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erste - Das Gespräch

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<strong>Das</strong> <strong>Gespräch</strong><br />

Ausgabe 1<br />

04 / 2009<br />

Verantwortung:<br />

.<br />

Die Stillen<br />

Helden des<br />

Alltags


Impressum<br />

Herausgeber,<br />

Redaktion<br />

und V.i.S.d.P.<br />

Martin Böcker<br />

Text und Bilder<br />

Martin Böcker<br />

Bild auf Seite Fünf<br />

Oliver Slojkowski<br />

Redaktionsanschrift<br />

Werner Heisenberg Weg 115<br />

App. 13 / 222<br />

85579 Neubiberg<br />

Internet<br />

www.dasgespraech.de<br />

Lieber Leser,<br />

diese -<strong>erste</strong>- Ausgabe der Zeitschrift "<strong>Das</strong> <strong>Gespräch</strong>" ist in<br />

<strong>erste</strong>r Linie ein Resultat aus meiner fixen Idee, ein Interview-<br />

Magazin herauszugeben, und der Aufgabenstellung einer<br />

Veranstaltung meiner Universität mit dem klangvollen Namen<br />

"Studium plus". Um die begehrten ECTS-Punkte zu ergattern,<br />

sollten wir uns überlegen, was uns in unserem konkreten<br />

persönlichen Umfeld stört, was wir in der Gesellschaft ändern<br />

möchten oder -wer es lieber theoretisch mag- was man wie<br />

ändern könnte und dazu dann ein Konzept <strong>erste</strong>llen.<br />

Ich habe großen Respekt vor all denen, die in so genannten<br />

Helferberufen arbeiten. <strong>Das</strong> sind diese hoch qualifizierten, gut<br />

ausgebildeten, sehr engagierten und bestenfalls mittelmäßig<br />

bezahlten Menschen, die es als normal empfinden, ihre ganze<br />

Arbeitskraft in die Gesellschaft zu investieren. "Tue Gutes und<br />

spreche darüber" scheint in diesen Berufen total abwegig zu<br />

sein, warum sollte man sich auch mit der Normalität<br />

präsentieren?<br />

Der Bezug zur Aufgabenstellung ergibt sich in diesem<br />

Magazin in dreierlei Hinsicht. Erstens bietet die Aufgabe eine<br />

willkommene Gelegenheit für mich selbst und meine fixen<br />

Ideen Verantwortung zu ergreifen, indem ich aufhöre nur über<br />

den Traum der <strong>erste</strong>n eigenen Ausgabe des "<strong>Gespräch</strong>s" zu<br />

reden, sondern sie einfach in Angriff nehme. Zweitens wird<br />

der Begriff der Verantwortung in den Interviews aus<br />

unterschiedlichsten Perspektiven thematisiert und beleuchtet.<br />

Drittens ist es an der Zeit, dass irgendjemand die<br />

Verantwortung dafür übernimmt, diesen "stillen Helden des<br />

Alltags" eine Stimme zu geben.<br />

Herzlichst,


Inhaltsverzeichnis<br />

Gedanken zum Thema Verantwortung.<br />

<strong>Das</strong> politische Ehrenamt.<br />

Ein Lokalpolitiker erläutert seine Politik-Philosophie.<br />

Der Entwicklungshelfer.<br />

Ein junger Mann berichtet von Bau-Projekten in aller Welt.<br />

Der Münchener Schutzmann.<br />

Ein Polizeibeamter erzählt aus seinem Dienstalltag.<br />

Offizier in der Heilsarmee.<br />

Ein Major ist Pastor und führt ein Leben für die Menschen.<br />

Der Dienst als Brandrat.<br />

Ein Vorgesetzter von Menschen, die ihr Leben riskieren.<br />

Der junge Psychologe.<br />

Ein Mensch, der täglich Menschen zuhört.


<strong>Das</strong><br />

politische<br />

Ehrenamt<br />

Stefan Hermanns ist ein Multijobber. Der<br />

studierende Offizier meistert sein Studium und<br />

füllt nebenher mehrere politische Ämter aus.<br />

Vom Gemeinderat bis hin zum Studentischen<br />

Konvent. Und das alles im Ehrenamt.


"Es ist das Eine, eine<br />

Wahl zu gewinnen,<br />

aber man muss das<br />

Amt dann auch ein<br />

Jahr ordentlich<br />

ausführen."<br />

Stefan, du bist im Studentischen Konvent der<br />

Universität der Bundeswehr München und<br />

kandidierst für die FDP im Gemeinderat<br />

Neubiberg. <strong>Das</strong> ist schon eine ganze Menge.<br />

Was machst du noch?<br />

Ich bin außerdem noch Vorsitzender des Liberalen<br />

Campus München. <strong>Das</strong> ist eine<br />

hochschulübergreifende Studentenvereinigung,<br />

die mittlerweile an sechs Münchener Hochschulen<br />

ist, untereinander den Dialog sucht und natürlich<br />

auch in die Hochschulpolitik mit eingreift. In der<br />

Liberalen Hochschulgruppe in Bayern, das ist die<br />

Landesorganisation davon, bin ich<br />

stellvertretender Vorsitzender für Organisation.<br />

<strong>Das</strong> hat dann starken FDP-Bezug? Oder ist das<br />

parteiunabhängig?<br />

<strong>Das</strong> ist bezüglich der politischen Stellung mit der<br />

Thomas-Dehler-Stiftung zu vergleichen. Also wir<br />

sind eine politische Vereinigung mit Nähe zur FDP,<br />

weil dort viele Schnittmengen sind, aber laut<br />

Satzung ist die FDP nicht einziger, sondern<br />

lediglich <strong>erste</strong>r parlamentarischer Ansprechpartner.<br />

<strong>Das</strong> alles ist ja ein hoher Zeitaufwand. Wie<br />

rechtfertigst du das vor dir selbst, deiner<br />

Freundin, deinen Freunden und deiner Familie?<br />

<strong>Das</strong> ist natürlich eine sehr schwierige Frage, vor<br />

allem mit meiner Freundin. Da habe ich halt das<br />

Glück, wenn man es denn Glück nennen kann,<br />

dass meine Freundin beruflich auch sehr<br />

eingespannt ist. Sie ist Unternehmensberaterin im<br />

IT-Bereich. Aber die Frage ist natürlich berechtigt,<br />

Zeit ist einer der wichtigsten Faktoren. Ich<br />

investiere viel Zeit für die Planungen,<br />

Kommunikation, Organisation, dann auch noch<br />

das Studium. <strong>Das</strong> ist nicht immer leicht.<br />

Hast du das Gefühl, dass deine Noten da ein<br />

bisschen drunter leiden?<br />

Nein, habe ich eigentlich nicht. Vielleicht habe ich<br />

sogar einen Vorteil, weil ich gezwungen bin, mir<br />

die Zeiten einzuteilen. Es kann sogar sein, dass<br />

ich dadurch –absolut betrachtet- mehr mache als<br />

andere, die nicht so einen straffen Zeitplan haben<br />

und sich dann so „laissez-faire“ aussuchen<br />

können, wann sie was machen. Und vom Studium<br />

her habe ich auch den Vorteil, dass ich jetzt<br />

scheinfrei bin und mir meine Zeit einteilen kann.<br />

Was willst du mit deiner politischen Arbeit<br />

erreichen?<br />

Also primär macht es mir einfach Spaß. Zum<br />

Beispiel der Liberale Campus München: Ich finde<br />

es total interessant mit anderen Studenten<br />

zusammen zu kommen, zu diskutieren,<br />

herauszufinden wo wir die gleichen Probleme<br />

haben und wo nicht. Und dann geht es vor allem<br />

darum, diese Probleme zu lösen oder<br />

Lösungsansätze zu schaffen. <strong>Das</strong> ist einfach mein<br />

Interesse und Hobby und begründet dann auch,<br />

dass es manchmal bis spät in die Abendstunden<br />

hineingeht.<br />

Rutscht man in solche Aufgaben irgendwie<br />

rein? Oder wie bist du dazu gekommen?<br />

Ja, da rutscht man rein. Und wenn man nicht<br />

aufpasst, dann rutscht man auch in viele weitere<br />

Posten rein, dadurch, dass es viele<br />

Überschneidungen gibt. Mittlerweile habe ich<br />

gelernt, dass man schon sehr auf der Hut sein<br />

muss. Es ist nämlich das Eine, eine Wahl zu<br />

gewinnen, aber man muss dann auch ein Jahr<br />

das Amt ordentlich ausführen. Dessen muss man<br />

sich bewusst werden, weil man seine Zeit dadurch<br />

einfach so stark zubaut, dass die anderen Ämter<br />

leiden. Mittlerweile wird es bisweilen etwas eng,<br />

sodass ich zum Beispiel den Deutsch-Arabischen<br />

Arbeitskreis, den ich mit initiiert hatte, an einen<br />

Nachfolger abgegeben habe.<br />

Inwiefern hast du das Gefühl, dass du mit<br />

dieser Arbeit dein Umfeld verbessern kannst?<br />

Dieses Gefühl habe ich ganz stark. Wir haben<br />

zum Beispiel mit dem Liberalen Campus München<br />

mal einen Besuch im Forschungsreaktor Garching<br />

durchgeführt und öffentlich dazu eingeladen. Da<br />

waren einige Anwohner aus dem Raum Garching<br />

und die positiven Rückmeldungen geben einem<br />

da einfach ein gutes Gefühl. Und wenn man halt


viel arbeitet, kann man vielleicht auch als Vorbild<br />

gelten und den anderen sagen „Hey, man kann<br />

wirklich was ändern“. <strong>Das</strong> muss man einfach noch<br />

bewusster vermitteln.<br />

Gut, das hört sich sehr uneigennützig an. Aber<br />

gerade jungen Politikern unt<strong>erste</strong>llt man ja oft<br />

ein <strong>Das</strong>ein als Karrieristen. Wie stehst du<br />

dazu?<br />

Ja, das hat ja auch schon Max Weber in „Politik<br />

als Beruf“ kritisiert. Diese Beispiele halte ich für<br />

Einzelfälle. Unter der Fassade gibt es einen<br />

riesengroßen Sockel von Personen, die nicht in<br />

die Politik gehen und das auch gar nicht wollen.<br />

<strong>Das</strong> sind ganz oft Leute, die einfach gegen die<br />

Probleme in ihrem Umfeld etwas tun möchten, die<br />

aber auch einfach nur ihre Freunde im<br />

Parteiumfeld haben, das ist auch eine wichtige<br />

Komponente.<br />

Inwiefern glaubst du denn, dass diese ganzen<br />

ehrenamtlichen Helfer genügend<br />

Aufmerksamkeit bekommen?<br />

Also der Punkt mit der Aufmerksamkeit ist<br />

natürlich sehr wichtig. Aber das ist wohl das<br />

Besondere an jedem Ehrenamt, dass es<br />

eigentlich die „Heinzelmännchen“ im Hintergrund<br />

sind, die arbeiten. Und wenn es gut läuft, dann<br />

geht eben nur der Kandidat in den Bundestag, nur<br />

der Kandidat wird in der Presse erwähnt oder auf<br />

dem Neujahrsempfang der Gemeinde<br />

hervorgehoben. Da liegt halt die Verantwortung<br />

bei dieser<br />

Einzelperson,<br />

entweder diese<br />

Unterstützung<br />

herauszustellen, oder<br />

sich intern einfach<br />

bei den Leuten zu<br />

bedanken. Wer das<br />

vergisst, der wird<br />

auch sehr schnell<br />

wieder nach unten<br />

fallen.<br />

Wie hast du das für<br />

dich empfunden,<br />

als du noch Teil<br />

dieses Sockels<br />

warst?<br />

Ich hatte in dem Fall<br />

natürlich die positive<br />

Voraussetzung, dass<br />

ich von der<br />

Bundeswehr klare<br />

Hierarchien mit „oben<br />

"Wenn dann<br />

jemand auf dich zukommt<br />

und 'Danke, das ist gut<br />

geworden' sagt, dann ist<br />

das eben der Lohn."<br />

und unten“ kannte. Und ich war mir auch bewusst<br />

darüber, dass ich die ganzen Plakate nicht aus<br />

Eigennutz geklebt haben, sondern weil ich dem<br />

Kandidaten helfen wollte. Der Eigennutz liegt halt<br />

darin, dass mit diesem Kandidaten dann jemand<br />

im Landtag oder Bundestag sitzt, dessen<br />

politische Meinung ich teile. Von daher erwarte ich<br />

für die Arbeit dann auch nicht mehr als ein<br />

„Dankeschön“.<br />

Und welche persönlichen Ziele verfolgst du in<br />

diesem Bereich?<br />

Ich bin jetzt bei der Kommunalwahl auf Platz drei,<br />

da ist es einfach mein Ziel, mit der FDP in den<br />

Gemeinderat zu kommen. Und mit dem<br />

Studentischen Konvent will ich versuchen, das<br />

Verhältnis zwischen Gemeinde und Universität<br />

neu zu beleben. In den letzten Jahren wurde da<br />

nicht ausreichend geredet und dadurch sind auch<br />

viele Missverständnisse entstanden. Ich habe zum<br />

Beispiel mit dem Bürgermeister von Neubiberg<br />

gesprochen. Es war einfach unglaublich, wie viele<br />

Schnittmengen es da gab. An dem Punkt kann<br />

man ganz gut ansetzen, und ich denke, dass in


der Verbindung Gemeinde-Universität unheimlich<br />

viel Potential steckt.<br />

<strong>Das</strong> sind also die näheren Ziele, hast du<br />

irgendwelche Fernziele?<br />

Also erst mal habe ich nicht das Ziel, sondern<br />

eher den Wunsch nach einem sicheren sozialen<br />

Stand. Und wenn ich weiß, ob ich aufgrund<br />

meiner politischen Arbeit im Gemeinderat hier in<br />

Neubiberg bleibe, dann möchte ich auch eine<br />

Familie gründen.<br />

Wie interessant ist für dich die politische<br />

Arbeit nach der Bundeswehr?<br />

Ja, ich sehe mich jetzt nicht als Mitglied des<br />

Bundestages. Der Gemeinderat ist da ein guter<br />

Ansatz, jeder Bundestagsabgeordnete wird<br />

bestätigen können, dass Kommunalpolitik<br />

eigentlich die entscheidende Politik ist, weil du<br />

einfach viel näher am Bürger dran bist. Wenn du<br />

sagst, die Gartenmauer soll jetzt 1,50 Meter hoch<br />

sein, dann dauert das keine zwei Tage, und du<br />

hast zehn Leute auf der Matte stehen, die das<br />

entweder gut oder eben schlecht finden. Während<br />

die Arbeit im Bundestag schon sehr abstrakt ist,<br />

hast du in der Gemeinde diese verstärkte<br />

Bürgernähe.<br />

Wird die Arbeit im Gemeinderat in irgendeiner<br />

Form vergütet?<br />

Ja, es gibt Aufwandsentschädigungen, aber die<br />

sind nicht so hoch, dass man davon leben könnte.<br />

Hat sich schon mal jemand ausdrücklich bei<br />

dir bedankt?<br />

Ja, natürlich. Letztes Jahr war ja das große<br />

Wahljahr, da habe ich auf Kommunalebene<br />

Wahlplakate <strong>erste</strong>llt oder vor kurzem erst die<br />

Website von der FDP in Neubiberg erneuert.<br />

Wenn dann jemand auf dich zukommt und<br />

„Danke, das ist gut geworden“ sagt, dann ist das<br />

eben der Lohn. Es bringt halt nichts, wenn du<br />

arbeitest und dann merkst, es gefällt eigentlich<br />

keinem.<br />

Wie gehst du mit Undank um?<br />

Irgendwann fragt man sich einfach, ob ich das<br />

jetzt noch so weitermachen soll, oder ob man sagt<br />

„Es macht keinen Sinn mehr“. Da kann man auch<br />

vom Politischen zum Soldatischen kommen. In<br />

<strong>Gespräch</strong>en mit Soldaten hört man auch oft raus,<br />

dass sie keine Resonanz aus der Bevölkerung<br />

bekommen. Du gehst in den Auslandseinsatz,<br />

nimmst all diesen Stress in Kauf und es dankt<br />

einem niemand. Wenn aber einfach mal eine<br />

positive Meldung in der Presse oder ein Dank aus<br />

der Bevölkerung käme, dann wäre das<br />

wahrscheinlich mehr Lohn als eine einfache<br />

Gehaltserhöhung.<br />

Was müsste man tun, wenn man das erreichen<br />

wollte?<br />

Entscheidend ist natürlich, dass so etwas nicht<br />

verordnet wird. Es muss etwas sein, das von<br />

Herzen kommt. Man muss einfach ein<br />

Bewusstsein dafür schaffen, was die Soldaten im<br />

Einsatz eigentlich machen. So etwas zu<br />

verordnen, würde die ganze Angelegenheit aber<br />

ad absurdum führen.<br />

Lieber Stefan, vielen Dank für das <strong>Gespräch</strong>.


Der<br />

Entwicklungshelfer<br />

Karl Schott ist 21 und hat sich an Bauprojekten<br />

im Senegal, in Tansania und auf den Philippinen<br />

beteiligt. Weil er nicht einfach nur spenden,<br />

sondern etwas tun will, engagiert er sich im<br />

Entwicklungshilfeverein "Steinschleuder e.V."


K<br />

arl, was genau macht euer Verein, die<br />

„Steinschleuder“ eigentlich?<br />

Wir sind ein gemeinnütziger eingetragener Verein<br />

von jungen Leuten zwischen 16 und 27 aus ganz<br />

Deutschland, und wir unterstützen Hilfsprojekte in<br />

Entwicklungsländern.<br />

Wie muss ich mir das vorstellen?<br />

Also die Suche von Projekten läuft meistens über<br />

persönliche Kontakte, die der Verein durch die<br />

langjährige Arbeit sammeln konnte. Da bekommt<br />

man dann mit, wo es eine Basisinitiative in einem<br />

Entwicklungsland gibt, die wir vielleicht<br />

unterstützen können. Dann kommt es darauf an,<br />

ob die Initiative in den Bereich passt, den wir<br />

unterstützen wollen. Also zum Beispiel<br />

bildungsbezogene Entwicklungshilfe, wie der Bau<br />

von Schulen, Kindergärten oder<br />

Ausbildungszentren. „Jugend hilft Jugend“ ist da<br />

ein Slogan von uns.<br />

Und wie läuft das dann ab, wenn ihr ein<br />

mögliches neues Projekt gefunden habt?<br />

Je nach dem wie nachhaltig uns das Projekt<br />

erscheint, gibt es dann eine Vorbereitungsreise,<br />

bei der sich zwei Leute von uns das Ganze dann<br />

näher anschauen. Wenn wir uns entscheiden zu<br />

unterstützen, dann bereiten wir die Arbeit vor,<br />

veranstalten Vorbereitungswochenenden und<br />

kümmern uns um die Baupläne und so weiter.<br />

Dann gibt es drei Jahre jeweils einmal im Jahr vier<br />

Wochen Baucamp, bei denen wir dann mit<br />

Unterstützung von Baufirmen oder Handwerkern<br />

vor Ort zum Beispiel einen Kindergarten bauen.<br />

Wieso nur drei Jahre?<br />

<strong>Das</strong> haben wir uns mal als Regel gesetzt. Drei<br />

Jahre ist einfach ein Zeitraum, in dem man etwas<br />

erreichen und eine Starthilfe geben kann. Wir<br />

wollen aber keine Abhängigkeit schaffen. Also Ziel<br />

ist es nicht, den Leuten was Tolles hinzustellen,<br />

was sie am Ende nicht selbst weiter verwalten<br />

können. Deswegen sind wir nach drei Jahren<br />

raus. Im Nachhinein begleiten wir das natürlich<br />

noch ein<br />

"Wir verwalten uns<br />

dezentral und<br />

leisten uns keine<br />

Büroräume. Mein<br />

Büro ist quasi dort,<br />

wo ich wohne. So<br />

bleibt der Anteil<br />

dieser Kosten<br />

immer unter zehn<br />

Prozent.<br />

30 Prozent wären<br />

erlaubt."<br />

bisschen, aber<br />

eigentlich müssen<br />

die Leute dann<br />

selber klar<br />

kommen.<br />

Habt ihr<br />

Mitglieder, die<br />

ein Handwerk<br />

gelernt haben?<br />

Ja, aber eigentlich<br />

zufällig. Wir<br />

haben einen<br />

Schreiner, ein<br />

paar Ingenieure.<br />

Die meisten<br />

kommen aber aus<br />

dem sozialen<br />

Bereich. Ich selbst<br />

bin auch kein<br />

gelernter<br />

Handwerker, aber<br />

in den Baucamps, an denen ich bis jetzt<br />

teilnehmen durfte, habe ich halt das Mauern und<br />

Verputzen gelernt, das geht eigentlich recht<br />

schnell. Aber vor Ort sind immer ein Architekt und<br />

Bauarbeiter aus der Gegend, die uns in die<br />

Tätigkeiten einweisen.<br />

Was genau ist deine Aufgabe in dem Verein?<br />

Wie groß ist dein zeitlicher und finanzieller<br />

Aufwand?<br />

Ich bin im Vorstand und habe vor einem Jahr<br />

offiziell das Büro übernommen. Wie groß mein<br />

zeitlicher Aufwand ist, kann ich gar nicht so genau<br />

sagen, aber pro Woche komme ich im Schnitt auf<br />

sechs Stu den. Und finanziell… der einfache<br />

Mitgliedsbeitrag liegt zwischen sechs und 24<br />

Euro, je nach dem, ob du Schüler, Student oder<br />

berufstätig bist. Wenn ich ins Baucamp fliege,<br />

dann zahle ich -je nach Land- ungefähr 1000 Euro<br />

für Flug und Verpflegung.<br />

Du zahlst 1000 Euro, um vier Wochen arbeiten<br />

zu dürfen?<br />

Ja. Kann man so sagen.<br />

Wie hoch sind denn eure Verwaltungskosten?<br />

Also da liegen wir sehr gut. Wir verwalten uns<br />

dezentral und leisten uns keine Büroräume. Mein


Büro ist quasi dort, wo ich wohne. So bleibt der<br />

Anteil dieser Kosten immer unter zehn Prozent.<br />

30 Prozent wären erlaubt.<br />

Wie oft warst du bis jetzt mit der<br />

„Steinschleuder“ im Ausland?<br />

Insgesamt fünf Mal. Einmal im Senegal, zweimal<br />

in Tansania und zweimal auf den Philippinen. In<br />

Tansania war ich einmal Bauleiter, auf den<br />

Philippinen beide Male.<br />

Dann hast du ja schon ordentlich was<br />

vorzuweisen.<br />

Ja, im Lebenslauf sieht’s irgendwie geil aus. Im<br />

Prinzip habe ich schon mehrere Projekte geleitet,<br />

vor- und nachbereitet. Aber wenn man es liest<br />

wirkt es oft krasser, als es einem selbst vorkommt.<br />

Naja, es gibt ja auch keinen Grund da dein<br />

Licht unter den Scheffel zu stellen, oder?<br />

Ja, das stimmt schon, aber je nach dem wie alt<br />

die Gruppe ist, läuft das auch ziemlich<br />

selbstständig. Trotzdem bleibt es viel Arbeit und<br />

ist doch eine große Verantwortung. Als<br />

Vorstandsmitglied hafte ich für ein Fünftel des<br />

gesamten Vereinsvermögens, wenn irgendetwas<br />

schief geht und der Vorstand bei der<br />

Jahreshauptversammlung nicht entlastet wird.<br />

Was motiviert dich dazu, diese Arbeit auf dich<br />

zu nehmen?<br />

Ich habe mir einfach überlegt, was ich selbst<br />

machen kann. <strong>Das</strong> Geld für den Flug und die<br />

Verpflegung könnte ich auch einfach spenden,<br />

aber dann wüsste ich nicht, was mit dem Geld<br />

passiert. Aber mit der „Steinschleuder“ fahre ich<br />

halt an den Ort des Geschehens, habe einen<br />

"Mein Problem wäre nicht,<br />

wenn niemand „Danke“ sagt,<br />

sondern wenn ich merke, dass<br />

wir ein Projekt falsch<br />

angegangen sind. [...] Die<br />

Leute sind dann dankbar, wenn<br />

es funktioniert."<br />

riesen Spaß, lerne tolle Leute kennen und kann<br />

auch sehen, was ich gemacht habe. Zu sehen,<br />

was wir in den letzten Jahren alles erreicht haben,<br />

ist einfach klasse: Der Kindergarten in Tansania,<br />

die Schule im Senegal oder das<br />

Ausbildungszentrum auf den Philippinen. <strong>Das</strong><br />

macht einfach Spaß.<br />

Möchtest du von dem Geld manchmal nicht<br />

einfach was für dich kaufen?<br />

Ja, ich könnte mir verschiedenste Sachen<br />

vorstellen, die ich echt gerne hätte. Aber die<br />

Erfahrungen, die ich jedes Jahr gesammelt habe:<br />

Vier Wochen Baucamp, in Gastfamilien leben, mit<br />

den Menschen dort zusammen arbeiten und die<br />

Probleme in dem Land nicht nur aus den Medien,<br />

sondern vor Ort mitzukriegen. <strong>Das</strong> ist einfach<br />

unbezahlbar.<br />

Hattest du irgendwann mal das Gefühl, dass<br />

du in diesen Ländern einer Gefahr ausgesetzt<br />

warst?<br />

Ab und zu ja. Wir wurden schon beklaut, oder


"Mein Lohn ist es, mir am<br />

Ende das Gebäude<br />

anzugucken und zu sehen<br />

was passiert."<br />

irgendwelche<br />

Leute<br />

haben<br />

uns<br />

nachts<br />

ziemlich<br />

provokant angesprochen. In Tansania hatten wir<br />

auch schon Probleme mit der<br />

Einwanderungsbehörde. Am letzten Tag kamen<br />

sechs Angehörige dieser Behörde mit einem Jeep,<br />

haben uns die Pässe abgenommen und wollten<br />

dann mit den Pässen und zwei von unseren<br />

Leuten wegfahren. Zum Glück waren ganz viele<br />

Einheimische vor Ort, die sich vor das Auto<br />

gestellt haben, bis unsere Leute aussteigen<br />

durften und wir unsere Pässe wieder hatten. Also<br />

ein gewisses Risiko ist da schon dabei.<br />

Wie rechtfertigst du dieses Risiko vor deinen<br />

jüngeren Mitfahrern, für die du als Vorstand ja<br />

verantwortlich bist, und vor deiner Familie zu<br />

Hause?<br />

Mit meiner Familie ist das ganz einfach: Ich hab’<br />

Bock drauf, und ich mach’ das. Ich habe fünf<br />

Geschwister und meine Eltern sind auch schon<br />

sehr viel gereist. Egal ob jetzt fünf Wochen allein<br />

in Vietnam oder sechs Wochen in Laos und<br />

Kambodscha. Die haben genau so krasse<br />

Geschichten erlebt wie ich und machen sich da<br />

nicht so viele Sorgen. Und die Mitfahrer werden<br />

im Vorfeld genau aufgeklärt und müssen sich strikt<br />

an die Anweisungen der Leiter halten. Die sind<br />

sich also über die Gefahren im Klaren, und wir<br />

gehen auch kein unnötiges Risiko ein.<br />

Glaubst du, dass die Projekte, die ihr<br />

unterstützt, nur mit eurer Hilfe möglich sind?<br />

Da bin ich mir sicher. Der größte Beweggrund<br />

unserer Projektauswahl ist eine existierende<br />

Basisinitiative. <strong>Das</strong> heißt, wenn aus bestehenden<br />

Strukturen heraus ein Projekt mit Potential<br />

aufgebaut werden soll, es aber am Start hapert,<br />

dann kommen wir und unterstützen das. In<br />

Tansania haben wir beispielsweise eine<br />

Unterkunft für Straßenkinder gebaut, für die<br />

vorher ein Haus gemietet werden musste. Die<br />

Mietkosten können jetzt in Schulmaterialien<br />

investiert werden.<br />

Bist du schon mal in irgendeiner Form<br />

desillusioniert worden?<br />

Ja, ein bisschen vielleicht. <strong>Das</strong> lag wohl in <strong>erste</strong>r<br />

Linie daran, dass wir mit unserem korrekten,<br />

deutschen Enthusiasmus nach Tansania gefahren<br />

sind, und dann ein bisschen gegen eine Wand<br />

gelaufen sind, als wir gemerkt haben, wie<br />

langsam doch manche Dinge in Afrika laufen.<br />

Wenn zum Beispiel der Zement einfach mal zwei<br />

Tage später kommt, obwohl im Vorfeld genug Zeit<br />

war, dann frustriert das natürlich. Man denkt sich<br />

einfach mal „ich bin jetzt über 1000 Kilometer hier<br />

hin geflogen, will helfen aber kann einfach nichts<br />

machen, weil zwei Sack Zement fehlen“. Aber<br />

man lernt irgendwann, mit diesem Temperament<br />

umzugehen.<br />

Man erwirbt quasi eine interkulturelle<br />

Kompetenz.<br />

Ja genau. Aber man ist davon auch nicht wirklich<br />

desillusioniert, man muss sich einfach umstellen.<br />

Es ist mir aber noch nicht passiert, dass ich mich<br />

ernsthaft gefragt habe, was ich da eigentlich<br />

mache und ob das überhaupt noch sinnvoll ist.<br />

Was kriegt ihr denn vor Ort an<br />

Rückmeldungen?<br />

Also von den Projektpartnern unheimlich viel<br />

Dank und Gastfreundschaft. Es entstehen auch<br />

richtige Freundschaften, die auch lange halten.<br />

Ist dieser Dank der Lohn für deine Arbeit, oder<br />

eher die Genugtuung, etwas getan zu haben?<br />

Mein Lohn ist es, mir am Ende das Gebäude<br />

anzugucken und zu sehen was passiert. Man hat<br />

mit den eigenen Händen ein Haus aufgebaut und<br />

sieht, dass Leute in diesem Gebäude jetzt lernen,<br />

und man weiß, dass diese Menschen jetzt einfach<br />

von mehr Bildung profitieren können.<br />

Wenn der Dank jetzt nicht käme, wäre das ein<br />

Problem für dich?<br />

Mein Problem wäre nicht, wenn niemand „Danke“<br />

sagt, sondern wenn ich merke, dass wir ein<br />

Projekt falsch angegangen sind. <strong>Das</strong> wäre für<br />

mich in <strong>erste</strong> Linie ein Zeichen dafür, dass die<br />

Sache nicht läuft. Die Leute sind dann dankbar,<br />

wenn es funktioniert.<br />

Lieber Karl, vielen Dank für das <strong>Gespräch</strong>.


der<br />

Münchener<br />

Schutzmann<br />

Polizeihauptmeister Jürgen Berger arbeitet<br />

nicht als Polizist, er ist Polizist. Der<br />

Familienvater wird in seinem Beruf täglich mit<br />

Gewaltdelikten und schlimmen SChicksalen<br />

konfrontiert. Dieser Beruf ist belastend.


Guten Tag Herr Berger, Sie sind seit 12 Jahren<br />

Polizist und derzeit als Polizeihauptmeister in<br />

München Altstadt tätig. Was sind da Ihre<br />

Aufgaben?<br />

Ich bin im uniformierten Streifendienst, wir haben<br />

das komplette Tätigkeitsfeld, angefangen vom<br />

kleinen Verkehrsunfall oder Falschparkern,<br />

Eigentumsdelikte, Körperverletzungen, aber auch<br />

bis zum Tötungsdelikt. Wir ergreifen zunächst die<br />

unmittelbar nötigen Maßnahmen und übergeben<br />

danach in vielen Fällen an die KriPo.<br />

In den letzten Wochen liest man in den<br />

Zeitungen, dass Polizeibeamte verstärkt<br />

angegriffen werden.<br />

<strong>Das</strong> ist richtig. <strong>Das</strong> Aggressionspotential<br />

gegenüber der Polizei hat mittlerweile ein ziemlich<br />

hohes Plateau erreicht.<br />

Wie oft erleben Sie das selbst?<br />

Es ist jetzt nicht so, dass man jeden Tag um sein<br />

Leben kämpfen muss, aber dass man eine<br />

Maßnahme mal körperlich durchsetzen muss,<br />

passiert recht häufig. <strong>Das</strong> sind jetzt nicht die<br />

typischen Münchener Bürger, sondern eher die<br />

Leute, mit denen man ohnehin tagtäglich zu tun<br />

hat.<br />

Wie vereinbaren Sie Ihre Verantwortung als<br />

Polizeibeamter, was durchaus gefährlich ist,<br />

mit Ihrer Verantwortung als Familienvater?<br />

Es ist schon der Fall, dass ich vorsichtiger<br />

geworden bin, seit ich Familie habe. Aber in der<br />

konkreten Gefahrensituation hat man ja kaum Zeit<br />

über die Folgen nachzudenken. Es ist schwierig:<br />

Man geht dieses Risiko ein und lebt damit. Man<br />

hat in der Situation auch rechtlich so viel im Kopf,<br />

dass man keine Möglichkeit hat, über mögliche<br />

Folgen nachzudenken. Und ich glaube auch, dass<br />

es ein antrainiertes Wegschieben ist. Am Ende<br />

verdrängt man das einfach.<br />

Wird man sarkastisch, um ein Ventil zu finden?<br />

<strong>Das</strong> ist tatsächlich so. Aber da muss man Profi<br />

genug sein, damit so etwas im Streifenwagen<br />

oder im Pausenraum bleibt. In einem gewissen<br />

Rahmen lässt man sich aus, aber dann muss<br />

auch irgendwann wieder Schluss sein.<br />

War Ihnen das Ausmaß dieser Gefährlichkeit<br />

bewusst, als Sie sich für den Beruf<br />

entschieden haben?<br />

Meiner Frau schon, mir nicht. Während sie Angst<br />

hatte, habe ich mir das einfach mal angeschaut.<br />

Nach dem Abitur war ich sowieso voller<br />

Tatendrang.<br />

Haben Sie den Eindruck, dass Sie im Ihren<br />

Streifenbereich konkret was verändern oder<br />

verbessern können?<br />

Also der einzelne Beamte wohl nicht. Aber wenn<br />

ich mir anschaue, wie alle am einen Strang<br />

ziehen, dann bin ich mir sicher, dass wir was<br />

verändern können. Als ich vor acht Jahren auf die<br />

Altstadtwache kam, war zum Beispiel die<br />

Gewaltkriminalität eine ganz andere. Wir hatten<br />

jede Nacht ein massives Aufkommen von Gewalt-,<br />

Raub- und Trunkenheitsdelikten. In dem Bereich<br />

haben wir konkret angegriffen, und diese Zahlen<br />

"<strong>Das</strong> Aggressionspotential<br />

gegenüber der<br />

Polizei hat mittlerweile ein<br />

ziemlich hohes Plateau<br />

erreicht."<br />

sind deutlich zurückgegangen.<br />

Hat sich Ihr Enthusiasmus seit Ihrer<br />

Einstellung bei der Polizei verändert?<br />

Ja, die Blauäugigkeit lässt schon nach. Zum<br />

Beispiel bei Demonstrationen, die ich schützen<br />

muss, obwohl ich mir im Einzelfall insgeheim<br />

denke, dass die dort doch großen Mist reden.<br />

Aber ich bin nun mal vereidigt worden, muss alle<br />

gleich behandeln und die Rechte der Bürger<br />

schützen.<br />

Was meinen Sie mit „Blauäugigkeit“?<br />

Man kommt da hin und rettet die Welt. Aber dann<br />

wird man auch erst mal von den erfahrenen<br />

Kollegen gebremst: Dieses „Rettet die Welt“ findet<br />

einfach nicht statt.<br />

Sie wollten also von Anfang an „Vollgas<br />

fahren“, aber die älteren Kollegen wussten<br />

schon, dass das auf Dauer nicht geht.<br />

Man schafft es weder körperlich noch emotional,<br />

dass man die ganze Zeit auf der Überholspur<br />

bleibt. Wer das nicht frühzeitig lernt, wird ganz<br />

schnell Probleme bekommen. <strong>Das</strong> heißt nicht in<br />

der Form, dass man im Kollegenkreis gemobbt<br />

wird, sondern so, dass man seine Leistung nicht<br />

aufrechterhalten kann. Man muss dann einfach<br />

Prioritäten setzen.


Wie spricht man denn innerhalb des<br />

Kollegenkreises über die Einsätze?<br />

Ein bisschen weniger, als es eigentlich wichtig<br />

wäre. Wenn jetzt große Sachen sind, wie zum<br />

Beispiel ein schwerer Verkehrsunfall, dann setzt<br />

man sich eher zusammen und spricht über die<br />

Geschichte. Aber grundsätzlich ist dafür kaum<br />

noch Zeit, die Schichtdienstbelastung lässt<br />

Nachbereitung fast nicht mehr zu. Da schaut<br />

jeder, dass er hundemüde einfach nur noch nach<br />

Hause kommt. Wobei man sagen muss, dass es<br />

einen zentralen psychologischen Dienst und es<br />

sehr viele Möglichkeiten der Nachbereitung gibt.<br />

Ist es denn wirklich so, dass man diese<br />

Möglichkeiten wahrnimmt? Oder trinkt man ein<br />

Bier und geht dann nach Hause?<br />

"Man schafft es weder<br />

körperlich noch emotional,<br />

dass man die ganze Zeit<br />

auf der Überholspur bleibt.<br />

Sehr viele Kollegen, mich eingeschlossen,<br />

machen das viele Jahre und schlucken den Ärger<br />

so runter. Aber bei mir kam dann irgendwann der<br />

große Knall, als ich seinerzeit im Krankenhaus<br />

aufgewacht bin. Ich hatte fieseste<br />

Kreislaufeskapaden und Herz-Rhythmus-<br />

Störungen. Ich konnte keinen Infekt mehr<br />

abwehren und mein Körper hat da echt die Füße<br />

gestreckt. Und dann fällt dieses böse Wort<br />

„Burnout“. Wenn man nicht rechtzeitig die Kurve<br />

kriegt und seine Belastungsgrenze sieht, dann<br />

kommt das früher oder später.<br />

Was sind das Ihrer Meinung nach für<br />

Menschen, die unter dem Burnout-Syndrom<br />

leiden?<br />

<strong>Das</strong> zieht sich durch alle Gesellschaftsgruppen.<br />

Aber im Grunde genommen ist das immer<br />

derselbe Personenschlag: <strong>Das</strong> sind die, die mit<br />

einem sehr hohen Engagement an eine Sache<br />

herangehen, etwas bewegen wollen und dann<br />

gegen Windmühlen kämpfen. Dieses Bild passt<br />

zum Polizeibeamten wie die Faust auf’s Auge.<br />

Wie haben Ihre Vorgesetzten auf Ihre<br />

Erkrankung reagiert?<br />

Sobald die gemerkt haben, dass ich mir das nicht<br />

ausgesucht habe oder krank mache, habe ich alle<br />

Unterstützung bekommen, die ich mir denken<br />

konnte. Ich hatte zwei Monate Auszeit und durfte<br />

dann langsam wieder einsteigen. Inzwischen ist<br />

die Sache ausgeheilt, ich bin wieder voll<br />

einsatzfähig. Aber das wäre niemals gegangen,<br />

wenn die Dienststelle mich nicht so unterstützt<br />

hätte.<br />

Es ist ja durchaus möglich, sich mit einem<br />

Burnout viel länger krankschreiben zu lassen,<br />

warum sind sie schon so früh wieder in den<br />

Dienst gegangen?<br />

Zum einen will der klassische Burnout-Patient ja<br />

schnell wieder auf die Beine kommen. Zum<br />

anderen habe ich diese große Unterstützung aus<br />

der Inspektionsleitung nicht erwartet<br />

Also hat Sie dieses Gefühl, dass Sie Rückhalt<br />

bekommen haben, motiviert?<br />

Ja, sehr.<br />

<strong>Das</strong> ist interessant. Ähnlich subjektiv ist es ja<br />

auch mit dem Dank.<br />

Ja, aber Dank erfahren wir kaum. Gerade im<br />

Tätigkeitsfeld „Polizei“ ist es ja so, dass man nicht<br />

immer nur hilft, sondern ide Rechte anderer<br />

eingreifen muss. So gerät man auch ein wenig ins<br />

Kreuzfeuer. Aber wenn man weiß, dass man vom<br />

Dienstherrn unterstützt wird, dann fällt es einem<br />

leichter.<br />

Welche Rückmeldungen bekommen Sie von<br />

den Bürgern?


"Es läuft immer wieder darauf<br />

hinaus, dass man seine Kräfte<br />

einteilt. Es ist einfach wichtig,<br />

dass man das lernt."<br />

Also, dass jemand „Danke“ sagt kommt vielleicht<br />

einmal im Monat vor. Die Leute beschweren sich<br />

recht schnell, als Polizist hat man nun mal einen<br />

Beschwerdeberuf.<br />

Lindert dieser Undank Ihre Motivation?<br />

Ich sehe da einen Unterschied zwischen Undank<br />

und fehlendem Dank. In den meisten Fällen geht<br />

das sicherlich unter, weil von der Polizei einfach<br />

erwartet wird, dass sie sich einsetzen. Ab wann<br />

das aber über das normale dienstliche Maß<br />

hinausgeht, das kapieren die Leute meistens gar<br />

nicht. <strong>Das</strong> lindert die Motivation am Anfang schon,<br />

aber man lebt damit und gewöhnt sich dran. <strong>Das</strong><br />

ist einfach so.<br />

Und wie gehen Sie mit fremdem Leid um? Also<br />

Todesfälle, Unfall- und Gewaltopfer, schlimme<br />

Schicksale.<br />

Auf so etwas wird man vorbereitet, aber letztlich<br />

bringt das nicht viel. Es ist einfach etwas anderes,<br />

wenn man dann wirklich in eine Wohnung kommt,<br />

und da liegt ein Toter. Aber ein alter Mensch, der in<br />

seiner Wohnung verstirbt, ist da schon etwas<br />

anderes als Kinder, die Opfer eines<br />

Verkehrsunfalls werden. Solche Fälle nimmt man<br />

auch mit nach Hause. Bei einem brutalen<br />

Tötungsdelikt oder einem S-Bahnunfall brauche<br />

ich teilweise Monate, bis ich die aus dem Kopf<br />

habe.<br />

Geht man da immer zum psychologischen<br />

Dienst?<br />

Nein, das ist eher die Ausnahme. Man spricht mit<br />

den Kollegen, aber auch die Familie muss einen<br />

auffangen.<br />

Belastet Ihre Frau das?<br />

Ja, definitiv. Sie hat den Eindruck nicht in der<br />

Intensität wie ich, aber sie bekommt das deutlich<br />

mit. Auch bevor ich was erzählt habe.<br />

Haben Sie auch „Stammkundschaft“, also<br />

Personen die sie immer wieder antreffen, und<br />

wie Sie vielleicht beobachten können, wie die<br />

abbauen?<br />

Ja, vor allem im Zusammenhang mit Drogen. Am<br />

Anfang nehmen die nur Marihuana als<br />

Einstiegsdroge, am Ende findet man die dann auf<br />

irgendeiner Toilette im Delirium.<br />

Wenn Sie helfen wollen, das aber nicht<br />

funktioniert, wie gehen Sie mit dieser<br />

Ohnmacht um?<br />

<strong>Das</strong> schiebe ich sehr weit von mir weg. Früher war<br />

ich da sehr engagiert, habe zum Beispiel an<br />

Substitutionsstellen verwiesen, mich um Kontakt<br />

zu Drogenberatungen gekümmert. Inzwischen ist<br />

das aber nicht mehr so. Ich helfe in den konkreten<br />

Situationen, aber zu glauben, dass man als<br />

Polizist eine Dauerverantwortung für diese Leute<br />

übernehmen könnte, das ist hanebüchen.<br />

Ist das der Unterschied, zwischen dem<br />

Hochmotivierten direkt nach der Ausbildung<br />

und dem, der schon zwölf Jahre dabei ist?<br />

Ja, richtig. Es läuft immer wieder darauf hinaus,<br />

dass man seine Kräfte einteilt. Es ist einfach<br />

wichtig, dass man das lernt.<br />

Herr Polizeihauptmeister Berger, vielen Dank<br />

für das <strong>Gespräch</strong>.


offizier<br />

in der<br />

Heilsarmee<br />

Major Stefan Müller trägt eine Uniform und<br />

kämpft in einer Armee ohne Waffen. In der<br />

Heilsarmee lebt er seinen Glauben und hilft<br />

denen, die seine Hilfe brauchen. Er ist Pfarrer,<br />

Leiter eines Wohnheims und Sozialarbeiter.


Major Müller, was sind Ihre Aufgaben als Offizier<br />

der Heilsarmee?<br />

Ich bin der Leiter der Heilsarmee in München. Ich<br />

bin ausgebildeter Heilsarmeepastor –also Offizierund<br />

bin für unsere Gemeinde und Sozialarbeit<br />

zuständig. Ich kümmere mich um die Predigten<br />

und den biblischen Unterricht. Ich gehe auch zu<br />

Sitzungen des Arbeitskreises christlicher Kirchen<br />

in Bayern, der Evangelischen Allianz und zu<br />

verschiedenen anderen Sachen. Zudem habe ich<br />

eine Ausbildung zum Sozialfachwirt gemacht,<br />

damit ich Heime leiten kann. Wir haben ein<br />

Männerheim mit Notaufnahmestation, wo Männer,<br />

die keine Wohnung haben, für mindestens eine<br />

Nacht unterkommen können.<br />

Ich v<strong>erste</strong>he. Aber was genau ist die<br />

Heilsarmee eigentlich?<br />

Rechtlich gesehen sind wir dasselbe wie die<br />

beiden großen Kirchen: Eine religiöse<br />

Gemeinschaft des öffentlichen Rechts. <strong>Das</strong><br />

bedeutet, dass wir die gleichen Rechte und<br />

Pflichten wie die großen Kirchen haben. Wir<br />

v<strong>erste</strong>hen uns auch nicht als DIE Kirche, sondern<br />

als ein Teil der universalen christlichen Kirche.<br />

Sie predigen also auch bei den Gottesdiensten.<br />

Ja, entweder ich oder meine Frau. Sie ist auch<br />

Offizier und ausgebildete Pastorin. In der<br />

"Ein Offizier der Heilsarmee sollte<br />

flexibel sein. [...] Ein Schuss<br />

Verrücktheit -im positiven Sinne-<br />

schadet auch nicht."<br />

Heilsarmee haben wir –was den Dienst als<br />

Geistlicher betrifft- die volle Gleichberechtigung.<br />

Und wie militärisch sind Sie organisiert?<br />

Wir haben schon viele Parallelen zum Militär.<br />

Unser internationaler Leiter ist der General, sein<br />

Vertreter ist der Stabschef und so weiter, bis hin<br />

zum kleinen Offizier vor Ort. Wir werden auch<br />

genau wie ein militärischer Offizier versetzt, wir<br />

kriegen „Sold“ und haben kurze<br />

Entscheidungswege. Deswegen hat man auch die<br />

Form des Militärs angenommen, das galt in den<br />

1860er Jahren, zur Zeit der Gründung der<br />

Heilsarmee, als die effektivste Organisationsform.<br />

Welches Bild vom Offizier hat die Heilsarmee?<br />

Ein Offizier bei der Heilsarmee sollte flexibel sein.<br />

Er sollte –um mal in ganz christlicher Terminologie<br />

zu reden- ein brennendes Herz für Gott, Jesus<br />

und die Menschen haben. Er sollte keine<br />

Kontaktprobleme haben und nicht unbedingt ein<br />

Stubenhocker sein. Ein Schuss Verrücktheit –im<br />

positiven Sinne- schadet auch<br />

nicht.<br />

Warum gerade die Verrücktheit?<br />

Weil das hilft, eine Kreativität zu<br />

entwickeln. Wir sind gerne bereit,<br />

auch mal ungewöhnliche Wege zu<br />

gehen, um die Menschen zu<br />

erreichen. Sie werden in München<br />

wahrscheinlich wenige Pastoren<br />

sehen, die auf der Straße Suppe<br />

austeilen, das macht nur der<br />

Pastor von der Heilsarmee.<br />

Werden Sie auch alle zwei bis<br />

drei Jahre versetzt?<br />

Früher war das sehr strikt. Heute<br />

versucht man, einen<br />

Wechselzyklus von fünf Jahren zu<br />

erreichen. Wenn man aber in<br />

einer ganz speziellen Aufgabe ist,<br />

dann kann es auch sein, dass<br />

dieser Zyklus sehr freizügig<br />

ausgedehnt wird. Ich denke da an<br />

eine sehr liebe Kollegin, die<br />

letztes Jahr gestorben ist. Sie war<br />

30 Jahre lang verantwortlich für


Arbeit unter Prostituierten in<br />

Amsterdam. Dazu muss man ein<br />

bestimmter Typ Mensch sein.<br />

Man darf keine Kontaktprobleme<br />

zu den Prostituierten haben,<br />

man darf keine Angst haben,<br />

sich schmutzig zu machen, und<br />

man muss deren Sprache<br />

sprechen, ohne vulgär zu<br />

werden.<br />

Haben Sie auch militärische<br />

Formen?<br />

Manchmal schon, aber nicht so<br />

häufig. Wir haben tatsächlich<br />

auch Marschkapellen und<br />

können Paraden abliefern. Aber<br />

still stehen ist nicht so unsere<br />

Sache, und ein besonders<br />

ordentlicher Bundeswehrsoldat<br />

wäre ich jetzt nicht - was diese<br />

Sachen angeht. Als ich vor 20<br />

Jahren Offizier wurde, habe ich<br />

aber diesbezüglich die<br />

grundlegenden Dinge gelernt.<br />

Wie hoch ist Ihre<br />

wöchentliche Belastung?<br />

Theoretisch sieben mal 24<br />

Stunden. Praktisch komme ich<br />

so auf 50 bis 52 Stunden pro Woche. An einem<br />

Tag in der Woche habe ich frei, aber ansonsten<br />

habe ich auch Bereitschaftsdienst. Wenn jemand<br />

Probleme hat, dann muss ich auch da sein.<br />

Wie sind Sie zur Heilsarmee gekommen?<br />

Ich bin jetzt in der vierten Generation. Meine<br />

Urgroßmutter und meine Großeltern waren<br />

Soldaten, meine Eltern Offiziere in der Heilsarmee.<br />

Sind Sie da rein gewachsen, oder war das eine<br />

bewusste Entscheidung?<br />

<strong>Das</strong> war eine bewusste Entscheidung über<br />

mehrere Etappen. Zuerst stellte sich die Frage<br />

„Ein Leben mit Gott: Ja oder Nein?“. Man weiß ja<br />

auch, dass Pastorenkinder manchmal ein<br />

gespanntes Verhältnis zum Glauben haben. <strong>Das</strong><br />

war bei mir genau so, und ich musste erst mal<br />

"Man lernt, mit unangenehmen<br />

Leuten freundlich umzugehen.<br />

Die beleidigen ja nicht mich,<br />

sondern meine Uniform. Und<br />

eine Armee kann man nicht<br />

beleidigen."<br />

einen Zugang finden. Dann habe ich verschiedene<br />

Gemeinden ausprobiert und bin dann wieder zur<br />

Heilsarmee zurückgekommen.<br />

Kurz zusammengefasst: Eine 52-Stunden-<br />

Woche, immer Bereitschaft, seit über 20<br />

Jahren. Warum machen Sie das?<br />

Einfach Berufung. Und weil ich weiß, dass das der<br />

Platz ist, wo ich hingehöre. Vielleicht ist es das<br />

einfachste, es so zu sagen. Pastoren in anderen<br />

Kirchen haben auch nicht weniger Arbeit, aber für<br />

mich es am befriedigendsten, meinen Glauben in<br />

der Heilsarmee auszuleben.<br />

Und wie reagieren die Leute auf Sie?<br />

Die sind freundlich. Vielleicht deswegen, weil wir<br />

von der Heilsarmee immer als Exoten gelten. Die<br />

Leute wundern sich über die Uniform und halten<br />

uns „für einen Tick spinnerd“, aber das stört mich<br />

nicht. Bei den meisten Leuten haben wir einen<br />

guten Ruf.<br />

Wir erklären Sie sich Ihren guten Ruf?<br />

Weil wir in den merkwürdigsten Situationen, in<br />

denen Menschen Hilfe brauchten, vor Ort waren.<br />

Und wir haben dann nicht gefragt „Wo kommst du<br />

her? Was bist du?“, sondern einfach geholfen.


"Wir versuchen, den Leuten<br />

die richtige Hilfe zu geben oder<br />

ihnen die richtige Hilfe zu<br />

vermitteln."<br />

Wenn die Leute positiv auf Sie reagieren, ist<br />

dann eine zusätzliche Motivation für Sie?<br />

Natürlich. Jeder Mensch hat es gerne, wenn er<br />

freundlich angelächelt wird. Aber das ist nicht<br />

meine Hauptmotivation. Diese ist, meinen Glauben<br />

zu leben. Unser Herz soll bei Gott sein, unsere<br />

Hände bei den Menschen.<br />

Wie gehen Sie damit um, wenn Leute Ihnen<br />

gegenüber unhöflich werden?<br />

Man lernt, mit den unangenehmen Leuten<br />

freundlich umzugehen. Die beleidigen ja nicht<br />

mich, sondern meine Uniform. Und eine Armee<br />

kann man nicht beleidigen.<br />

Ist das nicht ein wenig eine<br />

Schutzbehauptung? Nehmen Sie es manchmal<br />

vielleicht doch persönlich?<br />

Nein. <strong>Das</strong> ist keine Schutzbehauptung. Ich fühle<br />

mich aber persönlich angegriffen, wenn die Leute<br />

mich selbst in meinem Christsein angreifen. Zum<br />

Beispiel wenn ich jemanden aus dem Haus weisen<br />

muss, und er mir dann sagt „Du willst ein Christ<br />

sein?“. <strong>Das</strong> musste ich am Anfang erst lernen.<br />

Aber die meinen nicht mich, denn sie kennen mich<br />

nicht, und wer mich nicht kennt, kann mich nicht<br />

angreifen. Und wer mich kennt, mit dem kann ich<br />

von Angesicht zu Angesicht über Probleme reden.<br />

Aber das erlebe ich sehr selten, in 20 Jahren<br />

vielleicht vier Mal.<br />

Wie gehen Sie damit um, wenn Sie Schicksale<br />

kennen lernen, in denen die Menschen mehr<br />

und mehr abbauen?<br />

Wir bemühen uns natürlich, dass das nicht der<br />

Endpunkt ist. Wir versuchen, den Leuten die<br />

richtige Hilfe zu geben oder ihnen die richtige Hilfe<br />

zu vermitteln. <strong>Das</strong> klappt natürlich nicht immer,<br />

aber es freut uns, wenn wir Erfolg haben. Aber das<br />

schaffen wir nicht immer, und wir sehen auch<br />

Leute, die mehr und mehr abbauen.<br />

Wie geht es Ihnen dabei?<br />

Ich bin traurig.<br />

Fühlen sie sich ohnmächtig?<br />

Ich weiß, dass ich nicht die ganze Welt retten<br />

kann. Aber es ist immer wieder ein ernüchterndes<br />

Gefühl, wenn man jemandem nicht helfen konnte.<br />

Haben Sie ein Helfersyndrom?<br />

Nein, das habe ich nicht. Ein Helfersyndrom hat<br />

jemand, der seine eigene Unzulänglichkeit<br />

kaschieren will, indem er anderen hilft. Der sieht<br />

bei sich selbst eine Leere, die er ausfüllen möchte,<br />

und das tut er, indem er anderen Leuten hilft. <strong>Das</strong><br />

habe ich nicht. Ich bin ein erfüllter Mensch, und<br />

aus dem „Erfülltsein“ helfe ich.<br />

Sie bauen also nicht selber ab, wenn Sie<br />

beobachten, dass andere Menschen abbauen?<br />

Ich gebe das ab. An meinen Chef.<br />

An den Chef ganz oben?<br />

An den Chef ganz oben. Ansonsten würde das<br />

nicht gehen, eine besonders enge Verbindung zu<br />

Gott ist ganz wichtig, ansonsten könnte man<br />

diesen Job nicht machen. In meinem Fall ist das<br />

aber praktisch, da meine Frau und ich beide<br />

Pastoren sind. So dienen wir uns teilweise<br />

gegenseitig als Supervisor. Wenn das aber nicht<br />

ausreichen sollte, dann haben wir auch Leute, zu<br />

denen wir hingehen können.<br />

Wägen Sie manchmal zwischen der<br />

Verantwortung für die Menschen und der<br />

Verantwortung für sich selbst ab?<br />

Man muss sich seine Inseln suchen. Wenn ich<br />

merke, dass ich Entspannung brauche, dann<br />

nehme ich abends meinen Hamster in die Hand.<br />

Da können Sie jetzt lachen oder nicht, aber wenn<br />

ich den eine halbe Stunde streichel, dann baut das<br />

Stress ab. Ich bin aber auch niemand, der gibt, bis<br />

es nicht mehr geht. Ich kenne meine Grenze und<br />

sage auch mal „Nein“, einen gewissen<br />

Selbstschutz muss man drin haben.<br />

Sehr geehrter Herr Major, vielen Dank für das<br />

<strong>Gespräch</strong>.


Der<br />

Dienst als<br />

Brandrat<br />

Brandrat Huber ist bei der freiwilligen<br />

Feuerwehr, seit er vierzehn war. Nach seinem<br />

Dienst als Luftwaffen -Offizier ist er nun<br />

denen vorgesetzt, die im Zivilleben in Kauf<br />

nehmen, ihr Leben für andere riskieren.


H err Brandrat Huber, was ist Ihre Aufgabe bei<br />

der Feuerwehr?<br />

Ich bin Leiter der Integrierten Leitstelle. Dazu<br />

gehören sowohl Verwaltungsdienst als auch die<br />

Leitung von größeren Einsätzen.<br />

Waren Sie bei der Freiwilligen Feuerwehr?<br />

Ich bin seit dem 14. Lebensjahr bei der Freiwilligen<br />

Feuerwehr, das heißt ich feiere 2011 mein<br />

25jähriges Jubiläum.<br />

Und seit wann sind Sie bei der<br />

Berufsfeuerwehr?<br />

2004 habe ich mit der Ausbildung angefangen und<br />

seit 2006 bin ich jetzt hier in München.<br />

Was sind die Voraussetzungen für die<br />

Ausbildung zum höheren<br />

feuerwehrtechnischen Dienst?<br />

Ein Ingenieurstudiengang oder ein<br />

naturwissenschaftliches Studium. Ich habe<br />

Elektrotechnik an der Universität der Bundeswehr<br />

in München studiert, und war dann Offizier bei der<br />

Flugabwehr der Luftwaffe. Nach 12 Jahren bin ich<br />

als Hauptmann ausgeschieden.<br />

Wären Sie auch in den gehobenen Dienst (eine<br />

niedrigere Laufbahngruppe, Anm. d. Red.)<br />

gegangen?<br />

Nein, ich habe einen universitären Abschluss, und<br />

Sie werden bei der Feuerwehr im gehobenen<br />

Dienst hauptsächlich Kollegen mit<br />

"Natürlich muss ich mir immer vor<br />

Augen führen, dass Kollegen dabei<br />

verletzt und getötet werden können."<br />

Fachhochschulabschluss finden. Der „FH’ler“<br />

macht den gehobenen Dienst, der „Univ’ler“ steigt<br />

meist in den höheren Dienst ein.<br />

Also liegt Ihre Verantwortung weniger im<br />

praktischen Bereich, sondern mehr im Bereich<br />

der Führung. Warum haben Sie sich gerade für<br />

diesen Beruf entschieden?<br />

<strong>Das</strong> lag eigentlich an meiner Tätigkeit im Bereich<br />

der Freiwilligen Feuerwehr. Wenn man dort so<br />

lange ehrenamtlich tätig ist, dann ist es<br />

irgendwann logisch, dass man auf den Gedanken<br />

kommt, „sein Hobby zum Beruf zu machen“.<br />

Dieses geflügelte Wort wird bei der Feuerwehr<br />

aber nicht sehr gern benutzt, weil es doch einen<br />

großen Unterschied zwischen der Freiwilligen und<br />

der Berufsfeuerwehr gibt. Und meine Aufgabe,<br />

Leiter der Leitstelle, gibt es bei der Freiwilligen<br />

Feuerwehr zum Beispiel sowieso nicht.<br />

Wie ist das, wenn Sie Fehler machen? Wirkt<br />

sich das direkt aus, oder sind da noch „Puffer“<br />

zwischen?


"Ich habe gelernt, dass<br />

Verantwortung unteilbar ist. Ich kann<br />

ja jemanden mit in die Verantwortung<br />

einbeziehen, indem ich ihn vorher<br />

anhöre. Aber die Entscheidung liegt<br />

dann letztendlich bei mir. Wer<br />

entscheidet, der verantwortet auch."<br />

<strong>Das</strong> ist schwer zu sagen. Zum einen hat ja jeder<br />

Kollege vor Ort seine eigene Verantwortung. Bei<br />

der Feuerwehr wird so ausgebildet, dass jeder<br />

seinen eigenen Bereich nach Gefahren absucht,<br />

damit er eine Gefährdung für sich selbst<br />

ausschließen kann. Nichtsdestotrotz ist ein<br />

Einsatz immer nur so gut, wie die Taktik, die der<br />

Einsatzleiter geplant hat. Insofern ist es sicherlich<br />

der Fall, dass ich mit falschen taktischen Zügen<br />

das Leben der Kollegen gefährden kann, weil die<br />

ja nicht den gleichen Überblick haben wie ich.<br />

Wie geht es Ihnen, wenn Sie die Kollegen in<br />

gefährliche Situationen schicken?<br />

Ich versuche einfach, sie nicht in gefährliche<br />

Situationen zu schicken. Es ist bei der Feuerwehr<br />

ja anders als bei der Bundeswehr. Beim Militär<br />

muss ich ja immer mit der Taktik des Feindes<br />

rechnen, also mit unvorhersehbaren Dingen. Bei<br />

der Feuerwehr sind die Gefährdungen aber nicht<br />

auf Böswilligkeit ausgelegt. Die Gefährdung ist<br />

sicherlich nicht hundertprozentig auszuschließen,<br />

man kann sie schon eher abwägen. Natürlich<br />

muss ich mir immer vor Augen führen, dass Leute<br />

dabei verletzt oder getötet werden können. Aber<br />

wenn es zu größeren Gefährdungslagen kommt,<br />

dann gibt es mehrere Führungskräfte, die zwar<br />

hierarchisch gegliedert sind, aber im Team<br />

zusammen arbeiten. Je komplizierter die<br />

Einsatzlage wird, desto mehr geht man dann auch<br />

in den kooperativen Führungsstil über.<br />

Also je größer das Problem, desto eher teilt<br />

man die Verantwortung?<br />

<strong>Das</strong> wird von den Kollegen sehr unterschiedlich<br />

gesehen. Ich habe gelernt, dass Verantwortung<br />

unteilbar ist. Ich kann ja jemanden mit in die<br />

Verantwortung einbeziehen, indem ich ihn vorher<br />

anhöre. Aber die Entscheidung liegt dann<br />

letztendlich bei mir. Wer entscheidet, der<br />

verantwortet auch.<br />

Wie oft kommen solche größeren Lagen vor?<br />

Schwer abzusehen. Also Einsätze haben wir<br />

genügend, im Jahr kommen wir auf knapp 20.000.<br />

Die Großeinsätze, bei denen wirklich ein<br />

Direktionsdienstbeamter gefordert ist, finden zwei<br />

bis drei Mal in der Woche statt. Aber das verteilt<br />

sich auf 17 Beamte des höheren<br />

feuerwehrtechnischen Dienstes, also werde ich<br />

zwei bis drei Mal im Monat eingesetzt.<br />

Also kann man sagen: Während die Basis den<br />

Menschen in Not hilft, unterstützen Sie die<br />

Basis?<br />

Ja, das kann man sagen. Wie bei der<br />

Bundeswehr: Da sitzt der Kommandeur auch<br />

hinten auf seinem Gefechtsfahrzeug und<br />

verschiebt seine Einheiten, macht die<br />

Abstimmungen und die Koordination.<br />

Jetzt wird bei der Bundeswehr ja hin und<br />

wieder auch auf die Offiziere geschimpft,<br />

vielleicht ist das bei der Feuerwehr nicht<br />

anders. Ist Ihr Enthusiasmus vor diesem<br />

Hintergrund jetzt noch genau so groß wie<br />

direkt nach Ihrer Ausbildung?<br />

Mein Enthusiasmus ist nicht von der Mannschaft<br />

geschwächt worden. Es ist klar, dass denen mal<br />

was stinkt, damit muss man umgehen. Der<br />

Beamte des höheren feuerwehrtechnischen<br />

Dienstes steigt ja auf einem sehr hohen Niveau in<br />

den Dienst ein, sodass ihm natürlich viel Erfahrung<br />

an der Basis fehlt.<br />

<strong>Das</strong> führt zu Querelen<br />

und Spannungen.<br />

Also kann man nicht<br />

gerade sagen, dass<br />

die Basis Ihnen mit<br />

Dank entgegen<br />

kommt? Wie gehen<br />

Sie mit „Gemecker“<br />

oder Undank um?<br />

Erst mal nicht all zu<br />

ernst nehmen. An den<br />

großen Einsatzstellen<br />

machen wir Nachbesprechungen,gemeinsam<br />

mit<br />

Führungskräften und<br />

Mannschaft. In diesen<br />

Besprechungen hört<br />

man natürlich viel<br />

Gemecker. Da muss<br />

man dann unter-


scheiden: Zwischen denen die mit dem linken Fuß<br />

aufge- standen sind, und denen, die mir<br />

Anhaltspunkte geben, dass etwas schief gelaufen<br />

ist, was ich hätte besser machen können. Mit<br />

dieser Kritik muss ich umgehen und flexibel darauf<br />

reagieren, sodass ich mich umstellen kann. Aber<br />

es gibt ja auch positive Rückmeldungen, an denen<br />

muss man sich dann hochziehen.<br />

Nehmen Sie Kritik auch manchmal persönlich?<br />

Oder mit nach Hause?<br />

Manchmal schon. Ich war weder bei der<br />

Bundeswehr noch jetzt jemand, der um 16:00<br />

nach Hause geht und sagt, „morgen um sieben<br />

geht der Krieg weiter“. Ich denke auch, dass es<br />

fatal wäre, wenn jemand, der sich wirklich um<br />

seine Mitarbeiter bemüht, das abschalten könnte.<br />

Dann hätte er ein großes Defizit beim Thema<br />

Menschenführung. Denn wenn mir der Mitarbeiter<br />

oder die Sache am Herzen liegt, dann kann ich ja<br />

nicht zum Feierabend das Hirn ausschalten. Eine<br />

gute Führungskraft muss sich ja um ein<br />

Arbeitsumfeld bemühen, dass für seine Mitarbeiter<br />

angenehm ist.<br />

Also haben Sie ein Herz für die Mitarbeiter.<br />

Glauben Sie, dass die das wissen?<br />

Alle nicht. Aber es gibt welche, die wissen das. Da<br />

ist es halt wichtig, dass man dieses kleine<br />

<strong>Gespräch</strong> zwischen Tür und Angel pflegt. Ich<br />

glaube, dass man seinen Mitarbeitern sehr wohl<br />

signalisieren kann, dass einem nicht alles<br />

„wurscht“ ist. <strong>Das</strong>s man nicht nur auf Effizienz und<br />

Wirtschaftlichkeit ausgelegt ist. Es ist mir wichtig,<br />

dass ich dem Mitarbeiter signalisiere, dass es mir<br />

eben nicht egal ist, wie es bei ihm zu Hause<br />

aussieht. Auch, dass ich sehr wohl berücksichtige,<br />

wenn er Probleme zu Hause hat, die unweigerlich<br />

"Wenn ich meinen Standpunkt<br />

sofort aufgeben könnte, ohne<br />

Emotionen, dann weiß ich<br />

nicht, ob ich ihn vorher<br />

überhaupt richtig vertreten<br />

konnte."<br />

Auswirkungen auf die Arbeit haben.<br />

Was machen Sie, um Ihre Kollegen zu<br />

überzeugen, dass sie Ihnen am Herzen liegen?<br />

Also ich bin nicht auf dem Weg, sie davon zu<br />

überzeugen. Es geht mir nicht darum, dass das<br />

jetzt jeder weiß, das ist nicht mein Ziel. Ich<br />

versuche mit den Mitarbeitern zu reden und ganz<br />

natürliche <strong>Gespräch</strong>e zu führen. Wenn er das<br />

daraus erkennt, dann ist das ausreichend für mich.<br />

Es ist nicht Teil meiner Führungsarbeit, ihm das<br />

noch mal gesondert darzulegen. Führungsarbeit<br />

ist ohnehin immer eine Gratwanderung. Ich<br />

versuche natürlich möglichst positiv auf die<br />

Mitarbeiter einzuwirken, aber wenn ich das<br />

übertreibe, dann kann er sich auch eingeengt<br />

fühlen. Auf der anderen Seite muss ich natürlich<br />

auch mal eine harte Linie fahren und zeigen, dass<br />

es eine Hierarchie gibt. Man kann auf der einen<br />

Seite über alles reden, aber auf der anderen Seite<br />

gibt es Momente in denen man sagen muss: „So<br />

machen wir es.“<br />

Empfinden Sie es manchmal als ärgerlich,<br />

wenn Sie eine falsche Entscheidung getroffen<br />

haben?<br />

Klar bin ich dann ärgerlich. Es wäre ja schade,<br />

wenn ich es nicht wäre, dann wäre ja kein<br />

Herzblut drin. Wenn ich meinen Standpunkt sofort<br />

aufgeben könnte, ohne Emotionen, dann weiß ich<br />

nicht, ob ich ihn vorher überhaupt richtig vertreten<br />

konnte. Wenn ich einen Standpunkt habe, dann<br />

muss ich mich für die Sache einsetzen. Wenn ich<br />

mich für eine Sache einsetze, dann brauche ich<br />

Emotionen. <strong>Das</strong> ist dann auch die Kunst der<br />

Führungskraft. Auf der einen Seite ist man<br />

ärgerlich, weil man sich viel Gedanken und Arbeit<br />

gemacht hat. Auf der anderen Seite muss man<br />

dann aber auch erkennen, wenn der<br />

Lösungsvorschlag besser ist.<br />

Glauben Sie, dass dieser emotionale Aspekt<br />

das Einsehen von Fehlern manchmal<br />

verhindert?<br />

Ja, das ist schwer. Dazu muss man sich zwingen.<br />

Sehr geehrter Herr Huber, vielen Dank für das<br />

<strong>Gespräch</strong>.


Der<br />

klinische<br />

Psychologe<br />

Matthias Peidelstein ist Psychologe in einer<br />

Klinik für Patienten mit Querschnittslähmung.<br />

Er baut Beziehungen zu Menschen auf, die oft<br />

von jetzt auf gleich aus ihrem normalen Leben<br />

gerissen wurden.


Herr sind<br />

Peidelstein,<br />

Psychologe<br />

Sie<br />

in<br />

einer Reha-Klinik für<br />

Querschnittsgelähmte.<br />

Was sind dort Ihre<br />

Aufgaben?<br />

Meine Aufgabe dort ist<br />

es, für die QuerschnittspatientenAnsprechpartner<br />

zu sein. Zum<br />

einen, wenn es um<br />

seelische Belastungen<br />

geht: Also psychische<br />

Störungen, die sich aus<br />

der Querschnittslähmung<br />

ergeben haben,<br />

vielleicht auch schon<br />

vorher bestanden haben.<br />

Zum anderen bin ich<br />

auch Ansprechpartner<br />

für alltägliche und<br />

perspektivische Dinge.<br />

<strong>Das</strong> geht dann auch<br />

schon ein bisschen in<br />

Richtung Sozialarbeit. Wie ist die Situation zu<br />

Hause? Was müssen für Hilfsmittel beantragt<br />

werden?<br />

Wie verhalten sich Ihre Patienten Ihnen<br />

gegenüber?<br />

Ich habe den Eindruck, dass die Patienten am<br />

Anfang sehr offen sind. Wenn sich aber die <strong>erste</strong>n<br />

Erfolge zeigen, dann kommt natürlich so eine<br />

Loslösung vom Psychologen. Die Perspektive wird<br />

positiver, weil man merkt, dass man mit den<br />

Armen, vielleicht auch mit den Beinen wieder mehr<br />

machen kann. In der Zeit ist es halt eher eine<br />

Begleitung der Patienten, um nicht Kontakt zu<br />

verlieren. Zum Ende, wenn es Richtung<br />

Entlassung geht und die Erfolge wieder weniger<br />

werden, dann ist die Situation da, in der die<br />

Patienten damit zurecht kommen müssen, was<br />

sich alles verändert hat und verändern wird.<br />

"Über den Verdienst habe ich<br />

mir anfangs nicht wirklich<br />

Gedanken gemacht. <strong>Das</strong> war<br />

für mich eher sekundär. Mein<br />

Ziel war, Menschen in<br />

Problemsituationen zu helfen."<br />

Wie oft sehen Sie Ihre Patienten?<br />

<strong>Das</strong> ist unterschiedlich und schwierig<br />

abzuschätzen. Es gibt Patienten, die ich zwei bis<br />

drei Mal pro Woche sehe. Die können dann<br />

zwischen drei und fünf Monaten bei uns bleiben.<br />

Ich hatte aber auch schon einen Patienten, der<br />

acht Monate da war.<br />

Also deutlich lang genug, um eine Beziehung<br />

zu den Menschen aufzubauen.<br />

Ja.<br />

Haben Sie angesichts Ihrer langen<br />

akademischen Ausbildung den Eindruck, dass<br />

Sie angemessen bezahlt werden?<br />

Also momentan nicht. Aber ich habe natürlich den<br />

Vorteil, dass es noch<br />

Weiterentwicklungsmöglichkeiten gibt. Ich bin jetzt<br />

in einer privaten Klinik angestellt, da ist allgemein<br />

bekannt, dass die schlechter bezahlen. Aber es<br />

gibt auch Kliniken, die zahlen nach Tarif, da ist es<br />

schon deutlich besser.<br />

Haben Sie sich vor dem Beginn des Studiums<br />

darüber Gedanken gemacht?<br />

Über den Verdienst habe ich mir anfangs nicht<br />

wirklich Gedanken gemacht. <strong>Das</strong> war für mich<br />

eher sekundär. Mein Ziel war, Menschen in<br />

Problemsituationen zu helfen.<br />

Arbeiten Sie außerhalb der normalen<br />

Arbeitszeiten noch viel?<br />

<strong>Das</strong> habe ich eine Weile gemacht, aber da mein<br />

Arbeitsvertrag ausläuft, muss ich jetzt Stunden<br />

abbauen. Im Privaten habe ich dann halt noch<br />

Fachliteratur für meine Fälle gelesen. Zusätzlich<br />

muss ich noch für die nebenberufliche Ausbildung<br />

zum Verhaltenstherapeuten lernen. So bekommt<br />

man auch neue Ansätze. Ich will nicht einfach nur<br />

meinen Job machen, sondern mich auch als<br />

Psychologe weiterentwickeln.<br />

Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer Arbeit den<br />

Menschen wirklich helfen können?<br />

<strong>Das</strong> ist in dem Bereich schwierig. Es gibt<br />

reflektierte Patienten, die einem ein gutes<br />

Feedback geben, es gibt aber auch solche, die<br />

kaum rückmelden. Man entlässt die Patienten aus<br />

der Klinik und hört dann nur noch wenig von<br />

Ihnen. In letzter Zeit hatte ich häufiger mal das<br />

Glück, von meinen alten Fällen zu hören. Also wie


sie ihre Situation zu Hause bewerkstelligen, und<br />

dass sie die Ideen und Ansätze gut umsetzen<br />

konnten. Für mich selbst habe ich häufiger das<br />

Gefühl, dass ich was bewegen konnte.<br />

Macht es Ihnen zu schaffen, wenn Sie die<br />

Patienten in eine ungewisse Zukunft entlassen,<br />

und dann nichts mehr von ihnen hören?<br />

Ja, gerade die schweren Fälle, mit denen man viel<br />

gearbeitet hat. Vor allem, wenn man zum Beispiel<br />

noch zwei Wochen vor der Entlassung klären<br />

musste, wie es jetzt mit der Hilfsmittelversorgung<br />

und der Unterkunft aussieht. Da habe ich schon<br />

das ein oder andere Mal den Gedanken gehabt,<br />

dass es schön wäre, wieder mit ihnen in Kontakt<br />

zu kommen.<br />

Kann man überhaupt abgrenzen, wem man<br />

jetzt geholfen hat, und wem nicht?<br />

<strong>Das</strong> ist schwierig. <strong>Das</strong> halt auch häufig so<br />

Dinge, die sich erst mit der Zeit entwickeln. Es<br />

gab da auch so Situationen, in denen ich in<br />

der Klinik das Gefühl hatte, dass es einfach<br />

nicht voran geht, es zu Hause aber gut<br />

funktioniert hat. Ich denke aber, dass ein<br />

Großteil was mitnimmt.<br />

Begegnen die Menschen Ihnen oft mit<br />

Vorbehalten gegenüber Psychologen?<br />

<strong>Das</strong> versuche ich immer abzufangen. In den<br />

<strong>erste</strong>n Sätzen eines <strong>Gespräch</strong>s mache ich den<br />

Patienten eigentlich klar, dass sie jetzt nicht hier<br />

sind, weil jemand sagt, dass Herr oder Frau „XY“<br />

verrückt sind. Bis jetzt haben vielleicht zehn oder<br />

zwanzig Prozent meiner Patienten bei diesem<br />

Satz ein bisschen gelächelt haben und sagen,<br />

dass sie genau das gedacht haben.<br />

Inwiefern haben Sie Angst, dass Sie durch den<br />

großen Einfluss, den Sie als Psychologe<br />

haben, bei den Menschen etwas kaputt<br />

machen können?<br />

Jeder Mensch hat natürlich einen gewissen<br />

Eigenschutz, das ist ein Vorteil. Und ich baue<br />

keinen Druck auf oder versuche unter Zwang,<br />

etwas herauszufinden. So lasse ich den Patienten<br />

ihre Eigenverantwortung. <strong>Das</strong> ist der eine Punkt,<br />

der mir Sicherheit gibt. Der andere Punkt ist, dass<br />

ich darauf achte, was ich bei dem Patienten<br />

bewirke. Wenn ich merke, dass er in seiner<br />

Stimmung stark absackt, dann gibt es Strategien,<br />

ihn nicht dort zu belassen, sondern wieder<br />

aufzubauen.<br />

Gibt es auch hoffnungslose Fälle?<br />

Die gibt es leider auch. Aber einen richtig<br />

hoffnungslosen Fall hatte ich bisher noch nicht. Es<br />

gab mal einen Patienten, bei dem es sehr schwer<br />

war, eine Beziehung aufzubauen. Ich habe ihn<br />

dann weitervermittelt, aber ich weiß nicht, was aus<br />

ihm geworden ist. Ansätze waren aber auch bei<br />

ihm zu erkennen.<br />

Wie gehen Sie mit besonders schweren Fällen<br />

um?<br />

Wenn ich selber nicht weiter komme, dann<br />

versuche ich erst mal, mir Rat zu holen. Wir haben<br />

auch die Möglichkeit Supervision zu betreiben, in<br />

denen andere Ansätze gegeben werden. <strong>Das</strong> hat<br />

mir bisher immer weiter geholfen.<br />

Nehmen Sie solche schweren Fälle mit nach<br />

Hause?<br />

Zum Teil ja. Es gab in meiner Laufbahn bis jetzt<br />

drei Fälle, die ich auch mit nach Hause genommen<br />

habe. „Nach Hause nehmen“ bedeutet jetzt nicht<br />

nur reines Gedankenmachen, sondern auch, dass<br />

man davon träumt, nicht so richtig davon los<br />

kommt. Bisher gab es das aber immer nur in dem<br />

Zeitraum, in dem sie Patient bei uns waren. Nach<br />

ihrer Entlassung hat das dann aufgehört.<br />

Haben Sie Bewältigungsstrategien?<br />

Also ich finde es gut, wie ich es momentan mache:<br />

Wenn ich nach Hause fahre, lege ich laute Musik<br />

ein, oder ich gehe nach der Arbeit einkaufen, um<br />

eine Trennung zwischen Arbeit und Wohnung zu<br />

"Wenn ich selber nicht weiter<br />

komme, dann versuche ich<br />

erst mal, mir Rat zu holen.<br />

[...] <strong>Das</strong> hat mir bisher immer<br />

geholfen."


"Psychologen sind<br />

einfach nur die<br />

Wegweiser [...] Da ist<br />

es natürlich so, dass<br />

der Patient eher sich<br />

selbst dankbar sein<br />

sollte."<br />

bekommen. Ich bin auch der<br />

Meinung, wenn man sich eine<br />

gewisse Routine aufbaut, dann<br />

stellt sich der ganze Körper drauf<br />

ein. Bevor ich die Arbeit verlasse,<br />

räume ich zum Beispiel mein Büro<br />

noch mal ordentlich auf, weil ich<br />

so immer einen Abschluss des<br />

Tages herbeiführen kann.<br />

Denken Sie, dass Psychologen<br />

in Ihrem Bereich eine gewisse<br />

Halbwertszeit haben? Bis zu<br />

dem Punkt, wo man einfach<br />

nicht mehr kann?<br />

Wenn ich von mir ausgehen<br />

würde… bin ich schon ganz froh,<br />

dass ich jetzt nach den zwei<br />

Jahren in einen anderen Bereich<br />

gehen kann. Ich könnte das<br />

vielleicht noch ein bis zwei Jahre<br />

weiter machen, aber dann müsste<br />

auch irgendwann was anderes<br />

her, dass man auch mal einen<br />

Abschluss sieht. Im Reha-Bereich<br />

fangen wir halt nicht die Chance,<br />

eine Therapie von vorne bis<br />

hinten aufzubauen. Ich möchte im<br />

Rahmen der Therapie auch mal<br />

eine Abschlussphase sehen.<br />

Sie werden in Ihrem Beruf die<br />

nächsten 35 Jahre aus nächster<br />

Nähe mit fremdem Leid<br />

konfrontiert. Glauben Sie, dass<br />

das zu schaffen ist?<br />

Es kommt einfach auf die Strategien an. Zum<br />

Beispiel, wie man das „Therapeuten-Ich“ und das<br />

private Ich trennt. Dann kommt es auch darauf an,<br />

mit was für einem Leid man konfrontiert wird.<br />

Gerade der Bereich Querschnitt ist sehr<br />

anstrengend, deswegen könnte ich mir auch nicht<br />

vorstellen, so etwas 35 Jahre lang zu machen.<br />

Wenn man aber Patientenklientel hat, bei dem<br />

man eine Entwicklung mitbekommt, zum Beispiel<br />

in einer eigenen Niederlassung, dann sieht man,<br />

dass sich was tut. <strong>Das</strong> ist für einen Therapeuten<br />

eine ganz wichtige Erfahrung, weil man nicht nur<br />

das Leid, sondern auch die Erfolge sieht.<br />

Sind die Menschen Ihnen dankbar?<br />

Da gibt es auch solche und solche. In den meisten<br />

Fällen merke ich schon eine Dankbarkeit. Es gibt<br />

aber auch Fälle, bei denen zum Beispiel der<br />

Beziehungsaufbau sehr schwierig war.<br />

Ist der Dank der Patienten Ihr Ziel?<br />

Wenn das mein Ziel wäre, dann wär’s noch<br />

schwieriger. Psychologen sind einfach nur die<br />

Wegweiser für einen Weg, der meistens ganz<br />

schwierig ist. <strong>Das</strong> merken die Meisten schon<br />

daran, wenn es darum geht, eine Sportart<br />

regelmäßig zu machen. Wenn es dann noch<br />

darum geht, seine persönlichen Gewohnheiten zu<br />

verändern, dann ist das noch schwieriger. <strong>Das</strong> ist<br />

ein Weg, den die Patienten alleine gehen müssen.<br />

Da ist es natürlich so, dass der Patient eher sich<br />

selbst dankbar sein sollte.<br />

Sehr geehrter Herr Peidelstein, vielen Dank für<br />

das <strong>Gespräch</strong>.

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