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Backhausen, Bektaschi und Pseudobektaschi ... - MJB-Verlag Mehr

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MANFRED BACKHAUSEN<br />

Seltene deutschsprachige bektaschitische <strong>und</strong> pseudobektaschitische<br />

Publikationen von 1924 bis 1954<br />

Artikel haben oft eine merkwürdige Entstehungsgeschichte, so auch dieser Beitrag. Es<br />

geht um seltene Publikationen über die bektaschitischen Aleviten, eine religiöse Gruppe,<br />

meist aus der Türkei.. In diesem Beitrag kann der Alevismus-<strong>Bektaschi</strong>smus 1 nur sehr ver-<br />

kürzt dargestellt werden, für umfassendere Darstellungen wird auf die entsprechende Literatur<br />

verwiesen. 2<br />

Aleviten leben heute nicht nur in der Türkei, in Albanien, der ehemaligen serbischen Pro-<br />

vinz Kosovo. Bedingt durch die Arbeitsmigration finden wir heutzutage auch in Westeuropa<br />

Aleviten. Im Laufe der Jahrzehnte bildeten sich hier allevitische Vereine, später auch nationa-<br />

le <strong>und</strong> internationale Dachorganisationen. Zu einer regelrechten Renaissance des Alevismus<br />

kam es inzwischen in Deutschland, wo in verschiedenen B<strong>und</strong>esländern sogar alevitischer<br />

Religionsunterricht erteilt wird.<br />

Mindestens ein Viertel der in Deutschland lebenden türkischen Staatsangehörigen gehö-<br />

ren weder dem Sunnismus 3 , noch dem iranischen Schiismus 4 an, sondern zählen sich zum<br />

Alevismus-<strong>Bektaschi</strong>smus. Der Alevismus war einmal die Staatsreligion des Königreichs<br />

Albanien. Insbesondere in der Türkei kommt es neben sporadischen Verfolgungen <strong>und</strong> Mas-<br />

sakern regelmäßig zu Diffamierungen. Aleviten werden zu Nichtmuslimen erklärt, zu Säu-<br />

fern <strong>und</strong> zu sexuellen Extremisten! Vielfach bezeichnen sich auch Aleviten selbst nicht als<br />

Muslime. Diese Ansicht wird abgeleitet von der Tatsache, daß die Aleviten die fünf Säulen<br />

des Islam 5 in der üblichen Form nicht akzeptieren. 6 Der alevitischen Mystikers Nesimi Sultan<br />

führte dazu aus: „Frage nicht nach unserer Konfession. Wir kennen keine Konfession <strong>und</strong><br />

befolgen nur einen Weg.“ 7 Sehr verkürzt könnte man darstellen, daß der Alevismus das<br />

„Schiitentum“ ohne die Scharia, also ohne das genau definierte <strong>und</strong> verpflichtende islamische<br />

Gesetzeswesen, ist. Aleviten stehen daher in Westeuropa auch ohne wenn <strong>und</strong> aber zu den<br />

humanistischen Werten <strong>und</strong> den jeweiligen demokratischen Verfassungen. Bei den Aleviten<br />

sind Frauen gleichberechtigt 8 bis zur aktiven Teilnahme bei Gottesdiensten.<br />

Alles fing damit an, daß Muhammad Salim Abdullah, der Leiter des Islam-Archivs-<br />

Deutschland in Soest, einer trotz ihres klingenden Namens recht unbedeutenden sunnitischen<br />

Organisation in Deutschland, in seinem Buch Geschichte des Islams in Deutschland (Styria


<strong>Verlag</strong>, Graz-Wien-Köln 1981, S. 129) als authentische Quelle über den alevitischen Bekta-<br />

schismus das nachfolgend genannte Buch angab:<br />

Die geheimen Übungen der Türkischen Freimaurer, bearbeitet von Rudolf Freiherr<br />

von Sebottendorf. Neu durchgesehen <strong>und</strong> mit einer Einleitung versehen von Waltharius. Her-<br />

mann Bauer <strong>Verlag</strong>, Freiburg im Breisgau, 1954.<br />

Salim Abdullah legt dar, es handle sich hierbei um das bisher einzige deutschsprachige<br />

Exerzitienbuch eines Derwischordens. Weiter behauptet er, Walter Ulrich Paul Schwidtal <strong>und</strong><br />

später Rudolf Freiherr von Sebottendorf seien im damaligen Zentrum der Bektasi in Seyitgazi<br />

eingeweiht worden <strong>und</strong> hätten Jünger für den Bektasi-Orden gesammelt. Nach seiner Auffas-<br />

sung arbeite der Orden auch heute noch in Deutschland. Moslemische Intellektuelle hätten<br />

immer eine enge Anlehnung an das Freimaurerturm gesucht. Quellen gibt er für alle seine<br />

Aussagen keine an. Aus einer Freimaurerzeitung ist aber bekannt, daß Salim Abdullah selber<br />

Freimaurer ist.<br />

Noch während ich versuchte, den Text zu beschaffen, kam mir die Idee, ihn als Reprint<br />

herauszubringen, da es ältere authentische Texte zum Alevismus <strong>und</strong> <strong>Bektaschi</strong>smus in<br />

Deutsch kaum gibt. Als mir das Buch dann in Kopie vorlag, ergab sich aus dem Vorwort <strong>und</strong><br />

einer eingedruckten Widmung 9 , das der eigentliche Autor des Buches der Schweizer P.<br />

Schwidtal gewesen war. Ich beantragte beim Hermann Bauer <strong>Verlag</strong> die Genehmigung das<br />

Werk nachzudrucken. Ohne jede Begründung, dafür aber in einem merkwürdigen, fast unver-<br />

schämten Ton wurde mir dies vom <strong>Verlag</strong> in einem Schreiben vom 12. November 1997 unter-<br />

sagt. Hierauf gelang es mir, über die Deutsche Bücherei in Leipzig, welche alle deutschen<br />

Bücher seit 1913 archiviert, die Erstausgabe dieses Werkes in Kopie zu beschaffen:<br />

Die Praxis der alten Türkischen Freimaurerei, bearbeitet von Rudolf Freiherr von Sebot-<br />

tendorf. Theosophisches <strong>Verlag</strong>shaus, Leipzig 1924.<br />

Bei diesem Text wäre aufgr<strong>und</strong> der verstrichenen Jahre eine Genehmigung zum Nach-<br />

druck nicht erforderlich gewesen. Sehr bald jedoch stellte ich fest, daß die beschriebenen Bek-<br />

taschiten in dem Buch von Sebottendorf aus dem Jahre 1954 unter keinen Umständen authen-<br />

tische <strong>Bektaschi</strong>ten sein konnten. Bereits die Berufung auf Abu Bakr 10 als alevitische Gr<strong>und</strong>-<br />

quelle <strong>und</strong> nicht Ali ibn Talib 11 zeigt, daß hier nicht vom richtigen <strong>Bektaschi</strong>smus die Rede<br />

sein konnte. Aleviten <strong>und</strong> <strong>Bektaschi</strong>ten verfluchen Abu Bakr als Usurpator der Stellung die<br />

eigentlich Ali ibn Talib zugestanden hätte.<br />

Als ich dann die Erstausgabe von 1924 in Händen hielt, stellte ich fest, daß Sebottendorf<br />

selber den <strong>Bektaschi</strong>smus gar nicht namentlich genannte hatte, sondern daß dies erst durch<br />

den Bearbeiter des Hermann Bauer <strong>Verlag</strong>es „Waltharius“, der auch andere Veränderungen


vorgenommen hatte, geschehen war. Waltharius hatte auch alle im Original verstreuten „ma-<br />

gischen“ Zeichen, zum Beispiel finden wir einen Davidsstern, entfernt. Die Widmung für P.<br />

Schwidtal hat er beibehalten. Letztlich hat Waltharius aus dem Vorwort des Originals auch<br />

den deutlich antibolschewistischen Zungenschlag Sebottendorfs entfernt, während der Satz<br />

über das Joch eines furchtbaren Friedens, unter dem Deutschland fast erliegen muß, 12 erhalten<br />

blieb.<br />

Es bleibt daher zunächst festzuhalten, daß der deutsche sunnitische Autor <strong>und</strong> Aktivist,<br />

der gerne von deutschen Zeitungen <strong>und</strong> R<strong>und</strong>funkanstalten als Islam-Experte berufen wird,<br />

sich auf ein Buch als authentische Quelle über den <strong>Bektaschi</strong>smus beruft, welches man<br />

eigentlich als Mystifikation bezeichnen muß. Die Gründe hierfür sind vielschichtig, jedenfalls<br />

befindet sich M. Salim Abdullah damit in „guter“ Gesellschaft mit der sunnitischen Orthodo-<br />

xie, 13 die den Alevismus <strong>und</strong> den <strong>Bektaschi</strong>smus gerne <strong>und</strong> oft verleugnet <strong>und</strong> beleidigt. 14<br />

Eine solche Absicht hat auch Salim Abdullah, der im Jahre 1997 in der von ihm herausgege-<br />

benen Zeitschrift Moslemische Revue (Heft 3, 18. Jahrgang, Juli-September 1997) eindeutige<br />

Drohungen gegen die Aleviten <strong>und</strong> <strong>Bektaschi</strong>ten ausstößt, indem er unter vielen anderem<br />

schreibt: „... Die Aleviten waren Atatürks Geheimwaffe in seinem Vernichtungsfeldzug gegen<br />

den sunnitischen Islam ... Auch die Aleviten sollten es sich gründlich überlegen, ob ein Au-<br />

genblickserfolg ihre Zukunft zu retten vermag ...“ Leider verschweigt Salim Abdullah, was<br />

passieren wird beziehungsweise soll, wenn die Aleviten sich nicht nach seiner Drohung rich-<br />

ten.<br />

Je tiefer ich jedoch in die Mystifikation des Buches von Sebottendorf einstieg <strong>und</strong> mich<br />

mit den Autoren Schwidtal <strong>und</strong> Sebottendorf befaßte, umso mehr stellte ich historische Ver-<br />

bindungen her, die bisher kaum oder gar nicht bekannt waren. Und wie in einem Spinnennetz<br />

kulminierte alles in Istanbul zu Ende des Osmanischen Reiches <strong>und</strong> zu Beginn der jungtürki-<br />

schen Zeit.<br />

Ich fragte mich, welche Verbindungen zwischen dem Schweizer Schwidtal, dem sächsi-<br />

schen Sebottendorf, dem Hitler-Putschisten Max von Scheubner-Richter, dem islamischen<br />

F<strong>und</strong>amentalisten <strong>und</strong> Atatürk-Gegner Said Nursi, 15 bektaschitischen Tekken 16 <strong>und</strong> anderen<br />

bestanden. Tatsächlich gab es in Deutschland bereits in den zwanziger Jahren des vorigen<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> auch Ende der 1940er Jahre Literatur über wenig bekannte islamische Son-<br />

dergruppen, als Beispiele seien hier nur genannt:<br />

Erich Groß: Das Vilajet-Name des Haggi Bektasch. Ein Türkisches Derwischevangelium.<br />

<strong>Verlag</strong> Mayer & Müller, Leipzig, 1927.


Yakub Kadri: Flamme <strong>und</strong> Falter. Türkischer Originaltitel: Nur Baba. Übersetzung von<br />

A. Schimmel. Florestan <strong>Verlag</strong>, Gummersbach, 1947.<br />

Und auch andere Gruppen fanden Beachtung, zumeist allerdings nur in kleinen <strong>und</strong> klein-<br />

sten esoterischen Zirkeln in Deutschland, genannt seien hier: die Hurufis, hurufische Bekta-<br />

schiten in Albanien, <strong>Bektaschi</strong>-Tekken, der Dorfalevismus, die Ali-Ilahi, die Abdahs, die Ahl-<br />

i-Hagg, die Kizilbaschis, die Kalenderis, die Heyderis <strong>und</strong> viele andere!<br />

So gelang es offensichtlich dem Schweizer Botschaftssekretär Walter Ulrich Schwidtal<br />

<strong>und</strong> dem sächsischen Abenteurer <strong>und</strong> Hochstapler Rudolf Freiherr von Sebottendorf, 17 um<br />

1900 Kontakt mit „Hurufiten“ in Ägypten <strong>und</strong> in der Türkei aufzunehmen. Schwidtal <strong>und</strong><br />

Sebottendorf haben dann auch versucht, die ersten Talibs 18 in Europa zu sammeln, allerdings<br />

mit mäßigem Erfolg. Dies mag daran gelegen haben, daß Sebottendorfs Hauptaufgaben in der<br />

völkisch-faschistischen Thule-Gesellschaft <strong>und</strong> in der NSDAP lagen, die er immerhin mitbe-<br />

gründete. 1933 soll er sich mit Hitler überworfen haben <strong>und</strong> in die Türkei, dessen Staatsange-<br />

höriger er geworden war, zurückgekehrt sein. 1945 wurde er tot aus dem Bosporus gezogen,<br />

die Todesursache wurde nie untersucht. 19<br />

Die von Schwidtal <strong>und</strong> Sebottendorf beschriebenen Hurufis waren <strong>und</strong> sind in Europa<br />

fast völlig unbekannt. Insbesondere in der Ausgabe von 1954 wird der Eindruck vermittelt, in<br />

dem Werk würde es sich um den authentischen <strong>Bektaschi</strong>-Orden <strong>und</strong> seine Lehren handeln.<br />

Doch bereits der Titel läßt aufhorchen. Die <strong>Bektaschi</strong>s haben sich nie selbst als Freimaurer<br />

bezeichnet, der Begriff ist in ihren Reihen sogar unbekannt gewesen. Zwar behauptet der Au-<br />

tor E. R. Carmin 20 die <strong>Bektaschi</strong>s würden sich ebenso wie die Freimaurer als „Baumeister“<br />

bezeichnen <strong>und</strong> seien daher mit den Freimaurern gleichgesetzt, doch gibt auch er keine nach-<br />

vollziehbare Quelle hierfür an. Ähnlichkeiten in Riten <strong>und</strong> Begriffen bedeuten in keinem Falle<br />

automatisch eine Gleichsetzung.<br />

Was bedeutet überhaupt der Begriff Freimaurer? Als Freimaurerei im engeren Sinne be-<br />

zeichnet man die in Europa aus den mittelalterlichen Bauhütten hervorgegangenen Männer-<br />

bruderschaften in aller Welt. Im weiteren Sinne werden oft unter dem Begriff Freimaurer<br />

auch andere, selbst feindliche Gruppierungen wie die Illuminaten <strong>und</strong> die Rosenkreuzer zu-<br />

sammengefaßt. 21<br />

Auch der sich selbst als bektaschitischer Schüler <strong>und</strong> Lehrer bezeichnende Schwidtal be-<br />

nutzte die letztere Methode <strong>und</strong> faßte auch den <strong>Bektaschi</strong>-Orden unter den Sammelbegriff<br />

„Freimaurerei“ – wobei es zunächst keine Rolle spielt, ob es sich um authentische oder andere<br />

<strong>Bektaschi</strong>ten handelte. Ob dies aus Gründen der Überzeugung, der Vereinfachung oder der<br />

Werbewirksamkeit wegen geschah, können wir heute kaum noch feststellen.


Auch bei dem Begriff „geheim“ dürfen wir als Motiv getrost eine gezielte Verkaufsförde-<br />

rung unterstellen. Denn im Text selber berichtet Schwidtal, er habe vom Oberhaupt des vor-<br />

geblichen <strong>Bektaschi</strong>-Ordens in der Türkei den Auftrag erhalten, dem Okzident das Wissen<br />

seines Ordens zu vermitteln. Das versuchte Schwidtal ja dann auch, indem er Schüler zu<br />

sammeln <strong>und</strong> entsprechende Unterrichtsmanuskripte zu erarbeiten begann.<br />

Ob zu Recht oder Unrecht waren die Begriffe Freimaurerei <strong>und</strong> geheim immer eng ver-<br />

knüpft. Erst in den letzten Jahrzehnten haben sich die offiziellen Freimaurer Außenstehenden<br />

mehr <strong>und</strong> mehr geöffnet.<br />

Das Buch von Schwidtal <strong>und</strong> Sebottendorf verweist auf islamische Quellen wie den Ko-<br />

ran <strong>und</strong> die Mystik Mohammeds. Interessant ist auch der Hinweis auf die Exerzitien des<br />

Gründers des Jesuiten-Ordens, Ignatius von Loyola.<br />

Schwidtal <strong>und</strong> vor allem Sebottendorf haben weder den authentischen <strong>Bektaschi</strong>smus<br />

noch den authentischen Hurufismus beschrieben. Im günstigsten Falle sind beide der ge-<br />

schickten <strong>und</strong> im Alevismus erlaubten Tarnung der wirklichen Tatsachen aufgesessen; im<br />

anderen Falle waren sie Scharlatane, die versuchten, ihre eigene esoterische <strong>und</strong> theosophi-<br />

sche Gedankenwelt als <strong>Bektaschi</strong>smus auszugeben. Schon daß dieses Buch im „Theosophi-<br />

schen <strong>Verlag</strong>shaus“ in Leipzig erschien, spricht für die letztere Annahme. Ebenso das Leben<br />

des Sebottendorf als Abenteurer <strong>und</strong> Agent, als Fachmann im Legen falscher Spuren sozusa-<br />

gen.<br />

Warum aber kleidete Sebottendorf sein „Werk“ überhaupt in ein orientalisches Gewand?<br />

Nun, zum einen richtete er sich nach der allgemeine bekannten Logik, daß das Licht, also<br />

Erkenntnisse, aus dem Osten kommt: Ex Oriente Lux! Selbst heute noch haben es „Heilsleh-<br />

ren“ aus dem Osten leichter in Deutschland als andere. Sodann gab es in Deutschland immer<br />

ein Faible für den Orient. Hinzu kommt, daß gerade in den 1920er Jahren eine regelrechte<br />

Orientwelle über Deutschland schwappte. Um 1920 soll in Danzig der bektaschitische Kon-<br />

vent „Saltik Baba“ existiert haben – die Quellenlage ist aber hier mehr als dünn. Im Jahre<br />

1924 wurde in Berlin die Zeitschrift Moslemische Revue gegründet. Zwischen 1924 <strong>und</strong> 1927<br />

wurde ebenfalls in Berlin die erste dauerhafte <strong>und</strong> repräsentative Moschee Deutschlands ge-<br />

baut. 22 1939 erschien in recht großer Auflage die deutsche Koran-Übersetzung von Maulana<br />

Sadr-ud-Din. 23 1927 erschien die deutsche Übersetzung des Vilayetname des Hadschi Bek-<br />

tasch Veli. 24 Der deutsche Übersetzer dieses Werkes geht den entgegengesetzten Weg <strong>und</strong><br />

verweist in einem orientalischen Werk auf die in Deutschland als bekannt vorausgesetzte Be-<br />

zeichnung „Evangelium“. Auf das Originalwerk beziehen sich bis zum heutigen Tage die ale-<br />

vitischen Gruppierungen weltweit.


Möglicherweise wurde Sebottendorf aber auch angeregt durch den 1922 in der Türkei er-<br />

schienenen Tatsachenroman Nur Baby von Yakub Kadri, 25 immerhin war er des Türkischen<br />

mächtig. In diesem Roman wird das Leben in einem bektaschitischen Kloster beschrieben.<br />

Hieraus läßt sich insbesondere herauslesen, das die <strong>Bektaschi</strong>ten eben nicht den Lehren des<br />

orthodoxen Islam folgten, sondern viele religiöse, mystische <strong>und</strong> schamanistische Einflüsse in<br />

sich aufgenommen hatten. Nicht umsonst war im Osmanischen Reich der Orden der Bekta-<br />

schi enteignet <strong>und</strong> das Vermögen dem ultra-orthodoxen Nakschibandi-Orden zugesprochen<br />

worden. Selbst in der heutigen laizistischen Türkei fristet der <strong>Bektaschi</strong>-Orden ein Schatten-<br />

dasein, lediglich in Haci-Bektasch-Stadt wird des Ordensgründers „staatlich verordnet“ ge-<br />

dacht, ohne auf seine tatsächlichen Leistungen einzugehen. Neben seiner Eigenschaft als Or-<br />

densgründer gilt Haci Bektasch Veli als Retter der türkischen Sprache, da er in den Gottes-<br />

diensten der <strong>Bektaschi</strong>s die türkische Sprache als Kultsprache einführte. Ohne diese kulturelle<br />

Tat wäre die türkische Sprache wahrscheinlich vom Arabischen verdrängt worden.<br />

Die von Schwidtal <strong>und</strong> Sebottendorf in ihrem Buch dargestellten Personen <strong>und</strong> Riten tau-<br />

chen jedenfalls in Yakub Kadris Buch nicht auf.<br />

Erstaunlicherweise erschien 1947, also zwei Jahre nach Kriegsende <strong>und</strong> bei allgemeiner<br />

Papierknappheit im rheinischen Gummersbach in dem unbekannten Florestan-<strong>Verlag</strong> 26 die<br />

deutsche Übersetzung des Buches von Kadri, keine geringere als die später bekannte <strong>und</strong> viel-<br />

fach ausgezeichnete Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel hatte den Text übertra-<br />

gen. 27 Das Buch weist einen bunten, durchgehend illustrierten Schutzumschlag auf – neben<br />

einer Moschee <strong>und</strong> einem Zelt zeigt er <strong>und</strong>eutlich Aktzeichnungen, ein Hinweis auf die zu-<br />

mindest unterstellte Erotik im <strong>Bektaschi</strong>smus. 28 Jedes der zwölf Kapitel des Buches ist zu<br />

Beginn mit einer einfachen Skizze illustriert. Die Papierqualität ist so schlecht, das die gute<br />

Erhaltung unseres Exemplars bis zum heutigen Tage sehr erstaunlich ist.<br />

Alle vorgenannten Publikationen zeichnen sich dadurch aus, das sie recht unbekannt<br />

geblieben sind, allein schon durch die Tatsache ihrer geringen Auflage in kleinen, oft unbe-<br />

kannten <strong>Verlag</strong>en. Es handelt sich bei den vorgestellten Büchern sicherlich nicht im üblichen<br />

Sinne um schöne Bücher. Man kann aber hier mit Fug <strong>und</strong> Recht von Raritäten sprechen.<br />

Und es bleibt festzuhalten, das geistige Strömungen am Rande des Islam, auch in der<br />

Vergangenheit in Deutschland zur Kenntnis genommen <strong>und</strong> verarbeitet wurden. Und dies<br />

lange vor der Zeit, als Muslime, darunter auch Aleviten-<strong>Bektaschi</strong>ten, in größerer Zahl nach<br />

Deutschland kamen.


ANMERKUNGEN<br />

1 Nicht wissenschaftlicher Sammelbegriff für die verschiedenen Strömungen des Alevismus, die<br />

insbesondere in der Neuzeit nicht immer korrekt getrennt werden können; die Begriffe <strong>Bektaschi</strong>smus<br />

<strong>und</strong> Haci Bektas Veli können unterschiedlich geschrieben werden – in diesem Artikel erscheinen sie<br />

jeweils in der Form, die der entsprechende Autor verwendet hat.<br />

2 Allgemeine Informationen über Aleviten <strong>und</strong> <strong>Bektaschi</strong>ten enthalten unter anderem John K.<br />

Birge, The Bektashi Order of Dervishes. London 1937; Manfred <strong>Backhausen</strong>, Anton Josef Dierl: Der<br />

rituelle Gottesdienst CEM des anatolischen Alevismus. Deimling Wissenschaftliche Monographien<br />

13, Sozialwissenschaften, Wuppertal, 1996; Manfred <strong>Backhausen</strong> / Anton Josef Dierl, Einführung in<br />

den Alevismus- <strong>Bektaschi</strong>smus, Düsseldorf, 1998; Ali Duran Gülcicek, Der Weg der Aleviten (Bek-<br />

taschiten). Menschenliebe – Toleranz – Frieden <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaft. Köln 1994; Gerhard Schweizer, Die<br />

Janitscharen. Geheime Macht des Türkenreichs. Wien <strong>und</strong> München 1990; Gerhard Schweizer, Die<br />

Derwische. Heilige <strong>und</strong> Ketzer des Islam. Salzburg 1980; Mehmet F. Bozkurt, Das Gebot. Mystischer<br />

Weg mit einem Fre<strong>und</strong>. Hamburg 1988; Krisztina Kehl-Bodrogi, Die Kizilbas / Aleviten. Untersu-<br />

chung über eine esoterische Glaubensgemeinschaft in Anatolien. Berlin 1988.<br />

3 Mit weitem Abstand die größte islamische Gruppierung.<br />

4 Bedeutend kleinere zweitgrößte Gruppierung im Islam.<br />

5 Glaube an Allah <strong>und</strong> an Muhammad als Prophet, Fünfmaliges tägliches Pflichtgebet, Zakat<br />

(Pflichtalmosen) zahlen, Pflichtfasten im Ramadan <strong>und</strong> Pilgerfahrt nach Mekka.<br />

6 So lautet das Glaubensbekenntnis der Aleviten z.B.: „Glaube an Allah <strong>und</strong> seinen Propheten Mu-<br />

hammad sowie an Ali als Veli (etwa Vollstrecker, auch Heiliger)“.<br />

7 Islam bedeutet u.a. „Der Weg“.<br />

8 Diese Feststellung schützt den Alevismus selbstverständlich nicht vor Rückschritten in der Emanzi-<br />

pationsfrage <strong>und</strong> auch nicht vor Machos in den eigenen Reihen.<br />

9 Sie lautet: „Dem Andenken des früheren Sekretärs der Türkischen Botschaft in Bern Herrn P.<br />

Schwidtal gewidmet”.<br />

10 Nach dem Tode des Propheten Muhammad zum ersten Kalifen berufen.<br />

11 Der Begriff Alevismus leitet sich vom vierten Kalifen Ali ibn Talib ab.<br />

12 Aus dem Zusammenhang ist zu erkennen, das hier der Versailler Friedensvertrag gemeint ist –<br />

ein üblicher <strong>und</strong> regelmäßiger Hinweis aus konservativen, nationalistischen <strong>und</strong> völkischen Kreisen in<br />

der Weimarer Republik.<br />

13 Als orthodox wird im normalen Sprachgebrauch eine religiöse Richtung bezeichnet, welche<br />

die Regeln der eigenen Religion versucht wortwörtlich umzusetzen; nicht gleichzusetzen mit dem<br />

Begriff F<strong>und</strong>amentalismus.<br />

14 Siehe hierzu unter anderem der sunnitische Autor Abdulkadir Haas: Die Bektasi. Riten <strong>und</strong> Myste-<br />

rien eines islamischen Ordens. Berlin 1988.


15 Said Nursi war ein unglaublich fleißiger Autor, seine Werke wurden teilweise auch ins Deutsche<br />

übertragen. Er war ein fanatischer Gegner Atatürks <strong>und</strong> arbeitet mit allen Kräften zusammen, die ihn<br />

in diesem Kampf hätten unterstützen können. Besuche in Berlin <strong>und</strong> Treffen mit Sebottendorf dort <strong>und</strong><br />

in der Türkei sind belegt; die sunnitische Organisation der Nurculuks in der Türkei <strong>und</strong> in Westeuropa<br />

beruft sich auf Said Nursi.<br />

16 Klöster.<br />

17 Informationen zu beiden Personen sind enthalten in: Deutsche Biographische Enzyklopädie<br />

(DBE). Hrsg. v. Walther Killy <strong>und</strong> Rudolf Vierhaus. Band 5, München 1997; Wege <strong>und</strong> Abwege.<br />

Beiträge zur europäischen Geistesgeschichte der Neuzeit. Hrsg. v. Albrecht Götz von Olenhusen u.a.<br />

2. Aufl., Freiburg 1993; Kneschkes Adelslexikon, o.O., o.J. (Kopierte Seite zu Sebottendorf im Besitz<br />

des Autors); Christa Schröder: Er war mein Chef. Aus dem Nachlaß der Sekretärin von Adolf Hitler.<br />

Hrsg. v. Anton Joachimsthaler. Coburg 1999. – Der Geburtsname des „Freiherrn von Sebottendorf“<br />

lautete Glauer, von Beruf war er Lokomotivführer, den adligen Namen erhielt er auf nie ganz geklärte<br />

Weise im Rahmen einer Adoption als Erwachsener.<br />

18 Schüler.<br />

19 Zur Verbindung Sebottendorfs zu faschistischen Organisationen sowie deren Verflechtungen<br />

siehe: Hermann Gilbhard, Die Thule-Gesellschaft. München 1994; Kurt Pätzold / Manfred<br />

Weißbecker, Geschichte der NSDAP 1920-1945. Köln 1981; Wolfgang Horn, Der Marsch zur<br />

Machtergreifung. Die NSDAP bis 1933. o.O. 1980; Hohenzollern-Jahrbuch, Forschungen <strong>und</strong><br />

Abbildungen zur Geschichte der Hohenzollern in Brandenburg-Preußen. Hrsg. v. Paul Seidel. 19. Jg.,<br />

Berlin <strong>und</strong> Leipzig 1915; Georg Franz-Willing, Putsch <strong>und</strong> Verbotszeit der Hitlerbewegung. Novem-<br />

ber 1923 – Februar 1925. Preußisch Oldendorf o.J.; Lexikon der Parteiengeschichte. Die bürgerlichen<br />

<strong>und</strong> kleinbürgerlichen Parteien <strong>und</strong> Verbände in Deutschland (1789–1945). Hrsg. v. Dieter Fricke u.a.<br />

Band 4, Leipzig 1986. In dem vielgepriesenen Werk Nicholas Goodrick-Clarke, Die okkulten Wurzeln<br />

des Nationalsozialismus, Wiesbaden 2004 wird viel über Sebottendorf spekuliert, Beweise aber nicht<br />

vorgelegt – auch nach diesem Buch bleibt daher vieles im Dunkeln. Völlig ungeprüft übernimmt<br />

Goodrick-Clarke die angeblichen Aussagen Sebottendorfs über die <strong>Bektaschi</strong>ten.<br />

20 E. R. Carmin, Das Schwarze Reich. Geheimgesellschaften. Hamburg 2002, Anm. 96, S. 667-<br />

668.<br />

21 Hierzu siehe G. K. Morberger-Thom, Geheimbünde. Berlin <strong>und</strong> Düsseldorf 1956; Jürgen Hol-<br />

torf, Die Logen der Freimaurer. Geschichte – Bedeutung – Einfluß. München 1991; J. van Rijcken-<br />

borgh, Die elementare Philosophie des modernen Rosenkreuzes. Harlem 1983.<br />

22 Zur Geschichte der ältesten Moschee Deutschlands siehe: Die Lahore-Ahmadiyya-Bewegung<br />

in Europa. Geschichte, Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft der als „Lahore-Ahmadiyya-Bewegung zur Verbrei-<br />

tung islamischen Wissens“ bekannten internationalen islamischen Gemeinschaft. Zusammengestellt u.<br />

bearb. v. Manfred <strong>Backhausen</strong>. Berlin 2008.


23 Zur Geschichte dieser Übersetzung siehe: Manfred <strong>Backhausen</strong>, Eine seltene deutsche Koran-<br />

Übersetzung aus dem Jahre 1939 <strong>und</strong> ihre Nachfolger; in: MARGINALIEN, 195. Heft (3.2009).<br />

24 Erich Groß, Das Vilajet-Name des Haggi Bektasch. Ein Türkisches Derwischevangelium.<br />

Leipzig 1927.<br />

25 Siehe Manfred <strong>Backhausen</strong>, Nur Baba. Ein bektaschitischer Tatsachenroman (Der Alevismus-<br />

<strong>Bektaschi</strong>smus); in: Iran & Caucasus. International Publications of Iranian Studies. Teheran<br />

1999/2000.<br />

26 Neben dem Buch Flamme <strong>und</strong> Falter erschien noch das Werk Payami Safa, Saal 9 für äußere<br />

Krankheiten. Deutsche Übertragung: Dr. H. J. Kießling. Gummersbach, vermutlich vor 1947.<br />

27 Yakub Kadri: Flamme <strong>und</strong> Falter. Ein Derwisch-Roman. Deutsch v. Annemarie Schimmel.<br />

Gummersbach 1947.<br />

28 Der Alevismus-<strong>Bektaschi</strong>smus kennt als Bestandteil des Gottesdienstes Cem (gesprochen<br />

Dschem) den „Tanz der 40 Kirklar“, einen Paartanz – allerdings ohne jede erotische Komponente.

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