Nicola Arndt und Matthias Pohl - Neobiota

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22.02.2013 Aufrufe

Da beim Natürlichkeitsgrad der entscheidende Formationscharakter unmittelbar von der Nutzungsart abhängt, sind die Kartierungsgrenzen immer Nutzungsgrenzen; sie sind in größerem bis mittlerem Maßstab Karten der Flächennutzung oder Luftbildern, bei kleinen Übersichtsmaßstäben – wie in unserem Fall – Satellitenbildern zu entnehmen. Auf diesem Wege ist die Erfassung und Kartierung des aktuellen ökologischen Vegetationszustandes mit vertretbarem Aufwand auch für größere Gebiete möglich. Der abgestufte Natürlichkeitsgrad der real-aktuellen Vegetation ergibt sich dann durch den Vergleich mit der potentiell-natürlichen Vegetation. Bei der Ausscheidung zusammengesetzter (chorischer) Kartierungseinheiten ist zwischen Dominanz- und Kombinationsmosaiktypen zu unterscheiden. Für das ostdeutsche Beispiel ergab sich folgende Rangfolge der Dominanztypen nach zunehmendem Natürlichkeitsgrad (SCHLÜTER 1991, 1992): 1. Technogene Gebiete (urban/künstlich), 2. Ackerbau-Agrargebiete (naturfremd), 3. Grünlandgebiete (halbnatürlich-naturfremd), 4. Forstgebiete mit standortsfremden Holzarten (naturfern) 5. Waldgebiete (naturnah-natürlich). Je nach den Flächenanteilen der am Mosaik beteiligten Grundtypen werden Mischgebiete als Kombinationsmosaiktypen entsprechend ihrem mittleren Natürlichkeitsgrad in die Rangfolge der Skala eingefügt. Sie weisen eine sehr unterschiedliche biotische Diversität auf, die für die vegetationsökologische Bewertung ebenfalls von großer Bedeutung ist (vgl. SCHLÜTER 1980). Insbesondere zeichnen sich – vor allem im pleistozänen Tiefland – Ausbildungen mit Seen durch eine hohe biotische Diversität aus, bedingt durch meist noch naturnahe Vegetation an den Ufern und im seenahen Bereich, so daß sie jeweils die Unterstufe mit dem relativ höchsten Natürlichkeitsgrad darstellen. Das Prinzip dieser Gliederung wird durch die Legende eines zentraleuropäischen Kartierungsbeispiels 1 : 1 000 000 verdeutlicht (Tabelle 2). 3 Landnutzung und Natürlichkeitsgrad in anderen Vegetationszonen Gegenüber dem von Laubwäldern dominierten Zentraleuropa schränken sich jedoch die Möglichkeiten einer landwirtschaftlichen Nutzung nach Nordosten hin mit abnehmender Wärme und Verkürzung der Vegetationsperiode in den borealen Nadelwaldzonen immer mehr ein – bei gleichzeitiger Abnahme der Siedlungsdichte und der Nutzungsintensität. Nur in gut zugänglichen Gebieten der Taiga wird der natürliche Nadelwald zunehmend intensiv genutzt, und es herrschen dann Kahlflächen und Regenerationsbestände oder Aufforstungen mit natürlichen Nadelhölzern, vor allem den dort heimischen Fichten (Picea abies, P. obovata), so daß hier künstliche Bestände der bodenständigen Nadelholzarten und keine Forstgesellschaften im strengen Sinne entstehen. Auf Brandflächen siedelt sich spontan die Waldkiefer (Pinus sylvestris) an und bildet sekundäre Pionierwaldtypen. Ferner gibt es extensive und auch intensivere Graswirtschaft, während der Ackerbau weitgehend und nach Norden hin vollkommen fehlt, so daß eine spezifische Segetalvegetation kaum entwickelt ist. In der arktischen Tundra ist die Nutzung auf vielfach noch nomadische Weidewirtschaft beschränkt, die bei zu hohem Weidedruck zu Degradation und Zerstörung vor allem der Flechtentundra führen kann. In der Strauchtundra und besonders in den Mooren ist auch eine Vegetationszerstörung durch Torfabbau möglich. 280

Tabelle 2: Skala der Mosaiktypen der Flächennutzung als Ausdruck des Natürlichkeitsgrades der Vegetation für Mittel- und Ostdeutschland (Legende zur Karte 1 : 1 Mio. nach SCHLÜTER 1992). 1. Technogene Gebiete urban/künstlich 2. Agrargebiete naturfremd 3. Agrarmischgebiete naturfern-naturfremd naturfern (-nah)-naturfremd 4. Grünlandgebiete halbnatürlich-naturfremd 5. Forst- und Waldmischgebiete naturfremd-naturfern naturfremd-naturnah 6. Forstgebiete naturfern 7. Wald-Forstgebiete naturfern-naturnah 8. Forst-Waldgebiete naturnah-naturfern 9. Waldgebiet naturnah-natürlich * militärisches Übungsgelände Hauptstufen Kartierungseinheiten 1.1 Industrie-Urbangebiet 1.2 Tagebaugebiet 2.1 monotones Intensiv-Ackerbaugebiet 2.2 differenziertes Ackerbaugebiet 2.3 (Wald-/Forst-)Ackerbaugebiet 3.1 Grünland-Ackerbaugebiet 3.2 Forst-Ackerbaugebiet 3.3 Forst-Grünland-Ackerbaugebiet 3.4 Wald-Ackerbaugebiet 3.5 Wald-Grünland-Ackerbaugebiet 3.6 Seen-Agrarmischgebiet 4.1 Grünlandgebiet 4.2 Wald-(Forst-)Grünlandgebiet 5.1 Agrar-Forstgebiet 5.2 Seen-Agrar-Forstgebiet 5.3 Agrar-Waldgebiet 5.4 Seen-Agrar-Waldgebiet 6.1 (Agrar-)Forstgebiet 6.2 Devastiertes Forstgebiet * 6.3 Forstgebiet 6.4 Seen-Forstgebiet 7.1 (Agrar-)Wald-Forstgebiet 7.2 Wald-Forstgebiet 7.3 Seen-Wald-Forstgebiet 8.1 (Agrar-)Forst-Waldgebiet 8.2 Forst-Waldgebiet 8.3 Seen-Forst-Waldgebiet 9.1 (Agrar-)Waldgebiet 9.2 Waldgebiet 9.3 Seen-Waldgebiet Eine ähnliche Abfolge tritt zum europäischen Osten hin mit zunehmender Kontinentalität und Aridität auf, wo in der Waldsteppen- und Steppenzone vor allem auf Schwarzerde großräumig z.T. relativ intensiver Ackerbau – von Schutzpflanzungen durchzogen – dominiert. Daneben gibt es aber auch Weidewirtschaft in oft degradierten Restflächen der Steppe, in Flußtälern sogar intensivere Weideund Wiesenwirtschaft. Halbwüste und Wüste erlauben dann wegen ihrer extremen Trockenheit nur noch eine extensive, sporadische Beweidung, während Landbau allenfalls in sehr beschränktem Maße bei Bewässerung – mit all ihren ökologischen Risiken und Folgen – möglich erscheint. Entsprechend der abnehmenden Nutzungsintensität ist demnach in Richtung Norden und Osten mit einer stetigen Zunahme des Natürlichkeitsgrades der Vegetation in Quantität und Qualität zu rechnen. 4 Ausblick auf eine europaweite Umsetzung Für alle auf der Europakarte ausgewiesenen Vegetationszonen läßt sich eine Abfolge des Natürlichkeitsgrades aufstellen zwischen anthropogen vegetationslos – durch Vegetationszerstörung, Bebauung oder Versiegelung – und natürlicher Vegetation der entsprechenden Formation mit ihrer spezifischen 281

Tabelle 2: Skala der Mosaiktypen der Flächennutzung als Ausdruck des Natürlichkeitsgrades der Vegetation für<br />

Mittel- <strong>und</strong> Ostdeutschland (Legende zur Karte 1 : 1 Mio. nach SCHLÜTER 1992).<br />

1. Technogene Gebiete<br />

urban/künstlich<br />

2. Agrargebiete<br />

naturfremd<br />

3. Agrarmischgebiete<br />

naturfern-naturfremd<br />

naturfern (-nah)-naturfremd<br />

4. Grünlandgebiete<br />

halbnatürlich-naturfremd<br />

5. Forst- <strong>und</strong> Waldmischgebiete<br />

naturfremd-naturfern<br />

naturfremd-naturnah<br />

6. Forstgebiete<br />

naturfern<br />

7. Wald-Forstgebiete<br />

naturfern-naturnah<br />

8. Forst-Waldgebiete<br />

naturnah-naturfern<br />

9. Waldgebiet<br />

naturnah-natürlich<br />

* militärisches Übungsgelände<br />

Hauptstufen Kartierungseinheiten<br />

1.1 Industrie-Urbangebiet<br />

1.2 Tagebaugebiet<br />

2.1 monotones Intensiv-Ackerbaugebiet<br />

2.2 differenziertes Ackerbaugebiet<br />

2.3 (Wald-/Forst-)Ackerbaugebiet<br />

3.1 Grünland-Ackerbaugebiet<br />

3.2 Forst-Ackerbaugebiet<br />

3.3 Forst-Grünland-Ackerbaugebiet<br />

3.4 Wald-Ackerbaugebiet<br />

3.5 Wald-Grünland-Ackerbaugebiet<br />

3.6 Seen-Agrarmischgebiet<br />

4.1 Grünlandgebiet<br />

4.2 Wald-(Forst-)Grünlandgebiet<br />

5.1 Agrar-Forstgebiet<br />

5.2 Seen-Agrar-Forstgebiet<br />

5.3 Agrar-Waldgebiet<br />

5.4 Seen-Agrar-Waldgebiet<br />

6.1 (Agrar-)Forstgebiet<br />

6.2 Devastiertes Forstgebiet *<br />

6.3 Forstgebiet<br />

6.4 Seen-Forstgebiet<br />

7.1 (Agrar-)Wald-Forstgebiet<br />

7.2 Wald-Forstgebiet<br />

7.3 Seen-Wald-Forstgebiet<br />

8.1 (Agrar-)Forst-Waldgebiet<br />

8.2 Forst-Waldgebiet<br />

8.3 Seen-Forst-Waldgebiet<br />

9.1 (Agrar-)Waldgebiet<br />

9.2 Waldgebiet<br />

9.3 Seen-Waldgebiet<br />

Eine ähnliche Abfolge tritt zum europäischen Osten hin mit zunehmender Kontinentalität <strong>und</strong> Aridität<br />

auf, wo in der Waldsteppen- <strong>und</strong> Steppenzone vor allem auf Schwarzerde großräumig z.T. relativ<br />

intensiver Ackerbau – von Schutzpflanzungen durchzogen – dominiert. Daneben gibt es aber auch<br />

Weidewirtschaft in oft degradierten Restflächen der Steppe, in Flußtälern sogar intensivere Weide<strong>und</strong><br />

Wiesenwirtschaft. Halbwüste <strong>und</strong> Wüste erlauben dann wegen ihrer extremen Trockenheit nur<br />

noch eine extensive, sporadische Beweidung, während Landbau allenfalls in sehr beschränktem Maße<br />

bei Bewässerung – mit all ihren ökologischen Risiken <strong>und</strong> Folgen – möglich erscheint. Entsprechend<br />

der abnehmenden Nutzungsintensität ist demnach in Richtung Norden <strong>und</strong> Osten mit einer stetigen<br />

Zunahme des Natürlichkeitsgrades der Vegetation in Quantität <strong>und</strong> Qualität zu rechnen.<br />

4 Ausblick auf eine europaweite Umsetzung<br />

Für alle auf der Europakarte ausgewiesenen Vegetationszonen läßt sich eine Abfolge des Natürlichkeitsgrades<br />

aufstellen zwischen anthropogen vegetationslos – durch Vegetationszerstörung, Bebauung<br />

oder Versiegelung – <strong>und</strong> natürlicher Vegetation der entsprechenden Formation mit ihrer spezifischen<br />

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