Nicola Arndt und Matthias Pohl - Neobiota

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22.02.2013 Aufrufe

Vergangenheit und Gegenwart als auch biozönotische Interaktionen in Raum und Zeit (z. B. Sukzession, Wildeinfluß) zu berücksichtigen (vgl. SCHMIDT 1998). 2 Potentielle Natürliche Vegetation und Waldentwicklung Das Konzept der PNV findet in der Forstwirtschaft und Landschaftsplanung breite Anwendung. Folgt man aber dem originären Denkansatz (TÜXEN 1956 und auf ihm fußende reformierte Definitionen) und nicht andersartigen Interpretationen (z. B. OTTO 1994, ELLENBERG 1996), so schreibt die PNV Zustände fest (Schlußwald) und schließt die Zeitdimension aus. Für die Waldbewirtschaftung und langfristige Waldentwicklung dürfen aber im Laufe der Sukzession sich ergebende Veränderungen des Geo- und Biotops sowie der Vegetation, auch Phasenmosaik und zufällige natürliche Störereignisse, nicht vernachlässigt werden. So sind z. B. neben Schlußwald-Baumarten die Pionier- und Zwischenwald-Baumarten einzubeziehen, was wesentlich u. a. im Interesse höherer Vielfalt, Elastizität und Stabilität sein kann. Bei der Unsicherheit zu erwartender Umweltveränderungen und sich wandelnder gesellschaftlicher Ansprüche ist damit ebenfalls eine größere Anpassungsfähigkeit gegenüber zukünftig eintretenden ökologischen und ökonomischen Bedingungen gegeben. Deshalb wird eine „dem natürlichen Entwicklungspotential des aktuellen Biotops entsprechende Vegetation“ (kurz: natürliches Vegetationspotential, SCHMIDT 1997) als entscheidend betrachtet, die zwar von natürlichen Waldgesellschaften (Vegetationstypen der realen Vegetation) bzw. potentiellen Waldgesellschaften (PNV) abgeleitet wird, aber Abwandlungen berücksichtigt, die durch zukünftige natürliche (z. B. biotopbedingte oder sukzessionale) Entwicklungen und gegenwärtige Zustände (z. B. Nachwirkungen nutzungsbedingter Degradation, Regeneration aktueller Bestände) bedingt sind. Waldentwicklungstypen und Bestandes-Zieltypen aus sektoraler phytozönotischer Sicht liegen zwar „adäquate natürliche Vorbilder“ (z. B. durch Zuordnung bestimmter Vegetationstypen zu Standorttypen) zu Grunde, es müssen aber ebenso die konkrete Situation (aktuelle Baumartenstruktur und Verjüngung, Diasporenpotential etc.) wie zu erwartende, sich aus der Walddynamik ergebende und durch die ökologischen Reaktionsnormen der Baumarten bedingte Veränderungen einfließen (SCHMIDT 1998, WAGNER 2000). So betont THOMASIUS (2000, S. 156), daß ökologisch begründete Ziele des Waldbaus „nicht nur von Resultierenden früherer Umweltkonstellationen“ (PNV von einst oder heute) abgeleitet werden dürfen, sondern „sich vielmehr an dem mit hoher Wahrscheinlichkeit unter zukünftigen Umweltkonstellationen ergebenden Attraktor der Ökosystementwicklung orientieren“ müssen. Anwendungsbedarf und Anwendbarkeit des Konzeptes der PNV für die Waldbewirtschaftung in verschiedenen biogeographischen Regionen und ihren Biomen, in einzelnen Ländern oder Wirtschaftssystemen sind differenziert zu sehen; sie sind unter anderem abhängig • von den Strategien der Waldbewirtschaftung (national wie international, vgl. Kriterien und Indikatoren nachhaltiger Waldbewirtschaftung nach dem Helsinki-Prozeß oder Einführung der Zertifizierung), • von den Zielen (Waldfunktionen) und Verfahren (Waldbautechnologien) der Waldbehandlung, • vom aktuellen Zustand der Wälder bzw. Forsten (Natürlichkeitsgrad bzw. Hemerobie, Entwicklungsstadium, Stabilität, natürliches Vegetationspotential, Wilddichte etc.), • vom Waldökosystemtyp (geobiozönotische Strukturen und Funktionen, ökosystemspezifische Entwicklungsdynamik, naturbürtige Biodiversität etc.). 386

Im vorliegenden Beitrag steht die Vegetation im Mittelpunkt, wohl wissend, daß dies eine Vernachlässigung anderer, nicht minder wesentlicher Faktoren und Prozesse darstellt. Der Bedarf einer Auseinandersetzung mit der PNV ist vor allem gegeben, wenn die aktuellen Waldbestände Ergebnis anthropogener Veränderung von Geo- oder Biotop sind und die Phytozönose von der natürlichen Waldvegetation abweicht (z. B. meso- bis euhemerobe Wirtschaftswälder, Forsten aus standort- oder gebietsfremden Baumarten), denn dann ergeben sich explizit Fragen nach • der Bewertung des Natürlichkeitsgrades bzw. der Hemerobie (einschließlich der für den entsprechenden Vegetationstyp und seine Entwicklungsstadien charakteristischen Biodiversität), • der Formulierung von Entwicklungs- und Zieltypen der Waldbewirtschaftung (insbesondere bei einem Waldumbau), die sich am Geotop- und Vegetationspotential orientieren. 3 Aspekte aktueller und potentieller natürlicher Vegetation in Natur- und Kulturwäldern ausgewählter Vegetationsgebiete Mittel- und Osteuropas Ursachen und Grad der Abweichungen der aktuellen von der ursprünglichen Vegetation oder einer potentiellen Naturwaldvegetation in Europa sind vielfältig und regional differenziert. Einige Beispiele aus mittel- und osteuropäischen Vegetationsgebieten mit den Formationsgruppen Mesophytischer Nadel- und Laubwälder (vgl. D und F in der Karte der natürlichen Vegetation Europas, BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ 2000) sollen exemplarisch die Problemstellung veranschaulichen. Unterschiedliche ökologische Ausgangssituationen sind ebenso wie Art und Intensität der Waldbewirtschaftung und sonstiger anthropogener Einflüsse zu beachten. Auch bei gleichartigen Waldbausystemen wie Kahlschlagsystemen und vergleichbarer Artenstruktur der Baumschicht (Nadelbaum-Bestände) ergeben sich Unterschiede, z. B. • sind die Auswirkungen von Kahlschlägen in Nadelwäldern der borealen Zone anders zu beurteilen als in Nadelforsten auf Standorten nemoraler Laub- und Mischwälder, • können den Kahlschlägen Walderneuerungen über Naturverjüngung (mit/ ohne regulierende Eingriffe) oder Kunstverjüngung (mit/ ohne intensive Erziehung und Pflege) folgen, wobei der Anteil der Fichten-Naturverjüngungsflächen in mitteleuropäischen im Gegensatz zu nord- und osteuropäischen Ländern unter 20 % beträgt (SCHMIDT-VOGT 1991). Der Waldzustand, die ökonomische und technologische Entwicklung im 19. Jahrhundert in Mittelund Westeuropa einerseits sowie die ökologische und waldbauliche Anpassungsfähigkeit und Leistungsfähigkeit von Picea abies und Pinus sylvestris andererseits begünstigten die Ausbreitung dieser Arten weit über ihr natürliches Areal hinaus. Die Etablierung künstlich begründeter, gleichaltriger, im Kahlschlag bewirtschafteter Nadelbaum-Reinbestände in den vergangenen beiden Jahrhunderten erstreckte sich bis auf Standorte von Laubwäldern, in denen Kiefer und Fichte als Mischbaumarten nicht natürlich vorkamen (vgl. Anteil Picea abies von etwa 1/3 an der Waldfläche Nordrhein-Westfalens, Schleswig-Holsteins oder Belgiens, die außerhalb ihres natürlichen Areals liegen, SCHMIDT-VOGT 1977). Die Waldentwicklung in borealen Kiefern- und Fichtenwäldern ist wesentlich dynamischer als in diesen Kiefern- und Fichtenforsten, die den überwiegenden Anteil der aktuellen Wirtschaftswälder Mitteleuropas stellen, auch im Vergleich zu den unter ähnlichen ökologischen Bedingungen gedeihenden Fichtenforsten bzw. bewirtschafteten Fichtenwäldern der montanen und hochmontanen Stufe. Dies äußert sich in der natürlichen Verjüngung, der Sukzession nach Kahlschlag oder Windwurf, größerer Präsenz von Pionierbaumarten oder geringerer Beeinflussung durch Schalenwild. Auch sind natürliche Nadelwälder durch höhere Stabilität 387

Im vorliegenden Beitrag steht die Vegetation im Mittelpunkt, wohl wissend, daß dies eine<br />

Vernachlässigung anderer, nicht minder wesentlicher Faktoren <strong>und</strong> Prozesse darstellt.<br />

Der Bedarf einer Auseinandersetzung mit der PNV ist vor allem gegeben, wenn die aktuellen<br />

Waldbestände Ergebnis anthropogener Veränderung von Geo- oder Biotop sind <strong>und</strong> die Phytozönose<br />

von der natürlichen Waldvegetation abweicht (z. B. meso- bis euhemerobe Wirtschaftswälder, Forsten<br />

aus standort- oder gebietsfremden Baumarten), denn dann ergeben sich explizit Fragen nach<br />

• der Bewertung des Natürlichkeitsgrades bzw. der Hemerobie (einschließlich der für den<br />

entsprechenden Vegetationstyp <strong>und</strong> seine Entwicklungsstadien charakteristischen Biodiversität),<br />

• der Formulierung von Entwicklungs- <strong>und</strong> Zieltypen der Waldbewirtschaftung (insbesondere<br />

bei einem Waldumbau), die sich am Geotop- <strong>und</strong> Vegetationspotential orientieren.<br />

3 Aspekte aktueller <strong>und</strong> potentieller natürlicher Vegetation in Natur- <strong>und</strong> Kulturwäldern<br />

ausgewählter Vegetationsgebiete Mittel- <strong>und</strong> Osteuropas<br />

Ursachen <strong>und</strong> Grad der Abweichungen der aktuellen von der ursprünglichen Vegetation oder einer<br />

potentiellen Naturwaldvegetation in Europa sind vielfältig <strong>und</strong> regional differenziert. Einige Beispiele<br />

aus mittel- <strong>und</strong> osteuropäischen Vegetationsgebieten mit den Formationsgruppen Mesophytischer<br />

Nadel- <strong>und</strong> Laubwälder (vgl. D <strong>und</strong> F in der Karte der natürlichen Vegetation Europas, BUNDESAMT<br />

FÜR NATURSCHUTZ 2000) sollen exemplarisch die Problemstellung veranschaulichen.<br />

Unterschiedliche ökologische Ausgangssituationen sind ebenso wie Art <strong>und</strong> Intensität der<br />

Waldbewirtschaftung <strong>und</strong> sonstiger anthropogener Einflüsse zu beachten. Auch bei gleichartigen<br />

Waldbausystemen wie Kahlschlagsystemen <strong>und</strong> vergleichbarer Artenstruktur der Baumschicht<br />

(Nadelbaum-Bestände) ergeben sich Unterschiede, z. B.<br />

• sind die Auswirkungen von Kahlschlägen in Nadelwäldern der borealen Zone anders zu beurteilen<br />

als in Nadelforsten auf Standorten nemoraler Laub- <strong>und</strong> Mischwälder,<br />

• können den Kahlschlägen Walderneuerungen über Naturverjüngung (mit/ ohne regulierende<br />

Eingriffe) oder Kunstverjüngung (mit/ ohne intensive Erziehung <strong>und</strong> Pflege) folgen, wobei der<br />

Anteil der Fichten-Naturverjüngungsflächen in mitteleuropäischen im Gegensatz zu nord- <strong>und</strong><br />

osteuropäischen Ländern unter 20 % beträgt (SCHMIDT-VOGT 1991).<br />

Der Waldzustand, die ökonomische <strong>und</strong> technologische Entwicklung im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert in Mittel<strong>und</strong><br />

Westeuropa einerseits sowie die ökologische <strong>und</strong> waldbauliche Anpassungsfähigkeit <strong>und</strong><br />

Leistungsfähigkeit von Picea abies <strong>und</strong> Pinus sylvestris andererseits begünstigten die Ausbreitung<br />

dieser Arten weit über ihr natürliches Areal hinaus. Die Etablierung künstlich begründeter, gleichaltriger,<br />

im Kahlschlag bewirtschafteter Nadelbaum-Reinbestände in den vergangenen beiden<br />

Jahrh<strong>und</strong>erten erstreckte sich bis auf Standorte von Laubwäldern, in denen Kiefer <strong>und</strong> Fichte als<br />

Mischbaumarten nicht natürlich vorkamen (vgl. Anteil Picea abies von etwa 1/3 an der Waldfläche<br />

Nordrhein-Westfalens, Schleswig-Holsteins oder Belgiens, die außerhalb ihres natürlichen Areals<br />

liegen, SCHMIDT-VOGT 1977). Die Waldentwicklung in borealen Kiefern- <strong>und</strong> Fichtenwäldern ist<br />

wesentlich dynamischer als in diesen Kiefern- <strong>und</strong> Fichtenforsten, die den überwiegenden Anteil der<br />

aktuellen Wirtschaftswälder Mitteleuropas stellen, auch im Vergleich zu den unter ähnlichen<br />

ökologischen Bedingungen gedeihenden Fichtenforsten bzw. bewirtschafteten Fichtenwäldern der<br />

montanen <strong>und</strong> hochmontanen Stufe. Dies äußert sich in der natürlichen Verjüngung, der Sukzession<br />

nach Kahlschlag oder Windwurf, größerer Präsenz von Pionierbaumarten oder geringerer<br />

Beeinflussung durch Schalenwild. Auch sind natürliche Nadelwälder durch höhere Stabilität<br />

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