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Leben in St. Georg - Amalie Sieveking-Stiftung

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175 Jahre<br />

<strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung<br />

<strong>Leben</strong> <strong>in</strong> <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong>


Acht <strong>Leben</strong>sgeschichten<br />

Die <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung wird 175 Jahre alt. Das ist e<strong>in</strong><br />

Grund zu feiern, aber auch e<strong>in</strong> Grund zu zeigen, wer hier<br />

wohnt. Es kommt vor, dass Menschen seit 30 Jahren und mehr<br />

<strong>in</strong> der <strong>St</strong>iftung zuhause s<strong>in</strong>d. Spannend, was sie zu erzählen<br />

haben. Sie können sich z. B. daran er<strong>in</strong>nern, dass die Miete<br />

wöchentlich und bar beim Hausverwalter abgegeben und <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong> Mietebuch e<strong>in</strong>getragen wurde (das funktioniert heute <strong>in</strong><br />

der Regel bargeldlos).<br />

Ich freue mich besonders über die Initiative von Bewohner-<br />

Innen und ihre Bereitschaft bei diesem Projekt mitzumachen.<br />

Herzlichen Dank an alle Beteiligten. Sie waren mutig, etwas<br />

von sich zu zeigen, Sie bereichern uns und regen dazu an, <strong>in</strong>s<br />

Gespräch zu kommen – wie ist das eigentlich bei Dir, bei mir<br />

selber?<br />

Lassen Sie sich anstecken!<br />

Mechthild Kränzl<strong>in</strong>, Geschäftsführer<strong>in</strong> und Vorsteher<strong>in</strong><br />

September 2007<br />

Übrigens: Die Wohnstifte gruppieren sich um das <strong>St</strong>ammhaus<br />

<strong>in</strong> der <strong>St</strong>iftstraße <strong>in</strong> der Alexanderstraße und der M<strong>in</strong>enstraße,<br />

zwei weitere Gebäude stehen <strong>in</strong> der Brennerstraße.<br />

Impressum:<br />

Hrsg. <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung, <strong>St</strong>iftstr. 65, 0099 Hamburg<br />

<strong>in</strong> Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong><br />

Texte und Fotos gesammelt von der Biographie-Arbeitsgruppe:<br />

Monika Gröbl<strong>in</strong>ghoff, Karla Fischer, Jutta Montag-Assamoi, Horst <strong>St</strong>asiak<br />

Redigiert von Bene Schmidt-Joho<br />

Fotos: Thomas Zydatiß, Michael Joho | Titelfoto: Frederika Hoffmann<br />

Gestaltung: Harald Heck (L<strong>in</strong>goVision)<br />

Auflage: 500<br />

Hamburg, 11. Oktober 007<br />

175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung<br />

W ir, von der<br />

<strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung


175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung<br />

Auf der Sitzung des <strong>St</strong>adtteilbeirats <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong><br />

Ende August 2007 stellte die <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<br />

<strong>St</strong>iftung den Antrag auf Bewilligung von Mitteln<br />

zur Unterstützung der vorliegenden Broschüre.<br />

Der Beirat erhöhte kurzerhand die beantragte<br />

Summe beträchtlich, um mit e<strong>in</strong>er höheren<br />

Auflage noch mehr Interessierten die Möglichkeit<br />

zu eröffnen, die Wohnstiftung und e<strong>in</strong>ige ihrer<br />

BewohnerInnen näher kennen zu lernen.<br />

Der e<strong>in</strong>hellig gefasste <strong>St</strong>adtteilbeiratsbeschluss<br />

mag veranschaulichen, welche Anerkennung<br />

die <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung auch im<br />

Viertel genießt. Mit ihren 175 Jahren gehört sie<br />

zu den ältesten E<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong><br />

überhaupt und prägt nunmehr seit vielen<br />

Jahrzehnten mit den ausgedehnten und<br />

begrünten Anlagen e<strong>in</strong> ganzes Quartier. Als <strong>St</strong>.<br />

<strong>Georg</strong>erInnen s<strong>in</strong>d wir stolz auf unsere altehrwürdige<br />

<strong>St</strong>iftung, die nicht nur e<strong>in</strong>e langwährende<br />

Tradition verkörpert, sondern mit ihrem<br />

2006 eröffneten nachbarschaftlichen Wohnprojekt<br />

<strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation mit e<strong>in</strong>er Wohngeme<strong>in</strong>schaft<br />

für Menschen mit Demenz im Paul<strong>in</strong>e Mariannen-<strong>St</strong>ift<br />

(Brennerstraße 79) neueste Entwicklungen<br />

aufzunehmen und zu gestalten versteht.<br />

Initiiert worden ist die <strong>St</strong>iftung von der<br />

Senatoren- und Kaufmannstochter <strong>Amalie</strong><br />

Wilhelm<strong>in</strong>e Sievek<strong>in</strong>g (1794–1859). Sie gewann<br />

zunächst rund e<strong>in</strong> Dutzend christlich <strong>in</strong>spirierter<br />

Frauen aus dem Bürgertum, die am 23. Mai 1832<br />

e<strong>in</strong>en „Weiblichen Vere<strong>in</strong> für Armen- und<br />

Krankenpflege“ <strong>in</strong>s <strong>Leben</strong> riefen. Die Gründung<br />

dieses „Besuchsvere<strong>in</strong>s“ gilt allgeme<strong>in</strong> als<br />

Ausgangspunkt der weiblichen Diakonie <strong>in</strong><br />

Deutschland. Mit ihrer Besuchstätigkeit<br />

verbanden die ehrenamtlich engagierten<br />

Vere<strong>in</strong>sdamen allerd<strong>in</strong>gs nicht nur die materielle<br />

Unterstützung und die Vermittlung von<br />

bezahlter Arbeit, sondern sie sahen ihre<br />

Berufung auch dar<strong>in</strong>, protestantische Vorstellungen<br />

<strong>in</strong> der armen Bevölkerung zu verbreiten.<br />

Nachdem 1840 <strong>in</strong> der <strong>St</strong>iftstraße 65 das<br />

I. <strong>Amalie</strong>nstift gebaut worden war – es steht seit<br />

L ebenswege<br />

1947 unter Denkmalschutz –, veränderte sich<br />

nach und nach der Charakter des Vere<strong>in</strong>s. Durch<br />

den stetigen Ausbau der Anlage wurde er quasi<br />

zu e<strong>in</strong>em Verwalter günstig vermieteter<br />

Wohnungen für arme Menschen. 1922 erlosch<br />

dann die Besuchstätigkeit <strong>in</strong> der Innenstadt<br />

vollständig, und die <strong>St</strong>iftung konzentrierte sich<br />

auf die eigene Mieterschaft.<br />

Heute bietet die <strong>in</strong>zwischen professionell<br />

geführte <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung mit ihren<br />

acht <strong>St</strong>iftsgebäuden rund 160 Menschen Obdach<br />

und – so gewünscht – e<strong>in</strong>en teilbetreuten Alltag.<br />

Die zumeist älteren BewohnerInnen stellen rund<br />

e<strong>in</strong> Sechstel der gesamten Seniorenbevölkerung<br />

des <strong>St</strong>adtteils dar und bieten vielen e<strong>in</strong>gesessenen<br />

<strong>St</strong>. <strong>Georg</strong>erInnen die Chance, ihren<br />

<strong>Leben</strong>sabend <strong>in</strong> der vertrauten Umgebung zu<br />

verbr<strong>in</strong>gen.<br />

In dieser <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit der örtlichen<br />

Geschichtswerkstatt entstandenen Broschüre<br />

kommen e<strong>in</strong>ige der gegenwärtigen Bewohner–<br />

Innen zu Wort. Im Mittelpunkt stehen also ihre<br />

<strong>Leben</strong>swege, e<strong>in</strong> Schatz an Erfahrungen für alle<br />

am <strong>St</strong>adtteil und se<strong>in</strong>en BewohnerInnen<br />

<strong>in</strong>teressierten Menschen. Ihnen allen sei für die<br />

<strong>in</strong> den autobiographischen Ausführungen zum<br />

Ausdruck kommende Offenheit herzlich gedankt.<br />

Möge die Broschüre e<strong>in</strong>e hohe Verbreitung<br />

f<strong>in</strong>den und e<strong>in</strong>en spannenden Ausschnitt aus<br />

dem <strong>St</strong>iftungs- und <strong>St</strong>adtteilleben vermitteln.<br />

Zum 175jährigen Bestehen der <strong>Amalie</strong><br />

Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung sage ich zudem allen<br />

BewohnerInnen und MitarbeiterInnen, den<br />

Vorstandsmitgliedern und der E<strong>in</strong>richtungsleiter<strong>in</strong><br />

die allerherzlichsten Glückwünsche. Ich setze<br />

darauf, dass <strong>St</strong>iftung und <strong>St</strong>adtteil – wir alle<br />

zusammen – noch so manchen neuen Weg <strong>in</strong><br />

weiterer Zukunft geme<strong>in</strong>sam beschreiten<br />

werden!<br />

Michael Joho<br />

Für die Geschichtswerkstatt <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong> e. V.<br />

und den E<strong>in</strong>wohnervere<strong>in</strong> <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong> von 1987 e. V.


Me<strong>in</strong> Name ist Karla Fischer. Geboren<br />

wurde ich 1945 <strong>in</strong> Breslau, das unsere<br />

Familie allerd<strong>in</strong>gs schon 1946 verlassen<br />

musste. Aufgewachsen b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Kle<strong>in</strong>stadt <strong>in</strong> der Nähe von Hannover.<br />

Nach dem Besuch der Realschule machte<br />

ich e<strong>in</strong>e Banklehre. Danach wechselte ich<br />

beruflich <strong>in</strong> den sozialen Bereich und<br />

arbeitete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Werkstatt für Beh<strong>in</strong>derte.<br />

Schwerpunkt me<strong>in</strong>er Tätigkeit war<br />

das Anlernen handwerklicher Tätigkeiten.<br />

Anfang der Siebziger Jahre studierte<br />

ich dann Sozialpädagogik <strong>in</strong> Kiel. Mit<br />

e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Umweg über Goslar kam<br />

ich 1978 nach Hamburg, wo es mich<br />

175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung<br />

D as <strong>Leben</strong> hat es<br />

bisher gut mit mir geme<strong>in</strong>t<br />

schon immer h<strong>in</strong>gezogen hatte. In Hamburg<br />

war ich zuerst 2 Jahre <strong>in</strong> der Jugendarbeit<br />

tätig und wechselte dann zum<br />

damaligen Hamburger Spastikervere<strong>in</strong>,<br />

e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>richtung für Beh<strong>in</strong>derte. Zu me<strong>in</strong>en<br />

Aufgaben gehörte die Gruppenarbeit<br />

mit Beh<strong>in</strong>derten und die Beratung von<br />

Eltern. Nach 8 Jahren Tätigkeit <strong>in</strong> diesem<br />

Bereich wollte ich gerne e<strong>in</strong>mal ganz neue<br />

Erfahrungen machen: 1989 trieb es mich<br />

<strong>in</strong> die weite Welt h<strong>in</strong>aus. Für e<strong>in</strong> Jahr<br />

arbeitete ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>dergarten <strong>in</strong><br />

Palermo.<br />

Nach me<strong>in</strong>er Rückkehrt bekam ich<br />

1993 ich e<strong>in</strong>e Anstellung im Jugendamt<br />

des Bezirksamtes Mitte. Bis zum Jahr<br />

2005 habe ich dort gearbeitet. Seit dieser<br />

Zeit b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Freistellungsphase der<br />

Altersteilzeit und werde 2010 <strong>in</strong> Rente<br />

gehen.<br />

Me<strong>in</strong>e beruflichen Erfahrungen haben<br />

mich sehr stark geprägt. Insbesondere die<br />

Arbeit mit beh<strong>in</strong>derten Jugendlichen und<br />

Erwachsenen hat zu mehr Toleranz <strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong>em Denken geführt. Aber auch das<br />

Jahr <strong>in</strong> Sizilien hat mir Seiten des <strong>Leben</strong>s<br />

gezeigt, an denen ich gewachsen b<strong>in</strong>.<br />

Me<strong>in</strong>e Anfangszeit <strong>in</strong> Palermo war nicht<br />

so ganz e<strong>in</strong>fach. Ich musste damit klar<br />

kommen, erst e<strong>in</strong>mal fremd zu se<strong>in</strong>, mich<br />

an andere Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu<br />

gewöhnen und mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er mir fremden<br />

Sprache verständigen zu müssen.<br />

Nach me<strong>in</strong>em Italienaufenthalt b<strong>in</strong> ich<br />

<strong>in</strong> Hamburg-<strong>St</strong>. <strong>Georg</strong> gelandet, und zwar<br />

mitten im tosenden <strong>Leben</strong> der Langen<br />

Reihe. <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong> ist e<strong>in</strong> fasz<strong>in</strong>ierender<br />

<strong>St</strong>adtteil mit se<strong>in</strong>en vielen Facetten der


5 175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung<br />

Gutbürgerlichkeit und Randständigkeit<br />

von Drogen und Prostitution. Hier habe<br />

ich sehr schnell politisch aktive Nachbarn<br />

kennen gelernt. Durch die Mitarbeit im<br />

E<strong>in</strong>wohnervere<strong>in</strong> und der Geschichtswerkstatt<br />

und viele Kontakten habe ich auch<br />

ganz besonders den Wandel der neunziger<br />

Jahre mitbekommen. Diese Gegend ist<br />

schicker/edler und damit weniger <strong>in</strong>teressant<br />

um nicht zu sagen: langweiliger<br />

geworden.<br />

Ich hatte dann 2003 – mit 58 Jahren<br />

– die Gelegenheit, <strong>in</strong> das V. <strong>St</strong>ift der <strong>Amalie</strong><br />

Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung zu ziehen. Zuerst<br />

war es nicht ganz e<strong>in</strong>fach, weil ich mich<br />

von me<strong>in</strong>em Gefühl her gar nicht alt<br />

genug dafür wähnte, über den Verstand<br />

aber auch wusste, dass die Möglichkeit<br />

e<strong>in</strong>er Betreuung, wenn nötig, irgendwann<br />

sicherlich sehr hilfreich se<strong>in</strong> kann. Und je<br />

länger ich hier wohne, desto überzeugter<br />

b<strong>in</strong> ich von diesem Schritt. Das Gelände<br />

wirkt durch die U-Form und das älteste<br />

<strong>St</strong>iftshaus mitten im schönen Garten sehr<br />

anheimelnd und auch e<strong>in</strong> wenig verwunschen.<br />

Dadurch habe ich den E<strong>in</strong>druck,<br />

dass alles etwas geruhsamer zugeht. Ich<br />

habe Kontakte zu den NachbarInnen im<br />

<strong>St</strong>ift, beobachte aber auch, dass es immer<br />

bestimmte Menschen s<strong>in</strong>d, die an den<br />

Aktivitäten teilnehmen. Da wünsche ich<br />

mir manchmal mehr Mut, dabei zu se<strong>in</strong><br />

und sich möglicherweise auch e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen.<br />

Für mich ist die Verknüpfung von<br />

<strong>St</strong>adtteil und <strong>St</strong>ift e<strong>in</strong> wichtiger Aspekt,<br />

zumal mich die <strong>Leben</strong>sgeschichten von<br />

(älteren) Menschen sehr <strong>in</strong>teressieren.<br />

Durch me<strong>in</strong>e Aktivitäten <strong>in</strong> der<br />

Geschichtswerkstatt und im E<strong>in</strong>wohnervere<strong>in</strong><br />

möchte ich gerne e<strong>in</strong>e größere<br />

Verb<strong>in</strong>dung schaffen. So kann ich mich <strong>in</strong><br />

der <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung wie z. B.<br />

mit dem Erzählcafé engagieren, aber auch<br />

für andere Veranstaltungen werben. Ich<br />

lebe sehr gern hier und genieße das<br />

Gefühl von Zusammengehörigkeit und<br />

Geborgenheit. Q


Herr Hartmann wohnt im Haus 4, <strong>in</strong> der<br />

Brennerstrasse 77. Von der Parterrewohnung<br />

tritt man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en schmucken Garten,<br />

wo es sich se<strong>in</strong> Perserkater Charlie<br />

auf e<strong>in</strong>em Gartenstuhl bequem gemacht<br />

hat. Der kle<strong>in</strong>e Garten ist e<strong>in</strong> farbenprächtiger<br />

und blühender Beweis dafür,<br />

dass Schönheit und Pracht ke<strong>in</strong>e großen<br />

Fläche brauchen. Er wurde von Herrn<br />

Hartmann angelegt, nachdem zur <strong>St</strong>rasse<br />

e<strong>in</strong> Zaun gezogen werden mußte, weil es<br />

mit den Prostituierten, Drogenabhängigen<br />

und Obdachlosen vom Hansaplatz damals<br />

zu schlimm war. Der Zaun war ihm dann<br />

e<strong>in</strong>fach zu kahl. Und jetzt ist hier dieser<br />

175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung 6<br />

D en Kontakt mit<br />

Jüngeren pflegen<br />

prachtvolle Garten und <strong>in</strong> der <strong>St</strong>raße ist<br />

es <strong>in</strong>zwischen so friedlich und sauber,<br />

dass man den Zaun eigentlich gar nicht<br />

mehr braucht. „Jetzt ist es hier schon fast<br />

wieder langweilig ruhig,“ sagt Herr Hartmann<br />

mit typisch norddeutschem trockenem<br />

Humor.<br />

In Lübeck geboren, liebt er Hamburg,<br />

das er als e<strong>in</strong>e Dame mit e<strong>in</strong>em Schlag<br />

Nutte bezeichnet. Und <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong> liebt er<br />

besonders, genauso wie se<strong>in</strong>e Wohnung<br />

und die Geme<strong>in</strong>schaft im Haus 4.<br />

Im <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g <strong>St</strong>ift lebt er seit<br />

sechs Jahren und fühlt sich dort mehr als<br />

wohl. Er schätzt e<strong>in</strong>erseits die Unabhängigkeit<br />

und andererseits das Gefühl, dass<br />

sich im Bedarfsfall jemand um ihn kümmert.<br />

Dass die Wohnung nicht größer ist,<br />

f<strong>in</strong>det er genau richtig, damit man sich<br />

nicht mit so viel Kram belastet, wie er<br />

sagt. Klassisch aber gemütlich ist die E<strong>in</strong>richtung<br />

und stündlich schlägt e<strong>in</strong>e<br />

<strong>St</strong>anduhr.<br />

Herr Hartmann ist 77 Jahre alt und<br />

noch sehr aktiv. Er trifft sich häufig mit<br />

Freunden und hat e<strong>in</strong> enges Verhältnis zu<br />

se<strong>in</strong>em Neffen. Überhaupt pflegt er viel<br />

Kontakt mit Jüngeren. Zu Hause sitzen<br />

und fernsehen ist bei ihm nicht dr<strong>in</strong>. Das<br />

verbietet schon se<strong>in</strong> Engagement im<br />

Hamburger Theatervere<strong>in</strong>. Bei drei bis vier<br />

Aufführungen im Jahr steht er auf der<br />

Bühne, hilft beim Bühnenbild, ist aktiv bei<br />

den Vorbereitungen. Es s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Berufsschauspieler,<br />

alle machen das aus Spaß an<br />

der Freude. Trotzdem hat der Hamburger<br />

Theatervere<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en gewissen Ruf, spielt<br />

auch <strong>St</strong>ücke auf Plattdeutsch und koope-


7 175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung<br />

riert mit dem Ohnesorg Theater. Dass sich<br />

dort verschiedene Generationen begegnen,<br />

genießt Herr Hartmann dabei besonders.<br />

Das jüngste Mitglied ist sechzehn,<br />

das älteste achtundneunzig Jahre alt.<br />

Aber Altersunterschiede machten ihm<br />

noch nie Probleme. Gleich nach dem Krieg<br />

hat er e<strong>in</strong>e Lehre <strong>in</strong> der Landwirtschaft<br />

begonnen. Später dann Textilverkäufer<br />

gelernt und <strong>in</strong> Düsseldorf gearbeitet und<br />

war dort e<strong>in</strong>es der ersten männlichen<br />

Modells auf dem Laufsteg. Später hat es<br />

ihn <strong>in</strong> die Gastronomie verschlagen. In<br />

diesem Bereich arbeitete er <strong>in</strong>sgesamt<br />

fünfunddreißig Jahre, erst <strong>in</strong> Süd- dann<br />

<strong>in</strong> Norddeutschland. In Lübeck besaß er<br />

fünfzehn Jahre lang e<strong>in</strong>e eigene Gaststätte.<br />

Das „Old Inn“, e<strong>in</strong> angesagter Treffpunkt,<br />

wo alles zusammenkam von siebzehn<br />

bis siebzig und wo er natürlich die<br />

Integrationsfigur war. Se<strong>in</strong> Geheimnis:<br />

„Ich habe allen das Gefühl gegeben, sie<br />

seien Freunde.“<br />

Wie viele se<strong>in</strong>er Generation wurde er<br />

als Jugendlicher <strong>in</strong> der Kriegs- und Nachkriegszeit<br />

mit schlimmen, traumatischen<br />

Erlebnissen konfrontiert. Er war fünfzehn,<br />

als er zum Volkssturm musste. Er wurde<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heit e<strong>in</strong>gesetzt, die für die<br />

Beseitigung der Leichen, die l<strong>in</strong>ks und<br />

rechts <strong>in</strong> den Gräben entlang der Flüchtl<strong>in</strong>gsströme<br />

lagen, abkommandiert war.<br />

Das alles überstehen, am <strong>Leben</strong> bleiben,<br />

Kleidung und etwas zu essen bekommen,<br />

waren die Bedürfnisse der damaligen Zeit.<br />

Es gab ganze Klassen an se<strong>in</strong>er Schule, <strong>in</strong><br />

denen nur e<strong>in</strong>ige wenige Jungen von der<br />

Front zurückgekommen s<strong>in</strong>d. Nie mehr<br />

hungern oder frieren müssen ist noch<br />

heute, mehr als 60 Jahre danach, e<strong>in</strong><br />

Wunsch, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bewusstse<strong>in</strong> ist.<br />

Umso bewundernswerter ist es, wie<br />

lebensfroh und positiv er se<strong>in</strong> <strong>Leben</strong><br />

gestaltete und dies immer noch tut. E<strong>in</strong>mal<br />

Gastwirt, immer Gastwirt, könnte<br />

man sagen, denn nicht nur, dass zu se<strong>in</strong>em<br />

siebzigsten Geburtstag achtzig Leute<br />

e<strong>in</strong>geladen waren, ab und zu lädt er <strong>in</strong>s<br />

Haus 4, um für bis zu hundertzwanzig<br />

Leute Brather<strong>in</strong>ge zu braten oder Bohnensuppe<br />

zu kochen. Wie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

ganzen <strong>Leben</strong>, geht es ihm dabei um die<br />

Geselligkeit. Wen will es da verwundern,<br />

dass Freundschaft auf der Basis von<br />

Offenheit und Ehrlichkeit ihm das Wichtigste<br />

im <strong>Leben</strong> s<strong>in</strong>d. Q


Mit e<strong>in</strong>er kurzen Unterbrechung hat Frau<br />

Bernard<strong>in</strong>e He<strong>in</strong>richowski ihr <strong>Leben</strong> <strong>in</strong> <strong>St</strong>.<br />

<strong>Georg</strong> verbracht. Vor 92 Jahren wurde sie<br />

<strong>in</strong> der Greifswalder-/Ecke Danziger <strong>St</strong>raße<br />

geboren. Die Großeltern lebten auf dem<br />

selben <strong>St</strong>ockwerk. So wuchs sie mit ihrem<br />

Bruder im „Schoße der Familie“ auf. Es<br />

gab e<strong>in</strong>en Roller und e<strong>in</strong> Paar Rollschuhe,<br />

mit denen sie zusammen mit allen Nachbark<strong>in</strong>dern<br />

auf der asphaltierten Danziger<br />

<strong>St</strong>raße fahren konnte. Sie waren<br />

sieben K<strong>in</strong>der, er<strong>in</strong>nert sich Frau He<strong>in</strong>richowski<br />

genau, und jeder kam der Reihe<br />

nach dran. Dort, wo sie heute mit ihrer<br />

Tochter auf dem Markt e<strong>in</strong>kauft, war früher<br />

der Spielplatz. Es gab noch e<strong>in</strong>en<br />

überdachten Sandkasten und die Badeanstalt<br />

<strong>in</strong> der Lübecker <strong>St</strong>raße. Der Lohmühlenpark<br />

galt dem Großvater <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Ruhestand als Sommerfrische .Er<br />

genoss dort – auf se<strong>in</strong>er Bank sitzend -<br />

von morgens bis abends die frische Luft<br />

und die Natur.<br />

Der Vater stammt ursprünglich aus<br />

Westfalen und die Familie ist katholisch.<br />

Die Mutter ist Hamburger<strong>in</strong> und die<br />

Großeltern stammten aus dem Hannoverschen.<br />

Sie betrieben e<strong>in</strong>e Schneiderei.<br />

Damit der Bruder auf dem Gymnasium<br />

vom Schulgeld befreit werden konnte,<br />

musste vom Vater zunächst noch die<br />

Hamburger <strong>St</strong>aatsangehörigkeit beantragt<br />

werden. Frau He<strong>in</strong>richowski selbst<br />

hätte gern e<strong>in</strong>e Ausbildung im Kunstgewerbe<br />

absolviert. Sie heiratete, blieb<br />

natürlich <strong>in</strong> <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong> und zog hier Sohn<br />

und Tochter auf. Ihr Wunsch war es, dass<br />

beide K<strong>in</strong>der studieren können. „Dafür<br />

g<strong>in</strong>gen wir nicht auf Reisen“, ergänzt sie<br />

sachlich. Die K<strong>in</strong>der wurden Lehrer,<br />

175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung<br />

E <strong>in</strong> <strong>Leben</strong> <strong>in</strong> <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong><br />

ebenso wie <strong>in</strong>zwischen auch die Enkelk<strong>in</strong>der.<br />

Die Schwiegertochter arbeitet als<br />

Ärzt<strong>in</strong> nebenan im Lohmühlen-Krankenhaus,<br />

wie es bei den älteren Hamburgern<br />

noch heißt.<br />

Frau He<strong>in</strong>richowski wurde früh Witwe<br />

und heiratete e<strong>in</strong> zweites Mal. Die Familie<br />

zog nach Eppendorf, aber nach kurzer<br />

Zeit g<strong>in</strong>g es zurück, und zwar <strong>in</strong> die Lange<br />

Reihe. Die Wohnung lag im 4. <strong>St</strong>ock und<br />

als ihrem Mann im Alter das Treppensteigen<br />

schwer fiel, bezogen beide 1982 e<strong>in</strong>e<br />

Wohnung <strong>in</strong> dem neu errichteten Haus<br />

der <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung <strong>in</strong> der<br />

Brenner <strong>St</strong>raße. Sie blieben also im Viertel.<br />

Als ihr zweiter Mann starb, lebte sie<br />

weiter <strong>in</strong> der Wohnung und da diese<br />

etwas geräumiger war und über e<strong>in</strong>en


9 175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung<br />

größeren Esstisch verfügte, traf sie sich<br />

hier wöchentlich mit drei befreundeten<br />

Damen zum Kartenspiel. Jetzt s<strong>in</strong>d sie nur<br />

noch zu zweit und beide leben schon<br />

viele Jahre im <strong>St</strong>ift. „Die Jungen kennt<br />

man kaum“, sagt Frau He<strong>in</strong>richowski.<br />

Trotzdem nimmt sie am Geme<strong>in</strong>schaftsleben<br />

teil und das kürzlich von Herrn Hartmann<br />

ausgerichtete Her<strong>in</strong>gsessen fand sie<br />

sehr gelungen.<br />

<strong>St</strong>olz erzählt sie, wie festlich im Saal<br />

des Hauses Brennerstraße ihr 90ster<br />

Geburtstag begangen wurde. K<strong>in</strong>der und<br />

Enkelk<strong>in</strong>der hatten die Organisation und<br />

die E<strong>in</strong>ladungen übernommen und sie mit<br />

dem Fest überrascht. Es wurde groß und<br />

lange gefeiert.<br />

<strong>St</strong>. <strong>Georg</strong> bedeutet für Frau He<strong>in</strong>richowski<br />

Heimat. Die Veränderungen<br />

bedauert sie. Früher habe es e<strong>in</strong>e größere<br />

Vielfalt der Geschäfte auf der Langen<br />

Reihe und dem <strong>St</strong>e<strong>in</strong>damm gegeben.<br />

Heute seien die Läden auf vielköpfige<br />

Familien mit großen verpackten Mengen<br />

e<strong>in</strong>gestellt und für bestimmte E<strong>in</strong>käufe<br />

müsse sie bis zur Mönckebergstraße. In<br />

der Langen Reihe gibt es noch e<strong>in</strong> alt e<strong>in</strong>gesessenes<br />

Bettengeschäft und e<strong>in</strong> Café,<br />

aber dort möge sie sich nicht mehr unter<br />

die jungen Leute mischen, und die Tortenauswahl<br />

sei auch nicht mehr so vielfältig<br />

wie früher.<br />

Wünsche für die Zukunft hat sie<br />

eigentlich nicht. Dass sie sich felsenfest<br />

auf ihre Familie verlassen kann, ist ihr<br />

e<strong>in</strong>e große Beruhigung. Jedes Jahr fährt<br />

sie mit Tochter und Schwiegersohn nach<br />

Büsum an die Nordsee, wegen der Luft.<br />

Mit ihrem Bruder hatte sie vor e<strong>in</strong>iger<br />

Zeit e<strong>in</strong>e <strong>St</strong>udienreise auf den Spuren<br />

Fontanes durch Schottland unternommen.<br />

Nun liest sie gerade se<strong>in</strong>en Reisebericht<br />

„Jenseit des Tweed“.<br />

Rückblickend ist ihr die Er<strong>in</strong>nerung an<br />

ihre glückliche K<strong>in</strong>dheit wichtig. Es gab<br />

e<strong>in</strong>en Garten am <strong>St</strong>adtpark. Dort draußen<br />

verbrachten sie den Sommer, die Ferien.<br />

Für mich ist Frau He<strong>in</strong>richowski e<strong>in</strong><br />

<strong>St</strong>ück <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong> und Hamburg. Sie sollte<br />

uns noch mehr erzählen. Q


Me<strong>in</strong> Name ist Lilli Keller. Geboren b<strong>in</strong> ich<br />

am 15.9.1933 <strong>in</strong> der deutschen Wolgarepublik,<br />

<strong>in</strong> Engels, was zur damaligen<br />

Sowjetunion gehörte.<br />

Me<strong>in</strong> Vater war Lehrer, wie auch schon<br />

se<strong>in</strong> Vater und Großvater Lehrer waren.<br />

Me<strong>in</strong>e Mutter hat den Haushalt versorgt.<br />

Ich war das e<strong>in</strong>zige K<strong>in</strong>d. Als ich 8 Jahre<br />

alt war, s<strong>in</strong>d wir 1941 aufgrund des 2.<br />

Weltkrieges nach M<strong>in</strong>sk, später dann nach<br />

Tomsk ausgesiedelt worden. Innerhalb von<br />

24 <strong>St</strong>unden mussten wir unsere Heimat<br />

verlassen. Me<strong>in</strong> Vater wurde zur Zwangsarbeit<br />

herangezogen und e<strong>in</strong> Jahr später<br />

auch me<strong>in</strong>e Mutter. Die K<strong>in</strong>der kamen<br />

dann <strong>in</strong> der Regel <strong>in</strong> e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>derheim. Ich<br />

hatte Glück. Zuerst konnte ich bei e<strong>in</strong>er<br />

Familie mit kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern wohnen. Später<br />

hat mich dann me<strong>in</strong>e Tante Elsa<br />

Welsch abgeholt und zur Familie <strong>in</strong>s Altai<br />

gebracht. Dort lebte ich dann ca. 2 ½<br />

Jahre mit me<strong>in</strong>er Tante zusammen und<br />

musste <strong>in</strong> dieser Zeit hart im Haushalt<br />

arbeiten.<br />

Zu me<strong>in</strong>en Eltern hatte ich immer<br />

brieflichen Kontakt. Mit me<strong>in</strong>en Briefen<br />

habe ich versucht, sie aufzumuntern und<br />

zu ermutigen, die Zeit durchzustehen. Im<br />

April 1946 kam me<strong>in</strong>e Mutter zurück.<br />

Me<strong>in</strong> Vater hatte <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>e neue<br />

Partner<strong>in</strong> und blieb <strong>in</strong> Tomsk. Ich war darüber<br />

sehr erschüttert und auch me<strong>in</strong>e<br />

Mutter hat sehr darunter gelitten.<br />

Nachdem ich die Schule beendet hatte,<br />

konnte ich studieren. Das war normalerweise<br />

für Deutsche dort nicht erlaubt,<br />

wurde mir aber auf Antrag an den höchsten<br />

Sowjet gestattet. Dazu hatte mich<br />

175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung 10<br />

N ur me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der<br />

sehe ich sehr selten<br />

e<strong>in</strong>e me<strong>in</strong>er Lehrer<strong>in</strong>nen ermutigt. <strong>St</strong>udiert<br />

habe ich die deutsche Sprache und<br />

war dann auch 43 Jahre als Lehrer<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

diesem Bereich tätig.<br />

Ich war verheiratet und habe 2 K<strong>in</strong>der,<br />

e<strong>in</strong>e Tochter und e<strong>in</strong>en Sohn. Me<strong>in</strong> Mann<br />

ist 1989 gestorben. Me<strong>in</strong>e beiden K<strong>in</strong>der<br />

leben im Gebiet um Tula, so dass ich sie<br />

sehr selten sehe. Aber wir telefonieren<br />

regelmäßig mite<strong>in</strong>ander, so dass ich über<br />

ihr <strong>Leben</strong> <strong>in</strong>formiert b<strong>in</strong>.<br />

Warum ich nach Deutschland gekommen<br />

b<strong>in</strong>? Im Jahr 1993 besuchte ich<br />

me<strong>in</strong>e Tante Else <strong>in</strong> Hamburg im <strong>Amalie</strong><br />

Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>ift. Diese hat mich sehr<br />

gedrängt, doch e<strong>in</strong>en Ausreiseantrag zu


11 175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung<br />

stellen und zu ihr <strong>in</strong>s <strong>St</strong>ift zu ziehen. Ich<br />

wollte nicht so recht, b<strong>in</strong> dann aber doch<br />

1996 im Oktober ohne me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der nach<br />

Hamburg gekommen und habe auch<br />

Wohnraum im <strong>St</strong>ift erhalten. Das erste<br />

Jahr war sehr hart hier, weil ich die Familie<br />

und die Heimat vermisste. Dann<br />

gewöhnte ich mich so langsam e<strong>in</strong>. Ich<br />

kümmerte mich um die Tante, die immer<br />

mehr der Pflege bedurfte. Zeitweilig<br />

erteilte ich auch russischen K<strong>in</strong>dern<br />

Deutschunterricht. Me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der haben<br />

mich hier e<strong>in</strong>mal besucht und ich war <strong>in</strong><br />

diesen 11 Jahren e<strong>in</strong>mal auf Besuch <strong>in</strong><br />

Tula.<br />

Im <strong>St</strong>ift lebe ich recht gern. Ich fühle<br />

mich wohl <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Wohnung und habe<br />

sie gerade mit e<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> renoviert.<br />

Der Kontakt zu den anderen Bewohnern<br />

ist gut. Ich kümmere mich um manche,<br />

die nicht mehr so können.<br />

Ich b<strong>in</strong> häufig unterwegs, alle<strong>in</strong> oder<br />

mit e<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> und gehe gern um die<br />

Alster oder auch <strong>in</strong> Planten und Blomen<br />

spazieren. Außerdem lese ich viel. Dabei<br />

<strong>in</strong>teressiere ich mich natürlich sehr für<br />

das Schicksal und die Geschichte der<br />

Wolgadeutschen, zu denen ich gehöre.<br />

Ich löse auch gern Kreuzwort- und<br />

andere Rätsel.<br />

Persönlich war die Trennung von<br />

me<strong>in</strong>em Vater e<strong>in</strong> sehr tiefer E<strong>in</strong>schnitt<br />

für mich. Me<strong>in</strong> erstes Treffen mit ihm<br />

erfolgte nach 14 Jahren, da war ich<br />

<strong>in</strong>zwischen 22 Jahre alt. Es war e<strong>in</strong>es<br />

me<strong>in</strong>er wichtigsten Erlebnisse, weil wir<br />

sehr viel über die vergangenen Jahre und<br />

se<strong>in</strong>e Motive, uns zu verlassen, sprechen<br />

konnten. Ich habe ihn dann noch zweimal<br />

gesehen. Die Er<strong>in</strong>nerungen daran<br />

s<strong>in</strong>d mir ausgesprochen wertvoll.<br />

Me<strong>in</strong> größter Wunsch für die Zukunft<br />

wäre noch mal e<strong>in</strong> Besuch bei den K<strong>in</strong>dern,<br />

aber auch um die Gräber der Familie<br />

zu sehen. Q


B ücher s<strong>in</strong>d<br />

me<strong>in</strong>e Leidenschaft<br />

Ich stehe <strong>in</strong> Frau Erika Kühlichs Wohnzimmer,<br />

das mit Büchern und Er<strong>in</strong>nerungsstücken<br />

<strong>in</strong>dividuell e<strong>in</strong>gerichtet ist<br />

und sehr persönlich wirkt. Auf unsere<br />

Verabredung hat sie sich vorbereitet:<br />

Fotos liegen auf dem Tisch bereit, daneben<br />

stehen Saft und Konfekt.<br />

Zunächst wird mir Jonathan vorgestellt,<br />

e<strong>in</strong> 13 Jahre alter Tigerkater mit<br />

weißem Lätzchen, der vor 5 Jahren den<br />

Umzug von Bevensen <strong>in</strong>s <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>ift<br />

mitgemacht hat. Wir sitzen<br />

kaum, als wir bereits <strong>in</strong> die Geschichte<br />

e<strong>in</strong>steigen, denn Frau Kühlich kann auf<br />

e<strong>in</strong> langes, ereignisreiches <strong>Leben</strong> zurückblicken.<br />

Sie ist 97 Jahre alt oder jung. Mit<br />

e<strong>in</strong>em Bruder und drei Schwestern wuchs<br />

sie <strong>in</strong> Ostpreußen auf e<strong>in</strong>em Dorf auf. Der<br />

Vater war Schulleiter. Ihre liberalen Eltern<br />

hatten e<strong>in</strong>e ablehnende Haltung gegen–<br />

über dem Nationalsozialismus. 1930<br />

machte sie ihr Abitur. Nach dem Tod der<br />

Mutter - 1935 - zog die Familie nach<br />

Elb<strong>in</strong>g. Dort arbeitete sie als Apothekenhelfer<strong>in</strong>.<br />

„Geprägt hat mich die Weimarer<br />

Republik. Es war e<strong>in</strong>e schöpferische<br />

Zeit – bis die Nazis kamen“ stellt sie sachlich<br />

fest.<br />

1939 zog Frau Kühlich <strong>in</strong> die<br />

geschichtsträchtige Kultur- und Universitätsstadt<br />

Leipzig. Dort wurde sie bald als<br />

Flugnachrichtenhelfer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gezogen. Nach<br />

dem Krieg, als die Uni Leipzig wieder<br />

eröffnet wurde, hat sie e<strong>in</strong>ige Jahre als<br />

Chefsekretär<strong>in</strong> dort gearbeitet und dann<br />

e<strong>in</strong>e leitende <strong>St</strong>ellung als Verwaltungsleiter<strong>in</strong><br />

für mehrere Abteilungen gehabt. Da<br />

175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung 1<br />

sie nicht <strong>in</strong> die SED e<strong>in</strong>treten wollte,<br />

wurde sie entlassen und arbeitete dann<br />

im veter<strong>in</strong>är-/mediz<strong>in</strong>ischen Institut und<br />

hat - unter anderem - französische Übersetzungen<br />

angefertigt. Dennoch empfand<br />

sie auch die Zeit unter dem DDR-Regime,<br />

dass die Nazidiktatur ablöste, als erfüllt.<br />

Sie hatte Mitarbeiter und Freunde, die<br />

nicht <strong>in</strong> der Partei waren. Den Vertretern<br />

des Regimes wusste sie mit klaren Argumenten,<br />

Humor und etwas Frechheit<br />

Paroli zu bieten.<br />

Wegen Beihilfe zur Republikflucht<br />

wurde sie zu 3 Monaten auf Bewährung<br />

verurteilt, als sie e<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong> nach<br />

Westberl<strong>in</strong> begleiten wollte. Sie wurde<br />

vom <strong>St</strong>aatssicherheitsdienst mehrere<br />

<strong>St</strong>unden verhört und bekam das Angebot,<br />

für ihn zu arbeiten um damit den<br />

Prozess zu verh<strong>in</strong>dern. Das lehnte sie ab,<br />

weil sie nicht als „Spitzel“ arbeiten<br />

wollte.


1 175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung<br />

Nach diesem Erlebnis reifte <strong>in</strong> ihr der<br />

Entschluss, die DDR zu verlassen und sie<br />

flüchtete kurz vor dem Mauerbau <strong>in</strong> den<br />

Westen und kam über e<strong>in</strong> Lager <strong>in</strong> Uelzen<br />

nach Hamburg. Sie wurde als politisch<br />

verfolgter Flüchtl<strong>in</strong>g anerkannt und fand<br />

auch bald wieder e<strong>in</strong>e Anstellung als<br />

Chefsekretär<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Uni, wo sie noch 12<br />

Jahre tätig war und zwar unter dem letzten<br />

Rektor Professor Ehrlicher.<br />

Als Renter<strong>in</strong> hat sie sich dann als<br />

neues Domizil Bad Bevensen ausgesucht,<br />

wo sie bis vor ca. 5 Jahren lebte. Dann<br />

wollte sie der Schwester <strong>in</strong> Eilbek noch<br />

näher se<strong>in</strong> und mit Hilfe des <strong>St</strong>adtplans<br />

fiel die Wahl auf die <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<br />

<strong>St</strong>iftung. Hier fühlt sie sich wohl, mit den<br />

G<strong>in</strong>kgobäumen vorm Fenster. Das Goethegedicht<br />

hat sie präsent. Sie nutzt den<br />

Lohmühlenpark und geht gern an der<br />

Alster spazieren.<br />

Sie möchte noch geistig wach und<br />

beweglich bleiben. Bücher s<strong>in</strong>d ihre Leidenschaft.<br />

Sie liest gern und viel, z.Zt. e<strong>in</strong><br />

Buch über die aktuelle Situation im Irak,<br />

e<strong>in</strong> naturwissenschaftliches über Primaten<br />

und seit 30 Jahren „Die Zeit“. Mit<br />

dem Großneffen, der <strong>in</strong> der Nähe wohnt,<br />

sah sie im K<strong>in</strong>o den Film „Das <strong>Leben</strong> der<br />

Anderen“. Er besucht sie regelmäßig und<br />

sie diskutieren viel.<br />

Sie hat e<strong>in</strong>e sehr offene und tolerante<br />

E<strong>in</strong>stellung dem <strong>Leben</strong> und anderen Me<strong>in</strong>ungen<br />

gegenüber, ist vom Glauben her<br />

selbst evangelisch, und wertet die anderen<br />

Religionen nicht. Sie hat Jung, Freud<br />

und <strong>St</strong>e<strong>in</strong>er gelesen und verehrt den<br />

Dalai Lama. Ihre Auffassung ist, „dass<br />

alles auf der Erde und im Kosmos zusammenhängt<br />

<strong>in</strong> der E<strong>in</strong>heit allen <strong>Leben</strong>s,<br />

auch der Pflanzen und Tiere.“ Wir wissen<br />

aber nicht, auf welche Weise dies<br />

geschieht.<br />

Unser lebhaftes Gespräch wird nach<br />

anderthalb <strong>St</strong>unden sanft von Kater<br />

Jonathan beendet, <strong>in</strong>dem er aus se<strong>in</strong>em<br />

Korb zu uns kommt und die Pfote nach<br />

se<strong>in</strong>em Frauchen ausstreckt. Jetzt fordert<br />

er Zuwendung und das wird respektiert.<br />

Ich verabschiede mich. Q


Am 12.09.1940 wurde ich, Hedy Kwoll,<br />

<strong>in</strong> Altona geboren. E<strong>in</strong> Bruder ist kurz<br />

vor me<strong>in</strong>er Geburt gestorben. Dann starb<br />

me<strong>in</strong> Vater im Krieg.<br />

Me<strong>in</strong>e Mutter heiratete wieder und<br />

ich bekam zwei <strong>St</strong>iefgeschwister dazu.<br />

Wir wohnten mit sechs Personen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

viel zu kle<strong>in</strong>en Wohnung. Ke<strong>in</strong>er hatte<br />

e<strong>in</strong>en Platz für sich. 1947 wurde ich <strong>in</strong><br />

Altona e<strong>in</strong>geschult und 1956 entlassen.<br />

Die Schulzeit war beendet. Es folgte e<strong>in</strong>e<br />

dreijährige Ausbildung als E<strong>in</strong>zelhandelskauffrau.<br />

1959 heiratete ich und bekam drei<br />

K<strong>in</strong>der. 1976 wurde me<strong>in</strong>e Ehe geschieden.<br />

Danach erzog ich die K<strong>in</strong>der alle<strong>in</strong>e.<br />

Ich habe zwar e<strong>in</strong> Jahr später wieder<br />

geheiratet – aber die K<strong>in</strong>der blieben<br />

me<strong>in</strong>e Sache. Diese Ehe wurde 1985<br />

geschieden.<br />

Ganz allmählich baute ich mir e<strong>in</strong>en<br />

neuen Freundeskreis auf. Und ich<br />

schaffte Platz für mich. Ich erlebte das<br />

erste Mal, dass ich e<strong>in</strong>en Raum für mich<br />

hatte. Als me<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der auszogen,<br />

gehörte mir dann sogar e<strong>in</strong>e ganze Wohnung.<br />

Das habe ich sehr genossen.<br />

Dann zogen zwei Freund<strong>in</strong>nen nach<br />

<strong>St</strong>. <strong>Georg</strong>. Ich lernte den <strong>St</strong>adtteil<br />

dadurch auch nach und nach kennen.<br />

Zuerst waren es Besuche und Treffen.<br />

Dann habe ich auch begonnen, aktiv <strong>in</strong><br />

der Geschichtswerkstatt mitzuarbeiten,<br />

habe Ausstellungen mit vorbereitet und<br />

175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung 1<br />

B eim Klönschnack<br />

traf ich <strong>in</strong>teressante<br />

Menschen<br />

e<strong>in</strong>iges mehr. Jetzt beteilige ich mich<br />

noch beim Klönschnack, der zweimal im<br />

Jahr stattf<strong>in</strong>det,<br />

Auch beruflich war ich dann <strong>in</strong> <strong>St</strong>.<br />

<strong>Georg</strong> tätig. Von 1990 bis 1996 habe ich<br />

<strong>in</strong> der Ambulanten Pflege<strong>in</strong>itiative als<br />

Bürokraft gearbeitet. In diesen Jahren


15 175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung<br />

lernte ich <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong> gut kennen. Aufgrund<br />

me<strong>in</strong>er Mitarbeit beim Klönschnack<br />

traf ich Menschen, die hier aufgewachsen<br />

s<strong>in</strong>d. Den Erzählungen dieser<br />

<strong>St</strong>. <strong>Georg</strong>er hörte ich gerne zu.<br />

Dadurch entstand langsam bei mir der<br />

Wunsch, nach <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong> zu ziehen. Bei<br />

allen Verabredungen oder spontanen<br />

Unternehmungen merkte ich, dass ich<br />

mich von Barmbek aufraffen musste. Ich<br />

beschloss, mich nach Wohnmöglichkeiten<br />

<strong>in</strong> <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong> zu erkundigen.<br />

Bei e<strong>in</strong>em Besuch bei Frau Kränzl<strong>in</strong><br />

erfuhr ich, dass e<strong>in</strong> neues Wohnprojekt<br />

im Entstehen sei. Ich g<strong>in</strong>g zum nächsten<br />

Treffen und hörte, dass noch Wohnungen<br />

frei wären. Das Projekt <strong>in</strong>teressierte mich<br />

sehr und nach e<strong>in</strong>igen Treffen äußerte<br />

ich den Wunsch, mit e<strong>in</strong>ziehen zu dürfen.<br />

Nach e<strong>in</strong>igen Schwierigkeiten klappte es<br />

schließlich und ich bekam e<strong>in</strong> Angebot.<br />

Im Oktober 2006 war es dann soweit,<br />

dass ich e<strong>in</strong>ziehen konnte. Wir haben<br />

gute Kontakte im Haus. Es gibt e<strong>in</strong>en<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsraum, <strong>in</strong> dem man sich<br />

verabreden kann, zum geme<strong>in</strong>samen<br />

Essen oder e<strong>in</strong>fach nur bei e<strong>in</strong>em Glas<br />

We<strong>in</strong> zusammensitzt. Und was für mich<br />

ganz wichtig ist, dass man nett mite<strong>in</strong>ander<br />

umgeht. Ich b<strong>in</strong> glücklich, dass ich<br />

mich zum E<strong>in</strong>zug entschlossen habe.<br />

Nun versuche ich <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong> noch<br />

mehr kennen zu lernen. Das e<strong>in</strong>zige, was<br />

ich schade f<strong>in</strong>de ist, dass es zu wenig<br />

E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten <strong>in</strong> der Nähe gibt.<br />

In Barmbek brauchte ich nur um die Ecke<br />

zu gehen und fand reichlich Auswahl<br />

zwischen kle<strong>in</strong>en Fachgeschäften<br />

(Schlachter, Fischladen usw.) und den<br />

großen Läden (Lidl, Aldi, Edeka usw.) Q


Me<strong>in</strong> Name ist Jutta Montag-Assamoi.<br />

Ich wurde 1938 <strong>in</strong> Danzig geboren.<br />

Durch die Kriegswirren wurde ich nach<br />

Russland verschleppt und kam bis auf<br />

die Insel Krim. Dort verlor ich me<strong>in</strong>e<br />

geliebte Mutti, die an Hungertyphus<br />

starb. Als 6jährige b<strong>in</strong> ich 1944 dann<br />

alle<strong>in</strong>e mit dem Treck nach Deutschland,<br />

und zwar bis nach Frankfurt an der<br />

Oder gekommen. Das Schicksal me<strong>in</strong>te<br />

es dann aber gut mit mir. Me<strong>in</strong> Papa<br />

fand mich 1945 über den Suchdienst<br />

wieder.<br />

Die Schulzeit erlebte ich <strong>in</strong> Lüneburg.<br />

Nachdem ich dann noch e<strong>in</strong>ige Jahre<br />

mit der Familie <strong>in</strong> Heide / Kreis Gifhorn<br />

verbrachte, kam ich mit 22 Jahren nach<br />

Hamburg. Bereits damals bewegte ich<br />

mich schon an der Grenze zu <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong>,<br />

denn ich arbeitete <strong>in</strong> der Spald<strong>in</strong>gstraße<br />

als kaufmännische Angestellte. Später,<br />

als ich geheiratet und me<strong>in</strong>en 1. Sohn<br />

geboren hatte, zogen wir <strong>in</strong> die Spald<strong>in</strong>gstraße.<br />

Und immer wieder zog es<br />

mich auch <strong>in</strong> den <strong>St</strong>adtteil <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong>.<br />

In den Jahren 1981 – 1989 habe ich<br />

die Galerie „Schnecke“ betrieben. Sie<br />

befand sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Rundbunker auf<br />

der Moorweide am Dammtorbahnhof. Es<br />

war e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante und vielbesuchte<br />

Galerie und ich hatte <strong>in</strong> diesen Jahren<br />

Verb<strong>in</strong>dung mit vielen bekannten Künstlern<br />

aus Malerei, Musik, Theater, Literatur<br />

und Film. Denn neben den vielen<br />

Ausstellungen bot ich auch e<strong>in</strong> breites<br />

Kulturprogramm an. E<strong>in</strong>ige dieser<br />

Künstler lebten auch <strong>in</strong> <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong>. Auch<br />

viele Jahre später, als ich <strong>in</strong> Rente<br />

175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung 16<br />

E s zog mich immer<br />

wieder nach <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong><br />

gegangen war, zog es mich immer wieder<br />

<strong>in</strong> diesen <strong>St</strong>adtteil und ich beteiligte<br />

mich hier an den Aktivitäten.<br />

Bereits vorher hatte ich von der Existenz<br />

der Altenwohnungen und des<br />

<strong>St</strong>iftsviertels gehört. Als ich dann beim<br />

LAB den Spanischunterricht mitmachte,<br />

erkundigte ich mich deshalb danach.<br />

Man empfahl mir das <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<br />

<strong>St</strong>ift (übrigens hatte e<strong>in</strong> Familienmitglied<br />

– Dorothea Sievek<strong>in</strong>g - 1983 e<strong>in</strong>e<br />

Ausstellung <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Galerie). Im


17 175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung<br />

Januar nahm ich Kontakt mit unserem<br />

<strong>St</strong>ift auf und hatte das große Glück,<br />

zum 1. Mai diesen Jahres e<strong>in</strong>e süße<br />

kle<strong>in</strong>e Wohnung <strong>in</strong> dieser schönen<br />

Anlage zu bekommen.<br />

Beim E<strong>in</strong>zug wurde ich von me<strong>in</strong>en<br />

Nachbarn herzlich empfangen und fühle<br />

mich hier sehr wohl. Für die Betreuung<br />

haben wir hier sehr nette Mitarbeiter–<br />

Innen. Die kompetente Leitung mit Frau<br />

Kränzl<strong>in</strong> an der Spitze macht das <strong>Leben</strong><br />

<strong>in</strong> diesem <strong>St</strong>ift hilfreich und angenehm.<br />

Me<strong>in</strong>en <strong>Leben</strong>sabend möchte ich hier<br />

gesund und selbständig verbr<strong>in</strong>gen. Hier<br />

werden viele Aktivitäten geboten. Auch<br />

<strong>St</strong>. <strong>Georg</strong> an sich bietet viel Kultur, gute<br />

E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten ganz <strong>in</strong> der Nähe.<br />

Die vielen Verkehrsanb<strong>in</strong>dungen lassen<br />

uns mobil bleiben. Nicht zu vergessen:<br />

Unsere geliebte Alster <strong>in</strong> der Nähe.<br />

Ich denke, dass ist e<strong>in</strong>malig <strong>in</strong> Hamburg.<br />

Auch das Zusammenleben mit der<br />

bunten Bevölkerung <strong>in</strong> diesem <strong>St</strong>adtteil.<br />

Q


Me<strong>in</strong> Name ist Dieter Schulz.<br />

Vor e<strong>in</strong>em Jahr, also im Jahr 2006, b<strong>in</strong> ich durch die Vermittlung<br />

me<strong>in</strong>er Betreuer<strong>in</strong> <strong>in</strong> das <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>ift e<strong>in</strong>gezogen.<br />

Geboren wurde ich 1939 <strong>in</strong> Hamburg-Harburg. Me<strong>in</strong>e Schulzeit<br />

und auch me<strong>in</strong>e Jugendjahre verbrachte ich <strong>in</strong> Bostelbek.<br />

Ich habe bei den Tempowerken <strong>in</strong> Harburg CO²–Schweißer<br />

gelernt und dort auch e<strong>in</strong>ige Jahre gearbeitet. Danach b<strong>in</strong> ich<br />

dann zur See gefahren – weltweit.<br />

Seit über 30 Jahren lebe ich schon <strong>in</strong> <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong>. Ich wohnte <strong>in</strong><br />

der L<strong>in</strong>denstraße und <strong>in</strong> der Bremer Reihe. In <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong> habe<br />

ich auch als Kellner gearbeitet. Ich fühlte mich also schon<br />

lange als <strong>St</strong>. <strong>Georg</strong>ianer und b<strong>in</strong> deshalb froh, auch jetzt im<br />

betreuten Wohnen hier zu leben.<br />

175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung 1<br />

I ch traf hier etliche<br />

Nachbarn von früher<br />

Als ich dann <strong>in</strong> das <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<br />

<strong>St</strong>ift zog, traf ich doch etliche Nachbarn,<br />

die ich schon von früher kannte.<br />

Das gab mir sofort e<strong>in</strong> heimisches<br />

Gefühl.<br />

Für die Zukunft wünsche ich mir e<strong>in</strong><br />

selbständiges, ruhiges und gesundes<br />

<strong>Leben</strong> <strong>in</strong> dieser schönen Anlage, wo ich<br />

mich auch sehr wohl fühle. Q<br />

Anmerkung:<br />

Herrn Schulz‘ Wunsch g<strong>in</strong>g leider nicht<br />

<strong>in</strong> Erfüllung. Er ist am 16. August verstorben.


19 175 Jahre <strong>Amalie</strong> Sievek<strong>in</strong>g-<strong>St</strong>iftung<br />

Alexanderstraße 24<br />

V. <strong>Amalie</strong>nstift<br />

Alexanderstraße 28<br />

Arthur Röd<strong>in</strong>g-Haus<br />

Brennerstraße 77<br />

IV. <strong>Amalie</strong>nstift<br />

H ier wohnen wir<br />

Brennerstraße 79<br />

Paul<strong>in</strong>e Mariannen-<strong>St</strong>ift<br />

M<strong>in</strong>enstraße 7<br />

Herman Sievek<strong>in</strong>g-Haus<br />

M<strong>in</strong>enstraße 11<br />

II. + III. <strong>Amalie</strong>nstift

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