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kuLTur<br />
weiblicher Teilnahme am Berufsleben in <strong>de</strong>r Region auf, son<strong>de</strong>rn<br />
die Zahlen legen auch nahe, dass <strong>de</strong>r Staat ein dringend benötigtes<br />
Potential bisher unerschlossen lässt. Momentan wer<strong>de</strong>n 90 Prozent<br />
<strong>de</strong>r Regierungseinkünfte Saudi-Arabiens über <strong>de</strong>n Export von Erdöl<br />
erzielt. Dies macht das Land extrem anfällig für Schwankungen <strong>de</strong>s<br />
Ölpreises und an<strong>de</strong>re externe Einflüsse. Angesichts eines relativ großen<br />
Teils <strong>de</strong>r ungebil<strong>de</strong>ten und ungelernten saudischen Bevölkerung sticht<br />
dazu auch die starke Abhängigkeit von ausländischen Fachkräften ins<br />
Auge. Wie bereits in an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Region praktiziert, hat auch<br />
Saudi-Arabien eine sogenannte „Saudisierungs-Kampagne“ gestartet,<br />
mit <strong>de</strong>ren Hilfe <strong>de</strong>r Anteil an einheimischen Arbeitskräften – vor allem<br />
natürlich in strategisch wichtigen Wirtschaftsfel<strong>de</strong>rn – angehoben<br />
wer<strong>de</strong>n soll.<br />
Im September vergangenen Jahres öffnete die „King Abdullah University<br />
of Science and Technology“ (KAUST) ihre Tore. Wobei „öffnen“<br />
relativ zu verstehen ist. Der Campus <strong>de</strong>r neuen Uni am Roten Meer ist<br />
hermetisch abgeriegelt und wird durch mehrere Sicherheitsstufen bewacht.<br />
Diese Maßnahme soll die KAUST vor religiösen Eiferern schützen,<br />
<strong>de</strong>nn an <strong>de</strong>r saudischen Universität geschieht Revolutionäres: Hier<br />
dürfen Frauen und Männer gemeinsam lernen, lehren und forschen.<br />
Kritische Reaktionen hoher Islamgelehrter aus <strong>de</strong>m Königreich ließen<br />
nach <strong>de</strong>r Eröffnung nicht lange auf sich warten. Nicht nur die Tatsache,<br />
dass die ansonsten im ganzen Land praktizierte Geschlechtertrennung<br />
hier aufgehoben ist, stört die Kleriker. Auch die Vereinbarkeit<br />
<strong>de</strong>r KAUST-Lehrpläne mit <strong>de</strong>m Islam stellen sie in Frage. Stu<strong>de</strong>nten<br />
und Professoren beschäftigen sich mit <strong>de</strong>n Bereichen Energie und<br />
Biowissenschaften, Ingenieurwissenschaften, angewandte Mathematik<br />
und Computerwissenschaft. Außer König Abdullah, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Bau <strong>de</strong>r<br />
Universität selbst in Auftrag gegeben hatte, schwärmen auch liberal<br />
ausgerichtete junge Unternehmer und natürlich interessierte Forscher<br />
und Stu<strong>de</strong>nten aus aller Welt von <strong>de</strong>r neuen Bildungseinrichtung.<br />
Über Labors <strong>de</strong>r Spitzenklasse und Technik vom Feinsten soll sie verfügen<br />
und hegt nach eigenen Angaben <strong>de</strong>n Anspruch, eine Gemeinschaft<br />
von internationalen, <strong>de</strong>r fortgeschrittenen Wissenschaft verbun<strong>de</strong>nen,<br />
Gelehrten heranzuziehen. Neun interdisziplinäre Forschungszentren<br />
in strategischen Fel<strong>de</strong>rn sollen vor allem die bereits existieren<strong>de</strong>n<br />
Industrien in Saudi-Arabien mit Fachkräften unterstützen. Die KAUST<br />
ist damit ein Beispiel für eine Regierungsinitiative, die das Ziel <strong>de</strong>r<br />
Saudisierung <strong>de</strong>s – vor allem hochqualifizierten – Arbeitsmarktes<br />
sowie gleichzeitig <strong>de</strong>r Diversifizierung <strong>de</strong>r Wirtschaft in naturwissenschaftlichen<br />
Bereichen verfolgt.<br />
perspektiven aus Ost und West<br />
dina ist eine junge Ägypterin, die seit einiger Zeit mit ihrem Mann<br />
und ihren bei<strong>de</strong>n kleinen Kin<strong>de</strong>rn in Riyadh lebt. „Natürlich war mir<br />
bewusst, dass Saudi-Arabien für Frauen ein eher restriktives Terrain<br />
darstellt“, sagt die Diplomingenieurin. „Bei unserer Ankunft war ich<br />
daher nicht so sehr geschockt von <strong>de</strong>r Kultur als vielmehr enttäuscht,<br />
da ich mir vorgestellt hatte, mit <strong>de</strong>n mir bekannten Einschränkungen<br />
besser klar zu kommen.“ Die hochgebil<strong>de</strong>te junge Frau lei<strong>de</strong>t vor<br />
allem darunter, dass sie als Ingenieurin kaum Möglichkeiten hat,<br />
eine Anstellung zu fin<strong>de</strong>n. Auch die Frauen, die sie kennt, arbeiten<br />
Discover ME 42<br />
vor allem im Bildungs- und Gesundheitswesen und sind überdurchschnittlich<br />
oft im öffentlichen Sektor angestellt. Nur fünf Prozent <strong>de</strong>r<br />
arbeiten<strong>de</strong>n saudischen Frauen sind im Privatsektor tätig. Natürlich<br />
hat auch Dina sich schon über Möglichkeiten informiert, um sich ihrer<br />
eigenen Selbstverwirklichung wegen wenigstens über Onlinekurse<br />
o<strong>de</strong>r spezielle Frauenzentren weiterzubil<strong>de</strong>n. Die Motivation dafür<br />
will aber nicht so recht spru<strong>de</strong>ln. Es sei schwierig, seine Energie voll<br />
in etwas zu investieren, was einem – wenn überhaupt – frühestens in<br />
einigen Jahren wie<strong>de</strong>r nützlich sein wird, erklärt sie. „Das Problem ist,<br />
dass die Depression über <strong>de</strong>n täglichen Zustand und <strong>de</strong>ssen scheinbare<br />
Aussichtslosigkeit einen oft davon abbringen kann, solche Vorhaben<br />
wirklich anzugehen.“<br />
Cornelia, eine Deutsche, die in <strong>de</strong>n 1980er Jahren in Saudi-Arabien<br />
lebte, erinnert sich, dass es damals Frauen sogar noch per Gesetz<br />
verboten war, in an<strong>de</strong>ren als <strong>de</strong>n Bereichen Gesundheit und Bildung zu<br />
arbeiten. Als Architektin blieb ihr die Berufswelt damit unweigerlich<br />
verschlossen. Arrangiert hat sie sich <strong>de</strong>nnoch und lernte schnell,<br />
sich auf <strong>de</strong>m kulturellen Neuland wohl zu fühlen. „Mein Mann und<br />
ich reisten viel – auch beruflich – nach Deutschland und Amerika“,<br />
erzählt sie. „Die meisten Kontakte haben für mich aber auf privater<br />
Ebene stattgefun<strong>de</strong>n: Ausflüge, Freun<strong>de</strong> treffen und ausgehen ins<br />
Restaurant.“<br />
Als größte Einschränkung sehen Dina und Cornelia für sich persönlich<br />
das Fahrverbot. Außenstehen<strong>de</strong>n mag dies als unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s Detail<br />
erscheinen – vor allem vor <strong>de</strong>m Hintergrund weitaus schwerwiegen<strong>de</strong>rer<br />
Diskriminierungen, die im Königreich noch immer vorhan<strong>de</strong>n<br />
sind. Dennoch sehen die bei<strong>de</strong>n Frauen im Autofahren wenigstens ein<br />
Minimum an Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit, das nicht nur<br />
ihren Alltag vereinfachen son<strong>de</strong>rn auch ihr Selbstwertgefühl steigern<br />
wür<strong>de</strong>.<br />
Für Frauen aus <strong>de</strong>m Westen gilt Saudi-Arabien als kompliziertes<br />
Reiseland. Viele weibliche Reisen<strong>de</strong> sind daher doppelt überrascht von<br />
<strong>de</strong>n Privilegien, die ihnen erteilt wer<strong>de</strong>n. Auch Dina und Cornelia, die<br />
<strong>de</strong>n Mythos Saudi-Arabien aus erster Hand erfahren haben, schätzen<br />
<strong>de</strong>n Status <strong>de</strong>r saudischen Frau nicht als so min<strong>de</strong>rwertig ein, wie er<br />
oftmals dargestellt wird. „Innerhalb <strong>de</strong>r Familie kommt <strong>de</strong>n Frauen ein<br />
sehr hoher Stellenwert zu“, beschreibt Cornelia die Rollenverteilung<br />
im Privatleben. „Saudische Frauen genießen also durchaus in gleichem<br />
Maße Respekt und Anerkennung wie ihre männlichen Mitbürger – nur<br />
eben in völlig an<strong>de</strong>ren Bereichen.“<br />
Aus westlicher Sicht scheint es, als habe die gesellschaftliche Entwicklung<br />
mit <strong>de</strong>m sprunghaften ökonomischen Fortschritt nicht Schritt<br />
halten können. Ein Land, das sozusagen über Nacht in <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rne<br />
– mit all ihren Implikationen wie internationalen Wirtschaftsbeziehungen,<br />
Verfügbarkeit von Konsumgütern aus aller Welt und Einfluss ausländischer<br />
Medien – angekommen ist, hat seine sozialen Strukturen<br />
diesem Phänomen nicht in gleichem Ausmaß angepasst - konnte o<strong>de</strong>r<br />
wollte es nicht, o<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>s. Externe Wertungen aber wer<strong>de</strong>n meist<br />
unter Nichtbeachtung <strong>de</strong>s kulturellen Hintergrunds <strong>de</strong>r saudischen<br />
Gesellschaft abgegeben und können damit leicht oberflächlich o<strong>de</strong>r gar<br />
anmaßend wer<strong>de</strong>n. ←