Nicola Arndt und Matthias Pohl - Neobiota

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22.02.2013 Aufrufe

widergespiegelt werden, z.B. klimatische, geologische, geomorphologische, pedologische, hydro- logische, floristische und faunistische Verhältnisse. Die aus der Karte der potentiellen natürlichen Vegetation abgeleitete vegetationsökologische Raumgliederung spiegelt mit dem Komplex natürlicher Faktoren das ökologische Potential einer Region wider. Die Karte der Vegetationsregionen kann daher als umfassende vegetationsökologische Bezugsbasis für angewandte Fragen des Naturschutzes genutzt werden. Sie ist soweit generalisiert, daß sie für gesamteuropäische Übersichten verwendbar ist, dabei aber durch die Basiskarte der potentiellen natürlichen Vegetation detailliert und umfassend unterlegt. Die reale Situation europäischer Landschaften weicht vom Bild dieser natürlichen Raumgliederung ganz erheblich ab. Die natürliche Vegetation ist auf letzte Reste zusammengeschmolzen und der weit überwiegende Teil des Kontinentes als Ergebnis jahrtausendelanger Tätigkeit und Einflußnahme des Menschen als Kulturlandschaft geprägt. 3 Kulturlandschaften Kulturlandschaft ist im Unterschied zu „Wildnis“ oder „Urlandschaft“ durch Tätigkeit des Menschen geprägter Naturraum. Kulturlandschaft ist zugleich Wiege und Produkt menschlicher Kultur; – sie bietet dem Menschen Nahrung, Wohnung, Arbeitsplatz – kurz gesagt Heimat; – sie ist Spiegelbild der Kultur einer Gesellschaft, durch Nutzung von Naturressourcen aus Wildnis entstanden; – sie unterliegt in Abhängigkeit von der Art und Weise der Nutzung fortwährender Veränderung; – weist in ihrer historischen Entwicklung und in ihrer geographischen Differenzierung außerordentlich große Vielfalt auf und nimmt heute den weitaus größten Teil der Landfläche Europas ein. Kulturlandschaft steckt heute in tiefer ökologischer, ökonomischer und sozialer Krise, verursacht durch wachsende Spezialisierung, Intensivierung und Industrialisierung der Landnutzung sowie durch Globalisierung des Marktes. Der Grad anthropogener Überformung von Landschaft reicht von geistiger Durchdringung über die Aneignung von Naturressourcen, über Tierhaltung und Ackerbau bis zu Industrialisierung und Urbanisierung in technogenen Ballungsräumen. Nach Art und Weise der Energiequellen und der Landnutzung lassen sich 5 Phasen der Landschaftsentwicklung in Mitteleuropa unterscheiden: – Naturlandschaft: gesamte Erdgeschichte bis zur „neolithischen Revolution“ (Übergang vom Jagen und Sammeln zu Ackerbau und Tierhaltung), – frühgeschichtliche Kulturlandschaft: in Mitteleuropa ab etwa 6.000 vor heute, Ausbreitung von Weidewirtschaft und Ackerbau im Neolithikum aus den Ursprungsgebieten in Vorderasien über Kreta, Griechenland in das Mittelmeergebiet und über den Donauraum nach Mitteleuropa führt zum Wandel der Naturlandschaft zur frühgeschichtlichen Kulturlandschaft (Neolithikum, Bronzezeit, Eisenzeit bis etwa Ende der Völkerwanderungszeit um 600 n. Chr.), – vorindustrielle Kulturlandschaft: vom früheren Mittelalter bis zum Beginn/Mitte des 19. Jahrhunderts (Nutzung von Wind und Wasserkraft als Energiequellen, eiserner Pflug, gegen Ende der Phase Tiefpunkt des Nährstoffniveaus und des Waldanteils der Kulturlandschaft, zugleich Höhepunkt der Vielfalt mitteleuropäischer Kulturlandschaften), 168

– industrielle Kulturlandschaft: wird durch Erfindung der Dampfmaschine eingeleitet und durch Einführung mineralischer Düngung, Trennung von Wald und Weide, Feldfutterbau, Melioration, industriellen Landmaschinenbau u.a. charakterisiert. Sie währt bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. – Hyperindustrieller Produktionsraum: die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ist durch immense Steigerung von Energieeinsatz sowie massenhaften, flächendeckenden Einsatz von Mineraldüngern und Pestiziden in der Landnutzung sowie durch Massenhaltung, industrielle Futterherstellung, Einsatz von Antibiotika und Mastbeschleunigern in der Tierhaltung gekennzeichnet, u.a. verbunden mit * dramatischer Abnahme von biologischer Vielfalt (Sorten- und Rassenvielfalt, Artenvielfalt, Vielfalt der Lebensräume)(vgl. z. B. IUCN 1998b), * Verlust an Bodenfruchtbarkeit (Humusschwund, Verdichtung, Einschränkung des Bodenlebens, Erosion durch Wind und Wasser), * Einschränkung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes, insbesondere des Wasserhaushaltes (Belastung und Eutrophierung von Oberflächengewässern und Belastung des Grundwassers, Veränderung des Oberflächenspannung des Wassers durch Tenside), * Verlust an Strukturreichtum, Harmonie und Ästhetik der Kulturlandschaft, * Vernichtung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum und damit einhergehende Zerstörung des Sozialgefüges, * Verringerung der Qualität von Lebensmitteln und Zunahme gesundheitlicher Risiken und Belastungen (chemische Kontamination, Resistenz von Krankheitserregern, Allergien), * schlechter Energie- und CO2 - Bilanz. Im Ergebnis der über 6.000 Jahre währenden Kulturlandschaftsentwicklung sind Wälder auf ca. 30 % der Fläche Europas zurückgedrängt und die verbliebenen Wälder zum überwiegenden Teil in künstliche Forsten umgewandelt. „Natürliche Vegetation“ gibt es in Mitteleuropa fast gar nicht mehr, in Europa insgesamt nur in geringen Resten in standörtlichen Extrem- und Grenzbereichen (Hochgebirge, Meeresküsten, Moore, Tundren, Wüsten). Ackerbau und Dauerkulturen nehmen heute ca. 50 % der Fläche Europas ein. Der Anteil landwirtschaftlicher Flächen variiert von 70 % in Ungarn, Irland, Ukraine. Landwirtschaft hat durch mehrere Jahrtausende trotz Zurückdrängung der Wälder zur Verbreiterung der biologischen Vielfalt in Kulturlandschaften beigetragen. In der hyperindustriellen Phase seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist diese Rolle jedoch ins Gegenteil verkehrt. Landwirtschaft ist zum Hauptverursacher des drastischen Verlustes an biologischer Vielfalt in der Kulturlandschaft geworden. Industriemäßige, sogenannte „moderne“ Landwirtschaft verursacht auch die Zerstörung sozialer Strukturen und regionaler Identität ländlicher Räume und damit die Zerstörung von Heimat und ländlicher Kultur. Die auf Erzielung von Höchsterträgen reduzierten agrar-industriellen Produktionsräume der hyperindustriellen Phase sind nicht nachhaltig, weder ökologisch, noch sozial, noch wirtschaftlich. Industriemäßige Landwirtschaft verursacht eine tiefe ökologische, ökonomische und soziale Krise von Kulturlandschaft. Die Entwicklung von Kulturlandschaften ist bisher somit durch zwei tiefe Einschnitte gekennzeichnet. Die neolithische Revolution leitete den Wandel von Naturlandschaft zu Kulturlandschaften ein, die durch Nutzung von Naturressourcen ihren spezifischen anthropogenen Charakter erhielten. Die Ressourcennutzung war jedoch aufgrund der technischen Möglichkeiten in ihrer Auswirkung begrenzt. In den bis zum 19. Jahrhundert dauernden Phasen frühgeschichtlicher und vorindustrieller 169

– industrielle Kulturlandschaft: wird durch Erfindung der Dampfmaschine eingeleitet <strong>und</strong> durch<br />

Einführung mineralischer Düngung, Trennung von Wald <strong>und</strong> Weide, Feldfutterbau, Melioration,<br />

industriellen Landmaschinenbau u.a. charakterisiert. Sie währt bis zur Mitte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

– Hyperindustrieller Produktionsraum: die 2. Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts ist durch immense<br />

Steigerung von Energieeinsatz sowie massenhaften, flächendeckenden Einsatz von<br />

Mineraldüngern <strong>und</strong> Pestiziden in der Landnutzung sowie durch Massenhaltung, industrielle<br />

Futterherstellung, Einsatz von Antibiotika <strong>und</strong> Mastbeschleunigern in der Tierhaltung<br />

gekennzeichnet, u.a. verb<strong>und</strong>en mit<br />

* dramatischer Abnahme von biologischer Vielfalt (Sorten- <strong>und</strong> Rassenvielfalt, Artenvielfalt,<br />

Vielfalt der Lebensräume)(vgl. z. B. IUCN 1998b),<br />

* Verlust an Bodenfruchtbarkeit (Humusschw<strong>und</strong>, Verdichtung, Einschränkung des<br />

Bodenlebens, Erosion durch Wind <strong>und</strong> Wasser),<br />

* Einschränkung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes, insbesondere des<br />

Wasserhaushaltes (Belastung <strong>und</strong> Eutrophierung von Oberflächengewässern <strong>und</strong> Belastung des<br />

Gr<strong>und</strong>wassers, Veränderung des Oberflächenspannung des Wassers durch Tenside),<br />

* Verlust an Strukturreichtum, Harmonie <strong>und</strong> Ästhetik der Kulturlandschaft,<br />

* Vernichtung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum <strong>und</strong> damit einhergehende Zerstörung des<br />

Sozialgefüges,<br />

* Verringerung der Qualität von Lebensmitteln <strong>und</strong> Zunahme ges<strong>und</strong>heitlicher Risiken <strong>und</strong><br />

Belastungen (chemische Kontamination, Resistenz von Krankheitserregern, Allergien),<br />

* schlechter Energie- <strong>und</strong> CO2 - Bilanz.<br />

Im Ergebnis der über 6.000 Jahre währenden Kulturlandschaftsentwicklung sind Wälder auf ca. 30 %<br />

der Fläche Europas zurückgedrängt <strong>und</strong> die verbliebenen Wälder zum überwiegenden Teil in<br />

künstliche Forsten umgewandelt. „Natürliche Vegetation“ gibt es in Mitteleuropa fast gar nicht mehr,<br />

in Europa insgesamt nur in geringen Resten in standörtlichen Extrem- <strong>und</strong> Grenzbereichen<br />

(Hochgebirge, Meeresküsten, Moore, T<strong>und</strong>ren, Wüsten).<br />

Ackerbau <strong>und</strong> Dauerkulturen nehmen heute ca. 50 % der Fläche Europas ein. Der Anteil<br />

landwirtschaftlicher Flächen variiert von 70 % in Ungarn, Irland,<br />

Ukraine. Landwirtschaft hat durch mehrere Jahrtausende trotz Zurückdrängung der Wälder zur<br />

Verbreiterung der biologischen Vielfalt in Kulturlandschaften beigetragen. In der hyperindustriellen<br />

Phase seit Mitte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts ist diese Rolle jedoch ins Gegenteil verkehrt. Landwirtschaft ist<br />

zum Hauptverursacher des drastischen Verlustes an biologischer Vielfalt in der Kulturlandschaft<br />

geworden. Industriemäßige, sogenannte „moderne“ Landwirtschaft verursacht auch die Zerstörung<br />

sozialer Strukturen <strong>und</strong> regionaler Identität ländlicher Räume <strong>und</strong> damit die Zerstörung von Heimat<br />

<strong>und</strong> ländlicher Kultur. Die auf Erzielung von Höchsterträgen reduzierten agrar-industriellen<br />

Produktionsräume der hyperindustriellen Phase sind nicht nachhaltig, weder ökologisch, noch sozial,<br />

noch wirtschaftlich. Industriemäßige Landwirtschaft verursacht eine tiefe ökologische, ökonomische<br />

<strong>und</strong> soziale Krise von Kulturlandschaft.<br />

Die Entwicklung von Kulturlandschaften ist bisher somit durch zwei tiefe Einschnitte gekennzeichnet.<br />

Die neolithische Revolution leitete den Wandel von Naturlandschaft zu Kulturlandschaften ein, die<br />

durch Nutzung von Naturressourcen ihren spezifischen anthropogenen Charakter erhielten. Die<br />

Ressourcennutzung war jedoch aufgr<strong>und</strong> der technischen Möglichkeiten in ihrer Auswirkung<br />

begrenzt. In den bis zum 19. Jahrh<strong>und</strong>ert dauernden Phasen frühgeschichtlicher <strong>und</strong> vorindustrieller<br />

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