Nicola Arndt und Matthias Pohl - Neobiota

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22.02.2013 Aufrufe

potential natural phytodiversity. Deviation from the natural state can be measured as the geometrical distance between natural and current forest types in ecological space. This measure reflects the degradation of site conditions by tree species not adapted to the specific site. For practical purposes, the percentage of coincidence between current and potential natural tree species composition can be used as an appropriate measure of naturalness. Phytodiversity is measured as BOLTZMANN-SHANNON entropy both at the ecosystem and landscape levels. For example, naturalness of tree species composition and phytodiversity are calculated for a woodland area of about 1,000 ha. It turns out that increasing naturalness of tree species composition is connected to a decrease of phytodiversity in many cases. It is concluded that the increase of biodiversity per se cannot be an ecologically justified objective of development. Instead, the preservation and development of the self-organization capability of ecosystems should be accorded more attention in nature conservation strategies. The map of PNV of Europe proves to be an essential scientific basis for implementing this objective. 1 Einleitung Von Natur aus wäre der überwiegende Teil Europas bewaldet. Dabei ist unbestritten, daß das von TÜXEN (1956) begründete Konzept der potentiellen natürlichen Vegetation ein Modell des heutigen natürlichen Waldes entwirft, das zu keinem Zeitpunkt der spät- und nacheiszeitlichen Waldentwicklung auch nur annähernd flächendeckend realisiert gewesen ist. Dies folgt zum einen aus der natürlichen Veränderung der Standortsbedingungen während dieser Epoche, insbesondere dem klimatischen Wandel, zum anderen jedoch aus dem seit dem Atlantikum ständig zunehmenden menschlichen Einfluß auf den Wald, der schließlich zu Beginn der Neuzeit vor allem in West- und Mitteleuropa zu einer flächenhaften Zerstörung der Naturwaldstrukturen geführt hatte. Mit den vor etwa 200 Jahren aus akuter Holznot heraus künstlich begründeten Nadelbaumforsten der Baumarten Fichte und Kiefer wurde in historisch außerordentlich kurzer Zeit auf weiten Teilen der potentiellen Waldfläche die Vegetationsform Wald re-etabliert. Die von den Vätern der „geregelten Forstwirtschaft“ lediglich als Pionierwald-artige Initialstadien auf degradierten Böden in einer weitgehend waldfreien Landschaft gedachten gleichaltrigen Monokulturen wurden im System des schlagweisen Hochwaldes über mehrere Bestandesgenerationen auf dem größten Teil der Waldfläche bis auf den heutigen Tag fortgeführt. Dabei hat sich der Standortszustand (Oberboden und Mikroklima) unter dem Einfluß der Bewaldung seit Mitte des vergangenen/19./20. Jahrhunderts in weiten Teilen Europas zusätzlich aufgrund anthropogener Fremdstoffeinträge stetig verändert. Dadurch sind teilweise erhebliche Disharmonien zwischen der aktuellen Waldvegetation und den gegebenen Standortspotentialen entstanden. Hieraus resultierende ökologische Probleme, mangelnde Stabilität der Kunstforsten, die Notwendigkeit zur Minimierung des Energieeinsatzes in der Forstwirtschaft, nicht zuletzt aber auch Forderungen nach einer Optimierung von Nutz- und Schutzfunktionen der Wälder haben in vielen Teilen Europas Forderungen nach einer ökologischen Waldumgestaltung aufkommen lassen, die sich teilweise in entsprechenden staatlichen Programmen niederschlagen. Dabei sind die Herstellung einer größeren Naturnähe einerseits sowie der Erhalt und die Vermehrung der Biodiversität andererseits zwei zentrale Forderungen, die in nationalen und internationalen politischen Zielvorgaben fixiert sind. Da a priori nicht davon ausgegangen werden kann, daß diese und weitere Ziele gleichberechtigt auf der gesamten Waldfläche umgesetzt werden können, ist es notwendig, 298

wissenschaftliche Grundlagen für flächenkonkrete Abwägungsprozesse zu schaffen. Für praktische Maßnahmen der Waldumgestaltung ist insbesondere die Frage nach der Meßbarkeit und flächenhaften Quantifizierung von Naturnähe und Biodiversität von zentraler Bedeutung. Als Referenzzustand zur Quantifizierung von Naturnähe und Biodiversität ist dabei der potentielle natürliche Ökosystemzustand geeignet, der über die PNV flächenhaft kartierbar ist. 2 Der potentielle natürliche Ökosystemzustand als Referenzzustand zur Quantifizierung von Naturnähe und Biodiversität Da der prähistorische Waldzustand vor dem Beginn nennenswerter menschlicher Beeinflussung als Referenzzustand für die Waldnatur ausscheidet, ist vielfach versucht worden, Naturnähe über den Grad menschlicher Beeinflussung zu definieren (Hemerobiekonzept, vgl. SUKOPP 1972, BLUME & SUKOPP 1976, GRABHERR et al. 1989). Will man das Kriterium Naturnähe als ein Orientierungsmaß für praktische Maßnahmen der Waldumgestaltung verwenden, erscheint eine solche Definition jedoch vor allem aus zwei Gründen problematisch: • Der indirekte menschliche Einfluß über die Umweltbedingungen (Wirkungen anthropogener Immissionen auf Stoffkreisläufe und Klima, mesoklimatischer Einfluß der aktuellen Wald-Feld- Verteilung u. a.) und der direkte menschliche Einfluß in der Vergangenheit können weder modellhaft noch praktisch ausgeschlossen werden und bleiben immer auch Rahmenbedingung für Waldumbaumaßnahmen oder selbstorganisierte Prozesse z. B. in Wald-Nationalparks. Anthropogene Umweltveränderungen können zu einer neuen Natürlichkeit führen (HOFMANN 1995). • Naturnähe kann und soll offensichtlich durch direkte menschliche Eingriffe erhöht werden (Waldumbau in der Forstwirtschaft, biotoplenkende Maßnahmen im Naturschutz). Entscheidend ist nicht der Eingriff an sich, sondern die Richtung der durch den Eingriff ausgelösten Entwicklung. Es wird daher vorgeschlagen, den potentiellen natürlichen Ökosystemzustand als Referenzzustand zur Quantifizierung von Naturnähe und natürlichen Potentialen der Landschaft zu verwenden. Dieser wird in Anlehnung an TÜXEN (1956) als ein Zustand relativer und zyklischer Stabilität definiert, der sich unter den derzeit gegebenen ökologischen Rahmenbedingungen (Klima, Boden, Relief, pflanzengeographische Situation) ohne Zutun des Menschen, d. h. in Selbstorganisation des Ökosystems entwickeln würde. Es handelt sich somit um ein Modell der Selbstorganisation, das eine „schlagartige“ Einstellung eines zyklisch stabilen Zustandes unterstellt. Mit dem Begriff der relativen und zyklischen Stabilität wird der Erkenntnis der Naturwaldforschung Rechnung getragen, daß die Entwicklung von Naturwäldern eine zyklische Abfolge von Entwicklungsstadien (Lebenszyklen) unter Einschluß von Desintegrations- und Regenerationsstadien auf Zeitskalen von mehreren hundert Jahren umfaßt, wobei die unterschiedlichen Entwicklungsstadien mosaikartig auf der Waldfläche verteilt sind (AUBREVILLE 1938, LEIBUNDGUT 1978, 1993, HOLLING 1986, MAYER 1986, REMMERT 1991, KORPEL 1995, JENSSEN & HOFMANN 1996, 1997a, STÖCKER 1997). In Auswertung des bekannten Wissens gehen wir dabei – ohne Bezug auf vielfach kontrovers diskutierte Einzelheiten – von folgenden prinzipiellen Eigenschaften selbstorganisierter Waldentwicklungszyklen aus: 299

wissenschaftliche Gr<strong>und</strong>lagen für flächenkonkrete Abwägungsprozesse zu schaffen. Für praktische<br />

Maßnahmen der Waldumgestaltung ist insbesondere die Frage nach der Meßbarkeit <strong>und</strong> flächenhaften<br />

Quantifizierung von Naturnähe <strong>und</strong> Biodiversität von zentraler Bedeutung. Als Referenzzustand zur<br />

Quantifizierung von Naturnähe <strong>und</strong> Biodiversität ist dabei der potentielle natürliche Ökosystemzustand<br />

geeignet, der über die PNV flächenhaft kartierbar ist.<br />

2 Der potentielle natürliche Ökosystemzustand als Referenzzustand zur Quantifizierung von<br />

Naturnähe <strong>und</strong> Biodiversität<br />

Da der prähistorische Waldzustand vor dem Beginn nennenswerter menschlicher Beeinflussung als<br />

Referenzzustand für die Waldnatur ausscheidet, ist vielfach versucht worden, Naturnähe über den<br />

Grad menschlicher Beeinflussung zu definieren (Hemerobiekonzept, vgl. SUKOPP 1972, BLUME &<br />

SUKOPP 1976, GRABHERR et al. 1989). Will man das Kriterium Naturnähe als ein Orientierungsmaß<br />

für praktische Maßnahmen der Waldumgestaltung verwenden, erscheint eine solche Definition jedoch<br />

vor allem aus zwei Gründen problematisch:<br />

• Der indirekte menschliche Einfluß über die Umweltbedingungen (Wirkungen anthropogener<br />

Immissionen auf Stoffkreisläufe <strong>und</strong> Klima, mesoklimatischer Einfluß der aktuellen Wald-Feld-<br />

Verteilung u. a.) <strong>und</strong> der direkte menschliche Einfluß in der Vergangenheit können weder<br />

modellhaft noch praktisch ausgeschlossen werden <strong>und</strong> bleiben immer auch Rahmenbedingung für<br />

Waldumbaumaßnahmen oder selbstorganisierte Prozesse z. B. in Wald-Nationalparks.<br />

Anthropogene Umweltveränderungen können zu einer neuen Natürlichkeit führen (HOFMANN<br />

1995).<br />

• Naturnähe kann <strong>und</strong> soll offensichtlich durch direkte menschliche Eingriffe erhöht werden<br />

(Waldumbau in der Forstwirtschaft, biotoplenkende Maßnahmen im Naturschutz). Entscheidend<br />

ist nicht der Eingriff an sich, sondern die Richtung der durch den Eingriff ausgelösten<br />

Entwicklung.<br />

Es wird daher vorgeschlagen, den potentiellen natürlichen Ökosystemzustand als Referenzzustand<br />

zur Quantifizierung von Naturnähe <strong>und</strong> natürlichen Potentialen der Landschaft zu verwenden. Dieser<br />

wird in Anlehnung an TÜXEN (1956) als ein Zustand relativer <strong>und</strong> zyklischer Stabilität definiert, der<br />

sich unter den derzeit gegebenen ökologischen Rahmenbedingungen (Klima, Boden, Relief,<br />

pflanzengeographische Situation) ohne Zutun des Menschen, d. h. in Selbstorganisation des<br />

Ökosystems entwickeln würde. Es handelt sich somit um ein Modell der Selbstorganisation, das eine<br />

„schlagartige“ Einstellung eines zyklisch stabilen Zustandes unterstellt.<br />

Mit dem Begriff der relativen <strong>und</strong> zyklischen Stabilität wird der Erkenntnis der Naturwaldforschung<br />

Rechnung getragen, daß die Entwicklung von Naturwäldern eine zyklische Abfolge von Entwicklungsstadien<br />

(Lebenszyklen) unter Einschluß von Desintegrations- <strong>und</strong> Regenerationsstadien auf<br />

Zeitskalen von mehreren h<strong>und</strong>ert Jahren umfaßt, wobei die unterschiedlichen Entwicklungsstadien<br />

mosaikartig auf der Waldfläche verteilt sind (AUBREVILLE 1938, LEIBUNDGUT 1978, 1993, HOLLING<br />

1986, MAYER 1986, REMMERT 1991, KORPEL 1995, JENSSEN & HOFMANN 1996, 1997a, STÖCKER<br />

1997). In Auswertung des bekannten Wissens gehen wir dabei – ohne Bezug auf vielfach kontrovers<br />

diskutierte Einzelheiten – von folgenden prinzipiellen Eigenschaften selbstorganisierter Waldentwicklungszyklen<br />

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