Joschka Fischer Die rot-grünen Jahre | Michael Ondaatje Divisadero ...
Joschka Fischer Die rot-grünen Jahre | Michael Ondaatje Divisadero ...
Joschka Fischer Die rot-grünen Jahre | Michael Ondaatje Divisadero ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Biografie Annemarie Schwarzenbachs Erfolgsbuch über den Abenteurer Lorenz Saladin<br />
Liebhaber der Welt<br />
Annemarie Schwarzenbach: Lorenz<br />
Saladin. Ein Leben für die Berge.<br />
Hrsg. und mit einem Essay von<br />
Robert Steiner und Emil Zopfi.<br />
Lenos, Basel 2007. 272 Seiten, Fr. 36.–.<br />
Von Angelika Overath<br />
Sie waren beide jung und charismatisch.<br />
Am 22. Juni 1936 stellt die «Zürcher<br />
Illustrierte» unter dem Titel «Daheim<br />
und draussen» zwei Weltreisende vor:<br />
Lorenz Saladin, den Bergsteiger, der<br />
zuletzt Touren im Kaukasus, im Pamirgebirge<br />
in Zentralasien und in den daran<br />
anschliessenden Tienschan unternommen<br />
hatte, und die androgyne Schönheit<br />
Annemarie Schwarzenbach, die mutige<br />
Fotoreporterin, einmal im Brautkleid an<br />
der Seite des Diplomaten Claude Clarac,<br />
das andere Mal männlich gekleidet<br />
bei einer archäologischen Ausgrabung.<br />
Lorenz Saladin, der meist mittellose<br />
Gelegenheitsarbeiter, und Annemarie<br />
Schwarzenbach, die höhere Tochter<br />
eines Zürcher Seidenweberei-Millionärs<br />
und einer Mutter aus der Generalsfamilie<br />
Wille, kannten sich nicht.<br />
Wenige Monate später, am 17. September<br />
1936, ist Lorenz Saladin tot. Er starb<br />
mit 39 <strong>Jahre</strong>n auf dem Rückweg nach der<br />
Besteigung des Siebentausenders Khan<br />
Tengri im Osten Kirgistans. Schwarzenbach<br />
erfährt zufällig vom Schicksal des<br />
Schweizer Bergsteigers. Sie trifft seinen<br />
jüngeren Bruder Peter und erhält<br />
von ihm die Vollmacht, Lorenz Saladins<br />
Hinterlassenschaften abzuholen. Als<br />
antifaschistischer Reporterin gelingt es<br />
ihr, die nötigen Visa zu bekommen und<br />
nach Moskau zu reisen. Sie befragt die<br />
russischen Bergsteigergefährten.<br />
Mit Notizbüchern Saladins und 1200<br />
Negativen von Fotografien, die er mit<br />
seiner Leica gemacht hatte, kehrt sie<br />
zurück und beginnt die Biografie jenes<br />
Mannes, von dem sie schreiben wird:<br />
«Er war kein Abenteurer, er wurde<br />
nicht blind durch die Kontinente gejagt,<br />
er floh nicht, er war ein Liebhaber der<br />
Welt.» War das so? Oder wünschte sie<br />
sich, dass es für ihn so gewesen sein<br />
möge? Mit keinem Wort geht sie zum<br />
Beispiel auf Saladins gescheiterte Heiratspläne<br />
ein.<br />
Dunkle Wahlverwandtschaft<br />
Im Juli 1938 schliesst Schwarzenbach<br />
während eines Drogenentzugs am<br />
Bodensee das Manuskript ab. Der Band<br />
erscheint im selben Jahr; er wird ihr zu<br />
Lebzeiten meistverkauftes Buch. Annemarie<br />
Schwarzenbach stirbt 1942 an den<br />
Folgen eines Fahrradunfalls in Sils im<br />
Engadin. Sie ist 35 <strong>Jahre</strong> alt geworden.<br />
<strong>Die</strong> nun erschienene Neuausgabe ihrer<br />
Saladin-Biografie verschränkt das Leben<br />
zweier Königskinder. Im Zentrum steht<br />
der dramatisch aufgebaute, atmosphärisch<br />
dichte Text von Schwarzenbach,<br />
der sich auch heute noch mit Spannung<br />
liest. <strong>Die</strong> Herausgeber – beide Schriftsteller<br />
und passionierte Bergsteiger<br />
MARC KINDERMANN / VISUM<br />
EWGENI ABALAKOW<br />
Tienschan-Gebirge in<br />
Kirgistan (oben).<br />
Lorenz Saladin sitzt<br />
erschöpft am Gipfel<br />
(unten).<br />
– haben ihm aber gleichsam eine historisch-kritische<br />
Einfassung gegeben. Aus<br />
dem Wissen und den Möglichkeiten der<br />
späteren Generationen heraus konnten<br />
Emil Zopfi (Jahrgang 1943) und Robert<br />
Steiner (Jahrgang 1976) Saladins Leben<br />
und die Umstände seiner Expeditionen<br />
recherchieren und in einem engagierten<br />
Nachwort darstellen. Sie profilieren<br />
nun die russischen Expeditionsteilnehmer<br />
deutlicher und korrigieren Fehler.<br />
Erschütternd ist ihr Abriss, der zeigt,<br />
wie viele der mutigen Bergsteiger an<br />
der Seite Saladins dem stalinistischen<br />
Terror zum Opfer fielen.<br />
Deutlich wird bei dieser sorgfältig<br />
gestalteten Neuausgabe zweierlei: Da<br />
sind die Lebenslinien eines leidenschaftlichen<br />
Jungen aus dem solothurnischen<br />
Schwarzbubenland, der gegen alle Konventionen<br />
zu einem der grössten Bergsteiger<br />
seiner Zeit wurde und zudem auf<br />
dem besten Weg war, ein renommierter<br />
Fotograf zu werden. Und da ist die dunkle<br />
Wahlverwandschaft, die eine junge,<br />
psychisch gefährdete Schriftstellerin<br />
und Fotoreporterin zu diesem fremden<br />
und ihr doch eigentümlich nahen Leben<br />
empfand. Schwarzenbach war keine<br />
Bergsteigerin, und doch hat sie mit viel<br />
Einfühlungsvermögen jene Leidenschaft<br />
beschrieben, die einen Menschen unter<br />
Einsatz des Lebens in die eisigen Höhen<br />
zieht. Auch die morphinabhängige<br />
Schwarzenbach hat sich nicht geschont,<br />
vielmehr suchte sie auf ihren Reisen<br />
immer wieder jene elementaren Härten<br />
extremer Landschaften, die ihr ein<br />
Gegengewicht zu dem unverstandenen<br />
Liebesentzug ihres Alltag waren.<br />
Reisen wie eine Irrende<br />
Saladins Tagebucheintragungen bestechen<br />
durch eine einfache, klare Sprache:<br />
«Wir gehen am Khan Tengri nicht etappenweise,<br />
sondern direkt mit schweren<br />
Säcken. Abmarsch um halb zehn Uhr<br />
abends, über den nach Süden abfallenden<br />
Gletscher, sehr leicht bei Mondlicht.»<br />
Seine Fotografien zeigen ihn als<br />
einen geduldigen und stilsicheren Beobachter,<br />
der einen Sinn für Bildkomposition<br />
und Dramatik hatte. <strong>Die</strong> Fotografin<br />
Schwarzenbach muss die Qualität der<br />
Aufnahmen sofort erkannt haben. Saladin<br />
fotografierte Etappen und Szenen<br />
der Besteigungen und immer wieder<br />
auch Momente der fremden Kulturen:<br />
komplizierte Nomadenzelte, Märkte,<br />
ein Mädchen beim Melken einer Stute,<br />
einen muslimischen Bauern im Mohnfeld,<br />
Reihen von Traktoren.<br />
Wer diese Bilder von Lorenz Saladin<br />
sieht, mag sich an den Nachruf von<br />
Arnold Kübler auf Annemarie Schwarzenbach<br />
erinnern und von hierher ihre<br />
erstaunliche Verbundenheit zu dem<br />
Schweizer Bergsteiger auf dem Dach<br />
der Welt verstehen: «Weil sie nicht wie<br />
eine Ausflüglerin reiste, sondern wie<br />
eine Irrende, gab es keine Schranken<br />
für ihre Anteilnahme am Fremden, und<br />
die Unvoreingenommenheit war ihre<br />
fruchtbare Begleiterin.» �<br />
4. November 2007 �NZZ am Sonntag � 11