Rechtsschutz gegen die Umbenennung von ... - Juraexamen.info
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GRUNDSTUDIUM <strong>Rechtsschutz</strong> <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> <strong>von</strong> Straßen Friedrich Schoch<br />
<strong>Rechtsschutz</strong> <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> <strong>von</strong> Straßen<br />
Von Prof. Dr. Friedrich Schoch, Freiburg i. Br.<br />
Die Probleme um den <strong>Rechtsschutz</strong> <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong><br />
<strong>von</strong> Straßen (Wegen, Plätzen) verbinden in hervorragender<br />
Weise Fragen des Allgemeinen Verwaltungsrechts mit Anforderungen<br />
des Verwaltungsprozessrechts. Es geht insbesondere<br />
um das behördliche Handeln durch Allgemeinverfügung<br />
und <strong>die</strong> Anfechtungsklage, das subjektive öffentliche Recht<br />
und <strong>die</strong> Klagebefugnis sowie das Verwaltungsermessen und<br />
<strong>die</strong> gerichtliche Kontrolldichte. Anhand anschaulicher Praxisbeispiele<br />
aus der Rechtsprechung werden nachfolgend <strong>die</strong><br />
Rechtsprobleme analysiert und <strong>die</strong> Lösungen aufgezeigt.<br />
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I. Zuteilung <strong>von</strong> Straßennamen<br />
Heft 5/2011 JURA<br />
Die amtliche Benennung öffentlicher Straßen ist den meisten<br />
Menschen ein vertrauter und alltäglicher Vorgang 1 . Die erstmalige<br />
Zuteilung <strong>von</strong> Namen für Straßen (ebenso: Wege, Plät-<br />
1 Zur historischen Entwicklung der Benennung <strong>von</strong> Straßen Winkelmann, Das<br />
Recht der öffentlich-rechtlichen Namen und Bezeichnungen – insbesondere der<br />
Gemeinden, Straßen und Schulen, 1984, S. 26 ff.<br />
DOI: 10.1515/JURA.2011.069
JURA Heft 5/2011 Friedrich Schoch <strong>Rechtsschutz</strong> <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> <strong>von</strong> Straßen GRUNDSTUDIUM<br />
ze) mag vielfach (kommunal)politische Debatten auslösen und<br />
Fragen des »guten Geschmacks« aufwerfen, Rechtsprobleme<br />
sind damit jedoch selten verbunden. Auch <strong>die</strong> Anwohner (Straßenanlieger)<br />
sehen in der Zuteilung eines Straßennamens in<br />
der Regel kein Problem; Rechtsstreitigkeiten um den Straßennamen<br />
finden bei der Erstbenennung kaum statt.<br />
1. Rechtliche Grundlagen der Straßenbenennung<br />
Die Straßenbenennung ist allerdings nicht nur ein (kommunal)politischer<br />
Akt, sie betrifft vielmehr auch <strong>die</strong> Rechtsordnung.<br />
Das positive Recht weist in <strong>die</strong>ser Frage, da es um Landesrecht<br />
geht, keine Einheitlichkeit auf. In einem Teil der Länder<br />
bestimmt das Straßenrecht, dass <strong>die</strong> Gemeinden den öffentlichenStraßen(Wegen,Plätzen)<br />
einen Namengeben (können) 2 .<br />
In anderen Ländern regelt das Gemeinderecht, dass <strong>die</strong> Benennung<br />
der (dem öffentlichen Verkehr <strong>die</strong>nenden) Straßen Angelegenheit<br />
der Gemeinden ist 3 ; mitunter fehlt es an der ausdrücklichen<br />
Zuweisung der gemeindlichen Verbandskompetenz, und<br />
es ist nur <strong>die</strong> Organzuständigkeit des (Gemeinde-)Rates (der<br />
Gemeindevertretung) für <strong>die</strong> Benennung <strong>von</strong> Straßen normiert<br />
4 . Trifft das Landesrecht keine Regelung zur Zuteilung<br />
<strong>von</strong> Straßennamen, ergibt sich <strong>die</strong> Verbandskompetenz der Gemeinden<br />
für <strong>die</strong> Erledigung <strong>die</strong>ser Angelegenheit unmittelbar<br />
aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstverwaltungsrecht<br />
(Art. 28 II 1 GG sowie Parallelbestimmungen im<br />
Landesverfassungsrecht) 5 .<br />
2. Funktionen der Straßenbenennung<br />
Der Benennung <strong>von</strong> Straßen wird zunächst eine Ordnungsund<br />
Erschließungsfunktion zugeschrieben; danach ist es in<br />
erster Linie Zweck der Straßenbezeichnung, im Verkehr der<br />
Bürger untereinander und zwischen Bürgern und Behörden<br />
das Auffinden <strong>von</strong> Wohngebäuden, Betrieben, öffentlichen<br />
Einrichtungen und Amtsgebäuden zu ermöglichen und zu erleichtern<br />
6 . Die Identifizierung einer Wohnanschrift, Büroadresse<br />
etc. setzt zudem das Anbringen einer Hausnummer<br />
voraus. Da es bei der erstmaligen Straßenbezeichnung und<br />
Zuteilung einer Hausnummer in der Regel um neu errichtete<br />
Anlagen geht, bestimmt das Erschließungsrecht, dass <strong>die</strong> Eigentümer<br />
das Anbringen <strong>von</strong> Straßenschildern auf ihren<br />
Grundstücken zu dulden haben (§ 126 I 1 Nr. 2 BauGB). Außerdem<br />
hat der Eigentümer sein Grundstück mit der <strong>von</strong> der<br />
Gemeinde festgesetzten Nummer zu versehen (§ 126 III 1<br />
BauGB); <strong>die</strong> Festsetzung selbst erfolgt nach Landesrecht (§ 126<br />
III 2 BauGB) 7 .<br />
Legitime Zwecke der Straßenbenennung sind sodann <strong>die</strong><br />
Pflege örtlicher Traditionen und <strong>die</strong> Ehrung ver<strong>die</strong>nter Bürger<br />
8 . Vereinzelt ist vorgeschrieben, dass Namen lebender Personen<br />
für Straßennamen, soweit sie sich auf <strong>die</strong>se Personen<br />
beziehen, nicht verwendet werden dürfen 9 . Besteht ein solches<br />
Verbot nicht, darf <strong>die</strong> Straßenbenennung auch nach dem Namen<br />
einer lebenden Person erfolgen 10 . Da <strong>die</strong>ser amtliche Akt<br />
das Persönlichkeitsrecht der fraglichen Person betrifft, ist deren<br />
Einverständnis zur Straßenbenennung einzuholen 11 .<br />
3. Rechtsdogmatische Einordnung der Straßenbenennung<br />
Die Benennung einer öffentlichen Straße enthält rechtlich weder<br />
ein Gebot oder Verbot, noch ist sie auf eine Veränderung der<br />
Rechtsstellung einzelner Personen (z. B. der Straßenanlieger)<br />
gerichtet 12 . Es handelt sich demnach nicht um einen »klassischen«<br />
Verwaltungsakt i. S. d. § 35 S. 1 LVwVfG. Die Zuteilung<br />
eines Straßennamens stellt vielmehr eine sachbezogene Allgemeinverfügung<br />
gemäß § 35 S. 2 Alt. 2 LVwVfG dar. Soweit<br />
<strong>von</strong> einer »adressatlosen« Allgemeinverfügung gesprochen<br />
wird 13 , besteht der Einwand, dass Verwaltungsakte definitionsgemäß<br />
auf <strong>die</strong> Setzung <strong>von</strong> Rechtsfolgen gerichtet sind und<br />
daher auf <strong>die</strong> Steuerung des Verhaltens <strong>von</strong> Menschen zielen 14 .<br />
Praktische Folgen ergeben sich aus <strong>die</strong>sem rechtsdogmatischen<br />
Disput nicht. Das positive Recht sieht in § 35 S. 2 LVwVfG<br />
ausdrücklich vor, dass ein Verwaltungsakt in Gestalt der Allgemeinverfügung<br />
<strong>die</strong> »öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer<br />
Sache« betreffen kann.<br />
Die Erstbenennung einer Straße erfolgt ausschließlich im<br />
öffentlichen Interesse, insbesondere – vor dem Hintergrund<br />
der Ordnungs- und Erschließungsfunktion – im Verkehrsinteresse<br />
15 . Inhaltliche Vorgaben für <strong>die</strong> erstmalige Straßenbenennung<br />
bestehen kaum; <strong>die</strong> Auswahl des Straßennamens stellt<br />
eine Ermessensentscheidung der Gemeinde dar 16 . Vereinzelt<br />
ist ausdrücklich bestimmt, dass gleich lautende Benennungen<br />
innerhalb derselben Gemeinde unzulässig sind 17 ; ohne eine<br />
derartige gesetzliche Direktive verbietet <strong>die</strong> Erschließungsund<br />
Ordnungsfunktion der Straßenbezeichnung als allgemeine<br />
Ermessensgrenze – »Zweck der Ermächtigung« i. S. d. § 40<br />
LVwVfG – <strong>die</strong> »Doppelbenennung« eines Straßennamens 18 .<br />
Ermessensfehlerhaft soll auch <strong>die</strong> Verwendung eines »anstößigen<br />
Namens« sein 19 ; praktische Bedeutung kommt <strong>die</strong>sem<br />
Aspekt nicht zu. Insgesamt kann demnach <strong>von</strong> einem weiten<br />
(Auswahl-)Ermessen gesprochen werden, das <strong>die</strong> Gemeinde im<br />
Interesse der Allgemeinheit auszuüben hat.<br />
Die erstmalige Straßenbenennung schafft für <strong>die</strong> betroffenen<br />
Anwohner im Rechtssinne (vgl. § 48 I 2 LVwVfG) weder einen<br />
Vorteil noch einen Nachteil. Folglich kann <strong>die</strong> Straßenbenennung<br />
nicht als »begünstigender Verwaltungsakt« qualifiziert<br />
2 Art. 52 I BayStrWG; § 5 I 1 BlnStrG; § 37 I 1 u. II BremLStrG; § 20 I HbgWG;<br />
§ 51 I 1 StrWG MV; § 4 II 3 StrWG NW; § 47 I 1 StrWG SH.<br />
3 § 5 IV 1 GemO BW; § 5 IV 1 SächsGemO; § 5 III 1 ThürKO. – Ebenso noch § 11<br />
III BbgGO, anders § 9 BbgKVerf.<br />
4 § 28 II 1 Nr. 13 BbgKVerf; § 40 I Nr. 2 NdsGO; § 44 III Nr. 14 GO LSA.<br />
5 OVG NW NJW 1987, 2695 (2696) ? Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6;<br />
Ennuschat LKV 1993, 43 (44).<br />
6 VGH BW NJW 1981, 1749 (1750); VGH BW NVwZ 1992, 196 (198) = VBlBW<br />
1992, 140 (143) ? Erichsen JK 9/92, VwVfG § 35 S. 2/7; BayVGH BayVBl<br />
1988, 496 (497); BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 30 ? Schoch JK 3/11, VwVfG<br />
§ 35 S. 2/10; OVG NW NJW 1987, 2695 (2696) ? Erichsen JK 3/88, VwVfG<br />
§ 35 S. 2/6; Herber in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, 12. Kapitel Rdn. 32;<br />
Sauthoff Öffentliche Straßen – Straßenrecht, Straßenverkehrsrecht, Verkehrssicherungspflichten,<br />
2. Aufl. 2010, Rdn. 549.<br />
7 Vgl. unten V.<br />
8 Vgl. Nachw. oben Fn. 6; ferner Bäumler BayVBl 2010, 601 und 602.<br />
9 So § 37 I 3 BremLStrG.<br />
10 Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 33.<br />
11 Bäumler BayVBl 2010, 601 (602) mit Hinweis auch darauf, dass bei einer<br />
Straßenbenennung nach verstorbenen Persönlichkeiten <strong>die</strong> Kontaktaufnahme<br />
mit nahen Angehörigen für unverzichtbar gehalten werde.<br />
12 OVG NW NJW 1987, 2695 ? Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6.<br />
13 OVG NW, Fn. 12; ferner z. B. Sauthoff Öffentliche Straßen (Fn. 6) Rdn. 548.<br />
14 Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6; vgl. ferner zur Bezeichnung »dinglicher<br />
Verwaltungsakt« Ruffert in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht,<br />
14. Aufl. 2010, § 21 Rdn. 37.<br />
15 OVG Berlin LKV 1994, 298; OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 (488) = DÖV<br />
2008, 296 = NWVBl 2008, 184 ? Schoch JK 8/08, VwVfG § 35 S. 2/9; Sauthoff<br />
Öffentliche Straßen (Fn. 6) Rdn. 547.<br />
16 OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 (488) = DÖV 2008, 296 = NWVBl 2008, 184<br />
(185); Ennuschat LKV 1993, 43 (45); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 33.<br />
17 § 5 IV 2 GemO BW; § 37 I 2 BremGStrG; § 5 IV 2 SächsGemO; § 5 III 2 ThürKO.<br />
18 Winkelmann Namen und Bezeichnungen (Fn. 1) S. 164 f.<br />
19 Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 33; ausf. Winkelmann Namen und<br />
Bezeichnungen (Fn. 1) S. 166 ff.<br />
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GRUNDSTUDIUM <strong>Rechtsschutz</strong> <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> <strong>von</strong> Straßen Friedrich Schoch<br />
werden 20 . Diese Erkenntnis ist wichtig für <strong>die</strong> Anforderungen<br />
an eine Straßenumbenennung 21 . Bei der Namensgebung einer<br />
Straße haben <strong>die</strong> Anwohner kein Recht auf einen bestimmten<br />
Straßennamen oder auf einen »schönen«, »passenden« oder<br />
»althergebrachten« Straßennamen 22 . Es fehlt insoweit ein subjektives<br />
Recht, das dem Ermessen der Gemeinde bei der Straßenbenennung<br />
ent<strong>gegen</strong>gesetzt werden könnte.<br />
II. Straßenumbenennung: Probleme und Folgeprobleme<br />
Fall 1: A, B und C sind Eigentümer <strong>von</strong> Grundstücken in der Gemeinde<br />
G, <strong>die</strong> im Süden durch <strong>die</strong> »Remchinger Straße« und im Norden durch<br />
einen Fußweg begrenzt werden, der parallel zur Bahnhofstraße verläuft<br />
und <strong>die</strong>selbe Bezeichnung trägt. Der Gemeinderat <strong>von</strong> G beschloss, den<br />
Fußweg in »Remchinger Weg« umzubenennen und den Grundstücken<br />
<strong>von</strong> A, B und C <strong>die</strong> auf <strong>die</strong>sen Weg bezogenen Hausnummern 11, 15 und<br />
19, den dazwischenliegenden Grundstücken <strong>die</strong> auf <strong>die</strong> »Remchinger<br />
Straße« bezogenen Hausnummern 13, 17 und 21 zuzuteilen. Die Änderung<br />
wurde im Amtsblatt der Gemeinde G bekannt gemacht und A, B<br />
und C amtlich mitgeteilt. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren<br />
klagen A, B und C beim zuständigen VG auf Aufhebung der <strong>Umbenennung</strong><br />
und Umnummerierung 23 .<br />
Fall 2: D ist Anwohner der früheren »Heine-Straße« in der Stadt S. Da<br />
es in einem anderen Stadtbezirk (nach der Eingliederung <strong>von</strong> Gemeinden)<br />
eine zweite Straße mit <strong>die</strong>sem Namen gab, beschloss <strong>die</strong> Bezirksvertretung,<br />
<strong>die</strong> »Heine-Straße« in »Oscar-Wilde-Straße« umzubenennen.<br />
D klagt <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Straßenumbenennung, weil er sich in seinem<br />
Persönlichkeitsrecht verletzt sieht und nicht bereit ist, <strong>die</strong> neue Anschrift<br />
Behörden, Versicherern, Freunden und Bekannten etc. mitzuteilen<br />
24 .<br />
Fall 3: Die Bezirksvertretung der kreisfreien Stadt K hatte beschlossen,<br />
den vor 45 Jahren nach der bundesweit bekannten Persönlichkeit R<br />
benannten »R-Weg« in »Z-Weg« umzubenennen. Anlass hierfür war<br />
eine öffentliche Diskussion um das Geschichtsbild des R; es sollte vermieden<br />
werden, dass <strong>die</strong> Stadt in <strong>die</strong>se Debatte hineingezogen wird. Das<br />
mit seinem Firmengelände an dem Weg angesiedelte Unternehmen U<br />
errechnete Umstellungskosten in Höhe <strong>von</strong> 150.000 Euro und klagt<br />
nach der Veröffentlichung des Beschlusses. Daraufhin wird <strong>die</strong> sofortige<br />
Vollziehbarkeit der <strong>Umbenennung</strong> angeordnet. U stellt nun beim VG<br />
einen Antrag nach § 80 V 1 VwGO 25 .<br />
Fall 4: E ist ein Enkel des verstorbenen ehemaligen Landesbischofs<br />
Dr. Hans Meiser (1881 bis 1956) der Evangelisch-Lutherischen Kirche<br />
in Bayern. Nach ihm ist 1957 <strong>die</strong> »Meiser-Straße« in München benannt<br />
worden. Nachdem eine öffentliche Debatte um <strong>die</strong> Rolle des damaligen<br />
Landesbischofs während der NS-Zeit in der »Hauptstadt der Bewegung«<br />
entfacht worden war, beschloss der Stadtrat <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong><br />
der Straße in »Katharina-<strong>von</strong>-Bora-Straße«; man wolle, so der Oberbürgermeister,<br />
<strong>die</strong> Stadt aus der fortwährenden Diskussion über <strong>die</strong><br />
Person des ehemaligen Landesbischofs heraushalten. Nachdem der<br />
Beschluss zur Straßenumbenennung im Amtsblatt der Stadt bekannt<br />
gemacht worden war, klagte E unter Berufung auf das postmortale<br />
Persönlichkeitsrecht seines Großvaters auf Aufhebung der Straßenumbenennung;<br />
E macht geltend, dass keine der seinem Großvater unterstellten<br />
Äußerungen zutreffe und <strong>die</strong> Stadt nur aus populistischen<br />
Erwägungen ihre frühere Entscheidung revi<strong>die</strong>re 26 .<br />
1. Gründe für Straßenumbenennungen<br />
Im Unterschied zu den öffentlich kaum kontrovers diskutierten<br />
erstmaligen Straßenbenennungen gibt es bei einer Straßenumbenennung<br />
immer wieder Streit. Manche Kontroverse mündet<br />
in einen – bei den Verwaltungsgerichten ausgetragenen –<br />
Rechtsstreit. Dabei wehren sich Betroffene, wie <strong>die</strong> Fallbeispiele<br />
zeigen, sowohl mit der Klage im Hauptsacheverfahren als<br />
auch mit einem Eilantrag im Verfahren des vorläufigen <strong>Rechtsschutz</strong>es.<br />
Beschritten wird der Instanzenzug, soweit er bei <strong>die</strong>sen<br />
landesrechtlichen Streitigkeiten Sinn macht. Mitunter<br />
stößt ein Verfahren sogar auf ein bundesweites publizistisches<br />
Echo; das war etwa in dem Verfahren, dem Fall 4 nachgebildet<br />
ist, so 27 . Der Erfolg in den angestrengten Gerichtsverfahren ist,<br />
wie zu zeigen sein wird, unterschiedlich.<br />
Die <strong>Umbenennung</strong> einer Straße erfolgt in aller Regel nicht<br />
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Heft 5/2011 JURA<br />
ohne Anlass. Die Motive und Gründe für eine Änderung sind<br />
vielfältig und lassen sich präzise identifizieren 28 . Ein gut fassbarer<br />
Grund kann <strong>die</strong> Beseitigung einer Verwechslungsgefahr<br />
sein (vgl. Fall 2) 29 . Begründet wurde eine Straßenumbenennung<br />
auch damit, dass auf Grund eines rechtsverbindlichen Bebauungsplans<br />
eine Wohnanlage entstehe, deren bisher unbenannte<br />
Straßen Namen erhalten müssten; weil das Baugebiet bereits in<br />
der Öffentlichkeit eine bestimmte Bezeichnung führe, solle<br />
dessen Haupterschließungsstraße nun so bezeichnet werden 30 .<br />
In der Praxis ist eine Straßenumbenennung auch auf Grund<br />
entsprechender Eingaben (Petitionen) <strong>von</strong> Straßenanliegern<br />
vorgenommen worden 31 . Schließlich kann <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong><br />
einer Straße darauf zurückzuführen sein, dass der Straßenname<br />
vor geraumer Zeit nach einer Person ausgewählt worden war<br />
und sich zwischenzeitlich herausstellte, dass es sich um eine<br />
umstrittene Persönlichkeit handelt, <strong>die</strong> der Ehre, <strong>die</strong> mit der<br />
Straßennamensgebung verbunden ist, aus der Sicht der Gemeinde<br />
(Stadt) nicht würdig ist (Fall 3 und Fall 4) 32 .<br />
2. Folgen einer Straßenumbenennung für Anlieger<br />
Ebenso wie <strong>die</strong> Erstbenennung einer Straße enthält <strong>die</strong> Entscheidung<br />
über <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> weder ausdrücklich noch<br />
konkludent personale Verhaltensgebote oder -verbote; geregelt<br />
wird nicht das jeweilige Rechtsverhältnis des Straßenanliegers<br />
zu der Gemeinde (Stadt), geschaffen wird vielmehr durch eine<br />
sog. intransitive Zustandsregelung eine rechtserhebliche Tatsache,<br />
<strong>die</strong> Anknüpfungspunkt und Voraussetzung für <strong>die</strong><br />
Anwendung <strong>von</strong> Rechtsnormen sein kann 33 . Die Straßenumbenennung<br />
als solche entzieht i. S. d. Allgemeinen Verwaltungsrechts<br />
(§ 48 I 2 LVwVfG) kein Recht oder einen rechtlich<br />
erheblichen Vorteil, weil – wie erwähnt – <strong>die</strong> vormalige (erstmalige)<br />
Straßenbenennung für <strong>die</strong> Anlieger im Rechtssinne<br />
keinen begünstigenden Verwaltungsakt darstellt.<br />
Eine Straßenumbenennung ist für <strong>die</strong> Anlieger dennoch<br />
nicht folgenlos. Die Konsequenzen können faktischer oder<br />
mittelbar rechtlicher Art sein. Tatsächliche Folgen sind etwa<br />
<strong>die</strong> Anschaffung neuer Briefbögen und Briefumschläge mit aufgedruckter<br />
Wohnanschrift und der Austausch der Visitenkarten.<br />
Auch <strong>die</strong> Mitteilung der Adressenänderung im privaten<br />
Bereich (z. B. <strong>gegen</strong>über Familienangehörigen, Freunden und<br />
20 VGH BW NJW 1979, 1670 (1671); BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 33 ?<br />
Schoch JK 3/11, VwVfG § 35 S. 2/10.<br />
21 Vgl. dazu unten II. 3.<br />
22 BayVGH NVwZ-RR 1996, 344 (345) = BayVBl 1995, 726 (727); Herber in:<br />
Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 37; Sauthoff Öffentliche Straßen (Fn. 6) Rdn. 549.<br />
23 Fall nach VGH BW NJW 1981, 1749.<br />
24 Fall nach OVG NW NJW 1987, 2695 ? Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6;<br />
dazu Fallbearbeitung Brugger JuS 1990, 566.<br />
25 Fall nach OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 = DÖV 2008, 296 = NWVBl 2008, 184<br />
? Schoch JK 8/08, VwVfG § 35 S. 2/9.<br />
26 Fall nach BayVGH BayVBl 2010, 599 (m. krit. Anm. Bäumler) ? Schoch JK<br />
3/11, VwVfG § 35 S. 2/10.<br />
27 Vgl. etwa Otto FAZ Nr. 179 vom 5. 8. 2009 S. 31; Bahners FAZ Nr. 45 vom<br />
23. 2. 2010 S. 35; Bahners FAZ Nr. 46 vom 24. 2. 2010 S. 36.<br />
28 Zusammenfassend Winkelmann Namen und Bezeichnungen (Fn. 1) S. 178 ff.<br />
29 OVG NW NJW 1987, 2695 ? Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6.<br />
30 BayVGH BayVBl 1988, 496.<br />
31 VGH BW NVwZ 1992, 196 = VBlBW 1992, 140 ? Erichsen JK 9/92, VwVfG<br />
§ 35 S. 2/7.<br />
32 BayVGH NVwZ-RR 1996, 344 = BayVBl 1995, 726; BayVGH BayVBl 2010,<br />
599 Tz. 41 und Tz. 42 ? Schoch JK 3/11, VwVfG § 35 S. 2/10; Herber in: Kodal<br />
(Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 37.3 berichtet <strong>von</strong> einem Fall, in dem <strong>die</strong> betreffende<br />
Person Untaten im heutigen Namibia während der deutschen Kolonialzeit in<br />
Südwestafrika begangen hatte.<br />
33 VGH BW NJW 1981, 1749 (1750); OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122.
JURA Heft 5/2011 Friedrich Schoch <strong>Rechtsschutz</strong> <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> <strong>von</strong> Straßen GRUNDSTUDIUM<br />
Bekannten) und im geschäftlichen bzw. beruflichen Verkehr<br />
(z. B. <strong>gegen</strong>über Arbeitgeber, Banken, Versicherungen) sowie<br />
<strong>gegen</strong>über Behörden (z. B. Finanzamt, Besoldungs- und Versorgungsamt)<br />
zählen dazu. Diese und weitere tatsächliche Folgen<br />
einer Straßenumbenennung erfordern nicht nur einen gewissen<br />
Zeitaufwand, sondern verursachen auch Kosten; sind<br />
z. B. (große) Unternehmen (mit einem breiten Kundenstamm)<br />
betroffen, können <strong>die</strong> Folgekosten einer Straßenumbenennung<br />
für <strong>die</strong> betroffenen Straßenanlieger erheblich sein (Fall 3).<br />
Führt <strong>die</strong> Straßenumbenennung dazu, dass der vormals verwendete<br />
Name einer Persönlichkeit aus der Straßenbenennung<br />
verschwindet, kann <strong>die</strong> Änderung des Straßennamens als »ehrverletzender<br />
Akt« empfunden werden 34 .<br />
Die richtige Anschrift bzw. ihre korrekte Verwendung weist<br />
nicht nur tatsächliche Implikationen auf, sondern ist vielmehr<br />
rechtlicher Anknüpfungspunkt in etlichen Gesetzen und<br />
führt mitunter zu Verhaltenspflichten Betroffener. So löst jede<br />
Straßenumbenennung <strong>die</strong> bereits erwähnte Duldungspflicht<br />
des Grundstückseigentümers nach § 126 I 1 Nr. 2 BauGB aus;<br />
ist mit dem Vorgang eine Änderung der Nummerierung (d. h.<br />
<strong>die</strong> Zuteilung einer neuen Hausnummer) verknüpft (vgl. Fall<br />
1), unterliegt der Grundstückseigentümer zudem der in § 126<br />
III BauGB normierten Pflicht. Die Anschrift ist eine der Angaben<br />
im Personalausweisregister 35 und im Passregister 36 sowie<br />
im Melderegister 37 . Eine der Angaben im Personalausweis<br />
ist <strong>die</strong> Anschrift 38 . Ist eine Eintragung unrichtig (geworden),<br />
muss der Ausweisinhaber den Ausweis der Personalausweisbehörde<br />
unverzüglich vorlegen 39 . In vielen (amtlichen oder<br />
geschäftlichen) Formularen ist, wenn <strong>die</strong>se ausgefüllt werden,<br />
<strong>die</strong> Anschrift anzugeben; ein bekanntes Beispiel im privaten<br />
Bereich ist das Ausfüllen der Meldevordrucke in Beherbergungsstätten<br />
40 . Die Wahlberechtigung hängt unter anderem<br />
<strong>von</strong> der Eintragung in das Wählerverzeichnis ab; dessen Angaben<br />
sind in Bezug auf <strong>die</strong> Wahlbezirke nach Straßen und<br />
Hausnummern gegliedert 41 . Bei der Anmeldung der Eheschließung,<br />
um ein letztes Beispiel zu geben, müssen <strong>die</strong> Eheschließenden<br />
ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort<br />
durch öffentliche Urkunde nachweisen 42 . Unrichtige Angaben<br />
zur Wohnung können eine Ordnungswidrigkeit darstellen<br />
(§ 111 OWiG).<br />
3. Rechtsakt der Straßenumbenennung<br />
Die <strong>Umbenennung</strong> einer Straße stellt, analytisch betrachtet,<br />
einen zweigliedrigen Akt dar. Die Änderung des Straßennamens<br />
setzt zunächst <strong>die</strong> Beseitigung der bisherigen Straßenbenennung<br />
voraus; ist <strong>die</strong>ser Schritt getan, kommt es zur<br />
Neubenennung der betreffenden Straße 43 . Da <strong>die</strong> frühere Straßenbenennung<br />
einen Verwaltungsakt in Gestalt der sachbezogenen<br />
Allgemeinverfügung (§ 35 S. 2 Alt. 2 LVwVfG) darstellt<br />
(s. o. I. 3.), handelt es sich bei deren Beseitigung um <strong>die</strong> behördliche<br />
Aufhebung eines früheren Verwaltungsakts und um<br />
den Neuerlass eines Verwaltungsakts i. S. d. § 35 S. 2 Alt. 2<br />
LVwVfG.<br />
Dieses zweiaktige Vorgehen müsste sich bei der Ermittlung<br />
der Rechtsgrundlagen für Straßenumbenennungen niederschlagen.<br />
Spezialbestimmungen für <strong>die</strong> Straßenumbenennung<br />
enthalten weder das (Landes-)Straßenrecht noch das Gemeinderecht.<br />
Daraus wurde früher <strong>die</strong> Schlussfolgerung gezogen,<br />
dass der mit der Straßenumbenennung notwendig verbundene<br />
Akt der Aufhebung des bisherigen Namens nach Allgemeinem<br />
Verwaltungsrecht (§§ 48, 49 LVwVfG) zu erfolgen hat; da <strong>von</strong><br />
der Rechtmäßigkeit der früheren Straßenbenennung auszugehen<br />
ist und jene Verwaltungsentscheidung, wie erwähnt, kei-<br />
nen <strong>die</strong> Anlieger begünstigenden Verwaltungsakt darstellt, handelt<br />
es sich im Rechtssinne um einen im Ermessen der<br />
Gemeinde (Stadt) stehenden Widerruf gemäß § 49 I LVwVfG 44 .<br />
Die Straßenumbenennung erfolgt dann nach den Bestimmungen<br />
zur erstmaligen Straßenbenennung 45 . Neuerdings wird in<br />
der insoweit maßgeblichen Vorschrift eine Spezialregelung gesehen,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> Änderung einer bestehenden Regelung wesensmäßig<br />
in sich trage; da eine Straße aus zwingenden ordnungsrechtlichen<br />
Gründen nicht zeitweise namenlos werden dürfe<br />
und daher <strong>die</strong> isolierte Aufhebung eines Straßennamens im<br />
Wege einer Rücknahme (§ 48 I 1 LVwVfG) oder eines Widerrufs<br />
(§ 49 I LVwVfG) nicht in Betracht komme, könne nur durch<br />
eine Neubenennung der Straße der bisherige Straßenname aufgehoben<br />
werden 46 . Danach ist für eine Anwendung der allgemeinen<br />
Bestimmungen kein Raum. Diese Doktrin entspricht<br />
der in neuerer Zeit verbreiteten Rechtsprechungspraxis, als<br />
Rechtsgrundlage für eine Straßenumbenennung <strong>von</strong> vornherein<br />
<strong>die</strong> Vorschriften für <strong>die</strong> Straßenerstbenennung heranzuziehen<br />
47 . Sachliche Konsequenzen hat <strong>die</strong>se rechtsdogmatische<br />
Neukonstruktion nicht, da im Falle der Heranziehung des<br />
§ 49 I LVwVfG <strong>die</strong> Kautelen des § 49 II LVwVfG nicht zur<br />
Anwendung kämen.<br />
III. Zulässigkeit verwaltungsgerichtlichen <strong>Rechtsschutz</strong>es<br />
In den vier Fallbeispielen suchen durch <strong>die</strong> jeweilige Straßenumbenennung<br />
Betroffene um verwaltungsgerichtlichen <strong>Rechtsschutz</strong><br />
nach. Dass der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 I 1<br />
VwGO eröffnet ist, ist unproblematisch; dasselbe gilt für <strong>die</strong><br />
gerichtliche Zuständigkeit (§§ 45, 52 Nr. 1 VwGO). Geklärt ist<br />
<strong>die</strong> statthafte <strong>Rechtsschutz</strong>form; der Erläuterung bedürfen lediglich<br />
einige rechtskonstruktive Erwägungen (1.). Nach wie<br />
vor umstritten ist hin<strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Klage- bzw. Antragsbefugnis (2.);<br />
<strong>die</strong> dazu maßgeblichen Überlegungen gelten für <strong>die</strong> Widerspruchsbefugnis<br />
entsprechend, soweit das Widerspruchsverfahren<br />
landesrechtlich nicht abgeschafft ist.<br />
1. Statthafte <strong>Rechtsschutz</strong>form<br />
Nach nahezu einhelliger Auffassung stellt <strong>die</strong> <strong>von</strong> der Gemeinde<br />
(Stadt) beschlossene <strong>Umbenennung</strong> einer öffentlichen Stra-<br />
34 Dies am Beispiel <strong>von</strong> Fall 4 betonend Bäumler BayVBl 2010, 601 (602 f.).<br />
35 § 23 III Nr. 8 PAuswG (Sartorius I 255).<br />
36 § 21 II Nr. 8 PassG (Sartorius I 250).<br />
37 § 2 I Nr. 12 MRRG (Sartorius I 256); ergänzend treten Bestimmungen des<br />
LMeldeG hinzu.<br />
38 § 5 II Nr. 9 PAuswG. – Der Pass enthält nur <strong>die</strong> Angabe des Wohnortes (§ 4 I 2<br />
Nr. 9 PassG).<br />
39 § 27 I Nr. 1 PAuswG. – Parallele beim Pass: § 15 Nr. 1 PassG; zur Berichtigung<br />
des Melderegisters vgl. §§ 4 a, 9, 11 III MRRG.<br />
40 Dazu § 16 I MRRG und ergänzende Vorschriften im LMeldeG.<br />
41 § 14 BWahlG (Sartorius I 30) i. V. m. §§ 14 ff. BWahlO (Sartorius I 31); Grundlage<br />
ist das Melderegister, § 2 II Nr. 1 MRRG. – Entsprechendes gilt für Landtagswahlen,<br />
Kommunalwahlen und Wahlen zum Europäischen Parlament.<br />
42 § 12 II Nr. 2 PStG (Sartorius I 260 und Schönfelder Erg.-Bd. 113).<br />
43 BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 28 ? Schoch JK 3/11, VwVfG § 35 S. 2/10.<br />
44 BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; BayVGH BayVBl 1988, 496<br />
(497); OVG NW NJW 1987, 2695 (2696) ? Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35<br />
S. 2/6.<br />
45 Vgl. Nachw. oben Fn. 2 und 3 sowie 5.<br />
46 BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 28 ? Schoch JK 3/11, VwVfG § 35 S. 2/10<br />
(unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren Rechtsprechung, vgl. Fn. 44).<br />
47 VGH BW NVwZ 1992, 196 (197) = VBlBW 1992, 140 (142) ? Erichsen JK<br />
9/92, VwVfG § 35 S. 2/7; OVG Berlin LKV 1994, 298; OVG NW NVwZ-RR<br />
2008, 487 (488) = DÖV 2008, 296 = NWVBl 2008, 184 ? Schoch JK 8/08,<br />
VwVfG § 35 S. 2/9; OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122.<br />
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347
348<br />
GRUNDSTUDIUM <strong>Rechtsschutz</strong> <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> <strong>von</strong> Straßen Friedrich Schoch<br />
ße – wie <strong>die</strong> Erstbenennung einer Straße (s. o. I. 3.) – einen<br />
adressatlosen, sachbezogenen Verwaltungsakt in Gestalt der<br />
Allgemeinverfügung (§ 35 S. 2 Alt. 2 LVwVfG) dar 48 . Da das<br />
<strong>Rechtsschutz</strong>begehren in aller Regel auf <strong>die</strong> gerichtliche Aufhebung<br />
der <strong>Umbenennung</strong> (§ 113 I 1 VwGO) zielt 49 , ist <strong>die</strong><br />
Anfechtungsklage gemäß § 42 I VwGO im Hauptsacheverfahren<br />
<strong>die</strong> statthafte <strong>Rechtsschutz</strong>form. Diese Auffassung ist –<br />
ungeachtet des Disputs um das Konstrukt eines »adressatlosen«<br />
Verwaltungsakts 50 – zutreffend. In Fall 1, Fall 2 und Fall 4<br />
ist <strong>die</strong> Anfechtungsklage <strong>die</strong> statthafte Klageart.<br />
Bei einer genauen Untersuchung der »VA-Merkmale« 51 zeigen<br />
sich einige Besonderheiten: Als »Behörde« (vgl. § 1 II<br />
LVwVfG) hat nicht der Hauptverwaltungsbeamte (Bürgermeister,<br />
Oberbürgermeister), sondern das gemeinderechtlich zuständige<br />
Beschlussgremium (s. u. IV. 1. a) – grundsätzlich der<br />
(Gemeinde-)Rat – gehandelt. Die »Regelung« liegt nicht – wie<br />
bei der »klassischen« Verfügung (§ 35 S. 1 LVwVfG) – im behördlichen<br />
Erlass eines Verhaltensgebot oder -verbots <strong>gegen</strong>über<br />
einer bestimmten Person, sondern in der für den Rechtsverkehr<br />
verbindlichen, neuen Straßenbezeichnung. Sodann<br />
betrifft <strong>die</strong> Regelung im strengen Sinne nicht einen »Einzelfall«,<br />
sondern <strong>die</strong> »öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache«<br />
(§ 35 S. 2 Alt. 2 LVwVfG). Die »unmittelbare Rechtswirkung<br />
nach außen« ist dem Beschluss des Gremiums<br />
(Gemeinderat, Ausschuss, Bezirksvertretung etc.) zu attestieren,<br />
da es eines besonderen Vollzugsakts des (Ober-)Bürgermeisters<br />
nicht bedarf 52 ; <strong>die</strong> Veröffentlichung im Amtsblatt<br />
(oder in einem anderen anerkannten Publikationsorgan) stellt<br />
nur <strong>die</strong> für das Wirksamwerden (§ 43 I LVwVfG) der Allgemeinverfügung<br />
erforderliche Bekanntgabe (§ 41 LVwVfG) 53<br />
dar 54 , i. S. d. § 35 LVwVfG ist jedoch bereits der <strong>Umbenennung</strong>sbeschluss<br />
als solcher auf <strong>die</strong> unmittelbare Rechtswirkung<br />
»nach außen gerichtet«.<br />
Wird seitens eines Betroffenen vorläufiger <strong>Rechtsschutz</strong> begehrt,<br />
gilt auf Grund der Kollisionsregel gemäß § 123 V<br />
VwGO 55 der Vorrang der §§ 80, 80 a VwGO. Im vorliegenden<br />
Zusammenhang bedeutet <strong>die</strong>s, dass ein <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Straßenumbenennung<br />
erhobener Rechtbehelf (Widerspruch, Anfechtungsklage)<br />
gemäß § 80 I VwGO aufschiebende Wirkung entfalten<br />
kann 56 . Es ist unstrittig, dass auch ein Verwaltungsakt in<br />
Gestalt der Allgemeinverfügung in den Anwendungsbereich<br />
des § 80 I VwGO fällt, so dass <strong>die</strong> getroffene Regelung auf<br />
Grund der Anfechtung vorläufig suspen<strong>die</strong>rt wird 57 . Wird seitens<br />
der Gemeinde <strong>die</strong> sofortige Vollziehbarkeit der Allgemeinverfügung<br />
angeordnet (§ 80 II 1 Nr. 4, III 1 VwGO), ist der<br />
Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß<br />
§ 80 V 1 VwGO statthaft; das trifft in Fall 3 zu.<br />
2. Klagebefugnis (Antragsbefugnis)<br />
Besondere Sachentscheidungsvoraussetzung der Anfechtungsklage<br />
ist gemäß § 42 II VwGO <strong>die</strong> Klagebefugnis; <strong>die</strong> Vorschrift<br />
findet im Eilverfahren nach § 80 V 1 VwGO zur Ermittlung der<br />
Antragsbefugnis entsprechende Anwendung 58 . Die Klage (bzw.<br />
der Eilantrag) ist nur zulässig, wenn der Kläger (Antragsteller)<br />
geltend machen kann, durch den angegriffenen Verwaltungsakt<br />
in eigenen Rechten verletzt zu sein.<br />
a) Anforderungen an <strong>die</strong> Klagebefugnis (Antragsbefugnis)<br />
§ 42 II VwGO verfolgt (ebenso wie § 113 I 1 VwGO) das Konzept<br />
eines subjektiv-rechtlich ausgerichteten <strong>Rechtsschutz</strong>es.<br />
Ausgeschlossen werden damit Popularklagen ebenso wie Interessentenklagen<br />
bloß tatsächlich beschwerter Personen 59 . Letzteres<br />
bedeutet im vorliegenden Zusammenhang, dass <strong>die</strong> Kla-<br />
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Heft 5/2011 JURA<br />
gebefugnis (Antragsbefugnis) gemäß § 42 II VwGO (analog)<br />
nicht allein auf <strong>die</strong> mit einer Straßenumbenennung verbundenen<br />
tatsächlichen Belastungen Betroffener (s. o. II. 2.) gestützt<br />
werden kann. Ein »Recht« i. S. d. § 42 II VwGO ist ein subjektives<br />
öffentliches Recht; es hat eine rechtsnormative<br />
Grundlage und wird anhand der Schutznormlehre gewonnen<br />
60 .<br />
Das – möglicherweise verletzte – »eigene Recht« i. S. d. § 42 II<br />
VwGO kann nicht etwa in einem allgemeinen subjektiven<br />
Recht der Straßenanlieger oder sonstiger Betroffener <strong>gegen</strong>über<br />
der Gemeinde (Stadt) auf fehlerfreie Ermessensausübung bei<br />
der Straßenumbenennung gesehen werden 61 . Ein derartiges<br />
gleichsam »frei schwebendes« Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch<br />
gibt es nicht; <strong>die</strong> Entstehung eines solchen<br />
Rechts folgt den allgemeinen Regeln 62 , so dass eine materielle<br />
Rechtsposition vorhanden sein muss, d. h. eine Rechtsnorm,<br />
<strong>die</strong> zumindest auch dem Individualinteresse des Betroffenen zu<br />
<strong>die</strong>nen bestimmt ist 63 . Nur dann besteht – falls es sich bei der<br />
Ausgestaltung der Rechtsfolgenseite der betreffenden Norm um<br />
eine Ermessensbestimmung handelt – ein normativ ableitbarer<br />
Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Verwaltungsbehörde.<br />
Kein »eigenes Recht« i. S. d. § 42 II VwGO haben <strong>die</strong> Anlieger<br />
durch einen – angeblich – auf Grund der Erstbenennung<br />
einer Straße erlangten Status, der durch <strong>die</strong> Änderung (Straßenumbenennung)<br />
in rechtlich relevanter Weise berührt werde<br />
und deshalb <strong>die</strong> Gemeinde verpflichte, <strong>die</strong> sich aus der Änderung<br />
ergebenden nachteiligen Folgen für <strong>die</strong> Anlieger in <strong>die</strong><br />
48 VGH BW NJW 1981, 1749 (1750); VGH BW NVwZ 1992, 196 = VBlBW 1992,<br />
140 (141) ? Erichsen JK 9/92, VwVfG § 35 S. 2/7; BayVGH BayVBl 1988, 496;<br />
BayVGH NVwZ-RR 1996, 344 = BayVBl 1995, 726; BayVGH BayVBl 2010,<br />
599 Tz. 29 ? Schoch JK 3/11, VwVfG § 35 S. 2/10; OVG NW NJW 1987, 2695<br />
? Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6; OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 =<br />
DÖV 2008, 296 = NWVBl 2008, 184 ? Schoch JK 8/08, VwVfG § 35 S. 2/9;<br />
OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122; Sauthoff Öffentliche Straßen (Fn. 6)<br />
Rdn. 548.<br />
49 Vgl. <strong>die</strong> Praxisbeispiele Fall 1, Fall 2 und Fall 4. – Die Verpflichtungsklage,<br />
gerichtet auf Änderung des Straßennamens, spielt in der Praxis keine Rolle,<br />
auch nicht in den neuen Ländern nach der Herstellung der staatlichen Einheit<br />
Deutschlands; vgl. Ennuschat LKV 1993, 43 (47).<br />
50 Vgl. dazu oben I. 3.; zur »dinglichen Allgemeinverfügung« auch Kahl JURA<br />
2001, 505 (511); ohne <strong>die</strong> Floskel »adressatlos« <strong>die</strong> Straßenumbenennung<br />
zutreffend als Verwaltungsakt i. S. d. § 35 S. 2 Alt. 2 LVwVfG qualifizierend<br />
OVG Berlin LKV 1994, 298.<br />
51 Näher dazu Kahl JURA 2001, 505 (506 ff.); Ruffert in: Erichsen/Ehlers,<br />
AllgVwR (Fn. 14) § 21 Rdn. 14 ff.<br />
52 VGH BW NJW 1979, 1670 (1671) und NJW 1981, 1749 (1750); VG Stuttgart<br />
VBlBW 2007, 231 (234); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 35.<br />
53 Näher dazu Schoch JURA 2011, 23 ff.<br />
54 VGH BW NVwZ 1992, 196 = VBlBW 1992, 140 (141) ? Erichsen JK 9/92,<br />
VwVfG § 35 S. 2/7.<br />
55 Dazu Schoch in: Ehlers/Schoch (Hrsg.), <strong>Rechtsschutz</strong> im Öffentlichen Recht,<br />
2009, § 29 Rdn. 13.<br />
56 OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 = DÖV 2008, 296 = NWVBl 2008, 184 ?<br />
Schoch JK 8/08, VwVfG § 35 S. 2/9.<br />
57 Schoch in: ders./Schmidt-Aßmann/Bier, VwGO, § 80 (Bearb. März 2011)<br />
Rdn. 51.<br />
58 Schoch in: Ehlers/Schoch (Fn. 55) § 29 Rdn. 117.<br />
59 Ehlers in: Ehlers/Schoch (Fn. 55) § 22 Rdn. 36.<br />
60 Näher dazu Scherzberg in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR (Fn. 14) § 12 Rdn. 9 ff.,<br />
18 ff.<br />
61 So aber noch VGH BW NJW 1979, 1670 (1671) und NJW 1981, 1749 (1750);<br />
ferner Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 37; Sauthoff Öffentliche Straßen<br />
(Fn. 6) Rdn. 550.<br />
62 Scherzberg in: Erichsen/Ehlers, AllgVwR (Fn. 14) § 12 Rdn. 23.<br />
63 BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20 (21); OVG NW NJW 1987, 2695<br />
? Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6; OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122;<br />
Ennuschat LKV 1993, 43 (47).
JURA Heft 5/2011 Friedrich Schoch <strong>Rechtsschutz</strong> <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> <strong>von</strong> Straßen GRUNDSTUDIUM<br />
Ermessensentscheidung einzubeziehen 64 . Wenn <strong>die</strong> Erstbenennung<br />
der Straße kein Recht und keinen sonstigen rechtlich<br />
erheblichen Vorteil begründet, also keinen begünstigenden Verwaltungsakt<br />
zu Gunsten der Straßenanlieger darstellt 65 , kann<br />
<strong>die</strong> vormalige Namensgebung keinen »Status« schaffen, der<br />
den Straßenanliegern als rechtliche Begünstigung zugeordnet<br />
wird 66 .<br />
Bei einer ordnungsgemäßen (und nicht etwa ergebnisorientierten)<br />
Auslegung des § 42 II VwGO führt kein Weg daran<br />
vorbei, dass eine Schutznorm ermittelt werden muss, <strong>die</strong> im<br />
Falle der Straßenumbenennung den Interessen der Betroffenen<br />
(vor allem den Straßenanliegern) zu <strong>die</strong>nen bestimmt ist. Derartige,<br />
den Schutz Betroffener bezweckende Rechtsnormen<br />
können sich aus dem für <strong>die</strong> Straßenumbenennung maßgeblichen<br />
Verwaltungsrecht, ggf. aus dem Verfassungsrecht ergeben.<br />
b) Mögliche Schutznormen für Betroffene<br />
aa) Rechtsgrundlage für <strong>die</strong> Straßenbenennung<br />
Nach den straßenrechtlichen und gemeinderechtlichen Bestimmungen,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> gesetzlichen Grundlagen für <strong>die</strong> Straßenbenennung<br />
darstellen 67 , ist <strong>die</strong> Bezeichnung öffentlicher Straßen<br />
eine Angelegenheit der Gemeinde. Diese Regelungen<br />
<strong>die</strong>nen ausschließlich dem Interesse der Allgemeinheit in Bezug<br />
auf <strong>die</strong> Ordnungs- und Erschließungsfunktion öffentlicher<br />
Straßen 68 . Dabei soll es bei der Erstbenennung einer Straße<br />
auch bleiben. Im Fall der <strong>Umbenennung</strong> einer Straße seien<br />
jedoch <strong>die</strong> individuellen Interessen der Anwohner an der Beibehaltung<br />
des bisherigen Straßennamens im Rahmen der Abwägung<br />
zu berücksichtigen; ein solches Recht der Anwohner<br />
ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der<br />
Rechtsgrundlage zur Straßenumbenennung, jedoch könnten<br />
<strong>die</strong> Interessen der Anwohner in das Ermessen eingestellt werden,<br />
so dass jene Rechtsgrundlage ein subjektives Recht auf<br />
fehlerfreie Ermessensausübung vermittele 69 .<br />
Auf Grund <strong>die</strong>ser Logik konnte in Fall 1 <strong>die</strong> Klagebefugnis angenommen<br />
werden. Der VGH BW meidet indes eine rechtlich saubere Prüfung<br />
und spricht im Rahmen der Begründetheitsprüfung <strong>von</strong> einem Recht auf<br />
fehlerfreie Ermessensausübung, das gerichtlich durchsetzbar sei 70 .<br />
Überzeugend ist <strong>die</strong>se Rechtsauffassung kaum. Wenn <strong>die</strong><br />
gesetzlichen Bestimmungen zur Straßen(um)benennung nur<br />
öffentliche Belange schützen, kann ihnen keine drittschützende<br />
Wirkung attestiert und kein subjektives Recht der Straßenanlieger<br />
entnommen werden. Der Hinweis auf das Ermessen<br />
der Gemeinde bei der Straßen(um)benennung führt nicht weiter;<br />
ein Recht auf fehlerfreie Ermessensentscheidung besteht<br />
nicht etwa ungebunden, gleichsam für sich 71 . Im Ergebnis<br />
kommt <strong>die</strong> hier kritisierte Rechtsauffassung der – nicht haltbaren<br />
– Ansicht zur Existenz eines »frei schwebenden« Rechts<br />
auf fehlerfreien Ermessensgebrauch 72 nahe. Zwar wird im vorliegenden<br />
Zusammenhang das Ermessen der gesetzlichen Regelung<br />
zur Straßen(um)benennung bemüht, jedoch wird nicht<br />
gesagt, welches normative (Tatbestands-)Element in der einschlägigen<br />
Bestimmung den gesetzlich inten<strong>die</strong>rten Schutz der<br />
Straßenanlieger vermitteln soll. Das Ermessen selbst ist insoweit<br />
naturgemäß ohne normative Substanz.<br />
bb) Schutz des Grundeigentums (Art. 14 I 1 GG)<br />
Einigkeit besteht darüber, dass Art. 14 I 1 GG dem Grundstückseigentümer<br />
(und Straßenanlieger) kein »eigenes Recht«<br />
i. S. d. § 42 II VwGO zur Abwehr der Straßenumbenennung<br />
gewährt. Der bisherige Straßenname ist nicht Bestandteil des<br />
Grundeigentums, er gehört vielmehr nur zu den das Grundeigentum<br />
tatsächlich mitbestimmenden Gegebenheiten, auf<br />
deren Fortbestand der Grundstückseigentümer mangels entsprechender<br />
Inhaltsbestimmung (Art. 14 I 2 GG) kein Recht<br />
hat 73 . Unter dem Vorzeichen des eingerichteten und ausgeübten<br />
Gewerbebetriebs, dessen Schutz durch Art. 14 I 1 GG ohnehin<br />
offen ist, kann <strong>die</strong> Beibehaltung des Straßennamens und<br />
damit der Anschrift nur als verfassungsrechtlich nicht geschützte<br />
Chance qualifiziert werden 74 . Die über den Straßennamen<br />
mitbestimmte Adresse kann auch nicht als subjektives öffentliches<br />
Eigentumsrecht qualifiziert werden; das scheitert schon<br />
daran, dass es insoweit an einer eigenen Leistung des Grundstückseigentümers<br />
fehlt 75 .<br />
An <strong>die</strong>sem Ergebnis ändert sich auch nichts mit Blick auf<br />
<strong>die</strong> Folgelasten, <strong>die</strong> den Straßenanlieger bei einer Straßenumbenennung<br />
treffen (vgl. oben II. 2.). Soweit es um Kosten<br />
der Adressenänderung etc. geht, scheitert der Schutz durch<br />
Art. 14 I 1 GG schon deshalb, weil <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Straßenumbenennung<br />
betroffenen Vermögensinteressen vom Grundrechtstatbestand<br />
(»Eigentum«) nicht erfasst werden 76 .<br />
cc) Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I i. V. m. 1 I GG)<br />
Das verfassungsrechtlich durch Art. 2 I i. V. m. 1 I GG gewährleistete<br />
allgemeine Persönlichkeitsrecht 77 vermittelt ebenfalls<br />
kein subjektives Abwehrrecht <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Straßenumbenennung.<br />
Die durch <strong>die</strong> Straßenbezeichnung mitgeprägte Wohnanschrift<br />
gehört nicht zu dem durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />
geschützten Bereich privater Lebensgestaltung 78 . Die Anschrift<br />
gehört auch nicht zur Identität einer Person oder eines<br />
Unternehmens 79 . Schließlich ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />
durch <strong>die</strong> Straßenumbenennung unter dem Aspekt<br />
der persönlichen Ehre ebenfalls nicht betroffen 80 .<br />
In der Entscheidung zu Fall 2 hat das OVG NW <strong>die</strong> Hypothese<br />
aufgestellt, dass ein Straßenanlieger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht<br />
mittelbar dadurch beeinträchtigt sein könnte, dass <strong>die</strong> Gemeinde<br />
(Stadt) einen anstößigen neuen Straßennamen gewählt haben<br />
64 So aber – zu Fall 3 – OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 (488) = DÖV 2008, 296 =<br />
NWVBl 2008, 184; krit. dazu Schoch JK 8/08, VwVfG § 35 S. 2/9.<br />
65 Vgl. Nachw. hierzu oben Fn. 15 und Fn. 20.<br />
66 Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 37.4 kritisiert <strong>die</strong> Auffassung des OVG<br />
NW (Fn. 64) als »eklektizistische Position«.<br />
67 Vgl. Nachw. oben Fn. 2 und Fn. 3.<br />
68 OVG Berlin LKV 1994, 298; Rechtsauffassung bestätigend VerfGH Berlin LKV<br />
1997, 66; ferner OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 (488) = DÖV 2008, 296 =<br />
NWVBl 2008, 184; so auch noch VGH BW NJW 1979, 1670 (1671), korrigiert<br />
durch VGH BW NJW 1981, 1749 (1750); zuletzt BayVGH BayVBl 2010, 599<br />
Tz. 30 (zu Art. 52 I BayStrWG): ordnungsrechtliche Aufgabe im Interesse der<br />
Allgemeinheit an einer klar erkennbaren Gliederung des Gemeindegebiets mit<br />
Bedeutung u. a. für das Meldewesen, Polizei, Post, Feuerwehr, Rettungs<strong>die</strong>nst.<br />
69 VGH BW NVwZ 1992, 196 (197) = VBlBW 1992, 140 (142); BayVGH BayVBl<br />
1988, 496; BayVGH NVwZ-RR 1996, 344 (345) = BayVBl 1995, 726; in <strong>die</strong>sem<br />
Sinne auch Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 37.4.<br />
70 VGH BW NJW 1981, 1749 (1750).<br />
71 Ennuschat LKV 1993, 43 (47).<br />
72 Vgl. oben III. 2. a), Text zu Fn. 61.<br />
73 OVG NW NJW 1987, 2695 (2696); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 37.4.<br />
74 BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; BayVGH BayVBl 2010, 599<br />
Tz. 30.<br />
75 Ennuschat LKV 1993, 43 (46).<br />
76 VerfGH Berlin LKV 1997, 66.<br />
77 Näher dazu Germann JURA 2010, 734 ff.<br />
78 BVerwG NVwZ 1984, 36; OVG NW NJW 1987, 2695 (2696); Ennuschat LKV<br />
1993, 43 (46).<br />
79 BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; BayVGH BayVBl 2010, 599<br />
Tz. 30.<br />
80 Erichsen JK 3/88, VwVfG § 35 S. 2/6.<br />
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349
350<br />
GRUNDSTUDIUM <strong>Rechtsschutz</strong> <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> <strong>von</strong> Straßen Friedrich Schoch<br />
könnte, dessen Verwendung dem Betroffenen (Anwohner) als Teil seiner<br />
Anschrift nicht zumutbar wäre. Im konkreten Fall stellte das Gericht<br />
zutreffend fest, <strong>die</strong> Benennung einer Straße nach dem Schriftsteller<br />
Oscar Wilde sei offensichtlich nicht anstößig, auch wenn ein Straßenanlieger<br />
<strong>die</strong> Person <strong>die</strong>ses Schriftstellers aus persönlichen Gründen<br />
ablehne 81 .<br />
War eine Straße nach einer verstorbenen Persönlichkeit benannt,<br />
kann <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> <strong>die</strong>ser Straße das postmortale<br />
Persönlichkeitsrecht 82 jener Person beeinträchtigen. Wahrnehmungsberechtigte<br />
Angehörige bzw. Erben können durchaus<br />
Abwehransprüche geltend machen 83 . Das postmortale Persönlichkeitsrecht<br />
hat seine Grundlage in Art. 1 I GG; geschützt<br />
sind der allgemeine Achtungsanspruch, der jedem Menschen<br />
kraft seines Personseins auch nach dem Tod zusteht, sowie der<br />
sittliche personale und soziale Geltungswert, den <strong>die</strong> Person<br />
durch ihre Lebensleistung erworben hat 84 . Ist <strong>die</strong> Straßenumbenennung<br />
mit einem Angriff auf <strong>die</strong>se Schutzgüter verbunden,<br />
kann das postmortale Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt<br />
sein 85 .<br />
In der Entscheidung zu Fall 4 meinte der BayVGH, bei der Ehrung des<br />
früheren Landesbischofs durch <strong>die</strong> nach ihm im Jahr 1957 vorgenommene<br />
Straßenbenennung habe es sich nur um einen Rechtsreflex gehandelt,<br />
der keine Rechtsposition für den Namensgeber und dessen<br />
Erben begründe. Der Nebeneffekt »Ehrung« ändere nichts daran, dass<br />
<strong>die</strong> Straßenbenennung nur im öffentlichen Interesse der ordnungsrechtlich<br />
motivierten Identifizierbarkeit und Unterscheidbarkeit der<br />
Straße sowie der gemeindlichen Darstellung nach außen erfolgt sei 86 .<br />
– Diese Ausführungen gehen am Kern der aufgeworfenen Frage vorbei.<br />
Der gezielten Ehrung (tatsächlich oder vermeintlich) ver<strong>die</strong>nter Bürger<br />
lässt sich durchaus eine personale Qualität beimessen, <strong>die</strong> den sozialen<br />
Geltungswert einer Person schon deshalb verstärkt, weil <strong>die</strong> Straßenbenennung<br />
untrennbar mit ihrem Namen verbunden und zudem äußerst<br />
öffentlichkeitswirksam ist. Wird nun im Nachhinein z. B. auf der<br />
Grundlage falscher Tatsachenbehauptungen eine Straßenumbenennung<br />
vorgenommen, kann darin eine ehrverletzende amtliche Schlussfolgerung<br />
gesehen werden, <strong>die</strong> das postmortale Persönlichkeitsrecht<br />
verletzt 87 . Anlass für eine gründlichere Prüfung bot in Fall 4 <strong>die</strong> vom<br />
BayVGH wiedergegebene Aussage des Oberbürgermeisters in der<br />
Stadtratssitzung zur – angeblich oder tatsächlich – »zwiespältigen Rolle<br />
des Bischofs Meiser« 88 .<br />
dd) Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG)<br />
Lässt sich ein »eigenes Recht« i. S. d. § 42 II VwGO weder<br />
aus den straßenrechtlichen bzw. gemeinderechtlichen Bestimmungen<br />
zur Straßen(um)benennung noch aus speziellen Freiheitsgrundrechten<br />
ableiten, bleibt als möglicher normativer<br />
Anknüpfungspunkt nur <strong>die</strong> allgemeine Handlungsfreiheit<br />
(Art. 2 I GG). Die Auffassungen zur Tragfähigkeit <strong>die</strong>ses Ansatzpunktes<br />
sind geteilt.<br />
Die h. M 89 . sieht in der Straßenumbenennung keinen Eingriff<br />
in den Schutzbereich des Art. 2 I GG, wobei allerdings nicht<br />
ganz deutlich wird, ob schon <strong>die</strong> Eröffnung des Schutzbereichs<br />
verneint wird, weil der Grundrechtstatbestand nicht erfüllt ist,<br />
oder ob es an einem Eingriff fehlt. Die durch eine Straßenumbenennung<br />
bewirkten tatsächlichen Folgelasten und <strong>die</strong><br />
eventuell entstehenden Rechtspflichten (z. B. Unterrichtung<br />
<strong>von</strong> Behörden über <strong>die</strong> neue Anschrift) werden zwar nicht in<br />
Abrede gestellt, jedoch knüpften z. B. Mitteilungspflichten<br />
nicht an <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> als solche an, sondern an <strong>die</strong> eine<br />
Mitteilungspflicht begründenden Rechtsvorschriften; <strong>die</strong> tatsächlichen<br />
Folgen (z. B. Austausch der Visitenkarten, Unterrichtung<br />
der Bekannten über <strong>die</strong> geänderte Anschrift) seien im<br />
Rechtssinne bloße Belästigungen unterhalb der Eingriffsschwelle.<br />
Die Gegenauffassung 90 verweist auf den weiten Schutzbereich<br />
des Art. 2 I GG und sieht den Grundrechtseingriff be-<br />
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Heft 5/2011 JURA<br />
reits durch <strong>die</strong> Straßenumbenennung als solche bewirkt und<br />
nicht erst durch <strong>die</strong> daran anknüpfenden Mitteilungspflichten<br />
(z. B. des Personalausweis-, Pass- und Melderechts); rechtsdogmatisch<br />
sei der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 I GG<br />
zwar nur <strong>die</strong> mittelbare Folge der Straßenumbenennung, <strong>die</strong><br />
Namensänderung sei jedoch für den Grundrechtseingriff ursächlich<br />
und dem Hoheitsträger zurechenbar. Für <strong>die</strong>se Rechtsauffassung<br />
spricht <strong>die</strong> Kombination aus dem in der Tat weiten,<br />
auf den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit angelegten<br />
Schutzbereich des Art. 2 I GG 91 und dem modernen Eingriffsbegriff.<br />
Danach ist der Grundrechtsschutz nicht auf »klassische«<br />
Eingriffe beschränkt, sondern greift auch bei faktischen<br />
oder mittelbaren Freiheitsbeeinträchtigungen, wenn <strong>die</strong>se in<br />
der Zielsetzung und in ihren Wirkungen »klassischen« Eingriffen<br />
gleichkommen 92 . An der für <strong>die</strong> Grundrechtsbindung (Art. 1<br />
III GG) maßgeblichen eingriffsgleichen Wirkung einer hoheitlichen<br />
Maßnahme fehlt es nur, falls sich <strong>die</strong> mittelbaren Folgen<br />
als bloßer Reflex des Hoheitsaktes darstellen 93 . Da<strong>von</strong> kann bei<br />
der Straßenumbenennung kaum gesprochen werden; deren<br />
aufgezeigten faktischen und rechtlichen Folgen (s. o. II. 2.) sind<br />
zwangsläufige, unabweisbare und unvermeidbare Konsequenzen<br />
des Hoheitsaktes 94 und nicht etwa nur zufällige, unwesentliche<br />
und vernachlässigenswerte Begleiterscheinungen. Mit guten<br />
Gründen kann <strong>die</strong> Klagebefugnis (Antragsbefugnis) des<br />
<strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Straßenumbenennung gerichteten Rechtsbehelfs<br />
demnach auf Art. 2 I GG gestützt werden.<br />
In der Entscheidung zu Fall 2 ist das OVG NW der h. M. gefolgt und<br />
hat eine Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I<br />
GG) des D abgelehnt. Der Eingriff in <strong>die</strong> grundgesetzlich geschützte<br />
Freiheitssphäre bestehe allein in der Auferlegung <strong>von</strong> Mitteilungspflichten<br />
durch besondere gesetzliche Bestimmungen. Da<strong>gegen</strong> komme der<br />
Straßenumbenennung als solcher unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 I<br />
GG ein eigener Eingriffswert nicht zu 95 .<br />
ee) Fazit<br />
Die subjektive Berechtigung <strong>von</strong> Straßenanliegern und sonstigen<br />
Betroffenen zur möglichen Abwehr einer Straßenumbenennung<br />
ist unklar und umstritten. Die restriktivste<br />
Rechtsauffassung verneint <strong>die</strong> Klagebefugnis (Antragsbefugnis)<br />
81 OVG NW NJW 1987, 2695 (2696).<br />
82 Dazu Petersen JURA 2008, 271 ff.<br />
83 BGHZ 165, 203 = NJW 2006, 605 Tz. 11 ? Coester-Waltjen JK 6/06, BGB § 823<br />
I/14; BGH NJW 2007, 684 Tz. 11.<br />
84 BVerfGE 30, 173 (194); BVerfG-K NJW 2001, 594; NVwZ 2008, 549.<br />
85 Mit der Beeinträchtigung steht der Verfassungsverstoß fest, weil Art. 1 I GG<br />
einer Abwägung entzogen ist; BVerfG-K NJW 2001, 2957 (2959) ? Schoch JK<br />
01, GG Art. 5 I 1/31; BVerfG-K NJW 2006, 3409.<br />
86 BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 32.<br />
87 Bäumler BayVBl 2010, 601 (602 f.).<br />
88 BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 41.<br />
89 VerfGH Berlin LKV 1997, 66; OVG Berlin LKV 1994, 298; OVG NW NJW<br />
1987, 2695 (2696); OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 f. = DÖV 2008, 296 =<br />
NWVBl 2008, 184; Ennuschat LKV 1993, 43 (46).<br />
90 OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122 (123); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap.<br />
Rdn. 37.4.<br />
91 BVerfGE 80, 137 (152 ff.), m. Bespr. Kunig JURA 1990, 523 ff.; BVerfGE 90, 145<br />
(171) ? Kunig JK 94, GG Art. 2 I/26; BVerfG-K DVBl 2002, 1265 = NJW 2002,<br />
2378 ? Schoch JK 11/02, GG Art. 2 I/36.<br />
92 BVerfGE 113, 63 (76); BVerfG-K DVBl 2009, 1440 (1441) = NVwZ 2009, 1486<br />
(1487); BVerwGE 131, 171 Tz. 15; NdsOVG NVwZ-RR 2010, 639 (640); w.<br />
Nachw. bei Schoch NVwZ 2011, 193 (195).<br />
93 BVerfGE 116, 202 (222); BVerwG DVBl 2006, 387 (389) = NJW 2006, 1303<br />
(1304).<br />
94 Weitere Beispiele: Meldepflichten nach §§ 24 VI 1 Nr. 1, 24 a Nr. 7 WPflG<br />
(Sartorius I 620) und § 23 II 1 ZDG (Sartorius I 625).<br />
95 OVG NW NJW 1987, 2695 (2696).
JURA Heft 5/2011 Friedrich Schoch <strong>Rechtsschutz</strong> <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> <strong>von</strong> Straßen GRUNDSTUDIUM<br />
gemäß § 42 II VwGO (analog), weil <strong>die</strong> straßenrechtliche bzw.<br />
gemeinderechtliche Ermächtigungsnorm zur Straßen(um)benennung<br />
nur öffentliche Belange und nicht auch private<br />
(Dritt-)Interessen schütze und Grundrechte nicht einschlägig<br />
seien 96 . Diesem weithin als misslich empfundenen Ergebnis<br />
versucht <strong>die</strong> Rechtsprechung auf unterschiedlichem Wege zu<br />
begegnen. Nicht tragfähig ist <strong>die</strong> These, durch <strong>die</strong> Erstbenennung<br />
der Straße erlangten <strong>die</strong> Anlieger einen »Status«, der ihnen<br />
bei der <strong>Umbenennung</strong> der Straße einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie<br />
Entscheidung verleihe (so OVG NW zu Fall<br />
3); da <strong>die</strong> Straßenbenennung keinen individuelle Rechte begründenden<br />
Verwaltungsakt, sondern eine Allgemeinverfügung<br />
i. S. d. § 35 S. 2 Alt. 2 LVwVfG darstellt, kann sie einen subjektivrechtlichen<br />
»Status« nicht verleihen. Angreifbar ist auch der<br />
Versuch, ein Recht auf fehlerfreie Ermessensentscheidung den<br />
Rechtsgrundlagen zur Straßen(um)benennung entnehmen zu<br />
wollen (so VGH BW zu Fall 1, ebenso <strong>die</strong> Rechtsprechung des<br />
BayVGH), da <strong>die</strong> maßgeblichen straßenrechtlichen bzw. gemeinderechtlichen<br />
Bestimmungen anerkanntermaßen nur objektiv-rechtlich<br />
wirken und das Ermessen als solches (d. h. ohne<br />
entsprechende normative Prägung) subjektive Rechte nicht zu<br />
begründen vermag.<br />
Am tragfähigsten ist vor <strong>die</strong>sem Hintergrund der Rückgriff<br />
auf Art. 2 I GG; wird der weite Schutzbereich der allgemeinen<br />
Handlungsfreiheit ernst genommen und der moderne Begriff<br />
des Grundrechtseingriffs beachtet, bestehen <strong>gegen</strong>über der<br />
rechtskonstruktiven Herleitung eines Abwehrrechts der Anlieger<br />
<strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> »ihrer« Straße keine Bedenken.<br />
Rechtsdogmatisch fungieren <strong>die</strong> straßenrechtlichen und gemeinderechtlichen<br />
Bestimmungen zum Recht der Gemeinde<br />
auf Straßen(um)benennung als Teil der »verfassungsmäßigen<br />
Ordnung« gemäß Art. 2 I GG als Grundrechtsschranke. Im<br />
Ergebnis wird dadurch erreicht, dass bei der Anwendung jener<br />
Gesetzesbestimmungen ein Eingriff in <strong>die</strong> allgemeine Handlungsfreiheit<br />
nur gerechtfertigt ist, wenn <strong>die</strong> Straßenumbenennung<br />
ermessensfehlerfrei erfolgt ist.<br />
Geht es um <strong>die</strong> »Abschaffung« einer Straßenbezeichnung,<br />
<strong>die</strong> auf dem Namen einer verstorbenen Person basiert, kann das<br />
postmortale Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt sein. Die dazu<br />
augenblicklich vorliegende Rechtsprechung (vgl. BayVGH zu<br />
Fall 4) dürfte das letzte Wort noch nicht gesprochen haben.<br />
IV. Rechtmäßigkeitsanforderungen an <strong>die</strong> Straßenumbenennung<br />
Die <strong>Umbenennung</strong> einer Straße unterliegt formellen und materiellen<br />
Rechtmäßigkeitsanforderungen. Diese markieren – soweit<br />
eine Klage <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> Straßenumbenennung für zulässig<br />
erachtet wird – zugleich <strong>die</strong> Voraussetzungen für <strong>die</strong> Begründetheit<br />
der Anfechtungsklage (§ 113 I 1 VwGO). Entsprechendes<br />
gilt für <strong>die</strong> Begründetheit eines Eilantrags gemäß § 80 V 1<br />
VwGO 97 .<br />
1. Formelle Rechtmäßigkeit<br />
a) Zuständigkeit<br />
Das Recht zur Straßen(um)benennung ist, wie erwähnt, den<br />
Gemeinden zugewiesen. Damit ist <strong>die</strong> Verbandskompetenz<br />
bestimmt. Zu klären bleibt <strong>die</strong> Organkompetenz; <strong>die</strong>se ist in<br />
den Ländern unterschiedlich geregelt. Dennoch lassen sich<br />
einige generelle Feststellungen treffen. So ist in manchen Ländern<br />
das zuständige Organ für <strong>die</strong> Entscheidung zur Straßen(um)benennung<br />
ausdrücklich festgelegt: <strong>die</strong> Gemeindever-<br />
tretung (d. h. der Gemeinderat) ohne Übertragungsmöglichkeit<br />
auf ein anderes Organ 98 . Der Hauptverwaltungsbeamte (Bürgermeister)<br />
scheidet als zuständiges Organ aus; <strong>die</strong> (Um-)Benennung<br />
<strong>von</strong> Straßen ist ihm nicht ausdrücklich zugewiesen,<br />
und ein »Geschäft der laufenden Verwaltung« läge nur bei<br />
häufig bzw. regelmäßig wiederkehrenden Angelegenheiten ohne<br />
allzu weitreichende Bedeutung vor 99 , was hier nicht der Fall<br />
ist 100 . Deshalb ist – auch ohne ausdrückliche Regelung – grundsätzlich<br />
der (Gemeinde-)Rat für <strong>die</strong> Straßen(um)benennung<br />
zuständig 101 .<br />
Von <strong>die</strong>sem Grundsatz kann es Abweichungen geben. In<br />
Ländern mit (gemeindeinterner) Ortschafts- bzw. Bezirksverfassung<br />
kann kraft Gesetzes bzw. auf Grund einer Entscheidung<br />
des (Gemeinde-)Rates eine andere Organzuständigkeit<br />
bestehen. So beschließt in Nordrhein-Westfalen in den kreisfreien<br />
Städten <strong>die</strong> Bezirksvertretung über <strong>die</strong> (Um-)Benennung<br />
<strong>von</strong> Straßen (§ 37 I GO NW) 102 . In Baden-Württemberg<br />
kann in <strong>die</strong>ser Angelegenheit der Ortschaftsrat entscheiden;<br />
Voraussetzung hierfür ist allerdings eine Aufgabenübertragung<br />
seitens des Gemeinderates durch <strong>die</strong> Hauptsatzung (§ 70 II 1<br />
GemO BW) 103 .<br />
b) Verfahren<br />
Zum Verfahren der Straßenumbenennung steht <strong>die</strong> Frage nach<br />
der Anhörung Betroffener gemäß § 28 I LVwVfG 104 im Vordergrund<br />
des Interesses. Unterbleibt <strong>die</strong> Anhörung, wird darin<br />
vereinzelt ein Verfahrensfehler gesehen, der allerdings durch<br />
Nachholung der Anhörung geheilt werden könne 105 . Richtig ist<br />
das nicht. Da es sich bei der Straßenumbenennung um eine<br />
Allgemeinverfügung handelt, kann <strong>von</strong> einer Anhörung gemäß<br />
§ 28 II Nr. 4 LVwVfG abgesehen werden 106 .<br />
Über <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> einer Straße entscheidet der (Gemeinde-)Rat<br />
(bzw. <strong>die</strong> Bezirksvertretung oder der Ortschaftsrat)<br />
durch Beschluss. Diesem Beschluss muss ein gemeinderechtlich<br />
ordnungsgemäßes Verfahren vorausgehen; hierfür<br />
gelten <strong>die</strong> allgemeinen kommunalrechtlichen Vorschriften<br />
des jeweiligen Landesrechts. Besonders hervorzuheben ist<br />
das Erfordernis einer öffentlichen Sitzung des Gremiums; <strong>die</strong><br />
Öffentlichkeit kann nach Gemeinderecht nur aus Gründen des<br />
öffentlichen Wohls oder zum Schutz berechtigter Interessen<br />
Einzelner ausgeschlossen werden 107 . Eine derartige Ausnahme<br />
kann im Fall der Straßenumbenennung nicht angenommen<br />
96 VerfGH Berlin LKV 1997, 66; OVG Berlin LKV 1994, 298.<br />
97 Zum Entscheidungsmaßstab im sog. Aussetzungsverfahren näher Schoch in:<br />
Ehlers/Schoch (Fn. 55) § 29 Rdn. 135 ff., 143 ff.<br />
98 § 28 II 1 Nr. 13 BbgKVerf; § 40 I Nr. 2 NdsGO; § 44 III Nr. 14 GO LSA. – In<br />
Hamburg werden <strong>die</strong> »öffentlichen Wege« vom Senat benannt und <strong>von</strong> der<br />
Wegeaufsichtsbehörde entsprechend gekennzeichnet (§ 20 I HbgWG); in Berlin<br />
entscheidet <strong>die</strong> Senatsverwaltung für Verkehr, vgl. VerfGH Berlin LKV<br />
1997, 66.<br />
99 Schmidt-Aßmann/Röhl in: Schmidt-Aßmann/Schoch (Hrsg.), Besonderes<br />
Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, 1. Kap. Rdn. 74.<br />
100 Ennuschat LKV 1993, 43 (44).<br />
101 VGH BW NVwZ 1992, 196 (197) = VBlBW 1992, 140 (142); VG Stuttgart<br />
VBlBW 2007, 231 (234).<br />
102 OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 = DÖV 2008, 296 = NWVBl 2008, 184.<br />
103 VGH BW NVwZ 1992, 196 (197) = VBlBW 1992, 140 (142).<br />
104 Näher dazu Schoch JURA 2006, 833 ff.<br />
105 OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122 (123).<br />
106 BayVGH BayVBl 1988, 496; BayVGH NVwZ-RR 1996, 344 = BayVBl 1995,<br />
726; Ennuschat LKV 1993, 43 (45); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap.<br />
Rdn. 37.1.<br />
107 § 35 I GemO BW; Art. 52 II BayGO; § 36 II BbgKVerf; § 52 I HessGO; § 29 V<br />
KV MV; § 45 NdsGO; § 48 II GO NW; § 35 I GemO RP; § 40 I SaarlKSVG; § 37<br />
I SächsGemO; § 50 I u. II GO LSA; § 35 I GO SH; § 40 I ThürKO.<br />
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351
352<br />
GRUNDSTUDIUM <strong>Rechtsschutz</strong> <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> <strong>von</strong> Straßen Friedrich Schoch<br />
werden. Wurde der Beschluss in nichtöffentlicher Sitzung gefasst,<br />
ist er formell rechtswidrig, und eine zulässige Klage ist<br />
begründet 108 .<br />
c) Sonstige Rechtmäßigkeitsanforderungen<br />
Der Entscheidung über <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> einer Straße muss<br />
nicht nur ein ordnungsgemäßes Verfahren vorangegangen sein,<br />
auch <strong>die</strong> Beschlussfassung als solche muss den gemeinderechtlichen<br />
Vorschriften 109 entsprechen. Sodann verlangt <strong>die</strong><br />
Wirksamkeit der Straßenumbenennung eine ordnungsgemäße<br />
Bekanntgabe der getroffenen Verwaltungsentscheidung; falls<br />
dazu keine speziellen Regelungen getroffen sind 110 , gilt für<br />
<strong>die</strong> Allgemeinverfügung nach Allgemeinem Verwaltungsrecht,<br />
dass sie öffentlich bekannt gegeben werden darf, wenn eine<br />
Bekanntgabe an <strong>die</strong> Beteiligten untunlich ist (§ 41 III 2<br />
LVwVfG) 111 .<br />
Diese Art der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts hat Folgen<br />
für <strong>die</strong> Frage der Begründung. An sich unterliegen Verwaltungsakte<br />
dem Begründungsgebot des § 39 I LVwVfG 112 . Einer<br />
Begründung bedarf es allerdings nicht, wenn eine Allgemeinverfügung<br />
öffentlich bekannt gegeben wird (§ 39 II Nr. 5<br />
LVwVfG). Dies gilt auch für <strong>die</strong> Straßen(um)benennung 113 .<br />
2. Materielle Rechtmäßigkeit<br />
Eine Straßenumbenennung steht im gemeindlichen (behördlichen)<br />
Ermessen. Da mit der <strong>Umbenennung</strong> nicht <strong>die</strong> Aufhebung<br />
eines begünstigenden Verwaltungsakts einhergeht 114 ,<br />
besteht eine weitgehende Gestaltungskompetenz der Gemeinde<br />
bei der Auswechslung eines alten Straßennamens durch eine<br />
neue Bezeichnung. Zu beachten sind nur <strong>die</strong> allgemeinen<br />
gesetzlichen Grenzen des Ermessens (§ 40 LVwVfG) 115 . Bedeutung<br />
hat vor allem der Zweck der Ermächtigung (innere<br />
Ermessensgrenze). Ausgehend <strong>von</strong> der Ordnungs- und Erschließungsfunktion<br />
der Straßenbezeichnung 116 muss bei der<br />
Straßen(um)benennung darauf geachtet werden, dass <strong>die</strong><br />
anliegenden Gebäude und Einrichtungen leicht auffindbar<br />
sind 117 . Daraus erklärt sich das Verbot gleichlautender Benennungen<br />
innerhalb einer Gemeinde 118 . Wird <strong>die</strong>ser Aspekt nicht<br />
beachtet, verfehlt <strong>die</strong> Straßenbezeichnung ihren Zweck; umgekehrt<br />
kann – etwa nach einer Gebietsveränderung (z. B. Eingemeindung<br />
einer anderen Gemeinde) – <strong>die</strong> Beseitigung einer<br />
entstandenen Mehrfachbenennung der tragende Grund für<br />
<strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> einer der betroffenen Straßen sein.<br />
In der Entscheidung zu Fall 1 hat der VGH BW <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> des<br />
Fußwegs in »Remchinger Weg« anhand des Kontrollmaßstabs gemäß<br />
§ 114 S. 1 VwGO beanstandet und der Klage stattgegeben. Die gewählte<br />
Benennung sei mit der »Remchinger Straße« wenn nicht gleichlautend,<br />
so doch in hohem Maße verwechselbar 119 . – Dem<strong>gegen</strong>über war in Fall 2<br />
<strong>die</strong> Beseitigung der entstandenen Verwechslungsgefahr leitend für <strong>die</strong><br />
Straßenumbenennung und damit fehlerfrei 120 .<br />
Waren mit der früheren Straßenbezeichnung <strong>die</strong> Pflege örtlicher<br />
Traditionen bzw. <strong>die</strong> Ehrung ver<strong>die</strong>nter Bürger verbunden,<br />
treten bei der Straßenumbenennung weitere Ermessensgesichtspunkte<br />
hinzu. Soweit geschichtliche Fakten <strong>die</strong><br />
Namensgebung prägen, muss <strong>die</strong> neue Bezeichnung der »historischen<br />
Wahrheit« entsprechen 121 . Erweist sich ein Bürger<br />
der Ehrung einer nach ihm benannten Straße im Nachhinein<br />
als »unwürdig«, anerkennt <strong>die</strong> Rechtsprechung ein legitimes<br />
<strong>Umbenennung</strong>sinteresse schon dann, wenn <strong>die</strong> Gemeinde<br />
(Stadt) nicht in eine öffentliche Diskussion um das Geschichtsbild<br />
der betreffenden Person hineingezogen werden will; <strong>die</strong>s<br />
sei – unter dem Aspekt der Willkürkontrolle – ein sachgerechter<br />
Grund, der <strong>die</strong> Ermessensentscheidung trage 122 .<br />
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Heft 5/2011 JURA<br />
In der Entscheidung zu Fall 4 hat es der BayVGH als sachgerecht und<br />
damit ermessensfehlerfrei erachtet, dass sich <strong>die</strong> Stadt aus einer fortwährenden<br />
öffentlichen Diskussion über <strong>die</strong> Person des ehemaligen<br />
Landesbischofs heraushalten wollte. Der damaligen, nur wenige Monate<br />
nach dem Tod <strong>von</strong> Bischof Meiser (1956) erfolgten Straßenbenennung<br />
(1957) habe noch keine gefestigte Ansicht zum Leben und Wirken<br />
des ehemaligen Landesbischofs zu Grunde liegen können. Wenn darüber<br />
nun eine heftige Diskussion geführt werde, sei es ein legitimes<br />
Interesse der Stadt, sich aus solchen fortdauernden Debatten anlässlich<br />
einer Straßenumbenennung heraushalten zu können 123 . – Danach<br />
kommt es auf <strong>die</strong> inhaltliche Richtigkeit der Vorwürfe und Kritik, <strong>die</strong><br />
an dem vormals Geehrten geäußert werden, nicht an; allein der Umstand,<br />
dass öffentlich Kontroversen um <strong>die</strong> betreffende Person ausgetragen<br />
werden, rechtfertigt <strong>die</strong> Straßenumbenennung.<br />
Unabhängig <strong>von</strong> den kommunalpolitischen Erwägungen, <strong>die</strong><br />
bei Beachtung der Ermessensgrenzen verwaltungsgerichtlich<br />
zu respektieren sind (§ 114 S. 1 VwGO), wird den Interessen<br />
der Straßenanlieger bei der Ermessensbetätigung nur ein geringes<br />
Gewicht beigemessen. Die Kostentragung (als Folge der<br />
Straßenumbenennung) wird in aller Regel als zumutbar eingestuft,<br />
zumal bei einer vorherigen (Um-)Benennung der Straße,<br />
<strong>die</strong> bereits mehrere Jahrzehnte zurückliegt 124 . Ob der neue Straßenname<br />
aus der Sicht eines Anliegers »EDV-gerecht« ist, wird<br />
als unmaßgeblich erachtet 125 . Geprüft wird, ob der gewählte<br />
neue Straßenname »anstößig« und daher für <strong>die</strong> Anwohner<br />
unzumutbar ist 126 ; eine derartige Unzumutbarkeit kommt nur<br />
in extremen Ausnahmefällen in Betracht und spielt in der Praxis<br />
– bislang – keine Rolle.<br />
In der Entscheidung zu Fall 3 war es nach Auffassung des OVG NW<br />
legitim, dass es <strong>die</strong> Stadt durch <strong>die</strong> Straßenumbenennung vermeiden<br />
wollte, in <strong>die</strong> Diskussion um das Geschichtsbild des R hineingezogen zu<br />
werden. Diesem anerkennenswerten Interesse standen, so das Gericht,<br />
unzumutbare <strong>gegen</strong>läufige geschützte Interessen <strong>von</strong> U nicht ent<strong>gegen</strong>.<br />
Die »Umstellungskosten« zählten zu den gelegentlich eintretenden<br />
108 Einen derartigen Fall aus der Praxis bietet VGH BW NVwZ 1992, 196 =<br />
VBlBW 1992, 140 ? Erichsen JK 9/92, VwVfG § 35 S. 2/7.<br />
109 § 37 GemO BW; Art. 51 I BayGO; §§ 38, 39 BbgKVerf; §§ 53, 54 HessGO;<br />
§§ 30, 31 KV MV; §§ 46, 47 NdsGO; §§ 49, 50 GO NW; §§ 39, 40 GemO RP;<br />
§§ 44, 45 SaarlKSVG; § 39 SächsGemO; §§ 53, 54 GO LSA; §§ 38, 39 GO SH;<br />
§ 39 I ThürKO.<br />
110 Nach § 5 II 1 BlnStrG ist <strong>die</strong> Straßen(um)benennung im Amtsblatt für Berlin<br />
bekannt zu machen. – Gemeinderechtlich gelten <strong>die</strong> Bestimmungen zur Bekanntmachung<br />
<strong>von</strong> Gremienbeschlüssen.<br />
111 Vgl. dazu Schoch JURA 2011, 23 (26).<br />
112 Einzelheiten dazu bei Schoch JURA 2005, 757 ff.<br />
113 BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 29.<br />
114 Vgl. oben Text zu Fn. 20 und zu Fn. 60.<br />
115 Zum verwaltungsbehördlichen Ermessen Schoch JURA 2004, 462 ff.; zum<br />
»inten<strong>die</strong>rten Ermessen« ders. JURA 2010, 358 ff.<br />
116 Vgl. oben I. 2. (Text zu Fn. 6).<br />
117 VGH BW NVwZ 1992, 196 (198) = VBlBW 1992, 140 (143); BayVGH BayVBl<br />
1988, 496 (497) und BayVBl 2010, 599 Tz. 31.<br />
118 Vgl. oben I. 3. (Text zu Fn. 17 und Fn. 18).<br />
119 VGH BW NJW 1981, 1749 (1750).<br />
120 Das OVG NW prüfte <strong>die</strong>sen Gesichtspunkt erst gar nicht, da es schon <strong>die</strong><br />
subjektive Betroffenheit des D verneinte, NJW 1987, 2695.<br />
121 Darüber hatte der VGH BW NVwZ 1992, 196 (198) = VBlBW 1992, 140 (143)<br />
anlässlich der nach einem Schloss erfolgenden Straßenbezeichnung zu befinden.<br />
122 BayVGH NVwZ-RR 1996, 344 (345) = BayVBl 1995, 726 (727); BayVGH<br />
BayVBl 2010, 599 Tz. 41 ff.; OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 (488) = DÖV<br />
2008, 296 = NWVBl 2008, 184 (185).<br />
123 BayVGH BayVBl 2010, 599 Tz. 42; krit. Bäumler BayVBl 2010, 601 (603).<br />
124 Exemplarisch BayVGH NVwZ-RR 1996, 344 (345) = BayVBl 1995, 726 (727):<br />
»Die Kosten für <strong>die</strong> Änderung der Anschrift sind nicht außergewöhnlich; <strong>die</strong><br />
letzte <strong>Umbenennung</strong> der Straße liegt mehr als 50 Jahre zurück, jeder Bürger<br />
muss mit einer Änderung des Straßennamens in einem solchen Zeitraum<br />
vernünftigerweise rechnen.«<br />
125 Sauthoff Öffentliche Straßen (Fn. 6) Rdn. 550.<br />
126 Vgl. oben Fn. 18.
JURA Heft 5/2011 Friedrich Schoch <strong>Rechtsschutz</strong> <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> <strong>von</strong> Straßen GRUNDSTUDIUM<br />
Kosten des allgemeinen Geschäftsbetriebs. Erfolge eine Straßenumbenennung<br />
nach 45 Jahren, sei <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Namensänderung hervorgerufene<br />
Kostenbelastung zumutbar 127 .<br />
V. Annex: Zuteilung einer (neuen) Hausnummer<br />
Die <strong>Umbenennung</strong> einer Straße ist bisweilen mit der Zuteilung<br />
einer neuen Hausnummer verknüpft 128 ; dann liegt ein Fall der<br />
Umnummerierung vor. Die Zuteilung einer neuen Hausnummer<br />
kann aber auch unabhängig <strong>von</strong> einer neuen Straßenbezeichnung<br />
(z. B. weil Baulücken geschlossen werden und nun<br />
neu »durchgezählt« werden soll) erfolgen 129 . Bei der erstmaligen<br />
Herstellung einer Straße ist eine sog. Neunummerierung<br />
angezeigt 130 .<br />
1. Funktion der Nummerierung und Zuteilung einer Hausnummer<br />
Die Bezeichnung der Grundstücke nach Straße und Hausnummer<br />
verfolgt eine ordnungsrechtliche Aufgabe, <strong>die</strong> ausschließlich<br />
dem Interesse der Allgemeinheit an einer klar erkennbaren<br />
Gliederung des Gemeindegebietes <strong>die</strong>nt; sie hat – ungeachtet<br />
der besseren Orientierungsmöglichkeiten <strong>von</strong> Privatpersonen –<br />
im amtlichen Bereich Bedeutung u. a. für das Meldewesen und<br />
<strong>die</strong> Polizei sowie für <strong>die</strong> Feuerwehr und den Rettungs<strong>die</strong>nst 131 .<br />
Allen, <strong>die</strong> darauf angewiesen sind, wird das Auffinden <strong>von</strong><br />
bebauten Grundstücken durch <strong>die</strong> Hausnummern ermöglicht<br />
und erleichtert 132 .<br />
Die amtliche Zuteilung einer (neuen) Hausnummer stellt<br />
einen Verwaltungsakt dar; <strong>die</strong>ser löst <strong>die</strong> Pflicht des betroffenen<br />
Eigentümers aus, sein Grundstück mit der festgesetzten<br />
Hausnummer zu versehen (§ 126 III 1 BauGB) 133 . Insoweit<br />
handelt es sich um eine personenbezogene Einzelfallregelung<br />
(§ 35 S. 1 LVwVfG); <strong>von</strong> einem sachbezogenen Regelungsgehalt<br />
(§ 35 S. 2 Alt. 2 LVwVfG) kann gesprochen werden, soweit<br />
das betreffende Grundstück durch <strong>die</strong> Hausnummer einer<br />
bestimmten Straße zugeordnet wird 134 .<br />
Die konkrete Festsetzung der Hausnummer kann vom<br />
(Ober-)Bürgermeister vorgenommen werden, einer Beschlussfassung<br />
des Gemeinderates bedarf es nicht 135 . Die Organkompetenz<br />
des Hauptverwaltungsbeamten kann darauf gestützt<br />
werden, dass es sich bei der Wahrnehmung <strong>die</strong>ser Aufgabe<br />
um ein »Geschäft der laufenden Verwaltung« 136 handelt. Mitunter<br />
bestehen in der Gemeinde Richtlinien des (Gemeinde-)Rates,<br />
nach denen <strong>die</strong> Hausnummernzuteilung zu praktizieren<br />
ist. Unschädlich ist es, wenn der (Gemeinde-)Rat mit der<br />
<strong>Umbenennung</strong> einer Straße zugleich <strong>die</strong> notwendig werdende<br />
Zuteilung neuer Hausnummern entscheidet 137 .<br />
2. Rechtsgrundlagen für <strong>die</strong> Zuteilung <strong>von</strong> Hausnummern<br />
Die Anordnung, mit der eine bestimmte Nummer für ein Hausgrundstück<br />
vergeben wird, kann nicht auf § 126 III 1 Nr. 2<br />
BauGB gestützt werden. Diese bundesgesetzliche Bestimmung<br />
regelt lediglich <strong>die</strong> Verpflichtung des Grundstückseigentümers<br />
zur Duldung des Anbringens <strong>von</strong> Hausnummernschildern,<br />
normiert aber keine behördliche Befugnis zur amtlichen Zuteilung<br />
der Nummern 138 . Insoweit ist das Landesrecht maßgeblich<br />
(§ 126 III 2 BauGB).<br />
Etliche Länder haben in ihrem Recht spezielle Bestimmungen<br />
zur Vergabe <strong>von</strong> Hausnummern (bis hin zur Kostentragung)<br />
getroffen 139 . Diese Regelungen finden unabhängig da<strong>von</strong><br />
Anwendung, ob es im konkreten Fall um eine Erstnummerierung<br />
oder eine Umnummerierung geht. Da in der Änderung<br />
einer bestehenden Nummerierung <strong>die</strong> Aufhebung eines beste-<br />
henden Verwaltungsakts (frühere Zuteilung einer Hausnummer)<br />
enthalten ist, kann <strong>die</strong> Anwendung (auch) des § 49 I<br />
LVwVfG in Betracht gezogen 140 oder es kann – wie bei der<br />
Straßenumbenennung 141 – <strong>von</strong> vornherein <strong>die</strong> zur (Neu-)Nummerierung<br />
ermächtigende Rechtsgrundlage herangezogen werden;<br />
bei dem Rückgriff (auch) auf <strong>die</strong> Vorschrift zum Widerruf<br />
eines Verwaltungsakts kommen <strong>die</strong> Bestimmungen zum Widerruf<br />
begünstigender Verwaltungsakte (§ 49 II bis VI LVwVfG)<br />
allerdings nicht zur Anwendung 142 .<br />
Unabhängig <strong>von</strong> <strong>die</strong>ser rechtskonstruktiven Problematik<br />
stellt sich <strong>die</strong> Frage nach der Rechtsgrundalge in denjenigen<br />
Ländern, <strong>die</strong> eine spezielle Bestimmung zur (Um-)Nummerierung<br />
nicht kennen. Teilweise wird auf <strong>die</strong> Regelung zur Straßen(um)benennung<br />
143 zurückgegriffen; das Recht der Benennung<br />
<strong>von</strong> Straßen umfasse auch das Recht, den an den Straßen<br />
anliegenden Grundstücken Hausnummern zuzuordnen 144 .<br />
Zwingend ist das keineswegs; postuliert wird eher das gewünschte<br />
Ergebnis. Überzeugender ist es deshalb, auf <strong>die</strong><br />
ordnungsrechtliche Generalklausel (im Einheitssystem des<br />
Gefahrenabwehrrechts: polizeiliche Generalklausel) zurückzugreifen,<br />
da <strong>die</strong> Bezeichnung der Grundstücke nach Nummern<br />
und Straßen eine ordnungsrechtliche Aufgabe darstellt 145 .<br />
3. Befugnisse der Gemeinde und Rechtsstellung des Grundstückseigentümers<br />
Die amtliche Zuteilung einer Hausnummer begründet kein<br />
Recht des Grundstückseigentümers und keinen rechtlich erheblichen<br />
Vorteil für ihn, stellt also keinen begünstigenden<br />
Verwaltungsakt (vgl. § 48 I 2 LVwVfG) dar; <strong>die</strong> Bezeichnung<br />
127 OVG NW NVwZ-RR 2008, 487 (488) = DÖV 2008, 296 = NWVBl 2008, 184<br />
(185).<br />
128 Aus der Praxis VGH BW NJW 1979, 1670; NJW 1981, 1749; VGH BW NVwZ<br />
1992, 196 = VBlBW 1992, 140 ? Erichsen JK 9/92, VwVfG § 35 S. 2/7;<br />
BayVGH BayVBl 1988, 496; OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122.<br />
129 BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; NVwZ-RR 2002, 705;<br />
HessVGH NVwZ 1983, 551; SächsOVG LKV 2010, 83; VG Weimar LKV<br />
2000, 464.<br />
130 NdsOVG NdsVBl 2010, 304.<br />
131 BayVGH NVwZ-RR 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; NVwZ-RR 2002, 705; VG<br />
Weimar LKV 2000, 464.<br />
132 HessVGH NVwZ 1983, 551; SächsOVG LKV 2010, 83 (84).<br />
133 VGH BW NJW 1989, 1749 (1750); VGH BW NVwZ 1992, 196 f. = VBlBW<br />
1992, 140 (141); BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; Herber, in:<br />
Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 40.<br />
134 OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122. – Anschaulich insoweit der Sachverhalt<br />
<strong>von</strong> HessVGH NVwZ 1983, 551: Zuordnung eines <strong>von</strong> zwei Straßen<br />
umgebenen Grundstücks <strong>von</strong> der einen zur anderen Straße.<br />
135 VGH BW NJW 1979, 1670 (1671); VGH BW NVwZ 1992, 196 (198) = VBlBW<br />
1992, 140 (144); SächsOVG LKV 2010, 83.<br />
136 § 44 II 1 GemO BW; Art. 37 I 1 Nr. 1 BayGO; § 54 I Nr. 5 BbgKVerf; § 70 II<br />
HessGO; § 38 III 3 KV MV; § 62 I Nr. 6 NdsGO; § 62 I GO NW; § 47 I 2 Nr. 3<br />
GemO RP; § 59 III 1 SaarlKSVG; § 53 II 1 SächsGemO; § 63 I 2 GO LSA; § 53 I<br />
2 GO SH; § 29 II Nr. 1 ThürKO.<br />
137 VGH BW NJW 1981, 1749 (1750).<br />
138 VG Weimar LKV 2000, 464; Sauthoff Öffentliche Straßen (Fn. 6) Rdn. 551.<br />
139 Art. 52 II BayStrWG (dazu BayVGH BayVBl 1988, 496/497; NVwZ-RR 2002,<br />
705); § 28 I Nr. 3 BlnVermG i. V. m. BlnNrVO (dazu OVG Berlin LKV 1991,<br />
374); § 38 a BremLStrG; § 20 II 1 HbgWG; § 51 I 2, II, III StrWG MV; § 47 I 2,<br />
II, III StrWG SH.<br />
140 So BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20.<br />
141 Vgl. oben II. 3., Text zu Fn. 46 und Fn. 47.<br />
142 BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; NVwZ-RR 2002, 705; Sächs-<br />
OVG LKV 2010, 83 (84); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 41.1. – Vgl.<br />
auch nachf. Text zu Fn. 146.<br />
143 Vgl. Nachw. oben Fn. 2 und Fn. 3.<br />
144 So SächsOVG LKV 2010, 83 (84).<br />
145 HessVGH NVwZ 1983, 551; NdsOVG NdsVBl 2010, 304; VG Weimar LKV<br />
2000, 464.<br />
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353
354<br />
GRUNDSTUDIUM <strong>Rechtsschutz</strong> <strong>gegen</strong> <strong>die</strong> <strong>Umbenennung</strong> <strong>von</strong> Straßen Friedrich Schoch<br />
eines Hauses nach Straße und Hausnummer gehört nicht zu<br />
dem nach Art. 14 I 1 GG geschützten Eigentum und ist auch<br />
nicht Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 I<br />
i. V. m. 1 I GG) 146 . Stuft man <strong>die</strong> Zuteilung einer Hausnummer<br />
mit Blick auf <strong>die</strong> Pflichten gemäß § 126 I 1 Nr. 2, III 1 BauGB als<br />
belastenden Verwaltungsakt ein, muss der betroffene Grundstückseigentümer<br />
vor der Anordnung angehört werden (§ 28 I<br />
LVwVfG); eventuelle Einwendungen sind zur Kenntnis zu<br />
nehmen und im Rahmen der Verwaltungsentscheidung zu<br />
würdigen 147 . Zudem gilt das Begründungsgebot gemäß § 39 I<br />
LVwVfG.<br />
In materiellrechtlicher Hinsicht müssen zunächst <strong>die</strong> Tatbestandsvoraussetzungen<br />
der Rechtgrundlage erfüllt sein. In<br />
den Ländern mit speziellen Regelungen 148 sind <strong>die</strong>s <strong>die</strong> besonderen<br />
Anforderungen, im Übrigen geht es um den Tatbestand<br />
der (polizei- bzw.) ordnungsrechtlichen Generalklausel; danach<br />
besteht eine Gefahr für <strong>die</strong> öffentliche Sicherheit und<br />
Ordnung ohne weiteres, falls Hausnummern für bestimmte Gebäude<br />
gar nicht vergeben oder widersprüchlich und ohne<br />
schlüssige (logische) Abfolge zugeteilt sind 149 . In derartigen<br />
Konstellationen wird <strong>die</strong> Ordnungsfunktion der Nummerierung<br />
<strong>von</strong> Grundstücken mit Hausnummern verfehlt.<br />
Liegen <strong>die</strong> tatbestandlichen Voraussetzungen vor, entscheidet<br />
<strong>die</strong> Gemeinde über <strong>die</strong> Zuteilung <strong>von</strong> Hausnummern nach<br />
Ermessen; es gelten <strong>die</strong> allgemeinen Ermessensdirektiven (§ 40<br />
LVwVfG). An <strong>die</strong>ser Stelle entscheidet sich, ob und ggf. welchen<br />
<strong>Rechtsschutz</strong> Straßenanlieger im Falle einer Änderung<br />
der Hausnummerierung erreichen können 150 . Die Auffassungen<br />
hierzu sind seit jeher geteilt.<br />
Die sehr restriktive Rechtsansicht 151 nimmt <strong>die</strong> – unbestrittene<br />
– Erkenntnis zum Ausgangspunkt, dass <strong>die</strong> erstmalige<br />
Hausnummernzuteilung Betroffenen keine begünstigende<br />
Rechtsposition vermittelt hat; folglich stehe <strong>die</strong> Entscheidung<br />
über <strong>die</strong> Umnummerierung im freien Ermessen der Gemeinde.<br />
Diese Auffassung kann sich darauf berufen, dass es ein<br />
»Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung« an sich, d. h. ohne<br />
normativen Bezug, nicht gibt, sondern eine materielle<br />
Rechtsposition auf Grund einer Norm voraussetzt, <strong>die</strong> zumindest<br />
auch betroffenen Individualinteressen zu <strong>die</strong>nen bestimmt<br />
ist 152 . Da <strong>die</strong>s bei der Umnummerierung – anders als<br />
bei der Straßenumbenennung – nicht der Fall sei, könnten <strong>die</strong><br />
Grundstückseigentümer bei der Änderung <strong>von</strong> Hausnummern<br />
eine fehlerhafte Ermessensentscheidung der Gemeinde nicht<br />
rügen, sondern allenfalls einen Verstoß <strong>gegen</strong> das Willkürverbot<br />
(Art. 3 I GG) geltend machen. Praktisch bedeutet <strong>die</strong>s,<br />
dass <strong>die</strong> Belange der Grundstückseigentümer bei den gemeindlichen<br />
Erwägungen für oder <strong>gegen</strong> eine Änderung der<br />
Hausnummerierung <strong>von</strong> Rechts wegen kaum eine Rolle spielen.<br />
Die Gegenauffassung 153 verweist darauf, dass <strong>die</strong> Grundstückseigentümer<br />
und Straßenanlieger durch <strong>die</strong> Umnummerierung<br />
Nachteile erführen und <strong>von</strong> der Maßnahme wesent-<br />
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Heft 5/2011 JURA<br />
lich stärker betroffen seien als <strong>die</strong> Allgemeinheit. Daher seien<br />
<strong>die</strong> individuellen Interessen der Straßenanlieger an einer Beibehaltung<br />
der bisherigen Grundstückszuordnung durch das<br />
gerichtlich durchsetzbare Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung<br />
geschützt. Danach besteht bei einer Änderung der Hausnummerierung<br />
nicht nur eine Willkürkontrolle; der <strong>Rechtsschutz</strong><br />
Betroffener erstreckt sich auf <strong>die</strong> pflichtgemäße<br />
Ermessensbetätigung insgesamt (d. h. Verfolgung eines legitimen<br />
Zieles mit der Umnummerierung, sowie Geeignetheit, Erforderlichkeit<br />
und Verhältnismäßigkeit/Zumutbarkeit der konkret<br />
vorgenommenen Hausnummernzuteilung).<br />
Zustimmung ver<strong>die</strong>nt im Ergebnis letztgenannte Auffassung.<br />
Defizitär ist allerdings <strong>die</strong> Begründung in Bezug auf das subjektive<br />
öffentliche Recht, das auch bei der Umnummerierung<br />
nicht etwa »freischwebend« ohne normative Anknüpfung existiert.<br />
Die korrekte Begründung muss bei § 126 III BauGB und<br />
den dort normierten (Satz 1) bzw. dem Landesrecht erlaubten<br />
(Satz 2) Verpflichtungen des Grundstückseigentümers ansetzen<br />
154 . Da der Grundstückseigentümer Adressat der Anordnung<br />
zur Änderung der Hausnummer ist, kann er sich – in<br />
Parallele zur Straßenumbenennung 155 – auf Art. 2 I GG berufen.<br />
Dass der <strong>Rechtsschutz</strong> Betroffener nicht nur eine theoretische<br />
Fragestellung ist, zeigt <strong>die</strong> Praxis; es gibt durchaus – auch<br />
wenn <strong>die</strong>s auf den ersten Blick unwahrscheinlich erscheinen<br />
mag – rechtswidrige Zuteilungen <strong>von</strong> Hausnummern 156 . Einem<br />
rechtsstaatlichen Verwaltungsrecht wäre es kaum angemessen,<br />
betroffenen Grundstückseigentümern nicht einmal ein Recht<br />
auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zuzugestehen 157 .<br />
146 BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20; NVwZ-RR 2002, 705; Sächs-<br />
OVG LKV 2010, 83 (84); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 41.1.<br />
147 BayVGH NVwZ-RR 2002, 705 (706); Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap.<br />
Rdn. 41.1.<br />
148 Vgl. Nachw. oben Fn. 139.<br />
149 NdsOVG NdsVBl 2010, 304 (305); VG Weimar LKV 2000, 464.<br />
150 Dazu Fallbearbeitung (prozessual zum vorläufigen <strong>Rechtsschutz</strong>) <strong>von</strong> Unger<br />
JURA 2010, 939 (Examensklausur ÖR).<br />
151 BayVGH NVwZ 1983, 352 = BayVBl 1983, 20 (21); NVwZ-RR 2002, 705 f.;<br />
Herber in: Kodal (Fn. 6) 12. Kap. Rdn. 41.1. – Unentschieden in <strong>die</strong>ser Frage<br />
(mangels Entscheidungserheblichkeit) SächsOVG LKV 2010, 83 (84).<br />
152 Zur Parallelproblematik bei der Straßenumbenennung vgl. oben III. 2. a).<br />
153 HessVGH NVwZ 1983, 551 (552); Sauthoff Öffentliche Straßen (Fn. 6)<br />
Rdn. 553; der Sache nach auch VGH BW NVwZ 1992, 196 (198 f.) = VBlBW<br />
1992, 140 (144).<br />
154 OVG SH Die Gemeinde SH 1992, 122 (123).<br />
155 Vgl. oben III. 2. b) dd).<br />
156 HessVGH NVwZ 1983, 551 (552): fehlerhafte Sachverhaltsannahme und<br />
unzureichende Ermessenserwägungen; VG Weimar LKV 2000, 464: unlogische<br />
Abfolge der Neunummerierung.<br />
157 Dieses Recht geht nicht so weit, dass ein Grundstückseigentümer für sich<br />
unbedingt <strong>die</strong> »Nummer 1« beanspruchen kann; VGH BW NVwZ 1992,<br />
196 (199) = VBlBW 1992, 140 (144); NdsOVG NdsVBl 2010, 304.