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„Form follows Function.“ Ernst Cassirer und? Das Bauhaus.

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<strong>„Form</strong> <strong>follows</strong> <strong>Function</strong>.<strong>“</strong> <strong>Ernst</strong> <strong>Cassirer</strong> <strong>und</strong>? <strong>Das</strong> <strong>Bauhaus</strong>.<br />

<strong>Das</strong> ästhetische Denken <strong>Ernst</strong> <strong>Cassirer</strong>s (1874-1945) soll mit dem<br />

gestalterischen Denken am <strong>Bauhaus</strong> (1919-1933, gegr. v. Walter Gropius)<br />

verglichen werden. <strong>Ernst</strong> <strong>Cassirer</strong> gilt als Begründer der „Philosophie der<br />

symbolischen Formen<strong>“</strong>. Auffallend sind vor allem Akzentuierungen zentraler<br />

Begriffe wie <strong>„Form</strong><strong>“</strong> <strong>und</strong> „Funktion<strong>“</strong>, die sowohl auf Seiten <strong>Cassirer</strong>s als auch<br />

des <strong>Bauhaus</strong>es richtungsbestimmend sind. Symbolisierung bedeutet bei <strong>Cassirer</strong><br />

Formgebung. Sein theoretischer Ansatz, einschließlich seiner verstreuten<br />

Erläuterungen zur Ästhetik in seinen umfangreichen Schriften, impliziert, so<br />

meine These, eine „funktionale Ästhetik<strong>“</strong>. 1 Anders formuliert: in einer hier<br />

erstmalig vorgenommenen Gegenüberstellung von <strong>Cassirer</strong>s Untersuchungen<br />

zur Ästhetik einerseits <strong>und</strong> <strong>Bauhaus</strong>schaffen, das dem Motto <strong>„Form</strong> <strong>follows</strong><br />

<strong>Function</strong><strong>“</strong> folgt, andererseits, wird deutlich, dass <strong>Cassirer</strong>s systematische<br />

Darlegungen zur „symbolischen Form<strong>“</strong> auf eine spezifisch „funktionale<br />

Ästhetik<strong>“</strong> hinauslaufen. Sie basiert auf der Priorität des so genannten<br />

„Relationsbegriffs<strong>“</strong> gegenüber dem „Substanzbegriff<strong>“</strong> sowie sich in<br />

Dingbeziehungen ergebende Korrelationen. Infolge „wohnt<strong>“</strong> Objekten eine<br />

Ausdrucksfunktion „inne<strong>“</strong>, deren Ästhetik sich aus überindividuellen<br />

Zusammenhängen herleitet. Ihre Objektivität zeigt sich in zeitlicher Dauer, d. h.<br />

in der Permanenz der Form als empirischer Substantialität.<br />

In solcher Hinsicht ist Ästhetik für <strong>Cassirer</strong> eine Wissenschaft von „Regeln<strong>“</strong><br />

(geometrischen Regeln, die sich aus der Anschauung entwickelt haben <strong>und</strong><br />

arithmetischen Regeln). 2 In Bezug auf das <strong>Bauhaus</strong> lässt sich demgegenüber<br />

1 Ästhetik, betont <strong>Cassirer</strong>, sei seit dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert, von der Entwicklung des<br />

analytischen Geistes ergriffen (<strong>Ernst</strong> <strong>Cassirer</strong>, Goethe <strong>und</strong> die geschichtliche Welt,<br />

Hamburg, 1995, S. 35)<br />

2 <strong>Cassirer</strong> entwickelt seine analytischen Überlegungen im Anschluss an Goethe, der ein<br />

analoges Verhältnis von botanischer <strong>und</strong> geometrischer Form in Hinblick auf die „Idee<strong>“</strong> bzw.<br />

das „Symbol<strong>“</strong> erforscht. Aufbauend auf Goethe erkennt <strong>Cassirer</strong> eine „konkrete<br />

Allgemeinheit<strong>“</strong>: das ist die (wiederkehrende) Regel als „Urpflanze<strong>“</strong> bzw. „Urphänomen<strong>“</strong><br />

(bedeutet nicht: irgendwo in vergangener Zeit gab es ein „Urphänomen<strong>“</strong> oder eine


fragen: Gibt es eine bzw. worin liegt die allgemeine <strong>Bauhaus</strong>ästhetik? Welche<br />

theoretischen „funktionsbezogenen<strong>“</strong> Positionen haben sich am <strong>Bauhaus</strong><br />

entwickelt? Die so genannte „Ingenieursästhetik" verfolgt die Idee „Kunst <strong>und</strong><br />

Technik - eine neue Einheit" (Walter Gropius). Besonderes Augenmerk lässt<br />

sich aber auch auf Oskar Schlemmer 3 oder Johannes Itten 4 legen.<br />

Es handelt sich bei den Gestaltungen der <strong>Bauhaus</strong>künstler, designer-, -techniker<br />

<strong>und</strong> -architekten, deren spartenbezogene Individualität zu beachten ist, um<br />

eigenwillige „Realisierungen<strong>“</strong> eben jenes funktionalen ästhetischen Ansatzes,<br />

der von mir im Verlauf des Vortrags als „<strong>Cassirer</strong>s theoretisches Denken<br />

auszeichnend<strong>“</strong> herausgestellt wird.<br />

Analog zu <strong>Cassirer</strong>s funktionalen Analysen, die seine Herangehensweise an<br />

Ästhetik prägen, möchte ich die programmatischen Prinzipien der Gruppe de<br />

Stijl am <strong>Bauhaus</strong> anführen, die zum Beispiel beinhalten: „Jede Farbe ist mit der<br />

gleichen Quantität in jeder Reihe, jede Farbreihe mit der gleichen Quantität an<br />

der Gesamtfläche beteiligt<strong>“</strong> 5 oder „Identität von Quantität <strong>und</strong> Qualität<strong>“</strong> 6 . Zu<br />

nennen wären weiterhin die seriellen <strong>und</strong> modularen Ordnungen, wie sie<br />

<strong>Cassirer</strong> in seiner Schrift ,Substanzbegriff <strong>und</strong> Funktionsbegriff‘ darlegt 7 , ebenso<br />

wie die kontinuierlichen Farbreihen, wachsenden Farbordnungen uvm., an<br />

denen sich <strong>Bauhaus</strong>kunst <strong>und</strong> -gestaltung orientiert.<br />

Im Unterschied zu <strong>Cassirer</strong>s theoretischem Anspruch, dem es nicht um<br />

Ganzheit, sondern um „Zwecktätigkeit" geht, wird der Funktionalismus derart<br />

betont, dass bei ihm das Zweckmäßige auch schön sein soll: „Nur vollkommene<br />

Harmonie in der technischen Zweckfunktion sowohl wie in den Proportionen<br />

der Formen kann Schönheit hervorbringen." (Ludwig Grote)<br />

„Urpflanze<strong>“</strong>).<br />

3 1888-1943.<br />

4 1888-1967.<br />

5 Richard Paul Lohse, in: Die Sprache der Geometrie, Kunstmuseum Bern 1984, S. 127.<br />

6 Ibid.<br />

7 <strong>Ernst</strong> <strong>Cassirer</strong>, Substanzbegriff <strong>und</strong> Funktionsbegriff, Berlin 1910.


Anhand der Stuhlentwürfe von Marcel Breuer 8 (ein Vergleich des Lattenstuhls ti<br />

1 a mit dem ebenfalls aus seiner Hand stammenden Wassily Stuhl) werde ich<br />

mich der „funktionalen Ästhetik<strong>“</strong> konkret annähern. Funktionalismus am<br />

<strong>Bauhaus</strong> zielt auf das Zurücktreten rein ästhetischer Gestaltungsprinzipien hinter<br />

den die Form bestimmenden Verwendungszweck. Die Stühle Breuers bilden<br />

Verweisungen bzw. Modi von räumlichen Formgestaltungen, angepasst an<br />

quadratische, kubische, winklige, d. h. räumliche Bestimmungen (wie „unten<br />

breit, oben schmal<strong>“</strong> oder „gleichmäßig breit <strong>und</strong> schmal<strong>“</strong>). Die für das Material<br />

der Sitzfläche gewählte Farbe kann dem „Reihenbegriff<strong>“</strong> (nach <strong>Cassirer</strong>), dem<br />

sich der Farbkreis Ittens anpasst, zugeordnet werden. <strong>Das</strong> ästhetische Motto<br />

<strong>„Form</strong> <strong>follows</strong> <strong>Function</strong><strong>“</strong> lässt sich am Beispiel des Stuhls nachvollziehen: der<br />

Stuhl, d. h. sein Volumen, seine materialen Bestimmungen (Leder, Stahl oder<br />

Eichenholz, mit Eigenschaften wie hart oder dehnbar), die Größenverhältnisse<br />

(Flächenanteile in Höhe, Breite, Tiefe) beruhen auf fixierten Maßen <strong>und</strong><br />

Anordnungen (die entstehende Funktion bringt eine ideelle Form hervor). D. h.<br />

ein Stuhl beruht auf Bedingungen zur Konstruktion eines Stuhls – in<br />

Abwandlung bzw. der Notwendigkeit der „Besonderung<strong>“</strong> (<strong>Cassirer</strong>), die das<br />

allgemeine Formprinzip bzw. die allgemeine Regel zur Erstellung eines „Stuhls<strong>“</strong><br />

erfährt.<br />

Im Vortrag geht es mir darum, den Vergleich zwischen <strong>Ernst</strong> <strong>Cassirer</strong> <strong>und</strong> dem<br />

<strong>Bauhaus</strong> in unterschiedliche, wichtig erscheinende Richtungen zu entfachen. In<br />

einem zweiten Teil finden deshalb Probleme, die sich im Hinblick auf die<br />

„funktionale Ästhetik<strong>“</strong> bei <strong>Cassirer</strong> <strong>und</strong> den Schaffenden am <strong>Bauhaus</strong> mit ihren<br />

jeweiligen Realisierungen in Design, Kunst <strong>und</strong> Architektur in Verwurzelung in<br />

der ersten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts ergeben, Berücksichtigung. Martin<br />

Heideggers Kausalitätsbezug erörtert das Wesen der Substanz zu dieser Zeit<br />

ebenfalls auf neue Weise. Wie lässt sich das „Substanzielle<strong>“</strong> in seiner<br />

8 1902-1981.


alltäglichen „Zuhandenheit<strong>“</strong> gegenüber den <strong>Bauhaus</strong>entwürfen mit ihm anders<br />

als bei <strong>Cassirer</strong> in Anschlag bringen? Unter dem Gesichtspunkt von Kunst <strong>und</strong><br />

Technik kristallisieren sich weiterhin neue theoretische Bezüge zu Jaques<br />

Derrida (logische „Auflösung des Kausalnexus<strong>“</strong> <strong>und</strong> „Verschiedenheit im<br />

Ursprung<strong>“</strong>) heraus.

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