Juni-Juli 2012 - Rattiszell
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HEIMATBUCH PFARREI RATTISZELL<br />
Zum Nachdruck des Heimatbuches der Pfarrei <strong>Rattiszell</strong><br />
von 1925<br />
(kk) 2011 beschloss der Gemeinderat <strong>Rattiszell</strong> mit Bürgermeister<br />
Manfred Reiner, das 1925 erschienene „Heimatbuch<br />
der Pfarrei <strong>Rattiszell</strong>“ wegen der großen Nachfrage<br />
wieder aufzulegen. Wer schrieb dieses Buch?<br />
Der Verfasser war Benedikt Schmid. Er wurde am 15. Mai<br />
1882 in <strong>Rattiszell</strong> geboren. Nach dem Besuch des Humanistischen<br />
Gymnasiums in Straubing (heute Johannes-Turmair-<br />
Gymnasium) bewarb er sich im Jahre 1900 an der Allgemeinen<br />
Ortskrankenkasse München Stadt. Dank ausgezeichneter<br />
Befähigung arbeitete er sich zu einem führenden<br />
Sozialexperten empor und wurde 1917 Geschäftsführer der<br />
Landkrankenkasse Dachau. Frei von jeglicher Dünkelhaftigkeit<br />
war er stets von unverfälschter sozialer Gerechtigkeit<br />
beseelt und blieb immer am Puls der Mitmenschen mit ihren<br />
Sorgen und Anliegen im Arbeitsleben, gerade in den<br />
schweren Jahren nach dem Ersten Weltkrieg. Seine soziale<br />
Einstellung bedeutete für ihn, der in einem sehr religiösen<br />
Elternhaus aufgewachsen war, die Erfüllung christlicher<br />
Nächstenliebe. Hunderten von Menschen half er in allen<br />
möglichen Situationen des Lebens. Benedikt Schmid war<br />
führender Mann im Bayerischen Krankenkassenverband<br />
und Miterbauer des Lungensanatoriums Kohlbruck bei Passau.<br />
Stets wurde sein fachmännischer Rat eingeholt. Seine<br />
Verdienste im Wirken um die soziale Frage wurden wiederholt<br />
von höchsten Stellen gewürdigt. Rege Kontakte pflegte<br />
er zu führenden Persönlichkeiten, um die Menschen in ihrer<br />
Not nachhaltig unterstützen zu können, vor allem in der<br />
Stadt Dachau, die damals, nach der Schließung der dortigen<br />
Munitionsfabrik (das Gelände des am 22. März 1933 errichteten<br />
Konzentrationslagers), mit ihrer Arbeitslosenzahl<br />
prozentual gesehen, an der Spitze der deutschen<br />
Gemeinden stand. Eine Herzensangelegenheit war ihm<br />
auch die Sorge um die verarmte Landwirtschaft und so<br />
gründete er unter anderem auch Obstverwertungsgesellschaften.<br />
Trotz seiner großartigen beruflichen Entfaltung nahm sich<br />
Schmid auch noch Zeit für die politische Tätigkeit. Er war<br />
nicht nur Gemeinderat und Bezirkstagsmitglied, sondern<br />
gehörte auch vielen Ausschüssen als aktiver Mandatsträger<br />
an. In unzähligen Vorträgen in den verschiedensten<br />
Arbeitsorganisationen über Sozialprobleme organisierte er,<br />
der zwanzig Ehrenämter bekleidete, auch den großen<br />
Kampf gegen den Nationalsozialismus in Dachau. Er initiierte<br />
Großkundgebungen mit anderen Persönlichkeiten, darunter<br />
auch der spätere Landwirtschaftsminister von Bayern<br />
(1957-1969) Dr. Alois Hundhammer. Leeres Geschwätz war<br />
Benedikt Schmid, dem aufrechten, konsequenten und unbeirrbaren<br />
Niederbayern verhasst. Und diese mutige, charaktervolle<br />
Einstellung wurde ihm schließlich zum Verhängnis.<br />
Schon in den Jahren vor 1933 wurde er in den Zeitungen<br />
der dortigen Region in gehässigster Weise angegriffen. Und<br />
ab der Machtergreifung 1933 begann für ihn ein bitterer<br />
Leidensweg. Um halb fünf Uhr in der Frühe des 22. März<br />
1933 holte ihn die Gestapo mit einem Lastwagen ab und<br />
verschleppte ihn in das Polizeigefängnis München. Mit anderen<br />
Gleichgesinnten befand er sich nun in politischer<br />
Haft. Nach vielen Wochen des Bangens, eingesperrt in<br />
Stadelheim, kam er glücklicherweise wieder nach Hause<br />
und entging mit knapper Not dem KZ Dachau, wo z.B. Alois<br />
Hundhammer lange Zeit gequält wurde. Benedikt Schmid,<br />
<strong>Juni</strong>/<strong>Juli</strong> <strong>2012</strong>/Nr. 28<br />
der von sog. „guten Freunden“ verleumdet und denunziert<br />
wurde, war seelisch gebrochen. Seines Dienstes enthoben,<br />
lebte er ein Jahr lang in völliger Ungewissheit und wirtschaftlicher<br />
Not. Schließlich gelangte der „Fall Schmid“ bis<br />
in die Reichskanzlei nach Berlin. Durch Vermittlung von echten<br />
Freunden, die zu ihm auch in dieser schweren Zeit standen,<br />
konnte der Gastwirt Georg Weiß in Abens, ein ehemaliger<br />
Kriegskamerad Adolf Hitlers, gewonnen werden, den<br />
„Fall Schmid“ in Berlin vorzubringen. Ein scharfer handschriftlicher<br />
Brief von Frau Mathilde Schmid, in dem sie<br />
„Wiedereinsetzung und Recht für ihren Mann und Vater ihrer<br />
vier Kinder“ verlangte, kam nachweislich in Hitlers Hände.<br />
Nun wendete sich zwar das Blatt, aber „NS-Größen“ erzwangen<br />
die Entfernung Schmids aus Dachau. Er wurde in<br />
die Landkrankenkasse München versetzt. Schließlich forderte<br />
auch der Krieg einen weiteren schweren Tribut von<br />
der Familie Schmid. Die beiden Söhne kehrten nicht mehr<br />
von der Front zurück. Flieger-Oberleutnant Richard Schmid<br />
wurde über der Insel Wight abgeschossen, der ältere Sohn<br />
Postrat Dr. jur. Albert Schmid ist seit 1944 in Russland vermisst.<br />
Nach seinem Ruhestand zog sich Schmid 1947 in<br />
sein Heim in München-Neuhofen zurück. Dachaus Boden<br />
hat er nie mehr betreten, wohl aber <strong>Rattiszell</strong>er Heimatboden.<br />
Da sein Haus nach dem Krieg in <strong>Rattiszell</strong> komplett durch<br />
Heimatvertriebene belegt war, verhalf ihm der Gemeinderat<br />
durch folgenden Beschluss am 27. Mai 1948 wieder zu einer<br />
Bleibe, wenn er in seinem Geburtsort weilte: „Die<br />
Gemeinderäte sind einstimmig für die Freigabe eines<br />
Zimmers für den Hausbesitzer Benedikt Schmid in<br />
<strong>Rattiszell</strong>, wenn auch Herr Schmid eine Wohnung in<br />
München hat; aber er hat viel in seinem Garten und seinem<br />
Hause, wo 4 Familien untergebracht sind, zu tun. Herr<br />
Versicherungsrat a.D. Benedikt Schmid hat für die<br />
Gemeinde <strong>Rattiszell</strong> in der Verfassung und Herausgabe des<br />
Heimatbuches der Pfarrei <strong>Rattiszell</strong> viel Gutes geschaffen,<br />
so daß ihm ......... ein heizbares Zimmer in seinem eigenen<br />
Hause wohl als gerechtfertigt erscheint.“ Bestätigt wurde<br />
dieser Beschluss durch die eigenhändige Unterschrift von<br />
„Rothammer, Zaglmann und Schmid“.<br />
Am 13. April 1965 verstarb Benedikt Schmid und wurde im<br />
Waldfriedhof München beigesetzt.<br />
Sein Buch hat er der Bevölkerung von <strong>Rattiszell</strong> gewidmet.<br />
Schmid bezeichnet das Werk weniger als ein<br />
Geschichtsbuch als das Ergebnis einer wissenschaftlichen<br />
und historischen Abhandlung, sondern nennt es Heimatbuch,<br />
das der volkstümlichen Lektüre dienen soll, also der<br />
Allgemeinheit und ist nicht nur für Historiker geschrieben<br />
worden. Auf jeder Seite kann man die Liebe zu seiner<br />
Heimat herauslesen. Es ist ein Buch mit hohem Wert für die<br />
Pflege des Heimatgedankens im Allgemeinen und des<br />
Pfarrbewusstseins im Besonderen. Der Stellenwert der äußerst<br />
umfangreichen Informationen für die Nachwelt kann<br />
gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Gemeinderat<br />
der Gemeinde <strong>Rattiszell</strong> hat dem Ehrenbürger schon<br />
vor Jahren eine Straße mit seinem Namen gewidmet. Die<br />
markante Persönlichkeit und Lebensarbeit des gebürtigen<br />
<strong>Rattiszell</strong>ers wird auch mit der Neuauflage seines Buches<br />
unvergessen bleiben.<br />
Karl Kienberger, Heimatpfleger von <strong>Rattiszell</strong><br />
Erhältlich in der VG Stallwang<br />
ab 1. August <strong>2012</strong><br />
Preis: 15,– €<br />
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