Nicola Arndt und Matthias Pohl - Neobiota
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7 Die Quantifizierung der Ökosystemtypenvielfalt: Phytodiversität auf der chorischen Ebene Die abgeleiteten Potentiale der Pflanzenartenvielfalt beschreiben Diversität auf der Ebene der Pflanzengesellschaft oder des Ökosystems, also auf der topischen Ebene. Will man Diversität auf der Ebene bewaldeter Landschaftsausschnitte, also auf der chorischen Ebene, quantifizieren, so bietet sich wiederum eine Beschreibung nach Formel (2) an, wobei die pi in diesem Falle gemäß (5) = i A pi A ∑ i i über die Flächenanteile der verschiedenen Vegetationstypen in dem jeweiligen Landschaftsausschnitt berechnet werden. Auf der Basis der in einem Gebiet kartierten Waldtypen der potentiellen natürlichen Vegetation können wir somit über die Gleichungen (2) und (5) ein natürliches Diversitätspotential für diesen Landschaftsausschnitt berechnen, das durch das naturräumlich vorgegebene Standortsmosaik festgelegt wird. Hiermit gewinnen wir eine objektive Maßzahl, um auf dieser Grundlage die Ökosystemtypendiversität der vom Menschen beeinflußten Waldlandschaft zu bewerten. Im Falle des NSG Hinrichshagen finden wir aufgrund der Tatsache, daß auf etwa einem Viertel der Fläche die natürlichen Waldtypen durch künstliche Forsttypen ersetzt wurden, eine Erhöhung der Ökosystemtypenvielfalt auf 180 % im Vergleich zum natürlichen Typenpotential (= 100 %). 8 Schlußfolgerungen Die als Orientierungshilfe zur Bewertung des aktuellen Waldbildes und für Maßnahmen der Walderneuerung und -umgestaltung abgeleiteten Maßzahlen für die Naturnähe der Baumartenzusammensetzung und die natürlichen Potentiale der Phytodiversität können über die Kartierung der PNV flächenhaft erfaßt werden. Am Beispiel des mecklenburgischen NSG Hinrichshagen ist deutlich geworden, daß eine höhere Naturnähe der Baumartenzusammensetzung vielfach mit einer geringeren Phytodiversität sowohl auf der topischen als auch auf der chorischen Ebene verbunden ist. Ein starker Anstieg der Diversität ist häufig eine Folge von Störungen des Ökosystemgefüges, die in natürlichen Wäldern offensichtlich in hohem Maße selbstorganisiert während zeitlich begrenzter Stadien im Vorfeld der natürlichen Regeneration auftreten. Während der durch Konkurrenzprozesse ausgelesenen Hauptstadien dagegen bleibt Vielfalt auf standörtlich determinierte und vorhersagbare Diversitätspotentiale beschränkt. Hieraus folgt, daß die Erhöhung der Diversität per se kein ökologisch begründbares Entwicklungsziel sein kann, sondern die Wertung von Vielfalt vor allem unter dem Aspekt der Erhaltung und Entwicklung der Selbstorganisationsfähigkeit von Ökosystemen erfolgen sollte. Die höchste Selbstorganisationsfähigkeit besitzen jene Ökosystemeinheiten, die in wesentlichen Eigenschaften ihres Vegetations- und Standortszustandes dem „Bauplan“ der Natur, also dem potentiellen natürlichen Ökosystemzustand entsprechen: Sie verfügen über die Fähigkeit zur Selbstregulation ihrer Bestandesdichten, ohne daß menschliche Eingriffe zur Sicherung der Stabilität notwendig wären, und insbesondere auch über die Fähigkeit zur Selbstregeneration am Ende eines natürlichen Zyklus. Tatsächlich ist dieser natürliche Zyklus zumeist wesentlich länger als jene 312
Perioden, nach denen wir Verjüngung in bewirtschafteten Wäldern künstlich einleiten. Die Verkürzung der Waldentwicklungszyklen auf die Holzakkumulationsphasen ist ein weiterer Aspekt der Naturabweichung. Gerade die reifen Entwicklungsstadien in natürlichen Wäldern schaffen über die Neukombination genetischer Information, im Ergebnis von Migrationsprozessen und kleinstandörtlicher Differenzierung eine enorme Variation von Individuen, Arten und Strukturen und damit ein enormes Anpassungspotential an sich verändernde Umweltbedingungen. Dieses Anpassungspotential stellt eine entscheidende Voraussetzung für den dauerhaften Erhalt der Selbstorganisationsfähigkeit der Ökosysteme dar. Dort, wo bereits eine hohe Naturnähe der Baumartenzusammensetzung vorhanden ist, sollten daher in bestimmtem Umfange auch reife Entwicklungsstadien in die Walddynamik integriert werden. Für das NSG Hinrichshagen haben wir an anderer Stelle ein Entwicklungsszenario entworfen, nach dem über eine bewirtschaftende Steuerung der Walderneuerung innerhalb von 120 Jahren neben einer weiteren Erhöhung der Naturnähe der Baumartenzusammensetzung ein im Gebiet umlaufender Wechsel aller Entwicklungsstadien des Buchenwaldes unter Einschluß reifer Entwicklungsstadien erreicht werden könnte (JENSSEN & HOFMANN 1997b). Erhalt und Entwicklung der Selbstorganisationskapazität von Ökosystemen sind ein Gebot nachhaltiger Entwicklung und sollten insbesondere auch als auszuweisendes Naturschutzziel größere Beachtung finden (MÜLLER et al. 1997). Die flächenhafte Quantifizierung von Naturnähe der Baumartenzusammensetzung und natürlichen Diversitätspotentialen auf der Grundlage der europaweiten PNV-Kartierung stellt eine unverzichtbare wissenschaftliche Grundlage für die zur Umsetzung eines solchen Schutz- und Entwicklungsziels erforderlichen Bewertungen, Abwägungen und Planungen dar. Literatur AUBREVILLE, A.M.A. (1938): La foret coloniale: Les forets de l’Afrique occidentale francaise. – Ann. Acad. Sci. Colon. 9: 1-245. BLUME, H.-P. & SUKOPP, H. (1976): Ökologische Bedeutung anthropogener Bodenveränderungen. – Schriftenreihe Vegetationskunde 10: 75-89. GRABHERR, G.; KOCH, G.; KIRCHMEIR, H. & REITER, K. (1998): Hemerobie österreichischer Waldökosysteme. – Innsbruck (Wagner, Veröffentlichungen des Österreichischen MAB- Programms, Bd. 17), 493 S. HOFMANN, G. (1995): Wald, Klima, Fremdstoffeintrag - ökologischer Wandel mit Konsequenzen für Waldbau und Naturschutz. – Angew. Landschaftsökol. 4: 165-189. HOFMANN, G. & JENSSEN, M. (1999): Quantifizierung der Naturnähe als Planungsgrundlage für praktische Waldumbaumaßnahmen. – AFZ/Der Wald 54: 575-578. HOFMANN, G. & JENSSEN, M.: PNV und Naturraumpotentiale: Kohlenstoff- und Wasserhaushalt. – In diesem Band. HOLLING, C.S. (1986): The resilience of terrestrial ecosystems: local surprise and global change. – In: CLARK, W.C. & MUNN, R.E. (Eds.): Sustainable development of the biosphere. – Cambridge, p. 292-317. JENSSEN, M. (2001): An Empirically Based Approach to Self-Organisation in Forest Ecosystems. – In: MATTHIES, M.; MALCHOW, H. & KRIZ, J. (Eds.): Integrative Systems Approaches to Natural and Social Dynamics. – Berlin, S. 203-222. 313
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der Naturabweichung. Gerade die reifen Entwicklungsstadien in natürlichen Wäldern schaffen über<br />
die Neukombination genetischer Information, im Ergebnis von Migrationsprozessen <strong>und</strong> kleinstandörtlicher<br />
Differenzierung eine enorme Variation von Individuen, Arten <strong>und</strong> Strukturen <strong>und</strong> damit ein<br />
enormes Anpassungspotential an sich verändernde Umweltbedingungen. Dieses Anpassungspotential<br />
stellt eine entscheidende Voraussetzung für den dauerhaften Erhalt der Selbstorganisationsfähigkeit<br />
der Ökosysteme dar. Dort, wo bereits eine hohe Naturnähe der Baumartenzusammensetzung<br />
vorhanden ist, sollten daher in bestimmtem Umfange auch reife Entwicklungsstadien in die<br />
Walddynamik integriert werden. Für das NSG Hinrichshagen haben wir an anderer Stelle ein<br />
Entwicklungsszenario entworfen, nach dem über eine bewirtschaftende Steuerung der Walderneuerung<br />
innerhalb von 120 Jahren neben einer weiteren Erhöhung der Naturnähe der<br />
Baumartenzusammensetzung ein im Gebiet umlaufender Wechsel aller Entwicklungsstadien des<br />
Buchenwaldes unter Einschluß reifer Entwicklungsstadien erreicht werden könnte (JENSSEN &<br />
HOFMANN 1997b).<br />
Erhalt <strong>und</strong> Entwicklung der Selbstorganisationskapazität von Ökosystemen sind ein Gebot nachhaltiger<br />
Entwicklung <strong>und</strong> sollten insbesondere auch als auszuweisendes Naturschutzziel größere<br />
Beachtung finden (MÜLLER et al. 1997). Die flächenhafte Quantifizierung von Naturnähe der<br />
Baumartenzusammensetzung <strong>und</strong> natürlichen Diversitätspotentialen auf der Gr<strong>und</strong>lage der europaweiten<br />
PNV-Kartierung stellt eine unverzichtbare wissenschaftliche Gr<strong>und</strong>lage für die zur Umsetzung<br />
eines solchen Schutz- <strong>und</strong> Entwicklungsziels erforderlichen Bewertungen, Abwägungen <strong>und</strong><br />
Planungen dar.<br />
Literatur<br />
AUBREVILLE, A.M.A. (1938): La foret coloniale: Les forets de l’Afrique occidentale francaise. – Ann.<br />
Acad. Sci. Colon. 9: 1-245.<br />
BLUME, H.-P. & SUKOPP, H. (1976): Ökologische Bedeutung anthropogener Bodenveränderungen. –<br />
Schriftenreihe Vegetationsk<strong>und</strong>e 10: 75-89.<br />
GRABHERR, G.; KOCH, G.; KIRCHMEIR, H. & REITER, K. (1998): Hemerobie österreichischer<br />
Waldökosysteme. – Innsbruck (Wagner, Veröffentlichungen des Österreichischen MAB-<br />
Programms, Bd. 17), 493 S.<br />
HOFMANN, G. (1995): Wald, Klima, Fremdstoffeintrag - ökologischer Wandel mit Konsequenzen für<br />
Waldbau <strong>und</strong> Naturschutz. – Angew. Landschaftsökol. 4: 165-189.<br />
HOFMANN, G. & JENSSEN, M. (1999): Quantifizierung der Naturnähe als Planungsgr<strong>und</strong>lage für<br />
praktische Waldumbaumaßnahmen. – AFZ/Der Wald 54: 575-578.<br />
HOFMANN, G. & JENSSEN, M.: PNV <strong>und</strong> Naturraumpotentiale: Kohlenstoff- <strong>und</strong> Wasserhaushalt. – In<br />
diesem Band.<br />
HOLLING, C.S. (1986): The resilience of terrestrial ecosystems: local surprise and global change. – In:<br />
CLARK, W.C. & MUNN, R.E. (Eds.): Sustainable development of the biosphere. – Cambridge,<br />
p. 292-317.<br />
JENSSEN, M. (2001): An Empirically Based Approach to Self-Organisation in Forest Ecosystems. – In:<br />
MATTHIES, M.; MALCHOW, H. & KRIZ, J. (Eds.): Integrative Systems Approaches to Natural and<br />
Social Dynamics. – Berlin, S. 203-222.<br />
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