Nicola Arndt und Matthias Pohl - Neobiota

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22.02.2013 Aufrufe

1 Einführung Die nun vorliegende Karte der potentiellen natürlichen Vegetation Europas (BOHN et al. 2000/2003) spiegelt die faszinierende Vielfalt der Pflanzendecke Europas wider. Sie ist das Ergebnis über zwanzigjähriger Zusammenarbeit zahlreicher Geobotaniker in ganz Europa. Die Arbeit an der Karte hat nicht nur politische Grenzen und Gegensätze überwunden, sondern auch unterschiedliche wissenschaftliche Ansätze zusammengeführt und zu dieser nicht nur außergewöhnlich inhaltsreichen sondern zugleich auch graphisch schönen Karte geführt. Ich möchte behaupten, die von Anfang an „blockübergreifende“ Zusammenarbeit an der Karte hat auch zur Überwindung der Spaltung Europas beigetragen. Das gemeinsam erreichte Ergebnis sollte Anlass und Anstoß sein, die Zusammenarbeit weiterzuführen und die Auswertung und die Anwendungsmöglichkeiten der Karte ebenfalls gemeinsam weiterzuverfolgen. Ein wichtiges Anwendungsgebiet ist der Naturschutz, insbesondere der Schutz der biologischen Vielfalt. Hier stellt sich nun die Frage, wie kann die Karte für Anwendungen im Naturschutz genutzt werden? Die Repräsentativität von Schutzgebietssystemen von Ländern bzw. Kontinenten wird in der Regel anhand von naturräumlichen Gliederungen bewertet. Ökologische Raumgliederungen können nicht auf der Grundlage von Messdaten oder Datenreihen vorgenommen werden, sondern erfordern eine komplexe Bewertung verschiedener raumrelevanter Faktoren. Vegetation ist ein komplexer Indikator für Klima, Boden, Wasserhaushalt, menschlichen Einfluß und Zeit (Geschichte). Eine aus der Vegetation abgeleitete Raumgliederung spiegelt somit den Komplex natürlicher und anthropogener Faktoren und damit insgesamt das ökologische Potential eines Raumes wider. Im folgenden wird eine aus der Karte der potentiellen natürlichen Vegetation Europas abgeleitete Karte der „Vegetationsregionen“ Europas vorgestellt (Abschnitt 2) und skizziert, wie diese durch natürliche Vegetationsstrukturen charakterisierten Raumeinheiten zu Kulturlandschaften umgeformt wurden (Abschnitt 3). Schließlich wird der Frage nachgegangen, inwieweit die einzelnen Regionen durch Schutzgebiete der Kategorien I und II repräsentiert werden (Abschnitt 4), d. h., in welchem Ausmaß Flächen als Schutzgebiete deklariert sind, deren Ziel es ist, natürliche Vegetation vor Inanspruchnahme durch Nutzungen zu bewahren bzw. sich eigendynamisch entwickeln zu lassen. Abschließend werden Schlussfolgerungen hinsichtlich der Nutzung der Karte der potentiellen natürlichen Vegetation gezogen (Abschnitt 5). 2 Vegetationsregionen Die Karte der potentiellen natürlichen Vegetation Europas eröffnet die Möglichkeit, eine ökologische Raumgliederung, die konsequent auf Vegetationsmerkmalen beruht, für ganz Europa abzuleiten (vgl. KNAPP et al. 1998, KNAPP & SUCCOW 1999). Dies wurde an verschiedenen regionalen Beispielen bereits praktiziert (vgl. z. B. SCHLÜTER 1980, 1982, 1987, 1995, KNAPP 1987). Die Karte der Vegetationsregionen (Abb. 1) ist der Versuch, die 700 Kartierungseinheiten der Vegetationskarte zu vegetationsökologischen Raumeinheiten zusammenzufassen. Ihr liegt die Übersichtskarte der natürlichen Vegetation Europas 1 : 10 Mill. (BOHN & KATENINA 2000) zugrunde, und sie ist in Anlehnung an die pflanzengeographische Gliederung von MEUSEL, JÄGER et al. (1965, 1978, 1992; Florenzonen, Florenregionen, Florenprovinzen, Florenbezirke) (vgl. Abb. 2 und Tabelle 4) hierarchisch gegliedert in Vegeta- 166

tionszonen, -regionen, -provinzen und -bezirke (vgl. Tab. 3). Jede dieser Einheiten ist durch einen jeweils spezifischen Komplex aus großflächig vorherrschenden (zonalen) und einer Reihe flächenanteilig untergeordneter (intrazonaler, extrazonaler und azonaler) Vegetationstypen gekennzeichnet. So wird z.B. der sundisch-südbaltische Buchenwald-Bezirk (III.2b) innerhalb der subatlantischzentraleuropäischen Laubwald-Provinz (III.2) durch Vorherrschen von Buchen- und Buchenmischwäldern der planaren Stufe (F5a auf der Vegetations-Übersichtskarte) im Komplex mit geringen Vorkommen von bodensauren Eichen-Mischwäldern (F1a), hemiborealen bzw. nemoralen Kiefernwäldern (D12a), Dünen- und Strandvegetation (P1) sowie Auenvegetation (U1) charakterisiert (vgl. Tabelle 1). Die einzelnen Raumeinheiten (Regionen, Provinzen, Bezirke) sind darüber hinaus dem dreidimensionalen pflanzengeographischen Bezugsrahmen von Zonalität, Ozeanität und Höhenstufen eingefügt und durch spezifische Kombination von Arealtypen der einzelnen Pflanzenarten (vgl. MEUSEL & JÄGER 1992) auch pflanzengeographisch charakterisierbar. Der sundisch-südbaltische Buchenwald-Bezirk, um bei diesem Beispiel zu bleiben, wird geprägt durch das Vorherrschen von Arten mitteleuropäischer und eurasisch-temperater Arealtypen (Gruppe 8 und 10) und Einfluß eurasisch-borealer Arealtypen (Gruppe 11 nach MEUSEL & JÄGER 1992, vgl. Tabelle 2). Insgesamt können auf Grundlage der Vegetationskarte 9 Vegetationsregionen, weiter unterteilt in Vegetationsprovinzen und Vegetationsbezirke, unterschieden werden (Abb. 1, Tabelle 3). Die zirkumarktische Tundrenregion (I) berührt Europa im äußersten Norden. Die zirkumboreale Nadelwaldregion (II) schließt Nordeuropa in einem breiten Gürtel mit drei Vegetationsprovinzen ein. Die europäische Laubwaldregion (III) durchzieht ganz Europa bis zum Ural, weist aber auch enge Beziehungen zu den euxinisch-hyrkanischen Laubwäldern (hier als Provinz der submediterranen Vegetationsregion V dargestellt) und zu den sommergrünen Laubwaldregionen im Osten Nord-Amerikas und in Ost-Asien auf (SCHROEDER 1998). Sie wird entsprechend dem west-östlichen Ozeanitätsgradienten unterteilt in die atlantische Eichen-Buchenwald-Provinz, die subatlantisch- zentraleuropäische Buchenwald- Provinz und die sarmatische Eichen-Lindenwald-Provinz. Südlich schließen sich die Region submediterraner sommergrüner Eichen-(Trocken-)Mischwälder (V) und die pontisch-südsibirische Waldsteppen- und Steppenregion (VIII) einschließlich der pannonischpontischen Waldsteppen-Provinz (VIII.a-c) an. Entsprechend dem klimatischen Gradienten (abnehmende Niederschläge, zunehmende Aridität und Kontinentalität) geht diese südostwärts in die orientalisch-turanische Wüstenregion (IX) über, die mit der aralo-kaspischen Wüsten-Provinz bis nach Europa hineinreicht. Die mediterrane Hartlaubwald-Region (VI) umfaßt die Winterregengebiete des Mittelmeergebietes. Die größeren, in sich außerordentlich differenzierten Gebirge innerhalb der temperaten und submeridionalen Zone sind als gesonderte Vegetationsregionen dargestellt (Pyrenäen-Alpen-Karpaten IV.1-3, Kaukasus VII). Die übrigen Gebirge sind auf unterschiedlicher Ebene (Provinz, Bezirk, Unterbezirk) den jeweiligen Regionen zugeordnet und auf der Karte ebenfalls durch eine Schraffur hervorgehoben. Die vegetationsökologisch definierten und pflanzengeographisch charakterisierten Raumeinheiten sind zugleich „Flächenindikator“ für eine Reihe weiterer natürlicher Faktoren, die in die Basiskarte der potentiell natürlichen Vegetation eingeflossen sind und von der Vegetation als komplexem Indikator 167

1 Einführung<br />

Die nun vorliegende Karte der potentiellen natürlichen Vegetation Europas (BOHN et al. 2000/2003)<br />

spiegelt die faszinierende Vielfalt der Pflanzendecke Europas wider. Sie ist das Ergebnis über<br />

zwanzigjähriger Zusammenarbeit zahlreicher Geobotaniker in ganz Europa. Die Arbeit an der Karte<br />

hat nicht nur politische Grenzen <strong>und</strong> Gegensätze überw<strong>und</strong>en, sondern auch unterschiedliche<br />

wissenschaftliche Ansätze zusammengeführt <strong>und</strong> zu dieser nicht nur außergewöhnlich inhaltsreichen<br />

sondern zugleich auch graphisch schönen Karte geführt. Ich möchte behaupten, die von Anfang an<br />

„blockübergreifende“ Zusammenarbeit an der Karte hat auch zur Überwindung der Spaltung Europas<br />

beigetragen. Das gemeinsam erreichte Ergebnis sollte Anlass <strong>und</strong> Anstoß sein, die Zusammenarbeit<br />

weiterzuführen <strong>und</strong> die Auswertung <strong>und</strong> die Anwendungsmöglichkeiten der Karte ebenfalls<br />

gemeinsam weiterzuverfolgen.<br />

Ein wichtiges Anwendungsgebiet ist der Naturschutz, insbesondere der Schutz der biologischen<br />

Vielfalt. Hier stellt sich nun die Frage, wie kann die Karte für Anwendungen im Naturschutz genutzt<br />

werden?<br />

Die Repräsentativität von Schutzgebietssystemen von Ländern bzw. Kontinenten wird in der Regel<br />

anhand von naturräumlichen Gliederungen bewertet. Ökologische Raumgliederungen können nicht auf<br />

der Gr<strong>und</strong>lage von Messdaten oder Datenreihen vorgenommen werden, sondern erfordern eine<br />

komplexe Bewertung verschiedener raumrelevanter Faktoren. Vegetation ist ein komplexer Indikator<br />

für Klima, Boden, Wasserhaushalt, menschlichen Einfluß <strong>und</strong> Zeit (Geschichte). Eine aus der<br />

Vegetation abgeleitete Raumgliederung spiegelt somit den Komplex natürlicher <strong>und</strong> anthropogener<br />

Faktoren <strong>und</strong> damit insgesamt das ökologische Potential eines Raumes wider.<br />

Im folgenden wird eine aus der Karte der potentiellen natürlichen Vegetation Europas abgeleitete<br />

Karte der „Vegetationsregionen“ Europas vorgestellt (Abschnitt 2) <strong>und</strong> skizziert, wie diese durch<br />

natürliche Vegetationsstrukturen charakterisierten Raumeinheiten zu Kulturlandschaften umgeformt<br />

wurden (Abschnitt 3). Schließlich wird der Frage nachgegangen, inwieweit die einzelnen Regionen<br />

durch Schutzgebiete der Kategorien I <strong>und</strong> II repräsentiert werden (Abschnitt 4), d. h., in welchem<br />

Ausmaß Flächen als Schutzgebiete deklariert sind, deren Ziel es ist, natürliche Vegetation vor<br />

Inanspruchnahme durch Nutzungen zu bewahren bzw. sich eigendynamisch entwickeln zu lassen.<br />

Abschließend werden Schlussfolgerungen hinsichtlich der Nutzung der Karte der potentiellen<br />

natürlichen Vegetation gezogen (Abschnitt 5).<br />

2 Vegetationsregionen<br />

Die Karte der potentiellen natürlichen Vegetation Europas eröffnet die Möglichkeit, eine ökologische<br />

Raumgliederung, die konsequent auf Vegetationsmerkmalen beruht, für ganz Europa abzuleiten (vgl.<br />

KNAPP et al. 1998, KNAPP & SUCCOW 1999). Dies wurde an verschiedenen regionalen Beispielen<br />

bereits praktiziert (vgl. z. B. SCHLÜTER 1980, 1982, 1987, 1995, KNAPP 1987). Die Karte der<br />

Vegetationsregionen (Abb. 1) ist der Versuch, die 700 Kartierungseinheiten der Vegetationskarte zu<br />

vegetationsökologischen Raumeinheiten zusammenzufassen. Ihr liegt die Übersichtskarte der<br />

natürlichen Vegetation Europas<br />

1 : 10 Mill. (BOHN & KATENINA 2000) zugr<strong>und</strong>e, <strong>und</strong> sie ist in Anlehnung an die pflanzengeographische<br />

Gliederung von MEUSEL, JÄGER et al. (1965, 1978, 1992; Florenzonen, Florenregionen,<br />

Florenprovinzen, Florenbezirke) (vgl. Abb. 2 <strong>und</strong> Tabelle 4) hierarchisch gegliedert in Vegeta-<br />

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