Filmset Kalkutta - bei der Hamburg Media School
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Tatort U-Bahn<br />
Seit drei Monaten läuft die Kampagne „Ich drück für dich“.<br />
Zu mehr Zivilcourage wird sie kaum führen<br />
V O N A N N A M I L L E r<br />
Mel taumelt, steigt mit letzter Kraft<br />
die Stufen zur U-Bahn-Station Jungfernstieg<br />
hinunter. Blut fließt aus<br />
seinem Körper. Sekunden später ist<br />
<strong>der</strong> 19-Jährige tot. Zwei Hochbahn-<br />
Beamte versuchen den jungen<br />
Mann zu reanimieren, <strong>der</strong> am 14.<br />
Mai 2010 willkürlich von einem erst<br />
17-Jährigen erstochen wird. Doch<br />
jede Hilfe kommt zu spät.<br />
Der Mord an Mel war <strong>der</strong> aufsehenerregendste<br />
Fall in einer Reihe<br />
von Gewaltdelikten, die im Sommer<br />
2010 über den öffentlichen Nahverkehr<br />
<strong>Hamburg</strong>s hereinbrachen. Mit<br />
Konsequenzen für die Hochbahn:<br />
Das Image des Unternehmens sank,<br />
Menschen fuhren weniger o<strong>der</strong> gar<br />
nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln.<br />
Das Unternehmen<br />
reagierte rasch: Im September lancierte<br />
es die PR-Kampagne „Ich<br />
drück für dich“.<br />
Große Plakate machen seither<br />
auf die Notrufknöpfe und -säulen an<br />
den Stationen und in den U-Bahn-<br />
Zügen aufmerksam. Die Hochbahn<br />
hilfe ist einen Knopfdruck entfernt<br />
– wenn jemand drückt/X. zarafu<br />
braucht im Kampf gegen Gewalt offensichtlich<br />
die Hilfe ihrer Fahrgäste.<br />
Denn die über 5500 Kameras und<br />
345 Mitar<strong>bei</strong>ter <strong>der</strong> Hochbahnwache<br />
konnten die Überfälle im Sommer<br />
nicht verhin<strong>der</strong>n.<br />
Dass die Kampagne tatsächlich<br />
zu mehr Zivilcourage führt, ist umstritten.<br />
„Ein direkter Effekt ist ausgeschlossen.<br />
Höchstens indirekt<br />
könnte die Kampagne ihre Wirkung<br />
entfalten,“ glaubt Nils Zurawski, Sozialpsychologe<br />
an <strong>der</strong> Universität<br />
<strong>Hamburg</strong>.<br />
Allerdings trägt sie zu einem positiveren<br />
Image <strong>bei</strong> – und rentiert<br />
sich so für die Hochbahn. „Sicherheit<br />
ist nicht nur Nächstenliebe,<br />
son<strong>der</strong>n auch ein Wirtschaftsfaktor.<br />
Wir wollen mit <strong>der</strong> Kampagne Fahrgäste<br />
gewinnen, die bisher aus<br />
Sicherheits-Überlegungen nicht mit<br />
den öffentlichen Verkehrsmitteln<br />
gefahren sind“, sagt Arndt Malyska,<br />
Chef <strong>der</strong> Hochbahnwache.<br />
Dass die Image-Kampagne in Zusammenhang<br />
mit <strong>der</strong> Gewaltwelle<br />
im Sommer stehe, streitet das Unternehmen<br />
ab. Da<strong>bei</strong> scheint es nur<br />
konsequent, im Anschluss an einen<br />
solchen Mord eine Kampagne für<br />
mehr Zivilcourage zu schalten. So<br />
geschehen in München, nachdem<br />
drei Jugendliche den Geschäftsmann<br />
Dominik Brunner tödlich<br />
verletzt hatten.<br />
Allerdings ist München bis heute<br />
deutschlandweiter Spitzenreiter,<br />
was die Sicherheit im öffentlichen<br />
Verkehr betrifft. Die gefühlte Unsicherheit<br />
hat mit <strong>der</strong> tatsächlichen<br />
Kriminalitätsrate im öffentlichen<br />
Verkehr nichts zu tun.<br />
Die <strong>Hamburg</strong>er Hochbahn ist<br />
sich dieser eigentlich irrationalen<br />
Ängste ihrer Fahrgäste bewusst –<br />
und versucht nun mit <strong>der</strong> Plakat-<br />
Kampagne „Ich drück für dich“ den<br />
Leuten wie<strong>der</strong> zu einem besseren<br />
Gefühl zu verhelfen.<br />
Ko M M E N TA r<br />
<strong>Hamburg</strong><br />
Rückzug gilt nicht<br />
Auch wenn sie diskriminiert werden, müssen die Sinti<br />
offensiver auftreten und ihre Stimme erheben<br />
Psychoterror Pendeln<br />
Die einst so idyllischen Bahnhöfe sind zu Stress-Stationen<br />
voll frecher Reisen<strong>der</strong> verkommen<br />
05<br />
Min<strong>der</strong>jährige Räuberbanden, die Weihnachtsmärkte überfallen; organisierte<br />
Bettler, die Behin<strong>der</strong>ungen vortäuschen. Die Min<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Sinti<br />
und Roma leidet unter vielen Vorurteilen. Die Sinti, also <strong>der</strong> deutsche<br />
Stamm <strong>der</strong> Ethnie <strong>der</strong> Roma, leben seit mehr als fünf Jahrhun<strong>der</strong>ten hierzulande.<br />
Sie besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft, zahlen Steuern.<br />
Früher haben die Deutschen die Wäscheleine eingezogen, wenn die Sinti<br />
in ihren Wohnwagen in die Dörfer eingefahren sind. Heute gilt die Sorge<br />
nicht mehr <strong>der</strong> Wäsche. Aber immer noch werden „die Zigeuner“ für<br />
Diebstähle und Verbrechen verantwortlich gemacht.<br />
Auf die ständige Diffamierung haben die Sinti mit völligem Rückzug aus<br />
<strong>der</strong> Öffentlichkeit reagiert. Sie wohnen meist in Siedlungen wie jener in<br />
<strong>Hamburg</strong> Wilhelmsburg, wo eine Großfamilie von 500 Sinti abgeschottet<br />
von <strong>der</strong> restlichen Bevölkerung lebt.<br />
Doch diese Abgeschiedenheit ist einer besseren Akzeptanz abträglich.<br />
Die Sinti müssten in <strong>der</strong> Öffentlichkeit offensiver auftreten, um ihre Integration<br />
zu beweisen und Vorurteile zu wi<strong>der</strong>legen. Ein Leben in assimilierter<br />
Unsichtbarkeit genügt nicht.<br />
Natürlich sind die Sinti hier<strong>bei</strong> auf Unterstützung angewiesen. Die Interessenverbände<br />
<strong>der</strong> Sinti und Roma, die auf ehrenamtlicher Ar<strong>bei</strong>t basieren,<br />
können diese Herkulesaufgabe alleine nicht schaffen. Die Initiative<br />
aber muss von den Sinti selber ausgehen. Dennis Bühler<br />
Bahnhöfe und die darin verkehrenden Maschinen und Menschen faszinierten<br />
mich als Kind. Ganze Samstage lang betrachtete ich einfahrende<br />
Züge o<strong>der</strong> Männer in orangen Westen, die eine Lokomotive einrangierten.<br />
Die Zeit schien stillzustehen. Bahnhöfe strahlten etwas Magisches aus.<br />
Zwanzig Jahre später haben sich Bahnhöfe in mo<strong>der</strong>ne Karawansereien<br />
verwandelt. Und ich starre nicht mehr entspannt die Rotwein trinkenden<br />
Rentner im Speisewagen an, son<strong>der</strong>n enerviere mich über die kollektive<br />
Dummheit, welche die Menschen überfällt, sobald sie mit dem öffentlichen<br />
Verkehr reisen.<br />
Bahnhöfe machen mich heute aggressiv. Es gibt nichts Schlimmeres als<br />
gestresste Pendler, die auf <strong>der</strong> Jagd nach dem besten Sitzplatz bereits<br />
<strong>bei</strong>m Aussteigen <strong>der</strong> Passagiere die Lücke suchen, um in den Korridor des<br />
Zugwaggons einzudringen. Bewaffnet mit Kin<strong>der</strong>wagen, Koffer o<strong>der</strong> Fahrrad<br />
kämpfen sie sich durch – koste es, was es wolle. Zu früh einsteigende<br />
Menschen sind unausstehlich.<br />
Während <strong>der</strong> Fahrt geht das Malheur weiter. Gefühlte zwanzig Minuten<br />
vor <strong>der</strong> Ankunft am Zielbahnhof macht sich erneute Hektik breit. Die<br />
wahnsinnigen Pendler springen panisch von ihren Sitzen, räumen ihren<br />
Platz. Die Schlacht beginnt von neuem. Wer darf als Erster aussteigen?<br />
Auf welcher Seite befindet sich <strong>der</strong> Ausstieg am Zielort? Die Erfahrenen<br />
setzen sich meist durch – und belächeln all jene, die sich für die falsche<br />
Tür entschieden haben. Bahnhöfe und Zugfahrten: Sie sind nicht mehr<br />
das, was sie mal waren. Sebastian Gänger