Filmset Kalkutta - bei der Hamburg Media School
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Vor dieser Flagge fürchten sich selbst FC-Bayern-Spieler /Selim Sudheimer<br />
Von links außen<br />
in die erste Liga<br />
Wie die Hafenstraße den Ar<strong>bei</strong>terverein<br />
entdeckte und weshalb das Millerntor-Stadion<br />
das Millerntor-Stadion bleibt<br />
V O N D o M I N I C W I rT h<br />
Das Millerntor-Stadion an einem<br />
Dezember-Nachmittag. Wie Ameisen<br />
strömen Zuschauer auf die drei<br />
Stehplatzrampen. Eineinhalb Stunden<br />
noch bis zum Anpfiff – eine<br />
Ewigkeit in <strong>der</strong> schneidenden Kälte.<br />
Der Platz verknappt, aber das stört<br />
an diesem Abend niemanden. Nähe<br />
spendet Wärme, Glühwein und Bier<br />
wirken als innere Heizung. Erste Ge-<br />
sänge schallen von den Rängen, zuerst<br />
vereinzelt und vielstimmig,<br />
bald im Einklang. „St. Pauli, St. Pauli!“<br />
Totenkopf-Fahnen wehen, auf<br />
<strong>der</strong> Südtribüne springen die Zuschauer<br />
auf und ab.<br />
„Non established since 1910“,<br />
mit diesem Slogan begeht St. Pauli<br />
das Jubiläumsjahr. „Eigentlich<br />
müsste es ,non established since<br />
1985‘ heißen“, sagt Christoph Nagel.<br />
Zusammen mit Michael Pahl<br />
hat <strong>der</strong> Journalist und Historiker das<br />
Jubiläumswerk „FC St. Pauli. Das<br />
Buch“ geschrieben. In den 1980er-<br />
Jahren stand <strong>der</strong> FC St. Pauli am<br />
Abgrund. Das Geld fehlte, <strong>der</strong> Verein<br />
dümpelte in <strong>der</strong> dritten Liga.<br />
Zuweilen übertrafen die Erlöse aus<br />
dem Kuchenverkauf die Zuschauereinnahmen.<br />
Zum Trainingslager<br />
fuhren die Spieler auf den Ponyhof<br />
des Präsidenten. Um etwas Geld in<br />
die Kassen zu bringen, wurden die<br />
freien Sitzplätze im Mannschaftsbus<br />
an Anhänger verkauft. So kam es,<br />
dass auf Auswärtsfahrten vorne die<br />
Spieler saßen, während sich auf den<br />
hinteren Plätzen die mitfahrenden<br />
Supporter mit Bier und Zigaretten<br />
auf das Spiel einstimmten.<br />
Mitte <strong>der</strong> 1980er Jahre entdeckten<br />
die Bewohner <strong>der</strong> besetzten<br />
Häuser an <strong>der</strong> <strong>Hamburg</strong>er Hafenstraße<br />
den FC St. Pauli. „Der Verein<br />
bot damals fankulturell leeren<br />
Raum. Die Bewohner <strong>der</strong> Hafenstraße<br />
haben diesen besetzt“, sagt Pahl.<br />
Am Millerntor standen bald politisch<br />
mehrheitlich linke Anhänger,<br />
die sich mit dem Verein und seinem<br />
Außenseiter-Image identifizierten.<br />
Der Totenkopf war das perfekte<br />
Symbol für diese An<strong>der</strong>sartigkeit<br />
und wehte bald überall am Millerntor.<br />
Die 1980er Jahre waren die Geburtsstunde<br />
des Mythos St. Pauli.<br />
Befeuert wurde diese Entwicklung<br />
durch den Aufstieg in die erste Bundesliga<br />
1988; <strong>der</strong> Zuschauer-Durchschnitt<br />
verdreifachte sich in dieser<br />
Saison auf 21000.<br />
„Heike, ich liebe dich. Dein Kai.“<br />
Seit Spielbeginn flimmern Botschaften<br />
über Bildschirme unter dem Stadiondach.<br />
Ein Mobilfunk-Anbieter<br />
wirbt im Stadion. Michael Pahl<br />
schüttelt den Kopf: „Mich stört das<br />
ungemein. Hier soll <strong>der</strong> Fussball im<br />
Mittelpunkt stehen. Das macht St.<br />
Pauli aus.“ Mit den Anhängern von<br />
<strong>der</strong> Hafenstraße erhielt<br />
<strong>der</strong> FC St. Pauli eine politische<br />
Dimension, die<br />
ihn bis heute prägt. Der<br />
Kampf gegen Rassismus<br />
und Faschismus<br />
aus den Anfangsjahren<br />
ist geblieben; heute<br />
wehren sich die St.-<br />
Pauli-Anhänger<br />
Panorama<br />
19<br />
zudem gegen die Kommerzialisierung<br />
des Fußballs. Einzig das Geschehen<br />
auf dem Rasen zählt; Unterhaltungselemente<br />
sind verpönt.<br />
Cheerlea<strong>der</strong>s am Millerntor? Undenkbar.<br />
1990 schickte ein Vergnügungspark<br />
Maskottchen Wumbo.<br />
Das Experiment war nach kurzer<br />
Zeit beendet: Stofftier Wumbo wurde<br />
mit Biersalven eingedeckt, flüchtete<br />
und kehrte nie mehr zurück.<br />
Auch <strong>der</strong> Versuch, mit dem „Millerntaler“<br />
eine Stadionwährung einzuführen,<br />
musste nach vehementen<br />
Protesten abgebrochen werden. Im<br />
Jahr 2007 beschlossen die Mitglie<strong>der</strong><br />
zudem, den Verkauf <strong>der</strong> Stadion-<br />
Namensrechte auszuschließen: Millerntor<br />
bleibt Millerntor.<br />
Prinzipien haben ihren Preis.<br />
Weil sich <strong>der</strong> Verein solcher Marketingmassnahmen<br />
verweigert, entgehen<br />
ihm Einnahmen, die er dringend<br />
bräuchte. Michael Pahl und<br />
Christoph Nagel, die schon seit langem<br />
ins Stadion gehen, wissen das<br />
– und nehmen Nachteile in Kauf.<br />
„Eine gewisse Kommerzialisierung<br />
ist unvermeidbar. Doch wenn ein<br />
Trikotsponsor drei Millionen mehr<br />
zahlt, aber nicht mit den Werten des<br />
FC St. Pauli vereinbar ist, dann verzichten<br />
wir lieber auf das Geld und<br />
kämpfen gegen den Abstieg.“<br />
Ideale vor Punkten. Das zeigt sich<br />
auch an diesem Abend, an dem St.<br />
Pauli in <strong>der</strong> ersten Halbzeit nicht<br />
viel gelingen will. 1:3 liegt die<br />
Mannschaft von Holger Stanislawski<br />
zurück, die Angriffsbemühungen<br />
stocken. Nach <strong>der</strong> Pause erzielt Matthias<br />
Lehmann den Anschlusstreffer;<br />
Hoffnung keimt, <strong>der</strong> Lärmpegel<br />
steigt. St. Pauli kämpft, die Menschen<br />
sind begeistert. Mehr erwartet<br />
man hier nicht. Kurz vor Schluss<br />
trifft Mainz zum 4:2, St. Pauli verabschiedet<br />
sich mit einer Nie<strong>der</strong>lage in<br />
die Winterpause. Die Stimmung<br />
bleibt trotzdem gut,<br />
Pfiffe gegen die eigene<br />
Mannschaft gibt es<br />
am Millerntor nicht.<br />
Buchempfehlung:<br />
Christoph Nagel/Michael<br />
Pahl – 100 Jahre St. Pauli.<br />
Das Buch. 413 Seiten.<br />
hoffmann und Campe<br />
Verlag, 39,90 €