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4 extra Februar 2009
EXTRA-REDAKTEUR HANNES S. AUER AUS DER WELT, TEIL 4
„Ich bekenne, ich habe gelebt“ ode
Wir bereisen die Orte der Kindheit Pablo Nerudas und fühlen die Kindheitserinnerungen des Nobelpreisträgers
nach. „Es regnete ganze Monate, ganze Jahre“, schreibt er in „Ich bekenne, ich habe gelebt“, und „der Regen fiel
in Fäden langer Glasnadeln, die auf den Dächern zerbrachen oder in durchsichtigen Wellen gegen die Fensterscheiben
schlugen, und jedes Haus war ein Schiff, das in diesem Wintermeer mühsam in den Hafen gelangte.“
Wir kommen in diesem Wintermeer
an, das mit jedem Breitengrad
kälter wird (wie angenehm
war es noch in Rio!), nach langer, langer
Fahrt, die uns zuerst von Buenos
Aires über Colonia in Uruguay geradewegs
nach Süden in Richtung Puerto
Madryn und dann nach Westen
nach Osorno, Pucón, Temuco, Santiago,
Valparaíso und Viña del Mar in
Chile führt. Die letzten Wochen über
haben wir viel gesehen, viel erfahren
und gelernt. Was am wenigsten meinen
Vorstellungen entsprochen hat,
ist der hohe Entwicklungsgrad und
Lebensstandard in jenen Orten, die
wir bereist haben. Lateinamerika habe
ich mir grundsätzlich anders vorgestellt.
Auch wenn die Armut in den
ländlichen Gegenden Südamerikas
generell größer ist als in den Städten:
Hier kann man sich fast „zu Hause“
fühlen. Buenos Aires zum Beispiel
wirkt auf mich schöner, sicherer und
sauberer als Wien, und Santiago in
Chile ist überhaupt eine pulsierende
Stadt, wie man sie ebenso in Europa
finden könnte. Hier hat das mit
Waffengewalt und Mord durchgesetzte
neoliberale Experiment – besser
als in anderen Ländern Lateinamerikas
und der Welt - funktioniert:
„In den 90ern wurde viel darüber geredet,
wie wirtschaftlich erfolgreich
Chile ist, wo Augusto Pinochets Berater,
die in Chicago studiert hatten,
ihre Free Market-Reformen durchsetzten.
So sollte bewiesen werden,
Puerto Madryn, Argentinien: lässt man den Blick lange genug in die
Ferne schweifen, erkennt man immer wieder Killerwale, die mit dem
ganzen Körper auf einmal aus dem wasser springen.
Viña del Mar Grenzüberschreitung: Chile
dass die von Milton Friedman inspirierte
Politik wegweisend war für die
erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung
des Landes. Aber obwohl andere
lateinamerikanische Nationen, von
Mexiko bis Argentinien, Chiles Weg
zu Freihandel, Privatisierung und Deregulierung
nachvollzogen haben,
konnte keines dieser Länder Chiles
Erfolgsgeschichte wiederholen. Ganz
im Gegenteil, die meisten Lateinamerikaner
denken heute, dass diese
‚neoliberalen‘ Reformen versagt haben:
der versprochene wirtschaftliche
Durchbruch trat nie ein, während
die Ungleichheit zugenommen
hat“, schreibt der Ökonom und Neo-
Nobelpreisträger Paul Krugman.
und da ist er schon, der erste wal aus
nächster nähe.
Viel ist in Santiago nicht von Allende geblieben.
Immer noch sind die Menschen in lager
gespalten, die wunden der Pinochet-Diktatur
sind nie ganz geheilt.
Frühlingsblüte vor Pablo nerudas Haus in
Santiago.
laut unserem immer wieder zu übertreibungen
neigenden Reiseführer in Buchform
ist das Seafood hier „out of this world“. Mir
kommt es auch ein bisschen so vor, und
ich habe einige Mühe, diese reichhaltige
Fischsuppe hinunterzuwürgen.