Reichspogromnacht im Kreis Saarlouis
Reichspogromnacht im Kreis Saarlouis
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Die <strong>Reichspogromnacht</strong> <strong>im</strong> <strong>Kreis</strong> <strong>Saarlouis</strong><br />
Die folgenden Berichte stammen aus dem Buch von Eva Tigmann : „Was geschah am 9. November 1938?“<br />
Saarwellingen<br />
Am Abend des 9. November 1938 findet <strong>im</strong> Saal der Gastwirtschaft M. die übliche Kundgebung der<br />
NSDAP statt. Hier erfahren die Teilnehmer vom Tod des Gesandtschaftssekretärs vom Rath. Der<br />
Saarwellinger Ortsgruppenleiter M. gibt den Befehl der <strong>Kreis</strong>leitung <strong>Saarlouis</strong> bekannt. Als Rache für die<br />
Ermordung sollen auch in Saarwellingen Straßendemonstrationen gegen die jüdischen Bürger<br />
stattfinden. Nach weiteren Hasstiraden gegen die Juden lautet die Parole in Saarwellingen:<br />
„Jetzt krien die Juden Schläh!"<br />
„Ein SA-Trupp zerstörte die Inneneinrichtung und die Fenster der Synagoge. Eine große Menge<br />
Schaulustiger hatte sich auf der Straße eingefunden. Auf dem jüdischen Friedhof wurden die Grabsteine<br />
umgeworfen. SA-Männer drangen in die Wohnungen der Juden ein und zerstörten große Teile des<br />
Mobiliars und des Geschirrs. Der alte Handelsmann Max Aron wurde niedergeschlagen und blutete aus<br />
einer klaffenden Kopfwunde. Am nächsten Morgen wurden alle Juden inhaftiert.<br />
In der Nacht vom 12./13. November zwang man sie, durch ein Spalier höhnender Zuschauer einen Bus<br />
zu besteigen. Dabei war auch die fast 90jährige Karoline Lazar-Hirsch. Die örtlichen Nazi-Größen hatten<br />
eigenmächtig beschlossen, die jüdischen Einwohner ihres Dorfes, des Landes zu verweisen. Der<br />
68jährige kriegsverwundete und daher gehbehinderte Isidor Worms wurde erbarmungslos in den Bus<br />
gestoßen: „Nur rein mit Dir, Du dreckiger Judd“<br />
Der Bus brachte die Juden bis nach Felsberg auf die Gauhöhe. Dort mußten sie aussteigen und wurden<br />
gezwungen, in Richtung französische Grenze zu gehen. Die französischen Zöllner ließen sie allerdings<br />
nicht passieren. Daher kehrten sie zurück - entweder zu Fuß oder in einem Fahrzeug hilfsbereiter<br />
Personen."<br />
Der Prozess<br />
Am 22.2.1949 stehen neun Beteiligte des Pogroms in Saarwellingen vor Gericht. Sechs der Täter werden<br />
zu Gefängnisstrafen zwischen drei und acht Monaten verurteilt, drei Angeklagte werden mangels<br />
Beweisen freigesprochen,<br />
unter ihnen der<br />
ehemalige<br />
Ortsgruppenleiter M.<br />
Inhaftierung der Juden <strong>im</strong><br />
Keller der Schlossschule am<br />
Morgen nach der Pogromnacht
<strong>Saarlouis</strong><br />
Am Abend des 9. November 1938 findet <strong>im</strong> Saalbau in <strong>Saarlouis</strong> eine Kundgebung der NSDAP statt. SA-<br />
Sturmführer W. informiert seine Leute über die bevorstehende „Aktion" gegen die jüdische Bevölkerung.<br />
Nachdem die Männer Zivilkleidung angelegt haben, treffen sie sich <strong>im</strong> Cafe Steuer. Hier werden nun die<br />
einzelnen Kommandos eingeteilt, in der Nacht wird das Innere der Synagoge zerstört, Schaufenster und<br />
Einrichtungen der Geschäfte Levy, Marx und Wollhe<strong>im</strong> demoliert, wobei es auch zu Plünderungen<br />
kommt. Die Familien Kahn und Goldberg werden misshandelt und ihre Wohnungen verwüstet, wobei <strong>im</strong><br />
Fall Goldberg der Zeuge H. schwer geschlagen wird, weil er nicht gleich die Wohnung der <strong>im</strong> gleichen<br />
Haus wohnenden Familie Goldberg bezeichnet. Jüdische Männer und Frauen werden verhaftet. Albert<br />
Loeb wird von einer johlenden Menschenmenge unter Fußtritten zur Polizei gebracht.<br />
In <strong>Saarlouis</strong> beteiligt sich, anders als in den meisten anderen Orten des Saarlandes, ein großer Teil der<br />
Bevölkerung aktiv an den Ausschreitungen. Schon bevor die SA-Trupps eintreffen, finden sich zahlreiche<br />
Schaulustige vor den Häusern ihrer jüdischen Mitbürger ein und beginnen von sich aus mit den<br />
Zerstörungen. Auch Frauen wirken bei den Zerstörungen und Plünderungen mit.<br />
Der Prozess<br />
Nur ein kleiner Teil des eigentlichen Täterkreises kann nach dem Krieg ermittelt werden. Am 20.4.1949<br />
stehen lediglich 13 Personen vor Gericht, vier davon sind Frauen. Zwei Hauptaktivisten werden zu einem<br />
Jahr und sechs Monaten bzw. zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.<br />
Frau Sch. erhält eine Gefängnisstrafe von drei Monaten und Frau B., die sich „<strong>im</strong> Hause Kahn wie eine<br />
Megäre“ benommen hat, vier Monate Gefängnis. Neun Angeklagte werden mangels Beweisen freigesprochen.<br />
Aussage der Zeugin E. wohnhaft in <strong>Saarlouis</strong>:<br />
„Zur Zeit der Judenaktion wohnte meine Familie <strong>im</strong> Haus Kahn, Kaiser-Friedrich-Ring 25. ...Mein Weg<br />
führte mich über den oberen Markt, wo ich einen großen Menschenauflauf sah. Plötzlich hörte ich wie<br />
eine größere Menschenmenge rief: „ Jetzt zu dem Juden Kahn.“ Da ich dort wohnte, bekam ich es mit<br />
der Angst zu tun...und lief schnell nach Hause. Als ich mich meinem Haus näherte, sah ich schon davor<br />
eine größere Menschenmenge. Ich lief durch die Menge hindurch … in das Haus. Im Korridor vor unserer<br />
Wohnung stand meine damals 15jährige Tochter und rief der Menge zu: „Wir sind keine Juden!"<br />
Ich sah sofort, daß sich eine Menge Menschen, grob geschätzt etwa 60 - 70 Personen in den Räumen<br />
aufhielten. Als erste dieser Eindringlinge sah ich die... Frau B. Sie stand <strong>im</strong> Hausgang vor der<br />
Abschlußtür und schwenkte einen Mob...in der Hand. Sie machte ein zynisches Gesicht und es sah so<br />
aus, als ob sie jeden Augenblick dreinschlagen wollte. ...<br />
in diesem Augenblick sah ich den Sturmführer W. und hörte wie er brüllte: „Los!“ Dies war offenbar das<br />
Signal für die Eindringlinge um alles zu zerschlagen. Ich sah nun, wie sie die Gegenstände des<br />
Schlafz<strong>im</strong>mers, insbesondere den Spiegel zerschlugen. ...es steht fest, daß sich Frau B. an der<br />
Zerstörung beteiligt hat..."<br />
(Staatsanwaltschaftsakten LA Saarbrücken, Sta Sbr. Nr. 1055)<br />
Aussage des städtischen Arbeiters J.S. zum Synagogeninventar:<br />
„...Das ganze Inventar wurde auf den Anhängern eines Traktors geladen und in mehrmaliger Fahrt zum<br />
Bauhof gebracht. M.W. wurden die Bänke später verfeuert, während die anderen Sachen Bücher etc.<br />
dem Verfall preisgegeben waren. Ich glaube, daß heute noch einige Bücher mit hebräischen<br />
Schriftzeichen an dem Bauhof liegen. Ich will mich dafür verwenden und bei passender Gelegenheit die<br />
Sache zusammenstellen und unserem Bürgermeister Herrn Bloch darüber berichten.“<br />
(Staatsanwaltschaftsakten <strong>im</strong> LA Sbr.. Nr. 1055,I)<br />
Aussage A. R., 36 J. Völklingen, 22.3.1948 Vertrauensmann des SD:<br />
Vor dem Kaufhaus Marx „... Dort herrschte ein großer Menschenauflauf. Die Menschenmenge vor dem<br />
Haus hatte eine drohende Haltung gegen das Haus eingenommen und es waren aus der Menge auch<br />
Rufe, wie; „Nieder mit den Juden", zu hören. Ich kam gar nicht an das Geschäft heran, so dicht war die<br />
Menge. Die Schaufenster waren zerschlagen und ich habe auch einige Personen in die Schaufenster<br />
hineinklettern sehen..."<br />
(Staatsanwaltschaftsakten <strong>im</strong> LA Sbr. Nr. 1055)
Nalbach<br />
Am Abend des 9. oder 10. November 1938 wird die Nalbacher Synagoge in Brand gesetzt. Die jüdischen<br />
Familien werden überfallen und viele misshandelt. Eine Zeugin beobachtet, wie jüdische Bürger von SA-<br />
Leuten mit Koppelschlössern geschlagen werden. Auch die HJ ist an den Ausschreitungen und<br />
Plünderungen beteiligt. Alle jüdischen Bürger von Nalbach werden <strong>im</strong> Schulhaus eingesperrt und acht<br />
Tage lang von der örtlichen SA festgehalten.<br />
In dieser Zeit werden sie von Leuten aus dem Ort verpflegt.<br />
Die Täter des Pogroms in Nalbach kommen ungeschoren davon. Keiner von ihnen muss sich vor Gericht<br />
verantworten.<br />
(Quelle: Eckert, Die Visionen des Aaron von lllingen S. 91 ff.)<br />
Bericht einer damals 13jährigen Augenzeugin aus Nalbach:<br />
„...Und Leute aus unserer Nachbarschaft haben die Häuser der Juden, die in der Hauptstraße standen,<br />
geplündert. Die sind aber von der Rückseite, von hinten, in die Häuser.... Auf dem Weg dorthin sah ich,<br />
wie sie die Juden auf der Straße zusammentrieben und geschlagen haben...Sie haben die Juden mit<br />
Koppelschössern geschlagen, die haben wie wahnsinnig auf die Juden draufgeschlagen, und ich konnte<br />
das überhaupt nicht verstehen..."<br />
(aus: Eckert: Die Visionen des Aaron von Illingen)<br />
Fraulautern<br />
Die Feier der SA zum 9. November findet <strong>im</strong> Lokal Spies in Fraulautern statt.<br />
Anschließend machen die Teilnehmer noch eine Runde durch mehrere Lokale, wobei Sturmführer T.<br />
reichlich Alkohol spendiert.<br />
Vor dem Lokal „Zur Kiste" gibt T. den alkoholisierten Männern den Befehl, gegen die jüdischen Familien<br />
von Fraulautern vorzugehen, als Rache für die Ermordung des Gesandtschaftssekretärs vom Rath in<br />
Paris. Im Zuge dieser Aktion werden die Wohnungen der jüdischen Familien Schloß in der Lindenstraße<br />
und der Familie Wolf in der Lebacher Straße überfallen und die Inneneinrichtung demoliert. Im Haus Wolf<br />
dringen die Täter auch in das Schlafz<strong>im</strong>mer des alten Ehepaares Wolf ein, das laut um Hilfe schreit. (Ob<br />
Misshandlungen stattfanden, konnte später nicht geklärt werden.) Die Nachbarn werden durch den Lärm<br />
geweckt. Durch mehrere Warnschüsse werden sie veranlasst, sich zurückzuziehen und ihre Fenster zu<br />
schließen.<br />
Versuch der Rechtfertigung:<br />
Aussage des ehemaligen SA-Rottenführers W. vom 7.12.1948:<br />
„...Ich bemerke, daß ich mich nur deshalb an der Aktion beteiligt habe, weil T. dies befohlen hatte. Ich<br />
muß noch hinzusetzen, daß ich bis dahin bei der SA in Ungnade gewesen war, weil ich bei einer<br />
Rundfahrt ums Saargebiet das Auto eines Juden bestiegen hatte. Auf dem Weg von dem Lokal „ Zur<br />
Kiste" zum ersten Judenhaus, sagte mir T. , ich hätte nunmehr Gelegenheit, mich zu bewähren. Dies war<br />
auch der Grund, warum ich mich zur Teilnahme an den beiden Aktionen herbeiließ...“<br />
(Staatsanwaltschaftsakten <strong>im</strong> LA Sbr. Nr. 1054)<br />
Der Prozess<br />
In der öffentlichen Sitzung des Landgerichts in Saarbrücken vom 21.4.1949 werden vier der Täter der<br />
Fraulauterner Gewalttaten angeklagt, sechs weitere sind <strong>im</strong> Krieg umgekommen unter ihnen auch der<br />
Haupttäter T.<br />
Die Angeklagten W. und R. erhalten eine Gefängnisstrafe von je sechs Monaten, der Angeklagte F. ein<br />
Jahr und der Angeklagte K. fünf Monate.
Dillingen<br />
In Dillingen finden die Feierlichkeiten zum 9. November <strong>im</strong> Lokal „Zur Flotte" statt. Danach marschieren<br />
die einzelnen Partei- und SA-Formationen zum Marktplatz um sich dort aufzulösen. Hier gibt jedoch<br />
Ortsgruppenleiter B, die Anweisung, dass sich mehrere Einsatzgruppen für eine besondere Aktion zu<br />
bilden hätten.<br />
Nachdem die Männer Zivilkleidung angelegt und sich mit Werkzeug bewaffnet haben, überfallen sie fast<br />
zeitgleich die beiden jüdischen Familien Levy und Alexander sowie den 80jährigen Siegfried Alkan. Die<br />
Inneneinrichtung der Wohnungen und Geschäftsräume wird zertrümmert. Die Täter dringen auch in die<br />
Schlafz<strong>im</strong>mer ein, Frau Alexander wird belästigt, ebenso ihre beiden Töchter, die nackt aus der Wohnung<br />
gejagt werden und bei einem Nachbarn Zuflucht suchen. Ein Täter geht mit dem Hammer auf Julius<br />
Alexander los und verletzt ihn schwer. Der Klavierhändler Alkan wird trotz seines hohen Alters getreten<br />
und geschlagen. Auch seine Haushälterin Frau Z. wird mit dem Tode bedroht. Mobiliar und<br />
Musikinstrumente werden auf die Straße geworfen. In der Nacht plündern zahlreiche Personen aus<br />
Dillingen die überfallenen jüdischen Geschäftshäuser.<br />
Ein vierter Einsatztrupp setzt die Dillinger Synagoge in Brand. Von einer Sprengung, wie sie ursprünglich<br />
Ortsgruppenleiter B, geplant hat, wird wegen der Gefährdung der Nachbarhäuser abgesehen. Die<br />
Feuerwehr wird planmäßig erst dann alarmiert, als die Synagoge nicht mehr zur retten ist.<br />
Ortegruppenleiter B. hält sich während des Pogroms in der Gastwirtschaft Hasenohr auf, von wo aus er<br />
die Aktion koordiniert. Später werden hier die aus der Synagoge entwendeten Kultgegenstände als<br />
Trophäen herumgereicht.<br />
Die Ermittlungen<br />
Trotz langwieriger und schwieriger Ermittlungen, in deren Verlauf über 100 Personen vernommen<br />
werden, bringt die Voruntersuchung nur wenige Ergebnisse. Zahlreiche Täter waren <strong>im</strong> Krieg gefallen<br />
oder vermißt, gegen einige Verdächtige müssen die Ermittlungen aus Mangel an Beweisen eingestellt<br />
werden. Zwei Hauptäter können als deutsche Staatsangehörige, die in Deutschland<br />
wohnen und nicht ausgeliefert werden, vom Saargebiet aus nicht verfolgt werden. Es handelt sich um<br />
den ehemaligen Ortsgruppenleiter B. und den SA-Mann D.<br />
Der Prozess<br />
Es wird schließlich nur noch gegen drei (!) Verdächtige Anklage erhoben. In der Sitzung am 14.1.1952<br />
werden die beiden Angeklagten S. und H. mangels Beweises freigesprochen.<br />
Die Hauptbelastungszeugin gegen den Angeklagten S. stirbt vor Verhandlungsbeginn. Ihre vorher<br />
gemachte, umfangreiche Aussage wird deshalb vor Gericht nicht anerkannt.<br />
Der Angeklagte S. wird zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Die Oberstaatsanwaltschaft Mannhe<strong>im</strong><br />
stellt das Verfahren gegen den ehemaligen SA-Angehörigen D, <strong>im</strong> September 1952 ein. Obwohl dieser<br />
ein umfangreiches Geständnis abgelegt hatte, ist ihm angeblich nichts nachzuweisen. In dem Schreiben<br />
des Staatsanwalts heißt es außerdem: „Es fehlt an dem erforderlichen Strofantrag, der zufolge<br />
Verschollenheit der Verletzten auch nicht mehr gestellt werden kann."<br />
Auch das Verfahren gegen B. wird 1957 eingestellt.<br />
Somit kommen zwei Haupttäter der Dillinger Pogromnacht ungeschoren davon.<br />
Lageplan aus Gerichtsakten