Mal so viele. Das war<br />

ein neues Rechtsgebiet; die Fälle hatten damals eine neue Farbe von<br />

Aktendeckeln bekommen: sie waren hellgrün. Nach ein paar Monaten<br />

sind uns diese Aktendeckel ausgegangen. Wenn man heute ins Archiv<br />

geht, sieht man unter den erledigten Fällen immer wieder Aktenstapel<br />

mit weißen Deckblättern. Da fehlten uns die grünen Deckel. Das<br />

zeigt, dass weder die Politik, noch die Justiz damit gerechnet hatten,<br />

was das für ein Ausmaß annehmen wird.<br />

sf: Was macht die anderen Anträge an das Sozialgericht aus?<br />

M.K.: Ganz viele Themen betreffen die Rentenversicherung. Wir hatten<br />

tausende Anfragen aus den USA, Israel aber beispielsweise auch aus<br />

Ungarn von Rentnern, die ihre Rentenansprüche einklagten. Dann<br />

hatten wir nach der Wiedervereinigung sehr viele Klagen von Rentnern<br />

aus der ehemaligen DDR, was nun mit ihren Ansprüchen passiert, die<br />

sie im Sozialsystem der DDR erworben hatten. Das hat uns auch jah-<br />

Foto: K.B.


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

relang beschäftigt. Doch das ist alles kein Vergleich zu dem, was jetzt<br />

vorherrschend ist. Das große Thema: Hartz IV. – Ein weiteres Thema<br />

ist die Pflegeversicherung. Wenn jemand zum Beispiel ein bestimmtes<br />

Medikament benötigt und die Krankenkasse nicht zahlen will, weil es<br />

ihrer Meinung nach zu teuer ist, kann der Patient hier klagen.<br />

Wir haben hier auch kuriose Fälle:<br />

Wenn jemand auf dem Weg zur Arbeit<br />

einen Unfall hat, aber er war noch<br />

schnell beim Bäcker, um ein Brot zu<br />

kaufen, und hatte dort einen Unfall,<br />

betrifft das dann auch die Berufsgenossenschaft?<br />

sf: Welche Erfahrungen machen Sie als<br />

Richter mit der Hartz-IV-Sozialreform?<br />

M.K.: Hartz IV war eine sehr große<br />

Sozialreform, weil zwei Systeme<br />

zusammengelegt wurden und praktisch<br />

die Verwaltung im Zusammenhang mit<br />

Massenarbeitslosigkeit ganz neu aufgebaut<br />

wurde. Damit sollte auch ein<br />

System der Leistung aufgebaut werden.<br />

Deshalb ist es auch eine Reform mit<br />

erheblichen Auswirkungen, immerhin<br />

sind in Deutschland sieben Millionen<br />

Menschen Bezieher von Hartz-IV-Lei-<br />

Sozialrichter Michael Kanert<br />

stungen, allein in Berlin ist es jeder vierte oder fünfte Erwachsene.<br />

Hier bei uns geht es ja nicht um die politische Bewertung von<br />

Hartz IV. Die steht nicht zur Überprüfung im Gerichtssaal. Auch wenn<br />

anfangs einige Leistungsbezieher der Meinung waren, das Gericht<br />

müsse jetzt alle Entscheidungen der Sozialreform aufheben, so ist die<br />

politische Bewertung in einer Demokratie Sache des Parlaments. Die<br />

Regeln zu machen, ist Aufgabe des Parlaments und die Regeln einzuhalten,<br />

ist eine Sache der Gerichte. Bei genau dieser gesetzlichen<br />

Umsetzung passieren enorm viele Fehler. Fast jede zweite Entscheidung<br />

der JobCenter müssen wir beanstanden. Diese enorm hohe Zahl<br />

an Gerichtsverhandlungen hatten wir einfach nicht erwartet.<br />

sf: Wie hoch etwa ist die Anzahl der Klagen?<br />

M.K.: Im Vergleich zu den ersten Jahren hat sich die Anzahl der Klagen<br />

verdreifacht und die Tendenz geht nicht nach unten, sondern weiterhin<br />

nach oben. Die Menschen kommen mit einer konkreten Entscheidung<br />

der Behörde zu uns und sagen: „Diese Entscheidung ist falsch.“ Darunter<br />

sind teilweise schwierige Berechnungsfragen; in den JobCentern<br />

arbeiten zum Teil Menschen, die erst vor kurzem durch einen Zeitarbeitsvertrag<br />

an diese komplizierte Materie geraten sind. Sie sind oft<br />

auch vom Computerprogramm überfordert, das bei schwierigen Berechnungen<br />

durch Umgehungslösungen ausgetrickst werden muss. So kommt<br />

es häufig vor, dass die Richter während der Verhandlung die eigentliche<br />

Sachbearbeitung und Berechnung machen müssen.<br />

sf: Wie viele der 2008 eingereichten Klagen konnten abschließend verhandelt<br />

werden?<br />

M.K.: Es wurden in Berlin im vergangenen Jahr etwa 30.000 Klagen<br />

eingereicht, davon waren etwa 20.000 Hartz-IV-Fälle. Über etwa 16.000<br />

Fälle im Bereich Hartz IV konnten wir noch nicht entscheiden, obwohl<br />

die Anzahl der Hartz-IV-Richter verzehnfacht worden ist. Es werden<br />

auch noch vierzig neue Stellen geschaffen, aber bis dahin werden Richter<br />

aus anderen Bereichen, wie zum Beispiel der Rentenversicherung,<br />

abgezogen. Das bedeutet, dass jetzt auch Kläger aus anderen Bereichen<br />

länger auf ihr Gerichtsverfahren warten müssen. Allerdings schaffen wir<br />

es in existenziellen Notfällen innerhalb von wenigen Tagen zu entscheiden.<br />

In den übrigen Fällen dauert es auch bei Hartz IV inzwischen über<br />

Nachgefragt<br />

39<br />

ein Jahr und bei komplizierten Rentenfällen kann es auch schon mal bis<br />

zu drei Jahren dauern, bis das Verfahren abgeschlossen werden kann.<br />

Das ist natürlich deutlich zu lang.<br />

sf: Inwiefern liegt die Überlastung bei den JobCentern?<br />

Foto: Dinah<br />

M.K.: Hartz IV hat einen enormen<br />

Verwaltungsaufwand hervorgebracht.<br />

Allein in Berlin sind es zwei Millionen<br />

Bescheide, die jährlich verschickt<br />

werden; bundesweit sind es über siebzehn<br />

Millionen Bescheide. Diese stellen<br />

jährlich einen ungeheuren Verwaltungsakt<br />

dar. Ursprüngliches Ziel der<br />

Reform war ja eine Vereinfachung des<br />

Verwaltungsaufwandes und die schnelle<br />

Rückführung des Arbeitslosen auf den<br />

ersten Arbeitsmarkt. Noch komplizierter<br />

ist die Berechnung von Leistungsbeziehern,<br />

die Leistung zusätzlich zu<br />

ihrem Gehalt auf dem ersten Arbeitsmarkt<br />

beziehen.<br />

sf: Aber Hartz IV hat ja genau das<br />

Gegenteil hervorgebracht...<br />

M.K.: Erst einmal muss man sich fragen:<br />

Gibt es überhaupt genug Stellen für alle Leistungsbezieher? Die andere<br />

Frage ist: Ist denn eine praktischen Umsetzung dieses Ziels möglich?<br />

Das ist natürlich ein Ziel, das der Staat erreichen will, doch die bisherigen<br />

Behörden konnten das nicht. Sie waren falsch strukturiert. Ziel<br />

war, dass alle Leistungen aus einer Hand kommen. Doch jetzt sind es<br />

mehr Hände geworden als vorher und in der derzeitigen Struktur ist es<br />

sogar verfassungswidrig. Niemand – weder Bund, noch die Kommunen<br />

– können eine klare Verantwortung übernehmen. Das Verfassungsgericht<br />

hat aus diesem Grund entschieden, dass bis 2010 diese Situation<br />

geklärt werden muss.<br />

sf: Sehr viele Bescheide sind falsch, aber die Leistungsempfänger klagen<br />

nicht, sondern winken bei Minimalbeträgen ab.<br />

M.K.: Das können wir hier nicht sagen, aber die Behörde sagt uns, dass<br />

es etwa ein Prozent sind, die klagen. Natürlich können wir nicht sagen,<br />

Die Zeitung auf’s Ohr!<br />

strassen|feger radio<br />

Jeden Mittwoch um 20:00 Uhr.<br />

im Offenen Kanal Berlin auf 92,6 MHz im Berliner Kabelnetz<br />

und 97,2 MHz über Antenne<br />

oder www.okb.de (livestream)


40<br />

Nachgefragt<br />

dass die übrigen 99 Prozent richtig sind; wir können aber auch nicht<br />

sagen, dass von den restlichen Bescheiden jeder zweite falsch ist.<br />

sf: Wie oft endet ein Verfahren positiv für den Kläger?<br />

M.K.: Jedes zweite Verfahren geht zu Gunsten des Klägers aus, wobei<br />

man sagen muss, dass 85 Prozent aller Verfahren ohne Urteil verhandelt<br />

werden. Zum einen passiert es durchaus, dass der Kläger sagt:<br />

„Das hätte man mir nur richtig erklären müssen.“ Jetzt weiß der<br />

Kläger, dass er keinen Anspruch vor Gericht hatte, den er durchsetzen<br />

wollte. Dann nimmt er die Klage zurück. Zum anderen passiert es<br />

auch, dass die Behörde sagt: Ja, wir haben hier einen Fehler gemacht“<br />

und ihre Entscheidung korrigiert. So kommt das Endergebnis von etwa<br />

Halb und Halb zustande.<br />

sf: Stimmt es, dass in Zukunft bei einer Klageeinreichung ein Pauschalbetrag<br />

von 10 Euro gezahlt werden soll?<br />

M.K.: Das ist eine der Ideen, die in der politischen Welt kursieren.<br />

Aber das ist im Moment kein Gesetz, auch wenn es Politiker gibt,<br />

die es für richtig hielten. Doch diese haben so ein bestimmtes Bild<br />

von den potenziellen Klägern im Kopf – nämlich dass das Recht auf<br />

kostenlose Rechtsentscheide missbraucht würde. Wir können das aber<br />

nicht bestätigen. Denn wenn jeder Zweite, der hier klagt, Erfolg hat,<br />

ist es auf jeden Fall so, dass die Kläger einen berechtigten Anlass<br />

haben. Die Kläger können, wenn sie einen Anwalt nutzen, auch Prozesskostenhilfe<br />

beantragen. Denn auch für bedürftige Menschen soll<br />

vor Gericht Chancengleichheit bestehen.<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

sf: Warum gibt es bundesweit keine einheitliche Mietobergrenze für Leistungsbezieher?<br />

M.K.: Im Gesetz steht dazu gar nichts. Da heißt es, die Kosten für die<br />

Unterkunft werden gezahlt, soweit diese Kosten angemessen sind.<br />

Das ist eine nichtssagende Formulierung. Wir Richter fordern hier<br />

eine klarere Regel, die die Politik machen muss. Dennoch wird man<br />

bundesweit keinen einheitlichen Mietpreis machen können, da die<br />

Mietpreise zu unterschiedlich sind. Da es keine übergreifende politische<br />

Entscheidung gibt, hat die Senatsverwaltung für Soziales von<br />

Berlin gesagt: „Wir lösen das Problem intern.“ So steht hier in der AV<br />

Wohnen, dass die Miete für einen Alleinstehenden bis zu 360 Euro<br />

übernommen wird; das wurde aber nun angehoben auf 378 Euro. Doch<br />

das ist eine verwaltungsinterne Entscheidung, die für die Gerichte<br />

nicht bindend ist.<br />

sf: Würde jetzt aber eine bundeseinheitliche Entscheidung getroffen,<br />

führte das doch automatisch zur Ghettoisierung?<br />

M.K.: Genau diese Frage bleibt eine politische Frage, denn es ist eine<br />

grundlegende Regel des Sozialstaats, dass politische Fragen im Parlament<br />

entschieden werden müssen. Dieser Entscheid liegt nicht bei<br />

den Gerichten. Massenarbeitslosigkeit und Leben am Existenzminimum<br />

sind keine Verwaltungsprobleme, sondern ganz grundsätzliche<br />

und bringen Probleme mit sich, die auch nicht durch die Verwaltungsreform<br />

gelöst werden.<br />

sf: Dankeschön, dass Sie sich die Zeit genommen haben!<br />

Foto: Dinah


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Hartz IV und Tier<br />

Eine Bestandsaufnahme für Berlin<br />

Nicht nur in der Hauptstadt gibt es immer mehr Menschen, die von Leistungen<br />

wie Hartz IV oder Sozialhilfe ihren Alltag bestreiten müssen.<br />

Auch Menschen, die trotz Rente oder Job unter dem Armutsniveau<br />

in Deutschland leben, haben mitunter Schwierigkeiten, sich adäquat<br />

selbst zu versorgen. Nicht wenige Menschen leben außerdem gänzlich<br />

ohne regelmäßiges Einkommen auf der Straße.<br />

Ein geringes Einkommen reicht häufig nicht aus, um den monatlichen<br />

Bedarf an Nahrungsmitteln, laufenden Kosten wie die Telefonrechnung<br />

oder Sonderausgaben, die mitunter überraschend anfallen, zu<br />

decken. Besonders schwierig wird’s, wenn neben Mensch noch Hund,<br />

Katze oder Meerschweinchen versorgt werden wollen. Wer arm ist, der<br />

ist nicht selten einsam. Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der<br />

fast alles seinen Preis hat, und auch wenn es Sozialtickets oder Ermäßigungsprogramme<br />

gibt – das Geld bleibt knapp und das macht eine<br />

Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben nicht leichter. Ein Haustier<br />

kann helfen, aus der unfreiwilligen Einsamkeit auszubrechen.<br />

Nur: Hohe Arbeitslosenzahlen, die Einführung von Hartz IV und der<br />

unaufhaltsame Anstieg der Lebenshaltungskosten bringen immer<br />

mehr Haustierbesitzer in ein Dilemma: Das geliebte Haustier behalten<br />

und noch mehr Entbehrungen auf sich nehmen oder das Tier in<br />

ein Heim oder zu einem neuen Besitzer geben und selbst unglücklich<br />

sein? Tatsache ist, dass Hartz IV keine Zusatzleistungen für Tiere<br />

beinhaltet. Futtergeld oder die Kosten für den Tierarzt müssen von<br />

der Regelleistung bestritten werden. Das Sozialgericht Gießen hat<br />

dazu entschieden, dass „die Haltung von Haustieren ein reines Privatvergnügen“<br />

– ein Hobby, nicht mehr – ist.<br />

Konsequenz: Die bundesdeutschen Tierheime sind seit der Einführung<br />

des SGB <strong>II</strong> geradezu mit Tieren von Hartz-IV-Empfängern überschwemmt<br />

worden. Nicht desto trotz bleibt der Gesetzgeber hart und<br />

sieht sich nicht dazu veranlasst, Tierbesitzern eine Möglichkeit zu<br />

eröffnen, die es ihnen erlaubt, ihr Tier zu behalten. Immerhin: Wer<br />

einen Hund besitzt, kann über einen Antrag beim Finanzamt eine<br />

Ermäßigung der anfallenden Hundesteuer erwirken.<br />

Für Mensch gibt es Kleiderkammern, Sozialkaufhäuser und Essensausgaben,<br />

die es ihm gestatten, seine laufenden Kosten niedrig zu halten.<br />

Und was ist mit Tier? Das Problem wurde erkannt – in Berlin existieren<br />

inzwischen einige Initiativen, die Tierbesitzern unterstützend zu<br />

Seite stehen. Allen voran ist die Tiertafel zu nennen, die Ausgabestellen<br />

betreut, an denen Nahrungsmittel für Tiere ausgegeben werden, die in<br />

der Regel für drei bis vier Tage ausreichen. Darüber hinaus geben die<br />

Mitarbeiter der Tiertafel Tipps zur artgerechten und günstigen Fütterung<br />

und Haltung von Kanarienvogel und Konsorten. Eine tierärztliche<br />

Betreuung kann die Tiertafel nur in Ausnahmefällen organisieren.<br />

Wer Futter von der Tiertafel beziehen möchte, muss seine Bedürftigkeit<br />

nachweisen können - ein Bescheid über die Gewährung von Hartz<br />

IV oder Sozialhilfe oder der Rentenbescheid reicht aus. Die Ausgabestelle<br />

befindet sich in der Mörikestraße 15 in 12437 Berlin; Ausgabetag<br />

ist immer samstags zwischen 11 und 16 Uhr.<br />

Mit der tierärztlichen Versorgung von Hund und Katze ist es schwieriger:<br />

Jeder, der schon einmal mit seinem Tier zu einem Tierarzt gehen<br />

musste, weiß, dass die Kosten für Diagnose und Behandlung schnell<br />

in Bereiche gehen, die trotz aller Liebe wehtun. Tierärzte für Bedürftige<br />

sind deutschlandweit bisher Ausnahmen.<br />

Klare Worte<br />

41<br />

In Berlin ist das ähnlich: Ärzte, die sich um die Tiere von Menschen mit<br />

geringem Einkommen kümmern, ohne dafür die anfallenden Kosten zu<br />

verlangen, gibt es so gut wie gar nicht. Klik (Kontaktladen für Straßenkinder<br />

in Krisen), eine Berliner Hilfseinrichtung, arbeitet mit einer Tierärztin<br />

zusammen, die in die Einrichtung kommt und die Hunde von Straßenkindern<br />

grundversorgt. Das Projekt HundeDoc kümmert sich leider<br />

ausschließlich um die Tiere von Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />

in sozialpädagogischer Betreuung und steht demnach nicht allen offen.<br />

Dennoch: Ratenzahlungen sind möglich. Einige Tierärzte bieten diesen<br />

Weg der Tilgung der Behandlungskosten an.<br />

Hartz IV und Tier – keine einfache Kombination. Doch die Chancen,<br />

dass sich in Zukunft Selbsthilfeinitiativen gründen, die Menschen<br />

mit Haustieren in Notsituationen helfen, sind da. Trotzdem gilt: Sich<br />

ein Haustier anzuschaffen, sollte nicht ad hoc entschieden werden,<br />

besonders nicht, wenn man es sich eigentlich nicht leisten kann.<br />

Weder Mensch noch Tier wird damit ein Gefallen getan.<br />

Mandy<br />

Weitere Infos:<br />

www.tiertafel.de – Alle Informationen rund um die Tiertafel, ihre Leistungen<br />

und die deutschlandweiten Ausgabestellen.<br />

www.arbeitslosenselbsthilfe.org – Umfangreiches Forum zu vielen Problemen<br />

rund um Hartz IV, unter anderem auch zu Hundesteuer bei Hartz IV.<br />

http://www.klik-berlin.de/hundedoc.html – Überblick über die Arbeit des HundeDocs<br />

und die Bedingungen, die für eine kostenlose Behandlung erfüllt sein<br />

müssen.<br />

Foto: K.B.


Ausgangspunkte unserer Arbeit<br />

Der Anlass zur Gründung unseres Vereins<br />

besteht nach wie vor: Die anhaltende Armut<br />

signifikanter Teile der Bevölkerung, die sich<br />

in ihrer krassesten Form in der Wohnungslosigkeit<br />

zeigt. Trotz anderslautender Beteuerungen<br />

der Wohnungswirtschaft und von<br />

Teilen der Politik ist das Problem der akuten<br />

Wohnungsnot weiterhin gravierend. So<br />

sind in Berlin derzeit circa 7.000 bis 10.000<br />

Personen ohne festen Wohnsitz. Sie leben in<br />

Heimen und Notunterkünften, ungesicherten<br />

Wohnverhältnissen oder halten sich auf der<br />

Straße auf. Seit 2004 steigt die Zahl der wohnungslosen<br />

Menschen in Berlin wieder an.<br />

Um diesen Personenkreis bei der Aufrechterhaltung<br />

eines menschenwürdigen Daseins<br />

und bei der Entwicklung eigener Perspek-<br />

Ziele und Angebote<br />

„Ziel des Vereins ist die Verbesserung der<br />

Lebensumstände von gesellschaftlich Benachteiligten<br />

und Ausgegrenzten, insbesondere<br />

Obdachlose bzw. von Obdachlosigkeit bedrohte<br />

Menschen. Ihnen soll ermöglicht werden, sich<br />

für ihre eigenen Belange und Interessen einzusetzen,<br />

eigenverantwortlich Initiativen und<br />

Projekte aufzubauen und durchzuführen und<br />

so selbst eine Veränderung und Verbesserung<br />

strassen|feger<br />

mob – obdachlose machen mobil e. V.<br />

tiven zu unterstützen,<br />

unterhält mob – obdachlose<br />

machen mobil e. V.<br />

in Berlin-Prenzlauer Berg<br />

verschiedene spezifische<br />

Projekte. Sie verfolgen in<br />

Organisation und Ausführung<br />

den Gedanken der<br />

Selbsthilfe, was bedeutet,<br />

dass die eigene Aktivität<br />

der Menschen besonders<br />

betont wird. Unter dem<br />

Dach des Vereins können<br />

sich die mitwirkenden<br />

Nutzer mit eigenen Projekten<br />

ansiedeln – bis hin<br />

zum Ausbau einer eigenen<br />

Wohnung.<br />

ihrer Lebenslage herbeizuführen.“ (aus § 2 der<br />

Satzung von mob e. V.)<br />

Im Laufe der Jahre entwickelten wir folgende,<br />

für die Selbsthilfe von wohnungslosen und<br />

armen Menschen typische Arbeitsformen und<br />

Angebote:<br />

• die Straßenzeitung strassenfeger<br />

• der Selbsthilfetreffpunkt Kaffee Bankrott<br />

Notübernachtung<br />

Unsere ganzjährige Notübernachtung<br />

in der Prenzlauer Allee 87 ist entstanden,<br />

weil wir den Verkäuferinnen<br />

und Verkäufern der Straßenzeitung,<br />

die akut wohnungslos sind, einen<br />

Übernachtungsplatz anbieten wollen.<br />

Dieses Angebot ist aber grundsätzlich<br />

offen für alle, die einen Schlafplatz<br />

benötigen. Der Aufenthalt ist auf acht<br />

Wochen begrenzt, in Ausnahmefällen<br />

ist eine Verlängerung möglich.<br />

Die Notübernachtung bietet zehn<br />

Männern und sieben Frauen in<br />

getrennten Räumen Schlafplätze an.<br />

Hunde können nach Absprache mitgebracht<br />

werden. Im Winter können<br />

zur Not bis zu vier zusätzliche Betten<br />

• die Notübernachtung<br />

• das Selbsthilfehaus in der Oderberger Straße 12<br />

• das Projekt TrödelPoint<br />

Die Internetseite www.strassenfeger.org dient<br />

der Kommunikation mit der interessierten<br />

Öffentlichkeit und macht Vereinsarbeit für ein<br />

breites Publikum transparent. In regelmäßigen<br />

Abständen wird ein Newsletter herausgegeben.<br />

für eine Nacht aufgebaut werden; wir möchten<br />

niemanden wegschicken. Weil der Verein<br />

mob e. V. sein Notübernachtungsangebot ohne<br />

staatliche Förderung und allein aufgrund eigener<br />

Initiative betreibt, erheben wir von allen<br />

Schläfern einen Unkostenbeitrag in Höhe von<br />

1,50 Euro pro Nacht.<br />

Dafür bieten wir Folgendes an:<br />

• Wasch-/Duschmöglichkeiten (gratis Duschgel,<br />

Shampoo, Rasierzeug, Cremes, usw.)<br />

• Wäschewaschen / Trocknen<br />

• Nutzung der Kleiderkammer<br />

• Kostenloses Internet<br />

• Tagesangebote des Treffpunktes<br />

„Kaffee Bankrott“<br />

• Beratung und Unterstützung bei Behörden<br />

• Hilfe bei der Wohnraumsuche


strassenfeger – die Straßenzeitung<br />

(ISSN 1437 – 1928)<br />

Was tun, wenn das Geld knapp ist? Vielleicht<br />

den strassenfeger verkaufen?<br />

Der strassenfeger ist von Anfang an eine Zeitung<br />

gewesen, die allen offen stand, die mitmachen<br />

wollten. Deswegen ist die Verkäuferschaft<br />

auch bunt gemischt und international.<br />

Es sind Menschen dabei, die auf der Straße<br />

leben, süchtig sind und sonst kein anderes<br />

Einkommen haben. Andere leben in Einrichtungen<br />

der Wohnungslosenhilfe, wieder andere<br />

waren einmal wohnungslos und leben jetzt<br />

mit Alg <strong>II</strong> in einer eigenen Wohnung. Wieder<br />

andere sind einfach nur arm und lange arbeitslos<br />

und wollen die Zeit bis zum nächsten Geld<br />

vom JobCenter überbrücken.<br />

Es gibt Verkäufer, die täglich mehrere Stunden<br />

verkaufen, dann wieder andere, die es<br />

sporadisch und bei Bedarf tun. Es gibt hier<br />

keine Festlegungen und keine Mindestverkaufsmengen.<br />

Jeder Verkäufer, jede Verkäuferin<br />

kann selbst entscheiden, wo und wann<br />

er oder sie den strassenfeger anbietet.<br />

Warum also nicht? Die Stadt ist groß und wer<br />

sich nicht gleich der eigenen Nachbarschaft als<br />

armer Mensch zu erkennen geben will, kann<br />

in einen anderen Stadtteil fahren. Natürlich<br />

braucht es ein wenig Übung, einen guten Verkaufsstandort<br />

zu finden, und auch Geduld, bis<br />

ein Stammplatz daraus geworden ist.<br />

Was also ist zu tun, um Verkäufer oder Verkäuferin<br />

zu werden?<br />

Die Anmeldung erfolgt im Treffpunkt Kaffee<br />

Bankrott in der Prenzlauer Allee 87 in 10405<br />

Berlin (nähe S-Bahnhof Prenzlauer Allee) an<br />

der Theke. Das Kaffee ist täglich, auch am<br />

Wochenende, zwischen 8 und 20 Uhr geöffnet.<br />

Ein Ausweis ist hilfreich, aber nicht zwingend<br />

erforderlich. Wichtig ist, die Verkäuferselbstverpflichtung<br />

zu lesen, zu verstehen und zu<br />

akzeptieren. Dann stellen wir einen Verkäuferausweis<br />

aus und geben die ersten fünf Zeitungen<br />

gratis aus – sozusagen als Starthilfe.<br />

Von dann an sind die weiteren Zeitungen für<br />

den Betrag von 60 Cent bei den Ausgabestellen<br />

zu erwerben und können für 1,50 Euro<br />

in Berlin / Brandenburg verkauft werden. Pro<br />

verkaufte Zeitung bleiben 90 Cent für den/die<br />

Verkäufer/in.<br />

Der Treffpunkt Kaffee Bankrott ist nicht die<br />

einzige Zeitungsausgabestelle. Weitere Zeitungsausgabestellen<br />

sind ein Wohnanhänger<br />

am Bahnhof Zoo in der Jebensstraße und ein<br />

Wohnanhänger am Ostbahnhof. Er steht direkt<br />

am Herman-Stöhr-Platz in der Koppenstraße,<br />

zwischen dem Kaufhof und dem Ostbahnhof.<br />

Der strassenfeger erscheint vierzehntäglich<br />

montags mit 26 Ausgaben pro Jahr und<br />

erreicht eine durchschnittliche verkaufte<br />

Die Notübernachtung ist täglich geöffnet. Einlasszeiten<br />

sind von 17 bis 23 Uhr. Bis 10 Uhr<br />

des darauffolgenden Tages muss die Notübernachtung<br />

wieder verlassen werden. Für Anmeldungen<br />

oder Beratung stehen die Mitarbeiter<br />

der Notübernachtung gerne zur Verfügung.<br />

In unserer Notübernachtung gilt eine Hausordnung,<br />

die von den Schläfern zu beachten<br />

ist. Zu den Regeln gehören:<br />

• keine Gewaltanwendung und keine Gewaltandrohung<br />

• keine sexuelle Belästigung<br />

• kein Drogen- & Alkoholkonsum oder -besitz<br />

in unseren Räumen<br />

• das Rauchen in den Betten ist strengstens<br />

verboten<br />

• ab 24 Uhr ist Nachtruhe<br />

Auflage von 21.000 Exemplaren. Insgesamt<br />

sind es gegenwärtig rund 250 Personen, die<br />

den strassenfeger allein in Berlin und Umgebung<br />

ständig verkaufen.<br />

Redaktion<br />

Die Redaktionssitzung des strassenfeger ist<br />

immer dienstags zwischen 17.00 und 19.00<br />

Uhr in der Prenzlauer Allee 87 in 10405<br />

Berlin. Bei den öffentlichen Sitzungen, zu<br />

denen jeder kommen kann, werden die Texte<br />

für die nächste Ausgabe besprochen und die<br />

Themen und Beiträge für die folgenden Ausgaben<br />

festgelegt. Aber auch außerhalb der<br />

wöchentlichen Redaktionssitzungen können<br />

Artikel und Beiträge eingereicht werden. Bei<br />

der Auswahl der Texte werden Artikel von VerkäuferInnen<br />

bevorzugt berücksichtigt. Wer<br />

keine Erfahrung im Verfassen von Texten hat,<br />

kann von der Redaktion Unterstützung und<br />

Beratung beim Schreiben erfahren. Auch hilft<br />

die Redaktion im Umgang mit Computern.<br />

Der strassenfeger nimmt entschieden Partei<br />

für Arme, Arbeitslose, Ausgegrenzte, Süchtige<br />

und Wohnungslose. Die Zeitung kann das<br />

tun, weil sie und der Verein mob e. V., der den<br />

strassenfeger herausgibt, unabhängig sind<br />

von staatlicher Förderung und Finanzierung.<br />

Der Verein trägt sich selbst aus den Einnahmen<br />

der Zeitung und der anderen Projekte,<br />

aus Sach- und Geldspenden und öffentlich<br />

geförderten Arbeitsprojekten.<br />

Fotos: Andreas Düllick (3), cs (2)


Treffpunkt Kaffee Bankrott<br />

In der Prenzlauer Allee 87 betreibt der Verein<br />

mob e. V. einen offenen Treffpunkt für VerkäuferInnen,<br />

Vereinsmitglieder, MitarbeiterInnen<br />

und AnwohnerInnen. Auch Hunde können mitgebracht<br />

werden. Der Treffpunkt ist barrierefrei<br />

erreichbar und bietet eine behindertengerechte<br />

Toilette. Der Treffpunkt ist ganzjährig<br />

täglich zwischen 8 und 20 Uhr geöffnet. Zu<br />

den Angeboten des Treffpunktes gehören:<br />

• Soziale Kontakte und Selbsthilfe<br />

• kostenloses Surfen im Internet<br />

Selbsthilfehaus<br />

Oderberger Straße 12<br />

Eine Wohnung ist nicht alles – aber ohne Wohnung<br />

ist alles nichts. Aus diesem Grund ist das<br />

Selbsthilfehaus in der Oderberger Straße 12<br />

ein wesentlicher Bestandteil zur Bekämpfung<br />

der aktuellen Wohnungsnot in der Stadt. Da<br />

die aktuelle Wohnungsnot ursächlich auf den<br />

strukturellen Mangel an preiswertem Wohnraum<br />

zurückzuführen ist und sich die öffentliche<br />

Hand aus der Wohnungsbauförderung<br />

zurückgezogen hat, ist Selbsthilfe an dieser<br />

Stelle dringend erforderlich.<br />

Im Zeitraum 1999 bis 2003 hat mob e. V. im<br />

Rahmen des Landesprogramms Wohnungspolitische<br />

Selbsthilfe ein Wohnhaus aus der Gründerzeit<br />

(Vorderhaus und Quergebäude) unter<br />

Mitarbeit von ehemals Wohnungslosen unter<br />

fachlicher Anleitung in Eigeninitiative instandgesetzt<br />

und modernisiert. Es entstanden dort<br />

18 Wohneinheiten und zwei Gewerbeeinheiten.<br />

EDV – Abteilung<br />

Computer- und Internetzugang sind inzwischen<br />

zu einem unentbehrlichen Arbeitsmittel<br />

geworden. In allen Projekten sind mehrere<br />

Rechner im Einsatz. Dazu kommen die öffentlich<br />

zugänglichen Computer im Treffpunkt<br />

• Gelegenheit zum Aufenthalt und zum Aufwärmen<br />

• Preiswertes Frühstück und Mittagsessen<br />

sowie Kaffee, Tee und weitere Getränke<br />

• Veranstaltungen und Ausstellungen<br />

• Allgemeine Sozialberatung immer dienstags<br />

zwischen 14 und 17 Uhr<br />

• Allgemeine Rechtsberatung durch eine<br />

Anwältin immer montags zwischen 11 und<br />

15 Uhr (außer in den Schulferien und an<br />

Feiertagen)<br />

Damit ist erstmalig in Berlin ein Projekt der<br />

Selbsthilfe von wohnungslosen und armen<br />

Menschen in der Lage, in eigenen Häusern<br />

dauerhaft preisgünstigen Wohnraum anzubieten.<br />

Das Beispiel Oderberger Str. 12 zeigt:<br />

Es ist möglich, zusammen mit Wohnungslo-<br />

Kaffee Bankrott. Die Aufgabe der EDV-Abteilung<br />

besteht darin, die Arbeitsfähigkeit (Wartung<br />

und Instandsetzung) der Computertechnik<br />

zu gewährleisten (einschließlich Drucker,<br />

Server, Datensicherheit usw.).<br />

mob e. V. betreibt den Treffpunkt<br />

Kaffee Bankrott ohne<br />

staatliche Unterstützung nur<br />

durch ehrenamtliche Mitarbeit<br />

und Spenden durch<br />

die Bevölkerung. Weil wir<br />

alle Angebote unseres Treffpunkts<br />

aus eigenen Mitteln<br />

bestreiten müssen, erwarten<br />

wir für einige unserer Leistungen<br />

in der Regel eine<br />

Kostenbeteiligung in Form<br />

einer Spende. Im Rahmen<br />

unserer Möglichkeiten als<br />

Selbsthilfeprojekt verstehen<br />

wir unseren Treffpunkt<br />

Kaffee Bankrott auch als<br />

Anlaufstelle bei akuten Krisen und Problemfällen.<br />

Soweit es unsere Möglichkeiten zulassen,<br />

wollen wir Hilfe zur Selbsthilfe anbieten.<br />

Damit ist grundsätzlich unser Treffpunkt offen<br />

für alle, die zu uns kommen.<br />

Um dies zu gewährleisten, gelten folgende<br />

Regeln:<br />

• keine Gewaltandrohung und -anwendung<br />

• keine sexuelle Belästigung<br />

• kein Drogenkonsum in unseren Räumen<br />

sen ein sehr ehrgeiziges<br />

Sanierungsvorhaben<br />

fach- und zeitgerecht<br />

abzuschließen. Auf dieser<br />

Grundlage kann<br />

nun der zweite Schritt<br />

erfolgen, sich innovativ<br />

in die bestehende<br />

Nachbarschaft einzubringen.<br />

Der Verein hat einen<br />

engen Kontakt zu allen<br />

Mieterinnen und Mietern.<br />

In den seltenen<br />

Fällen, in denen eine Wohnung frei wird, wird<br />

diese bevorzugt an Wohnungslose oder Personen<br />

in schwierigen Wohnverhältnissen oder an<br />

Menschen mit Wohnungsberechtigungsschein<br />

(WBS) vergeben.<br />

Im Rahmen ihrer Möglichkeiten bietet die EDV-<br />

Abteilung auch an, gebrauchte Computer mit<br />

Zubehör an bedürftige Menschen abzugeben<br />

und bei technischen Problemen zu helfen.


TrödelPoint: Gebrauchtwaren und Wohnungseinrichtungen<br />

Der TrödelPoint hilft wohnungslosen Menschen,<br />

die wieder eine Wohnung erhalten,<br />

bei der Einrichtung der Wohnung mit Möbeln,<br />

Haushalts- und Gebrausgegenständen. Dabei<br />

nehmen wir auch Kostenübernahmescheine<br />

vom Sozialamt entgegen. Der TrödelPoint<br />

unterstützt Bürgerinnen und Bürger im Raum<br />

Berlin und Brandenburg, die Möbel oder Hausrat<br />

nicht mehr brauchen, im Keller lagern und<br />

Mitarbeit<br />

Mitarbeiten bei mob e. V. kann grundsätzlich<br />

jede und jeder. Dennoch sind Vollzeitarbeitsplätze<br />

bei uns die Ausnahme. Wir bieten folgende<br />

Möglichkeiten der Mitarbeit an:<br />

• ehrenamtliche Tätigkeit<br />

• „Arbeit statt Strafe“/Freie Tätigkeit (AsS)<br />

• Mehraufwandentschädigungs-Jobs (MAE,<br />

sogenannte 1-Euro-Jobs)<br />

• weitere geförderte Arbeitsmöglichkeiten<br />

in Kooperation mit dem Arbeitslosenamt,<br />

dem JobCenter oder dem Sozialamt nach<br />

individueller Absprache.<br />

Spenden / Unterstützung<br />

mob – obdachlose machen mobil e. V. „will allgemein<br />

auf das Problem der Wohnungslosigkeit<br />

und Wohnungsnot aufmerksam machen,<br />

in sozialer, kultureller und politischer Hinsicht<br />

aufklärend auf die Bevölkerung einwirken<br />

und eine konstruktive Zusammenarbeit<br />

zwischen Wohnungslosen und Nicht-Wohnungslosen<br />

ermöglichen, unterstützen und<br />

kritisch begleiten.“ (aus § 2 der Satzung)<br />

mob – obdachlose machen mobil e. V. „verfolgt<br />

ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige<br />

für eine sinnvolle Weiterverwendung an uns<br />

abgeben wollen. Wir holen die Angebote ab<br />

und vereinbaren dazu gerne einen Termin.<br />

Dieses Konzept entlastet die Umwelt. Gebrauchsgegenstände,<br />

für die es noch Verwendung<br />

gibt, werden von uns abgeholt,<br />

gegebenenfalls gereinigt, repariert und an<br />

Bedürftige weitergegeben. Damit ist unser<br />

bzw. mildtätige Zwecke im Sinne des Abschnitts<br />

‚Steuerbegünstigte Zwecke’ der Abgabenordnung.<br />

Der Verein ist selbstlos tätig, er verfolgt<br />

nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche<br />

Zwecke.“ (aus § 3 der Satzung)<br />

Um die Ziele umzusetzen und die entsprechenden<br />

Projekte entwickeln und<br />

unterhalten zu können, ist der Verein auf<br />

vielfältige Unterstützung angewiesen: die<br />

ehrenamtliche Mitarbeit, Sachspenden für<br />

den TrödelPoint oder für die laufende Arbeit,<br />

Projekt umwelt- und ressourcenschonend.<br />

Das Projekt schafft Beschäftigung. Menschen,<br />

öffentlich geförderte Beschäftigungen<br />

mit Mehraufwandsentschädigungen (MAE),<br />

also sogenannte 1-Euro-Jobs oder freie Tätigkeit<br />

(Arbeit statt Strafe) leisten, können ihre<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten im TrödelPoint<br />

einbringen. Auch andere Möglichkeiten der<br />

Förderung ind möglich.<br />

Praktikum<br />

Berufsvorbereitendes Praktikum, Schülerpraktikum<br />

Praktika sind grundsätzlich in allen Projekten<br />

des Vereins möglich. Beispielsweise in<br />

den Bereichen<br />

• Redaktion & Layout<br />

• Notübernachtung<br />

• Treffpunkt Kaffee Bankrott<br />

• Projekt TrödelPoint<br />

• Verwaltung, Buchhaltung<br />

• EDV-Abteilung<br />

Kontakt und Adressen<br />

Unsere Telefonnummern und Adressen<br />

finden Sie auf Seite 51 (Impressum).<br />

Geldspenden für die Notübernachtung („Ein<br />

Dach über dem Kopf“) oder für laufende<br />

Ausbauvorhaben. Möglich sind aber auch<br />

Benefiz-Events und andere denkbare Formen<br />

der Zusammenarbeit zum gegenseitigen<br />

Vorteil.<br />

Spendenbescheinigungen stellen wir auf<br />

Wunsch gerne aus.<br />

Bankverbindung:<br />

Kto.-Nr.: 328 38 00<br />

BLZ 100 205 00<br />

Bank für Sozialwirtschaft<br />

Fotos: Andreas Düllick (1), cs (3), David Vogel (1), Borja Bretzke (1)


46<br />

Nachgefragt<br />

Mit dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit sprachen Andreas<br />

Düllick und Torsten Scharmann.<br />

strassenfeger: Wie will die BA die neuen Herausforderungen bewältigen,<br />

die sich aus der Weltwirtschaftskrise und der damit verbundenen steigenden<br />

Zahl der Arbeitslosen im Bereich <strong>ALG</strong> I bzw. <strong>ALG</strong> <strong>II</strong> bewältigen?<br />

Heinrich Alt: Wir konzentrieren uns mit ganzer Kraft auf unsere Arbeit.<br />

Wir sind in der Verantwortung, unseren Kunden das Gefühl zu vermitteln,<br />

dass wir ihnen in dieser Zeit zur Seite stehen und Unterstützung<br />

geben können. Natürlich bedeutet dies für die Kolleginnen und Kollegen<br />

in den Arbeitsagenturen und den Trägern der Grundsicherung vor<br />

Ort eine hohe Arbeitsbelastung, aber ich persönlich erlebe die Kollegen<br />

sehr engagiert und motiviert. Außerdem wurden der Bundesagentur im<br />

Rahmen des Konjunkturpaketes <strong>II</strong> zusätzlich 5.000 Vermittlerstellen zur<br />

Verfügung gestellt. Wir werden die Zeit der Krise unter anderem dazu<br />

nutzen, um Arbeitsuchende zu qualifizieren. Nach der Krise sollten wir<br />

wettbewerbsfähiger sein als vor der Krise.<br />

sf: Statistiken zur Arbeitslosigkeit beruhen auf Parametern, denen Ihre<br />

Institution Folge zu leisten hat. Offiziell gelten heute nur dreieinhalb<br />

Millionen Menschen als arbeitslos. Nach konkurrierenden Untersuchungen<br />

werden zurzeit für Deutschland zwischen sieben und achteinhalb<br />

Millionen Personen angenommen, die sich selbst als arbeitslos bezeichnen.<br />

Werden von der Bundesagentur Untersuchungen in dieser Richtung<br />

erhoben? Wenn ja: Zu welchem Ergebnis gelangen sie?<br />

H. A.: Deutschland hat immer noch die ehrlichste und transparenteste<br />

Arbeitslosenstatistik in Europa, wenn nicht gar weltweit. Gemessen<br />

an den international üblichen Definitionen der EU und der ILO [Anmerkung:<br />

ILO = International Labour Organization] sind die Arbeitslosenzahlen<br />

der BA rund 10 Prozent überzeichnet. Arbeitsuchende, die<br />

sich in Qualifizierungsmaßnahmen befinden oder im zweiten Arbeitsmarkt<br />

beschäftigt sind, gelten nach der offiziellen Statistik nicht als<br />

arbeitslos, werden von uns aber gesondert ausgewiesen. Derzeit sind<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Fragen des strassenfeger an den Vorstand Grundsicherung<br />

der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt<br />

Heinrich Alt, Mitglied<br />

des Vorstandes der Bundesagentur<br />

für Arbeit<br />

(Quelle/Foto: bundesagentur.de)<br />

dies fast eine Million Menschen. Unser Institut für Arbeitsmarkt- und<br />

Berufsforschung (IAB) weist regelmäßig Daten zur tatsächlichen Unterbeschäftigung<br />

in Deutschland aus. Darin enthalten sind neben den<br />

Personen in Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik auch Menschen, die<br />

sich aus den verschiedensten Gründen vom Arbeitsmarkt zurückgezogen<br />

haben. Das IAB schätzt diese Zahl auf rund eine halbe Million<br />

Menschen. Wir gehen also davon aus, dass in Deutschland aktuell<br />

etwa 5 Millionen Personen auf Arbeitssuche sind.<br />

sf: 2008 gab es in Deutschland im Schnitt 3,268 Mio. Arbeitslose, 1,6<br />

Mio. weniger als 2005. Davon 2,257 Mio. im Bereich SGB <strong>II</strong> und 1,011<br />

Mio. im Bereich SGB <strong>II</strong>I. Warum gibt es gerade im Bereich <strong>ALG</strong> <strong>II</strong> so viele<br />

Menschen?<br />

H. A.: Zum einen hatten wir natürlich eine Art „Starteffekt“. Mit Einführung<br />

des SGB <strong>II</strong> im Januar 2005 haben wir unsere Arbeit in der<br />

Grundsicherung mit über 2,2 Millionen Arbeitslosen begonnen. Dies<br />

waren ehemalige Arbeitslosen- bzw. Sozialhilfeempfänger. Außerdem<br />

ist durch die Verkürzung des Arbeitslosengeld-I-Bezuges der Übergang<br />

vom Rechtskreis SGB <strong>II</strong>I in den Bereich des SGB <strong>II</strong> zeitlich verlagert<br />

geworden.<br />

Zum anderen müssen wir uns die Struktur der Arbeitslosen in den<br />

beiden Rechtskreisen genau ansehen. Im SGB <strong>II</strong>I sind größtenteils<br />

Menschen, die erst vor kurzer Zeit ihre Arbeit verloren haben oder<br />

nach der Ausbildung nicht übernommen werden konnten. Gerade während<br />

der Kündigungsphase und in der ersten Zeit der Arbeitslosigkeit<br />

sind die Vermittlungschancen besonders gut. Im SGB <strong>II</strong> haben wir<br />

zum Beispiel Langzeitarbeitslose, Menschen mit Migrationshintergrund,<br />

Jugendliche ohne Ausbildung oder auch Menschen mit vielschichtigen<br />

Lebensumständen, die eine Vermittlung erschweren. Hier<br />

wirkt gute Vermittlungsarbeit nur dann, wenn sie ganz individuell auf<br />

den Einzelnen zugeschnitten ist, angefangen von der Beratung zur<br />

persönlichen Stabilisierung, über Qualifizierung oder auch Arbeitsgelegenheiten<br />

als Brücke in den Arbeitsmarkt. Hier ist der Weg in Arbeit<br />

mit vielen kleinen Integrationsfortschritten verbunden. Wir haben<br />

aber auch im SGB <strong>II</strong> Fachkräfte, die wir zeitnah Arbeit bringen.<br />

sf: Was ist mit Menschen, die eine Maßnahme der Jobförderung (in der<br />

Regel sechs Monate bei MAE) bekommen haben bzw. mit Menschen, die<br />

eine Weiterbildung im Rahmen des SGB <strong>II</strong>/<strong>ALG</strong> <strong>II</strong> machen müssen? Fallen<br />

die aus der Arbeitslosenstatistik raus, wenn ja warum und verfälscht<br />

diese Praxis die Statistik nicht unzulässig?<br />

H. A.: Teilnehmer an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind<br />

nach dem Gesetz nicht arbeitslos. Dazu gehören unter anderem Weiterbildungs-<br />

oder Trainingsmaßnahmen oder eben auch die Arbeitsgelegenheiten.<br />

Unsere Statistiken weisen dies aber gesondert aus. Weiterbildungsangebote<br />

sollten immer als Chance und nicht als „Muss“<br />

verstanden werden.<br />

sf: Warum hat die BA in 2008 Mittel in Höhe von 843 Millionen Euro<br />

– das sind 9,7 Prozent von 7,852 Milliarden insgesamt – nicht wie vorgesehen<br />

für die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung eingesetzt?<br />

H. A.: Die von Ihnen genannten Haushaltsmittel standen 2008 nicht für<br />

die aktive Arbeitsförderung, sondern für sogenannte Pflichtleistungen zur<br />

Verfügung. Hierunter fallen zum Beispiel die Berufsausbildungsbeihilfe,<br />

der Ausbildungsbonus, Leistungen zur Förderung der Teilhabe behinderter<br />

Menschen oder die Förderung der beruflichen Selbständigkeit.


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

sf: Gibt es Erhebungen, wie viele Personen seit Einführung des SGB <strong>II</strong><br />

bisher Leistungen nach der Hartz-IV-Gesetzgebung in Anspruch genommen<br />

haben? Wie hoch ist also der „Durchlauf“?<br />

H. A.: Für den Zeitraum 2005 bis zum Ende des Jahres 2007 haben<br />

wir eine sehr detaillierte Analyse unseres Institutes für Arbeitsmarkt<br />

und Berufsforschung (IAB) vorliegen. Demnach sind wir mit Einführung<br />

von Hartz IV mit 6,1 Millionen Menschen in der neuen Grundsicherung<br />

gestartet. Innerhalb der 3 Jahre kamen weitere 5,5 Millionen<br />

Menschen hinzu, sodass bis Dezember 2007 rund 11,6 Millionen<br />

Menschen zumindest zeitweise oder auch wiederholt Unterstützung<br />

aus der Grundsicherung erhielten. Demgegenüber stehen aber auch<br />

Menschen, die in diesem Zeitraum ihre Hilfebedürftigkeit beenden<br />

konnten, zum Beispiel durch die Aufnahme einer Arbeit. Was wir dem<br />

Bericht leider entnehmen können, ist, dass es noch nicht in ausreichendem<br />

Maße gelingt, Hilfebedürftigkeit dauerhaft zu beenden. 40<br />

Prozent derjenigen, die Hartz IV bezogen haben, sind spätestens nach<br />

einem Jahr erneut auf staatliche Unterstützung angewiesen. Die Zahl<br />

bedeutet aber auch, dass es eben zu 60 Prozent gelang, Hilfebedürftigkeit<br />

längerfristig oder dauerhaft zu beenden.<br />

sf: Vertreten Sie die Auffassung, dass Vollbeschäftigung in Deutschland<br />

möglich ist? Wenn ja: Welche Bedingungen der Möglichkeit sind dafür<br />

erforderlich?<br />

H. A.: Vollbeschäftigung würde ja in der Theorie bedeuten, dass Angebot<br />

und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt ausgeglichen sind. Dies würde<br />

zunächst voraussetzen, dass alle Arbeitnehmer bedingungslos flexibel<br />

und mobil sind. Wir haben derzeit rund 300.000 offene Stellen und<br />

dies sind nur die Arbeitsplätze, die der Bundesagentur gemeldet sind.<br />

Nach unseren Hochrechnungen liegt das gesamtwirtschaftliche Stellenangebot<br />

bei 1,1 Millionen. Dies zeigt, wie schwierig es ist, sowohl<br />

einen qualitativen als auch quantitativen Ausgleich am Arbeitsmarkt<br />

zu realisieren. Wir müssen uns aber auch ehrlich die Frage stellen,<br />

wie viele Personen in Deutschland zum Beispiel durch gesundheitliche<br />

Einschränkungen, durch jahrelange Arbeitslosigkeit oder durch persönliche<br />

Lebensumstände, realistisch gesehen, nicht mehr in den ersten<br />

Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Wenn es uns gelingt, diese<br />

Menschen zu erreichen und zum Beispiel durch organisierte öffentliche<br />

Arbeit langfristig am Erwerbsleben teilhaben zu lassen, dann könnten<br />

wir einen Schritt in Richtung Vollbeschäftigung in Deutschland gehen.<br />

Die Arbeit geht uns zumindest auch in Zukunft nicht aus ...<br />

Nachgefragt<br />

47<br />

Foto: uk<br />

sf: Wenn keine Vollbeschäftigung absehbar ist: Halten Sie das Postulat<br />

von „Fördern und Fordern“ für vertretbar, sobald der zugrunde liegende<br />

Anspruch ins Leere läuft?<br />

H. A.: Ich bin und bleibe ein Verfechter des Prinzips Fördern und<br />

Fordern, wenn es konsequent und mit Augenmaß angewandt wird.<br />

Die richtige Idee liegt ja darin, dass wir in Deutschland den traditionellen<br />

Ansatz der „Umverteilung“ durch die Betonung der „Aktivierung“<br />

abgelöst haben. Es heißt nichts anderes, als dass jene, die<br />

keine Erwerbsarbeit haben, aber staatliche Unterstützung erhalten,<br />

verpflichtet sind, im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine Gegenleistung<br />

für die gewährte Hilfe zu erbringen. Dazu gehört unter anderem die<br />

Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit, wie zum Beispiel durch die<br />

Teilnahme an Weiterbildungs- oder Trainingsmaßnahmen oder auch<br />

an Arbeitsgelegenheiten. Mit einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik<br />

möchten wir die individuelle Eigenverantwortung und Eigenkompetenz<br />

stärken. Dies kann und darf nicht falsch sein. Aktivierender<br />

Staat bedeutet letztendlich Teilhabe zu organisieren, statt Menschen<br />

außerhalb der Gesellschaft zu „versorgen“.<br />

sf: Welche Auffassung vertreten Sie selbst zum Thema „bedingungsloses<br />

Grundeinkommen“? Halten Sie in diesem Zusammenhang das Argument<br />

für bedenkenswert, dass auch in Ihrer Behörde enorme Potenziale frei<br />

werden würden, die für unsere Gesellschaft an anderer Stelle dringend vonnöten<br />

sind – zum Beispiel in Bildung, Pflege und aktivem Umweltschutz?<br />

H. A.: Die Idee des „bedingungslosen Grundeinkommens“ ist bisher<br />

nicht praxistauglich.<br />

sf: Gab es und/oder gibt es Untersuchungen Ihrer Agentur, die die Auswirkungen<br />

der Alg-I- und Alg-<strong>II</strong>-Regelungen hinsichtlich der Verarmung,<br />

aber insbesondere der Altersarmut betrachten? Zu welchen Ergebnissen<br />

sind diese Untersuchungen gekommen? Halten Sie selbst es für angemessen,<br />

dass eine lebenslang angesparte Rücklage aufgrund unverschuldeter<br />

Arbeitslosigkeit weggenommen wird und damit die Altersarmut erst<br />

erzeugt – und machen diese Enteignungen volkswirtschaftlich betrachtet<br />

überhaupt Sinn?<br />

H. A.: Als Bundesagentur für Arbeit ist es unser gesetzlicher Auftrag,<br />

bei Arbeitslosigkeit Entgeltersatzleistungen zu zahlen oder im Sinne<br />

von Hartz IV gemeinsam mit den Kommunen dafür zu sorgen, dass<br />

Menschen in unserer Gesellschaft existenzsichernd leben können. Die


48<br />

Nachgefragt<br />

Bundesregierung gibt jährlich einen Armuts- und Reichtumsbericht<br />

heraus, der natürlich auch die Gründe dafür beleuchtet, warum Armut<br />

im Allgemeinen und Kinder- und Altersarmut im Speziellen zunehmen.<br />

Es ist aber Aufgabe der Politik zu bewerten, ob die aktuelle Gesetzgebung<br />

diesen Zustand eher begünstigt oder nicht.<br />

Die Arbeitslosengeld-<strong>II</strong>-Regelungen zur Anrechnung von Vermögen sind<br />

nicht neu. Diese wurden weitestgehend aus der alten Arbeitslosen- und<br />

Sozialhilfe übernommen. Grundlage hierfür ist das Prinzip, dass der<br />

Staat dann einspringt, wenn man sich aus eigenen Mitteln nicht selbst<br />

helfen kann. Dies bedeutet, dass Einkommen und Vermögen zunächst zu<br />

verbrauchen sind. Angesparte Rücklagen werden im Falle eingetretener<br />

Arbeitslosigkeit aber nicht willkürlich weggenommen. Es gibt Regelungen,<br />

wonach insbesondere Ersparnisse für die Altersvorsorge unangetastet<br />

bleiben. Außerdem gibt es einen Freibetrag in Höhe von 150<br />

Euro je Lebensalter. Am Beispiel eines Ehepaares, beide 50 Jahre alt,<br />

entspricht dies einem Vermögen von 15.000 Euro.<br />

Der beste Weg, Altersarmut zu bekämpfen, ist, für stabile und lange<br />

Erwerbsbiografien zu sorgen.<br />

sf: Die Bundesregierung und die BA setzen auf das Instrument Kurzarbeit.<br />

Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit erzeugen einen immensen Verlust<br />

an Produktivität. Wer seine regelmäßige Arbeit zehn Monate oder länger<br />

verloren hat, gilt nach verschiedenen Untersuchungen bereits als arbeitsunfähig.<br />

Ihre Partei hätte mit einem Bruchteil der heutigen großzügigen<br />

Ausgaben an das Finanzmarktkapital hier Abhilfe leisten können. – Wie<br />

denken Sie heute darüber?<br />

H. A.: Ich bin ein großer Befürworter des Instruments Kurzarbeit,<br />

denn Kurzarbeit sichert Arbeitsplätze. Kurzarbeit bedeutet für mich<br />

nicht gleichzeitig Verlust von Produktivität. Unsere derzeitigen<br />

Erfahrungen zeigen, dass Kurzarbeit lediglich zu einem durchschnittlichen<br />

Arbeitsausfall von 30 Prozent führt. Gegenüber den Unternehmen<br />

werben wir dafür, dass diese 30 Prozent für die Weiterbildung der<br />

Beschäftigten genutzt werden. Dies entlastet zum einen das Unternehmen<br />

finanziell und zum anderen erhöht dies die Beschäftigungsfähigkeit<br />

der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nach der Krise gehen<br />

sie mit neu erworbenem Wissen an den Start und verbessern damit<br />

natürlich auch ihren eigenen Marktwert.<br />

sf: Sie bewerben Kurzarbeit in einer breit angelegten Kampagne. Im<br />

Rahmen des Konjunkturpakets <strong>II</strong> wurde die mögliche Bezugsdauer von<br />

sechs auf 18 Monate erhöht. Der entscheidende Vorteil aus dem Konjunkturpaket<br />

<strong>II</strong> wird den Arbeitnehmern aber vorenthalten. Die zugunsten der<br />

Arbeitnehmer rückwirkend vorgenommenen Änderungen des Einkommensteuertarifes<br />

werden in den Nettoentgelttabellen, die der Berechnung<br />

des Kurzarbeitergeldes zugrunde liegen, nicht berücksichtigt. Folge: Das<br />

Kurzarbeitergeld fällt geringer aus. Warum ändern Sie das nicht sofort?<br />

H. A.: Diese Frage müssen Sie der Politik stellen. Als BA wenden wir<br />

das Gesetz an. In der Rolle als Berater der Politik haben wir auf diese<br />

Situation hingewiesen.<br />

sf: Stichwort „Rente ab 67“: Haben die verschiedenen Maßnahmen Ihrer<br />

Einrichtung zu einer erkennbaren Steigerung der Beschäftigungsrate in<br />

der Altersgruppe der 60- bis 65-Jährigen geführt? Wie würden Sie selbst<br />

eine erkennbare Steigerungsrate, die die Heraufsetzung des Rentenalters<br />

sinnvoll erscheinen lässt, definieren? Oder findet hier de facto eine Rentenkürzung<br />

ihren Anfang?<br />

H. A.: Zunächst einmal ist die Erhöhung der Beschäftigung von<br />

Älteren erklärtes Ziel der europäischen Länder und in den beschäftigungspolitischen<br />

Leitlinien der EU verankert. Darin steht, dass die<br />

Gesamtbeschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer mindestens 50 Prozent<br />

betragen soll, verbunden mit einer Verringerung der Arbeitslo-<br />

sigkeit. Damit hat Deutschland einen eindeutigen Auftrag<br />

erhalten, den wir als BA natürlich in der Umsetzung unterstützen,<br />

zusammen mit dem BMAS zum Beispiel mit dem<br />

Beschäftigungsprogramm „50plus“. Und dies tun wir recht<br />

erfolgreich. Im letzten Jahr ist die sozialversicherungspflichtige<br />

Beschäftigung Älterer über 55 Jahre gegenüber<br />

2007 um 7,5 Prozent gestiegen.<br />

Für mich persönlich ist es vor dem Hintergrund der<br />

demografischen Entwicklung wichtig, dass alle Gruppen der<br />

Gesellschaft am Arbeitsleben teilhaben können. Dazu zählen<br />

Menschen mit Migrationshintergrund, Geringqualifizierte,<br />

Frauen und hier insbesondere Alleinerziehende, Jugendliche<br />

und eben auch Ältere. Dies stärkt letztendlich auch den<br />

gesellschaftlichen Zusammenhalt.<br />

sf: Eine eher persönliche Frage: Wenn Ihre eigenen Kinder<br />

oder Enkelkinder oder die Ihrer Freunde oder Nachbarn auf<br />

die finanzielle Unterstützung nach SGB <strong>II</strong> angewiesen wären<br />

– welche berufliche Neuorientierung würden Sie sich für diese<br />

Personen wünschen? Meinen Sie, dass die JobCenter dazu in<br />

der Lage sind, die nötigen Perspektiven zu bieten?<br />

H. A.: In den JobCentern sind alle entsprechenden Kompetenzen<br />

gebündelt, sowohl von der Arbeitsagentur als auch<br />

von den Kommunen. Von daher hier ein eindeutiges Ja.<br />

Unsere Vermittlungsfachkräfte sind Experten und können<br />

die Arbeitsmarktchancen jedes Einzelnen einschätzen.<br />

Eine berufliche Neuorientierung ist natürlich ein wichtiger<br />

Schritt, der in die richtige Richtung gehen muss. Die<br />

Kolleginnen und Kollegen in den JobCentern leisten hier<br />

sehr gute Arbeit, auch wenn ich weiß, dass wir hier noch<br />

Verbesserungspotenziale haben.<br />

sf: Könnten Sie sich vorstellen, dass Sie und Ihre Familie<br />

wenigstens sechs Monate von den gegenwärtigen Regelsätzen<br />

leben? Welche Regelsätze wären Ihrer Meinung nach zum<br />

Überleben notwendig?<br />

H. A.: Ich denke, die Politik hat einen Regelsatz ermittelt,<br />

der das Existenzminimum absichert. Natürlich muss man sich<br />

in dieser Zeit einschränken, aber der Sinn einer Grundsicherung<br />

kann ja auch nicht darin bestehen, dauerhafte Erwerbslosigkeit<br />

zu finanzieren. Als Student habe ich mehrere Jahre<br />

auf dem Niveau der heutigen Grundsicherung gelebt.<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

sf: Wie denken Sie über den Mindestlohn? Wie hoch muss Ihrer Meinung<br />

nach das Einkommen einer vierköpfigen Familie sein, dass es ihr zu<br />

einem normalen, angemessenen und kulturvollen Leben genügt?<br />

H. A.: Mindestlöhne können einen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten.<br />

Das Existenzminimum ist gesetzlich definiert.<br />

sf: Der Charakter der Arbeit wird sich grundlegend wandeln – von der<br />

bisherigen lebenslangen Arbeitsplatzbindung hin zur projektbezogenen<br />

Tätigkeit. Wie stellt sich Ihre Behörde darauf ein und welche Sicherungssysteme<br />

im Falle der Erwerbslosigkeit können Sie dann bieten?<br />

H. A.: In unserer Arbeitsweise haben wir uns bereits auf den Wandel<br />

der Arbeitswelt eingestellt. Wir denken nicht mehr in klassischen<br />

Berufsbildern, sondern in Kompetenzen, sowohl in beruflicher als<br />

auch persönlicher Hinsicht. Dies ermöglicht uns, den Vermittlungsprozess<br />

viel flexibler zu gestalten. Ein Tischler zum Beispiel kann<br />

nicht nur gut mit Holz umgehen, sondern ist kreativ, hat ein gutes<br />

Vorstellungsvermögen und arbeitet projektorientiert. Diese Kompetenzen<br />

eröffnen deutlich mehr Einsatzgebiete.


strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009<br />

Form und Funktion: Verwaltungszentrum der BA in Nürnberg<br />

sf: Viel Kritik gibt es an den MAE-Maßnahmen. Der Bundesrechnungshof<br />

hat mehrmals festgestellt, dass die Maßnahmen häufig nicht zusätzlich<br />

und von öffentlichem Interesse sind. Was hat die BA unternommen, um<br />

diese gesetzeswidrigen Maßnahmen durch die Träger zu unterbinden?<br />

H. A.: Zusammen mit dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen<br />

Landkreistag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund sowie der<br />

Freien Wohlfahrtspflege haben wir uns darüber unterhalten, wie wir<br />

öffentlich geförderte Beschäftigung im Rahmen der Grundsicherung<br />

gestalten können. Unisono haben wir uns darauf verständigt, dass<br />

Zusatzjobs keine regulären Beschäftigungsverhältnisse verdrängen<br />

dürfen. Entstanden ist eine gemeinsame Erklärung, die beschreibt, in<br />

welchen Bereichen Zusatzjobs sinnvoll sind, immer unter dem Aspekt<br />

der Zusätzlichkeit und dem öffentlichen Interesse. Außerdem gibt es<br />

in fast allen JobCentern Beiräte, die als beratendes Organ die Umsetzung<br />

der regionalen Arbeitsmarktpolitik begleiten. In den Beiräten<br />

sind alle Partner am Arbeitsmarkt vertreten. Damit ist gewährleistet,<br />

dass die Interessen aller Parteien Berücksichtigung finden. Ich denke<br />

also schon, dass wir als BA alles unternommen haben, um die Arbeitsgelegenheiten<br />

gesetzeskonform in der Praxis umzusetzen.<br />

Quelle: wikipedia<br />

Nachgefragt<br />

49<br />

sf: Welche Folgen hat es für Sachbearbeiter und Fallmanager, wenn<br />

sie eindeutig gegen bestehendes Recht verstoßen, z. B. rechtswidrige<br />

Bescheide erlassen oder Eingliederungsvereinbarungen per Post verschikken?<br />

Wenn dieses Verhalten Folgen hat, welche und in wie vielen Fällen<br />

war das jährlich der Fall?<br />

H. A.: Wer grob fahrlässig oder vorsätzlich handelt, wird sanktioniert.<br />

Gott sei Dank sind dies nur wenige Einzelfälle.<br />

sf: Im April 2007 ist in Speyer ein junger Mann, der an Depressionen<br />

litt, nach Sanktionen durch das JobCenter verhungert. Bekanntlich sind<br />

Menschen mit derartigen Erkrankungen z. T. oft wochenlang nicht in der<br />

Lage, auf Post o. ä. zu reagieren oder die Wohnung zu verlassen. Was<br />

hat die BA unternommen, um mit solchen Menschen angemessen umzugehen<br />

und weitere Todesfälle zu vermeiden, indem man auf Sanktionen<br />

verzichtet oder diese aussetzt?<br />

H. A.: Der Fall ist natürlich dramatisch und erschütternd. Präventiv<br />

kann man durch einen engen Kontakt im Netzwerk mit Sozialämtern,<br />

medizinischen Diensten und dem Kunden Vorsorge treffen.<br />

sf: Es gibt keine wirklich professionelle und passgenaue Bildungs- und<br />

Berufsberatung sowie Betreuung durch Fallmanager. Insbesondere gibt es<br />

keine freiwillige Zielvereinbarung, sondern eine angeordnete Eingliederungsvereinbarung<br />

(dies wird auch als „Beratung im Sanktionskontext“<br />

bezeichnet). Wie wollen Sie das in Zukunft verändern, verbessern?<br />

H. A.: Ihren ersten Satz möchte ich vehement bestreiten. Ich lade<br />

Sie gerne mal zu einem Besuch in ein JobCenter ein. Dort werden<br />

Sie sehen, wie professionell Bildungsberatung und Fallmanagement<br />

umgesetzt werden. Die Eingliederungsvereinbarung ist der individuelle<br />

Fahrplan zurück auf den Arbeitsmarkt und Ergebnis des Prinzips<br />

Fördern und Fordern. Der Gesetzgeber hat uns aufgefordert, mit<br />

jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine solche Vereinbarung<br />

abzuschließen. Damit weiß jeder, wo er steht und was er von der BA<br />

oder der Kommune zu erwarten hat.<br />

sf: Wir bekommen häufig Berichte über fragwürdige Weiterbildungsmaßnahmen<br />

im Bereich des <strong>ALG</strong> <strong>II</strong>/MAE: Hochschulabsolventen müssen<br />

Bewerbungstraining machen, incl. Lebenslauf schreiben etc. Was soll das<br />

den Menschen bringen?<br />

H. A.: Weiterbildung kann nie schaden. Viele Hochschulabsolventen<br />

sind keine Bewerbungsprofis. Oder nehmen Sie einen Arbeitsuchenden,<br />

der 20 Jahre lang in seinem Ausbildungsbetrieb gearbeitet hat.<br />

Er musste sich noch nie um eine andere Arbeitsstelle bemühen. Die<br />

Bewerbung ist der erste Eindruck und somit die ganz persönliche Eintrittskarte<br />

in den Job. Umso professioneller sollte sie auch gestaltet<br />

sein und dies zu unterstützen ist richtig.<br />

sf: Die Bundesrepublik hat über Jahrzehnte „Sockelarbeitslosigkeit“ (laut<br />

DIW) aufgebaut, d. h., die Erwerbslosigkeit hat im Aufschwung nicht<br />

stärker abgenommen, als sie im darauf folgenden Abschwung wuchs.<br />

Damit einher ging wachsende Ungleichheit bei Einkommen. Was kann die<br />

BA diesbezüglich tun?<br />

H. A.: Die BA verbessert durch Aus- und Weiterbildung indirekt die<br />

Einkommensmöglichkeiten. Was wir auch tun können, ist die aktive<br />

Einbindung der Langzeitarbeitslosen in den Vermittlungsprozess.<br />

Und dies gelingt uns ganz gut. Immerhin haben wir heute 20 Prozent<br />

weniger Langzeitarbeitslose als noch vor einem Jahr.<br />

sf: Wir bedanken uns, dass Sie uns Gelegenheit gegeben haben, Ihnen<br />

Fragen zu stellen, die für viele Menschen sehr wichtig sind.


50<br />

Schnittstelle<br />

Schnittstelle von Wolfgang Mocker<br />

Jetzt sind die Rettungsmaßnahmen der Regierung gegen<br />

die Finanzkrise endlich auch bei den Hartz-IV-Empfängern<br />

angekommen. Der Regelsatz wird ab Juli 2009 auf<br />

stolze 359 Euro erhöht.<br />

Gleichzeitig wurde Hartz IV gigantisch ausgeweitet. Bis<br />

tief in den systemisch wichtigen Finanzsektor hinein!<br />

Mittlerweile leben bereits ganze Großbanken von Staatsknete.<br />

Dadurch beschäftigt Hartz IV die Gerichte noch<br />

stärker als früher. Nicht nur, daß viele Langzeitarbeitslose<br />

gegen staatlich verordnete zwangseheähnliche Verhältnisse<br />

und Zahnbürsten-Razzien klagen, selbst Bankmanager<br />

versuchen sich auf ihren Arbeitsplatz zurückzuklagen.<br />

Oder wenigstens ordentliche Abfindungen und<br />

Ruhestandsbezüge vor Gericht rauszuholen. Schließlich<br />

haben gerade sie viele, viele Milliarden erwirtschaftet.<br />

Verluste zwar, aber dafür eigenhändig!<br />

Flankierend zu den<br />

Sozialmaßnahmen für<br />

notleidende Banken<br />

hat die Regierung zeitgleich<br />

die Geldstrafen<br />

drastisch erhöht. Steuerhinterzieher<br />

sollen<br />

nun ebenfalls stärker<br />

gefördert und gefordert<br />

werden. Immerhin<br />

können künftig saftige<br />

Geldstrafen zwischen<br />

10,8 Millionen für einfache<br />

und 21,6 Millionen<br />

Euro für mehrere<br />

Straftatbestände verhängt<br />

werden. Dies<br />

dürfte jedoch nur echte Spitzenverdiener unter den Wirtschaftskriminellen<br />

treffen. Also eher die Ausnahmen. Die<br />

Kassiererin aus dem Supermarkt kommt bei Untreue bis 1,30<br />

Euro auch weiterhin mit einer einfachen Kündigung davon.<br />

Müssen Reiche jetzt etwa richtig bluten? Sieht ganz so<br />

aus. Denn gerade für die Ärmsten der Reichen dürfte<br />

eine Geldstrafe von mehreren Millionen praktisch einer<br />

Enteignung gleichkommen. Manche sprechen in diesem<br />

Zusammenhang sogar von einer Todesstrafe light für Vermögende.<br />

Der erhöhte Hartz-IV-Regelsatz von 359 Euro gilt unter<br />

den Betroffenen – gerade wegen seiner Höhe – ebenfalls<br />

als eine Art Geldstrafe. Wofür? Na, für Arbeitslosigkeit<br />

natürlich. Und das mit Recht. Denn Arbeitslosigkeit ist<br />

schließlich auch ein schweres Wirtschaftsverbrechen. Sie<br />

würgt die Konjunktur ab und führt zu äußerst unbeliebten<br />

Mindereinnahmen beim Fiskus.<br />

Eine sächsische CDU-Abgeordnete forderte von Bundessozialminister<br />

Olaf Scholz nun auch noch eine Abwrackprämie<br />

für Hartzis. Nein, nicht was Sie denken – daß<br />

man für einen seit mindestens neun Jahren arbeitslosen<br />

Bürger nicht einfach einen niegelnagelneuen Hartz-IV-<br />

Empfänger bekommt, der sich von lediglich 2.500 Euro<br />

selbst finanzieren könnte, ist sogar der CDU klar. Es geht<br />

vielmehr darum, ob auch Hartzis für den Kauf eines Neuwagens<br />

die umweltzweckgebundene Prämie abzugsfrei<br />

erhalten sollen, oder ob die Mäuse ein einmaliges Sondereinkommen<br />

für Arbeitslose darstellen, das man von<br />

ihren Hartz-IV-Bezügen abziehen könnte. Mit anderen<br />

Worten: Dürfen auch Langzeitarbeitslose die Konjunktur<br />

ankurbeln? Oder müssen sie stur auf unbezahlte Arbeit in<br />

Form eines 1-Euro-Jobs warten?<br />

Der Hinweis auf die Gleichheit aller Bürger vor dem<br />

Gesetz greift hierbei nicht. Oder doch nur ins Leere. Denn<br />

andernfalls müßten etliche Manager und Landesbankdirektoren<br />

ja längst Hartz-IV-Empfänger sein. Allen voran<br />

der Namenspatron aller Hartzis – Peter von und zu Hartz.<br />

Das heißt, der müßte eigentlich wegen Untreue in 44<br />

Fällen sogar 15 Jahre<br />

lang Tüten kleben.<br />

Wenn alles mit rechten<br />

Dingen zugegangen<br />

wäre. Statt mit gelinkten<br />

Absprachen.<br />

Aber wir leben natürlich<br />

in einem freien<br />

Land. Nicht nur auf<br />

Chefetagen, auch im<br />

Kellergeschoß. Betteln<br />

zum Beispiel ist Langzeitarbeitlosen<br />

nicht<br />

verboten. Betteln ist<br />

keine Arbeit im Sinne<br />

des Sozialgesetzbuchs.<br />

Die Einnahmen<br />

aus dieser Tätigkeit gelten demnach nicht als Einkommen<br />

und dürfen nicht zur Senkung von Sozialleistungen<br />

mißbraucht werden. Das wäre glatter Sozialmißbrauch!<br />

Wie in Göttingen geschehen, wo ein staatlich bestallter<br />

Sozialamtsschimmel einen Hartz-IV-Empfänger tagelang<br />

und flächendeckend beim Betteln bespitzelt hatte. Auf<br />

die Kulanz des Göttinger Oberbürgermeisters sollten sich<br />

andere Arbeitslose aber nicht zu sehr verlassen. Sie war<br />

im Grunde nur wegen der Proteste der Öffentlichkeit<br />

gewährt worden.<br />

Ähnliche Symphatiekundgebungen aus der deutschen<br />

Bevölkerung sind bei den Seeräubern, die unsere<br />

Marine gerade im Golf von Aden geschnappt hat, nicht<br />

zu befürchten. Da die Freibeuter sich an einem deutschen<br />

Tanker vergriffen haben, gehören sie streng nach<br />

dem Gesetz eigentlich vor ein deutsches Gericht. Doch<br />

in diesem Fall will unser Rechtsstaat Milde walten und<br />

Gnade vor Recht ergehen lassen. Aus der CDU heißt es:<br />

Gnade den Seeräubern Gott! Wir werden diese Burschen<br />

nicht auch noch zum Asylverfahren einladen, sondern<br />

nach Kenia abschieben.<br />

Afrikanische Piraten sind so arm – die kann man nicht<br />

mal mit Hartz IV bestrafen.<br />

strassen|feger<br />

Ratgeberausgabe 2009


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Herausgeber<br />

mob – obdachlose machen mobil e.V.<br />

Prenzlauer Allee 87, 10405 Berlin<br />

Tel.: 030 / 46 79 46 11<br />

Fax: 030 / 46 79 46 13<br />

Email: info@strassenfeger.org<br />

www.strassenfeger.org<br />

Vorsitzende: Dr. Dan-Christian Ghattas,<br />

Lothar Markwardt, Andreas Düllick (V.i.S.d.P.)<br />

Redaktion<br />

Prenzlauer Allee 87, 10405 Berlin<br />

Tel.: 030 / 41 93 45 91<br />

eMail: redaktion@strassenfeger.org<br />

Abo-Koordination & Anzeigen<br />

mob – obdachlose machen mobil e.V.<br />

Tel.: 030 / 41 93 45 91<br />

Treffpunkt Kaffee Bankrott<br />

Prenzlauer Allee 87, 10405 Berlin<br />

Tel.: 030 / 44 73 66 41<br />

Öffnungszeiten: Mo.–So. 8:00–20:00 Uhr<br />

Zeitungsverkauf: bis 20:00 Uhr<br />

Küchenschluss: 19:00 Uhr<br />

Notübernachtung<br />

Prenzlauer Allee 87, 10405 Berlin<br />

Tel.: 030 / 41 93 45 93<br />

Öffnungszeiten: 19:00–10:00 Uhr<br />

Anmeldung: 9:00–23:00 Uhr<br />

Trödelpoint bei mob e.V.<br />

Prenzlauer Allee 87, 10405 Berlin<br />

gegenüber dem S-Bahnhof Prenzlauer Allee<br />

Mo–Fr: 8:00–20:00 Uhr<br />

Tel.: 030v/ 246 279 35<br />

Email: troedel_point@strassenfeger.org<br />

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Das Berufsinformationszentrum (BiZ) bietet<br />

Ihnen die aktuellsten Antworten.<br />

Dort können Sie sich per Internet sowie in<br />

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ohne Anmeldung und auch während der Ferien.<br />

Im Internet finden Sie uns unter<br />

www.arbeitsagentur.de.<br />

51<br />

Redaktionsleitung Andreas Düllick<br />

CvD Scharmann<br />

Redaktionelle Mitarbeit für die Ausgabe<br />

Lou Brass, Andreas Düllick, Dan-Christian Ghattas,<br />

Constanze von Haller, Jürgen Haunss, Simone Krauskopf,<br />

Mandy Merkel, Wolfgang Mocker, Dinah Persch, Martyn<br />

Ringk, Scharmann<br />

Titelbild Andreas Prüstel<br />

Impressum<br />

Rücktitel-Konzept „Dach über dem Kopf“<br />

Anne Wenkel und Sebastian Quellmann<br />

Karikaturen Andreas Prüstel, OL<br />

Satz und Layout carsten sauer<br />

Belichtung & Druck Union Druckerei Berlin<br />

Redaktionsschluss: September 2009<br />

Namentlich genannte Beiträge geben nicht unbedingt<br />

die Meinung der Redaktion wieder. Es war nicht möglich,<br />

bei allen Bildern die Urheberrechte festzustellen.<br />

Betroffene melden sich bitte bei uns. Für unverlangt<br />

eingesandte Fotos, Manuskripte oder Illustrationen<br />

übernehmen wir keine Haftung.<br />

Der strassenfeger ist offen für weitere Partner.<br />

Interessierte Projekte melden sich bei den Herausgebern.<br />

Eigentumsvorbehalt: Nach diesem Eigentumsvorbehalt<br />

ist die Zeitung solange Eigentum des Absenders,<br />

bis sie dem/der Gefangenen persönlich ausgehändigt<br />

ist. Zur-Habe-Nahme ist keine persönliche Aushändigung<br />

im Sinne des Vorbehalts. Wird die Zeitung<br />

dem/der Gefangenen nicht persönlich ausgehändigt,<br />

ist sie dem Absender unter Angabe des Grundes der<br />

Nichtaushändigung zurückzusenden.<br />

Die Berufsinformationszentren haben für Sie geöffnet:<br />

Agentur für Arbeit Berlin Nord<br />

Königin-Elisabeth-Str. 49 Mo, Di, Mi 8.00 – 16.00 Uhr<br />

14059 Berlin Do 8.00 – 18.00 Uhr<br />

Tel. 5555 70 2199 Fr 8.00 – 13.00 Uhr<br />

Agentur für Arbeit Berlin Mitte<br />

Friedrichstr. 39<br />

10969 Berlin<br />

Tel. 5555 99 2626 Mo, Di 8.00 – 16.00 Uhr<br />

und Mi, Fr 8.00 – 12.00 Uhr<br />

Janusz-Korczak-Str. 32 Do 8.00 – 18.00 Uhr<br />

12627 Berlin<br />

Tel. 5555 89 2194<br />

Agentur für Arbeit Berlin Süd<br />

Sonnenallee 282 Mo, Di, Mi 8.00 – 16.00 Uhr<br />

12057 Berlin Do 8.00 – 18.00 Uhr<br />

Tel. 5555 77 2360 Fr 8.00 – 12.00 Uhr


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Foto: r.Werner Franke

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